Einführung
+
Ich verbinde die Naht,
Gott heilt sie“
Ambroise Paré, Wundarzt, 16. Jhrd.
Einführung
Justitia schaut beim
Verbandwechsel nicht hin!
Einführung
Was haben beide Aussagen
gemeinsam?
• Beide Aussagen sind selbstverständlich nicht
richtig!
Warum?
• Weil eben doch in der Wundversorgung
rechtliche Vorgaben zu beachten sind.
• Weil viele Faktoren zum Wundverschluß
beitragen, die nicht (nur) aus Gottes
(nur)
Tatendrang bestehen.
Einführung
Warum
• Bei Beachtung des
gesunden
Menschenverstandes
und wichtiger
rechtlicher Vorgaben
besteht kein Grund
zur Beunruhigung
Rechtliche / regulatorische
Gesichtspunkte
Selbstverständlichkeiten
Behandlung
nach dem Behandlungs-
Dokumentation
aktuellen missstände
der Leistungen
wissensch. aufzeigen
vornehmen.
Standard
durchführen.
Rechtliche / regulatorische
Gesichtspunkte
Gesetzliche
Rahmen-
bedingungen
Qualitäts- Arbeits-
gesichts- vertragliche
punkte Regelungen
Vertragliche
Dokumen-
Regelungen
tation
mit Patienten
Gesetzliche Rahmenbedingungen
Ärztliche Behandlung als Teil der
Krankenbehandlung gem. § 27 Abs. 1 SGB V
• steht unter Arztvorbehalt (richterliche Ausprägung im
Arzthaftungs- und –strafrecht, sowie kodifiziert insbes. in
§§15 Abs. 1, 73 SGB V, §1 Abs. 1 HeilprG, §2 BÄO)
• Etwas anderes nur wenn: Regelung in Modellvorhaben
(§63 c SGB V) entsprechend der hierzu ergangenen
Richtlinie des G-BAs Möglichkeiten zur Übertragung
ermöglichen..
• §15 SGB V : persönliche Leistungsverpflichtung durch Arzt
• Aber: Arzt muß nicht alle Leistungen in vollem Umfang
eigenhändig erbringen, kann gem. §28 SGB V ärztliche
Leistungen an nicht-ärztliches Personal delegieren.
Gesetzliche Rahmenbedingungen
Delegation = Übertragung der Durchführungskompetenz heilkundlicher Tätigkeit in eigener
Verantwortung
• z.B. an Pflegekraft
Voraussetzung: entsprechende Ausbildung notwendig.
Nicht delegationsfähig sind Leistungen unter Arztvorbehalt / höchstpersönliche Leistungen
• Anamnese
• Indikationsstellung
• Stellen der Diagnose
• Untersuchung des Patienten einschließlich invasiver diagnostischer
Leistungen
• Entscheidung über die Therapie
• Durchführung invasiver Therapien einschließlich der Kernleistungen
operativer Eingriffe
• Stationäre Wahlleistungen oder ermächtigte KH-Ärzte
Gesetzliche Rahmenbedingungen
Substitution ≠ Delegation
• Übertragung der Entscheidungskompetenz
• Kein Verantwortungsbezug mehr gegeben
NEU: Übertragung ärztlicher Leistungen auf Pflegeberufe (gem § 63
Abs. 3c SGB V)
• Ausgestaltung in der dazugehörigen Richtlinie (noch Fragen offen)
• ist am 22.03.2012 in Kraft getreten
• enthält einen nicht –abschließenden Katalog von ärztlichen Tätigkeiten aufgenommen, die
auf Angehörige der Kranken-/Pflegeberufe übertragen werden können.
• Nach Ansicht des G-BA:
Krankenkassen und Leistungserbringer müssen nun entsprechende Modellvorhaben
vereinbaren und umsetzen.
Arbeitsvertragliche Regelungen
Pflegekräfte
• Die Pflegekräfte unterliegen dem Weisungsrecht der Pflegedienstleitung
(ambulant und stationär)
• daneben im Krankenhaus noch zusätzlich fachliches Weisungsrecht des
Arztes als Fachvorgesetzter (wird sehr oft nicht durchgeführt).
• Im ambulanten oder stationären Pflegebereich ist der Vertragsarzt
grundsätzlich kein Fachvorgesetzter.
Ärzte
• Im Krankenhausbereich: Weisungsrecht des Vorgesetzten.
• Im MVZ: ärztlicher Leiter (weisungsfrei)
Grenzen des Weisungsrechts
• Bei nicht ausreichender Qualifizierung der weisungsgebundenen Person.
• Keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen, wenn weisungsgebundene
Person beabsichtigt, sich fortzubilden.
Vertragliche Regelungen mit
Patienten
Der Pflegebedürftige schließt einen Vertrag mit einem oder
mehreren der folgenden Gruppen ab:
• dem Arzt,
• dem Krankenhaus,
• der Pflegestation, oder
• dem Pflegedienst
• Ab 01.01.2013 – Inkrafttreten des Patientenrechtegesetz (Gesetz zur
Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten).
Dokumentation (1/2)
Dokumentation
• Dient der Erfüllung der vertraglichen Nebenpflicht aus dem
Behandlungsvertrag und den gesetzlichen Vorschriften
(§3 Abs 2. KrPfG, §3 Abs 1 AltPfG, §10 MBO-Ä)
• Soll sach- und fachgerechte Erst- und Anschlußbehandlung
ermöglichen.
• Dient der Wahrung des Persönlichkeitsrechts der Patienten
(Art. 2 in Verbindung 1, GG, Recht des Patienten zu wissen,
was mit ihm passiert).
• Dient der Qualitätssicherung
• Bestandteil der Abrechnung nach EBM, bspw. EBM Nr. 023
12 – Fotodokumentation
• Dient dem Schutz vor haftungsrechtlichen Konsequenzen bis
hin zur Beweislastumkehr.
Dokumentation (2/2)
Dokumentation
• Zur Vermeidung der Anwendbarkeit des folgenden Satzes:
„Was Du tust, das dokumentiere. Was Du nicht dokumentiert hast, hast Du nicht
getan.“
• Siehe auch BGH Urteil vom 18.03.1986
„Die Unterlassung der erforderlichen Dokumentation ist ein Indiz dafür, dass im
Krankenhaus der Beklagten die ernste Gefahr der Entstehung eines
Durchliegegeschwürs nicht erkannt und die Durchführung vorbeugender
Maßnahmen nicht in ausreichender Form angeordnet wurden und dass daher
das Pflegepersonal nicht so intensiv auf die Prophylaxe geachtet hat.
Die Beklagte hat die indizielle Wirkung der fehlenden Krankenunterlagen zu
entkräften.“
• Inhalte sollten mindestens sein:
gesicherte Kausaldiagnose (bzw. Verdachtsdiagnose), gemessene Wundgröße,
Beschreibung von sichtbarer Wundfläche, Wundrand und Wundumgebung,
Therapieanordnung, Therapiedurchführung und Anlass für einen
Therapiewechsel. (Empfehlung 9 aus der S3-Leitlinie)
• Zukünftig – ab Inkrafttreten des Patientenrechtegesetztes in §630 f BGB
QS-Vorgaben
Mögliche Vorgaben aus
QM-Gesichtspunkten (z.B.)
• aus eigenem Qualitäts-
managementhandbuch
• MDK-Anleitung stationär S. 150
(Link)
• MDK-Anleitung ambulant S. 129
(Link)
Pflichten und Konsequenzen
Pflichten
• Der Leistungserbringer (Arzt, Pflegekraft) muß die Leistung dem jeweiligen Stand der
wissenschaftlichen Erkenntnisse (z.B. die Beachtung von einschlägigen Leitlinien) und
in der fachlich gebotenen Qualität erbringen,
• Soweit eine Delegation stattfindet, muß sich der Arzt (z.B. §28 SGB V) von der
erforderlichen Qualifikation der Pflegenden überzeugen und auch das
Durchführungsergebnis, soweit es für die Diagnostik und Therapie Bedeutung hat, neu
beurteilen
• Beachtung der Remonstrationspflicht
= Pflicht, Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit einer Anordnung zu äußern. Im
ambulanten Bereich auch Mitteilung gegenüber dem Patienten. Wird die Anordnung
aufrecht erhalten, so ist sie auszuführen, sofern nicht objektiv erkennbarer Schaden
für Patienten droht.
Verletzung dieser Pflichten führt auch zur
Sorgfaltspflichtverletzung, da zumindest Fahrlässigkeit bejaht wird.
• Folge:
zivilrechtliche und strafrechtliche Haftung des Betroffenen
• Verpflichtung zur Nachvollziehbarkeit der Leistungen und Dokumentation
• auch aufgrund sonstiger sozialrechtlicher Vorgaben.
Verantwortung
Anordnungsverantwortung
• Unabhängig davon ob Krankenhaus, Altenheim oder ambulante
Pflege
Durchführungsverantwortung
• z.B. bei Delegation
§3 Abs 2 KrPfG oder §3 Abs 1 AltPfG.
Hier ist die eigenständige Durchführung ärztlich veranlasster
Maßnahmen als Ausbildungsziel festgehalten.
Spannungsfeld zwischen Arzt und
Pflegekraft
Patient
Arzt ~ Oft geprägt durch differenzierende Interessen, obwohl
Pflegefachkraft
die Leistungserbringer aufeinander angewiesen sind.
(Therapiehoheit)
Weisungsbefugnis (nur KH)
Konsequenzen
Zivil- und strafrechtliche Konsequenzen
Beispiel 1
Durchführung einer Wundversorgung durch die Pflegekraft. Nur das Verbandmaterial steht
der Pflegekraft zur Verfügung, jedoch keine sterilen Handschuhe, keine Pinzetten. Auch das
Verbandmaterial ist unsteril. Die Pflegekraft führt dennoch den Verbandwechsel durch.
Daraufhin kommt es zur Wundinfektion
Problem:
zivilrechtlich
• Vertraglich (+)
Ansprüche des zu Pflegenden gegenüber dem Pflegedienst /-institution und Arzt
• Sterile Wundversorgung ist ein allgemein anerkannter Standard. Daher Verstoß gegen die
vertragliche Zusicherung, dass die Therapie/Behandlung nach dem allgemein anerkannten
Stand medizinisch-pflegerischer Kenntnisse erbracht wird. Zum anderen Verstoß gegen die
entsprechenden Berufspflichten.
• Deliktische Ansprüche (Ansprüche zur Wiedergutmachung von Schäden – unabhängig von
einem Vertragsverhältnis, §§823, 831 BGB)
• Grund s.o.
Strafrechtlich
• §229 StGB – fahrlässige Körperverletzung (+) wegen Sorgfaltspflichtverstoß
zivil- und strafrechtliche
Konsequenzen
Abwandlung 1:
Gleicher Fall, aber Pflegekraft erkennt die Problematik der unsterilen
Behandlung.
Konsequenz
Verpflichtung, auf diese „falsche Weisung“
hinzuweisen
Ggfs. Verweigerung der Ausführung, ansonsten
Gefahr der Strafbarkeit
Handlungsempfehlung:
• Dokumentation des Sachverhalts
• Information des Patienten
• Evtl. Verweigerung der Ausführung
zivil- und strafrechtliche
Konsequenzen
Abwandlung 2:
Abgewandelter Fall: Die Pflegekraft nimmt von sich aus einen sterilen
Verbandwechsel vor, dokumentiert dies aber nicht und es kommt dann
dennoch aufgrund nicht vorhersehbarer Gründe zu einer Wundinfektion.
Mehrere Probleme:
Pflegekraft hat eigenständig die Therapieanordnung des Arztes
nicht beachtet und eigene Therapieentscheidungen getroffen
Verstoß gegen die Remonstrationspflicht
Verstoß gegen die berufsrechtlichen Vorgaben
Beweis des ersten Anscheins spricht dafür, dass die Pflegekraft
die Wundbehandlung mit unsterilen Produkten vorgenommen hat,
obwohl dies tatsächlich nicht der Fall war.
• Konsequenz:
Sorgfaltspflichtverstoß liegt nahe, denn die Pflegefachkraft kann nicht nachweisen, dass sie
den Patienten nach dem neuesten Stand der Erkenntnisse behandelt hat, sich also
sorgfaltsgetreu verhalten hat. (siehe Punkt „Dokumentation“)
Rechtliche Würdigung
Mangels fehlender Dokumentation schlechte Beweislage!
aus Vertrag gegenüber dem
(Behandlungsvertrag) Vertragspartner
Zivilrechtliche
Ansprüche (+)
Aus Gesetz gegenüber der Institution
(§§823, 831 BGB) und der Pflegekraft
Gegen die Organisation
(aus
Organisationsverschulden)
Strafrechtliche z.B. §229 StGB
(Fahrlässigkeit)
Ansprüche (+)
Gegen den Handelnden
Anderer Fall:
Eindeutiger Behandlungsfehler!?
Beispiel (OLG Köln vom 27.06.2012, AZ 5U38/10):
(versehentliche) Spülung einer infizierten Wunde mit einem propanolhaltigen
Flächendesinfektionsmittel.
Sachverhalt:
Bei der Klägerin traten rezidivierend Abzesse in der linken Brust auf. Zuletzt wurde ein Abzess in der
linken Brust der Klägerin am 19.05.2006 im Krankenhaus der Beklagten gespalten. Postoperativ wurde
die Wunde mit einem Wunddesinfektionsmittel gespült. Am 01.06.2006 spülte eine bei der Beklagten
beschäftigte Ärztin die Wunde in der linken Brust (versehentlich) mit einem Flächendesinfektionsmittel.
Noch am 01.06.2006 wurde die Wunde mehrfach mit einer Kochsalzlösung gespült.
Die Klägerin begehrte Schmerzensgeld in Höhe von 30.000,00 EUR. Ferner beantragte sie festzustellen,
dass ihr sämtliche materiellen Schäden aus dem Vorfall vom 01.06.2006 zu ersetzen sind, soweit diese
Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen werden oder
übergegangen sind.
Urteil:
LG Köln hat nur 4.000 EUR Schmerzensgeld zugesprochen und die begehrte Feststellung bejaht. Das
OLG Köln hat das Schmerzensgeld noch um 1.500 EUR erhöht.
Begründung:
Den für die Beklagte handelnden Ärzten ist mit der Spülung der Wunde in der linken Brust mit einem
Flächendesinfektionsmittel ein grober Behandlungsfehler unterlaufen.
Die (versehentliche) Verwendung eines Flächendesinfektionsmittels zur Spülung einer Wunde ist ein
eindeutiger Verstoß gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln, der aus objektiver Sicht nicht mehr
verständlich ist und einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf.
Ausblick
Dennoch: tatsächlich nur wenige
„Schadenseintritte“ beschäftigen die Gerichte
Gründe: Gerichte sind durch Sachverständige oft sehr
gut beraten
• Beurteilung möglich, ob Schadenseintritt aufgrund fehlender
Compliance des Patienten und/oder sonstiger Umstände eingetreten
ist (z.B. aufgrund neurologische Erkrankungen oder
Stoffwechselstörungen)
• Also nicht aufgrund einer Falschbehandlung
Wichtig dabei immer Beachtung der
Selbstverständlichkeiten:
• Behandlung nach dem aktuellen wissenschaftlichen Standard
durchführen und mit qualifizierten Personal
• Dokumentation der Leistungen vornehmen
• Information aller Beteiligter und Behandlungsmissstände aufzeigen