1. www.oeko.de
Der Emissionshandel in der
Langfristperspektive
Workshop des Öko-Instituts
auf den Berliner Energietagen
» Neuer Schwung für den Emissionshandel «
Dr. Felix Chr. Matthes
Berlin, 21. Mai 2019
2. 2
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Die Renaissance der CO2-Bepreisung (bzw. der Debatte darüber)
Einige Hintergründe
In vielen Staaten kommt die Initialphase von Klimaschutz zu einem Ende
• die schnell zu erschließenden und robust als effizient einzuordnenden
Emissionsminderungspotenziale sind erschlossen
• Suchprozesse werden wichtiger
• Verteilungseffekte der Nicht-Bepreisungsinstrumente werden sichtbarer
• Einnahmen zur Kompensation von Verteilungseffekten werden wichtiger
Die Leitplanken ambitionierter Klimapolitiken werden klarer
• es geht mehr und mehr um transformative und weniger um inkrementelle
Veränderungen
• es geht um weitreichende Veränderungen in sehr überschaubaren
Zeiträumen, angesichts langlebiger Kapitalstöcke und langer Innovations-
und Infrastruktur-Vorlaufzeiten kommen sequentielle Ansätze an ihr Ende,
es geht zunehmend um parallele Ansätze zur Emissionsminderung in
verschiedenen Bereichen (mit unterschiedlichen Grenzkosten)
ETS │ Berliner Energietage/Öko-Institut │ Matthes │ 21.05.2019
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Abatementcosts[€/tCO2e]
Abatement potential [mln t]
Worum es wirklich geht:
Positionsbestimmung von CO2-Bepreisung im Policy-Mix
ETS │ Berliner Energietage/Öko-Institut │ Matthes │ 21.05.2019
Bepreisungspolitiken sind
effektiv & effizient:
Ausgereifte/marktnahe (und
heterogene) Potenziale,
inkrementelle Innovation:
ETS, Steuer o.ä. Mechanismen
CO2-Bepreisung ist eher
komplementär:
Gehemmte (und homogene)
Potenziale: Ordnungsrecht,
gezielte Anreizprogramme
etc. als primäre Mechanismen
CO2-Bepreisung ist eher
komplementär:
Innovationsintensive
Potenziale: Ordnungsrecht,
gezielte Anreizmechanismen
etc. als primäre Mechanismen
P.S.: CO2-Bepreisung
kann für Infrastrukturent-
wicklung nur eine begrenzte
Rolle spielen!
CO2-Bepreisung ist eher
komplementär:
an langlebige Kapitalstöcke
bzw. langen Innovationsvor-
lauf gebundene Potenziale:
Ordnungsrecht, gezielte
Anreizprogramme als
primäre Mechanismen
CO2-Bepreisung ist eher
komplementär:
Erschließung von Potenzialen
im Bereich hoher einzel-
wirtschaftlicher Vermeidungs-
kosten (z.B. durch Markt-
design-Versagen etc.) mit
hohen inframarginalen Ver-
teilungseffekten: Ordnungs-
recht, Marktdesign etc.
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CO2-Bepreisung mit dem EU-Emissionshandelssystem
Responsive CO2-Bepreisung ist wichtig – und erklärt einiges
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25
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01.2003 01.2005 01.2007 01.2009 01.2011 01.2013 01.2015 01.2017 01.2019 01.2021 01.2023
EUR/tCO₂
Old lignite
→ new hard coal
New lignite
→ new hard coal
Old hard coal
→ new CCGT
New hard coal
→ new CCGT
Old lignite
→ new CCGT
New lignite
→ new CCGT
EUA price
Futures
2020
2021
2022
2023
Strukturelle ETS-Reform & Brenn-
stoffpreise treiben den EUA-Preis
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0
2.000
4.000
6.000
8.000
10.000
12.000
-3.000
-2.000
-1.000
0
1.000
2.000
3.000
2005 2010 2015 2020 2025 2030
Mio.Zertifikate
Mio.Zertifikate/tCO₂
Eingesetzte CER/ERU
Auktionierung & Verkäufe
Kostenlose Zuteilung*
Löschungen
Überschuss (nicht
im Markt verfügbar)
Überschuss
(im Markt verfügbar)
Verifizierte Emissionen/
Projektionen*
Angebot & Nachfrage
Überschuss
* inkl. Anpassungen des
Geltungsbereichs & Netto-
Nachfrage Flugverkehr
20
10
EUR/EUA
EUA-Preis
Nachhaltigkeit der strukturellen Reform mit Blick auf die Preise
Bis auf Weiteres eine Frage von Grundüberzeugungen
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Hypothese 1: Markt erzeugt
langfristige Knappheitssignale
Hypothese 2: Preiseffekte
sind kurzfristiger Natur
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Die Entwicklungen im EU ETS (er macht einen Unterschied …)
sind erfreulich, er ist aber noch in der Rehabilitationsphase
Empirische Belege für die Fristigkeit der Knappheitssignale werden erst
in den (frühen) 2020er Jahren vorliegen
• intensive Beobachtung/Analyse ist notwendig
• Mindestpreis (in einer Koalition der Willigen: FR, NL etc.) wäre eigentlich
weiterhin ein wichtiger No-regret-Ansatz (wann existiert das nächste
Möglichkeitsfenster?)
Im Rahmen der anstehenden Überprüfungszyklen (Paris-Abkommen etc.)
wird auch eine Verschärfung des Ambitionsniveaus des EU ETS wieder
auf der Tagesordnung stehen
• erst 2023 oder schon 2021?
• linearer Reduktionsfaktor wird weiter verschärft werden (müssen)
• weitere Anpassungen der Marktstabilitätsreserve werden notwendig
werden (Intake-Rate, Schwellwerte etc.)
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Explizite und implizite CO2-Bepreisung in Deutschland
Ein bizarres System
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Nominaler Impliziter Ohne kontra-
Steuersatz Steuersatz 15 Mrd. € p.a. 35 Mrd. € p.a. fakt. Invest**
€ je ME € je t CO₂ € je t CO₂ € je t CO₂ € je t CO₂
Heizöl EL EUR/1.000 l 61,35 23,03
Heizöl S (Wärme) EUR/t 25,00 7,87
Heizöl S (Strom) EUR/t 25,00 7,87
Erdgas (Wärme) EUR/MWh 5,50 30,23
Erdgas (Kraftstoff)*** EUR/MWh 13,90 76,40 -26,00 -198,20
Flüssiggas (Wärme) EUR/100 l 6,06 20,56
Flüssiggas (Kraftstoff)*** EUR/100 l 18,03 61,16 -11,37 -159,73
Benzin verbleit*** EUR/1.000 l 721,00 315,90 279,79 134,93
Benzin unverbleit*** EUR/1.000 l 654,50 286,76 253,99 122,49
Diesel*** EUR/1.000 l 470,40 179,06 165,55 35,23
Kohle (Wärme) EUR/GJ 0,33 3,47
Strom ETS EUR/EUA 5,35 5,35
Stromsteuer EUR/MWh 20,50 22,78
Umlagen auf Strom EUR/MWh 76,84 85,38 45,20
Strom gesamt EUR/MWh 102,69 113,51 73,33
Ohne Infrastrukturkosten*
Anmerkungen: * Unter Berücksichtigung von krafstoffspezifischen Finanzierungsbeiträgen für die Straßeninfrastruktur
aus der Kfz-Steuer (8,7 Mrd. €) und der Lkw-Maut (3,1 Mrd. €). Den unteren Rand der Infrastrukturkosten markieren
die aktuellen jährlichen Investitionen, den oberen Rand die Annuität der Gesamtkosten des Systems. - ** Unter
Berücksichtigung eines kontrafaktischen Investitionsbeitrags von 36 €/MWh. - *** Die impliziten CO
₂
-Steuersätze
beinhalten auch andere signifikante Externalitäten des Verkehrs (andere Schadstoffe, Lärm, Gesundheitseffekte), die
für andere Energieträger geringer ausfallen.
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Ist die Ausweitung des EU ETS auf den Verkehrs- und den
noch nicht erfassten Wärmesektor eine gute Idee? (1)
Sie ist machbar – dies zeigt v.a. das kalifornische Beispiel
Sie ist technisch anspruchsvoll und verteilungspolitisch teilweise sensitiv
• klassische Upstream-Ansätze (Raffinerien, Importeure) sind im
europäischen Binnenmarkt schwer umzusetzen, notwendig werden Mid-
Stream-Ansätze (Steuerlager, Gas-Verteilnetzbetreiber, Kohlehändler)
• Midstream-Downstream-Abgleiche zur Vermeidung von Doppel-
regulierungen erfordern umfangreiche Regelungen
• politisch relevante Verteilungseffekte beachten (kostenlose Zuteilung im
Downstream-Regelungsbereich vs. Kostenüberwälzung mit Midstream-
Regelungsbereich erfordert umfangreiche Komplementärmaßnahmen)
Sie ist rechtlich und politisch kompliziert
• Richtlinienänderungen werden in jedem Falle notwendig (Regulierung
nicht emittierender Wirtschaftssubjekte)
• politische Mehrheiten sind unsicher (mit Blick auf sehr unterschiedliche
Interessenkonstellationen und Effort-Sharing-Implikationen)
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Ist die Ausweitung des EU ETS auf den Verkehrs- und den
noch nicht erfassten Wärmesektor eine gute Idee? (2)
Sie ist aus Anreizsicht und mit Blick auf den Policy-Mix fragwürdig
• mit Blick auf Kapitalstöcke, Innovationsvorlauf und verbleibendem
Zeitrahmen ist ein einheitlicher CO2-Preis (der nicht nur so heißt, sondern
auch einer ist) nicht zielführend, wenn er eine maßgebliche Rolle zur
Erreichung der übergeordneten Emissionsminderungsziele spielen soll
• im Kern stellt sich die Frage einer Ausweitung des EU ETS als die Frage
einer sinnvollen Kombination mit anderen Instrumenten (bzw. der Frage
nach dem ETS als Vehikel zur Abschaffung/Nicht-Ergreifung anderer
notwendiger Instrumente)
• differenzierte CO2-Preise sind im Rahmen von Steuerlösungen einfacher
umzusetzen (da die Grundverzerrungen durch das bestehende
Steuersystem ohnehin bereinigt werden müssen)
• Steuerlösungen sind in einer Koalition der „willigen EU-Staaten“ einfacher
und schneller auch grenzüberschreitend umzusetzen
• bzgl. der Rückverteilung Steuer- und ETS-Lösungen etwa gleichwertig
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Besten Dank
für Ihre Aufmerksamkeit
Dr. Felix Chr. Matthes
Energy & Climate Division
Büro Berlin
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