1. MK Wo sehen Sie das grösste Ent-
wicklungspotenzial in der Kom-
munikationsbranche?
NOBERT WINISTÖRFER Radikale Ent-
wicklungen finden zurzeit vor
allem in der elektronischen Kom-
munikation statt. Neuste Studien
zeigen beispielsweise, dass schon
heute ein Fünftel aller Beschäf-
tigten «hyperconnected» ist.
Sie benutzen mehrere vernetzte
Kommunikationsgeräte und ver-
wenden intensiv verschiedenste
Kommunikationsapplikationen
wie Instant Messaging, SMS,
Web-Conferencing und soziale
Netzwerke.
MK Was ändert sich dadurch?
WINISTÖRFER Diese vernetzte Ge-
neration kommuniziert fast zu
jeder Tages- und Nachtzeit und
unterscheidet dabei schon nicht
mehr zwischen dem Arbeits- und
Privatleben. So wird mit Vorge-
setzten, Arbeitskollegen oder
Geschäftspartnern auch in den
Ferien, während eines Abend-
essens mit der Familie oder von
einer Privatparty aus kommu-
niziert. Diese Nutzer informie-
ren sich zudem regelmässig auf
Online-Newsseiten, betätigen
sich als aufmüpfige Blogger und
schreiben kritische Bewertungen
zu gekauften Produkten und be-
nutzten Dienstleistungen von
Unternehmen. Diese Entwick-
lungen haben massive Auswir-
kungen auf die interne und ex-
terne Kommunikation.
MK Was heisst dies beispielsweise
konkret für die interne Kommu-
nikation?
DOMINIK LEHMANN In der internen
Kommunikation entsteht ein
enormes Informationsgefälle. Ver-
einfacht gesagt gibt es im Unter-
nehmen Informierte und Unwis-
sende. Die vernetzten Mitarbei-
tenden erfahren Neuigkeiten über
das Unternehmen viel schneller
als andere – zum Teil sogar viel
früher, als ein Unternehmen sei-
ne Mitarbeitenden offiziell über
einen wichtigen Entscheid infor-
miert. Und dies, weil die Insider
in ihren Communities schon fleis-
sig über dessen Auswirkungen
diskutieren.
MK Und wie beeinflusst der Trend
der elektronischen Vernetzung
die externe Kommunikation?
WINISTÖRFER Durch die immer
raschere und koordiniertere Ver-
breitung von News über die ver-
schiedensten Medienkanäle wird
beispielsweise die Medienarbeit
für Unternehmen immer schwie-
riger. Die Medienunternehmen
sind mit Hochdruck daran, ihre
crossmedialen Konzepte zu rea-
lisieren. Neben den klassischen
Medien kommunizieren die Me-
dienunternehmen mit ihren Ziel-
gruppen über Newsletters und
Newsdienste für die mobile Kom-
munikation. Diese Vielfalt von
Kommunikationskanälen, die Ver-
kürzung der Übermittlungszeiten
und die Vernetzung der Zielgrup-
pen untereinander verändert die
Kommunikation über die Mas-
senmedien. Sie wird für Unter-
nehmen noch weniger steuerbar –
insbesondere bei «bad news».
More
Die Fachhochschule Nord-
westschweiz, Hochschule für
Wirtschaft, Olten, veranstaltet
am 10. September 2009 das
achte Forum für integrierte
Kommunikation - eine Tagung
zu den neusten Entwicklungen,
Chancen und Gefahren in der
Kommunikation. Nach dem Forum
findet die fünfte Verleihung
des Award Corporate Commu-
nications® statt. Dieser in der
Schweiz einzigartige Preis steht
für kreativ integrierte Kommu-
nikationsleistungen. Das Know-
how dazu vermittelt das Master-
studium MAS Corporate Commu-
nication Management.
> www.forum-kommunikation.ch
> www.award-cc.ch
> www.corporate-communication.ch
VON RUEDI ULMANN
«Vernetztes Denken und
Handeln ist gefragt»
INTEGRIERTE KOMMUNIKATION Die Kommunikation erlebt auf mehreren Ebenen
einen rasanten Entwicklungsschub. Unternehmen, Organisationen und öffent-
liche Verwaltungen stossen damit auf völlig neue Chancen und Potenziale - aber
auch auf neue Herausforderungen und Risiken.
BIODominik Lehmann (31) ist Lei-
ter von Weiterbildungs- und
Beratungsprojekten im Bereich
Unternehmenskommunikation an
der Hochschule für Wirtschaft
der Fachhochschule Nordwest-
schweiz FHNW.
Prof. Norbert Winistörfer
(47) ist Leiter des Kompetenz-
schwerpunktes Integriertes
Kommunikationsmanagement
und Leiter des MAS Corporate
Communication Management an
der Hochschule für Wirtschaft
der FHNW.
56 KOMMUNIKATION Marketing Kommunikation 6-7/09
2. MK Was hat diese Entwicklung für
Auswirkungen auf die Organisa-
tion der Unternehmenskommu-
nikation?
LEHMANN Unternehmen, Non-Pro-
fit-Organisationen und öffentliche
Verwaltungen müssen künftig viel
strategischer kommunizieren. Sie
müssen systematisches Issues
Management betreiben und viel
aktiver, schneller und flexibler
agieren. Dies hat grossen Einfluss
auf die Kommunikationsorgani-
sation – die Planung, Organisa-
tion, Ausführung und Kontrolle
der Kommunikation. Kommuni-
kationsprozesse müssen klarer
geregelt und effizienter im Ab-
lauf sein. Nur so lässt sich den
neuen Herausforderungen der
geschilderten Medien-Hybridi-
sierung entgegentreten und diese
im positiven Sinn nutzen.
MK Ist das eine Frage der Unter-
nehmenskultur?
LEHMANN Die Unternehmenskul-
tur ist das Fundament der Kom-
munikationskultur. Umgekehrt
lässt sich mit Kommunikations-
massnahmen und -instrumenten
die Unternehmenskultur bewusst
prägen und in die gewünschte
Richtung weiterentwickeln. Das
gilt insbesondere in Bezug auf die
erwähnten Entwicklungen in der
elektronischen Kommunikation.
Was heisst heute beispielsweise
«rasch, offen und transparent mit
den Bezugsgruppen kommuni-
zieren»? Welche Kommunikati-
onsinstrumente braucht es, um
dieses Versprechen einzulösen?
Wie geht ein Unternehmen mit
Mitarbeitenden um, die in Blogs
ihren Arbeitgeber kritisieren und
Informationen über das Unter-
nehmen preisgeben?
MK Unternehmen werden immer
gläserner, es gibt immer mehr
Kommunikationskanäle, die
Informationen kursieren immer
schneller, die Kommunikation ist
schwieriger zu steuern. Bedeutet
dies das Ende der klassischen
Kommunikation?
WINISTÖRFER In Anbetracht der
Tatsache, dass die klassische Un-
ternehmenskommunikation den
Anforderungen der neuen Kom-
munikationsmittel, -technologien
und -komplexität nicht mehr ge-
recht werden kann und immer
mehr Flexibilität und schnelleres
Reaktionsvermögen erfordert,
ist diese Ära tatsächlich vorbei.
Kommunikationsverantwortliche
von heute müssen über andere
Profile verfügen und andere An-
forderungen erfüllen als noch vor
einigen Jahren. Es reicht nicht
mehr aus, isoliert eine clevere
Werbekampagne zu führen, eine
schöne Imagebroschüre mit heh-
ren Leitsätzen zu publizieren, al-
len Medien identische Pressetexte
zu senden oder ein nettes Event
für die Mitarbeitenden zu organi-
sieren. Heutige Kommunikations-
verantwortliche müssen vernetzt
denken und handeln können.
MK Dieser Appell für vernetzte
Kommunikation hört sich kom-
pliziert an. Was heisst das kon-
kret?
LEHMANN Es muss ein ganzheit-
liches, integriertes Kommunika-
tionsmanagement betrieben wer-
den – über die einzelnen Kom-
munikationsdisziplinen hinweg.
Dieser Managementansatz bein-
haltet die zeitliche, inhaltliche,
instrumentelle und formelle Har-
monisierung sämtlicher interner
und externer Kommunikationsak-
tivitäten. Dabei ist die Kommuni-
kation ein zentraler Management-
prozess, der seine Ziele aus der
Unternehmensstrategie ableitet
und bei dem die Kommunikation
mit internen und externen Be-
zugsgruppen abgestimmt geplant,
realisiert und kontrolliert wird.
Dieser strategische und taktische
Kommunikationsansatz ermög-
licht eine widerspruchsfreie
Kommunikation.
MK Ist der integrierte Kommu-
nikationsansatz in der Praxis
überhaupt umsetzbar oder ist der
Begriff nur ein trendiges Schlag-
wort?
WINISTÖRFER Selbstverständlich
ist integrierte Kommunikation
umsetzbar – das erfordert in Un-
ternehmen unter anderem aber
ein neues Denken, neue Struk-
turen und Verantwortlichkeiten
sowie neue Ablaufprozesse. Ein
Unternehmen, das bestehende
Mauern zwischen den verschie-
denen Kommunikationsabtei-
lungen nicht niederreisst, wird
mit diesem Ansatz scheitern.
MK Wer wird reüssieren?
WINISTÖRFER Erfolg haben werden
damit Unternehmen, die Kom-
munikationsmanager und -ma-
nagerinnen haben, welche die
internen und externen Kommu-
nikationsaktivitäten koordinie-
ren. Sie haben die Aufgabe, die in
der Regel knappen finanziellen
und personellen Ressourcen und
Kommunikationsmittel zielge-
richteter und effizienter einzu-
setzen und Synergien zu erzielen.
Voraussetzung dazu ist jedoch,
dass auf oberster Management-
stufe klar ist, wem was wann und
wie zu kommunizieren ist. In
diesem Punkt hapert es noch bei
vielen Unternehmen gewaltig. Es
fehlt meist schon an klaren, mess-
baren Kommunikationszielen.
MK Dies erfordert eine ziemlich
komplexe Planung der Kommu-
nikation.
LEHMANN Grundsätzlich gilt: Je-
des kurz-, mittel- und langfristige
Kommunikationsprojekt muss ein
Teil der übergeordneten Kommu-
nikationsstrategie sein. Bei der
Planung der internen und exter-
nen Kommunikationsaktivitäten
sind danach zwei Ebenen zu un-
terscheiden: erstens die Planung
der gesamten Kommunikations-
aktivitäten eines Unternehmens
im Rahmen des strategischen
Kommunikationsmanagements.
Zweitens die Planung der einzel-
nen Kommunikationsmassnah-
men im Rahmen des operativen
Kommunikationsmanagements.
MK Worauf ist bei der Umsetzung
zu achten?
WINISTÖRFER Das Anspruchsvollste
beim integrierten Kommunikati-
onsansatz ist die clevere Verzah-
nung der einzelnen Kommunika-
tionsaktivitäten. Die kommuni-
zierten Botschaften, die eingesetz-
ten Kommunikationsinstrumente
und das Timing müssen stimmen,
damit sich die Massnahmen ge-
genseitig stützen und sich die
Kommunikationswirkungen ver-
stärken.
MK Ein Beispiel?
WINISTÖRFER Ein CEO informiert
an einer Mitarbeiterinformati-
on über den Kauf einer Konkur-
renzfirma. Danach finden die
Mitarbeitenden diese Info mit
einem Video des CEO-Auftritts
und einem Image-Film der akqui-
rierten Firma auf dem Intranet.
Der CEO beantwortet dort zwei
Stunden lang Mailanfragen der
Mitarbeitenden, welche sich da-
zu auch im dafür geschaffenen
internen Blog äussern können.
Drei Tage später folgt ein Porträt
der akquirierten Firma mit Inter-
view des neuen Geschäftsleiters
in der Mitarbeiterzeitung. Nach
einem Monat werden die neuen
Mitarbeitenden an einem Will-
kommensevent begrüsst, zu dem
der CEO per Brief eingeladen
hat. Hinzu kämen nun noch die
darauf abgestimmten externen
Kommunikationsaktivitäten.
MK Und spätestens in einer Krise
kollabiert die integrierte Kommu-
nikation?
LEHMANN Im Gegenteil. Bei der
Krisenkommunikation kom-
men die Vorteile der integrierten
Kommunikation sehr stark zum
Vorschein. Wer in «normalen»
Zeiten vernetzt denken und han-
deln gelernt hat, wird in der Krise
weniger Fehler machen. Denn es
ist ihm/ihr bewusst, dass die re-
levanten internen und externen
Bezugsgruppen einer Unterneh-
mung kommunikativ nicht isoliert
betrachtet werden können. Da ist
etwa eine Mitarbeiterin gleich-
zeitig Mitglied der Gewerkschaft,
Aktionärin des Unternehmens,
wohnt in der Gemeinde des Fir-
menstandorts, kauft die Produkte
ihres Arbeitgebers, nutzt intensiv
die lokalen Medien und bloggt
als kritische Konsumentin. Wer
in der Kommunikation diese Ver-
netzungen und Interdependenzen
ignoriert, hat in der Krise schon
verloren. n
«Kommunikationsverantwortliche von
heute müssen über andere Profile verfü-
gen und andere Anforderungen erfüllen
als noch vor einigen Jahren.»
«Integrierte Kommunikation erfordert
in Unternehmen ein neues Denken, neue
Strukturen und Verantwortlichkeiten
sowie neue Ablaufprozesse.»
Marketing Kommunikation 6-7/09 KOMMUNIKATION 57