1. #AGENTURDERZUKUNFT (8) Birgit Heinold, Archetype Deutschland
40 prmagazin 08/2020
Die Digitalisierung verändert
alles. Auch dem Agenturmodell
hat sie in den vergangenen
zwei Jahrzehnten eine neue
Bestimmung gegeben: Unter
nehmen durch die Veränderung
zu lenken. Um das zu erreichen,
muss die Digitalisierung von
der Technologie kommen und
zum Menschen hinführen, meint
Birgit Heinold, Managing Director
von Archetype Deutschland.
PROTAGONISTIN
DES WANDELS
TEXT: Birgit Heinold
Illustration:Happypictures/Fotolia.com
2. 08/2020 prmagazin 41
I
n der Rückschau scheint die Kommunika-
tionswelt zu Beginn des Jahrtausends so
schön einfach und überschaubar. Es gab da
auf der einen Seite die klassische Medien-
landschaft mit ihren Metropolen der großen
Verlagshäuser und die unzähligen Provinzen der
Fachmedien. Es gab auf der anderen Seite die Un-
ternehmen, welche diese Landschaft regelmäßig
durchreisten, um bei den Gatekeepern vorzuspre-
chen und sie als Verstärker für ihre Botschaften zu
gewinnen. Und es gab die Agenturen, die die Reise-
routen absteckten, Termine vereinbarten, die Bot-
schaften ins Reine schrieben, in Kuverts steckten
und verschickten. Eine Idylle, in der Rückschau.
Und, ja, es gab schon das Internet. Man nutzte es
für Recherchen. Mit dem Internet erhob sich aber
ein Wind, der sich seitdem nicht mehr gelegt hat.
Das ist der viel zitierte Wind der Veränderung, aus
dem durch die Covid-19-Pandemie ein Sturm ge-
worden ist.
Permanent
in Bewegung
Und damit sind wir in der Welt von heute, einer
Welt, in der die Digitalisierung Leben und Arbeit
fundamental verändert hat und es immer noch tut
und weiter tun wird – und das mit zunehmender
Geschwindigkeit. Das Umfeld ist ein ganz anderes,
von Medienlandschaft mag man nicht mehr spre-
chen. Eher gleicht es einer modernen Metropole mit
blinkender Neonreklame, futuristischen Schwebe-
bahnen und Massen an urbanen Großstädtern, die
permanent in Bewegung sind.
Wir müssen nicht mehr davon reden, was sich
durch Technologie alles verändert hat und noch
verändert, nicht über die großen Disruptionen in
der globalen Geschäftswelt allgemein oder die Be-
deutungseinbußen der klassischen Medien ange-
Persönlichere Beziehungen
zwischen Mensch und Marke,
unterstützt von Daten
analysen, das ist die Aufgabe
der Agentur der Zukunft.
Birgit Heinoldsichts von Internet und Smartphone, Social Media
und Influencern, Suchmaschinen und Portalen al-
ler Art. Nicht über die durchlässigen Grenzen zwi-
schen interner und externer Kommunikation in
Unternehmen, ihren vielfältigen Kanälen zu und
von ihren Stakeholdern, über Content- und Digital-
Marketing.
Transformation
als Erfolgsstory
Aber wir sollten darüber sprechen, welche Rolle
die Kommunikationsagentur angesichts der Ver-
änderungen hat. Und da ist zunächst einmal die-
ses Riesenthema digitale Transformation an sich
und der damit verbundene Change. Denn diese Ver-
änderung fordert die Kernaufgabe der Kommuni-
kation heraus: komplexe Sachverhalte zu durch-
dringen und zu erklären, Ängste zu nehmen und
Vertrauen aufzubauen, eine Mission zu formu-
3. #AGENTURDERZUKUNFT (8) Birgit Heinold, Archetype Deutschland
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lieren und den Menschen Lust auf diese Reise zu
machen.
Für die Kommunikationsabteilung ist die Auf-
gabe groß und komplex. Meistert sie sie, dann hat
sie die Chance, sich als Vorreiterin im Unternehmen
zu etablieren und erstmalig ganz vorn dabei zu sein
bei der Weichenstellung des Unternehmens. Schei-
tert die Kommunikation, droht das ganze Unter-
nehmensprojekt digitale Transformation zu schei-
tern.
Aufgabe der Kommunikationsagentur ist es, ih-
ren Kunden dabei zu helfen, die Transformation mit
der notwendigen Geschwindigkeit zu einer Erfolgs-
geschichte zu machen. Sie ist für diese Aufgabe aus-
gestattet, wenn sie das Thema Technologie und de-
ren Veränderungswirkung von Grund auf versteht
und die entsprechenden Erfahrungen dazu mit-
bringt.
Begriffe wie Cloud Computing, Big Data und KI
kennt eine solche Agentur nicht nur vom Hören-
sagen, sondern war dabei, als sie zum ersten Mal
ausgesprochen wurden. Sie weiß, auf welche Bot-
schaften es ankommt und wie man diese kommuni-
ziert. Sie liefert Wissen und Beratung rund um die
wichtigsten Trends, Bewegungen und Player in Sa-
chen Digitalisierung, die maßgeblichen Kontakte
und zielführenden Plattformen, Kanäle und Tools.
Und sie unterstützt dabei, diese neuen Tools und
Plattformen richtig einzusetzen – von der Strategie
bis hin zum Enablement der Corporate Influencer.
Das Medium
ist mehr denn je die Botschaft
Die Kommunikationsagentur im Zeitalter der Digi-
talisierung weiß nicht nur um die Bedeutung der
Technologie, sie beherrscht auch das neue Instru-
mentarium,das die Technologie in die Kommunika-
tion gebracht hat. Das Medium ist die Botschaft –
dieser Satz von Marshall McLuhan scheint für un-
sere Zeit geprägt. Wenn ein Unternehmen seine
digitale Neuausrichtung ausschließlich per Presse
mitteilung ankündigt, dann ist das wenig glaub-
haft. Die digitale Botschaft erfordert digitale Ka-
näle.
Und ein Agenturpartner, der Kunden zu diesem
Instrumentarium berät, muss dieses auch selbst
zu nutzen verstehen. Vor 20 Jahren haben wir mit
E-Mail, Office-Programmen und Datenbanken ge-
arbeitet. Heute verwaltet unser IT-Team einen Pool
an Apps für interne Kommunikation, Prozesse und
Analysen. Unsere Berater*innen setzen ein breites
Portfolio an Analyse- und Digital-Tools ein, um Stra-
tegien und Ergebnisse mit Daten zu unterfüttern.
Unsere Digital- und Content-Teams erstellen und
bespielen digitale Plattformen und Kanäle und un-
ser Creative-Team erschafft aus Code atemberau-
bende Digitalerlebnisse.
Die Bedeutung der Technologie heute verstehen
und vermitteln, die neuen Möglichkeiten kennen
und anwenden, der Kommunikation zur Vorreiter-
rolle im Wandel verhelfen – das ist die große und
anspruchsvolle Aufgabe der Kommunikationsagen-
tur angesichts des digitalen Wandels.
Trotz Technologie – es geht um
Beziehungen zwischen Menschen
Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, genügt es
aber nicht, Technologie „zu können“. Technologie ist
nur ein Hilfsmittel für die Kommunikation, um ihr
oberstes Ziel zu erreichen: Beziehungen stiften zwi-
schen Mensch und Marke,Vertrauen aufbauen. Die-
ses Ziel darf hinter Technik,Tools und Daten nie aus
den Augen verloren werden. Technologie ist und
bleibt nur ein Instrument und Vermittlungsinstanz,
um dieses Ziel zu erreichen. Das Ergebnis sind Be-
ziehungen, die zwischen Individuen stattfinden.
Angesichts der Technologiedominanz ist es wich-
tiger denn je,die Menschen spüren zu lassen,welche
Bedeutung sie bei all dem haben und dass es allein
auf sie ankommt. Die Psychologie und die Anwen-
dung ihrer Erkenntnisse bildet daher ein notwen-
diges und wichtiges Korrektiv und Gegengewicht
zum Technologie-Enthusiasmus. Für die Agentur
der Zukunft sind Skills wie Empathie und Motiva-
tion mindestens ebenso relevant wie die technolo-
gischen Kenntnisse.
Technologie ist nur ein
Instrument. Das Ergebnis sind
Beziehungen, die zwischen
Individuen stattfinden.
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Was das eigene Team betrifft, ist es wichtig, von
vornherein klar und ehrlich zu kommunizieren, auf
welche Eigenschaften es bei der oben geschilderten
Aufgabe ankommt. Die Agentur der Zukunft ist
nicht unbedingt der Ort für Menschen, die an ihren
Rollen und Positionen festhalten. Dagegen werden
sich Menschen hier wohlfühlen, die neugierig auf
Veränderungen sind und die Ambition haben, in
diesem Umfeld etwas zu bewegen.
Neue Art
von Wachstum
Diese Motivation lässt sich vielleicht am besten mit
einer neuen Perspektive auf den Begriff Wachstum
verdeutlichen: Wachstum war bislang das Mantra
in der Shareholder-Value-Philosophie. Wachstum
auf den Menschen bezogen bedeutet aber etwas
anderes: Neues lernen, Erfahrungen sammeln, sich
beweisen können, die eigenen Grenzen stetig er-
weitern, jeden Tag nach weiteren Perspektiven und
Verbesserungsmöglichkeiten Ausschau halten. Das
sollte der Anspruch an sich selbst sein. Eine Agen-
tur war dafür schon immer „the place to be“ – und
muss es auch in Zukunft sein.
Eng verbunden damit ist der Begriff Purpose,
der derzeit in der Kommunikation so hoch gehan-
delt wird. Wir wissen, dass es den Menschen heute
wichtiger ist, sich für Dinge und Prinzipien einzu-
setzen, die über die reine Umsatzsteigerung und
Profitmaximierung hinausgehen – auch und vor
allem im Beruf.
Die Agentur der Zukunft muss daher sehr klar
sagen, warum es sie gibt und zu welcher Sache sie
beiträgt, woran man also beteiligt ist, wenn man
sich für sie entscheidet. Sie stellt ihre Arbeit in
einen größeren Kontext.
Möglichkeiten jenseits
des engen Hier und Jetzt erkennen
Das Primat des Menschlichen ist heute und in Zu-
kunft wichtiger denn je. Hier kommt ein weiterer
wichtiger Skill aus der Psychologie zum Tragen:
Empathie. Berater*innen müssen sich jederzeit be-
wusst machen können, in welcher Situation ihre
Kund*innen stecken, welcher Druck auf ihnen las-
tet, welche Ängste sie plagen angesichts der Mam-
mutaufgabe Transformation. Im Idealfall gelingt
es den Berater*innen, ihre Kunden zu Möglichkei-
ten zu inspirieren, die jenseits von dem liegen, was
sie sich gerade vorstellen können.
Technologie einerseits, Beziehungen zwischen
Menschen andererseits. Ersteres ist Mittel, um Letz
teres zu erreichen – und zwar besser als bislang
geschehen. Zum Beispiel mithilfe von Datenanaly
sen. Diese liefern ungleich genauere Erkenntnisse
darüber, worauf die Beziehung zwischen den Men
schen gründen kann, wie sie sich intensivieren
lässt, was den Partnern wirklich nützt – und das so
gar individuell, für jeden Partner persönlich. Das
sind eine enorme Kraft und ein Fortschritt gegen-
über allen Gießkannenmethoden der alten PR- und
Marketing-Welt.
Neuer Agenturtypus
notwendig
Persönlichere, individuellere Beziehungen zwischen
Mensch und Marke, unterstützt von Datenanalysen,
das ist kurz gefasst die Aufgabe der Agentur der Zu-
kunft. Das traditionelle globale Agenturmodell ist
dafür nur bedingt geeignet, hatte es doch immer
ein wenig auch die Tendenz, Botschaften zentral zu
verteilen und lokal zu „exekutieren“. Die wahren
lokalen Bedürfnisse und Beziehungen standen da-
bei in zweiter Reihe.
Die Agentur der Zukunft pflegt hier die Verhält
nisse umzukehren: lokale Beziehungen und Bedürf
nisse an erster Stelle. Wenn das auch mit globalem
Wiedererkennungseffekt geschieht, um so besser –
das ist aber ein beigeordneter Faktor.
Skills wie Empathie und
Motivation sind mindestens
ebenso relevant wie die
technologischen Kenntnisse.