Höflichkeit und Höflichkeitstheorie: Grundbegriffe: Brown und Levinson, Leech, positives und negatives Gesicht, positive und negative Höflichkeit, gesichtsbedrohende Handlungen, Höflichkeitsmaximen, Vor-Sequenzen
2. Penelope Brown und Stephen Levinson. (1978). Politeness.
Some Universals in Language Usage. Cambridge et al.:
Cambridge University Press.
Höflichkeitstheorie
von P. Brown und S. Levinson
Prof. Dr. Jelena Kostić-Tomović 2
3. Menschen sind soziale Wesen, d. h. im Normalfall leben wir in
einer Gesellschaft.
Deswegen ist es für uns alle überlebenswichtig, soziale
Beziehungen (= Beziehungen zu anderen Menschen) zu
pflegen und Konflikte zu vermeiden.
Eines der Hauptmittel dafür ist die Höflichkeit gegenüber
unseren Gesprächspartnern.
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Höflichkeit
als Fundament sozialen Lebens
4. Neben dem inhaltlichen und funktionalen Aspekt hat jede
sprachliche Handlung in der Regel auch einen sozialen Aspekt.
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Kommunikation − der soziale Aspekt
Das Kommunikationsquadrat Friedemann Schulz von Thuns
inhaltlicher und
funktionaler
Aspekt
sozialer Aspekt
5. Bei allem, was wir sagen oder schreiben (d. h. mit jeder
sprachlichen Handlung), möchten wir in der Regel:
1. unser kommunikatives Ziel erreichen und
2. (a) uns selbst, (b) unsere Einstellung zum Gesprächspartner
und (c) unsere Beziehung zum Gesprächspartner möglichst
positiv darstellen.
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6. Brown und Levinson:
Zwei Fundamente der Kommunikation: Rationalität und face-
Orientierung;
Rationalität: maximale Effizienz beim Einsatz von sprachlichen
Mitteln, um bei der Kommunikation das angestrebte Ziel zu
erreichen;
Zentrales Konzept: face = öffentliches Image, das eine Person
für sich beansprucht;
Rationalität + face-Orientierung = effiziente und konfliktfreie
Kommunikation;
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Rationalität und face
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Terminologisches
face − face, n.; Gesicht, n.; Image, n., Selbstbild, n.
face-Orientierung, f. − Imageorientierung, f
8. Um eine möglichst gute Beziehung zu unseren
Gesprächspartnern aufzubauen und sie dann aufrechtzuerhalten,
versuchen wir beispielsweise, alles potenziell Unangenehme
weniger direkt zu formulieren bzw. es sprachlich etwas positiver
zu gestalten.
So z. B. bei einer Ablehnung:
Das wäre unter normalen Umständen sicher kein Problem, aber in diesem Fall...
Das liegt außerhalb meiner Möglichkeiten.
Ich sehe hierfür keinen weiteren Spielraum.
Hier kann ich leider nicht weiter entgegenkommen.
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Beispiele 1
9. Ablehnung einer Einladung:
Morgen haben wir leider schon etwas anderes vor. Ein andermal
würden wir uns sehr freuen.
Am Freitag kann ich leider nicht. Vielleicht ein anderes Mal.
Aufforderung:
Würden Sie mir bitte Ihren Namen sagen?
Vielleicht wollen Sie etwas dazu sagen, Herr Herbst?
Folgen Sie mir bitte. Ich begleite Sie in den Konferenzraum.
Entschuldigen Sie bitte, aber die Sache eilt.
Diese Angelegenheit ist leider sehr dringlich.
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Beispiele 2
10. Positives Gesicht (positive face): Bedürfnis nach
Aufmerksamkeit, Anerkennung, Zuwendung usw.
Negatives Gesicht (negative face): Bedürfnis nach
Selbstbestimmung, Unabhängigkeit und Handlungsfreiheit
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Positives und negatives Gesicht
11. Mit jeder sprachlichen Handlung versucht der Sprecher, seine
eigenen Ziele zu erreichen bzw. seine eigenen Anliegen
durchzusetzen.
Das heißt, dass er vordergründig in seinem eigenen Interesse
handelt und nicht (unbedingt auch) im Interesse seines
Gesprächspartners.
Deswegen besteht (fast) immer die Möglichkeit, dass er den
Gesprächspartner mit seinen Äußerungen verletzt, beleidigt o. Ä.
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Gesichtsbedrohende Akte
12. Sprachliche Handlungen, die eine potenzielle Bedrohung für
das face des Gesprächspartners darstellen, werden als
gesichtsbedrohende Akte (en. face threatening act, FTA)
bezeichnet.
Es gibt zwei Typen von gesichtsbedrohenden Akten:
Akte, die das positive face bedrohen (könnten) − positive face
threatening acts und
Akte, die das negative face bedrohen (könnten) − negative face
threatening acts.
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Gesichtsbedrohende Akte
13. Kritik
Befehle
Widerspruch
Verbote usw.
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Gesichtsbedrohung − Beispiele
14. Da die Beziehungen zu anderen Menschen für uns von großer
Bedeutung sind, sind die Gesprächspartner bei der
Kommunikation bestrebt, gesichtsbedrohende Akte zu
vermeiden oder sie abzuschwächen.
Die Gesprächspartner versuchen, nicht nur das eigene face zu
bewahren, sondern auch auf das face ihres Gegenübers
Rücksicht zu nehmen.
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Rücksichtnahme
15. Bedenken äußeren:
Das würde ich lieber noch einmal überprüfen.
Also, dieses Ergebnis ist für mich nicht ganz nachvollziehbar.
Ich bin in dieser Frage eher pessimistisch.
Zweifel äußern:
Es tut mir leid, aber an diese Zusage kann ich mich nicht erinnern.
Erlaubnis verweigern:
Ich fürchte, das wird nicht so gerne gesehen.
Tut mir leid, aus Sicherheitsgründen geht das nicht.
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Beispiele 3
16. Kompromiss finden:
Hätte es nicht für alle Beteiligten Vorteile, wenn man... ?
Können wir uns vielleicht so einigen, das wir ... und Sie dafür... ?
Kommen wir uns doch gegenseitig auf halbem Weg entgegen.
Missverständnisse klären:
Also, nur um Missverständnisse zu vermeiden, lassen Sie es mich
vielleicht noch einmal wiederholen, ja?
Notwendigkeit ausdrücken:
In dieser Angelegenheit haben wir leider keinerlei Spielraum.
Das dürfte die einzige Möglichkeit sein.
Daran führt wohl kein Weg vorbei.
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Beispiele 4
17. „Brown/Lewinson beschreiben Höflichkeit als eine
gesichtswahrende Haltung des Sprechers, also als eine
Beziehungsarbeit, die an den eigenen und fremden negativen
und positiven Gesichtsbedürfnissen orientiert ist und
Beziehungspflege zum Ziel hat.“ (Serdykova 2007: 18)
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Höflichkeit − Beziehungsarbeit
18. Prof. Dr. Jelena Kostić-Tomović 18
Mögliches Vorgehen bei einem
potenziell gesichtsbedrohenden Akt
19. Strategie des Schweigens (say nothing)
Off-record-Strategien (Indirektheit), z. B. Verschleierung,
Anspielungen, Untertreibung, Zweideutigkeit,
Übergeneralisierung usw.
On-record-Strategien (Direktheit) mit oder ohne
kompensierende/neutralisierende Handlungen
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Höflichkeitsstrategien
20. On-record-Strategien mit neutralisierenden Handlungen:
1. Positive Höflichkeit (positive politeness)
2. Negative Höflichkeit (negative politeness)
On-record-Strategie ohne neutralisierende Handlungen
(bold on record utterances) − in der Regel nur unter besonderen
Umständen:
Notfälle
Die sprachliche Handlung liegt im Interesse des Hörers.
Der Sprecher hat einen viel höheren Status als der Hörer.
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Höflichkeitsstrategien
21. Positive und negative Höflichkeit dienen dazu, die Bedrohung
für das face auszugleichen.
Positive Höflichkeit (kommunikative Nähe,
Solidaritätshöflichkeit) dient dazu, Bedrohungen für das
positve face auszugleichen.
Negative Höflichkeit (kommunikative Distanz) dient dazu,
Bedrohungen für das negative face auszugleichen.
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Positive und negative Höflichkeit
22. Laut Brown und Levinson spielen bei der Wahl der
Höflichkeitsstrategie drei Parameter die entscheidende Rolle:
Soziale Distanz zwischen Gesprächspartnern
(sociale distance)
Machtverhältnis zwischen Sprecher und Hörer
(relative power)
Bedrohlichkeitsgrad eines Aktes in der entsprechenden Kultur
(absolute ranking of imposition)
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Parameter für die Wahl
der Höflichkeitsstrategie
23. Geoffrey Leech (1983). Principles of Pragmatics. London et al.:
Longman.
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Leech − Höflichkeitsmaximen
24. Der Sprecher sollte die Äußerung von unhöflichen Meinungen
minimieren und die Äußerung von höflichen Meinungen
maximieren.
Minimize (other things being equal) the expression of impolite
beliefs. Maximize (other things being equal) the expression of
polite beliefs.
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Das allgemeine Höflichkeits-Prinzip
25. Leech postuliert folgende 6 Höflichkeitsmaximen:
Taktmaxime (the tact maxim)
Großzügigkeitsmaxime (the generosity maxim)
Anerkennungsmaxime (the approbation maxim)
Bescheidenheitsmaxime (the modesty maxim)
Zustimmungsmaxime (the agreement maxim)
Sympathiemaxime (the symphaty maxim)
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Leechs Höflichkeitsmaximen
26. Taktmaxime:
Der Sprecher sollte die Darstellung von Kosten für andere
minimieren und die Darstellung vom Nutzen für andere
maximieren.
The tact maxim:
Minimize the expression of beliefs which imply cost to other;
maximize the expression of beliefs which imply benefit to other.
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Taktmaxime
27. Großzügigkeitsmaxime:
Der Sprecher sollte die Darstellung vom eigenen Nutzen
minimieren und die Darstellung vom eigenen Kosten
maximieren.
The generosity maxim:
Minimize the expression of beliefs that express or imply benefit to
self; maximize the expression of beliefs that express or imply cost
to self.
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Großzügigkeitsmaxime
28. Anerkennungsmaxime:
Der Sprecher sollte negative Urteile über andere minimieren und
positive Urteile über andere maximieren.
The approbation maxim:
Minimize the expression of beliefs which express dispraise of other;
maximize the expression of beliefs which express approval of
other.
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Anerkennungsmaxime
29. Bescheidenheitsmaxime:
Der Sprecher sollte den Eigenlob minimieren und die Selbstkritik
maximieren.
The modesty maxim:
Minimize the expression of praise of self; maximize the expression
of dispraise of self.
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Bescheidenheitsmaxime
30. Zustimmungsmaxime:
Der Sprecher sollte die Darstellung von
Meinungsübereinstimmungen zwischen sich und den anderen
maximieren und die Darstellung von Meinungsverschiedenheiten
minimieren.
The agreement maxim:
Minimize the expression of disagreement between self and other;
maximize the expression of agreement between self and other.
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Zustimmungsmaxime
31. Sympathiemaxime:
Der Sprecher sollte den Ausdruck der eigenen Sympathie zum
Gesprächspartner maximieren und den Ausdruck der eigenen
Antipathie zum Gesprächspartner minimieren.
The sympathy maxim:
Minimize antipathy between self and other; maximize sympathy
between the self and other.
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Sympathiemaxime
32. Als im besonderen Maße gesichtsbedrohend gelten alle
sprachliche Handlungen, deren Ziel darin besteht, den
Gesprächspartner zum Mitwirken zu bewegen − z. B. dazu einer
Einladung zu folgen, eine Bitte zu erfüllen, sich auf ein
Gespräch einzulassen o. Ä.
Um der eventuellen Ablehnung seitens des Gesprächspartners
vorzubeugen, werden bei gesichtsbedrohenden Akten dieser
Art oft sog. Vor-Sequenzen (pre-sequences) eingesetzt.
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Gesichtsbedrohende Akte
und Vor-Sequenzen
33. Es gibt Vor-Sequenzen unterschiedlicher Art. Als
Vorbeugemaßnahmen bei gesichtsbedrohenden Akten kommen
jedoch vor allem:
Vor-Einladungen (pre-invitation),
Vor-Bitten (pre-request) und
Vor-Mitteilungen (pre-announcements)
zum Einsatz.
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Vor-Sequenzen
34. Es gibt auch andere Typen von Vor-Sequenzen, deren Funktion
jedoch nicht in erster Linie darin besteht, Problemen bei
gesichtsbedrohenden Akten vorzubeugen:
Vor-Selbstidentifikation (z. B. bei Telefongesprächen)
Vor-Vereinbarung
Vor-Beendigung
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Andere Typen von Vor-Sequenzen