Anatomie eines Sprechaktes und Sprechaktklassifikation
Immobilienanzeigen als Textsorte
1. SPRACH-, KULTUR- UND
HISTORISCH BEDINGTE
VERTEXTUNGSUNTERSCHIEDE
Eine Einführung am Beispiel von Anzeigen
Teil 2 − Immobilienanzeigen
Germanistische Linguistik 8 −
Einführung in interkulturelle Textproduktion und -rezeption
Thema 4
2. Wiederholung −
Wie kann man Anzeigen definieren?
• „Anzeige, auch Inserat oder Annonce, ist eine Mitteilung oder
Bekanntmachung, die im Interesse eines Unternehmens,
einer Privatperson, einer politischen oder öffentlichen
Institution ... in Form von Texten oder und/oder Abbildungen
veröffentlich wird.“
Döhn/Klöckner 1979 nach Frese1987
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3. Wiederholung −
Unterschiedliche Typen von Anzeigen 1
Aus medialer Sicht − heute:
• Aushänge (z. B. Am Schwarzen Brett von Universitäten und
diversen anderen öffentlichen Einrichtungen usw.)
• Zeitungsanzeigen (Anzeigen in Anzeigeblättern und in anderen
Printmedien)
• Anzeigen in traditionellen elektronsichen Medien (im Radio
oder im Fernsehen, z. B. in Form von Laufschrift o. Ä.)
• Online-Anzeigen auf Anzeigenplattformen
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4. Wiederholung −
Unterschiedliche Typen von Anzeigen 2
Aus funktionaler Sicht:
Im geschäftlichen Bereich
• Werbeanzeigen (Werbung)
• Kleinanzeigen (z. B. Immobilienanzeigen, Kfz-Anzeigen,
Verkaufsanzeigen) − a) Angebot und b) Gesuch
• Stellenanzeigen
Im privaten Bereich
• Familienanzeigen (Prestigeanzeigen bei sozialen Ereignissen
wie Verlobung, Eheschließung, Todesfall usw.)
• Persönliche Anzeigen (Kontaktanzeigen, Heiratsannoncen
usw.)
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5. Struktur von Anzeigen
• „Thematisch-inhaltlich sowie sprachlich sind die meisten
Anzeigen vergleichsweise stark strukturierte, fast formelhafte
Texte. Anzeige (mit Ausnahme von Werbeanzeigen) gelten
deshalb im Allgemeinen als stark musterhafte Textsorten. Die
Musterhaftigkeit bezieht sich auf die Textgestalt (Anzeigen
sind bereits von ihrer äußeren Gestalt her als solche zu
erkennen), auf das Thema und auf die sprachliche Gestaltung;
in diesem Sinne gibt es hier klare Prototypen, etwa für eine
Wohnungsanzeige oder für eine Kontaktanzeige.“
Fandrych & Thurmair 2011: 214
Die einzige Ausnahme:
Personenbezogene Anzeigen
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6. Immobilienanzeigen − Definition
• „Die Grundfunktion von Immobilienanzeigen ist es, über ein
Objekt, in diesem Falle ein Zimmer, eine Wohnung, ein Büro
oder ein Haus, das jemand zur Nutzung, also zur Vermietung
oder zum Kauf anbietet oder sucht, so zu informieren, dass
potenzielle Nutzer/Mieter/Käufer angesprochen werden und
entscheiden können, ob sie das angebotene Objekt
interessiert.“
Fandrych & Thurmair 2011: 243
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7. Immobilienanzeigen
• Auch: Wohnungsanzeigen
• Funktion: appellative und informative Funktion
• Inserenten: Privatpersonen oder Immobilienmakler
• Privatpersonen als Inserenten: in der Regel persönlich, nur
ausnahmsweise Vertretung durch Dritte (z. B. bei jüngeren
Menschen durch deren Eltern oder bei zuziehenden
Mitarbeitern durch deren Firma o. Ä.)
• Medien: am Schwarzen Brett, in gedruckten Zeitungen und
Zeitschriften, in Anzeigenblättern, auf Anzeigeplattformen im
Internet
• Varianten: Vermietung oder Verkauf, Angebot oder Gesuch,
Suche nach Mitbewohner(inne)n
Vgl. Fandrych & Thurmair 2011: 243.
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9. Struktur von Immobilienanzeigen −
Bei Angeboten
Obligatorische Elemente
• Die ungefähre Größe des Objektes und der Kauf- bzw.
Mietpreis
• Angabe zur Kontaktaufnahme (z. B. Telefon, Adresse, E-Mail-
Adresse, Chiffre-Code bei Chiffre-Anzeigen)
Fakultative Elemente
• Lage, Ausstattung und andere Angaben über die Immobilie −
nur wenn sie positiv sind oder als positiv dargestellt werden
können bzw. wenn sie sich vom Durchschnitt abheben
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11. Struktur von Immobilienanzeigen −
Bei Gesuchen
• Hinweis auf die Funktion: „Suche…“, „X sucht…“ usw.
• Angaben zum potenziellen Mieter (oder Mietern) − relativ
ausführlich: Geschlecht, Beruf, Familiensituation, Haustiere,
Raucher vs. Nichtraucher, finanzielle Lage usw.
• Angaben zur gesuchten Wohnung − relativ knapp bzw.
allgemeiner Natur
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14. Immobilienanzeigen als Textsortengruppe
• Wie bei Familienanzeigen, handelt es sich bei
Immobilienanzeigen beim näheren Hinsehen nicht um eine
homogene Textsorte, sondern um eher um eine
Textsortengruppe.
• Die wichtigsten Textsorten im Rahmen dieser Textsortengruppe
sind:
- Anzeige für Immobilienverkauf
- Anzeige für Immobilienvermietung
- Gesuche
- Suche nach Mitbewohner(n) für WGs
- Suche nach einer WG
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15. Funktionsbedingte Unterschiede
bei Immobilienanzeigen
• Immobilienverkauf, Immobilienkauf und Immobilienvermietung
− hoher Grad an Musterhaftigkeit
• Wohnungssuche als Mieter(in), Suche nach
Mitbewohner(inne)n für eine WG oder Suche nach einer WG:
Nähe zu personenbezogenen Anzeigen, Bemühungen um eine
möglichst vorteilhafte Selbstdarstellung, Streben nach
Originalität usw.
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Quelle: Fandrych & Thurmair 2011: 249.
16. Beispiele − Deutsche Immobilienanzeigen
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Quelle: Fandrych & Thurmair 2011: 241.
17. Sprachlich, historich und kulturbedingte
Unterschiede
Beispiele:
• Während in deutschen Medien bei Immobilienanzeigen sowohl
Angebote als auch Gesuche üblich sind, tauchen in serbischen
Zeitungen, Zeitschriften, Anzeigeblättern und
Anzeigeplattformen in der Regel ausschließlich Angebote auf.
• Nach Mitbewohner(inne)n wird in Serbien nach wie vor eher im
eigenen engeren oder weiteren sozialen Umfeld gesucht.
• Anpassung an aktuelle Marktbedingungen (z. B. in den neuen
Bundesländern nach der deutschen Wiedervereinigung);
• Anpassung an neue gesetzliche Vorgaben (z. B. Angaben über
den sog. Energieausweis in der Bundesrepublik seit 2014);
• Anpassung an neue mediale Möglichkeiten (z. B. bei
Anzeigeplattformen im Internet) usw.
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18. Beispiel − Anpassung
an neue Marktbedingungen nach der Wende
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• Wohnungsanzeigen aus der DDR vor der Wende:
Biete gr. 3-Raum-Whg., 96 m2, Dimitr.str., VH., Balkon, gefl. Dusche,
IWC, verkehrsg.
Suche 2-Raum.Konf.-Whg., auch Altneubau, mit mod. Hzg., Tel. 449
75 29, ab 18 Uhr.
• Wohnungsanzeige aus den neuen Bundesländern nach der Wende:
Jg., christl., Familie (Dip.-Ing., Musikpäd.) mit kleinem Clown (6
Monate) sucht dringend eine 3-Raum-Wohnung o. größere mit Bad.
Zahle Miete auf westdeutsch. Niveau. Auch Kaufangebote angenehm.
Quelle: Stevenson 2002: 134−135.
19. Beispiel −
Anpassung an neue gesetzliche Regelungen
• Gemäß der Energieeinsparverordung von 2014 müssen
kommerzielle Immobilienanzeigen bestimmte
Energiekennwerte des Gebäudes angeben.
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20. Beispiel −
Anpassung an neue mediale Möglichkeiten
• Immobilienanzeigen in Printmedien: Weglassungen und
Abkürzungen wegen Platz- und Kostenersparnis, ohne Fotos;
• Immobilienanzeigen im Internet: Anzeigen im Internet
bestehen i. d. R. aus zwei Teilen − aus einer Kurzcharakteristik
und aus einer ausführlicheren Beschreibung; Bei der Suche
erscheint die Kurzcharakteristik bereits in der Ergebnisliste,
während die ausführlichere Beschreibung erst dann erscheint,
wenn die Anzeige bei näherem Interesse angeklickt wird.
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Fandrych & Thurmair 2011: 248
21. Immobilienanzeigen in Printmedien
• Bei Angeboten kein finites Verb − bei Gesuchen dagegen
vollständige Sätze mit dem Verb suchen.
• Zahlreiche Adjektive in attributiver Funktion − in gekürzter Form oder
nachgestellt, um Deklinationsendungen zu vermeiden und auch
dadurch Platz zu sparen (z. B. ruhig, sonnig, hell, neuwertig, groß,
möbliert, schön, gepflegt, saniert, komplett gefliest, geräumig,
verkehrsgünstig gelegen).
• Präpositive Attribute ( z. B. mit neuen Einbaumöbeln und Geräten,
mit Fenster, in Top-Ausstattung, in bester Lage, im EG, im OG, mit
Wohnküche, mit Blk.);
• Komposita, mit denen spezifische Eigenschaften angegeben
werden, z. B. Duschbad, Parkettboden, Fußbodenheizung (Fußb.-
Hzg.), Designerküche, Gäste-WC, Tiefgaragenstellplatz usw.
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22. Immobilienanzeigen in Printmedien −
Abkürzungen
• Um Platz und Kosten zu sparen, werden in
Immobilienanzeigen in Printmedien zahlreiche Abkürzungen
eingesetzt.
• Ähnlich ist es im Falle von Kurzcharakteristika bei
Immobilienanzeigen im Internet, deren Umfang begrenzt ist,
um die Suche effizienter zu gestalten.
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23. Gängige Abkürzungen − Beispiele 1
• AB − Altbau
• BK − Betriebskosten (Hausmeister, Reinigung usw.) oder Balkon
• BLK − Balkon
• DB − Duschbad
• DG − Dachgeschoss
• DHH − Doppelhaushälfte
• EBK − Einbauküche
• EFH − Einfamilienhaus
• EG − Erdgeschoss
• ETG − Etage
• E-Schr. − Einbauschrank
• ETW − Eigentumswohnung
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24. Gängige Abkürzungen − Beispiel 2
• FW − Fernwärme
• Gge − Garage
• HK − Heizkosten
• KM − Kaltmiete
• KT − Kaution
• Lam. − Laminat
• MFH − Mehrfamilienhaus
• MKM − Monatskaltmiete
• MM − Monatsmiete
• mtl. − monatlich
• NB − Neubau
• NK − Nebenkosten
• NKM − Nettokaltmiete
• NM − Nachmieter
• OG − Obergeschoss
• OH − Ofenheizung
• PP − Parkplatz
• RH − Reihenhaus
• TeBo − Teppichboden
• WB − Wannenbad
• Wfl − Wohnfläche
• ZH − Zentralheizung
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25. Immobilienanzeigen im Internet
• 3 Schritte: Gewünschte Parameter bei der Suche
Angeben Kurzüberblick (starke Ähnlichkeit mit
Anzeigen in Printmedien) Nähere Beschreibung
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29. Quellen
• Fandrych, C. & Thurmair, M. 2011. Textsorten im
Deutschen. Linguistische Analyse aus sprachdidaktischer
Sicht. Tübingen: Stauffenburg Verlag, S. 239−249.
• Stevenson, P. 2002. Language and German Disunity. A
Sociolinguistic History of East and West in Germany,
1945−2000. Oxford: Oxford University Press, S. 134−135.
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