TRANSFORMATION = PEOPLEMANAGEMENT
Auf den globalen Märkten herrscht ein erbarmungsloser Kampf: Markteintrittsbarrieren entfallen
durch ICT nahezu vollständig, Großkonzerne und Incumbents sehen sich bedroht von immer
neuen agilen Start-ups, die quasi über Nacht die Märkte neu definieren. In diesem Umfeld
müssen
Unternehmen Effizienzdruck und Innovationskraft harmonisch in Einklang bringen –
die Quadratur des Kreises. Auch der Talentmarkt agiert global und scharf, denn Angebot und
Nachfrage sind transparent.
Das Gebot der Stunde heißt, die Transformationskompetenz in der Unternehmens-DNA zu verankern
als Grundvoraussetzung für die Wettbewerbs- und Überlebensfähigkeit von Unternehmen
und Geschäftsmodellen. Dies ist nicht nur gleichbedeutend mit neuen Strukturen und Organisationsformen,
sondern erfordert eine Kultur der Veränderungsbereitschaft und des „sich laufend
neu erfinden Wollens“. Stichwort Innovationskultur: Wie gelingt es, eine Innovationskultur im
Unternehmen zu verankern? Was sind die wesentlichen Erfolgsfaktoren? Darüber unterhalten wir
uns mit Jens Bode, Henkel Laundry & Home Care und Dr. Markus Müller, Deutsche Telekom.
Längst ist die Wissensgesellschaft Realität geworden. Der Mitarbeiter – oder präziser der vielbeschworene
„Wissensarbeiter“ – ist das erfolgskritische Asset. Alle übrigen, repetitiven Prozesse
und Standardabläufe sind zukünftig automatisierbar. Die Zukunft der Arbeit konzentriert sich
somit auf den optimalen Umgang mit Wissen, den Aufbau von Transformationskompetenz und
die Nutzung der vielfältigen Potenziale der Mitarbeiter. Dabei müssen Transformations- und
Peoplemanagement-
Expertise Hand in Hand gehen und eine geschlossene Einheit bilden. Mitunter
ist dies die große Chance für HR-Bereiche, sich völlig neu zu definieren und als „Transformationscoach“
für die aktive Mitgestaltung von Unternehmen zu empfehlen. Wie dies gelingen
kann, zeigen wir im Rahmen unserer Analyse zur „Zukunft des Personalmanagements“.
Auch in dieser Ausgabe beleuchten wir intensiv die Frage, was High-performing Teams, die das
Fundament erfolgreicher Organisationen bilden, auszeichnet. Interessante Einblicke liefern das
Gespräch mit Major James E. Mullin, US Army, zu Teams in Extremsituationen sowie die wissenschaftlichen
Erkenntnissen von Prof. Dr. Irene López, Cologne Business School.
Zusammen mit Frank Dopheide, Geschäftsführer des Handelsblatts, überlegen wir, welche
Elemente
des klassischen Brand Managements auf die Positionierung von Top Managern übertragen
werden können und wie wichtig dies für den nachhaltigen Erfolg eines Unternehmens ist.
Die Zukunft der Beratung ... über Digitalisierung, New Work & Plattformen
TRANSFORMATION = PEOPLEMANAGEMENT (BEST-PRACTICE) (DMR BLUE TRANSFORMATION & PEOPLEMANAGEMENT)
1. DeteconManagementReportblue•2015
Transformation
= Peoplemanagement
www.detecon-dmr.com
DMRDetecon
Management Report
2015
blueSpecial
Künstler haben unsere Themen neu interpretiert
und unsere neue Webseite mitgestaltet.
Besuchen Sie uns unter: www.detecon.com
Wir geben Kunst eine Bühne.
Art meets Consulting
Wir stehen mit unseren Geschäftsfeldern
an einer der spannendsten Baustellen unserer Zeit:
Die Vernetzung globaler Information und Kommunikation.
INTERVIEWS MIT
Frank Dopheide, Verlagsgruppe Handelsblatt
Der Manager als Marke
Dr. Markus Müller, Deutsche Telekom
Telekom IT – mehr als nur ein IT-Dienstleister
Dietrich Franz, DHL Supply Chain
Nach dem Wandel ist vor dem Wandel
Daniel Markwig, SAP
Das AppHaus
Jens Bode, Henkel Laundry & Home Care
Ideen entstehen aus Inspirationen und Austausch
2.
3. 1 Detecon Management Report blue • 2015
Liebe Leserinnen und Leser,
auf den globalen Märkten herrscht ein erbarmungsloser Kampf: Markteintrittsbarrieren entfal-
len durch ICT nahezu vollständig, Großkonzerne und Incumbents sehen sich bedroht von im-
mer neuen agilen Start-ups, die quasi über Nacht die Märkte neu definieren. In diesem Umfeld
müssen Unternehmen Effizienzdruck und Innovationskraft harmonisch in Einklang bringen –
die Quadratur des Kreises. Auch der Talentmarkt agiert global und scharf, denn Angebot und
Nachfrage sind transparent.
Das Gebot der Stunde heißt, die Transformationskompetenz in der Unternehmens-DNA zu ver-
ankern als Grundvoraussetzung für die Wettbewerbs- und Überlebensfähigkeit von Unternehmen
und Geschäftsmodellen. Dies ist nicht nur gleichbedeutend mit neuen Strukturen und Organi-
sationsformen, sondern erfordert eine Kultur der Veränderungsbereitschaft und des „sich laufend
neu erfinden Wollens“. Stichwort Innovationskultur: Wie gelingt es, eine Innovationskultur im
Unternehmen zu verankern? Was sind die wesentlichen Erfolgsfaktoren? Darüber unterhalten wir
uns mit Jens Bode, Henkel Laundry & Home Care und Dr. Markus Müller, Deutsche Telekom.
Längst ist die Wissensgesellschaft Realität geworden. Der Mitarbeiter – oder präziser der vielbe-
schworene „Wissensarbeiter“ – ist das erfolgskritische Asset. Alle übrigen, repetitiven Prozesse
und Standardabläufe sind zukünftig automatisierbar. Die Zukunft der Arbeit konzentriert sich
somit auf den optimalen Umgang mit Wissen, den Aufbau von Transformationskompetenz und
die Nutzung der vielfältigen Potenziale der Mitarbeiter. Dabei müssen Transformations- und
Peoplemanagement-Expertise Hand in Hand gehen und eine geschlossene Einheit bilden. Mit
unter ist dies die große Chance für HR-Bereiche, sich völlig neu zu definieren und als „Transfor-
mationscoach“ für die aktive Mitgestaltung von Unternehmen zu empfehlen. Wie dies gelingen
kann, zeigen wir im Rahmen unserer Analyse zur „Zukunft des Personalmanagements“.
Auch in dieser Ausgabe beleuchten wir intensiv die Frage, was High-performing Teams, die das
Fundament erfolgreicher Organisationen bilden, auszeichnet. Interessante Einblicke liefern das
Gespräch mit Major James E. Mullin, US Army, zu Teams in Extremsituationen sowie die wissen-
schaftlichen Erkenntnissen von Prof. Dr. Irene López, Cologne Business School.
Zusammen mit Frank Dopheide, Geschäftsführer des Handelsblatts, überlegen wir, welche
Elemente des klassischen Brand Managements auf die Positionierung von Top Managern über-
tragen werden können und wie wichtig dies für den nachhaltigen Erfolg eines Unternehmens ist.
Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre und hoffe, dass Sie viele Erkenntnisse in Ihrer täglichen
Arbeit einsetzen können!
Ihr
Marc Wagner
Partner
Global Head Transformation, Peoplemanagement & HR
Transformation
= Peoplemanagement
4. 2 Detecon Management Report blue • 2015
Inhalt
Herausgeber:
Detecon International GmbH
Sternengasse 14-16
50676 Köln
www.detecon.com
DMR@detecon.com
Aufsichtsrat:
Klaus Werner (Vorsitz)
Geschäftsführung:
Francis Deprez (Vorsitz)
Dr. Jens Nebendahl
Handelsregister:
Amtsgericht Köln HRB 76144
Sitz der Gesellschaft: Köln
Druck:
Kristandt GmbH&Co.KG
Frankfurt/Main
Fotos:
Fotolia
iStockphoto
Impressum:
Neue Arbeitswelten
Arbeite doch, wo Du willst … 4
Interview mit Dr. Bernhard Zünkeler, Forschungsinstitut artlab21
Gestaltung des Arbeitsplatzes der Zukunft: „Frische Luft für
schwierige Aufgaben und Innovation“ 8
Interview mit Daniel Markwig, SAP AG
Das AppHaus 14
KAIZEN – Beyond Process Optimization
Über die Entfaltung des Potenzials von KAIZEN und
die Implementierung in das alltägliche Projektgeschäft 20
Interview mit Jens Bode, Henkel Laundry & Home Care
“Ideen entstehen aus Inspirationen und Austausch” 22
Interview mit Dr. Heinrich Arnold, Telekom Innovation Laboratories
To boldly go where Telekom has not gone before“ 26
Interview mit Dietrich Franz, DHL Supply Chain
Nach dem Wandel ist vor dem Wandel 30
Interview mit Dr. Markus Müller, Deutsche Telekom AG
Telekom IT: Mehr als nur ein IT-Dienstleister 36
Interview mit Michael Leistenschneider
„Telco-Landschaft mit unschätzbarem Drive“ 40
Die digitale Transformation fordert eine neue Servicekultur
Wer dient, gewinnt 46
Interview mit Thies-Christian Bruhn, Kempinski Palace Portoroz
„Grundvoraussetzung für guten Service ist die
Persönlichkeit des Mitarbeiters“ 50
ICT4Development
Wie Kommunikationstechnologien die Welt
verbessern können 56
Pro-bono-Projekt mit Africa Rise e.V.
Wie die Digitalisierung die Bildung in Afrika
unterstützen kann 60
5. 3 Detecon Management Report blue • 2015
World Business Dialogue
Berater und Studenten suchen Antworten auf die
Herausforderungen der Zukunft 64
Interview mit Frank Dopheide, Geschäftsführer Verlagsgruppe Handelsblatt
Der Manager als Marke – Wettbewerbsvorteil im
digitalen Zeitalter 68
Kulturwandel bei der Deutschen Telekom AG
Lead to Win – die neue Führungsambition
der Deutschen Telekom 74
Interview mit Major James E. Mullin III, U.S. Army
“Krieg ist ein chaotisches Unterfangen” 78
Interview mit Prof. Dr. Irene López, Cologne Business School
High-performing Teams unterstützen die
Konkurrenzfähigkeit von Unternehmen 84
Interkulturelle Führung
Vertrauen als Basis erfolgreicher Projektleitung in
Mittel- und Osteuropa 88
Magenta MOOC, Deutsche Telekom AG
Virtuelle Zusammenarbeit im unternehmerischen Kontext 92
Interview mit Daniel Eckmann, Detecon International GmbH
„Erst mit hohem positiven Energielevel ist man richtig gut!“ 96
Die Zukunft des Personalmanagements
Strategisch planen – exzellent operieren 100
Future HR
Neue Herausforderungen für die strategische
Personalentwicklung 104
HR in der Cloud
Heiter bis wolkig? 108
Die Autoren 111
6. Neue Arbeitswelten
Arbeite doch,
wo Du willst …
Disruption kennzeichnet Absatz- und Arbeitsmärkte. Wie sollen Unternehmen damit
umgehen? Für die Arbeits(platz)gestaltung gibt es eine Fülle von Ideen. Maximale Flexi-
bilität in diesem Kontext bedingt allerdings einen Kulturwandel – und für den benötigt
man einen langen Atem.
4 Detecon Management Report blue • 2015
7. wo Du willst …
isruptiv ist ein Schlagwort, mit dem sich insbesondere
Großkonzerne regelmäßig konfrontiert sehen. Neue Techno-
logien bewirken in Rekordgeschwindigkeit, dass Märkte neu
geschaffen werden – und auch wieder verschwinden. Marktein-
trittsbarrieren im klassischen Sinne sind nicht mehr existent,
eine sicher geglaubte „Poleposition“ wandelt sich über Nacht
in einen der hinteren Plätze. Nicht nur Nokia ist hierfür ein
gerne und vielzitiertes Beispiel. Auch die gesamte Medien-
und Zeitschriftenindustrie löst sich in ihre Bestandteile auf.
Viele Industrien müssen sich plötzlich mit völlig divergenten
Herausforderungen und Branchen auseinandersetzen. Automo-
bilkonzerne sehen sich beispielsweise momentan durch Inter-
netkonzerne wie Google bedroht, die vor wenigen Jahren noch
als völlig „branchenfremd“ ignoriert werden konnten. Diese
Entwicklung befeuern nicht zuletzt die enormen technolo-
gischen Fortschritte im Bereich der ICT, welche nicht mehr nur
als „Enabler“, sondern vielmehr als der „Disruptor“ überhaupt
gesehen werden.
Zudem befinden sich gerade etablierte Unternehmen nicht nur
auf dem Absatzmarkt in einem gnadenlosen Wettbewerb – auch
auf dem Talentmarkt sorgen Globalisierung und neue, aus Sicht
von High Potentials viel attraktivere Unternehmen wie Google
für einen unerbittlichen Kampf um die besten Nachwuchskräfte.
Der „War for Talents“ ist Realität – auch, weil Wissensarbeiter
das strategische Asset, den Differenzierungsvorteil von Unter-
nehmen darstellen und Sekundärprozesse zunehmend automa-
tisiert oder teilweise in Richtung des Kunden verlagert werden.
So kann der Verlust eines „Top Performers“ in Richtung Kon-
kurrenz schnell zu einem ernst zunehmenden Problem werden,
denn es geht um Wissensvorteile. Herausfordernd für Unter-
nehmen ist außerdem, dass die Loyalität zu einem spezifischen
Unternehmen gerade bei High Potentials stark abnimmt. Es
zählen die Aufgabe und ein spannendes Umfeld, nicht mehr der
„große Name“. Auch auf dem Arbeitsmarkt bewegen sich Un-
ternehmen also in einem disruptiven Umfeld.
Maximale Flexibilität und Anpassungsfähigkeit ist das Gebot
der Stunde – eine Frage des Standpunkts
Dies gilt in besonderem Maße für Großkonzerne. Sie sehen sich
mit unterschiedlichen Herausforderungen gleichzeitig konfron-
tiert. Die Anforderung des Marktes nach maximaler Flexibilität
bezieht sich auf nahezu alle Bereiche der Arbeitsgestaltung, zum
Beispiel die Arbeitszeit oder den Arbeitsort. Denn nur durch
maximal flexible und liquide Strukturen werden Unternehmen
„robust“ gegen Veränderungen – Stichwort Resilienz. Letztlich
sorgt die verändernde Kraft von disruptiven Technologien da-
für, dass tradierte Arbeitsmethoden und Prozesse sowie starre
hierarchische Strukturen und Linienorganisationen hier nicht
mehr mithalten können. Auch die Frage „Is big still beautiful?“
muss gestellt werden. Denn Unternehmen mit mehreren hun-
derttausend Festangestellten, wie wir sie in den DAX 30-Unter-
nehmen zur Genüge finden, fehlt die zuvor erwähnte Agilität.
Flexible Arbeitszeiten, Elternzeit, Tandem-Lösungen, Job
rotation, Sabbaticals oder Homeoffice beziehungsweise mobiles
Arbeiten sind dabei nur einige der Schlagworte. Die Möglich-
keit, die Arbeitszeit flexibel gestalten zu können, ist eine Grund
voraussetzung für agile Strukturen und die Anpassungsfähig-
keit von Unternehmen. Allerdings stehen dem – insbesondere
in Deutschland – häufig komplexe Regularien in Bezug auf
Arbeitsschutz und tarifvertragliche Regelungen bis hin zu in-
dividuellen Vereinbarungen von Einzelbetrieben gegenüber. In
globalen Konzernen ergibt sich daraus mit Blick auf die Inter-
nationalität mitunter ein nahezu unüberschaubares Geflecht aus
Vereinbarungen, die bei der Arbeitszeitgestaltung berücksichtigt
werden müssen.
Auch bei der Gestaltung des Arbeitsortes ist maximale Wandel-
barkeit, nicht zuletzt aufgrund von Kostengründen, entschei-
dend. Letztlich kann eine Geschäftsleitung zum Zeitpunkt der
Belegungsplanung für eine Immobilie nicht vorhersagen, wer
am Ende der Bauzeit tatsächlich dort einziehen wird. Die lau-
fende Änderung von Unternehmensstrukturen sorgt für eine
nahezu völlige Unplanbarkeit. Die flexible Nutzung von Büro-
flächen muss heute schon integrativer Teil der Planung für neue
Bürobauten sein. Damit wird die Immobilie zukunftssicher,
da jederzeit auf neue Anforderungen an Arbeitsstrukturen rea-
giert werden kann. Zielsetzung muss es sein, entsprechende Ar-
beitsumgebungen zu schaffen, die von unterschiedlichen Mitar-
beitern für unterschiedliche Tätigkeiten genutzt werden können
– sei es für die konzentrierte Arbeit, für Kreativitätssitzungen,
Besprechungen oder zur Ruhe und Entspannung.
Unter dem Stichwort „Activitiy Based Working“ folgt die Raum-
gestaltung den Anforderungen, die sich aus den Aktivitäten der
Mitarbeiter ergeben. Zonen für konzentriertes Arbeiten, zur
Förderung von Kreativität, für Projektarbeiten oder insbeson-
dere auch zum informellen Austausch sind nur einige mögliche
Ausprägungen. Das sogenannte „Desksharing“ wird zum Stan-
dard – und dies unabhängig von der Hierarchie. In der „maxi-
malen Ausprägung“ teilen sich Management und Mitarbeiter
die Arbeitsplätze in einer Open-Office-Struktur, da sich die
meisten Vertraulichkeitsanforderungen durch Rückzugsräume
und abschließbare Container abdecken lassen. Das so genannte
„Zellenbüro“ hat damit ausgedient. Arbeit ist schließlich eine
Tätigkeit, die dank zunehmender Wissensarbeit nicht an einen
D
5 Detecon Management Report blue • 2015
8. 6 Detecon Management Report blue • 2015
spezifischen Ort gebunden ist und somit von überall aus erfol-
gen kann: von zu Hause, unterwegs und natürlich im Office.
Der Flächenbedarf in den Bürogebäuden lässt sich dadurch teils
drastisch verringern. Dies führt wiederrum zu erheblichen Ko-
stensenkungen.
Allerdings muss man sich bei solch agilen und flexiblen Arbeits-
strukturen darüber im Klaren sein, dass sie die Führung von
Mitarbeitern anspruchsvoller machen. Sie erfordern neue Rege-
lungen und Absprachen. Wo finde ich jetzt meinen Kollegen?
Wann ist mein Mitarbeiter/Kollege zu Hause und wann im Of-
fice? Wie kann ich meinen Jour Fixe mit in der ganzen Welt ver-
teilten Mitarbeitern durchführen? Wie kann ich meinen Mit-
arbeiter bewerten, dessen Arbeit ich nicht ständig beobachten
kann? Wie kann ich überhaupt noch kontrollieren, was meine
Mitarbeiter den ganzen Tag über machen?
Ergebnis- statt Präsenzkultur? Ja, aber …
Ohne den vielbeschworenen Kulturwandel wird es keine Ver-
änderung geben. Das ist aber leichter gesagt als getan. Für
einen grundlegenden Kulturwandel braucht man einen langen
Atem und Beharrlichkeit. Gerade in großen Unternehmen trifft
man auf offenen und – noch gefährlicher – verdeckten Wider-
stand, sobald Veränderungen umgesetzt werden sollen. Oft ist
es die Angst der Führungskräfte vor dem Kontrollverlust, die
zu Blockaden führt. Wer aber die Flexibilisierung von Arbeits-
zeit und -ort erfolgreich betreiben will, muss eine echte Ver-
trauenskultur aufbauen. Wer das nicht konsequent umsetzt,
wird scheitern. Führungskräfte müssen verstehen: Das Modell
„Command and Control“ gehört auf den Müllhaufen ausge-
dienter Führungsstile.
Klare Kommunikation und Partizipation sind die erfolgskri-
tischen Treiber für den Aufbau einer Vertrauenskultur. Ab-
sprachen zwischen Führungskräften und Mitarbeitern sind das
A&O in flexiblen Arbeitsumgebungen. Es gilt, Transparenz zu
schaffen über die persönliche Erreichbarkeit und Aktivitäten,
die vorher gemeinsam vereinbart wurden und als Grundlage für
die Leistungsbeurteilung dienen. Dies unterstützt den Weg von
der Präsenz- hin zur Ergebniskultur.
Apropos klare Absprachen: Ohne Spielregeln geht es beim
Miteinander in offenen flexiblen Bürowelten nicht. Das Prin-
zip „Clean Desc“ muss gelebt werden – benutztes Geschirr,
Familienfotos oder persönliche Papiere auf dem Schreibtisch
sind tabu, da der „eigene“ Schreibtisch am nächstenTag womög-
lich von einem Kollegen genutzt wird. Darüber hinaus erfordert
auch die verbale Kommunikation im „Büro“ mehr Rücksichts-
nahme: Laute Telefonate, Plaudereien am Tisch des Nachbarn
oder spontane Kollegentreffen außerhalb der Meetingzonen
sind zu vermeiden. Mit einem gemeinsam erarbeiteten und von
allen „Office-Bewohnern“ verantworteten „Open-Office-Mani-
fest“ kann man solche Auswüchse bereits im Keim ersticken.
Quelle: Detecon
Abbildung: Arbeitswelt der Zukunft
Alte Welt: Ein Arbeitsplatz für
alle Aktivitäten
Zuhause
Activity Based Working
Unterwegs Im Büro
Offene Bürowelten Think Tanks Creative Spaces Rückzugsräume
9. 7 Detecon Management Report blue • 2015
Unsere Erfahrungen und das Feedback aus einer Vielzahl an
Umsetzungsprojekten haben gezeigt, dass eine flexible und
insbesondere auch virtuelle Zusammenarbeit nur dann funk
tioniert und auch angenommen wird, wenn dafür eine entspre-
chende Infrastruktur bereitsteht, die sehr zuverlässig funktio-
niert. Andernfalls ist es schnell vorbei mit der Akzeptanz für
die oben beschriebenen Modelle, und die Arbeit konzentriert
sich wieder auf Präsenzmeetings im Office. Der regelmäßige
Abbruch von Videokonferenzen, die zu geringe Bandbreite, der
unperformante Laptop sind nur einige der Akzeptanzkiller.
Change Management oder … Überzeugungstäter gesucht!
Konfrontiert mit der Anforderung, die Dimensionen Mensch,
Arbeitsort und Infrastruktur parallel zu berücksichtigen, sowie
der enormen Komplexität dieses Arbeitsumfeldes, stellt sich
allerdings für viele Unternehmen die Frage, wie man eine starre
Organisation mit klassischem „Command & Control“-Füh-
rungsstil, funktionalen Silos und „Präsenzkultur“ in ein flexibles
und agiles Unternehmen umwandelt? Schnell erfolgt der Ruf
nach „Change Management“, nach aufwendigen Change Tools
und Formaten – nicht zuletzt deswegen, weil gegenläufige In-
teressen von Sozialpartnern, Immobilienmanagement, HR-
Bereich und Business Units unter einen Hut zu bringen sind.
Doch damit diese Parteien an einem Strang ziehen und eine
wirkliche Verhaltensänderung eintritt, sind zwei Grundvoraus-
setzungen zu schaffen: die Unterstützung der Geschäftsführung
und die konsequente Förderung von Multiplikatoren. Es gilt,
Überzeugungstäter zu finden, damit sich nicht hinter der schö-
nen neuen Bürowelt und den theoretischen Arbeitsmodellen der
Status quo festsetzt. Das Motto lautet: Nicht überheben, son-
dern den Wandel hin zu einer neuen Arbeitswelt in kleinen und
verdaubaren Schritten gestalten. Dem Verhalten von Führungs-
kräften fällt enorme Bedeutung zu. Sie müssen die Prinzipien
der neuen, flexiblen und oftmals virtuellen Arbeitskultur selbst
leben und die Mitarbeiter ermutigen. Nur so können langsam
lang etablierte Prozesse neueren, flexiblen Strukturen weichen.
Die positiven und finanziellen Effekte ergeben sich nach und
nach. Im Rahmen einer ganzheitlichen Neugestaltung der Ar-
beitswelt sollte deshalb nicht direkt nach dem Business Case
gefragt werden. Die in zahlreichen Studien ausgewiesenen
hohen Einsparungen und Produktivitätssteigerungen können
nur nachhaltig erfolgen. Zunächst ist die Überzeugung der Ge-
schäftsleitung gefragt, dass die beschriebene Arbeitsflexibilität
zum nachhaltigen Erfolg des Unternehmens beiträgt – und man
besser für disruptive Veränderungen gerüstet ist!
ALTE WELT NEUE WELT
Abteilung, Hierarchie Team, Netzwerk
Zeit, Kontrolle Ergebnis, Vertrauen
Vorgesetzter, One Way Coaching 360 Grad
Arbeit = Ort Activity Based Working
Linienarbeit, Abteilung Projekt, Team
Smart
Working
Mehr zum Thema „Neue Arbeitswelten
und Smart-Working“ erfahren Sie unter:
www.detecon.com/de/Expertise/
Beratungsfelder/Transformation
10. 8 Detecon Management Report blue • 2015
Gestaltung des Arbeitsplatzes der
Zukunft: Frische Luft für schwierige
Aufgaben und Innovation
Interview mit Dr. Bernhard Zünkeler, Gründer des Forschungsinstituts artlab21
Die Gedanken sind frei, besagt ein Volkslied. Wen aber der Büroalltag verschluckt, der weiß,
dass die Gedanken oft weit davon entfernt sind, zu fliegen. Future-Work-Konzepte greifen
an dieser Stelle, um Freiheiten zu gewähren und ein Arbeitsumfeld zu schaffen, das Impulse
und Reize für ein „Ausbrechen aus dem täglichen Wahnsinn“ setzt.
11. 9 Detecon Management Report blue • 2015
DMR: Future Work ist aktuell ein oft gehörtes Schlagwort, viele
Unternehmen beschäftigen sich damit. Worauf führen Sie die hohe
Nachfrage zu diesem Thema zurück?
Dr. Zünkeler: Wir sind an einem Punkt angekommen, an dem
die meisten Mitarbeiter kommunikationstechnisch kaum noch
mehr Informationen verarbeiten können. Wir sind vernetzt wie
nie, agieren in globalen Kontexten, alles in kürzester Zeit und
immer in vielen unterschiedlichen Medien gleichzeitig. Man
kommt an den Punkt, an dem man sich fragt, wie effizient und
sinnvoll das alles wirklich ist. Es ist wunderschön, dass wir alle
miteinander vernetzt sind, aber es gibt keine richtigen Regeln
dafür. Wir erleben jetzt eher dieses Feeling von „Hamster im
Laufrad“. Man kommt gar nicht mehr hinterher und merkt
plötzlich, dass viele Dinge, die um einen herum bislang eine
Ruhezone oder Schutzzone gewährt haben, nicht mehr existent
sind. Ob es das eigene Büro ist oder der Italiener abends um die
Ecke, man ist immer erreichbar und hat dadurch mittlerweile
das Gefühl, auch immer leistungsfähig sein zu müssen. Damit
einher gehen dann Phänomene, die neuzeitlich als Burn-out
betrachtet werden. Aber eigentlich ist das eine ganz natürliche
Abwehrreaktion im Sinne von „Pass mal auf, ich zieh jetzt den
Stecker der Fremdbestimmung raus“. Das hat nichts Krankes
an sich, sondern ist eine persönliche Antwort auf das Phäno-
men „Eierlegende Wollmilchsau Mitarbeiter“. Und genau dafür
kann Future Work eine Antwort beziehungsweise ein Konzept
sein, damit es gar nicht erst dazu kommt.
DMR: … oder vielleicht auch ein Treiber und Verstärker für diesen
Trend. Was muss man dabei beachten?
Dr. Zünkeler: Das ist ein guter Punkt. Je nachdem, wie man
„Future Work“ auslegt, kann dies natürlich einen zusätzlichen
Beschleunigungseffekt haben und die aufgeführten Folgen ver-
stärken. Da Arbeit heute von überall aus erfolgen kann und man
den Begriff „Work-Life-Balance“ fast aus dem Wörterbuch strei-
chen kann, da es eine wirkliche Trennung ja nicht mehr gibt,
muss ein Future-Work-Konzept genau hier gegenwirken, und
zwar durch die Schaffung von Ruhezonen, Ruhepunkten und
Ausbruchmöglichkeiten aus der totalen Fremdbestimmung.
Dies bedeutet aus meiner Sicht insbesondere auch, Mitarbei-
tern neue Freiheiten zu gewähren und bei der Schaffung des
Arbeitsumfeldes für Impulse und Reize zu sorgen, die ein „Aus-
brechen aus dem täglichen Wahnsinn“ ermöglichen. Dieses
Thema berührt natürlich auch Generationsfragen. Eine jüngere
Generation hat sicherlich ein anderes Empfinden. Auf der einen
Seite gehen sie viel unbelasteter an das Thema der Fremdbestim-
mung. Auf der anderen Seite entlasten sie sich dadurch, dass
Absprachen einfach unverbindlicher werden. Ich bin ein Inter-
net-Immigrant und kenne noch Zeiten, wo Terminabsprachen
nur in Ausnahmefällen zurückgenommen wurden. Heute nä-
hert man sich bezüglich Terminabsprache und Gesprächsinhalt
eher an, teilweise braucht man drei E-Mails und vier Textnach-
richten, um eine verbindliche Absprache zu treffen. Alles ist im
Fluss. Eine jüngere Generation ist eher daran gewöhnt und ent-
wickelt intuitiv „Abwehrmechanismen“.
DMR: Was ist mit der Arbeitsqualität des Mitarbeiters – wie
produktiv ist man denn in diesem komplexen, informationsüber
fluteten und hochvernetzten Arbeitsplatz?
Dr. Zünkeler: Die Arbeitsqualität ist für mich ein weiterer As-
pekt, warum Future Work extrem nachgefragt ist. Man fragt
sich doch irgendwann, wie effektiv und wie kreativ können
Mitarbeiter eigentlich sein, die konstant getrieben sind? Wie ge-
hen wir mit der permanenten Kommunikation um? Kreativität
entsteht nicht unbedingt dann, wenn man gestresst versucht,
an drei Medien gleichzeitig zu arbeiten, sondern an Orten, die
anders sind. Ich sage nicht, dass durchstrukturierte und ge-
plante Arbeitsstunden nicht sinnvoll sind – im Gegenteil, wir
brauchen das. Aber zwischendrin sollte man sich immer mal
wieder anderen Dingen, Inspirationen und Räumen aussetzen.
Ich würde sagen, das Paretoprinzip greift auch hier: 80 Prozent
Geplantes – 20 Prozent Ungeplantes. Des Weiteren müssen wir
lernen, mit Medien effektiv umzugehen, und das bedeutet, auch
mal gewisse Medien wegzulegen, außen vorzulassen oder zu-
mindest über Prioritätscluster bei Medien nachzudenken. Man
kommt vielleicht auf ganz andere Ergebnisse, wenn man sich
einem Thema mal in einer anderen Form nähert oder in einer
anderen räumlichen Umgebung, ohne die übliche Methodik.
Technik ist ja ein bisschen wie ein Wunderwerkzeug, alles ist
möglich – aber wir müssen lernen, damit umzugehen und die
Dinge für uns wieder neu zu justieren. Man sollte immer darauf
achten, in welcher Form bestimmte Medien, Arbeitsweisen und
Umgebungen den Mitarbeiter beeinflussen und was für Aus-
wirkungen das auf den virtuellen und physischen Raum hat.
Meistens wird etwas nur an materiellen Dingen festgemacht,
ohne dass gesehen wird, dass es in vielen Fällen eher um einen
energetischen Bereich geht, den man um sich herum strickt.
Future Work ist ein ganzheitlicher Ansatz.
DMR: Was meinen Sie mit energetischem Bereich an dieser Stelle?
Dr. Zünkeler: Auch, wenn sich das jetzt ein bisschen esoterisch
anhört: Letztendlich sind wir immer noch Höhlenmenschen.
Viele unserer Eigenschaften, die über drei Millionen Jahre ge-
wachsen sind, können wir nicht einfach innerhalb von 30 Jah-
ren ablegen, nur weil die letzten Entwicklungen unser Leben in
vielen Aspekten radikal auf den Kopf gestellt haben. Was ich da-
mit meine, ist, dass wir einen bestimmten Biorhythmus haben
12. 10 Detecon Management Report blue • 2015
Dr. Bernhard Zünkeler studierte Rechtswissenschaft und Kunstgeschich-
te, promovierte zum Dr. jur. und arbeitete mehr als zehn Jahre als Rechts-
anwalt mit dem Schwerpunkt Arbeits- und Gesellschaftsrecht.
Vor knapp sieben Jahren gründete er das Forschungsinstitut artlab21,
welches sich dem Entwicklungspotenzial von Diversität widmet. Mit
Detecon verbindet ihn die gemeinsame Durchführung des Projektes Art
Works, das er zusammen mit zahlreichen internationalen Künstlern und
Orange Council begleitet hat. Bernhard Zünkeler lebt und arbeitet in
Berlin und Los Angeles.
Marc Wagner, Partner, Global Lead Transformation & Peoplemanagement,
über ARTWORKS bei Detecon:
„Sicher kennen Sie folgende Situation: Seit Stunden brüten Sie über einer Pro-
blemstellung und nichts passiert. Resigniert machen Sie sich auf zu einem
Spaziergang durch den Wald – und plötzlich fällt Ihnen eine Lösung ein! Was
ist passiert? Sie wurden aus dem Gewohnten herausgerissen. Diesen Effekt
erzeugt auch Kunst. Durch künstlerische Gestaltung – zu sehen bei uns in
der Detecon – können bewusst Irritationen erzeugt werden, die den Beobach-
ter zum Nachdenken anregen und aus dem eingefahrenen Gedankengang
reißen. Dabei sind der „Störeffekt“ und die bewusste Polarisierung erklärter
Zweck. Man findet Kunst schön, inspirierend, bizarr, erhellend oder auch nur
geschmacklos. Wichtig ist, dass Emotionen erzeugt werden und ein Kontrast
zu den sonst sehr starren und auf Effizienz ausgerichteten Unternehmens
umgebungen geschaffen wird. Dabei spielt auch Humor eine wichtige Rolle.
Ein weiterer wesentlicher Baustein des Konzeptes ist es, zufällige Kontakte
und Interaktionspunkte zu fördern – eine wesentliche Voraussetzung für die
Förderung von Kreativität und neuen Ideen.
Im Rahmen des mit dem German Design Award und Art Directors Club Award
prämierten ARTWORKS Konzept sind wir bewusst diesen Weg gegangen und
haben visuell Irritationen geschaffen, die genau diesem Zweck folgen: neue
Gedankengänge anstoßen, kreativ sein wollen und nach Erklärungen suchen,
sei es das „grüne Zimmer“, „die bayerische Stube“ oder die Bilder-Wortspiele.
Die Umsetzung ist nicht schick, stylisch und uniform, sondern individuell,
bequem, praktisch, pragmatisch und mit einer eigenen Seele – ein Ausdruck
unserer Unternehmenskultur und DNA.“
www.detecon.com
13. 11 Detecon Management Report blue • 2015
und benötigen und dass wir deswegen bestimmte Dinge um uns
herum als intuitiv richtig oder als intuitiv falsch wahrnehmen.
Das bezieht viele Dinge ein, beispielsweise Ruhepausen, Schlaf
sowie Umstände, die unsere individuelle Leistungsfähigkeit för-
dern. Dies gilt umso mehr in einer Business-Welt, die immer
fragmentierter wird und in der man diese Kraftzentren, die jeder
von uns braucht, dann oftmals negiert. Am Ende wird die Per-
formance, die man eigentlich steigern will, letztendlich negativ
beeinflusst.
DMR: Das hört sich an, als wäre Future Work auch ein Mittel zur
Entschleunigung?
Dr. Zünkeler: Ja, so könnte man das ausdrücken. Ich möchte
aber an dieser Stelle klar betonen, dass es am Ende um Effek-
tivierung geht. Was wir derzeit oft erleben, ist das genaue Ge-
genteil: Vollgas im Leerlauf. Oft werden die gleichen Ideen mit
neuen Medien nur schneller gedreht, statt Luft zu holen und
in Ruhe über einen neuen Lösungsansatz nachzudenken. Das
erinnert mich an jemanden, der die Klinke einer verschlossenen
Tür bedient und, weil sich die Tür nicht öffnet, wie wild weiter
an der Klinke rappelt. Future Work sollte in der Lage sein, für
so jemanden den Schlüssel zu finden statt ihn noch nervöser
zu machen. Dies passiert für mich in zwei Kontexten: Future
Workplace ist einmal das unmittelbare räumliche Umfeld, in
dem ich bin, produziere und lebe. Das heißt immer auch, dass
das persönliche Umfeld bei Future Work neu betrachtet werden
muss. Um räumlich entschleunigen zu können, muss man aber
auch Inseln der Nicht-Steuerung entstehen lassen. Wenn man
so will: Orte der Planlosigkeit. Das ist meine ganz persönliche
Meinung, aber ich glaube, in vielen Fällen erliegt man oft der Il-
lusion, dass alles zu planen und zu steuern ist. Die Realität zeigt,
dass der Zufall eine viel größere Rolle spielt, auch für einen
persönlich. Und wenn man da nicht mit genug „Planabwei-
chungsvollmacht“ ausgestattet ist, verursacht das Kopfschmer-
zen. Neue Medien bieten da große Flexibilisierungschancen.
Wer sie aber einseitig top-down benutzt, wird langfristig auf
Granit beißen. Entscheidungsfreiheit ist daher ein ganz elemen-
tarer und evidenter Anteil des persönlichen Wohlbefindens und
oftmals Quelle von Kreativität und Innovation. Letztlich ist
heutzutage nahezu Nichts mehr wirklich planbar – unser Um-
feld, das Umfeld von Unternehmen, alles ändert sich laufend
und trotzdem versuchen wir, immer genauer zu planen und zu
kontrollieren. Aus meiner Sicht absolut kontraproduktiv, wenn
es um das „Wecken von kreativen Geistern“ geht! Und in vie-
len Fällen auch eine totale Zeitverschwendung, da man laufend
einem nicht eintretenden Plan hinterherhinkt. Von daher muss
ein Umfeld dieses „ungeplante“ und „zufällige“ unterstützen, sei
es durch „Planflexibilisierung“, die Möglichkeit zufälliger Be-
gegnungen oder durch optische Störungen und Reize, die zum
Nachdenken und „Andersdenken“ anregen. Vieles davon haben
wir bei Detecon in der Umsetzung von Smart Working berück-
sichtigt. Wichtig ist dabei allerdings, dass das Ganze lebt und
sich laufend weiterentwickelt, andernfalls fällt man in bewährte
Muster und Routinen zurück. Dies kann durch eine kontinu-
ierliche Umgestaltung oder den bewussten Tausch von Umfeld-
objekten geschehen. Geht es um das bewusste Entschleunigen,
so reichen mit Sicherheit „Relax und Ruhebereiche“ im Un-
ternehmen nicht aus. Vielmehr muss die Unternehmenskultur
und Arbeitsgestaltung der Mitarbeiter dies unterstützen, sei es
durch die Schaffung von bewussten Eigenzeiten, bei denen sich
Mitarbeiter mit ihren Lieblingsprojekten beschäftigen können,
oder durch die Möglichkeit, Arbeitszeit und Arbeit wirklich fle-
xibel zu wählen – und dies vorgelebt „von oben“. Denn häufig
machen wir die Erfahrungen, dass die Mitarbeiter einer Future-
Work-Initiative sehr positiv gegenüber stehen, die Führungs-
kräfte hingegen ungern auf ihre Kontrollmöglichkeiten verzich-
ten wollen oder Leistungskultur mit dem vorhin beschriebenen
Hamsterrad gleichsetzen. Dies ist ein Thema, das ganz oben
anfangen muss.
DMR: … und welche Rolle spielen in diesem Kontext moderne
Medien und ICT?
Dr. Zünkeler: Über die aktuellen und zukünftigen modernen
Medien haben wir bahnbrechende neue Möglichkeiten. Aber
irgendwie hat man sich darüber noch nicht wirklich genug Ge-
danken gemacht. Ich vergleiche das mit dem Beispiel von dem
Indianerstamm, der nach Washington eingeladen war, um Ver-
träge für Reservationen abzuschließen. Die Jungs verkündeten
dem Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, dass ihr
Körper jetzt angekommen sei, sie aber noch drei Tage warten
müssten, denn ihr Geist sei noch nicht da. Das klingt nach einer
total merkwürdigen Geschichte, aber es wird deutlich, dass man
auch gedanklich mal abschalten muss, um zu begreifen, was al-
les in einem und um einen herum passiert. Letztlich sind The-
men wie Jet-Lag und Burn-Out Ausprägungen dieses Phäno-
mens. Diese beiden Dinge muss man zusammenbringen, wenn
man über Future Work redet, für mich ist das nicht zu trennen.
„Moores Law“ und der damit einhergehende technologische
Fortschritt kann nicht unsere Herkunft und den gesamten Evo-
lutionsprozess negieren… Und während wir für den Kommu-
nikationssprung vom Brief zum allgemeinen Telefonanschluss
fast hundert Jahre Zeit hatten, um praktikable und anerkannte
Regeln herauszubilden, ist für E-Mail und Mobiltelefon gerade-
mal etwas mehr als eine Dekade vergangen. Wir stehen also erst
am Anfang, die unglaublichen Vorzüge, aber auch die Risiken
zu entdecken. Es ist der Beginn einer unglaublich spannenden
Zeit – und Future Work steht da mitten drin.
14. 12 Detecon Management Report blue • 2015
DMR: Die räumliche Gestaltung spielt für Sie ja auch eine we
sentliche Rolle für das ganzheitliche Future-Work-Konzept. Wie
können Räume helfen abzuschalten und kreativ zu sein?
Dr. Zünkeler: Unternehmen können und sollen durch Räume
und räumliche Gestaltung das bewusste Ausbrechen fördern.
Ein Beispiel aus der Agrarwissenschaft: In den 60er Jahren
wurde in Amerika und Russland ein Wettstreit durchgeführt,
wer mehr Mais oder Weizen produzieren kann. Damit hat man
ganze Landstriche praktisch verkarstet. Das Thema Monokultur
wurde damals überhaupt nicht sensibel gesehen, es ging um Ef-
fektivierung um jeden Preis. Viel zu spät erst hat man erkannt,
dass man Landstriche dadurch verbrennt, kaputt macht und
nach einigen Ernten gar nicht mehr nutzen kann. Diese Gefahr
sehe ich auch bei Mitarbeitern. Sprich: Etwas, das ganz stringent
durchgeplant ist, eine totale Monokultur, wird jeder Mitarbeiter
als langweilig, eintönig und schwierig empfinden. Ein anderer
kritischer Punkt liegt darin begründet, dass man mit enger Pla-
nungsdichte die innerbetriebliche Gefahr der „Plangläubigkeit“
oder des „Dienstes nach Vorschrift“ erhöht. Das Heranwachsen
von Leadership, Empowerment und Kreativität tut sich in einer
solchen Monokultur nicht besonders leicht. Da werden Zeiten
und ein Raum des Ungeplanten und des Hier und Jetzt wichtig.
Dieser Raum muss auch offensiv integriert sein in das Gefü-
ge des Unternehmens. In Hinblick auf den Future Workplace
bedeutet dies, dass es Räume geben sollte, die bewusst mal in
eine andere Richtung aufdrehen und ein Umfeld schaffen, dass
völlig neue und andere Impulse liefert. Das ist wie ein Post-it-
Aufkleber auf dem Kühlschrank, auf den man sich bestimmte
Dinge schreibt, um immer wieder daran erinnert zu werden.
DMR: Im Hinblick auf eine mögliche Implementierung geht nichts
ohne die Unterstützung des Management. Allerdings funktioniert
auch kein Konzept, wenn es nicht von Mitarbeitern getragen wird.
Wie geht man mit diesem Paradox um?
Dr. Zünkeler. Vielleicht kann man es „gewollte Guerilla-Taktik“
nennen? Es geht in jedem Fall darum, Bereiche im Unterneh-
men zu schaffen, in denen eine neue Denke entstehen kann und
darf. Unter den Mitarbeitern müssen Multiplikatoren gefunden
werden, die man vernetzen kann, damit sie zusammen etwas be-
wirken können. Das muss außerhalb der Tretmühle des Unter-
nehmens passieren, damit sie einfach schneller agieren können.
Ansonsten laufen sich diese Multiplikatoren relativ schnell tot,
wenn sie mit der Riesenmaschinerie des Unternehmens unter-
wegs sind oder sich innerhalb dieser Prozesse bewegen müssen,
15. 13 Detecon Management Report blue • 2015
um etwas in Bewegung zu setzen. Das muss aber natürlich al-
les von oben flankiert und vom Management getragen werden,
sonst funktioniert es nicht. Und da sind wir wieder bei den
Freiräumen, die man schaffen muss. Das zieht sich durch alles
durch: Ob es die persönliche Arbeitszeit ist, ob das die indivi-
duelle Verfügbarkeit ist, ob das die Art und Weise ist, wie ich
Leute auslaste oder physisch umgebe – es muss immer Bereiche
geben, wo ich dem Mitarbeiter zugestehe, die ganze Sache mal
anders auszuprobieren oder sich persönlich zurückzuziehen und
den Freiraum selbst zu gestalten. Ein Unternehmen muss in
der Lage sein, Ideen mal unkonventionell aufzusetzen, immer
wieder beim Mitarbeiter zu sein und diesem gewisse Freiheiten
zuzugestehen. Da kommt für mich dann unbedingt der Perso-
nalbereich eines Unternehmens ins Spiel. Wenn der Personal-
bereich an dieser Stelle nicht ganz massiv Advokat der eigenen
Mitarbeiter ist, dann wird die Sache relativ schwierig. Meiner
Meinung nach ist die Generierung von Freiräumen und Räu-
men des freien Denkens elementar. Und dabei geht es nicht nur
um physische Räume. Der räumliche Aspekt und dessen Ge-
staltung erleichtert es einem vielmehr, zu erkennen, dass man
hier auch anders denken kann und darf. Er kann ein erstes und
starkes Anzeichen von Veränderung sein und ist zumeist auch
nachhaltiger als ein E-Mail-Memo. Ein sehr sichtbares Zeichen
von Unternehmenskultur, das letztlich dafür sorgen kann, dass
ergebnisorientierte Führung und Flexibilität keine leeren Be-
kundungen sind. Ein erfahrbarer und anfassbarer Beweis für
das gelungene Zusammenspiel vom Management hin zu den
Mitarbeitern.
DMR: Denn schließlich soll es ja ein Konzept für die Mitarbeiter
des jeweiligen Unternehmens sein…
Dr. Zünkeler: Genau. In einer Zeit, in der lineare Prozesse im-
mer mehr auf computergesteuerte Systeme verlagert werden,
geht es für Unternehmen um die Frage: Wie kommen wir auf
neue Gedanken? Und da kommen wir schnell zur Kunst. Für
Künstler ist die Frage nach neuen Gedanken elementar: Wie
werde ich inspiriert? Wie werde ich innovativ? Wie rege ich
meine Phantasie an? Wie schaffe ich Dinge, die begeistern? Das
sind auch Fragen, die sich die Mitarbeiter eines Unternehmens
stellen sollten, um dann herauszufinden, welche Elemente für
sie wichtig sind und nach was sie in einem räumlichen wie auch
kulturellen Umfeld suchen. Erst dann kann etwas entstehen, das
zu einer positiven Atmosphäre und einem guten Umfeld im Un-
ternehmen beiträgt.
DMR: Vielen Dank für die spannenden Einblicke.
Fotos:BerndZöllner
16. 14 Detecon Management Report blue • 2015
SAP holt Kunden zu kreativen Workshops in das AppHaus. Eine Erfolgsgeschichte, wie
Daniel Markwig resümiert. Der Designer, auch liebevoll „AppHausmeister“ genannt,
hat das Haus zusammen mit seinem Team konzipiert. Er gewährt Einblicke in die
Entstehung und Wirkungsweise des Hauses – und weiß um das Glück,
zur rechten Zeit mal nicht im Fokus zu stehen…
Das AppHaus
Interview mit Daniel Markwig,
Chief Instigator und AppHausmeister des SAP AppHaus in Heidelberg
17. 15 Detecon Management Report blue • 2015
DMR: Innovation und Förderung von Kreativität sind in vielen
Unternehmen Top-Themen. Wie sieht das bei SAP aus und welche
Rolle spielt in diesem Zusammenhang das AppHaus?
D.Markwig:WirsindeinTechnologieunternehmen.Innovation
wird bei uns deshalb immer in Verbindung mit technischen
Entwicklungen gesehen. Mitunter ist es schwierig, zu übermit-
teln, dass die tollste Neuentwicklung immer nur so gut ist wie
die Anwendungsfälle, die man dafür findet. Das Team, das das
AppHaus betreibt, ist das Design- und Co-Innovation-Center,
wir machen hier vor allem Co-Innovationsprojekte mit Kunden.
Das Hauptziel liegt deshalb darin, aus einer benutzerzentrierten
Betrachtungsweise angemessene Lösungen für den Kunden zu
finden. Wir betrachten sehr stark den Endnutzer, die Kunden
von Kunden, und versuchen, Anwendungsfälle zu lösen. Dabei
hoffen wir, dass die Lösung möglichst innovativ ausfällt. Hier-
für eignet sich sehr gut ein Design-Thinking-Ansatz. Man muss
zunächst den Problemraum erkunden, um herauszufinden, was
für Probleme wir damit lösen könnten. Dann erst denkt man,
was die konkrete Lösung dafür sein könnte. Könnte es die neue
SAP HANA Datenbank sein oder ein Produkt, das wir seit 20
Jahren haben, oder etwas, was wir ganz neu bauen müssen?
Beim Finden des richtigen Problems hilft uns das AppHaus.
Hier können wir dem Kunden einen Raum bieten, wo er sehr
offen und ungestört darüber reden kann, was er erreichen will.
Der Kunde kann sich sehr stark auf sich selbst fokussieren. Das
ist ein anderer Blickwinkel als ihn viele klassische Verkaufs- oder
Beratungssituationen bieten. Wir sagen nicht, dass wir eine tolle
Lösung haben, die für den Kunden passt, sondern gehen mit
dem Kunden in den Dialog. Das wird durch den Space [Raum
im AppHaus] unterstützt.
DMR: Wird der Kundenkontakt über andere Einheiten von SAP
hergestellt oder akquirieren Sie Ihre Kunden selbst?
D. Markwig: Sowohl als auch. Zirka 60 Prozent unserer Auf-
träge kommen über unsere existierenden Accounts oder über
Board-Anfragen. Für die anderen 30-50 Prozent machen wir
eigenes Business Development und bieten bestimmte Design
Services an. Immer mehr Kunden, mit denen wir vorher keinen
Kontakt hatten, kommen explizit auf ihre Accounts zu und
sagen, dass sie von dem AppHaus gehört haben und mit uns
zusammenarbeiten möchten. Wir werden also immer mehr
angefragt, ohne uns explizit aufdrängen zu müssen. Somit ist
das AppHaus für mich definitiv eine Erfolgsgeschichte.
DMR: Sie hatten gerade Design Thinking als Methodik ange
sprochen. Es gibt klassische Zentren wie das Customer Experience
Design bei Swisscom, die ganz bestimmte Methodiken anbieten.
Wie muss man sich das bei Ihnen vorstellen?
D. Markwig: Definitiv gehen wir methodisch im Sinne von
Design Thinking, User Centered Design und Customer
Co-Innovation vor. Allerdings passen wir unsere Toolbox für
jedes Projekt an – ein Luxus, den wir uns durch ein sehr breites
Skillset im Team leisten können. Positiv ist dabei für uns, dass
wir ein Teil der Produktentwicklungsorganisation, nicht der
Vertriebs- oder Consulting-Organisation sind, und damit kein
Profit Center. Wir können fordern, dass wir zum Beispiel statt
20 Mann-Tage 50 für ein Projekt brauchen. In so einem Fall
haben wir die Möglichkeit, die Differenz zu sponsern. Bei
einem ersten Projekt mit Kunden machen wir das sogar gerne,
um zu beweisen, dass mit einem größeren Investment in Rich-
tung Design und Kunden- oder End-User-Bezug ein besseres
Ergebnis erzielt wird. Hier setzen wir auf den Lerneffekt aus un-
seren vorherigen Projekten. Langfristig muss natürlich das Ziel
sein, eine Awareness zu schaffen. Kunden müssen bereit sein,
mehr in Design und User Experience zu investieren.
DMR: Wie verrechnen Sie das genau?
D. Markwig: Wenn bereits Designer-Tage verkauft wurden,
können wir aus unserem eigenen Topf ein paar zusätzliche
Consulting-Tage des Designers sponsern. Völlig umsonst
arbeiten wir natürlich nicht. Dem Kunden muss klar sein,
dass er Design kauft. Das Design- und Co-Innovation Center,
welches das AppHaus betreibt, ist ein Design-Team innerhalb
der Produktorganisation von SAP. Das heißt, dass wir im Team
Projektmanager und Designer haben, keine eigenen Entwickler.
Natürlich muss unser Vorgehen kostenneutral sein oder, besser
noch, gewinnbringend. Unsere Kernaufgabe ist aber zunächst,
Top Design zu liefern. Im Notfall sponsern wir ein bisschen et-
was dazu, immer langfristig mit dem Ziel im Blick, dass der
Kunde den Mehrwert erkennt und irgendwann bereit ist, dafür
zu bezahlen.
DMR: Sind Sie dabei noch in der Startphase?
D. Markwig: Ja. Das hängt allerdings auch sehr stark vom je-
weiligen Kunden ab. Kunden, mit denen wir schon sehr lange
zusammenarbeiten, sehen durchaus, dass die Qualität der Pro-
dukte besser geworden ist und die Folgekosten der Produkte
geringer werden, seitdem wir diesen neuen Fokus haben. Es ist
ja tatsächlich so, dass man mit einer besseren User Experience
weniger Trainings- und Wartungskosten hat, da insgesamt die
Fehlerrate beim Benutzer sinkt. Es gibt also eine messbare Ver-
besserungen bei einer guten User Experience. Die Kunden mer-
ken natürlich auch, dass dies ein relevanter Punkt ist.
18. 16 Detecon Management Report blue • 2015
DMR: Uns interessieren die Themen Raum, Gestaltung, Arbeits
fläche und wie man es schafft, Mitarbeiter darin „mitzunehmen“.
Wie ist Ihre Erfahrung hinsichtlich dieser Themen bei der Kon
zeption des AppHauses gewesen, vom damaligen Auftrag bis heute?
D. Markwig: Das AppHaus hat eine längere Geschichte, die
2011 in den USA beginnt. Ursprünglich war tatsächlich die
Idee, ein agiles Entwicklungsteam mit allen relevanten Rollen
wie Entwicklern, Designern und Produktmanagern in einem
Start-up-mäßigen Gebäude zusammenzubringen und sie dort
Apps, also kleine Consumer-Produkte, entwickeln zu lassen.
Inzwischen gibt es 13 AppHäuser SAP-weit, die aber alle in-
tern fokussiert sind. Wir hier in Heidelberg sind jetzt das erste
Haus, welches nach außen geht, Kunden einlädt und mit ihnen
hier arbeitet. Wir haben kein Entwicklungsteam, sondern ein
Design-Team. Wenn ich überlege, wie wir hierhin gekommen
sind, war das ein erstaunlich agiler Prozess für SAP. Im Februar
2013 hatten wir fünf oder sechs Leute im Team. Aufgrund des
Board-Auftrags sollten wir wachsen und brauchten mehr Platz,
um mit Kunden zu arbeiten. So entschieden wir uns, ein Pro-
jekt-Space anzugehen. Alles sollte bis zum Einzug im Oktober
2013 stehen – das ist eine sehr kurze Zeit für ein Großunterneh-
men. Wenn es die folgenden drei Bedingungen nicht gegeben
hätte, wären wir gescheitert: Wir hatten erstens eine sehr gute
Unterstützung von unserem COO, der für unseren Teilbereich
zuständig ist. Es ging weniger um Geld, das er uns zur Verfü-
gung gestellt hat, als um das Ausräumen vieler bürokratischer
Hürden. Auch die Vermieter unterstützten uns großartig, in-
dem sie viel von den Bauarbeiten für uns übernommen haben,
vor allem sehr schnell und kurzfristig. Zum Beispiel waren die
Türen weiß lackiert und schon auf den LKW geladen, als wir
gesagt haben, dass wir rote Türen wollen... also lackierten sie
sie noch einmal um. Zweitens hat das Facility Management
von SAP sehr wenig Kontrolle ausgeübt, da sie parallel ein sehr
großes Facility-Management-Projekt in Potsdam laufen hatten,
das Innovation Center von SAP in der Nähe des Hasso-Platt-
ner-Institut. Die kreative Auslegung von Regularien wurde im
Nachhinein schnell durch die Begeisterung von Kunden und
Kollegen relativiert – auch von Facility-Management-Seite
selbst. Die dritte Bedingung, die zum Erfolg beigetragen hat,
war das Engagement und die Eigenleistung, die das Team in
das Projekt eingebracht hat. Wir haben nicht nur alle Entschei-
dungen selbst getroffen, vom Bodenbelag bis zum Verlauf der
Stromleitungen, sondern auch viele Möbel selbst gebaut. Das
war letztlich der ausschlaggebende Faktor für die große Begeis-
terung im Team und bei den Stakeholdern. Es war sehr unge-
wöhnlich für das, was man von SAP erwartet hätte.
DMR: Wie sahen die Absprachen mit Ihnen als Projektleiter aus?
D. Markwig: Wir haben drei zentrale Personen im Team, die
immer die Fäden beisammen gehalten haben, nämlich unseren
People Manager, mich als Projektleiter und eine Mitarbeite-
rin, die sich sehr stark für den Raum engagiert hat. Es ist aber
tatsächlich so, dass wir in einer agilen Art und Weise immer
wieder Retrospektiven gemacht haben. Dann haben wir das
Team gefragt, wie sie sich fühlen, was gut funktioniert hat und
was man verbessern könnte. Im Team hat dann beispielswei-
se irgendjemand gesagt, dass wir ein Bücherregal haben sollten
oder Sitzbänke für den Workshop-Raum. Dann hat die Per-
son, die diese Idee hatte, ein Miniprojekt daraus gemacht, um
dies umzusetzen. So ist auch der Sheherazade-Raum mit seiner
1001Nacht-Atmosphäre entstanden. Das Team sollte sich selbst
verwirklichen und ein eigenes Zuhause schaffen. Wir nennen
das „Sense of Ownership“: Menschen das Gefühl zu geben, dass
sie in ihrer eigenen Welt arbeiten. Fast jeder Mitarbeiter ver-
bringt mehr Zeit in seinem Büro oder bei der Arbeit als in sei-
nem eigenen Wohnzimmer. Warum also sollten die Mitarbeiter
nicht auch Einfluss auf die Arbeitsumgebung haben? Natürlich
können wir nicht total wild werden, aber bislang haben wir von
unseren Gästen und Mitarbeitern das Feedback bekommen,
dass sie sich wohlfühlen – und das ist ja letztlich das, was wir
vermitteln wollen.
DMR: Wie haben Sie es geschafft, den Sozialpartner mit ins Boot
zu holen?
D. Markwig: In der zweiten Woche bekamen wir Besuch von
einer Abordnung des Betriebsrates. Sie war explizit mit dem An-
liegen hergekommen, uns vor dieser Location zu retten, da es ein
Großraumbüro ohne eigene Kantine ist, weit weg vom Campus,
damals noch nicht mal mit eigenen Parkplätzen... Diese Erwar-
tungen entsprechen vielleicht dem klassischen SAP-Mitarbeiter.
Unser Team ist hier jedoch glücklich und muss nicht gerettet
werden. Im Laufe der Diskussion haben wir die Betriebsratsver-
treter gebeten, in den Arbeitsbereich der Teams zu gehen und
die Kollegen direkt zu fragen, ob sie sich wohlfühlen. Das hat in
der Diskussion sehr stark die Perspektive geändert. Wir haben
angefangen darüber zu reden, wie man das, was wir hier gelernt
haben, vielleicht auch mit nach Walldorf [Hauptsitz von SAP]
bringen kann.
DMR: Das ist eine wichtige Frage: Wie schafft man es, ein Kon
zept auf den Konzern zu übertragen? Was sind aus Ihrer Sicht die
Erfolgsfaktoren?
19. 17 Detecon Management Report blue • 2015
D. Markwig: Aus meiner Sicht sind mehrere Faktoren wich-
tig. Das Team in solch eine Umgestaltung einzubeziehen, ist für
mich auf jeden Fall einer davon. Ich verstehe, dass man nicht
jedem Team beliebige Freiheit geben kann, dass es gewisse Re-
gularien geben muss und dass sich auch nicht jeder in dem
Maße involvieren möchte, in dem wir das gemacht haben. Die
Mitarbeiter in unserem Team sind es einfach gewohnt, physisch
mit ihrer Umwelt zu interagieren, nicht nur am Bildschirm. Für
sie war es völlig normal, sich zum Beispiel ein Regal zu bauen.
Wir haben bei SAP in verschiedenen Projekten gelernt, dass ein
iteratives Vorgehen sehr viel hilft. In Walldorf haben wir vor
einigen Jahren Räume in Zusammenarbeit mit einem sehr re-
nommierten Möbelhersteller gestaltet. Es sind sehr schöne Räu-
me geworden, aber leider haben sie am Anfang nicht so genau
den Teams entsprochen, die die Räume nutzen wollten. Dem-
entsprechend war der Aufwand groß, die Räume wieder anzu-
passen. Ich kann mir vorstellen, dass man nicht so viel nachbes-
sern hätte müssen, wenn man am Anfang stärker mit dem Team
gearbeitet hätte. Eine anderer Faktor ist, dass interne Funkti-
onen von Firmen, sei es IT oder Facility Management, nicht als
Service Organisation gesehen werden, sondern als Governance
Organisation. Eigentlich erwarten wir aber in einem Team wie
unserem, dass Facility Management eine Service Organisation
ist. Sicherlich muss man in Zukunft darüber nachdenken, ob
sich solche Organisationen nicht auch stärker einen kundenori-
entieren Ansatz zu eignen machen müssen.
DMR: Wir sehen hier eine gute Möglichkeit für das Facility
Management, sich zu emanzipieren und weg von der reinen
Effizienzoptimierung einer Immobilie hin zu dem Angebot einer
eigenen Beratung zu kommen, die optimal bei der Gestaltung einer
Umgebung begleitet. Das ist jedoch noch eine schwierige Diskussion
im Moment.
D. Markwig: Meiner Meinung nach ist das auch eine Genera-
tionenfrage. Wir sehen, dass viele Mitarbeiter des Facility Ma-
nagements, gerade der höheren Ebenen, verstehen, dass sie sich
ändern müssten. Aber wie in jeder Firma gibt es dann natürlich
auch Personen in den mittleren Schichten, die ihre Fürstentü-
mer schützen. Sie haben häufig eine sehr klare Vorstellung da-
von, wie die Sachen laufen müssen. Ich kann mir vorstellen,
dass man zumindest langfristig durchaus eine sehr gute Bezie-
hung zwischen den Services herstellen kann, die wir in einer
Consulting-Funktion durch unser Facility Management anbie-
ten können. Wir sehen, dass unser Space, gerade weil er anders
ist, eine besondere Wirkung auf Kunden hat. Diesen Zusam-
menhang müsste man sich auch ein wenig zu eigen machen und
ausnutzen, um innerhalb einer Firma etwas zu bewegen.
DMR: Die Gestaltung von Räumlichkeiten ist vermutlich ein stetig
andauernder Prozess?
D. Markwig: Ja, natürlich. Es ist außerdem sehr wichtig, dass
man immer darüber diskutiert, was man damit erreichen will.
Das ist eine Frage, die das Facility Management sehr häufig mit
„Geld sparen!“ beantwortet. Aber manchmal möchte ich doch
vor allem den Kunden überraschen oder ein besonders gutes
Arbeitsumfeld bieten oder Kreativität und Kommunikation
fördern oder die Produktivität von Software Entwicklern ver-
bessern. Das Nachdenken über diese spezifischen Ziele des kon-
kreten Raumes findet im Moment noch nicht statt. Wenn man
aber dahin käme, entfiele auch das Problem, dass man möglichst
etwas Neues haben will. Denn dann habe ich die Möglichkeit,
mich in diesem Rahmen weiter zu etablieren und meine Anfor-
derungen zu erfüllen, indem ich ab und zu etwas ändere.
DMR: Wie kann das Umfeld, gerade in Hinblick darauf, was Sie
hier geschaffen haben, kreative Prozesse unterstützen?
D. Markwig: Wir haben drei Schlagwörter, die wir positio-
nieren. Erstens das Enablement: Wir ermöglichen es den Leu-
ten, handwerklich kreativ zu werden, indem wir im Sinne von
Design-Thinking konzipierte Arbeitsplätze bieten, mit viel
Whiteboard-Flächen, mit Stehtischen und mit einer gewissen
Flexibilität. Zweitens bieten wir Inspiration, indem wir einen
Workshop-artigen Space haben, der zeigt, dass hier wirklich
Hands-on gearbeitet wird. Es ist kein Konferenztisch, an dem
einer präsentiert und die anderen einfach konsumieren, sondern
hier wird tatsächlich eine Atmosphäre der Zusammenarbeit er-
zeugt. Das dritte Stichwort ist die Permission, also die Erlaub-
nis, etwas zu tun. Die Leute trauen sich häufig nicht, etwas zu
verändern. Da hier alles beweglich ist und unfertig aussieht,
erzeugt es eine Atmosphäre von „Lass uns doch einfach mal et-
was ausprobieren!“. Das bezieht sich nicht nur auf den Raum,
sondern auch auf den Inhalt der Arbeit. Die Kunden, die wir
hierher einladen, sind eher bereit, einfach mal etwas Wildes
oder Verrücktes ausprobieren. Sie kommen mit der Erwartung,
dass eine Präsentation gezeigt wird – sehr schnell werden dann
aber die Ärmel hochgekrempelt, die Krawatten fliegen in die
Ecke [lacht]. Wir zwingen die Leute, sich den Raum zu eigen
zu machen, und stecken sie in Gruppen, die sie nicht erwarten
würden. Dadurch sehen die Leute die Hierarchien nicht mehr.
Wir hatten kürzlich einen Workshop mit einem großen Unter-
nehmen, an dem vom End User bis zum Vorstand Leute aus
unterschiedlichsten Hierarchieebenen teilnahmen. Das Span-
nende war, dass sie zum Teil nicht wussten, mit wem sie zu-
sammenarbeiten, also erst am Ende des Tages erfuhren, dass sie
20. 18 Detecon Management Report blue • 2015
Daniel Markwig ist Projektleiter für
das AppHaus in Heidelberg im Design &
Co-Innovation Center der SAP SE. Er hat
Maschinenbau an der TU Kaiserslautern
und Integral Design an der Staatlichen
Akademie der Bildenden Künste in Stutt-
gart studiert und arbeitet seit 2005
bei SAP als Designer. Dort gestaltete
er Benutzeroberflächen für Business
Software, war einer der ersten Design
Thinking Coaches, begleitete die Einfüh-
rung von agilen Software Entwicklungs-
methoden und arbeitete mit SAP-Kunden,
um Produktideen zu entwickeln und zu
implementieren. Derzeit ist er für die stra-
tegische Weiterentwicklung des AppHaus-
Konzepts innerhalb der SAP zuständig.
http://experience.sap.com/designservices/apphaus
21. 19 Detecon Management Report blue • 2015
mit einem Board Member zusammengearbeitet haben – und sie
diese Person ganz normal geduzt haben. Dadurch erreicht man
eine andere Art von Kommunikation und einen anderen Fluss
von Information im Rahmen eines Projekts. Beim Aufbrechen
von Strukturen ist mir wichtig, dass wir Leute überraschen. Dies
muss nicht unangenehm sein, im Gegenteil, es ist meiner Er-
fahrung nach für die Leute eine sehr angenehme Situation, in
die sie gebracht werden: Sie können Verantwortung abgeben,
einfach mit dem Flow gehen, sind nicht in der Position, unbe-
dingt liefern zu müssen, sondern können die Situation einfach
auf sich wirken lassen. Wir helfen ihnen damit, eine andere Per-
spektive einzunehmen. Wichtig ist, dass sie sich dabei wohlfüh-
len, sonst funktioniert es nicht.
DMR: Wie schaffen Sie es, jemanden so aus der Komfortzone zu
ziehen, dass es für ihn nicht unangenehm ist?
D. Markwig: Häufig passiert das automatisch. Die Leute sind
so überrascht von dem, was man hier mit ihnen macht, dass sie
einfach alles auf sich zukommen lassen, da sie zu diesem Zeit-
punkt auch noch nicht verstehen, was man von ihnen will. Sie
schlüpfen für den Moment in eine andere Rolle, sollen alles ver-
gessen, was sie heute Morgen noch wussten, und anfangen, an-
ders darüber nachzudenken. Wir wissen natürlich, die Personen
später wieder in ihre alten Rollen zurückgehen. Für diesen einen
Tag ist es aber wichtig, einmal anders zu denken.
DMR: Wie bleibt so etwas nachhaltig bestehen? Kann man mit
Blick auf das gesamte Unternehmen einen Spirit erzeugen und
etwas an der Kultur ändern?
D. Markwig: Für uns steht das Thema Space nicht alleine.
Für uns sind People, Process und Space genau die Themen,
die zusammen passen müssen. Wir brauchen ein Team sowie
ein People und Change Management, das uns befähigt, diesen
Space optimal zu nutzen. Wir wollen einen bestimmten Prozess,
der auf Design Thinking und Endnutzer fokussiert ist, den wir
durch das Team durchführen lassen und durch den Space unter-
stützen können. Wir wollen dem Team mit dem Space ein zu
Hause geben. Das ganze Denken des Facility Managements, wie
ich es vorhin beschrieben habe, muss sich ändern. Es ist wich-
tig, eine Zielorientierung zu haben. Dann kann ich mit meinen
Leuten daran arbeiten, diese auch umzusetzen. Das ist exakt das
Neue, das vorher nicht da war: Die Teams können mit daran
arbeiten, was wir eigentlich haben wollen. Dabei ist es natürlich
wichtig, die Grundidee beim Design Thinking zu sehen: Du
darfst die Leute nicht fragen, was sie wollen, sondern Du musst
herausfinden, was sie brauchen.
DMR: Das Thema Innovationskultur ist im Moment sehr stark
gefragt, auch die Frage nach Intrapreneurship. Viele Formate
versanden jedoch schnell, weil eine große Organisation nie den
Atem hat, einen krassen kulturellen Wandel durchzustehen. Wie
sehen Sie das?
D. Markwig: Ich denke, dass große Organisationen in einer be-
stimmten Art und Weise aufgesetzt sind und auch immer genau
so funktionieren werden. Selbst Unternehmen wie Apple sind in
den Bereichen, in denen sie produzieren, auf Optimierung von
dem ausgelegt, was sie bereits machen. Die Innovationskraft
ist sehr punktuell. Trotzdem glaube ich, dass man Sachen, die
man hier ausprobieren kann und lernt, in den Konzern tragen
kann. Wir sehen im Moment, dass auch kleine Veränderungen
in der breiten Organisation ausgerollt werden, dass die Leute
mehr Einfluss auf ihre eigenen Räumlichkeiten ausüben kön-
nen, dass sie versuchen, Transparenz zu erzeugen. Zumindest
sind Kleinigkeiten machbar. Organisationen müssen verstehen,
dass ihre Mitarbeiter ihr Kapital sind und man ab und zu etwas
tun muss, um den Mitarbeitern das Leben leichter zu machen.
Das vermisse ich häufig. Bei uns habe ich nicht das Gefühl, dass
die Leute völlig außen vor gelassen werden, aber von Kunden
höre ich häufig, dass Mitarbeiter nur als Kostenfaktor gesehen
werden. Das ist eine falsche Herangehensweise.
DMR: Ein „Big Bang“ funktioniert also nicht, sondern eher kleine,
aber durchaus sichtbare Veränderungen, die man kontinuierlich
einbringt und die eher gespeist sind durch grassroots-Initiativen als
durch ein großes Vorstandsprogramm?
D. Markwig: Es ist natürlich immer gut, weit oben Verbün-
dete zu haben. Aber um langfristig Erfolg zu haben, ist etwas,
das langsam, vielleicht sogar unbemerkt, in die Organisation
sickert, nachhaltiger und damit von Vorteil. Wir reden ja von
einem kulturellen Wandel, diesen gibt es nie als „Big Bang“.
Wenn man Revolutionen analysiert, sieht man, dass diese ent-
weder schon sehr lange brodelten oder sehr schnell wieder in das
zurück fallen, was vorher war. Eine solide Evolution ist nicht das
Schlechteste.
DMR: Vielen Dank für die spannenden Einblicke.
22. 20 Detecon Management Report blue • 2015
Nicht immer ist die Bezifferung der monetären Ersparnis das bestmögliche Projekt-
ergebnis. Das KAIZEN-Prinzip zeigt, wie Berater auf eine nachhaltige Verbesse-
rungskultur hin arbeiten können – ganz im Sinne des Kunden.
Über die Entfaltung des Potenzials
von KAIZEN und die Implementierung
in das alltägliche Projektgeschäft
KAIZEN – Beyond Process Optimization
ie Methodenvielfalt in der Prozessoptimierung gleicht
einem Dschungel, der zunehmend undurchdringbarer wird.
Der Hauptfokus der gängigen Methoden zielt stets darauf ab,
die Elemente Qualität, Zeit, Kosten und Ressourcen in ein
optimales Gleichgewicht zu bringen. Unternehmen müssen
dementsprechend ihre Fragestellungen und Zielsetzungen in
der Prozessoptimierung gegen die zur Verfügung stehenden
Methoden spiegeln, um die Leistung ihres Unternehmens zu
steigern und ihre Verbesserungspotenziale auszuschöpfen.
Eine Vielzahl der Optimierungsprojekte zielt dabei aber nicht
auf eine nachhaltige Verbesserungskultur ab. Dies ist wenig ver-
wunderlich, haben sie doch zumeist den klaren Auftrag, schnell
Erfolge zu zeigen. Die Folge sind Maßnahmen, die in kürzester
Zeit, mit geringem finanziellen Investment und möglichst ohne
große Veränderungen umgesetzt werden sollen, um nicht die
eigene Veränderungsbereitschaft auf die Probe zu stellen. Es
gilt jedoch vielmehr, eine permanente Optimierungskultur zu
schaffen, in der die Abwendung vom Status Quo sowie die Sen-
sibilisierung und Integration aller betroffenen Mitarbeiter expli-
zit gefordert ist.
D Diese Herausforderung stellt sich auch in vielen Beratungspro-
jekten. Insbesondere große Konzerne investieren eher in kom-
plexe Strategieprojekte mit einer großen Zielvision, während
direkt umsetzbare Verbesserungsmaßnahmen zumeist unbe-
achtet bleiben. Dabei müssen sich top-down Vorgehensweise
innerhalb komplexer Projekte und konkrete, pragmatisch um-
setzbare Optimierungen bottom-up nicht ausschließen. Gerade
in strategischen Transformationsprojekten, Restrukturierungs-
maßnahmen oder im Rahmen der Harmonisierung komplexer
IT-Landschaften muss es das Ziel sein, eine Arbeitskultur zu
schaffen, in der Prozessstörungen nicht mehr einfach akzeptiert,
sondern diskutiert und proaktiv Verbesserungsmaßnahmen er-
griffen werden. Und genau an dieser Stelle kann das KAIZEN-
Prinzip der kontinuierlichen Verbesserung sein volles Potenzial
entfalten.
Effizienz durch Kulturwandel
KAIZEN (Kai = Veränderung, Zen = zum Besseren) ist eine
japanische Managementphilosophie, die auf die Identifizierung
sowie Vermeidung von Fehlern und Ineffizienzen im Unterneh-
KAI – Change ZEN – Good
23. 21 Detecon Management Report blue • 2015
men abzielt und klaren Grundprinzipien folgt. Im Fokus stehen
hierbei nicht die großen Innovationen, sondern die Vielzahl
an Verbesserungsvorschlägen, die sich aus der Einbindung al-
ler Mitarbeiter ergeben. Wesentlich sind hierbei deren schnelle
Umsetzung und die Sichtbarkeit der Erfolge.
Die Lösung liegt darin, Verschwendung sehen zu lernen, Hand-
lungsspielräume zu nutzen und Verantwortung zu übernehmen.
Dieser Ansatz muss implizit in das Beratungsgeschäft einge-
bracht werden, indem die KAIZEN-Kultur im Beratungsalltag
verankert und geeignete Elemente sowie Methoden im Sinne
des Kunden adaptiert werden. Die KAIZEN-Philosophie muss
den Berater im alltäglichen Projektgeschäft begleiten. Dabei
erfolgt ein permanenter Erfahrungsaustausch und Know-how-
Transfer hinsichtlich der Vorgehensweise zur Identifizierung
und Umsetzung von Optimierungspotenzialen nach KAIZEN.
Dies gilt sowohl im Projekt vor Ort für die Prozesse innerhalb
der Unternehmen als auch für die eigenen Projektmanagement-
und Supportprozesse. Nach dem Ambassadorenprinzip wird
dadurch der Kunde für Verschwendung sowie pragmatisch um-
setzbare Verbesserungspotenziale sensibilisiert und der erforder-
liche Kulturwandel unterstützt. Über Ineffizienzen und Fehler
sowie potenzielle Lösungsalternativen muss diskutiert werden
dürfen. Erst wenn die bewusste Auseinandersetzung mit den
Ursachen der Verschwendung möglich ist, kann die notwendige
permanente Optimierungskultur entstehen.
Leben Beratungsunternehmen nicht genau von der
Verschwendung ihrer Kunden?
Es mag absurd klingen, dass ein Beratungsunternehmen nicht
nur auf die große Gesamtlösung für den Kunden fokussiert,
sondern mit kleinen pragmatischen Schritten anhand einer be-
reits seit Mitte der 1980er Jahre angewendeten Methode Ver-
schwendung im Unternehmen abschaffen möchte. Der Grund
liegt jedoch auf der Hand – es ergibt sich hier eine klare Win-
Win-Situation.
Im Unternehmen selbst entsteht mit dem „Erleben“ der kon-
kreten Verbesserungen von der eigentlichen Identifizierung
der Prozessstörung bis zur Umsetzung entsprechender Verbes-
serungsmaßnahmen eine neue Arbeitskultur, die auch nach
dem Ende der Beratungsprojekte nachhaltig bestehen bleibt
Jeder Mitarbeiter wird dahingehend sensibilisiert, die eigenen
Arbeitsabläufe kontinuierlich zu hinterfragen und mit kleinen
Schritten im eigenen Wirkungskreis kurzfristig zu verbessern
beziehungsweise nach Optimierungspotenzial zu suchen. Dieses
Potenzial muss als Chance betrachtet werden, die Verschwen-
dung in Arbeitsschritten zu reduzieren.
Klassische Fragen sind zum Beispiel:
• Was mache ich wann, wie lange, wie oft und vor allem
warum?
• Was ist das Ziel meiner Handlung? Erreiche ich meine
Ziele in dem Arbeitsschritt?
• Wie kann ich Aufwand in Arbeitsschritten reduzieren?
Wie kann ich den Ertrag der Arbeitsschritte erhöhen?
• Welche Arbeitsschritte sind nicht zielführend,
redundant oder sehr arbeitsintensiv, und warum ist das so?
Dies fördert die Auseinandersetzung und Identifikation der
Mitarbeiter mit ihren Aufgaben, führt zu mehr Eigenverant-
wortung bei den Mitarbeitern und letztendlich auch zu einer
höheren Mitarbeitermotivation und -zufriedenheit. Motivierte
und zufriedene Mitarbeiter wiederum zeigen eine höhere
Leistungsbereitschaft.
Aus komplexeren Herausforderungen, welche nicht auf Arbeits-
ebene in kurzer Zeit optimiert werden können, ergeben sich
langfristige Handlungsoptionen, die strukturiert in die weitere
Geschäftsentwicklung und in langfristige Verbesserungsmaß-
nahmen eingebracht werden können.
Auf der anderen Seite entsteht neben der effizienteren Projektar-
beit eine neue Qualität hinsichtlich der Kundenbindung. Durch
kurzfristig realisierte Quick Wins wird das Vertrauen in den
Erfolg der aktuellen Zusammenarbeit gesteigert, die zugespro-
chene Kompetenz und Reputation erhöht. Die komplexeren
Handlungsoptionen können dadurch in eine langfristige und
nachhaltige – für beide Seiten gewinnbringende – Zusammen-
arbeit münden.
KAIZEN zielt auf langfristige Effekte
Die positiven Effekte der kontinuierlichen Verbesserung nach
dem KAIZEN-Prinzip sind in der Regel nicht immer monetär
eindeutig bewertbar. Dies gilt insbesondere für die Service- und
Dienstleistungsbranche, in der die Prozesse häufig hochintegra-
tiv und komplex sind und hohe Anforderungen an ihre Flexi-
bilität gestellt werden. Es geht jedoch auch nicht darum, die
jeweiligen Einzelmaßnahmen oder auch die Verbesserungen in
ihrer Gesamtheit in einer monetären Ersparnis zu beziffern. Es
geht darum, eine Unternehmenskultur zu schaffen, in der lang-
fristig durch viele kleine punktuelle Optimierungen bei relativ
geringen Invests implizit die Leistungsfähigkeit und Kunden
orientierung des Unternehmens gesteigert wird.
24. 22 Detecon Management Report blue • 2015
„Ideen entstehen aus
Inspirationen und Austausch“
Interview mit Jens Bode, International Foresight +
Innovation Manager, Henkel Laundry & Home Care
25. 23 Detecon Management Report blue • 2015
Innovationskultur@Henkel: Permanente Neugierde sieht Jens Bode
als Grundlage für den Erfolg. Mit dem DMR BLUE sprach er über die
Erfolgsfaktoren für Kreativität und wettbewerbsfähige Innovationen.
D MR: Henkel ist ein Unternehmen, das sich in einem sehr
starken internationalen Wettbewerb befindet. Welchen Stellenwert
spielt in diesem Kontext „Innovation“ für Henkel, insbesondere
auch im Hinblick auf die Themen Effizienz und Wachstum?
J. Bode: Innovationen sind für Henkel von zentraler Bedeutung.
Sie sind in dem globalen Wettbewerbsumfeld, in dem wir uns
befinden, ein wesentlicher Treiber für Wachstum und Profitabi-
lität und ein integraler Bestandteil unserer Unternehmensstra-
tegie. Nur mit neuen Entwicklungen bleibt ein Unternehmen
wettbewerbs- und somit zukunftsfähig. Das Thema Effizienz
ist bezogen auf unsere Innovationsprozesse wichtig. Die einge-
setzten Tools werden immer wieder geprüft: Wo gibt es Verein
fachungspotenzial, wo gibt es Denk-Paradigmen und Innova
tionsbarrieren, wo und wie können wir Prozesse beschleunigen?
Hier gilt es, das kreative Potenzial auch zu nutzen, Lernkurven
in unsere Prozesse und Werkzeuge zu integrieren und auf allen
Ebenen noch effizienter zu werden.
DMR: Hat sich der Umgang mit dem Themenkomplex „Innova
tion“ bei Henkel über die Jahre verändert? Ich kann mich noch an
einen Ansatz erinnern, der vor zirka zehn Jahren einen starken
Fokus auf „Think Tanks“ und ein starkes Innovationsdepartment
gelegt hat. Steht dies heute noch immer im Mittelpunkt?
J. Bode: Sie sprechen den ThinkTank Invent an. Ein Team von
sieben internationalen Managern hat für sechs Monate aus-
schließlich innoviert und war komplett freigestellt. Das Ergeb-
nis waren neben den Softfacts wie Teambildung und -spirit auch
ungewöhnliche Ideen, die insbesondere jenseits der klassischen
Kategorien innoviert wurden. Trotz des hohen Maßes an neuen
Ideen haben wir jedoch festgestellt, dass der Transfer in das ope-
rative Business nicht einfach war. Die Learnings daraus wurden
dann in nachfolgende Prozesse integriert und sehr stark mit den
operativen Strukturen und Einheiten verknüpft.
DMR: Wie ist der Innovationsprozess bei Henkel strukturiert und
organisatorisch verankert? Gibt es ein zentrales Department für In
novationen?
J. Bode: Es gibt kein Corporate Innovation Management auf
Konzept- und Produktebene. Henkel hat mit Beauty Care,
Laundry & Home Care und Adhesive Technologies drei Un-
ternehmensbereiche mit unterschiedlichen Herausforderungen
und Innovationsansätzen. Bei Laundry & Home Care arbeiten
wir beispielsweise mit einem Tool, bei dem sich alle Manager
auf globaler Ebene mit Ideen und Konzepten in den Kreativ-
prozess einbringen können und sollen. Operativ, von Seiten
des Marketings, gibt es parallel einen intensiven, strukturierten
Ideation- und Innovationprozess: Guided Creativity. Hier wer-
den die unterschiedlichen „Insight Nuggets“ aus Consumer In-
sights, Trends und Technologietrends zu neuen Ansätzen kom-
biniert und bewertet.
DMR: Stichwort Kreativität: Um die Innovationskraft eines
Unternehmens zu erhalten, ist es wichtig, laufend die Kreativität
von Mitarbeitern zu fördern, um insbesondere auch attraktiv für
den Markt der High Potentials zu sein. Wie gelingt Ihnen dies?
J. Bode: Stellen wir immer die gleichen Fragen an die gleichen
Kollegen, entstehen gleiche Ideen – dies wäre nicht zielführend.
Ideen entstehen immer aus Inspirationen und im Austausch mit
Menschen – intern wie extern. Dabei profitieren wir nicht nur
von unserem internen diversen Team, wir wissen auch um das
Talent und die Kreativität von Experten außerhalb des Unter-
nehmens. Deshalb setzen wir auf ‚Open Inovation‘, das heißt auf
die Einbindung von externen Innovationspartnern wie Univer-
sitäten und Studenten, Forschungsinstituten, Lieferanten oder
Kunden. Persönlich nutze ich für Workshops jede verfügbare
Quelle, intern wie extern. Ich schaue mir zum Beispiel intensiv
Micro- und Macrotrends aus dem Henkel-Umfeld an, Trends
aus parallelen Märkten wie Food, Automotive und Architek-
tur. Dazu pflege ich ein Netzwerk mit Trendscouts und den
unterschiedlichsten kreativen Talenten. Intern kombinieren die
Teams ihre Expertise mit internen und externen Inspirationen.
Bildbeschreibung linke Seite:
Inspirations- und Innovationsraum in Form einer überdimensionalen Waschmaschine.
26. 24 Detecon Management Report blue • 2015
Erfolgsfaktoren:
Jens Bode, International Foresight + Innovation Manager
Eine Innovations-Vision!
Ein diverses und „buntes“ Team – in allen Dimensionen.
Ein nachhaltiger Innovationsprozess.
Tools, in die sich auch die Kollegen mit ihren kreativen Talenten
einbringen können, die nicht gerade direkt im Headquarter sitzen.
Offenheit für jegliche Art der Inspiration.
Kreativzonen und -räume, mentale Freiräume.
Transparenz und Verfügbarkeit von Informationen.
Ein wertschätzendes und motivierendes Umfeld.
Ein pragmatischer Bewertungsansatz von Ideen.
Die Fähigkeit, sich und die Tools immer wieder zu challengen
und zu optimieren. Lernkurven umsetzen!
Machen! Und Erfolge feiern.
27. 25 Detecon Management Report blue • 2015
DMR: Sofern wir von Innovation im Allgemeinen sprechen: Sie
haben über die letzten Jahrzehnte intensiv mit dem Themenkom
plex „Innovation“ zu tun gehabt. Was sind die wichtigsten Erfolgs
faktoren für ein innovatives Unternehmen, was zeichnet ein inno
vatives Unternehmen aus?
J. Bode: Eine lebendige Innovationskultur ist die wichtigste
Grundlage. Dabei sollte ein diverses Team aus Mitarbeitern so-
wie externen Stakeholdern als Ideengeber einbezogen werden.
Weitere Voraussetzungen sind aus meiner Sicht eine konkrete
Vision beziehungsweise Innovationsstrategie. Auch die richtige
Balance zwischen Freiheit und Offenheit einerseits und einer
gewissen “Ordnung” andererseits ist entscheidend, um krea-
tive und innovative Prozesse in einer effizienten und effektiven
Form zu gewährleisten. Systematische Tools sollten den Inno-
vationsprozess sinnvoll unterstützen. Weiterhin ist das Thema
Nachhaltigkeit ein wesentlicher Erfolgsfaktor: Henkel hat in
diesem Zusammenhang ein Evaluierungssystem – den Henkel-
Sustainability#Master® – entwickelt, um entlang der Wertschöp-
fungskette sowie in den strategischen Fokusfeldern Hotspots zu
identifizieren, an denen sich Innovationen am stärksten aus-
wirken. Um sicherzustellen, dass Innovationen das allgemeine
Nachhaltigkeitsprofil der Produkte und Prozesse verbessern,
muss Henkel deren gesamten Lebenszyklus berücksichtigen.
Henkel-Experten benutzen den Henkel-Sustainability#Master®
nicht nur zur Bewertung potenzieller Innovationen, sondern
auch im Dialog mit Einzelhandelspartnern, NGOs und ande-
ren Stakeholdern.
DMR: … und was schadet aus Ihrer Sicht der Kreativität und
Innovationskraft?
J. Bode: Allen voran ein fehlendes inspirierendes und motivie-
rendes Umfeld. Keine oder zu technokratische Prozesse, unde-
finierte Schnittstellen oder fehlende Freiräume sind ebenfalls
Innovationsbarrieren.
DMR: Noch einmal zurück zum Thema „Prozesse“: Sie haben bei
Henkel mit Sicherheit ein Ideenmanagement. In wieweit ist sicher
gestellt, dass diese im Innovationsprozess Berücksichtigung finden?
Welche Anreizstrukturen sind hier geschaffen und wie werden die
Ideen bewertet?
J. Bode: Mit dem Ziel, die Kreativität und das Ideenpotenzial
aller Mitarbeiter für Neuerungen und Innovationen zu nutzen,
wird das Ideenmanagement bei Henkel stark gefördert. So haben
Mitarbeiter die Möglichkeit, eigene Verbesserungsvorschläge
einzubringen und auch umzusetzen. 2012 gingen beispielsweise
knapp 5.200 Verbesserungsvorschläge beim Ideenmanagement
in Deutschland ein – knapp ein Viertel der Mitarbeiter hat ei-
nen oder gleich mehrere Vorschläge eingereicht, von denen 69
Prozent auch in die Tat umgesetzt und mit Prämien honoriert
wurden.
DMR: Und noch eine abschließende Frage: Was sind aus Ihrer
Sicht zukünftig die größten Herausforderungen für einen Großkon
zern, um innovationsfähig zu bleiben? Wird sich aus Ihrer Sicht
hier etwas durch neue Marktplayer oder die rasche digitale Trans
formation ändern?
J. Bode: Hier gibt es einige Herausforderungen. Im Kontext von
Innovationen ist es ein großes Thema, Trends in allen Dimen-
sionen permanent zu scannen und zu bewerten. Einige Firmen
und frühere Marktführer, die Trends nicht erkannt, unterbewer-
tet oder ignoriert haben, gibt es nicht mehr. Da schließt sich der
Kreislauf aus Inspiration, Offenheit, Kommunikation, nach
haltigen Prozessen, Diversity und unternehmerischer Weitsicht.
DMR: Vielen Dank für das Gespräch.
28. 26 Detecon Management Report blue • 2015
Interview mit Dr. Heinrich Arnold,
Leiter Telekom Innovation Laboratories, Deutsche Telekom AG
To boldly go where
Telekom has
not gone before!
Dr. Heirich Arnold
Ulf Korsch
Cem Ergün-Müller
29. 27 Detecon Management Report blue • 2015
DMR: T-Labs hat dieses Jahr sein zehnjähriges Bestehen gehabt
und dies gebührend gefeiert. Nennen Sie uns die Highlights der
letzten Jahre!
Dr. H. Arnold: Ich verspüre schon so etwas wie Stolz aus un-
terschiedlicher Motivation. Zum einen bin ich stolz auf die Pi-
oniertätigkeit der Kollegen in den T-Labs. Meistens waren wir,
bevor die Deutsche Telekom ein neues Geschäft aufgesetzt hat,
als Pioniere unterwegs. Das Feld wurde durch unsere Leute be-
reitet. Sowohl als es um die Intelligent Networks der T-Systems
ging oder aktuell um einen neuen Ansatz innerhalb der EU, um
Kommunikation auf eine disruptiv preiswerte Basis zu stellen.
Es ist eine beachtliche Leistung der Kollegen, sich thematisch
dahin vorzuwagen, wo die Telekom noch nicht ist. Dazu gehört
Mut, ein scharfer Richtungsblick, Gestaltungsdrang und fach-
liche Kompetenz.
Der zweite Punkt, auf den ich stolz bin, ist der mit dem höch-
sten wirtschaftlichen Effekt: Immer dann, wenn Standards von
globaler Tragweite gesetzt werden, wie es zum Beispiel bei 4G
der Fall war, sind die Patentpools hunderte Millionen Euro wert.
Um in diese Patentpools hinein zu arbeiten, muss man mit einer
Reihe von Kollegen aus Partnerabteilungen im Konzern – von
den Abteilungen, die sich mit Patenten befassen, bis hin zu den
Standardisierungskollegen – zur richtigen Zeit am richtigen Ort
mit den richtigen Kompetenzen sein.
Der dritte Punkt ist, dass wir als Deutsche Telekom das globale
Geschehen durchaus mitbestimmen können. Da kommen so
unkonventionelle Vehikel daher wie die Mozilla Foundation,
die zur Fertigstellung des ersten Firefox Betriebssystem Releases
aus Kalifornien nach Berlin reisen und gezielt unseren Beitrag
suchen!
Der vierte Punkt ist ein persönlicher: Ich finde es immer wieder
beeindruckend, wenn in meiner direkten Nachbarschaft Men-
schen in Themen Arbeit finden, die einmal in den T-Labs ihren
Ausgang nahmen und jetzt im täglichen Leben ankommen.
C. Ergün-Müller: Mein Highlight ist, dass wir uns von einer
reinen Forschungsentwicklungsabteilung in Zusammenarbeit
mit unseren Lehrstühlen über die letzten Jahre hinweg zu einem
Bereich entwickelt haben, der umsetzungsnahe Innovation be-
treibt. Wir erzeugen einen viel größeren Impact. Wir nennen
es auch „Impact-oriented Innovation“ mit dem Ziel, wirklich
Zusatzumsatz oder Kostenreduktion zu mobilisieren.
U. Korsch: Darüber hinaus haben wir erreicht, dass wir in enger
Beziehung zu den Geschäftsverantwortlichen bis hin zum Vor-
stand stehen, was uns eine Vielzahl an zusätzlichen strategischen
und geschäftsrelevanten Opportunitäten eröffnet. Wir haben
die Möglichkeit, sehr schnell Feedback und Unterstützung aus
der Führungsetage zu der Ausrichtung bestimmter Themen zu
bekommen, zum Beispiel Mobile Virtual Network Operator,
Netzwerk Themen innerhalb der Telekom, Big Data und Data
Analytics. Wir unterstützen also nicht nur mit kleinen Innova-
tionen, sondern sind mittlerweile so weit, gemeinsam mit den
umsetzenden Einheiten der Telekom an den großen Rädern mit
zu drehen und den entsprechenden Impact zu erzeugen.
Das A und O eines Unternehmens in der heutigen Welt? Die Fähig-
keit zu Transformation und Innovation! Agilität, Flexibilität, tief-
gehende Expertise, Kreativität, Veränderungsbereitschaft – all das
scheinen, eingebettet in Innovationskultur und motivierende Führung,
Erfolgszutaten für ein zukunftsgerichtetes Unternehmen zu sein.
Dr. Heinrich Arnold, Senior Vice President und Leiter der Telekom
Innovation Laboratories (T-Labs), erzählt von seiner Vorstellung von
einer Innovationskultur für die Deutsche Telekom und wie er diese
tagtäglich lebt. Cem Ergün-Müller, Head of Marketing & Commu-
nication, und Ulf Korsch, verantwortlich für T-Labs 2.0 & Corporate
Initiatives, ergänzen spannende Einblicke in das Innovationsherz der
Deutschen Telekom AG.
30. 28 Detecon Management Report blue • 2015
DMR: Sie sagten einmal, Sie hätten „die Qual der Wahl“, es gäbe
mehr Themen als Ihnen lieb ist. Wie setzen Sie Prioritäten?
Dr. H. Arnold: Die Impulse kommen über diverse Wege: syste-
matisches Screening, Tech Radar, Partner Gespräche, Consumer
Panels, Customer Workshops, Konzernkollegen. Das Schwie-
rige kommt danach - die Entscheidung, was davon der Konzern
aufnehmen kann. Drei Faktoren spielen eine Rolle: Was ist eine
erhebliche Entwicklung für die Telekom? Worauf kann man
überhaupt wertschöpfend Einfluss nehmen? Und haben wir
eine klare Vorstellung, wer das Thema bei der Telekom in der
Umsetzung treiben könnte und als Sponsor auftritt? Ein gutes
Thema nimmt dann durch das Feedback wichtiger Stakehol-
der Gestalt an: eine Peer Review durchführen, diskutieren, das
Thema zu Marketing- und Technikabteilungen tragen und im
Endeffekt beim Topmanagement vorstehen und den Vorschlag
unterbreiten.
DMR: Wie würden Sie die Innovationskultur innerhalb der Tele
kom beschreiben? Welche Rolle spielen T-Labs hier?
Dr. H. Arnold: Die Telekom ist im Vergleich zu vor zehn Jahren
sehr viel aufnahmefähiger und leistungsfähiger für Innovation.
In puncto Innovationskultur gibt es weiterhin noch einiges zu
tun. Die Risikobereitschaft ist hier ein Schlüsselfaktor, an dem
man dies feststellen kann. In der Telekom gibt es sowohl Per-
sonen, die innovative Initiativen stark und aktiv unterstützen,
als auch eine Vielzahl an Menschen, die das Neue meiden, ein-
fach weil etwas schiefgehen könnte.
DMR: Welche sind Ihre Erfolgsfaktoren?
Dr. H. Arnold: Der wichtigste Erfolgsfaktor ist Eigenmotiva-
tion. Wenn bei einem Projektleiter das Feuer der Begeisterung
angeht, dann kann es funktionieren. Derjenige, der an der Spit-
ze einer Initiative als Treiber steht, muss komplett von seinem
Projekt überzeugt sein. Er muss ständig nach Lösungen suchen
für Probleme, die groß genug sind, um das ganze Projekt zu
stoppen. Mit jemandem, der nur halbherzig bei der Sache und
nicht intrinsisch motiviert ist, wird das gesteckte Ziel nicht
erreicht werden. Die Risikobereitschaft nimmt hier also eben-
falls eine wichtige Rolle ein. Ebenso der richtige Umgang mit
Fehlern. Ich bin überzeugt, dass derjenige den größten Fehler
macht, der nichts macht.
C. Ergün-Müller: Außerdem sollte man ein Grundvertrauen in
die Kollegen haben können, damit ein bisschen Freigeist in den
T-Labs lebt. Nichtsdestotrotz sind gewisse Leitplanken unent-
behrlich. Wir müssen auf die Konzernstrategie einzahlen und
uns nach den Top-Themen ausrichten. Das Motto „Warum
machst du das? – Weil es geht!“ greift für uns nicht. Wir ma-
chen unsere Arbeit nicht nur, weil wir für Innovationen bren-
nen. Die erste Frage ist immer: Zahlt es auf das Geschäft der
Telekom ein? Hat es eine Perspektive für unsere Kunden oder
für die Technologie? Und in diesem Rahmen kann man kreativ
werden und sich neue Themen suchen, weiterentwickeln und
zum Erfolg führen.
DMR: Welchen Stellenwert hat Führung innerhalb einer Innova
tionskultur und wie gestaltet sich diese?
Dr. H. Arnold: Die Führung unserer verschiedenen Kom-
petenzteams ist sehr heterogen, das ist das schöne. Aber jeder
einzelne muss mindestens eine außergewöhnliche Eigenschaft
weit über das Standardmaß hinaus besitzen: Entweder man
weiß fachlich besonders viel oder man ist ein besonders guter
Kommunikator oder man ist besonders clever oder gewissenhaft
oder man ist besonders charismatisch. Der Kern liegt hier in der
Persönlichkeit jedes einzelnen.
Was unterscheidet einen Innovator von einem Administrator?
Der Innovator ist einer, der die Veränderung immer als Mög-
lichkeit oder sogar als Verpflichtung sieht und diese immer zum
Vorteil nutzen möchte. Die größte Frustration des Innovators
sind deswegen die verpassten Chancen. Wenn wir als Konzern
wieder eine große Chance verstreichen lassen, dann macht mich
das einfach fertig. Und das ist der Unterschied zum Admini-
strator. Der hat damit gar kein Problem. Er möchte keinen
Fehler machen und sieht eine Veränderung eher als Bedrohung
des Standardprozesses an und möchte diese deswegen so fern
wie möglich halten. Hauptsache, man macht keine Fehler! Wir
brauchen aber die Grundeinstellung des Innovators bei jedem
im Konzern, sodass jeder ein Stück Self-Leadership übernimmt
und Veränderungen gegenüber offen ist.
31. 29 Detecon Management Report blue • 2015
DMR: DieWelt der Innovation ist extrem schnelllebig. Die Gefahr,
den Anschluss zu verpassen, ist immer präsent. Wie gehen Sie mit
Rückschlägen um?
Dr. H. Arnold: Wahre Rückschläge sind ganz klar die verpassten
Chancen. Aber im Zweifel muss man als Innovator eine Nacht
drüber schlafen und dann aufstehen und weiter machen.
Zum Glück haben wir uns anlässlich des zehnjährigen Jubilä-
ums die Zeit genommen, uns anzuschauen: Vor welchen groß-
en Herausforderungen steht die Telekom aus Innovationssicht?
Woran arbeiten wir momentan? Was hat in der Vergangenheit
funktioniert? Gerade der letzte Punkt ist für mich persönlich ex-
trem wichtig, da ich sehen kann, dass die Bilanz aus den letzten
Jahren ermutigend ist. Nachdem wir es aufgeschrieben hatten,
war es fast erschlagend, was schon alles geglückt ist in den letz-
ten zehn Jahren. Das muss man sich immer wieder vergegen-
wärtigen. Bei all den Rückschlägen sind Hunderte von Dingen
gut gelaufen, die ein ganzes Buch füllen können.*
DMR: In welchem Maße beeinflussen internationale Innovations
zentren wie Tel Aviv und Silicon Valley die Innovationskultur hier
vor Ort in Deutschland?
Dr. H. Arnold: Unser Umgang miteinander ist sehr offen, sehr
tolerant und sehr esperanto. Unsere Betriebssprache ist „broken
English“, jeder kommt natürlich aus einer anderen Welt. Aber
es hilft ungemein, sich ohne Scheuklappen Gedanken um die
verschiedensten Themen zu machen – auch wenn große Unter-
schiede in der Arbeitskultur zu erkennen sein können.
C. Ergün-Müller: Unsere internationalen Beziehungen sind ein
großer Vorteil, sie erlauben uns den Blick über den Tellerrand
hinaus. Und es erhöht die Glaubwürdigkeit des Konzerns unge-
mein, denn wir wissen ganz genau und berücksichtigen, was im
Silicon Valley und in Tel Aviv aktuell ist und reflektieren dies
natürlich.
DMR: Ihre Kooperation mit der TU Berlin und der Ben Guri
on Universität in Beersheva und damit die Vorreiterrolle auf dem
Gebiet der Public Private Partnerships wird sehr gelobt und soll in
den nächsten Jahren weiter gefördert werden. Welche Rolle, welche
Möglichkeiten sehen Sie hier für T-Labs?
Dr. H. Arnold: Ohne unsere Uni-Partnerschaften würde das
Konstrukt nicht funktionieren. Es geht um die Aktualisierung
unserer Kompetenzen, die tägliche Reibung in den Teams: Was
ist wirklich neuartig? Wie macht man Dinge aktuell? Wir brau-
chen immer drei Zutaten: Leute, die den Konzern verstehen,
Leute, die immer wieder frisch mit dem aktuellen Stand der
Forschung und Technologie bei uns reinschauen und unterneh-
merische Experten vom Markt, mit denen wir unsere Initiati-
ven auffüllen und ergänzen. Deswegen funktioniert das T-Labs
Modell nur an Orten, wo es diese drei Faktoren gibt, wo es eine
Start-up Community gibt mit Leuten am Markt, die man adhoc
in Projekte holen kann. Berlin ist also ein sehr essentieller Fak-
tor für uns aufgrund der Dynamik der Innovationsszene und
der nennenswerten Unis. Und es gibt eine ganze Reihe an po-
sitiven Nebeneffekten: Wir müssen uns nie Sorgen machen um
frischen Geist!
DMR: Sie sagten auf der Cebit 2014 „Die Zeit ist reif!“ – das
klingt, als hätten Sie große Pläne. Wie lautet Ihre Vision für die
kommenden Jahre?
Dr. H. Arnold: Die Zeit ist reif, absolut! Was wir in 2015 sehen,
ist ein Vorgeschmack auf das, was die Telekom 2020 komplett
ausmachen wird. Wir werden zum Beispiel sehen, dass wir Wege
finden, die Kommunikation Web-basiert abzubilden, das heißt,
wir kreieren eine neue, nie dagewesene User Experience und das
zu einem Bruchteil der momentanen Kosten. Ich rechne damit,
dass sich nächstes Jahr die ersten klaren Indikatoren hierfür be-
merkbar machen werden.
Wir werden außerdem Ansätze sehen, wie wir eine unserer urei-
genen Stärken, nämlich sichere qualitätsgestützte Kommunika-
tion anzubieten, global unter anderem im Industrie 4.0-Kontext
nutzen werden: in Fabriken, an Maschinen, in der gesamten di-
gitalisierten Wertschöpfungskette.
Und als drittes werden wir mehr und mehr die Möglichkeiten
der Datenanalyse für uns selbst und unsere Kunden zum Ein-
satz bringen. Wir werden der Vertrauenspartner für die Digi-
talisierung unserer Kundensegmente und uns selbst sein. Dies
ist meine positive Vision für die nächsten Jahre und ich glaube
fest an sie.
* www.t-labs.co/accelerator
32. 30 Detecon Management Report blue • 2015
Transformation, Unternehmensumbau und Leadership sind Themen,
mit denen sich derzeit viele Unternehmen intensiv auseinandersetzen.
Über die Herausforderungen und wie ein Finance- und Controlling-
Bereich damit erfolgreich umgehen kann, spricht Marc Wagner, Partner
bei Detecon, mit Dietrich Franz, CFO bei DHL Supply Chain.
Interview mit Dietrich Franz, CFO, DHL Supply Chain
Nach dem Wandel
ist vor dem Wandel
33. 31 Detecon Management Report blue • 2015
DMR: Ein Blick auf die aktuelle Marktsituation zeigt, dass sich
DPDHL aufgrund dynamischer Kundenanforderungen und stän
digen technologischen Änderungen in einem rasanten Wandel be
findet. Es stellt sich die Frage, wie Ihr Finance- und Controlling-
Bereich dieser Herausforderung begegnet und welche Strukturen Sie
diesbezüglich schon etabliert haben?
D. Franz: Beständige Transformation ist für unsere Finance-
Organisationen seit einigen Jahren der Normalzustand. Dabei
geht es im Wesentlichen um zwei Aspekte: Auf der einen Seite
müssen wir auf Basis größtmöglicher Transparenz den Wandel
zu einem „Business Partnering Modell“ schaffen. Auf der ande-
ren Seite müssen wir in den Systemen höchste Qualität errei-
chen und natürlich kosteneffizient arbeiten.
DMR: Was bedeutet das konkret?
D. Franz: Lassen Sie mich das an drei aktuellen Fragestellungen
erläutern. Wie bei inzwischen vielen Unternehmen ist auch bei
uns „Transactional Accounting“ und alles, was damit zusam-
menhängt, vor allem also Zentralisierung und Outsourcing, ein
Thema. Ein weiteres wichtiges Thema, mit dem sich die Finance
Division in unserem Konzern beschäftigt, ist die „Business In-
telligence“ und damit die Erhöhung der Transparenz sowohl
auf Geschäftsbereichs- als auch auf Konzernebene. Die dritte
Fragestellung betrifft das bereits genannte „Business Partnering
Modell“. Dabei geht es vorwiegend darum, unsere Teams stra-
tegisch neu auszurichten und mit der Rolle des Business Part-
ners vertraut zu machen. Parallel dazu lagern wir nicht werthal-
tige Aktivitäten wie etwa das Reporting aus. Wir haben bereits
Reporting Factories eingerichtet, die in den entsprechenden
Divisionen eingesetzt werden. Die Fortschritte bestärken uns
darin, diesen Weg fortzusetzen. Unser Ziel ist es, am Ende alle
transaktionalen Tätigkeiten des Reportings zu bündeln und
durch Standardisierung und Vereinheitlichung günstiger und
besser zu werden. Große Zentralfunktionen wie Treasury, Kon-
zernbilanzierung und Cash Pooling sind übrigens bereits seit
Jahren zentralisiert – aber auch hier entwickeln wir uns weiter.
DMR: Welche Erfahrungen haben Sie mit dem Multi Shared
Service Center gemacht? Spielen Sie gar mit dem Gedanken, wieder
gezielt „Insourcing“ zu betreiben?
D. Franz: Nein, der Trend geht ganz klar weiter in Richtung
„Offshoring“. Unsere Erfahrung zeigt: „Offshoring“ ist ein
vielversprechendes Geschäftsmodell, weil sich durch eine funk-
tionierende Zusammenarbeit mit Dienstleistern eine deutlich
höhere Qualität erzielen lässt. Erst kürzlich hatte ich eine Dis-
kussion darüber, wie schwierig es ist, Compliance in bestimmten
Emerging Markets einzuführen. Dabei wurde klar: Compliance
kann letztendlich nur durch zentralisierte Accounting-Prozesse
und durch die Trennung bestimmter Prozessschritte gewähr
leistet werden.
DMR: Der Fokus liegt also ausschließlich auf dem Kerngeschäft?
D. Franz: Generell ja, jedoch mit den beiden Dimensionen
„Business Partnering“ und „Customer Facing“. Tätigkeiten, die
damit nicht direkt in Verbindung stehen, können zentralisiert
oder ins Ausland verlagert werden.
DMR: Sie haben ein interessantes Thema angesprochen – Stich
wort „Business Partner Konzept“. Finanzer und Controller wer
den demnach zunehmend von operativen Prozessen entlastet und
stärker in die Entscheidungsfindung mit einbezogen. Geht der Ein
fluss über die rein finanzielle Perspektive hinaus? Welchen Einfluss
nimmt die DP respektive der Finance- und Controlling-Bereich auf
inhaltliche und strategische Fragestellungen?
D. Franz: Wir sind einen großen Schritt in der Umsetzung des
„Business Partnering Modells“ vorangekommen. Vieles ist bes-
ser geworden – aber nach wie vor gibt es viel zu tun. Dies hat
zwei Gründe: Zum einen hat noch nicht jeder das Konzept des
Business Partners verstanden und verinnerlicht. Zum anderen
arbeiten wir auch noch daran, ein rundes „Business Partner
Konzept“ zu Papier zu bringen.
DMR: Auf die Frage nach der Umsetzung möchte ich näher ein
gehen. Ich selbst habe dieses Thema als Programmleiter bei der
Deutschen Telekom begleitet – eine auf den ersten Blick sehr schöne
Idee. Es gestaltet sich jedoch schwierig, zur operativen Umsetzung
überzugehen, insbesondere wenn man bedenkt, dass man ein Kon
zept hat, das zentralistisch gesteuert ist.
D. Franz: In der Tat ist eine zentralisierte Umsetzung eine echte
Herausforderung. Um damit umzugehen, haben wir zusammen
mit dem Personalbereich bestimmte Anforderungen hinsicht-
lich der für diese Aufgabe notwendigen Fähigkeiten formuliert.
Das ist wichtig, damit jeder genau weiß, was zu tun ist. Ich
glaube aufgrund meiner Erfahrung, dass es darauf ankommt,
die Inhalte über alle Führungsebenen zu kaskadieren, im Laufe
eines Coaching-Prozesses immer im Dialog zu bleiben und sich
situations- und themenspezifisch auseinanderzusetzen. Wir
nutzen dafür verschiedene Kommunikations- und Führungs
instrumente – etwa das sogenannte „Peer Coaching“.
DMR: Coaching-Ansatz heißt also, dass Sie mit CFOs sowie CEOs
anderer Divisionen Erfahrungen teilen und sich miteinander aus
tauschen?
34. 32 Detecon Management Report blue • 2015
D. Franz: Ich versuche, divisionsübergreifend meine Erfahrung
an die Kollegen weiterzugeben und bei allen möglichen Anläs-
sen in den Dialog mit ihnen zu gehen. Das findet allerdings
bislang eher auf Ebene der CFOs als auf der CEO-Ebene statt.
DMR: Wenn man in Richtung Business Partner geht, so wäre dies
ja der Traum – im gesamten Unternehmen sind die CFOs mit den
CEOs im engen Schulterschluss unterwegs!
D. Franz: Das Top-Führungsmanagementteam von DPDHL
trifft sich sowieso routinemäßig mindestens zweimal im Jahr
zum gemeinsamen Austausch. „Business Partnering“ sehe ich
jedoch eher als Thema der CFO-Funktionen. Nichtdestotrotz
spreche ich innerhalb meiner Division natürlich auch mit den
CEOs und anderen funktionalen Chefs bei DHL Supply Chain
und frage sie, ob sie von ihren zugeordneten CFOs genügend
qualifizierte Unterstützung bekommen.
DMR: Stichwort „Peer Coaching“. Wir hatten eben schon das
Spannungsfeld Finance, Controlling und HR angesprochen.
Coaching ist ein klassisches HR-Instrument. Ist das eine Methode,
die von Ihnen standardisiert wird?
D. Franz: Ja, wir nutzen im Konzern eine Vielzahl von stan-
dardisierten Führungskräfte-Trainingskonzepten. Seit wir Ende
2010 damit angefangen haben, konnten wir darüber 500 bis
1000 Führungskräfte erreichen. Ein positiver Effekt: Es ist eine
Vertrauensbasis entstanden, auf der man Kollegen aus ande-
ren Divisionen einen kleinen Einblick in die eigenen Themen,
Probleme und Herausforderungen gewährt.
DMR: Ein zentrales Thema in diesem Zusammenhang ist
„Leadership“. Haben Sie Leadership-Prinzipien, die herunterge
brochen sind und in bestimmte Programme einfließen?
Dietrich Franz verfügt über siebzehn Jahre Erfahrung in der Logistikindustrie. Als CFO verantwortet er alle
finanziellen Aspekte der DHL Supply Chain Division, dazu gehören Rechnungswesen, Controlling, Investi-
tionen und Compliance/Risiko Management. Die Finanzorganisation unterstützt die Einführung der DHL
Supply Chain Strategie 2020 und durchläuft dabei selbst einen Umwandlungsprozess. Herr Franz kam 1998
zu DHL und ist seither in verschiedenen Positionen innerhalb des Konzerns tätig gewesen, darunter als EVP
Corporate Controlling, CFO Corporate Canter/Services, CFO DHL Global Forwarding Latin America und
Senior Vice President im IndEx Program.