Open Education ist auf dem Weg zum Mainstream – so lässt sich durch Publikationen wie dem Whitepaper „OER für Schulen in Deutschland“ (Muuß-Merholz & Schaumburg, 2014). der Benchmark-Studie „Open Education in Berlin“ (Dobusch, Heimstädt, & Hill, 2014) oder der geplante Stellungnahme der Kultusministerkonferenz schlussfolgern. Bereits seit über 10 Jahren arbeiten Organisationen wie die UNESCO an der Verbreitung von OER. Begründet wird das Engagement durch den Grundsatz „Bildung ist ein Menschenrecht und der Schlüssel zu individueller und gesellschaftlicher Entwicklung“ (Butcher, Malina, & Neumann, 2013, S. 4) sowie den Möglichkeiten von OER: „Urheber von Bildungsmaterialien stellen diese unter einer offenen Lizenz zur Verfügung und ermöglichen den Nutzern damit den kostenlosen Zugang und die kostenlose Nutzung, Bearbeitung und Weitergabe der Materialien, ohne oder mit nur geringfügigen Einschränkungen“ (ebenda). Die humanistische Perspektive (Bildung als Menschenrecht) legitimiert somit einen normativen Handlungsauftrag, der sich sowohl auf die kollektive (für das Öffnen von verkrusteten Bildungsstrukturen; „Opening up Education“) als auch auf die individuelle Ebene auswirkt (für das Teilen; „Sharing is caring“).
Was auf den ersten Blick als ein vielversprechendes Projekt zum Vorteil der gesamten Menschheit erscheint, entpuppt sich bei genauerer Analyse als ambivalenter bzw. dialektischer Prozess (vgl. Horkheimer & Adorno, 1969). So wird beispielsweise durch das „Google-Urteil1“ des Europäischen Gerichtshofs EuGH deutlich, dass es auch eine Kehrseite der Transparenz gibt, was in Bezug auf das Persönlichkeitsrecht als „Recht auf Vergessen“ diskutiert wird. Daraus folgt die Einsicht: „Informationen sind nicht neutral und Transparenz nicht kontextlos wertvoll“ (Wampfler, 2014). Denn während auf der einen Seite ein unbeschränkter Zugang zu Informationen und kulturellen Ressourcen die notwendige und hinreichende Bedingung für Bildung darstellt, ergeben sich damit auf der anderen Seite eine Reihe moralischer Implikationen (z.B. ist es gerechtfertigt, dass Lernenden zur Veröffentlichung ihrer Materialien verpflichtet werden?). Wir haben es somit mit einem Spannungsfeld zwischen Öffnung und Ausgrenzung zu tun, das aus einer komplexen Machtstruktur entsteht. Der vorliegende Beitrag analysiert diese Machtstrukturen vor dem Hintergrund der philosophischen Positionen von (1) Michel Foucault – Disziplinargesellschaft (1994), (2) Gilles Deleuze – Kontrollgesellschaft (1993) und (3) Byung-Chul Han – Transparenzgesellschaft (2012) und diskutiert die pädagogischen Implikationen.
Open Education als digitales Panoptikum: Zu den Grenzen pädagogischer Transparenz
1. OPEN EDUCATION ALS
DIGITALES PANOPTIKUM:
ZU DEN GRENZEN
PÄDAGOGISCHER
TRANSPARENZ
MARKUS DEIMANN //
FERNUNIVERSITÄT IN HAGEN
@MDEIMANN
Emblem der Französischen Revolution //
1792
2.
3. Die OER-DNA
AT THE HEART OF THE MOVEMENT TOWARD OPEN
EDUCATIONAL RESOURCES IS THE SIMPLE AND
POWERFUL IDEA THAT THE WORLD’S KNOWLEDGE IS
A PUBLIC GOOD AND THAT TECHNOLOGY IN GENERAL
AND THE WORLD WIDE WEB IN PARTICULAR PROVIDE
AN EXTRAORDINARY OPPORTUNITY FOR EVERYONE
TO SHARE, USE, AND REUSE KNOWLEDGE.
(ATKINS ET AL, 2007, P. 5)
4. Transparenz - ein
universalistisches Gut?
Öffnung (verkrusteter) Strukturen zur
Demokratisierung der Bildung:
kollektiv: Opening up Education (EU)
individuell: Sharing is caring (Lizenzierung)
Ziel: Bildung als globales Menschenrecht
verbindlich verankern
8. „SCHATTENSEITEN“ DER
TRANSPARENZ
Michel Foucault // Disziplinargesellschaft
Gilles Deleuze // Kontrollgesellschaft
Byung-Chul Han // Transparenzgesellschaft
9. WISSEN
MACHT
SUBJEKT
DIE „AUFKLÄRUNG“,
WELCHE DIE FREIHEITEN
ENTDECKT HAT, HAT AUCH
DIE DISZIPLINEN ERFUNDEN.
(FOUCAULT, 1976, S. 285)
http://linawunderlich.files.wordpress.com/2012/11/
michel_foucault.jpg%3Fw%3D490
Michel Foucault (1926-1984)
12. Konsequenzen für Open Education
Selbstoptimierung durch Selbstunterwerfung
Sichtbarkeit als „Falle“? (Umkehrung der
Sichtbarkeit von Regierung und Bevölkerung)
Ausgrenzung in cMOOCs: Ohne Sharing keine
Teilhabe?
13. HETEROGENITÄT
VIELHEIT
NOMADISCHE
WISSENSCHAFT
DIE DISZIPLINARGESELLSCHAFTEN,
DA GEHÖRTEN WIR SCHON NICHT
MEHR DAZU, WIR WAREN SCHON
DABEI, SIE ZU VERLASSEN.
(DELEUZE, 1993, S. 255)
http://www.philosophica.info/voces/deleuze/Deleuze.jpg
Gilles Deleuze (1925-1995)
14. Konsequenzen für Open Education
ständige Kontrolle: Evaluation & Training anstelle
von (Abschluss-)Prüfung
Sichtbarkeit schafft mehr Kontrollmöglichkeiten:
Offenes Web
closed MOOC Plattformen als Life-Long-Learning-
Strategie
wer kontrolliert wen? Evil Corporations oder das
Open Ed Regime?
15. TRANSPARENZ
GLOBALISIERUNG
NEOLIBERALISMUS
DIE TRANSPARENZ IST EIN
SYSTEMATISCHER ZWANG, DER ALLE
GESELLSCHAFTLICHEN VORGÄNGE
ERFASST UND SIE EINER
TIEFGREIFENDEN VERÄNDERUNG
UNTERWIRFT.
(HAN, 2012, S. 6)
http://cafebarbantia.barbantia.es/wp-content/uploads/
2014/05/biung-2.jpg
Byung-Chul Han (*1959)
16. Konsequenzen für Open Education
gewaltsame Glättung und Einheit statt Reibung
und Vielheit (xMOOCs vs. cMOOCs/ offenes Web)
Ausstellungszwang und Überbelichtung
(Veröffentlichung digitaler Materialien als
Wettbewerbsvorteil vs. Etablierung eines
umregulierten, offenen Kulturraums)
17. die nächste Gesellschaft
ist…
offen, aber ihre Ambivalenzen reflektierend
keine neue Entwicklungsstufe, sondern ein
erweiterter Mix aus bisherigen Modellen
experimentell: Code Variationen (offen, closed,
instruktiv, partizipativ, elitär, egalitär, kapitalistisch)