1. Kommentare und Berichte 9
Klaus Busch und Dierk Hirschel
Ein Marshallplan für Südeuropa
Angela Merkel, Nicolas Sarkozy und re das dritte Rettungspaket fällig. Ob
Kollegen können kurz durchatmen: Gi- jedoch ein erneuter Rettungseinsatz
orgos Papandreou hat sein neues Spar- gegen den wachsenden Unmut der Be-
paket durch das griechische Parlament völkerung durchgesetzt werden kann,
gebracht. Noch ist Athen also nicht ist mehr als fraglich.
pleite, denn Griechenland bekommt
jetzt einen zweiten, 120 Mrd. Euro
schweren Notkredit. Freiwilligkeit als Farce
Die teuer erkaufte Atempause wird
aber nur von kurzer Dauer sein. Denn Auch aus diesem Grund diskutiert die
die Sparauflagen verschärfen die Krise. Europäische Gemeinschaft erregt über
Die Medizin der Troika – Europäische einen Schuldenschnitt. Im Rahmen
Union, Internationaler Währungsfonds einer sogenannten weichen Umschul-
und Europäische Zentralbank (EZB) – dung könnte Hellas die Tilgung seiner
hat den Gesundheitszustand des grie- Kredite strecken. Doch selbst bei fünf-
chischen Patienten bisher nur ver- prozentigem nominalem Wachstum er-
schlechtert. Kein Industrieland hat in fordert dies immer noch unrealistische
den letzten 25 Jahren so radikal gespart Primärüberschüsse von 5 bis 12 Pro-
wie Athen in den letzten zwölf Mo- zent. Schon deswegen ist die letztlich
naten. Mit dramatischen Folgen: Das beschlossene freiwillige Beteiligung
Wachstum und die Steuereinnahmen privater Gläubiger eine reine Farce.
schrumpfen, die Arbeitslosigkeit steigt. Lediglich im Mix mit einer harten Um-
Folglich wächst der 340 Mrd. Euro gro- schuldung – in Form eines 50-Prozent-
ße Schuldenberg – der das 1,5fache der Schuldenerlasses – ergeben sich rea-
Jahreswirtschaftsleistung beträgt – un- listische Haushaltsziele. Nur so könnte
gehindert weiter. man den Griechen helfen und gleich-
Das Brüsseler und Berliner Spardik- zeitig die Banken an den Krisenkosten
tat lässt Athen keine Chance, sich aus beteiligen.
der Schuldenfalle zu befreien. Wenn Dabei darf aber nicht übersehen
die Wirtschaftsleistung schrumpft, werden, dass auch eine Umschuldung
kann der griechische Kassenwart nicht große Risiken mit sich bringt. Dass eine
mehr einnehmen, als er ausgibt. Al- hohe Ansteckungsgefahr für andere
lein für Tilgung und Zinsen aller Kre- Schuldenstaaten besteht, lehrt bereits
dite braucht Griechenland 2013 einen die Geschichte der Finanzkrisen.2 Da-
Haushaltsüberschuss vor Zinszahlun- rüber hinaus droht unterkapitalisierten
gen (Primärüberschuss) von giganti- nationalen und internationalen Gläu-
schen 16 Prozent. Unterstellt wird da- bigerbanken der Kollaps. Die Leidtra-
bei ein durchschnittliches nominales genden wären in jedem Fall die öffent-
Wachstum von drei Prozent.1 Folglich lichen Haushalte: Noch Ende 2010 wa-
ist es nur eine Frage der Zeit, bis Athen ren deutsche Banken mit 34 Mrd. Euro
das Geld erneut ausgeht. Dann wä- in Griechenland engagiert, französi-
1 Berechnungen von Heinz-Dieter Smeets, Ist 2 Vgl. Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff,
Griechenland noch zu retten? In: „Wirtschafts- Dieses Mal ist alles anders. Acht Jahrhunderte
dienst“, Nr. 5/2010, S. 309-313. Finanzkrisen, München 2010, S. 336 ff.
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2. 10 Kommentare und Berichte
sche Geldhäuser gar mit 57 Mrd. Euro. tionsprozess würde um Jahrzehnte zu-
Inzwischen haben die privaten Ban- rückgeworfen.
ken und Versicherungen fast die Hälf- Die Irrwege der Euro-Krisenpolitik
te ihrer griechischen Anleihen abgesto- spiegeln auch den traurigen Zustand
ßen. Rund zwei Drittel der hellenischen der europäischen und speziell der deut-
Staatspapiere sind heute in Besitz öf- schen Eliten wider. Die herrschende
fentlicher Institutionen. Unter diesen Politik und die Wirtschaftselite des Lan-
Umständen werden die griechischen, des sind mit dem Krisenmanagement
deutschen und französischen Steuer- hoffnungslos überfordert. Sie sind kurz
zahler den Schuldenschnitt bezahlen. davor, den Euro-Tanker zu versenken,
Gerechtigkeit sieht anders aus. Zudem obwohl sie ein ureigenes wirtschaftli-
durchbricht ein Schuldenerlass nicht ches Interesse am Fortbestand der ge-
den Teufelskreis aus schrumpfendem meinsamen Währung haben.
Wachstum und hohen Zinsen. Dennoch setzt die deutsche Wirt-
schaft weiter auf reine Kostensen-
kungsstrategien und eine einseitige
Athen vor dem Austritt ? Exportorientierung. Dadurch wachsen
die ohnehin gewaltigen ökonomischen
Da die herrschende Deflationspolitik Ungleichgewichte im Euroland weiter.
die hellenische Wirtschaft regelrecht Hinzu kommt die bornierte national-
erdrosselt, ist nicht auszuschließen, staatliche Ausrichtung der herrschen-
dass Griechenland die Eurozone schon den Euro-Krisenpolitik. Beim Aufbau
bald verlässt. Andere Schuldenstaaten der Rettungsschirme (EFSF und ESM)
könnten folgen. Durch die Abwertung wurden die Schulden der EU-Staaten
der neuen Nationalwährung würde die nicht zu gemeinsamen Schulden – et-
griechische Exportwirtschaft ihre preis- wa durch Eurobonds – erklärt. So kön-
liche Wettbewerbsfähigkeit in der Tat nen die Finanzmärkte auch weiterhin
verbessern. Diesem Vorteil stehen aber gegen jeden einzelnen Staat spekulie-
große Risiken gegenüber. Zunächst ren. Darüber hinaus vergiften die bür-
droht eine massive Kapitalflucht. Die gerlichen Parteien und Medien durch
in Euro notierte Staatsschuld würde ex- ihren populistischen Nationalismus das
plodieren, die Kapitalmärkte gewähren politische Klima auf dem alten Konti-
neue Kredite nur noch zu Wucherzin- nent. Auf diese Weise wird die einzig
sen. Der Zugang zu den internationalen sinnvolle, nämlich europäische Lösung
Kapitalmärkten wäre somit versperrt. der Krise verhindert.
Die kriselnden Staaten müssten ein Der Euro wird jedoch nur überleben,
Schuldenmoratorium ausrufen. wenn Europa die wirklichen Ursachen
Ein solcher sofortiger Zahlungsstopp der Krise überwindet. Diese liegen in
wäre aber noch nicht notwendigerwei- der Fehlkonstruktion des Maastrich-
se der Anfang vom Ende. Denkbar ist, ter Vertrages, in entfesselten Finanz-
dass Athen andere Kreditgeber – bei- märkten und zunehmenden innereuro-
spielsweise China oder Russland – fin- päischen Ungleichgewichten. Die EU
det. Kurzfristig würden auf ein Aus- muss daher an Haupt und Gliedern re-
trittsland vermutlich schwere ökono- formiert werden: Erforderlich sind eine
mische und innenpolitische Verwerfun- neue Wachstumsstrategie, eine Nied-
gen zukommen. Aber auch für den Rest rigzinspolitik für die Schuldnerstaa-
des Euroraumes wäre der Austritt mit ten, eine Reform der Finanzmärkte, die
schrumpfenden Exportmärkten ver- Koordinierung von Lohn-, Sozial- und
bunden. Teile des europäischen Ban- Steuerpolitik sowie die Einführung
kensystems müssten wieder auf die In- einer europäischen Wirtschaftsregie-
tensivstation. Der europäische Integra- rung.
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3. Kommentare und Berichte 11
Kurzfristig braucht der alte Konti- es daher darauf an, mit den Mitteln der
nent eine gemeinsame Wachstums- Schuldengarantie durch die EU-Staa-
strategie und ein europäisches Schul- ten die Zinsen für die Schuldnerstaaten
denmanagement. Griechenland und drastisch zu reduzieren.
seine südeuropäischen Nachbarn be- Brüssel muss endlich die Schulden
nötigen Investitionen in Bildung, Infra- aller Mitgliedstaaten garantieren und
struktur und Klimaschutz. So hat Athen Eurobonds ausgeben, da sie die Finan-
große Potentiale bei maritimen Indus- zierungskosten der Schuldnerstaaten
trien und Dienstleistungen, Tourismus erheblich senken können. Eurobonds
und Pharmaindustrie. Deswegen soll- sollten zudem sowohl für bestehende
te jetzt ein Marshallplan für Südeuropa Staatsschulden als auch für die Neu-
entwickelt werden. Ein solches Inves- verschuldung ausgegeben werden. Die
titions- und Entwicklungsprogramm Notfallkredite sollten zudem zu günsti-
würde den südeuropäischen Wachs- geren Konditionen vergeben werden.
tumsmotor wieder ankurbeln und die Den skizzierten Sofortmaßnahmen
sehr hohe Arbeitslosigkeit bekämpfen. müssen allerdings grundlegende Re-
Gleichzeitig sollte ein New Deal zur formen der europäischen Institutionen
Verbesserung der europäischen Infra- und Regulierung folgen. Da die entfes-
struktur und Umwelt (Transportwesen, selten Finanzmärkte die Eurokrise ver-
Telekommunikation, Umweltschutz) schärft haben, ist deren grundlegende
weitere Impulse für die wirtschaftliche Reform unabdingbar. Die Staaten müs-
Entwicklung Europas setzen. sen endlich aus der Geiselhaft der Fi-
Darüber hinaus müssen die Über- nanzmärkte befreit werden.
schussländer, um ihre verheerende Ex- Banken, die zu groß sind, um in Kon-
portstrategie zu Lasten der wirtschaft- kurs gehen zu dürfen (too big to fail),
lich schwachen Staaten abzubauen, sind zu zerlegen. Ein europäischer Fi-
endlich ihre Binnennachfrage ankur- nanzmarkt-TÜV muss zukünftig über
beln. Eine Schlüsselrolle fällt hier der die Zulassung von Finanzmarktpro-
Bundesrepublik als dem mit Abstand dukten entscheiden. Klar ist: Der Han-
größten Überschussland zu. Nur so del mit Kreditausfallversicherungen
können die chronischen Handelsdefizi- (Credit Default Swaps, CDS) muss ver-
te der Krisenländer abgebaut werden. boten werden und private Ratingagen-
Dafür muss auch die deflatorische Aus- turen müssen durch eine öffentliche
teritätspolitik in den Schuldenländern europäische Ratingagentur entmach-
sofort gestoppt werden. tet werden. Der radikalste Schritt zur
Euro-Rettung wäre eine weitgehende
Entkoppelung der Staatsfinanzen von
Niedrige Zinsen den Kapitalmärkten in Form einer di-
als conditio sine qua non rekten Staatsfinanzierung durch die
Zentralbank. Dies ist in den USA, Ja-
Wachstum allein reicht aber nicht aus, pan und Großbritannien längst gängi-
wenn nicht gleichzeitig die Zinsen ge- ge Praxis. Lediglich auf dem alten Kon-
senkt werden. Die Entschuldungs- tinent verbietet die EZB-Satzung die
politik der USA und Großbritanniens direkte Staatsfinanzierung. Über die
nach dem Zweiten Weltkrieg zeigt, wie Sinnhaftigkeit dieses geldpolitischen
wichtig niedrige Zinsen sind. Durch Alleinstellungsmerkmals der Eurozone
eine staatliche Kontrolle der Zinsen für muss endlich diskutiert werden.
Staatsanleihen und Ersparnisse gelang Damit aber nicht genug: Um der Ab-
es beiden Staaten, bei gleichzeitiger wärtsspirale bei Löhnen, Sozialausga-
Einschränkung des internationalen Ka- ben und Steuern im System der Wettbe-
pitalverkehrs die Staatsschulden sehr werbsstaaten zu begegnen, brauchen
rasch zu reduzieren. Auch heute kommt wir auch eine enge Abstimmung der
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Lohn-, Sozial- und Steuerpolitik. Nur die auch durch den Lissabonvertrag
so können die Ungleichgewichte in den nicht geheilt wurden, stürzten Europa
Handels- und Kapitalströmen der Euro- in jene tiefe Krise, die wir gegenwärtig
zone abgebaut werden. durchleben. Die EU braucht daher er-
Ökonomisch schädliche Formen der neut die Kraft für eine Radikalreform
Koordinierung sind jedoch der Stabi- an Haupt und Gliedern. Sonst endet die
litäts- und der Euro-Plus-Pakt. Letz- griechische in einer europäischen Tra-
terer basiert auf dem Irrtum, dass die gödie.
Ungleichgewichte zurückgehen, so-
bald sich alle Staaten der deutschen
Zwangsdiät unterziehen. Es können
aber nicht alle Staaten gleichzeitig
Überschüsse erzielen. Der Pakt ver-
schärft daher nur die schuldentreiben-
de Deflationspolitik in Europa.
Der wichtigste Reformschritt wäre
eine europäische Wirtschaftsregierung.
Die gegenwärtige Krise beweist: Die
Währungsunion braucht eine politische
Union. Nur eine demokratisch legiti-
mierte europäische Wirtschaftsregie-
rung könnte künftige Krisen konjunk-
turpolitisch effektiv bekämpfen. Mit
Hilfe eines Finanzausgleichs könnten
innereuropäische Entwicklungsunter-
schiede verringert werden.
Nur ein solch großer Sprung nach
vorn kann die Europäische Union und
den Euro dauerhaft stabilisieren. Die-
se Reform ist auch im Interesse aller
europäischen Staaten. Um den großen
Sprung zu tun, müssen die Euroländer
allerdings erkennen, dass eine gemein-
same Währung weit mehr braucht als
eine Europäische Zentralbank – es be-
darf qualitativ neuer Integrationsschü-
be in Richtung einer politischen Union.
In früheren Krisen konnte sich Euro-
pa stets am eigenen Schopf aus dem
Sumpf ziehen. Dies war nach der Politik
des „leeren Stuhls“ de Gaulles möglich,
als mit dem Haager Gipfel von 1969 der
Integrationsprozess neuen Schub be-
kam. Dies war auch 1987 der Fall, als
mit der Einheitlichen Europäischen
Akte und dem Binnenmarktprojekt
eine lange Phase des Integrationsstaus
überwunden wurde. Die Maastrichter
Verträge von 1992 waren hingegen ein
Rückschritt. Die Konstruktionsfehler
der Wirtschafts- und Währungsunion,
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