1. Universität Konstanz
Krisen der Demokratie – Diagnosen,
Auswege und Sackgassen
Prof. Dr. Sven Jochem
Universität Konstanz
sven.jochem@uni-konstanz.de
Neujahrsempfang der SPD Singen
Online via Zoom
09. Januar 2022, 18 Uhr
2. Universität Konstanz
Herzlich Willkommen und herzlichen Dank für die Einladung!
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https://m.bpb.de/175930/strukturunterschiede-und-herausforderungen (7.10.20)
https://www.pei.de/DE/newsroom/dossier/coronavirus/coronavi
rus-inhalt.html (03.01.2022)
3. Universität Konstanz
Fahrplan
1 Was soll eine Demokratie sein?
2 Welche Krisendiagnosen gibt es?
3 Was tun?
Meine Thesen:
− Es gibt unterschiedliche Herausforderungen der Demokratie
− Drei Lösungsmöglichkeiten: Demokratisierung der Demokratie,
Kampf der Ungleichheit, Kosmopolitismus und die vereinigten
Staaten von Europa
− Alle drei Lösungsmöglichkeiten sind problembehaftet. Die Debatte
über die Grenzen demokratischer Politik ist jetzt zu führen. Die
SDP sollte und kann Fortschritt mit Demokratie verbinden!
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5. Universität Konstanz
demos? kratos?
Volk? Nun ja, okay,… | Herrschaft? Aber wie?
Staat als Verkörperung von uns allen | Thomas Hobbes
Parlamentarismus, Mehrheitsprinzip, Widerstandsrecht | John Locke
Volkssouveränität | Jean-Jacques Rousseau
Rechtsstaatsprinzip, Kosmopolitismus | Immanuel Kant
Kapital regiert die Welt! | Karl Marx
Tyrannei der Mehrheit | Alexis de Tocqueville
Eliten-, Experten-, Technokratendemokratie | Joseph Alois Schumpeter
Wie können wir uns selbst so regieren, dass alle gleichwertig zustimmen
(könnten), auch diejenigen, die von einer Entscheidung nicht direkt profitieren?
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https://upload.wikimedia.org/wikipedia/co
mmons/a/a1/Leviathan_by_Thomas_Hob
bes.jpg, 16.10.2020)
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Sammlung von Krisenphänomenen
− Zufriedenheitswerte mit der Demokratie in D (und in der EU)
− Entfesselter (Finanz- und Plattform-) Kapitalismus | Die zunehmende Ungleichheit hängt
immer weitere Teile des Volkes ab
− Die Gesellschaft wird immer bunter und driftet auseinander, nichts verbindet mehr |
Gereizte, zornige Gesellschaft
− „Verblödung“ großer Teile der Gesellschaft | Digitalisierte Kommunikation auf „sozialen“
Plattformen
− Politikverdrossenheit | Parteienverdrossenheit | Krise der kollektiven Akteure
− Korrupte, egoistische Eliten | Repräsentationsproblem der parlamentarischen Demokratie
− „Populismus“ | Radikaler Nationalismus (Gefahr? Rettung?)
− Finanzkrise | Migrationskrise | Pandemie und „virologischer Imperativ“ (Markus Gabriel) |
TINA
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9. Universität Konstanz
Auswege? Erstes Szenario
Demokratisierung der Demokratie!
− Ausweitung der Partizipation
− Direkte Demokratie
− Aleotorische Demokratie (https://www.youtube.com/watch?v=KS9EMvbBq_U)
− Bürgerbeteiligung (Mini Publics, Bürgerräte)
− Liquid Democracy (Digitalisierte Demokratieform)
Bedingungen? Konsequenzen?
− Regierbarkeit?
− Max Weber: „Das Referendum kennt eben nicht: den Kompromiß“ (§6 Parlamentarismus und Demokratie)
− Politische Eliten mit imperativem Mandat?
− Ende der Parteien? (Interessenartikulation und -aggregation)
− Zwang zur Partizipation?
− Vertrauen wir dem Zufallsprinzip?
− Ist die Bevölkerung in der Lage? Will die Bevölkerung das?
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Ungleichheit & Partizipation
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Schäfer/Schwander 2019:“Don’t play if you can’t win”—Does economic inequality undermine political equality? In:
European Political Science Review 11, 395-41, hier S. 405
https://www.armin-schaefer.de/
21 OECD
Demokratien,
1980-2014
11. Universität Konstanz
Ungleichheit und Partizipation
„Unsere Untersuchung hat gezeigt, dass das Einkommen politische Meinungen be-
einflusst. Einkommensarme Befragte wünschen sich in einer Vielzahl der Fälle an-
dere Entscheidungen der Politik als ihre besser verdienenden Mitbürger_innen, dies
gilt insbesondere für die Außen-, aber auch für die Wirtschafts- und Sozialpoli-
tik. Darüber hinaus konnten wir erstmals für Deutschland nachweisen, dass politi-
sche Entscheidungen mit höherer Wahrscheinlichkeit mit den Einstellungen höherer
Einkommensgruppen übereinstimmen, wohingegen für einkommensarme Gruppen
entweder keine systematische Übereinstimmung festzustellen ist oder sogar ein ne-
gativer Zusammenhang. Was Bürger_innen mit geringem Einkommen in besonders
großer Zahl wollten, hatte in den Jahren von 1998 bis 2015 eine besonders niedrige
Wahrscheinlichkeit, umgesetzt zu werden. Das für die USA nachgewiesene Muster
von systematisch verzerrten Entscheidungen trifft also auch auf Deutschland zu.“
Schäfer, Elsässer, Hense: 2017: „Dem Deutschen Volke?“, Die ungleiche Responsivität
des Bundestags. In: Zeitschrift für Politikwissenschaft 27, 161–180, hier S. 178.
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https://www.armin-schaefer.de/
12. Universität Konstanz
Zweites Szenario
Kampf der Ungleichheit!
− Bildungsoffensive! Stärkung der Bildungseinrichtungen
− Stärkung der Sozialpartner! Mindestlohn
− Umverteilung! Ausbau des Steuer- und Sozialstaates
− Quotenregeln für eine paritätische Repräsentation!
− Bedingungsloses Grundeinkommen!
Bedingungen? Konsequenzen?
− Wer soll das bezahlen? Wer soll das bestimmen?
− Leistungsgerechtigkeit? Gleichmacherei? Ungleichheit als
Signalfunktion? Meritokratie?
− Sind kollektive Lösungen und Umverteilung nicht aus der Zeit gefallen?
− Materielle Ungleichheit und Ungleichheit der Anerkennung?
− Und was ist mit dem Problem der Grenze?
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Drittes Szenario
Kosmopolitismus | Vereinigte Staaten
von Europa
− Die EU und das Europaparlament stärken!
− Europa als Wertegemeinschaft der Rechtsstaatlichkeit!
− Vergemeinschaftung der Finanz- und Haushaltspolitik!
− Integration unterschiedlicher Geschwindigkeiten!
Bedingungen? Konsequenzen?
− Ist die EU demokratisch? Die EU „im Sog der Technokraten“
(Habermas)?
− Nicht-Majoritäre-Institutionen (EuGH, EZB) nicht demokratisch,
Kommission lediglich indirekte Legitimation?
− Negative oder positive Integration (Fritz W. Scharpf)?
− Anywheres vs. Somewheres (David Goodhart)?
− Wer will denn zurück zum Nationalstaat? Was ist überhaupt ein
Nationalstaat? (Aleida Assmann)
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14. Universität Konstanz
Überblick über die drei Szenarien
− Demokratisierung
der Demokratie!
− Kampf der
Ungleichheit!
− Kosmopolitismus!
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− Problem der Grenze als neue
Konfliktlinie der Gesellschaft
(Anywheres vs. Somewheres)
− Wer vertritt die Somewheres?
− Investitionen in Bildung und
Sozialpolitik mehr als nur
„Transferleistung“
− Regulierung des (Finanz-)Marktes
UND ökonomische Freizügigkeit
in der EU?
Wie können wir uns selbst so regieren, dass alle gleichwertig zustimmen (könnten),
auch diejenigen, die von einer Entscheidung nicht direkt profitieren?
15. Universität Konstanz
Was tun für die SPD?
SPD hat sich mit der Vision „Vereinigte Staaten von Europa“
weit aus dem Fenster gelehnt…
ABER:
SPD hat organisatorische Spaltung erfolgreich überwunden.
SPD hat historische Erfahrungen beim Schmieden von
Koalitionen.
Die SPD kann glaubhaft die Interessen der Somewheres
vertreten
ALSO:
Der Fortschritt muss demokratisch gestaltet werden!
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17. Universität Konstanz
Prof. Dr. Sven Jochem
Fachbereich Politik-/Verwaltungswissenschaft
Universität Konstanz
Tel.: +49 (0) 75 31/88 - 4592
Fax: +49 (0) 75 31/88 - 4593
sven.jochem@uni-konstanz.de
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Ich wünsche Ihnen und Ihren Lieben
alles Gute für das neue Jahr 2022!
Und der SPD im
Kreis KN, in BA-WÜ und im Bund
demokratisches Augenmaß & Durchhaltekraft!
18. Universität Konstanz
Sphären der Demokratie | Defekte Demokratien (W. Merkel)
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Merkel, 2016: https://www.bpb.de/apuz/234695/krise-der-demokratie-anmerkungen-zu-einem-schwierigen-begriff 16.10.2020)
Wer ist das Volk?
Finanzkrise,
Migrationskrise,
Pandemie,
Klimakrise,…
Finanzkrise,
Migrationskrise,
Pandemie,
Klimakrise,…
Finanzkrise,
Migrationskrise,
Pandemie,
Klimakrise,…
19. Universität Konstanz
Vereinigung | Schwarm
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https://www.welt.de/wissenschaft/plus172442578/Deshalb-stellt-ein-Schwarm-diesen-riesigen-Vogel-nach.html#cs-Siegerfoto-2.jpg
20. Universität Konstanz
Was ist gerecht?
„iustitia est constans et perpetua voluntas ius suum cuique tribuens“
(Imperatoris Iustiniani Institutes, 528-534 AD)
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