Benclowitz: Die Kunst ist frei!? Teil I: Tendenzschutz im Betriebs- und Perso...
Prof. Peter Vermeulen: Neuausrichtung kommunaler Kulturförderung.
1. Kultur und Politik B 1.5
Strukturen und Prozesse in der Kulturpolitik
Neuausrichtung kommunaler
Kulturförderung
Strategien für eine systematische Kulturentwicklung
Prof. Peter Vermeulen
Kulturförderung hat sich in den letzten Jahren verstärkt auf eine Bestandssicherung der öffentlich
getragenen Anbieterstrukturen, Bibliotheken, Theater, Museen, Musik- und Volkshochschulen usw.
zurückgezogen. Erforderlich erscheint eine prinzipielle Neuorientierung von kulturpolitischem
Denken und Handeln ohne Scheu vor der Frage danach, was Kulturarbeit heute leisten kann, oder
anders, was sie künftig noch mehr leisten soll. Jeglicher Kulturförderung sollte eine bewusste Ent-
scheidung vorausgehen, was gefördert wird und was nicht.
Der Beitrag zeigt auf, wie es gelingen kann, Kulturförderungs-Entscheidungen nicht anlassbezogen
zu fällen, sondern in einem ganzheitlichen Zielsystem zu verorten. Ein solches System erfordert
eine Kulturentwicklungsplanung, eine kulturpolitische Begleitung durch externe Experten, den
dialogischen Einbezug der Beteiligten etwa in einem Kulturbeirat und eine dynamische Prozessori-
entierung.
Gliederung Seite
1. Wandel kommunaler Kulturförderung 2
2. Systematisierung der Kulturförderung 6
2.1 Kulturentwicklungsplanung 6
2.2 Dilemma der freien Szene 9
2.3 Kompetenzzentren für Kultur 9
2.4 Instrumente der kommunalen Kulturförderung 10
2.5 Die neue Rolle der Kulturverwaltung 11
2.6 Entscheidungsverfahren und Wirkungskontrollen 11
3. Unterstützung durch Kulturbeiräte 12
3.1 Kulturbeiräte qua Landesrecht 13
3.2 Kommunale Kulturbeiräte 13
3.3 Kulturrat als eingetragener Verein 15
3.4 Beispiele für sonstige Zusammenschlüsse 15
3.5 System der Kulturförderung in Graz 17
3.5.1 Evaluation der Kulturförderung 17
3.5.2 Gremialsystem der Stadt Graz 19
4. Resümee 20
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2. B 1.5 Kultur und Politik
Strukturen und Prozesse in der Kulturpolitik
1. Wandel kommunaler Kulturförderung
Kultur ist einer der wenigen kommunalen Aufgabenbereiche, die weit-
gehend frei von Landesvorgaben und Bundesregelungen den Kommu-
nen zur eigenen Gestaltung überlassen sind. Dementsprechend hetero-
gen ist die Kulturlandschaft entwickelt. Trotzdem sind Muster erkenn-
bar, nach denen sich in Deutschland die kommunalen Kulturland-
schaften letztlich doch recht gleichförmig entwickelt haben.
Gestaltungsaufgabe der Kulturpolitik ist die Kulturförderung. Im
Rahmen dieser Aufgabe betreiben Kommunen eigene Kulturinstitute,
haben eine Kulturverwaltung oft mit angeschlossener Kulturdirektion,
richten Festivals aus, vergeben Preise, Stipendien und Zuschüsse an
Kultur tragende oder treibende Dritte. Deswegen hängen die Begriffe
„Kulturfinanzierung“ und „Kulturförderung“ im kommunalen Kontext
eng zusammen. Doch Förderung meint mehr als Finanzierung. Es geht
um immaterielle und strukturelle Förderinstrumente, die den Hand-
werkskasten der Kulturpolitik füllen.
Reflexion von Wer über Kulturförderung spricht, sollte sich nicht auf das „Wie“ be-
Förderentscheidungen schränken. Denn jedes noch so klug gewählte Instrumentarium kann
nicht über die Frage hinweghelfen: Was wird gefördert? Warum wer-
den etwa in Deutschland Musikschulen gefördert, Tanzschulen in der
Regel nicht? Ist Musik wichtiger als Tanz? Jede Kulturförderung ba-
siert auf einer (bewussten?) Entscheidung für oder gegen eine be-
stimmte Kulturarbeit. Es ist daher über den Prozess dieser Entschei-
dungsfindung zu reflektieren.
Kulturarbeit unterliegt in Deutschland, anders als in vielen anderen
europäischen Staaten, einer starken Steuerung durch die öffentlichen
Hände. Der überwiegende Teil der Kulturangebote wird durch Kultur-
betriebe angeboten, die der öffentlichen Hand gehören. Jede Stadt, die
in Deutschland eine zentralere Rolle spielen möchte, verfügt über eine
Stadtbücherei, ein Museum, eine Musikschule, eine Volkshochschule
und am liebsten über ein Theater. Dieser Zustand hat historische
Gründe und ist aus der Kleinstaaterei aber auch aus vielfältiger bür-
gerschaftlicher Initiative hervorgegangen. Obwohl Kunst und Kultur
Verfassungsrang und damit höchsten Stellenwert besitzen, gibt es kei-
ne eindeutigen Regelungen zu Art, Inhalt und Umfang öffentlicher
Kulturförderung.
Die Entwicklung der kommunalen Kulturtopographie entspricht einer
additiven Entwicklung. Je nach finanziellen Möglichkeiten und der
Verfügbarkeit von Vorbildern aus anderen Städten entstehen Visionen
zur Schaffung neuer Kulturinstitute zumeist entlang von „Gebäude-
phantasien“. Jede solche Entscheidung bindet den Kulturetat auf Dau-
er und bis zur nächsten Einzelfallentscheidung. Dies hat indes eine
große Dichte der Theaterlandschaft, eine flächendeckende Verbreitung
von Musik- und Volkshochschulen sowie öffentlichen Bibliotheken
und eine große Anzahl öffentlicher Museen hervorgebracht.1
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3. Kultur und Politik B 1.5
Strukturen und Prozesse in der Kulturpolitik
Das aktuelle Kulturverständnis in Deutschland lässt sich wie folgt
skizzieren: Kultur soll Menschen unabhängig machen, zu eigenständi-
gem Denken erziehen, Selbstständigkeit fördern, andere Einsichten
liefern, helfen, eingefahrene Bahnen zu verlassen. Kultur schafft Krea-
tivität, Individualität, Unterscheidbarkeit, Eigensinn. Kultur hat damit
zurzeit alles, wonach Kommunen suchen. Gelebt werden soll eine
kollektive kommunale Identität, die dazu beiträgt, aus der Uniformität
gleichgeschalteter Fußgängerzonen und Kommerzmeilen herauszutre-
ten. Kultur wird seit geraumer Zeit als Motor für die Stadtentwicklung
erkannt. Stadtmarketing und Kultur rücken zusammen.
Kultur ist zur „Querschnittsaufgabe“ geworden: Kultur hat als Be-
standteil vieler anderer kommunalpolitischer Handlungsfelder Einzug
gehalten. Zeugnis für diese Feststellung bieten Tagungstitel wie: „Kul-
tur und Sport“, „Kultur und Stadtentwicklung“, „Kultur und Stadtmar-
keting“ usw.
Im Wandel des deutschen Kulturverständnisses lässt sich eine klare
Entwicklungslinie erkennen:
Phase Fördermotiv Ausprägung
Kultur als das Schöne, Kultur zeigen Museen, Bibliotheken,
Wahre, Gute Theater
Bildungsbürgertum Bildungsauftrag Kultur Musikschulen, Volks-
hochschulen
Kultur für alle Kultur selber machen Kulturzentren,
Soziokultur
Kultur leben Stadtmarketing durch Kulturevents,
Kultur Konzerthäuser
Abb. B 1.5-1 Wandel der Fördermotive im Zeitablauf
Dabei setzt sich öffentliche Kultur mit ihrem Anspruch „fördern, was
es schwer hat“ zunehmend dem Vorwurf der Tristesse und Langeweile
aus, während Kulturarbeit in Events und Stadtmarketing gut akzeptiert
und „bejubelt“ wird. Der von den Bildungseliten hochgehaltene An-
spruch, ernst zu nehmende Kultur müsse eine Botschaft haben, müsse
bilden, solle „weh tun“, wird nicht mehr widerspruchslos hingenom-
men. Man kann gemäß der Brecht’schen Devise „gutes Theater ist
gute Abendunterhaltung“ mit einem Lächeln auf den Lippen aus der
Theaterveranstaltung kommen und muss nicht länger vor Betroffen-
heit triefen. Getreu nach dem Motto „erlaubt ist, was gefällt“ wird
Kultur selbstverständlicher und allgemeiner Bestandteil des Lebens.
Mit dieser Lockerheit einher geht eine bessere Vermarktbarkeit von
Kultur. Kultur wird Wirtschaftsbranche.
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4. B 1.5 Kultur und Politik
Strukturen und Prozesse in der Kulturpolitik
Bedingt durch die Verknappung öffentlicher Mittel erhöht sich der
Leistungsdruck auf die öffentliche Kulturarbeit. Publikumsträchtige
Veranstaltungen, die auch für die jeweilige Kommune einen Werbeef-
fekt haben, lassen sich leichter rechtfertigen als Lesungen unbekannter
Autoren, die vor wenigen Besuchern stattfinden.
Kultur findet breite Insgesamt scheint in der Bevölkerung ein Verständnis zu wachsen,
Anerkennung und Kulturbetriebe als Marktteilnehmer anzusehen und tatsächlich entsteht
Beachtung dadurch ein zunehmender Marktdruck. Wenn der Zustand eintreten
sollte, dass öffentlich geförderte Kulturarbeit der privat finanzierten
Kulturarbeit zum Verwechseln ähnlich wird, dann wird die Frage ge-
stellt werden: Warum werden Steuergelder für diese Art von Kulturar-
beit eingesetzt?
Laut wird diese Frage heute deshalb nicht, weil es falsch wäre, Kultur
unter einen „Generalverdacht“ zu nehmen. Niemand möchte den Kul-
turstaat Deutschland in Frage stellen. Und weil Kultur zunächst mit
öffentlich getragenen Theatern, Büchereien und Museen assoziiert
wird, erscheint jedem verständlich, dass Kultur ohne öffentliches Geld
nicht auskommt.
Nicht mehr die Sparten Dem Paradigmenwechsel im Kulturverständnis könnte in der Kultur-
sondern die Wirkung förderung ein Wechsel von der Sparten- zur Funktionsorientierung
von Kultur sollte im folgen. Orientieren sich bisher Kulturreferate an den künstlerischen
Fokus stehen oder kulturellen Sparten (Musik, Literatur, Kunst, Theater etc.), wären
es dann eher Funktionen, die mit Aktivitäten in den einzelnen Sparten
ein neues kulturpolitisches Entscheidungsfeld bilden:
Abb. B 1.5-2 Paradigmenwechsel im Kulturförderverständnis2
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