In dem fuer das Talent Management so wichtigen Bereich der der Potenzialbeurteilung wird zu viel nach dem Bauch entschieden. Das führt zu Fehlbesetzungen. Doch Fehlbesetzungen sind teuer.
wer kann sich davon frei sprechen, die Bewertung von Leistung und Potenzial bei anderen Personen frei von subjektiven Gesichtspunkten zu treffen? Mehr als wir glauben erliegen wir dabei Taeuschungen und Irrtümern. Weil diese unbewusst ablaufen, fallen sie uns nur selten auf.
2.
Irren ist menschlich
Unverzichtbar für jedes Beurteilungsverfahren ist es,
einige psychologische Grundregeln und Mechanismen
einzubeziehen. Tut man dies nicht, könnte man genau-
so gut Schimpansen Dartpfeile auf eine Zielscheibe mit
Fotos von vermeintlichen Talenten werfen lassen. Die
Erfolgsquote wäre in etwa gleich hoch. Können Sie sich
davon freisprechen, die Bewertung von Leistung und Po-
tential bei anderen Personen nach subjektiven Gesichts-
punkten zu treffen? Öfter als wir glauben unterliegen
wir Täuschungen und Irrtümern. Weil diese unbewusst
ablaufen, fallen sie uns nur selten auf. Absolut mensch-
lich ist es zum Beispiel, dass wir jemanden, dem wir
Sympathie entgegenbringen,höchstwahrscheinlich bes-
ser bewerten als jemanden, gegen den wir Antipathien
hegen. Vorurteile über eine Person beeinflussen unser
Urteil – ob wir wollen oder nicht.
Wer urteilt, braucht einen Maßstab. Das Problem da-
bei: Der Maßstab, auf den wir gerne intuitiv zurückgrei-
fen, ist meist die eigene Person (Ähnlichkeitseffekt). Des-
halb läuft beispielsweise ein besonders redegewandter
Beobachter Gefahr, bei anderen zu hohe Ansprüche an
die Kommunikationskompetenz zu stellen. Erkennen
wir bei einer Person eigene Stärken wieder, die wir be-
sonders schätzen, beurteilen wir diese Person leichter
insgesamt positiv. Oder: Begegnen wir jemandem mit
Sympathie, laufen wir eher Gefahr, unterdurchschnittli-
che Leistungen als „Ausrutscher“ zu betrachten. Antipa-
thie verkehrt die Situation ins Gegenteil: Vermeintliche
Fehler und Schwächen werden intensiv wahrgenommen
und verleiten uns zu einem eher negativen Bild.
Ein weiteres Problem ist, dass, wenn wir eine Person
erst einmal in eine bestimmte„Schublade“ unseres Den-
kens gesteckt haben, wir diese dort nur sehr schwer wie-
der herausbekommen.
Eine gute und eine schlechte Nachricht
Die schlechte Nachricht ist: Menschlich bedingte Beur-
teilungsfehler lassen sich im Rahmen von Personalent-
scheidungen nicht vollkommen vermeiden. Die gute
Nachricht ist: Sie lassen sich ganz einfach minimieren.
Und zwar, indem Sie die wichtigsten Fehler und deren
Ursachen kennen, und wenn Sie wissen oder selbst er-
fahren haben, welchen Einfluss diese Fehler auf Ihr
Urteilsvermögen haben. Hier können Personalentwick-
lungsmaßnahmen ansetzen. Vorsicht ist dann geboten,
wenn Führungskräfte plötzlich Hobbypsychologen wer-
den.
Tendenz zur Mitte
Aus zahlreichen empirischen Studien und leidvoller prak-
tischer Erfahrung wissen wir, dass Führungskräfte dazu
neigen, bei den eigenen Mitarbeitern sehr homogene
Bewertungen auszusprechen. Häufig finden sich etwa
80 bis 90 Prozent der Mitarbeiter in einer Bewertungs-
klasse. Meist sind dies sehr gute Bewertungen oder sol-
che mit Tendenz zur Mitte. Die Anzahl eher schlechter
Bewertungen oder gar ganz schlechter ist demgegen-
über extrem gering.
Aufgrund solcher Bewertungsmuster ist es schwie-
rig, sehr gute Mitarbeiter mit Entwicklungspotential
von sehr guten Mitarbeitern ohne Entwicklungspo-
tential oder gar durchschnittlichen Mitarbeitern zu
unterscheiden. Die Schwierigkeit potenziert sich mit
zunehmender Größe und Komplexität der Organisa-
tion.
Quervergleiche helfen
Bei der Potentialbeurteilung von Mitarbeitern haben
sich deshalb sogenannte Quervergleiche (Bewertungs-
panels) bewährt. Hier kommen die Führungskräfte einer
Organisationseinheit zusammen, um gemeinsam die
Beurteilungen ihrer jeweiligen Mitarbeiter zu bespre-
chen. Die Kalibrierungsrunden helfen dabei, gemeinsa-
me Standards und Bewertungskriterien zu definieren.
Sie helfen außerdem dabei, Beurteilungen zu validieren
und sich mit Kollegen zu beraten. Dies gilt vor allem im
Bereich von Wissensarbeit und bei Führungs- und Ex-
pertenfunktionen. Denn hier lassen sich Bewertungs-
kategorien und Bewertungskriterien nur ganz selten
trennscharf formulieren. Wenn diese Kalibrierungsrun-
den auch noch von Personen moderiert werden, die über
eine entsprechende Qualifikation verfügen, erhöht sich
die Qualität der Beurteilung noch einmal beträchtlich.
Überraschungen vermeiden
Wenn Talentmanagement wirklich auf breiter Basis
funktionieren soll, darf nichts bezüglich der Leistung
oder des Potentials überraschend sein, weder für den
Mitarbeiter noch für das Unternehmen. Aus Sicht des
Mitarbeiters geht es darum, sich ein Bild davon machen
zu können, was das Unternehmen von ihm erwartet und
wie seine Leistungen und das Entwicklungspotential
eingeschätzt werden. Mitarbeiter wollen wissen, welche
Möglichkeiten ihnen tatsächlich offenstehen und was
sie tun müssen, um diese zu verwirklichen. Unklarheit
und enttäuschte Erwartungen führen nahezu zwangs-
läufig zu Frustration, Demotivation und Leistungseinbu-
ßen. Dies gilt umso mehr, je überraschender diese über
den Mitarbeiter hereinbrechen.
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3. Genauso wichtig ist es, Mitarbeitern deutlich zu ma-
chen, dass Einschätzungen sich unter geänderten Be-
dingungen ebenfalls ändern können. Keiner soll sich auf
einem erreichten Status ausruhen dürfen, und niemand
soll sich resigniert zurückziehen müssen. Die Erwartung
muss konsequent auf permanente Verbesserung gerich-
tet sein. Dies gilt für Leistungsträger ganz besonders.
Talentmanagement ist Detailarbeit
Um noch einmal auf den Ausgangspunkt zurückzukom-
men: Basis eines guten Talentmanagements ist es, Fehl-
besetzungen von vornherein zu vermeiden. Gleichzeitig
muss das Unternehmen das schon vorhandene Potenti-
al nutzen. Daher gilt es, sich als Erstes ein realistisches
Bild davon zu verschaffen,welcheTalente verfügbar sind.
Zweitens ist die Frage zu beantworten, ob mit diesen Ta-
lenten die strategischen Ziele erreicht werden können:
Einige Unternehmen mussten schon erleben, dass sich
die Vorstellungen des Unternehmens von der weiteren
Karriere nicht mit den Zielen der Mitarbeiter deckten,vor
allem, wenn der nächste Karriereschritt mit räumlichen
Veränderungen verbunden war. Drittens gilt es, Entwick-
lungsmöglichkeiten zu kommunizieren und stetiges
Feedback zum Erreichen dieser Ziele an die Mitarbeiter
zu geben. Hier wartet viel Detailarbeit.
Der Unterschied zwischen guten Unternehmen und
Spitzenunternehmen ist, dass Letztere unentwegt in
ihr Talentmanagement investieren und es schaffen, das
Potential der vorhandenen Talente auszuschöpfen. Dies
macht sie wiederum attraktiv für neue Talente – ein sich
kontinuierlich verstärkender Kreislauf. F
Typische Fehlerquellen bei der Personalauswahl und -beurteilung:
Beurteilungsfehler passieren unbewusst, können sich gegenseitig verstärken und lassen sich nicht konsequent
vermeiden. Sie können zu schwerwiegenden systematischen Fehlurteilen führen. Beispiele:
Halo-Effekt Wir lassen uns von einem Aspekt blenden und schließen von ihm auf andere Eigenschaften
der Person, für die eigentlich keine belastbaren Anhaltspunkte vorliegen.
Primacy-Effekt Wir erinnern uns an früher eingehende Informationen besser als an später eingehende. Der
erste Eindruck von einer Person lässt eine Meinung entstehen, die im Verlauf der Beurtei-
lung dazu führt, diesen Eindruck bestätigende Informationen deutlich stärker wahrzuneh-
men.
Recency-Effekt Wir bewerten Verhaltensweisen und Leistungen, die weniger lang zurückliegen, stärker als
länger zurückliegende, da sie eine stärkere Präsenz im Gedächtnis haben.
Kontrasteffekt Beurteilen wir mehrere Personen hintereinander, achten wir verstärkt auf die Unterschie-
de zwischen den Personen und betonen diese über. Absolute Beurteilungen fallen uns in
solchen Situationen schwer.
Ähnlichkeits
effekt
Menschen, die uns ähnlich sind bzw. mit denen wir Gemeinsamkeiten haben, beurteilen wir
schnell besser, als Menschen, die sich stark von uns unterscheiden.
Kontakteffekt Personen, mit denen wir häufiger in Kontakt stehen, bewerten wir in einem Beurteilungs-
verfahren tendenziell positiver als Personen, mit denen wir weniger Kontakt haben.
Einen kurzweiligen Überblick über die vielen kleinen und großen Denkfehler, die uns tagtäglich unterlaufen,
liefert Rolf Dobelli in „Die Kunst des klaren Denkens“.Wer es fundiert mag, dem empfehle ich „Schnelles Denken,
langsames Denken“ von Daniel Kahnemann, der 2002 den Wirtschaftsnobelpreis erhielt.
Torsten Schneider,
Director Human Resources,
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH,
Köln
torsten.schneider@luther-lawfirm.com
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