Dr. theol. Thomas Wild, Geschäftsleiter des AWS, Institut für Aus- und Weiterbildung in Seelsorge, Spiritual Care und Pastoralpsychologie, Universität Bern. 20. Treffen der GIST-Gruppe Schweiz
Auch wir sind Sternenstaub – was uns die Raumsonde Rosetta über unsere Herkun...
Zur Relevanz von Spiritualität bei Krebserkrankungen – Einsichten aus Seelsorge und Spiritual Care
1. Zur Relevanz von
Spiritualität bei
Krebserkrankungen
Einsichten aus Seelsorge
und Spiritual Care
Zürich, 28. April 2023
Dr. theol. Thomas Wild
2. 1. Einführende Bemerkungen
2. „Spiritualität“ – was ist damit gemeint?
3. Fallvignette
4. In einen „spirituellen Raum“ hineinkommen
5. Aspekte seelsorglicher / spiritueller Begleitung
Zur Relevanz von Spiritualität bei Krebserkrankungen
Einsichten aus Seelsorge und Spiritual Care
3. «Spiritualität» ?
• etwas für Spirituelle und Esoteriker?
• Symptom einer Wohlfühlgesellschaft?
• etwas Kognitives?
• etwas Emotionales?
• eine Empfindung?
• eine Erfahrung?
• die Sehnsucht nach Sinn?
• das Geheimnis des Lebens?
• ….
5. «In postmodernen
Gesellschaften besteht
individuelle Spiritualität
häufig aus einem
Patchwork verschiedener
kultureller, ethnischer
und religiöser Einflüsse,
die im Lauf einer
Biographie an Bedeutung
gewinnen und wieder
verlieren.»
Prof. Dr. T. Roser, Uni Münster
«Spiritualität» ?
6. «Spiritualität ist die lebendige Beziehung eines
Menschen zu dem, was sein Leben trägt. Sie umfasst die
Frage der Sinnfindung, die Suche nach Identität, die
Reflexion der existenziellen Lebensfragen, die
Verbindung zu den Mitmenschen und zur Natur,
Wertefühligkeit und Offenheit für Transzendenz. Sie ist
zwar mit ganz persönlichen Erfahrungen und Fragen
verbunden, geht aber nicht darin auf.»
Dr. theol. Corinna Schmohl
Logotherapeutin und Seelsorgerin am Klinikum Stuttgart
«Spiritualität» ?
7. • Herkunft des Spiritualitätsbegriffs aus der jüdisch-christlichen Tradition
• Romanische und angelsächsische Traditionslinie im Mittelalter
• Leben aus dem Geist Gottes (kath. Ordenstheologie, Exerzitien)
Spiritualität Religion
Innerer Kern einer Religion /
Lebenshaltung
Umfassendes Sinngebungssystem
Erfahrungsbasiert Formalisierte Religiosität/Spiritualität
Individuell (subjektiv, intrinsische Lebens-
motivation und -inspiration)
Konfessionell (bekenntnisorientiert,
institutionalisiert)
«Spiritualität» ?
9. Respekt: auf Augenhöhe wahr-
genommen / gesehen werden
tiefere Schichten berühren,
erreichen (ohne zu benennen)
Fragen (z.B. zu pers. Lebenssinn)
wagen, Angebote machen
Räume öffnen, verweilen,
offenhalten, wieder schliessen
Ziele ansprechen («In den Garten
gehen können»)
spiritual pain: sich in seiner Stärke
und Schwäche zeigen können
Atmosphäre: Syntax, Rhythmus,
Pausen, Pausen beenden …
Bild: «Garten Eden» von Adi Holzer, 2012
«Ich habe es nicht
geschafft, normal zu
sein.»
Fallvignette
12. Bin ich jetzt
auch noch
spirituell krank?
In einen «spirituellen Raum» hineinkommen
13. Themen, die mit dem Gesundheitspersonal besprochen werden wollen1:
• Verlauf der Erkrankung, Prognose
• Behandlungsziele, Massnahmen
• Eigene Wertvorstellungen
• Ängste und Sorgen
Aber: «Patientinnen und Patienten wünschen sich nicht noch eine zusätzliche
religiös-spirituelle Diagnose. Sie wollen primär als Menschen und nicht als
Patienten wahrgenommen, d.h. nicht auf ihre Krankheit und auf Symptome
reduziert zu werden.»2
1 You, J. J., Dodek, P. et al. (Canada, 2014). What really matters in
end-of-life discussions? Perspectives of patients in hospital with
serious illness and their families. Canadian Medical Association
Journal, 186 (18)
2 Pujol, N., Jobin, G., & Beloucif, S. (Frankreich 2016). A
qualitative study on the perspectives of patients about the
integration of spirituality in healthcare settings. Journal of
Medical Ethics, medethics-2016
Bin ich jetzt
auch noch
spirituell
krank?
In einen «spirituellen Raum» hineinkommen
14. • Spiritualität ist ein Diamant, dessen Facetten sich je nach
Blick(winkel) zeigen oder auch verborgen bleiben
(Perspektivität)
• Spiritualität kann nicht nur/einfach (per Distress-
Thermometer) erfragt, sondern muss behutsam ertastet
werden (Prozess)
• Offenheit für die Not (Ängste, Wut, Trauer etc.), Interesse an
den «Lebenswelten», «Denkmustern» und Fragestellungen
(Haltung)
In einen «spirituellen Raum» hineinkommen
15. In einen «spirituellen Raum» hineinkommen
1. Welche Räume sind im Spiel?
2. Wie komme ich in die Räume hinein?
3. Wie «halte» ich die Räume?
4. Wie lange bleibe ich?
5. Wie verlasse ich die Räume?
6. Wie verbleibe ich?
16. Subjektive
Sinnfindung
Anonyme
Sinnbildung
Intersubjektive
Sinnstiftung
Michael Staudigl, Dozent am Institut für Philosophie der Universität
Wien (Forschungszentrum Religion and Transformation in
Contemporary Society) Lit. Grenzen der Intentionalität (Wb 2003)
In einen «spirituellen Raum» hineinkommen
17. Transkulturelle Aspekte
das Anderssein des Anderen akzeptieren und in seinem Fremd-Sein belassen
Menschen darin unterstützen, was sie benötigen
Der andere (kranke) Mensch ist vielleicht der «Gotteserfahrenere»
In die Rolle des Gastgebers schlüpfen, der «Gäste» ehrt, respektiert und bedient
Was würden die Gäste tun, wenn sie zuhause / in der Heimat wären?
In die Rolle des Gastes gehen, der ins Lebenshaus des Gegenübers eintritt
Vernetzung zu Bezugspersonen, die die eigenen «Codes» kennen
Religionen sind in sich vielfältig: «den» Islam oder «den» Buddhismus gibt es nicht!
Kulturen verändern sich: mit Migrationskontext erst recht!
In einen «spirituellen Raum» hineinkommen
23. ► Entscheidend sind Nähe, Halt und Gewissheit, nicht alleine gelassen zu werden,
vermittelt durch einen guten Mix aus Angehörigen, Peergroups (Kollegen, Freundinnen)
und Fachleuten
Aspekte seelsorglicher / spiritueller Begleitung
27. Erkrankte Menschen …
➢ … benötigen Informationen zu Diagnose, Massnahmen, Verlauf
und Therapieangeboten sowie deren Risiken.
➢ … erwarten von einer Fachperson nebst fachlichen auch
persönliche Kompetenzen.
➢ … haben ein Kausalitätsbedürfnis, dem die Wissenschaft selten
gerecht werden kann, das aber Teil der Verarbeitung ist.
➢ … wünschen sich „neugierige“, offene Fragen bezüglich ihrer
Gefühlslage, ihrer Denkweise und ihres Wertesystems.
Aspekte seelsorglicher / spiritueller Begleitung
28. Sein Unglück
ausatmen können
tief ausatmen,
so dass man wieder
einatmen kann.
Und vielleicht auch
sein Unglück sagen können
in Worten
in wirklichen Worten,
die zusammenhängen
und Sinn haben
und die man selbst noch
verstehen kann
und die vielleicht sogar
irgendwer sonst versteht
oder verstehen könnte
und weinen können.
Das wäre schon
fast wieder
Glück.
Erich Fried
29. Thomas Wild
Dr. theol. │ MAS SPES AWS Unibe THC
Geschäftsleiter Aus- und Weiterbildung Seelsorge, Pastoralpsychologie und Spiritual Care Schweiz (AWS)
Theologische Fakultät │ Universität Bern
Vielen Dank
für Ihre Aufmerksamkeit!