1. Politik in den digitalen Wohnzimmern
Politische Kommunikation über Netzwerkplattformen und (Micro-)Blogs
Jan-Hinrik Schmidt
Hamburg, 04.11.2010
IST DAS ÜBERHAUPT RELEVANT?
3. Digitale WohnzimmeSeite
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eingebette Nachrichten Webseite von
Tageszeitung
Webseite von
Partei/Kandidat
Blog Netzwerkplattform
Gesamt 18-24
25-34 35-44 45-54
55-65 65+
Abb. 2: Nutzung ausgewählter Internetquellen für Wahlkampfinformationen im BTW 2009
(in % der Online-Informierer; n=355)
Quelle: von Pape/Quandt 2010
Wahlkampf 2.0?
4. Digitale WohnzimmeSeite
Worüber spreche ich?
1. Digitale Wohnzimmer? Entstehen und Strukturen persönlicher Öffentlichkeiten
2. Dis-Intermediation und Re-Intermediation in vernetzten Öffentlichkeiten
3. Was meint „politische Partizipation“ in vernetzten Öffentlichkeiten?
5. Digitale WohnzimmeSeite
Was geschieht im Web 2.0? Diagnosen.
Commons-Based Peer
Production
(Yochai Benkler)
Convergence/
Participatory Culture
(Henry Jenkins)
Emergenz digitaler
Öffentlichkeiten
(Stefan Münker)
Das neue Netz = „social
web“
„Politik in Echtzeit“
(Christoph Bieber)
6. Digitale WohnzimmeSeite
Was geschieht im Social Web? Meine Perspektive.
Das Social Web senkt die Hürden für onlinebasiertes…
www.flickr.com/photos/44029537@N00/12760664/
– Identitätsmanagement (Darstellung individueller Interessen,
Erlebnisse, Meinungen, Kompetenzen, etc.)
z.B. Weblogs, YouTube
http://flickr.com/photos/mylesdgrant/495698908/
– Beziehungsmanagement (Pflege von bestehenden und
Knüpfen von neuen Beziehungen)
z.B. Facebook, studiVZ, XING, Wer-kennt-Wen
http://www.flickr.com/photos/axels_bilder/1267008046/
– Informationsmanagement (Selektion und Weiterverbreitung
von relevanten Daten, Informationen, Wissen- und Kulturgütern)
z.B. Wikipedia, Twitter
7. Digitale WohnzimmeSeite
Entstehen persönlicher Öffentlichkeiten
• Das Social Web unterstützt das Entstehen von persönlichen Öffentlichkeiten, in denen
• (a) Informationen nach Kriterien der persönlichen Relevanz ausgewählt werden,
[anstatt nach journalistischen Nachrichtenfaktoren]
• (b) man sich an ein (intendiertes) Publikum richtet, das aus sozialen Kontakten besteht,
[anstatt des verstreuten, unbekannten, unverbundenen Publikums der Massenmedien]
• (c) und sich im Kommunikationsmodus des „Konversation betreibens“ befindet
[anstatt im Modus des „Publizierens“]
8. Digitale WohnzimmeSeite
Entstehen persönlicher Öffentlichkeiten
• Vor allem in diesen persönlichen Öffentlichkeiten des Social Web verschwimmt
die Trennung zwischen „Sender“- und „Empfänger“-Rollen der
Massenkommunikation
• Twitter, Facebook u.ä. Angebote haben Konzept des „streams“ popularisiert – der
konstante Informationsfluss, der an die Seite bzw. Stelle von statischem Text tritt
9. Digitale WohnzimmeSeite
Wie orientiere ich mich in der Welt?
http://www.flickr.com/photos/axels_bilder/1267008046/
• Die Grenzen zwischen journalistischen und
„Laien“-Öffentlichkeiten werden fließender,…
– … nicht so sehr, weil Nutzer auch als Urheber
von Informationen auftreten („user-generated
content“; „citizen journalism“)
– …sondern vor allem, weil Nutzer als Filter bzw.
Multiplikatoren innerhalb ihrer sozialen
Netzwerke agieren und Informationen (auch aus
etablierten Medien) miteinander teilen
• Entgegen mancher Befürchtungen (oder Hoffnungen), verdrängt das Social Web den
professionellen Journalismus nicht, noch macht es ihn überflüssig.
• Richtig ist aber: In dem Maße, wie Menschen ohne besondere technische oder
berufliche Ausbildung Informationen mit anderen teilen können, schwindet das Monopol
von professionellen Experten (Journalisten, Enzyklopädisten, Bibliothekare, …) auf das
Auswählen, Aufbereiten und öffentliche zur-Verfügung-Stellen von Informationen
10. Digitale WohnzimmeSeite
Publizistische und persönliche Öffentlichkeiten
• In den vernetzten Öffentlichkeiten
des Social Web äußert sich somit
auch und vor allem die „Anschluß-
kommunikation“ des Publikums
– Publizistische Angebote machen
ihre Inhalte für die neuen
Vermittlungsplattformen
zugänglich
– Nutzer verlinken, retweeten,
bookmarken, diggen, teilen und
empfehlen journalistische Inhalte
• Die Online-Ableger etablierter
publizistisch-redaktioneller
Angebote bündeln nach wie vor das
Gros der Aufmerksamkeit
„Twittercharts“ nach
Verweisen
11. Digitale WohnzimmeSeite
Publizistische und persönliche Öffentlichkeiten
• In den vernetzten Öffentlichkeiten
des Social Web äußert sich somit
auch und vor allem die „Anschluß-
kommunikation“ des Publikums
– Publizistische Angebote machen
ihre Inhalte für die neuen
Vermittlungsplattformen
zugänglich
– Nutzer verlinken, retweeten,
bookmarken, diggen, teilen und
empfehlen journalistische Inhalte
• Die Online-Ableger etablierter
publizistisch-redaktioneller
Angebote bündeln nach wie vor das
Gros der Aufmerksamkeit
„Twittercharts“ nach
Verweisen
14. Digitale WohnzimmeSeite
studiVZ: Wahlzentrale
“Wahlzentrale” bündelte Informationen
und Aktivitäten zum Bundestags-
wahlkampf 2009
Anzahl der Unterstützer pro
Partei
“Sonntagsfrage”
Diskussionsgruppen
“Politikfibel” als spezifische
Regeln für politische Inhalte auf
der Plattform
weiterführende
Informationen/Inhalte in
Kooperation mit publizistischen
Angeboten
(u.a. ZDF, Spiegel Online,
sueddeutsche.de)
15. Digitale WohnzimmeSeite
Interaktive Features: Wahlkarte
Kartographische Darstellung aller
Wahlbezirke und der jeweiligen Kandidaten,
auf deren studiVZ-Profil verlinkt wurde (sofern
vorhanden)
16. Digitale WohnzimmeSeite
Interaktive Features: „Wahl-Seifenoper“
Die wöchentliche „Soap Deiner Wahl“
präsentierte pro Episode ein spezifisches
politisches Thema sowie begleitende
Diskussionsgruppe
Am Ende der Episode konnte der Nutzer
zwischen verschiedenen Alternativen
wählen, die parteipolitischen Positionen
entsprachen
17. Digitale WohnzimmeSeite
Unterschiede zwischen den SNS im BTW 2009
StudiVZ/MeinVZ Facebook WKW
Identitäts-
management
Beziehungs-
Management
Technisch: reziproke
Beziehungen
Semantisch: eher
schwach („Ich kenne“)
Informations-
management
User-generated content
&
Professionell-journalistische
Inhalte
Interaktive Funktionen
Nutzer: Politische Präferenzen und politisches Engagement werden innerhalb
persönlicher Öffentlichkeiten und innerhalb thematischer Gruppen signalisiert
Kandidaten: Präsenz und Aufgeschlossenheit werden signalisiert; politische
Standpunkte an interessierte Bürger und Unterstützer vermittelt
Technisch: Einseitige Beziehungen
Semantisch: eher stark („Unterstützer“ bzw. „gefällt
mir“)
User-generated content
Keine zusätzlichen Inhalte / Funktionen
Quelle: Kunert/Schmidt 2011
18. Digitale WohnzimmeSeite
Abgestufte Partizipation
• Die Interaktionsräume des Social Web erlauben verschiedene Varianten politischer
Partizipation (nach Wagner/Brüggen/Gebel 2009):
– Sich positionieren: Ausdrücken von politischen Überzeugungen i.S.v. „signalling“
– Sich einbringen: Teilhabe an Konversationen/Diskursen zu politischen Themen
– Andere aktivieren: Mobilisierung von anderen Nutzern für politische Aktivitäten
19. Digitale WohnzimmeSeite
Kommunikationsräume gestaltbar machen
• Auch der Einsatz für die eigenen
Belange und Rechte im Internet
gehört zu politischer Partizipation
– Plattformen räumen Nutzern
höchstens als „Kunden“, nicht aber
als „Bürger“ Mitspracherechte bei
der Verwendung der Werke und
Daten ein
– formalisierte Verfahren der
Nutzeranhörung existieren nicht /
nur in Ansätzen; auf Nutzerseite
fehlt Bewusstsein, durch kollektives
Handeln auch Mitbestimmung
einzufordern
Schnittbereich politische Bildung
& Medienkompetenzförderung
21. Digitale WohnzimmeSeite
Fazit
• Auch wenn andere Mediengattungen noch von mehr Personen für politische
Informationen genutzt werden, das Internet und neuere Web 2.0-Anwendungen sind
wichtige Kanäle für politische Kommunikation
Das Social Web lässt einen neuen Typ von Öffentlichkeit entstehen: Persönliche
Öffentlichkeiten bestehen aus Informationen von persönlicher Relevanz, die an
vergleichsweise kleine Publika gerichtet sind; es geht eher um Konversation als um
Publizieren
Zusammen mit etablierten publizistischen Angeboten entsteht so ein Geflecht von
vernetzten Öffentlichkeiten, das durch Dis- und Reintermediation gekennzeichnet ist
Den Werkzeugen und Plattformen des Social Web (und ihrer spezifischen Architektur)
kommt daher eine besondere, weil rahmende Stellung für politische Kommunikation zu
Angesichts dieser besonderen Stellung von neuen Intermediären für politische
Information und politisches Handeln werden Formen der Teilhabe (und der dafür
notwendigen Kompetenzen) in Zukunft immer wichtiger werden – nicht nur, um die
Rahmenbedingungen unseres privat-persönlichen Handelns, sondern auch für
politische Information und Willensbildung zu gestalten
22. Digitale WohnzimmeSeite
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Dr. Jan-Hinrik Schmidt
Hans-Bredow-Institut
Warburgstr. 8-10, 20354 Hamburg
j.schmidt@hans-bredow-institut.de
www.hans-bredow-institut.de
www.schmidtmitdete.de
www.dasneuenetz.de
23. Digitale WohnzimmeSeite
Weiterführende Literatur
– ARD-ZDF-Onlinestudie 2010:
– Van Eimeren, Birgit/Beate Frees (2010): Fast 50 Millionen Deutsche online – Multimedia für alle?
Ergebnisse der ARD/ZDF-Onlinestudie 2010. In: Media Perspektiven, Nr. 7-8, 2010, S. 334-349.
– Busemann, Katrin & Gscheidle, Christoph (2010). Web 2.0: Nutzung steigt – Interesse an aktiver
Teilnahme sinkt. Media Perspektiven, 7-8/2010, 359-368.
– Benkler, Yochai (2006): The Wealth of Networks. How social production transforms markets and freedom.
New Haven/London.
– Jenkins, Henry (2006): Convergence Culture. Where old and new media collide. New York.
– Kunert, Jessica / Jan Schmidt (2011): Hub, Fine-Tuner oder Business as Usual? Social Network Sites und
die Bundestagswahl 2009. Erscheint in: Schweitzer, Eva Johanna / Steffen Albrecht (Hrsg.): Das Internet
im Wahlkampf. Analysen zur Bundestagswahl 2009. Wiesbaden.
– Neuberger, Christoph/Christian Nuernbergk/Melanie Rischke (Hg.) (2009): Journalismus im Internet.
Profession – Partizipation – Technisierung. Wiesbaden.
– Schmidt, Jan (2009): Das neue Netz. Merkmale, Praktiken und Konsequenzen des Web 2.0. Konstanz.
– Schmidt, Jan/Ingrid Paus-Hasebrink/Uwe Hasebrink (Hrsg.) (2009): Heranwachsen mit dem Social Web.
Berlin.
– Von Pape, Thilo/Thorsten Quandt (2010): Wen erreicht der Wahlkampf 2.0? In: Media-Perspektiven,
9/2010, S. 390-398.
– Wagner, Ulrike / Niels Brüggen / Christa Gebel (2009): Web 2.0 als Rahmen für Selbstdarstellung und
Vernetzung Jugendlicher. Analyse jugendnaher Plattformen und ausgewählter Selbstdarstellungen von 14-
bis 20-Jährigen. München.