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Skript zur Vorlesung Praktikum Transfusionsmedizin/Hämostaseologie, Teil II
2. Klinisches Semester
Transfusionsmedizinische und Hämostaseologische Abteilung, Universitätsklinikum
Erlangen
Spezielle Hämostaseologie: Diagnostik und Therapie Hämorrhagischer und
Thrombophiler Diathesen.
Inhaltsverzeichnis (Weiterführung von Hämostaseologie, Teil I):
3.1 Einleitung
3.2 Einteilungskriterien der hämorrhagischen Diathese
3.2.1 Einteilung nach Pathogenese
3.2.2 Klinische Symptomatik (Blutungstypen)
3.2.3 Einteilung nach Organlokalisation
3.3 Klinische Beurteilung einer hämorrhagischen Diathese
3.4 Thrombozytär bedingte hämorragische Diathesen
3.4.1 Angeborene Thrombozytopathien (selten)
3.4.2 Erworbene Thrombozytopathien
3.4.3 Thrombozytopenien (Einteilung):
3.4.3.1 Immunthrombozytopenie (ITP)
3.4.3.2 Neonatale Allo-Immunthrombozytopenie (NAIT)
3.4.3.3 Posttransfusionspurpura (PTP)
3.4.3.4 Autoimmune Thrombozytopenie
3.4.3.5 Arzneimittel (AM) induzierte Thrombozytopenie
3.4.3.6 Heparin-induzierte Thrombozytopenie (HIT)
3.5 Vasopathien
3.5.1 Purpura Schoenlein-Henoch
3.5.2 Panarteriitis nodosa
3.5.3 Sonstige vaskulär bedingte hämorrhagische Diathesen
3.5.4 Morbus Rendu-Osler-Weber (selten)
3.6 Angeborene Koagulopathien
3.6.1 Hämophilie A
3.6.1.2 Therapie der Hämophilie
3.6.2 Von Willebrand-Jürgens Syndrom
3.6.2.1 Von Willebrand Faktor (Antigen)
3.6.2.2 Klassifikation: hereditäres vWJS
3.6.2.3 Sonderform: Erworbenes vWJS
3.6.2.4 Diagnostik des vWJS
3.6.2.5 Therapie des vWJS
3.7 Erworbene Koagulopathien
3.7.1 Hemmkörper- (Inhibitor-) Koagulopathie
3.7.1.1 Diagnostik der Hemmkörperhämophilie
3.7.1.2 Therapie der Hemmkörperhämophilie
3.7.2 Allgemeine diagnostische und therapeutische Prinzipien bei Koagulopathien
4. Therapie mit Plasma und dessen Derivaten
4.1. Plasma zur therapeutischen Anwendung
4.2. Die wichtigsten Plasmaderivate
4.3 Auswahl und Dosierung des geeigneten Plasmaderivats
4.4 PPSB (Prothrombinkomplex) Konzentrat
4.4.1 Prinzipien der PPSB-Anwendung
4.4.2 Risikomindernde Maßnahmen bei der PPSB-Gabe:
4.4.3 PPSB – Mögliche Nebenwirkungen
4.5 Zusammenfassung: Allgemeine Prinzipien zur Berechnung der Faktorenkonzentration
5. Thrombophile Diathesen
5.1 Thromboseentstehung
5.1.1 Virchow Trias
5.1.2 Thrombusentstehung im venösen System
5.1.3 Thrombusentstehung im arteriellen System
5.2 Thrombophilie
5.3 APC Resistenz (= Resistenz gegen aktiviertes Protein C) / Faktor V Leiden
5.3.1 Historisches
5.3.2 Genetik des Faktor V – Leiden
5.3.3 Kombination von F.V - Leiden mit anderen thrombophilen Risikofaktoren
5.4 Prothrombin Mutation (G20210 A)
5.4.1 Bedeutung der Prothrombin Mutation
5.4.2 Molekularbiologie
5.4.3 Klinik
5.5 Antithrombin-Mangel
5.5.1 Bedeutung des Antithrombin Mangels
5.5.2 Klinik des angeborene Antithrombinmangel
5.5.3 Klinik des erworbenen Antithrombinmangels
5.5.4 Therapie des Antithrombinmangels
5.5.5 AT-Mangel als Nebenwirkung bei Gerinnungstherapie
5.6 Protein C Mangel
5.6.1 Angeborener Protein C Mangels (heterozygot/homozygot)
5.6.2 Erworbener Protein C Mangel
5.6.3 Therapie des Protein-C-Mangels
5.7 Protein S Mangel
5.7.1 Angeborener Protein S Mangel
5.7.2 Erworbener Protein S Mangel
5.7.3 Therapie des Protein-S-Mangels
5.8 Prophylaxe und Therapie der venösen Thromboembolien
5.8.1 Cumarine (Phenprocoumon, Warfarin)
5.8.2 Heparine
5.8.3 Direkte Thrombininhibitoren
5.8.3.1. Hirudin
5.8.3.2. Argatroban
5.8.3.3. Dabigatran
5.8.4 Direkte Faktor-Xa-Inhibierung: Rivaroxaban
5.8.5. Kurzer Überblick: Thromboseprophylaxe bei chirurgischen und immobilisierten
internistischen Patienten
5.8.6 Fibrinolytika
3.1 Einleitung
Aufgrund der großen Komplexität der Physiologie der Hämostase ergibt sich die Möglichkeit
für vielerlei Störungen der Blutstillung. Wenn hieraus eine abnorme Blutungsneigung
resultiert, sprechen wir von einer hämorrhagischen Diathese. Dagegen äußert sich eine
trombophile Diathese oder Thrombophilie klinisch in einer Thromboseneigung.
Definition der hämorrhagischen Diathese:
Sammelbezeichnung für Krankheitszustände, die durch eine Blutungsneigung bzw. das Auftreten
spontaner, schwer stillbarer Blutungen gekennzeichnet sind [Diathese = Neigung]. Hämorrhagi-
sche Diathesen sind angeborene oder erworbene Störungen des Blutgerinnungssystems.
3.2 Einteilungskriterien der hämorrhagischen Diathesen
3.2.1 Einteilung nach Pathogenese:
Ätiologisch werden Blutungen nach den zugrunde liegenden Ursachen eingeteilt.
Eine mögliche Ursache ist eine thrombozytär bedingte Blutungsneigung, also ein Defekt der
primären Hämostase, der sich wiederum in eine Verminderung der Thrombozytenzahl
(Thrombozytopenie) oder in eine Funktionsstörung der Thrombozyten (Thrombozytopathie)
unterteilen lässt. Eine andere wichtige Ursache ist die plasmatisch bedingte Blutungsneigung, also
ein Defekt der sekundären Hämostase. Bei dieser handelt es sich i.d.R. um den Mangel bzw. die
Fehlfunktion eines oder mehrerer Gerinnungsfaktoren. Als bekanntestes Beispiel ist hier die
Hämophilie A, der angeborene Mangel an Gerinnungsfaktor VIII, zu nennen. Die (bei
Mitbetrachtung sehr leichter Formen) häufigste angeborene hämorrhagische Diathese ist das von-
Willebrand-Jürgens-Syndrom (vWJS), das klassischerweise als „Mischform“ einer plasmatischen
und thrombozytären Blutungsneigung imponiert. Seltener treten Blutungen durch eine
Hyperfibrinolyse auf (z.B. Verbrauchskoagulopathie, DIC, tumorassoziierte Hyperfibrinolyse).
Der geringste Anteil der Blutungen wird durch Vasopathien (vaskuläre Ursache, um 5% der
Blutungsursachen) verursacht.
Eine weitere Einteilungsmöglichkeit ist die Unterscheidung nach hereditär vs. erworben. Als
Beispiele für krankheitsbedingt erworbene hämmorrhagische Diathesen lassen sich
Thrombozytopenie aufgrund maligner hämatologischer Erkrankungen, Hemmkörperhämophilie,
Vasulitis und vor allem eine Thrombozytenfunktionsstörung durch die Einnahme von
verschiedenen Medikamenten, insbesondere acetylsalicylsäurehaltige Schmerzmittel oder andere
Nicht-steroidale Antirheumatika, nennen. Auch weitere iatrogene Ursachen sind häufig (z.B.
unerwünschte Nebenwirkung im Rahmen einer Antikoagulation; erhöhte Gefäßfragilität nach
chronischer Therapie mit Cortikosteroiden, sog „chirurgische Blutung“)
Schließlich wird als primäre Form einer hämorrhagischen Diathese jedes eigenständige Krank-
heitsbild und als sekundäre Form die Blutung als Begleitsymptom einer Grunderkrankung
bezeichnet.
Einen Überblick verschafft die nachfolgende Tabelle:
Einteilungskriterium Beispiele
Nach Defekt im Hämostasesystem Thrombozytopenie/Hämophilie
A/Hyperfibrinolyse/Gefäßverletzung
Hereditär/erworben X-chromosomal vererbte Hämophilie
A/Hemmkörperhämophilie
Krankheitsbedingt/iatrogen Mangel an Gerinnungsfaktoren aufgrund Synthesestörung
– Therapie mit Antikoagulantien
Chronisch - akut Hämophilie aufgrund hereditären Faktorenmangels -
hämorrhag. Diathese bei Verbrauchskoagulopathie
Primär - sekundär Hämophilie A – Faktorenmangel bei Leberzirrhose
3.2.2 Klinische Symptomatik (Blutungstypen):
Eine Blutungsneigung kann sich bereits im Alltag durch auffallend lange oder starke Blutungen bei
Bagatellverletzungen äußern. Ebenso kann eine Neigung zu spontanem Nasenbluten (Epistaxis)
oder Zahnfleischbluten bestehen. Bei schwerer Hämophilie sind Einblutungen in Gelenke häufig.
Klinisch sehr bedeutsam sind auch Einblutungen in die Haut, die vielerlei Formen aufweisen
können: Die Rhexisblutung bezeichnet Gefäßläsionen, die scharf begrenzt und meist auf eine
Lokalisation beschränkt sind (im Lichtmikroskop erkennbar). Die Diapedesisblutung betrifft die
Endstrombahn, die Blutungen erscheinen daher eher verwaschen (die Gefäßläsion ist nur
elektronenmikroskopisch nachweisbar). Aus der Morphologie der Blutung auf der Haut oder den
Schleimhäuten lassen sich wichtige Hinweise auf die Krankheitsursache erkennen. Bei
punktförmigen Blutungen unterscheidet man die Petechie (ital.: Blutflecken), die punktförmig
flach ist und einzeln, d.h. voneinander gut abgrenzbar erscheint, von der Purpura (lat.: Purpur),
einer Anhäufung von vielen Petechien, die nicht mehr gut voneinander abgrenzbar sind und einen
unscharfen Randsaum aufweisen. Davon abzugrenzen ist das Hämatom („Bluterguss“), das eine
raumfordernde Blutung im Gewebe bedeutet, die Sugillation (unscharf begrenzte Blutung in der
Haut), die Suffusion (flache, unscharf begrenzte Blutung in der Schleimhaut) und die Ekchymose
(flache, fleckförmige und scharf begrenzte Blutung). Die klinisch am wichtigsten zu
differenzierenden Blutungsmorphologien sind einerseits die Hämatome, die spontan meist bei
schweren plasmatischen Gerinnungsstörungen auftreten können (z.B. Hämophilie A oder B) und
auch im Schleimhautbereich lokalisiert sein können (z.B. von Willebrand Syndrom). Petechien
treten in der Regel bei Thrombozytopenien auf (häufigste Ursache) oder bei starken
Thrombozytenpathien. Vasopathien sind mehr oder minder ausgeprägte Störungen der
Gefäßintegrität, die zu Einblutungen in das Gewebe (z.B. Haut) führen können. Das
Erscheinungsbild dabei ist bunt, bei Vasopathien treten hauptsächlich petechienartige Blutungen
auf.
3.2.3 Einteilung nach Organlokalisation:
Für Blutungen bestimmter Organe oder Blutbeimengungen zu Körperflüssigkeiten und -sekreten
werden spezielle Begriffe verwendet:
Epistaxis Nasenbluten Hämaskos Blut in Bauchhöhle
Hämoptoe Blutungen aus der Lunge Hämarthros Blut im Gelenk
Hämatemesis Erbrechen von Blut Hämometra Blut in Gebärmutter
Hämothorax Blutansammlung in der Brusthöhle Hämoperikard Blut im Herzbeutel
Hyphäma Blut in der vorderen Augenkammer
Meläna Blut im Kot, dunkle Farbe =
Hämatinbildung durch HCl des
Magensaftes
3.3 Klinische Beurteilung einer hämorrhagischen Diathese
Für die klinische Beurteilung eines Patienten ist zunächst die Eigenanamnese unabdingbar. Da
einige hämorrhagische Diathesen auch hereditär sind, kommt der Erhebung der
Familienanamnese eine große Bedeutung zu; dies besonders bei Kindern. Durch die Anamnese
kann also eine erste Einschätzung des Schweregrades der hämorrhagischen Diathese erfolgen.
Hilfreich für die Anamneseerhebung sind standardisierte Fragebögen. Wichtige Fragen sind
beispielsweise die bisher erfolgten Blutungskomplikationen in Anzahl und Lokalisation, die
Anzahl transfusionspflichtiger Blutungen, das Erstmanifestationsalter bei Blutungskomplikationen
oder der Blutungstyp (siehe oben). Erfragt werden muß hierbei auch, ob bei Operationen,
Zahnextraktionen, Geburten oder größeren Verletzungen auffällige Blutungen auftraten.
3.4 Thrombozytär bedingte Hämorragische Diathesen
Grundsätzlich unterschieden werden muß die Thrombozytopathie (Funktionsstörung der
Thrombozyten) von der Thrombozytopenie (verminderte Thrombozytenzahl).
Kurzcharakterisierung der Thrombozyten:
- Bildungsort: Megakaryozyten im Knochenmark
- Ca. 25% der Thrombozyten finden sich in der Milz (Thrombozytenreservoir)
- Normwert im peripheren Blut: 150.000 – 450.000/µl
- Durchmesser des Thrombozyten ca. 2 – 4 µm
- Lebensdauer der Thrombozyten im Blut: ca. 7-10 Tage
3.4.1 Angeborene Thrombozytopathien
Bei angeborenen Thrombozytopathien besteht meist eine lebenslange Blutungsneigung, die unter-
schiedlich stark ausgeprägt sein kann und mit keiner offensichtlichen Störung von globalen
plasmatischen Gerinnungstesten oder der Thrombozytenzahl einhergeht. Zur Diagnose der
Thrombozytopathie muss ein Test durchgeführt werden, die die Thrombozytenfunktion erfasst
(z.B. Thrombozytenaggregationstestung nach Born oder die In-vivo oder besser In-vitro
Blutungzeit mittels PFA-100®
) durchgeführt werden. Häufig ist für eine eindeutige Klassifizierung
der Thrombozytopathie eine aufwendige Untersuchung des thrombozytären Rezeptorstatus nötig,
die jedoch meist nur durchgeführt wird, wenn die Subklassifizierung der Thrombozytopathie von
klinischer Relevanz ist.. Neben den klassischen, aber auch sehr seltenen Rezeptordefekten (s.u.)
gibt es noch eine Reihe schwierig zu klassifizierender Defekte der Sekretion von
Plättcheninhaltsstoffen und –rezeptoren.
Das sehr seltene Bernard-Soulier-Syndrom (BSS) weist einen quantitativen oder qualitativen
Synthesedefekt des GP Ib-V-IX Rezeptors (= vWF-Rezeptor) auf. Dies führt zu einer unzu-
reichenden Bindung des vWF (von Willebrand Faktor) an die Thrombozytenmembran und dadurch
zu einer eingeschränkten Thrombozytenfunktion. Die Erkrankung wird autosomal rezessiv vererbt.
Da vorwiegend die Thrombozytenadhäsion betroffen ist, ist die Blutungszeit verlängert und die
Ristocetin-induzierte Thrombozytenaggregation pathologisch. Im Diffenenzialblutbild fallen
morphologisch sog. „Riesenthrombozyten“ (sog. „Giant Platelets“) auf.
Die Thrombasthenie Glanzmann stellt eine seltene, autosomal rezessive Störung der Throm-
bozytenfunktion dar, wobei der Fibrinogen-Rezeptor (GP IIb/IIIa) betroffen ist (quantitativer oder
qualitativer Synthesedefekt des Rezeptors). Durch eine unzureichende Fibrinogenbindung an die
Thrombozytenmembran ist hauptsächlich die Thrombozytenaggregation gestört. Im Thrombo-
zytenaggregationstest sind die Reaktionen mit den Agonisten ADP und Kollagen verändert,
während die Reaktion mit Ristocetin normal ist. Die Morphologie der Thrombozyten ist unauf-
fällig. Die klinische Symptomatik ist variabel (petechialen Blutungen, Epistaxis, Menorrhagien,
etc.), insgesamt besteht jedoch nur eine leichte bis mittelgradige Blutungsneigung. Eine Reihe
dieser funktionellen Plättchenfunktionsstörungen führen oft nur zu milder Blutungsneigung und
sind dadurch sowohl anamnestisch als auch diagnostisch sehr schwer zu fassen. Meist sind es
Einzelereignisse, die zu schweren Blutungen geführt haben, die dann Anlaß zu meist langwierigen
diagnostischen Abklärungen geben. Therapeutisch entspricht die Vorgehensweise der bei BSS
(siehe oben).
Thrombozytopathien lassen sich therapeutisch mit der Gabe von Thrombozytenkonzentraten
behandeln. Wenn die Thrombozytopathie auf einem Rezeptordefekt beruht (wie bei Bernard-
Soulier oder Glanzmann), kann die Gabe von Thrombozytenkonzentraten jedoch zu einer
Immunisierung gegen den fehlenden Glykoproteinrezeptorkomplex führen, was eine weitere
Versorgung mit Thrombozytenkonzentraten auch in Notfallsituationen unmöglich macht. Darum
sollten hier nach Möglichkeit andere Maßnahmen versucht werden: Häufig kommt es nach Gabe
von DDAVP (Minirin®) zu einer Verbesserung der Thrombozytenfunktion. Bei kleinen
chirurgischen oder zahnärztlichen Eingriffen reicht oftmals eine lokale Antifibrinolyse aus. Sehr
bewährt hat sich bei Blutungsereignissen bei Thrombasthenie Glanzmann auch die Gabe von
rekombinantem Faktor VIIa (Novoseven®
)
3.4.2 Erworbene Thrombozytopathien:
Erworbene Plättchenfunktionsstörungen (z.B. durch Medikamente induziert) stellen den häufig-
sten Grund für Gerinnungsstörungen dar und führen nicht selten zu erheblichen (oft peri-
operativen) Blutungsproblemen (Medikamentenanamnese!). Ein Beispiel hierfür ist die
Einnahme von Aspirin®
oder anderen Arzneimitteln, die Acetylsalicylsäure enthalten. Andere
Antiphlogistika und Schmerzmittel können ebenfalls Bestandteile enthalten, welche die
Thrombozytenfunktion beeinträchtigen (COX-Hemmer, s. Übersicht). Des Weiteren wurden in
über 100 Medikamenten und auch Nahrungsmitteln Stoffe gefunden, die eine Verminderung der
Plättchenfunktion verursachen.
Wichtig zu erwähnen ist, dass die meisten dieser Medikamente primär nicht zur absichtlichen
Hemmung der Thrombozytenfunktion wie z.B. als Sekundärprophylaxe nach Myokardinfakt oder
ischiämischem Apoplex eingenommen werden, sondern oft als nicht rezeptpflichtiges
Schmerzmittel. Daher sollte immer nach solchen Medikamenteneinnahmen gefragt werden!
Daneben existieren noch eine Reihe pathologischer Zustände, die oft mit einer toxischen
Thrombozytenfunktionsstörung verbunden sind (z.B: Myeloproliferatives Syndrom, extrakorporale
Blutzirkulation, Dysproteinämien, Autoantikörper, etc.).
Ursachen erworbener Thrombozytopathien:
Medikamente Nichtsteroidale Antiphlogistika
(Aspirin,Ibuprofen) [Cyclooxygenase: COX]
Tiklopidin [ADP-Antagonismus mit Inhibition
der GpIIb/IIIa-Aktivierung]
Mechanisch Extrakorporale Zirkulation
Verbrennungen
Toxisch Urämie
Lebererkrankungen
Regenerativ hämatologische Systemerkrankungen
CLL
Plasmozytom
3.4.3 Thrombozytopenien (Einteilung):
Es gibt eine Reihe von Krankheitsbildern, die mit einer Verminderung der Thrombozytenzahl
(mild: 50.000 – 150.000/µL; mittelschwer: 20.000 – 50.000 /µL; schwer: < 20.000/µL) einher-
gehen. Allgemein unterscheidet man eine Bildungsstörung oder eine Umsatzstörung vom Throm-
bozytenverbrauch (z.B. bei Blutungen). Thrombozytopenien treten aufgrund einer Bildungsstörung
des Knochenmarks (hereditär, im Rahmen einer erworbenen hämatologischen Grunderkrankung
oder aufgrund einer toxischen Schädigung) auf. Eine zweite wichtige Ursache ist die
Autoimmunthrombozytopenie, bei der Antikörper gegen Thrombozyten und Megakaryozyten
auftreten.
3.4.3.1. Immunthrombozytopenie (ITP)
Die ITP wurde früher als Idiopathische Thrombozytopenie verstanden. Seit bekannt ist, dass
Autoantikörper für das Krankheitsbild verantwortlich sind, wird diese Abkürzung für den Begriff
Immunthrombozytopenie verwendet. (Falls in „neuen“ Arztbriefen „idiopathische
Thrombozytopenie“ vermerkt sein sollte, ist entweder ein alter Begriff verwendet worden, oder es
handelt sich tatsächlich um eine Thrombozytopenie, für die noch kleine Ursache gefunden wurde.)
Die ITP kommt bei Kindern (meist akute ITP) und bei Erwachsenen vor und stellt eine isoliert
vorkommende Thrombozytopenie dar, die mit keinen anderen klinischen Ursachen
vergesellschaftet ist. Daher stellt die ITP eine Ausschlussdiagnose dar. Sie kann mit oder ohne
Splenomegalie vorkommen. Die akute ITP tritt meist bei Kindern nach Infektionen auf und heilt
nach längstens 12 Monaten aus. Bei Immunthrombozytopenien, die länger als 12 Monate
andauern, spricht man von einer chronischen ITP (Morbus Werlhof). Differentialdiagnostisch ist
bei der akuten ITP der postoperative akute Thrombozytenabfall bei Blutungen oder die
heparininduzierte Thrombozytopenie (HIT) zu unterscheiden. Akut treten typischerweise
Petechien, Hämatome und Schleimhautblutungen auf. Bei der chronischen ITP werden
Thrombozytenzahlen auch unter 20.000/µL oft gut toleriert (Adaptation), die dann meist nur kleine
petechiale Einblutungen verursachen.
Die Thrombozytenfunktion kann bei der ITP eingeschränkt sein, wenn sich die Autoantikörper
gegen spezielle thrombozytäre Rezeptoren richten. Häufig ist die Funktion der verbliebenen
Thrombozyten jedoch besser, als die Thrombozytopenie befürchten läßt. Da die
Antikörperbeladung zu einem schnelleren Abbau der Thrombozyten in der Milz führt, liegen bei in
der Regel gesteigerter Megakaryozytopoese im Knochenmark überproportional viele junge
Thrombozyten vor, die besonders gut funktionieren. Weil junge Thrombozyten noch ein größeres
Volumen aufweisen als ältere, ist das mittlere thrombozytäre Volumen in der Regel gesteigert.
Liegen in selteneren Fällen jedoch Autoantikörper vor, die bereits die Thrombozytopoese auf der
Ebene der Megakaryozyten hemmen, so ist dann die Megakaryozytopoese gehemmt.
Evtl. nachzuweisende antithrombozytäre Antikörper (IgG-Typ) können unter immunsuppressiver
Therapie mit Cortison, Cyclophosphamid, oder einer Kombination von beiden, abfallen und es
somit zu einer Erhöhung der Thrombozytenzahl kommen. Durch die Gabe von Immunglobulinen
wird eine Blockade des Monozyten-Makrophagen-Systems und ein dadurch bedingter reduzierter
Abbau von AK-beladenen Thrombozyten bewirkt, so daß mit dieser Therapie ein rascher Anstieg
erreicht werden kann. Als weiteren Therapieansatz kann eine Splenektomie vorgenommen werden,
die zu einer Verminderung der Thrombozyten-Clearance aus dem Blut (durch die Milz) führt. Die
Thrombozytengabe ist auf vitale Notfallsituationen beschränkt (cave: Antikörperboosterung). In
letzter Zeit wurden auch durch die Gabe von Thrombopoietinanaloga gute Therapieerfolge erzielt.
Ebenso sind gegen B-Zellen gerichtete spezifische Antikörper (Anti-CD20 – Rituximab) eingesetzt
worden. Thrombozytenkontrollen können bei der chronischen ITP in mehrmonatigen Abständen
bzw. bei entsprechender veränderter klinischer Symptomatik durchgeführt werden, bei der akuten
ITP sollten sie aber mindestens wöchentlich erfolgen. Der Patient sollte über die Krankheit
gründlich aufgeklärt werden (Notfallausweis). Dies gilt hauptsächlich für Vorsichtsmaßnahmen
(z.B. Sportarten mit Verletzungsrisiko meiden) oder den Verzicht auf die Einnahme von
Acetylsalicylsäure und andere nichtsteroidale Schmerzmittel/Antirheumatika. Diese Empfehlung
gilt generell für alle Patienten mit klinisch relevanten Thromboztopenien bzw. –pathien.
3.4.3.2 Neonatale Allo-Immunthrombozytopenie (NAIT)
Statistisch gesehen weisen 1,4 von 1000 Neugeborenen eine Thrombozytopenie (bei Neugebore-
nen bedeutet dies eine Thrombozytenzahl unter 50.000 pro µL) auf, wobei bei 50% eine Allo-
immunisierung vorliegt. Diese Immunisierung beruht auf einer Alloantikörperbildung der Mutter
gegen fetale (vom Vater vererbte) thrombozytäre Antigene. Die fetalen Thrombozyten werden
daher durch transplazentar erworbene maternale Antikörper (IgG-Typ) gebunden und abgebaut.
Die NAIT kann im Gegensatz zur Rhesusinkompatibilität schon während der ersten
Schwangerschaft in utero klinisch manifest werden. Es imponieren ausgeprägte Geburtshämatome,
petechiale Blutungen und Nabelschnurblutungen. Es besteht ein erhöhtes Risiko für intrazerebrale
Blutungen (ca. 10%). Post partum können die Thrombozyten weiter abfallen (Minimum nach ca.
24 – 72h). Diagnostisch findet man in der Regel Antikörper gegen thrombozytäre Antigene (~80-
90% Anti-HPA 1a [früher: Zwa oder PlA1], <18% Anti-HPA 5b (Bra), < 4% andere). Jede nachfolgende
Schwangerschaft gilt als Risikoschwangerschaft und sollte nur in darauf spezialisierten Zentren
betreut werden. Therapeutisch erfolgt eine ggf. intrauterin notwendige Behandlung heutzutage
primär mit Corticoiden oder Immunglobulinen. Die Gaben kompatibler, d.h. für das betreffende
Antigen-negativen Thrombozyten wird bei Erfolglosigkeit der primären Therapieansätze
notwendig. Aufgrund der mit der Cordozentese verbundenen Risiken (Blutungen bei
Thrombozytopenie) wird die intrauterine Gabe von Thrombozyten zurückhaltend angegangen.
Postpartal ist dagegen die Gaben Ag-negativer Thrombozytenkonzentrate (von unverwandten
Spendern oder ggf. von der Mutter) die Therapie der Wahl bei klinisch relevanter neonataler
Thrombozytopenie.. Die Thrombozyten der Mutter müssen gewaschen und in AB-Plasma
resuspendiert werden (Antikörperdepletion). Die Thrombozytenwerte sollte auch bei initialem
Anstieg mind. 4 Wochen postpartal kontrolliert werden..
3.4.3.3 Posttransfusionspurpura (PTP)
Bei jeder schweren Thrombozytopenie, die ca. 5-15 Tage nach einer Bluttransfusion auftritt (Ery-
throzytenkonzentrat oder Thrombozytenkonzentrat), muss an eine transfusionsinduzierte
Thrombozytopenie gedacht werden. Diagnostisch werden thrombozytäre Alloantikörper im
Patientenplasma nachgewiesen. Typischerweise erscheint dieses Problem bei Frauen nach
Mehrfachschwangerschaften. Als beweisend gilt der Nachweis von thrombozytären
Alloantikörpern gegen HPA-1a (80% der AK). Für die Abklärung wird daher ein Speziallabor
benötigt. Die Komplikation tritt vorwiegend bei HPA-1a negativen Personen auf, wobei vor allem
(Frequenz > 90%) Frauen mit positiver Schwangerschaftsanamnese im Alter von 60 – 70 Jahren
betroffen sind. Die Pathophysiologie der Posttransfusionspurpura ist nicht eindeutig geklärt. Es
wird vermutet, dass die gegen Fremdthrombozyten gerichtete Immunreaktion schließlich auch die
eigenen Thrombozyten angreift (sog. „bystander-Effekt“). Die Therapie der Wahl besteht in der
Gabe von Immunglobulinen.
3.4.3.4 Autoimmune Thrombozytopenie
Bei Neugeborenen liegen mütterliche Autoantikörper vom IgG-Typ vor, die plazentagängig sind
(IgG-Typ), sich an die fetalen Thrombozyten anlagern und zu einer erhöhten Abbaurate führen.
Der Antikörpernachweis kann auch aus mütterlichem Serum durchgeführt werden.
Autoimmunthrombozytopenien treten in der Regel bei Müttern mit Autoimmunopathien auf (z.B.
Systemischer Lupus erythematodes [SLE], siehe auch ITP). Prädiktive Aussagen zur fetalen
Thrombozytenkonzentration sind schwierig, da die mütterlichen Werte nicht mit den Werten der
Neugeborenen korrelieren. Therapeutisch wird aktuell entweder immunsuppressiv mit Cortison
oder mit Immunglobulinen behandelt (als Einzeltherapie oder in Kombination).
3.4.3.5 Arzneimittel (AM) induzierte Thrombozytopenie
Die AM-induzierte Thrombozytopenie basiert auf einer Bildung thrombozytärer Antikörper
(immunogene Umsatzstörung), die durch Medikamente verursacht wurde, oder durch eine direkte
toxische Einwirkung (Bildungsstörung) auf Thrombozyten. Bei immunogenen Störungen können
die durch Medikamentenmetabolismus entstandenen Intermediärprodukte eine AK-Bindung an
thrombozytäre Antigene induzieren (IgG-Typ an den thrombozytären Fc Gamma-Rezeptor). Man
vermutet dabei die Ausbildung eines Komplexes aus dem Arzneimittel und einem thrombozytären
Glykoprotein (Wechselwirkung mit GP IIb/IIIa und GP Ib/IX). Derartige Komplexe wurden vor-
wiegend für die Medikamente Quinine, Quinidine, Sulfonamide und Ranitidin gefunden (Bildung
eines Neoantigens durch AM-Bindung). Typischerweise steht die progrediente Thrombozytopenie
in einem zeitlichen Zusammenhang zur Arzneimittelgabe. Die kausale Therapie besteht im
Absetzen des ursächlichen Medikaments. Die symptomatische Therapie ist die Gabe von
Thrombozyten. Nach Absetzen des AM kann die Erholung der Thrombozytenbildung frühestens
erst nach 3 Tagen beurteilt werden (cave: Beachte die Halbwertszeit des Medikaments).
3.4.3.6 Heparin induzierte Thrombozytopenie (HIT)
Die HIT kann quasi als Sonderform der AM-induzierten Thrombozytopenien angesehen werden.
Bei der klinisch schwerwiegenden und relevanten Form, der HIT Typ II, findet sich
laboranalytisch nach einer kurzfristigen Anwendung (5-15 Tage) von Heparin ein
„Thrombozytensturz“ (Abfall der Thrombozytenzahl innerhalb von 1-2 Tagen um über 50% -
relativer Abfall ist entscheidend – ggf. können auch noch normale Thrombozytenwerte vorliegen!).
Bei vorimmunisierten Patienten (letzte Heparingabe innerhalb der vergangenen 3 Monate) kann
die Symptomatik bereits in einem kürzeren Zeitabstand nach Beginn der Heparintherapie auftreten.
Das Problem kann auch nach Anwendung eines niedermolekularen Heparins (NMH) auftreten,
wenn auch mit einer ca. 10-100-fach geringeren Wahrscheinlichkeit als nach der Gabe eines
unfraktioniertem Heparins (UFH). Darum müssen stets Blutbildkontrollen nach Beginn einer
Heparintherapie erfolgen! In der Regel sollten diese insbesondere in den ersten 3 Wochen nach
Beginn einer Therapie mit Heparinen alle 3-4 Tage durchgeführt werden. Nach neueren
Erkenntnissen und Vorgaben amerikanischer Leitlinien (ACCP-guidelines Juni 2008) kann evtl.
nach der reinen Gaben von NMH auf diese Blutbildkontrollen zukünftig verzichtet werden. Dies
ist jedoch aufgrund der weiterhin bestehenden Empfehlungen zur Blutbildkontrolle in den
Fachinformationen der diversen NMH noch mit gewissem Vorbehalt in die Praxis umzusetzen.
Hinsichtlich der Pathogenese ist wichtig zu wissen, das Heparine, insbesondere UFH,
Thrombozyten aktivieren können. Es kommt dann zu einer Freisetzung von Plättchenfaktor 4
(PF4). Danach bildet sich ein Komplex aus Heparin und PF4 im Sinne eines Neoantigens, gegen
das bestimmte Menschen Antikörper bilden können. Diese Immunkomplexe wiederum können
erneut Thrombozyten und auch Endothelien aktivieren, was zur Thrombozytenaktivierung und –
aggregation und somit zu weiterer Freisetzung von PF4 führt. Dies führt in der Folge zum raschen
Thrombozytensturz. Dadurch kann es zur Thrombosierung in verschiedenen Gefäßsystemen
kommen, arteriell oder venös. Dadurch unterscheidet sich die HIT übrigens auch von anderen
medikamenteninduzierten Thrombozytopenien, die ohne thrombotisches Risiko einhergehen!
Diagnostisch kann auf die Anwesenheit von HIT-AK untersucht werden (Screening Test, z.B. auch
ELISA). Alternativ können solche HIT-AK auch in einem funktionellen Testverfahren mit
gewaschenen Thrombozyten, die heparinabhängige Thrombozytenaktivierung durch
Patientenserum, nachgewiesen werden. Wichtig: Da keines der aktuell zur Verfügung stehenden
Testverfahren die HIT mit Sicherheit beweisen kann, ist der klinische Verlauf entscheidend für die
Diagnosestellung und für therapeutische Konsequenzen.
Therapeutisch muss Heparin sofort abgesetzt und im Bedarfsfall durch eine andere Antikoagula-
tion (Heparinoid Danaparoid oder die Thrombininhibitor Hiruidin bzw. Argatroban) ersetzt
werden. Wichtig: NMH sind aufgrund der hohen Kreuzreaktivität als medikamentöse
Alternative zu UFH kontraindiziert. Diese Kontraindikation gilt inzwischen auch gegen das
synthetische Heparin-Analogon Fondaparinux (Arixtra®
), da auch dieses - wenngleich extrem
selten – wohl eine HIT II auslösen kann.
Die HIT Typ I unterscheidet sich durch einen geringeren Thrombozytenabfall (um bis 10% des
Ausgangswertes), der durch eine direkte Bindung von Heparin an die Thrombozytenmembran
erklärt wird (Verkürzung der Halbwertszeit älterer Thrombozyten). Der klinische Verlauf ist
benigne und es bedarf keines Wechsels in der durchgeführten Antikoagulation.
Zusammenfassung: Übersicht Thrombozytopenie
Pathogenese:
- Bildungsstörung
- Störungen des peripheren Umsatzes
- Verteilungsstörungen
- Verdünnungseffekt (Massivtransfusion, Blutung)
Klinik:
- Petechialer Blutungstyp
- Verletzungen – Ekchymosen
3.5 Vasopathien:
Die Vasopathien stellen eine heterogene Erkrankungsgruppe mit folgenden Gemeinsamkeiten dar:
Die Blutung ist lokal begrenzt und stellt die Folge einer erhöhten Gefäßdurchlässigkeit oder –ver-
letzbarkeit dar.
Vaskulitiden stellen eine Gruppe entzündlicher Erkrankungen der arteriellen oder venösen Gefäß-
wand dar. Die Klassifikation dieser Erkrankungen richtet sich nach der bevorzugten Gefäß-
lokalisation (Riesenzellarteriitis – große Gefäße, Panarteriitis nodosa – mittelgroße, viszerale Arte-
rien; Purpura Schönlein-Henoch – Vaskulitis allergica der kleinen Gefäße; mikroskopische
Polyangiitis – nekrotisierende GN). Der Blutungstyp ist oft petechial (punktförmig, „flohstich-
artig“), aber auch Ekchymosen und Hämatome können auftreten.
3.5.1 Purpura Schoenlein-Henoch
Die Purpura Schoenlein-Henoch tritt hauptsächlich bei Kindern und jungen Erwachsenen auf und
ist meist infektassoziiert (Streptokokken). Pathogenetisch verursacht eine Immunkomplex-Vasku-
litis (IgA und Komplement in den Gefäßen) Petechien auf der Haut. Der Verlauf ist meist gutartig,
als Therapie werden bei Bedarf auch Steroide eingesetzt.
Die Vaskulitis allergica stellt eine Vaskulitis der kleinen Gefäße mit typischer Lokalisation auf der
Haut, dem Gastrointenstinaltrakt (GI-Trakt) und den Nierenglomeruli dar. Typische Symptomatik:
Hautpetechien und Juckreiz mit gelegentlicher Urtikaria. Zusätzlich können Arthralgien,
Arthritiden und Bauchschmerzen (Angina abdominalis) auftreten. Es sind hauptsächlich Kinder
und Personen unter 21 Jahren betroffen. Das Krankheitsbild tritt meist postinfektiös im Kindesalter
auf. Die Prognose ist gut – keine hämostaseologische Therapie erforderlich. Nur bei schwerer
systemischer Beteiligung (Arthritiden, etc.) kann eine antiphlogistische Therapie mit
Glukokortikoiden (meist im Erwachsenenalter) indiziert sein.
3.5.2 Panarteriitis nodosa
Die Panarteriitis nodosa ist eine nekrotisierende Vaskulitis der mittelgroßen und der viszeralen
Arterien. Die Symptomatik ist bisweilen uncharakteristisch. Am häufigsten sind die Nieren mit
einer Glomerulonephritis betroffen (Symptomatik: Hämaturie, Proteinurie). Weitere spezifische
Symptome neben Allgemeinsymptomen können sein: Myalgien, Hodenschmerz- und schwellung,
Livedo reticularis (netzförmige Zyanose der Haut, marmoriert), Mono- und Polyneuropathien,
Aneurysmen und Gefäßverschlüsse. Die Therapie der Wahl ist eine antiphlogistische Therapie mit
Glucocortikoiden, ggf. in Kombination mit immunsuppressiven, zytotoxischen Substanzen. Nach
einem Gefäßverschluss (z.B. Apoplex) wird als Sekundärprophylaxe ein Thrombozytenaggrega-
tionshemmer verordnet (keine Antikoagulation).
3.5.3 Sonstige vaskulär bedingte hämorrhagische Diathesen:
3.5.3.1 Morbus Rendu-Osler-Weber (selten)
( = Hereditäre hämorrhagische Teleangiektasie)
Der Morbus Rendu-Osler-Weber stellt eine autosomal dominant vererbte Gefäßanomalie dar, die
durch eine Ausbildung von arterio-venösen Gefäßmalformationen gekennzeichnet ist. Als klini-
sche Symptomatik treten Epistaxis (Nasenbluten) und auch gastrointestinale Blutungen auf. Die
Teleangiektasien sind in der Haut, auf den Schleimhäuten und im GI-Trakt lokalisiert. Teleangiek-
tasien sind Erweiterungen der Endstrombahngefäße. Beim klinischen Vollbild finden sich
Teleangiektasien in der Gesichtshaut, den Lippen, der Zunge und im Nagelbett. Häufig erscheinen
Epistaxis und GI-Blutungen. Gefährlich können (v.a. im späteren Lebensalter) arterio-venöse
Shunts der pulmonalen Strombahn mit resultierenden hämodynamischen Störungen sein. Klinisch
wird anhand der Teleangiektasien und der Verteilung der Blutungslokalisation die Diagnose
gestellt. Wichtige kapillare Gefäßgebiete (Gehirn, Lunge und Leber) sollten durch bildgebende
Verfahren (z.B. MRT) abgeklärt werden. Therapeutisch kann nur symptomatisch vorgegangen
werden. Gelegentlich hilft eine lokale antifibrinolytische Therapie. Hämodynamische arterio-
venöse Shunts können durch lokale Embolisation oder chirurgische Resektion beseitigt werden.
3.6 Angeborene Koagulopathien
Im Prinzip kann jeder der bekannten Gerinnungsfaktoren von Geburt an mehr oder weniger stark
vermindert oder fehlstrukturiert sein. Diese angeborenen Koagulopathien sind eher selten. So hat
der angeborene Mangel an F.VIII, die Hämophilie A, eine Prävalenz von ca. 1 : 5000 - 1 : 10.000
(männliche Geburten). Die seltenere Hämophilie B, der angeborene Mangel an F.IX, bildet nur
einen Anteil von ca. 15% aller Hämophiliepatienten. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass
der sehr seltene angeborene Mangel an Faktor XI auch als Hämophilie C bezeichnet wird.
Ebenfalls sei erwähnt, dass der recht häufige autosomal vererbte Mangel an Faktor XII, nicht zur
Blutungsneigung führt, obgleich er eine deutliche Verlängerung der aPTT verursachen kann.
Die Hämophilien A und B stellen X-chromosomal rezessiv vererbte Blutungsleiden dar. In der
Regel erkranken daher Männer, Frauen sind Konduktorinnen, die auch eine Verminderung der
Aktivität der entsprechenden Gerinnungsfaktoren aufweisen können. Alle anderen
Gerinnungsfaktoren werden autosomal vererbt. Schwere Mangelzustände können daher nur bei
Homozygotie auftreten und sind daher viel seltener als Hämophilie A oder B bei Männern.
3.6.1 Hämophilie A:
Ein isoliert auftretender Faktor VIII-Mangel ist in der Regel angeboren. Davon zu unterscheiden
ist die erworbene Hämophilie aufgrund eines immunologischen Inhibitors. Als
Differentialdiagnose ist das von Willebrand-Jürgens Syndrom zu beachten, das typischerweise mit
einer zusätzlichen Verminderung des von Willebrand-Antigens oder der Ristocetin-Cofaktor-
Aktivität einhergeht. In seltenen Fällen (dem sog. Typ 2N, siehe Einteilung unten) kann jedoch
auch hier nur eine isolierte Verminderung des Faktor VIII imponieren.
Klinische Leitsymptome und Diagnostik:
Der Laborbefund weist eine Verlängerung der aPTT bei normalem Quick-Wert und einer
Verminderung der Faktor VIII-Aktivität auf. Die Blutungsgefährdung hängt von der Faktor VIII-
Restaktivität ab. Die Krankheitsmanifestation der hämophilen Kinder tritt oft schon im 2.-3.
Lebensjahr auf, typischerweise mit steigender Mobilität der Kinder.
Folgende Symptome sind typisch:
- Gelenkeinblutungen => hämophile Arthropathie (Blutergelenke)
- Blutungen nach Verletzungen, Zahnextraktion, und aus gastrointestinalen Läsionen
- Weichteilblutungen:
* Muskulatur (darum keine i.m.-Injektion ohne vorherige Substitution!!)
* Psoas-Blutung !
* Mundbodenblutung !
* Hirnblutung (seltene Blutungsmanifestation, aber hohe Mortalität)
Man unterscheidet anhand der Restaktivität des Faktors VIII folgende Schweregrade:
schwer < 1 %
mittelschwer 1 - 4 %
leicht 5 - 15 %
Subhämophilie 25 – 50 %
mild 5 - 40%
(Diese Einteilung gilt auch für die nicht ausgeführte Hämophilie B)
Merke: Der Schweregrad der Hämophilie gibt einen Anhalt über das Spontanblutungsrisiko. Er ist
auch wichtig für die Dosis-Kalkulation an Gerinnungsfaktorkonzentrat bei geplanter Substitutions-
behandlung.
Die klinischen Konsequenzen für das Kleinkind können gravierend sein. Gelenkblutungen ent-
stehen als Folge von traumatischen Gefäßschäden, wie sie im normalen Bewegungsablauf auf-
treten. Nach mehrfachen Einblutungen kann also Folge eine Gelenkdeformität auftreten, die zu
einem Langzeitschaden führt. Dies gilt es durch die geeigneten therapeutischen Maßnahmen zu
vermeiden. Darum wird zunehmend im Zweifelsfalle eine frühzeitig beginnende Dauersubstitution
empfohlen, um Invalidität zu verhindern.
Die Hemmkörperhämophilie wird durch Antikörper gegen einen Gerinnungsfaktor (z.B. Faktor
VIII) ausgelöst. Dadurch erfolgt eine Hemmung der Funktion des entsprechenden
Gerinnungsfaktors. Eine solche Hemmkörperbildung kann sich sowohl bei Patienten mit
Hämophilie A (oder auch B) im Sinne eines Allo-Antikörpers gegen fremden, im Rahmen der
Substitution zugeführten Faktor VIII (oder IX) als auch als Autoimmunkrankheit bei vorher
Gesunden im Sinne eines Auto-Antikörpers gegen körpereigenen F.VIII (oder IX) auftreten.
Letztere Ereignisse sind sehr selten (Inzidenz: ca. 1-2 pro Mio.) und oft sehr schwierig zu erkennen
(„plötzlich auftretende spontane oder auch postoperative starke Blutungsneigung“). Die Ursache
ist oft nicht zu erkennen (iatrogen – ca. 50%). Alternativ hierzu ist auch an eine maligne
Grunderkrankung zu denken! Eine weitere und genauere Darstellung erfolgt weiter unten.
3.6.1.1. Therapie der Hämophilie:
Grundsätzlich stehen für die Behandlung der Hämophilie sowohl rekombinante, als auch aus
Plasmapool hergestellte Präparate zur Verfügung. Die Plasmapräparate sind virusinaktiviert und
etwas preiswerter. Therapeutische Prinzipien: Die Dosierung richtet sich nach der Restaktivität des
Gerinnungsfaktors und nach dem Körpergewicht des Patienten. Grundsätzlich sollte die
Behandlung hämophiler Patienten in einem Behandlungszentrum für diese Erkrankung erfolgen.
Adressen können in der Geschäftsstelle der Hämophiliegesellschaft erfragt werden (Internet:
www.dhg.de). Das Therapiekonzept (hier: für Hämophilie A) unterscheidet hinsichtlich verschie-
dener klinischer Situationen folgende Vorgehensweisen:
- Behandlung der lebensbedrohlichen, akuten Blutung: Gabe von 50 – 70 E/kg KG Faktor
VIII-Konzentrat. Das Ziel ist die Blutstillung und die Normalisierung der Faktor VIII-
Aktivität (Kontrolle!). Aufgrund der Halbwertszeit von Faktor VIII (s. Tab. unten) ist eine
Substitutionsfrequenz von 2 – 3 Medikamentengaben pro Tag erforderlich. Als Erhaltungs-
dosis kann auch eine kontinuierliche Gabe mit ca. 5 E/kg KG pro Stunde (Dosierungs-
anpassung nach Aktivität des Gerinnungsfaktors) erfolgen.
- Bei Gelenk- und Muskelblutungen ist eine Faktor VIII-Restaktivität von 40% – 60% anzu-
streben, die mit ca. zwei Medikamentengaben pro Tag erreicht werden kann.
- Eine blutungsvorbeugende Behandlung (z.B. vor OP) wird nach der Größe des operativen
Eingriffs festgelegt und sollte mit dem Operateur besprochen werden.
- Bei Reha-Maßnahmen ist die Dosierung mit dem verantwortlichen Therapeuten abzu-
stimmen (Dosierungsbeispiel: 20-30 IE/kgKG 3x/Woche).
Im Kindesalter ist in aller Regel eine Dauerprophlylaxe mit Faktorenpräparaten indiziert. Im
Erwachsenenalter, nach Abschluss des Knochenwachstums, wird derzeit zumeist eine
Bedarfssubstitution durchgeführt. Neuere Untersuchungen haben aber gezeigt, dass auch
Erwachsene mit starker Blutungstendenz von einer Dauerprophylaxe mit dem Ziel der
Verhinderung einer Gelenkarthropathie profitieren können.
Merkregel für die Dosierung eines Konzentrats von Gerinnungsfaktoren :
1 IE Faktorenkonzentrat/kgKG (entspricht dem Faktorengehalt
von 1 ml Plasmapool) Anstieg der koagulatorischen Faktoren-
aktivität um 1-2 IE (1-2%).
Faustformel:
Dosis (IE) = KG (kg) x angestr. F.VIII-Anstieg (IE/ml) x 0,5
Der Substitutionserfolg ist durch Einzelfaktorenanalyse vor und nach Konzentratapplikation zu
kontrollieren. Entsprechend der Halbwertszeit der Gerinnungsfaktoren (Übersicht s.u.) hat die
Faktor VIII-Substitution alle 8 - 12 Stunden zu erfolgen (Bei der Hämophilie B sind aufgrund der
Halbwertszeit des Faktor IX von 20-24 Stunden längere Intervalle möglich). Bei schweren
Blutungen bei oder nach großen Operationen sollte die Faktor VIII-Aktivität vor der nächsten
Substitution nicht unter 30% Restaktivität absinken.
Übersicht: Halbwertszeiten der Gerinnungsproteine und Substitutionsziele von Faktor VIII
Hämophilie A: Mittlere Initialdosis von Faktor-
VIII-Präparat (E/kg KG) bei diversen
Blutungsereignissen
Blutung Erwachsene Kinder
Gelenk 20 – 40 30-40
Weichteile 40 – 60 30-40
GI-Trakt 30 – 60
Lebensbedrohliche
Blutung 50-80 80-100
Operationen:
Klein 25 – 40 50-100
Groß 50 – 80 80-100
(Quelle: Leitlinien der BÄK, 2008)
Halbwertszeiten gerinnungsaktiver
Plasmaproteine
Fibrinogen 96 - 120 h
Plasminogen 36 - 48 h;
Plasmininhibitor: 36 h
Faktor II 48 - 60 h
Faktor V 12 - 15 h
Faktor VII 1,5 - 6 h
Faktor VIII 8 - 12 h
Faktor IX 20 - 24 h
Faktor X 24 - 48 h
v. Willebrand-/
Ristocetin-Co-Faktor 6 - 12 h
Faktor XI 60 - 80 h ;
Faktor XII 48 - 60 h
Faktor XIII 100 - 120 h
t-PA 5 min
Antithrombin 36 h
Protein C 1,5 - 6 h
Protein S 24 - 48 h
3.6.2 Von Willebrand-Jürgens Syndrom (vWJS)
Im Gegensatz zu den Hämophilien A und B, die X-chromosomal vererbt werden, liegt bei der von-
Willebrand-Erkrankung je nach Subtyp ein autosomal-dominanter oder ein autosomal-rezessiver
Erbgang vor. Vielfältige Mutationen im Genom, das für das von-Willebrand-Antigen kodiert,
können zu einer Proteinsynthesestörung oder zur Bildung eines funktionell gestörten Proteins
(vWF-Molekül) führen. Mutationen an der Bindungsstelle zwischen Faktor VIII- und vWF-
Antigen können zu einer verminderten Faktor VIII-Aktivität als einziger Hinweis auf ein vWJS
führen.
Klinisches Bild: Das vWJS ist die häufigste angeborene Gerinnungsstörung überhaupt. Viele
Verlaufsformen sind milde. Während laboranalytisch bei 1% der Bevölkerung ein vWJS
nachgewiesen werden kann, sind Personen mit einer eindeutigen klinischen Symptomatik
erheblich seltener (1:3.000-1:10.000). Das Auftreten der klinischen Symptomatik ist variabel, kann
einen phasenhaften Verlauf nehmen und interindividuell stark schwanken. Typisches und
häufigstes Merkmal ist eine Neigung zu Nasenbluten (Epistaxis). Auch andere
Schleimhautblutungen, wie beispielsweise Blutungen nach Zahnextraktionen oder starke
Menorrhagien, finden sich in der Anamnese gehäuft. Prinzipiell ist jeder erdenkliche Schweregrad
bei dieser Erkrankung möglich, wobei leichte Verlaufsformen mit vielleicht nur einem
Blutungsereignis in der Anamnese überwiegen. In der Regel zeigt sich das vWJS als eine
Mischung einer thrombozytären und plasmatischen Hämostasestörung, was sich mit der Doppel-
bzw. Dreifachfunktion des Von-Willebrand-Antigens in der primären Hämostase
(Thrombozytenadhäsion, -aggregation) und in der sekundären Hämostase (F.VIII-Bindung –
Schutz vor proteolytischem Abbau) erklären lässt. Je nach Form des vWJS können jedoch
thrombozytäre oder plasmatische Blutungsformen überwiegen, bzw. ausschließlich vorhanden
sein. Selten treten schwere Formen (z.B. Typ 3) mit einem hämophilieähnlichen Blutungstyp auf.
Typisch für diese Manifestationsform sind gastrointestinale und intramuskuläre Blutungen,
Gelenkblutungen, Menorrhagien und Epistaxis.
3.6.2.1 Von Willebrand Faktor (Antigen):
Der von Willebrand Faktor (vWF) ist ein multimeres Protein mit einer Molekülgröße von 278
KDa pro Monomere, das auf einem Gen des Chromosoms 12 kodiert wird. Im Plasma liegt das
Molekül als multimere Struktur (sog. "vWF-Multimere“, Molekulargewicht bis 20 Mio. Dalton)
vor. Die einzelnen Monomere sind hierbei durch Disulfidbrücken verknüpft. Das Protein wird in
den Endothelzellen der Gefäße und in den Megakaryozyten des Knochenmarks synthetisiert und
aus Endothelzellen (Speicher: Weibel-Palade-Bodies) und Thrombozyten (Speicher: α-Granula)
freigesetzt. Während das Endothel kontinuierlich vWF sezerniert und somit die Quelle des
plasmatischen vWF darstellt, schütten die Thrombozyten ihren vWF erst bei Aktivierung aus.
Auch die endotheliale Sekretion kann durch Gerinnungsaktivierung gesteigert werden. Durch den
vWF erfolgt eine Anhaftung von Thrombozyten and die subendotheliale Matrix (Kollagen) nach
Gefäß- bzw. Gewebeverletzung (Liganden-Rezeptor-Interaktion des vWF und des thrombozytären
GP-Ib-IX-Komplex).
Der plasmatische vWF wird von dem Endothel zunächst als „ultralarge multimers“ (UL-vWF)
vom Endothel sezerniert (ca. 20 MDa). Die Multimere werden im Plasma durch die
Metalloproteinase ADAMTS-13 gespalten. Aus der endothelialen Sekretion, der Halbwertszeit (ca.
12h) und der Aktivität des Multimeren-spaltenden Enzyms ergibt sich letztlich ein Gleichgewicht.
Hierdurch befinden sich unterschiedlich große Multimere im Plasma. Während die Funktion des
vWF, den Faktor VIII zu schützen, unabhängig von der Proteingröße ist, können nur die
mittelgroßen und großen Multimere die Plättchen adhärieren. Diese verschieden große Multimere
können in der sog. „Multimeren-Analyse“ nachgewiesen werden (Proteinblot). Für die exakte
Differenzierung der qualitativen Veränderungen des vWF, also der Unterformen des von vWJ-
Syndroms Typ 2 sowie der erworbenen Typen ist diese Diagnostik Voraussetzung.
VWF – Mehrfachfunktion
Der vWF hat 3 physiologische Funktionen, wobei insbesondere der ersten und dritten der im
folgenden aufgeführten Funktionen die größte Bedeutung zukommen:
1. Adhäsion der (aktivierten) Thrombozyten an subendotheliale Strukturen – Vermittlung der
Plättchenaggregation (GP Ib/IX und GP IIb/IIIa); Ristocetin-Cofaktor-Aktiviät
2. Thrombozytenaggregation (alternativ zu Fibrinogen an GP IIb/IIIa der Thrombozyten)
3. Bindung von FVIII und dadurch Schutz von F.VIII vor proteolytischem Abbau
3.6.2.2 Klassifikation: hereditäres vWJS
Typ 1: Quantitativer partieller Mangel an vWF
Häufigkeit: ca. 70-80%, Vererbung autosomal-dominant.
Typ 2: Qualitativer Defekt/Mangel an vWF
Häufigkeit ca. 15 - 20 %, Vererbung autosomal dominant oder rezessiv
– Typ 2A: Große Multimere fehlen; hierdurch defekte Interaktion zwischen vWF
und Thrombozyten. Verschiedene Ursachen, z.B. erhöhte
Empfindlichkeit gegenüber ADAMTS-13 (IIA nach Ruggeri) oder oder
Störung der Multimerisierung (IIC und E nach Ruggeri) Faktor VIII
nur mäßig vermindert oder normal
– Typ 2B: Große Multimere fehlen, Ristocetin-induzierte Plättchenaggregation
gesteigert. Ursache: Erhöhte Affinität des vWF zum Glykoprotein Ib/IX
der Thrombozyten; spontan vWF-beladene Thrombozyten werden
abgebaut, daher Verlust der großen Multimere und oftmals
Thrombozytopenie
– Typ 2M: Verminderte Interaktionsfähigkeit des vWF mit Thrombozyten,
hierdurch abnormes Multimerenmuster, oftmals vermehrte schwere
Multimere bei vermindertem Ristocetincofaktor.
– Typ 2N: Verminderte Bindungskapazität des vWF für FVIII:C
(gleicht phänotypisch einer milden bis mittelschweren Hämophilie A;
keine Beeinträchtigung der Thrombozyteninteraktion.) Nur durch
F.VIII-Bindungsassay sicher von der Hämophilie A zu unterscheiden.
Typ 3: Quantitativer weitestgehend kompletter Mangel an vWF: Völliges Fehlen des vWF
(allenfalls Spuren von vWF:Ag nachweisbar), hierdurch auf 2 h verkürzte Halbwertszeit des
Faktor VIII. Letztlich überwiegt hier der hämophilieähnliche Blutungstyp, obwohl auch die
Plättchenfunktion schwer beeinträchtigt ist.
Die o.g. Klassifikation ist die nach Sadler. Die Klassifizierung nach Ruggeri (numeriert mit
römischen Ziffern) unterscheidet wesentlich mehr Subtypen, die in der Klassifizierung nach Sadler
zusammengfaßt sind. Zur Feinbezeichnung wird daher gelegentlich weiterhin die Klassifikation
nach Ruggeri verwendet (zu erkennen an römischen Ziffern).
Exkurs: In diesen Zusammenhang kann auch eine pathologische Vermehrung der schweren
Multimere, ausgelöst durch einen Mangel an ADAMTS-13, erwähnt werden: Diese Veränderung
des von-Willebrand-Faktors, die auch in der Multimerenanalyse erkennbar ist, führt zur
Thrombotisch-Thrombozytopenischen Purpura (TTP; Morbus Moschcowitz und Upshaw-
Schulman-Syndrom), einem Verbrauchskoagulopathie-ähnlichem Krankheitsbild. Die TTP kann
sozusagen als „Gegenteil des vWJS 2A“ aufgefasst werden.
3.6.2.3 Sonderform: Erworbenes vWJS
Das seltene erworbene vWJS kann durch folgende Ursachen ausgelöst werden:
* Medikamente (z.B. Valproinsäure),
* Lymphoproliferative oder myeloproliferative Erkrankungen
* Monoklonale Gammopathien
* Hypothyreosen
* Herzfehler (z.B. hochgradige Aortenstenose, hierdurch mechanische Schädigung durch
Offenlegung der Spaltstelle des vWF)
* Autoantikörper (bei vorher Gesunden)
* Allo-AK unter Substitution bei Typ III vWJS
3.6.2.4 Diagnostik des vWJS
(Lieber Dominik, zur Info – hier habe ich auch noch a bisserl was geändert)
Milde Formen des vWJS werden mit den klinischen Routineparametern Quick, aPTT und
Thrombozytenzahl in der Regel nicht erfasst; bei schweren Ausprägungen mit Faktor-VIII-
Aktivitäten von ca. unter 30% ist dann aber die aPTT verlängert.
Bei klinischem oder anamnestischen Verdacht auf vWJS sollten darum folgende Parameter
mitbestimmt werden:
Von-Willebrand-Faktor-Antigen (vWF:Ag) und Ristocetin-Cofaktor-Aktivität (vWF:RiCof).
Während die Bestimmung des vWF:Ag nur das Vorhandensein (Menge) des vWF darstellt, kann
über die Bestimmung der vWF-RiCof-Aktivität die Funktion des vWF mit Thrombozyten zu
interagieren erfasst werden. (NB: Ristocetin war früher ein Antibiotikum, das schon lange Jahre
nicht mehr eingesetzt wird. Die mehr oder weniger zufällig entdeckte Funktion, die vWF-vermittelt
die Thrombozytenadhäsion und –aggregation zu induzieren, wird aber heute noch diagnostisch
genutzt).
Weiterhin ist es sinnvoll, einen Test zur Untersuchung der Thrombozytenfunktion durchzuführen.
Aufgrund der beschriebenen Problematiken der sog. In-vivo-Blutungszeit (z.B. geringe
Standardisierbarkeit und Sensitivität) empfiehlt sich hier die In-vitro-Blutungszeit mittels PFA-
100®
(Platelet function analyzer). Falls die Möglichkeit besteht, wäre zu weiteren
Diagnosesicherung die Durchführung einer speziellen Thrombozytenaggregationstestung
insbesondere mit dem Agonisten Ristocetin (zum Vergleich auch z.B. ADP oder Kollagen) zu
empfehlen.
Die Ergebnisse dieser Tests können nun verschiedenartig ausfallen; systematisch ist dies weiter
oben bereits erläutert. Typischerweise ist bei einem vWJS die In-vitro-Blutungszeit verlängert und
die Thrombozytenaggregation nach Ristocetinstimulation vermindert (Ausnahme: Typ 2N). Die
Thrombozytenaggregation mit ADP und Kollagen ist normal oder weit weniger beeinträchtigt als
die Stimulation mit Ristocetin. Ebenfalls immer – mit Ausnahme des Typ 2 N und ggf. 2B – ist
vWF-RiCof vermindert. Bei einer rein quantitativen Verminderung, also Typ 1 und 3, ist das
vWF:Ag (und meistens der Faktor VIII) im gleichem Maße vermindert wie die vWF-RiCof.
Dagegen ist bei vWJS Typ 2 (qualitativer Defekt!) die vWF-RiCof stärker vermindert als das
vWF-Ag. Darum ist hier diagnoseweisend die Berechung des Quotienten aus vWF-
RiCof/vWF:Ag, der bei Typ 2 in der Regel unter 0,7 liegt. Bei Typ 3 sind beide Parameter extrem
vermindert bzw. völlig fehlend. Auch die Faktor-VIII-Aktivität ist hier zumeist auf unter 10%
reduziert. Zu bedenken ist ferner, dass alle hier aufgeführten vWJS-typischen Parameter starken
natürlichen Schwankungen unterliegen. Bei Akut-Phase-Reaktionen (Infekte, Trauma) oder auch
bei der Therapie mit Sexualhormonen (insb. Östrogenen) können diese Faktoren ansteigen.
Leichtere Formen des vWJS können hierdurch „maskiert“ werden. Für Träger der Blutgruppe 0
gelten für vWF:Ag, vWF:RiCof und F. VIII zudem niedrigere Normbereiche als für Träger der
Blutgruppen A, B, und AB.
Sollte der Verdacht auf einen Typ 2 (oder auch ein erworbenes vWJS, das sowohl eine quantitative
als auch qualitative Beeinträchtigung des vWF darstellen kann) bestehen, können u.a. folgende
Spezialuntersuchungen zweckmäßig sein:
(1) die elektrophoretische Auftrennung der Multimere (vWF-Multimerenanalyse) des von-
Willebrand-Proteins zur Beurteilung der Verteilung der unterschiedlich schweren Anteile sowie
des Spaltungsmusters; im Wesentlichen sinnvoll bei vWF:RiCof / vWF:Ag unter 0,7 zur
Subtypisierung des Typ 2 sowie diverser erworbener vWJS.
(2) Zur DD 2A vs. 2B Thrombozytenaggregation mit nur reduzierter Dosis von Ristocetin (0,6
statt 1,2 mg/ml) – hier ist eine Aggregation von unter 10% normal, während eine Aggregation über
10% auf einen Typ 2B hindeutet.
(3) FaktorVIII-Bindungsassay zur Differentialdiagnose Typ 2N vs. Hämophilie A.
3.6.2.5 Therapie des vWJS
In der Regel werden milde Formen des vWJS mit DDAVP (Vasopressin, Minirin®
) behandelt.
Durch Gabe von DDAVP erfolgt ein Anstieg von Faktor VIII und vWF (Mobilisierung aus den
Weibel-Palade Bodies) auf das 2-4 fache, max. 30 - 60 Min. nach der Medikamentengabe. Für die
Wiederholung der DDAVP Gabe wird ein Zeitintervall von mindestens 12 Stunden empfohlen.
Für eine ausreichende klinische Wirkung von DDAVP muß eine gewisse Restaktivität an
funktionierendem vWF vorliegen (ca. 10-15 %): DDAVP wirkt daher am besten bei vWJS Typ 1.
Auch bei manchen qualitativen Defekten (Typ 2) zeigt sich oft ein Effekt des DDAVP, wobei sich
gerade hier ein „Minirintest“ einige Tage vor einem Eingriff empfiehlt, um einen ausreichenden
Anstieg der vWF:RiCof und Thrombozytenfunktion zu kontrollieren.Bei Typ 2B wird die Gabe
von DDAVP von den meisten Experten als kontraindiziert angegeben, da der zugrundeliegende
Defekt, nämlich eine zu hohe Affinität des vWF zu Thrombozyten, zu einer verstärkten
Thrombozytopenie führen kann. Die Dosierung von DDAVP besteht in der Gabe von 0,3-0,4
µg/kgKG DDAVP i.v., in 0,9%-NaCl-Lsg. (50-100 ml) über einen Zeitraum von 30-60 min.
DDAVP kann zu Hypertonus, Hyponatriämie sowie zu einem Absinken der Krampfschwelle
führen. Darum ist die Gabe bei entsprechend gefährdeten Patienten kontraindiziert. Auch im
Kleinkindesalter darf DDAVP nicht angewendet werden. In allen Fällen, in denen DDAVP
kontraindiziert oder nicht ausreichend wirksam ist, muß im Bedarfsfalle eine
Substitutionsbehandlung mit vWF-haltigem Faktor-VIII-Konzentrat durchgeführt werden.
Letzteres ist die primäre Therapieoption bei vWJS Typ 3 und bei schwerem vWJS Typ 1 oder 2.
Die erfolgreiche Therapie des erworbenen vWJS erfordert die genaue Kenntnis der Pathogenese.
Bei einem mechanischen/hämodynamisch bedingten vWJS sind z.B. DDAVP und vWF/VIII-
Konzentrate gleich wirksam, jedoch hält die Wirkung aufgrund des vermehrten Abbaus nur sehr
kurz an. Nach einer Behebung des Klappenvitiums kommt es innerhalb von Stunden zu einer
Normalisierung von Faktor VIII und vWF. Wenn die Ursache in einem autoimmunogen
gebildetem Hemmkörper liegt, kann die Gabe von Hyperimmunglobulin kurzfristig zu einem
Anstieg der Werte führen, alternativ kann auch eine Immunsupprimierung erfolgreich sein. Häufig
kann eine Blutungskomplikation auch durch Gabe von rekombinantem Faktor VIIa gestillt werden.
Dosierung von VWF-haltigem F.VIII-Konzentrat:
Bei leichten Blutungen erfolgt eine einmalige Gabe von 30-50 IE/kgKG des Gerinnungsfaktor-
konzentrats (ggf. Wiederholung der Dosis bei längerer oder persistierender Blutung). Bei schwerer
Blutung wird eine Dosierung bis 50 IE/kgKG, und anschließend 30-50 IE/kgKG des Konzentrats
in 12-24 h Abständen (HWZ VWF/RCoF ca. 8-16 h) bis zur Blutstillung oder bis zum Abschluss
der Wundheilung verabreicht. Cave: Der Gehalt an vWF ist in den Plasmapräparaten nicht
standardisiert und kann daher schwanken. In der Regel werden im Beipackzettel jedoch die
gemessenen Konzentrationen der Faktoren in der jeweiligen Charge angegeben. Zudem kann der
individuelle Bedarf unterschiedlich sein; bei großen Wundflächen kann es auch zu einem
relevanten Verbrauch der verabreichten Faktoren kommen. Nach Arzneimittelgabe ist das vWF-
Ag und idealerweise auch die vWF:RiCof (optional auch Faktor VIII-Aktivität) im Blut zu
kontrollieren.
3.7 Erworbene Koagulopathien
Unter erworbenen Koagulopathien versteht man plasmatische Gerinnungsstörungen, die durch
folgende Ursachen ausgelöst werden können:
- Hemmkörperhämophilie
- Hemmkörper gegen vWF oder mechanische Schädigung des vWF (siehe 3.6.2.3)
- Vitamin K- Mangel (Mangel der Faktoren II, VII, IX, X und Protein C, S und Z), z. B. durch
orale Antikoagulation mit Kumarinderivaten
- Antikoagulation mit Standardheparin, LMW-Heparin, Hirudin
- Therapie mit Cephalosporinen der 3. Generation
- Leberfunktionsstörungen
- Asparaginasebehandlung
- Multifaktorielle Hämostasestörung bei Schock, Sepsis, Multitrauma
Verdünnungskoagulopathie)
- Verbrauchskoagulopathie (disseminierte intravasale Gerinnung, DIC)
3.7.1 Hemmkörper- (Inhibitor-) Koagulopathie
Antikörper im Gerinnungssystem lassen sich wie folgt unterteilen: Alloantikörper können bei
Patienten mit angeborenem Mangel, insbesondere beim völligem Fehlen von Gerinnungsfaktoren,
gegen den substituierten Faktor auftreten. Diese Alloantikörper erschweren die weitere Therapie
der Patienten erheblich, da sie zu einer Neutralisierung der substituierten Faktoren führen. Klinisch
hinweisend für eine Hemmkörper-Hämophilie ist darum eine verzögerte oder ausbleibende
Blutstillung trotz Faktorensubstitution. Im Vorfeld dieser Entwicklung kann bereits eine
zunehmende Dosierung oder eine Wiederholung der Faktorensubstitution in kürzeren Abständen
einen Hinweis Hemmkörperbildung geben.
Autoantikörper hingegen treten bei zuvor Gesunden gegen eigene Komponenten des
Gerinnungssystems auf. Hierunter fallen zunächst die spezifischen Inhibitoren. Diese sind oftmals
gegen einen einzigen Gerinnungsfaktor gerichtet. Handelt es sich hierbei um den vWF, resultiert
das o.g. erworbene vWJS. Inhibitoren, die spezifisch gegen Faktor VIII gerichtet sind, führen zur
Hemmkörper-Hämophilie A usw.
Unspezifische Antikörper sind oftmals gegen Phospholipide gerichtet. Diese Antikörper werden
auch als Lupusantikoagulantien bezeichnet. Sie führen in der Regel nur in vitro zu einer
Gerinnungshemmung, während sie klinisch in vivo typischerweise eine Thromboseneigung
verursachen. (das Lupus antikoagulans ist darum ein thrombophiler Risikofaktor und wird in
diesem Skript weiter unten behandelt)
Währden die Alloantikörper durch Faktorensubstitution induziert sind, ist die Ursache der
Autoantikörper vielfältig. Sie traten oft spontan („idiopathisch“) auf, häufig sind sie jedoch mit
anderen Autoimmunerkrankungen vergesellschaftet. Ebenso häufig treten sie bei Infektionen oder
paraneoplastisch bei Tumoren auf.
3.7.1.1 Diagnostik der Hemmkörperhämophilie:
Screening Test: Plasmatauschtest
Hierbei wird zunächst das Patientenplasma im Verhältnis 1:1 mit Normalplasma versetzt und die
aPTT nochmals wiederholt. Vereinfacht ausgedrückt: Kommt es zu einer Normalisierung der
aPTT so ist vom Vorliegen eines echten Faktorenmangels auszugehen. Bleibt die aPTT dagegen
weiter verlängert, so ist ein Hemmkörper anzunehmen. Da es sich bei den spezifischen
Antikörpern um sog. progrediente Inhibitoren (keine Sofortinhibitoren) handelt, ist eine Inkubation
von 2 Stunden vor der Durchführung der aPTT notwendig. (CAVE: Wird ein Plasmatauschtest bei
V.a. auf Lupus antikoagulans durchgeführt, so entfällt die 2h-Inkubation, da diese Antikörper sog.
Sofortinhibitoren sind.)
Zu weiteren Quantifizierung des Hemmkörpers dient dann der Bethesda-Test. Hierbei wird das
Patientenplasma in einer geometrischen Verdünnungsreihe (mit F VIII-Mangelplasma) im
Verhältnis 1+1 mit abgepuffertem Normalpool versetzt und wieder 2 Stunden bei 37°C inkubiert.
Während dieser Zeit kommt es zu einer Inaktivierung des F VIII, die von der Stärke des Inhibitors
abhängt. Anschließend wird die Faktor-VIII-Aktivität aPTT-basiert bestimmt. Durch Vergleich mit
einer über den gleichen Zeitraum inkubierten Kontrolle (Normalpool + F VIII-Mangelplasma 1+1)
wird die Rest-Aktivität der einzelnen Verdünnungen bestimmt. Diese wird unter Berücksichtigung
des Verdünnungsfaktors in Bethesda-Einheiten umgerechnet.
Eine Bethesda-Einheit (B.E.) ist definiert als die Menge an Antikörper, die in einer 1:1-Mischung
aus Patienten- und Normalplasma nach 2-stündiger Inkubation bei 37°C 50% der F VIII-Aktivität
inaktiviert.
3.7.1.2 Therapie der Hemmkörperhämophilie:
Die Therapie ist abhängig von Höhe der Hemmkörperkonzentration:
1. Low responder (< 5 Bethesda-Einheiten „BE“), spontane Rückbildung möglich.
2. High responder (> 5 BE), in der Regel Therapie erforderlich.
Primär ist zwischen der akuten Therapie eines blutenden Patienten mit Hemmkörperhämophilie
und der Eradikationstherapie des Hemmkörpers zu unterscheiden. Bei erster kann bei niedrig
titrigen Antikörpern die Gabe von hohen Dosen von F.VIII in Erwägung gezogen werden
(Überspielen der Hemmung). Alternativ und bei high responders ist heutzutage die Gabe von rVIIa
(Novoseven®
) die Therapie der Wahl.
Bei der mittel- bis langfristigen Behandlung der Hemmkörper-Hämophilie liegen heute
unterschiedliche Behandlungsansätze vor, die in sog. Therapieschemata (z.B. „Bonner Schema“)
kombiniert werden. Bei einem Faktor VIII-Hemmkörper kann entweder mit einer hochdosierten
Faktor-VIII-Therapie oder mit immunsuppressiver Therapie behandelt werden. Mehrere
Vorgehensweisen können als Behandlung gewählt werden. Die Induktion einer Immuntoleranz
durch eine Hochdosistherapie mit F.VIII-Konzentraten wird vorwiegend in der Pädiatrie mit
Erfolg angewendet. Die Immunmodulation/Immunsuppression besteht in einer
Immunglobulingabe in Kombination mit immunsuppressiver Therapie (z.B. Corticosteroiden und
Cyclophosphamid). Die aktuellen Empfehlungen der Leitlinien der Bundesärztekammer von 2008
seien nachfolgend aufgeführt:
3.7.2 Allgemeine diagnostische und therapeutische Prinzipien bei Koagulopathien:
Folgende Vorgehensweise hat sich für die Spezifizierung einer Koagulopathie bewährt:
Aufgrund der Ergebnisse der Globaltest (oder ggf. bei entsprechendem klinischen Verdacht bzw.
entsprechender Vorinformation direkt) erfolgt die gezielte Bestimmung der
Einzelfaktorenaktivitäten. Anhand der festgestellten Faktor-Restaktivität erfolgt die Einstufung des
Schweregrads der Koagulopathie (in „leicht“, „mittel“ oder „schwer“). Durch den
Plasmatauschtest kann ein Inhibitor eines Gerinnungsfaktors versus echtem Faktorenmangel
ausgeschlossen werden. Vor elektiven operativen Eingriffen ist die Höhe und Zeitdauer der
voraussichtlich erforderlichen Substitutionsbehandlung zu ermitteln. Schließlich erfolgt die
Auswahl des geeigneten Substitutionsmittels und Einsatz unter therapeutischer
Verlaufskontrolle der Faktorenrestaktivität.
Faktorenkonzentrate werden bei Blutungen und bestehendem Faktormangel als Gerinnungs-
therapie oder zur Prophylaxe bei Faktormangel (z.B. vor Operationen) eingesetzt. Faktoren-
konzentrate werden dabei intravenös als Bolus oder als Kurzinfusion verabreicht. Für die korrekte
Dosierung sind folgende Kenntnisse erforderlich:
1. Kenntnis der für die jeweilige Blutungssituation und –lokalisation erforderliche
Plasmakonzentration des Gerinnungsfaktors.
2. Die Dosierung und der zeitliche Abstand der Substitutionstherapie richten sich nach der
Halbwertszeit des Gerinnungsfaktors. Diese kann durch Verbrauch oder Blutverlust verkürzt sein.
3. Bei angeborenen Faktorenmangel sollte ein Behandlungsplan vorliegen.
4. Vermeidung von Fehlern in der Präanalytik, damit die korrekte Aktivität des Gerinnungsfaktors
gemessen wird. Häufigste präanalytische Fehlerquelle sind eine unsachgemäße Blutabnahme und
zu lange Transportzeiten bis zur Bestimmung. Idealerweise sollte (Citrat-)Blut für die Bestimmung
von Gerinnungsfaktoren nach Lösen der Stauungsmanschette abgenommen werden; das Röhrchen
muß vollständig gefüllt sein, um das korrekte Verhältnis Citrat/Blut zu gewährleisten. Seltener
kann die Kontamination mit EDTA durch ein vorangegangenes EDTA-Röhrchen zu Fehlern
führen, weshalb nach Möglichkeit vor dem Citratröhrchen ein anders Citratröhrchen oder ein
Serumröhrchen befüllt werden sollte.
4. Therapie mit Plasma und dessen Derivaten
4.1. Plasma zur therapeutischen Anwendung
Gefrorenes Frischplasma (GFP) wird für die Substitutionstherapie bei Blutverlust und komplexen
Koagulopathien zur Erhaltung des hämostaseologischen Gleichgewichts und auch bei Mangel an
Einzelfaktoren eingesetzt, für die kein eigenes Konzentrat zur Verfügung steht. Es enthält sowohl
prokoagulatorische als auch inhibitorische Gerinnungsfaktoren in einer physiologischen
Konzentration (ist also im Gegensatz zu Einzelfaktorenkonzentraten nicht angereichert).
Die Gewinnung von GFP kann auf verschiedene Wege erfolgen. Einmal kann es aus einer
Einzelspende gewonnen werden. Nach Gewinnung wird dieses Plasma zunächst
quarantänegelagert. Erst nach einer Zweituntersuchung des Spenders später auf HIV, HCV und
HBV mindestens 4 Monate wird das Plasma freigegeben.
Hiervon zu unterscheiden ist das Solvent-detergent (SD)-Plasma. Dieses ist ein Poolpräparat aus
500-1600 Einzelspenden, das mit Lösemitteln und Detergenzien behandelt wird, um lipidumhüllte
Viren (z.B. HIV, HCV und HBV) zu zerstören. Hierbei kommt es jedoch zu einem gewissen
Abfall vieler Gerinnungsfaktoren und insbesondere des Protein S, was neben dem erhöhten Risiko
der Übertragung nicht-lipidumhüllter Viren ein Grund ist, im Allgemeinen das Einzelspender-GFP
zu bevorzugen. Eine seltene Indikation speziell für die Gabe von SD-Plasma ist die thrombotisch-
thrombozytopenische Purpura (s.oben), bei der ein Mangel der von-Willebrand-Faktor-spaltenden
Protease ADAMTS-13 zu einer Vermehrung extrem großer von-Willebrand-Multimere führt. Da
die ADAMTS-13 das SD-Verfahren gut übersteht, in SD-Plasmen jedoch die schweren Multimere
des von-Willebrand-Faktors signifikant vermindert sind, erscheint diese Plasmapräparation
besonders geeignet, bei der TTP das hämostaseologische Gleichgewicht wiederherzustellen.
Seit kurzem ist in Deutschland wieder Methylenblau-virusinaktiviertes Einzelplasma erhältlich.
4.2 Die wichtigsten Plasmaderivate
Aus gepooltem humanem Spenderplasma werden durch das von Herrn Cohn in den 40er Jahren
des 20. Jahrhunderts beschriebene Fraktionierungsverfahren Plasmaderivate hergestellt. Albumin,
Immunglobuline, Gerinnungspräparate (z.B. Faktor VIII, Faktor IX,
Prothrombinkomplex/PPSB, Fibrinkleber, Antithrombin) und Fibrinolytika stellen die
gebräuchlichsten Plasmaderivate dar.
Gerinnungsfaktoren- oder inhibitorenkonzentrate dienen der Behandlung oder Verhütung von
Blutungen oder von Thromboembolien, wenn ein Mangel an einem oder mehreren
Gerinnungsfaktoren vorliegt. Neben der o.g. Herstellung aus humanem Spenderplasma können
einige dieser Faktoren oder Inhibitoren heutzutage auch gentechnisch (rekombinant) hergestellt
werden. Generell enthalten die Gerinnungsfaktoren- oder inhibitorenkonzentrate einen oder
mehrere Gerinnungsfaktoren in hochreiner Form.
Der Gehalt an den spezifischen Inhaltsstoffen wird in Internationalen Einheiten (I.E.) pro mL
Konzentrat angegeben. Die spezifische Aktivität des Gerinnungsfaktors ist definiert als I.E. des
Faktors pro mg Protein. Als Stabilisatoren werden diesen Präparaten oft Albumin und Glukose
beigesetzt.
Für alle genannten Präparate besteht eine Chargendokumentationspflicht.
Als Virusreduktionsverfahren wird entweder die „Flüssig-Hitze-Inaktivierung“, die „Trocken-
Dampf-Inaktivierung“, oder das „Solvent-Detergent-Verfahren“ (= SD-Verfahren“) eingesetzt. Zur
weiteren Reduktion von Viren wird entweder die Filtration (z.B. „Nanofiltration“) oder Reini-
gungsverfahren (z.B. Chromatographie) eingesetzt. Die so hergestellten Plasmaderivate haben
daher heutzutage einen hohen Standard an Infektionssicherheit. Seit 1995 sind keine
Übertragungen viraler Erkrankungen durch Plasmaderivate mehr beschrieben worden.
4.3 Auswahl und Dosierung des geeigneten Plasmaderivats
Einige Punkte wurden bereits in 3.7.2. erläutert.
Ansonsten sind folgende weitere Überlegungen vor einer Gerinnungstherapie mit Plasma oder
Plasmaderivaten zu treffen:
1. Steht ein geeignetes Medikament zur Behandlung des Faktorenmangels (Alternative)
zur Verfügung, so dass gar keine plasmapräparation eingesetzt werden muß? (z.B. DDAVP bei
vWJS oder auch bei leichter Hämophilie A).
2. Einsatz von Einzelfaktoren oder eines Präparats aus verschiedenen Einzelfaktoren
(z.B. Faktor VIII Präparat vs. Kombination von Faktor VIII und vWF).
3. Einsatz eines rekombinanten Gerinnungsfaktors (garantiert virusfrei) vs.
Gerinnungsfaktorpräparat humanen Ursprungs.
4.4 PPSB (Prothrombinkomplex) Konzentrat
Enthält: Prothrombin (II), Proconvertin (VII), Stuart-Faktor (X), Antihämophiler Faktor B
(IX), Protein C, S und Z – somit alle Vitamin-K-abhängigen Gerinnungsfaktoren – und
-inhibitoren)
4.4.1 Prinzipien der PPSB-Anwendung:
Bei PPSB handelt es sich um ein Plasmaderivat, in die o.g. Gerinnungsfaktoren angereichert sind,
die sich zur Behandlung akuter Blutungen /z.B. unter Cumarinmedikation) eignen. Da dieses
Präparat das hämostatische Gleichgewicht stark zur prokoagulatorischen Seite verschiebt, können
bei Einsatz des Medikaments Nebenwirkungen (z.B. Thromboembolien) auftreten. Für die
Anwendung von PPSB sollte daher folgendes beachtet werden:
- Gabe nur bei erwiesenem Mangel an Prothrombinkomplex
- Bei Vitamin K Mangel und Indikation für PPSB ist Vitamin K gleichzeitig zu geben.
- PPSB Gabe bei schwerer Leberinsuffizienz nur dann, wenn die Gabe von GFP alleine
nicht ausreicht bzw. die Gefahr einer Hypervolämie besteht.
- Antithrombin kontrollieren; ggf. Antithrombin-Gabe, um ein Antithrombin von mindestens 70 %
zu gewährleisten.
- Erstdosis: 20 I.E. kg/KG (Ausnahme, bei bedrohlicher Blutung: 40 I.E. kg/KG)
- Cave: Bei wiederholten Gaben ist mit Kumulation der Faktoren II und X zu rechnen, die eine
längere Halbwertszeit als Faktor VII aufweisen. Darum sollten bei wiederholter Gabe diese
Faktoren kontrolliert werden.
- Cumarine haben i.d.R. eine längere Halbwertszeit als die Gerinnungsfaktoren (extrem lange
Halbwertszeit bei Cumarinen, die ans Rattengift Verwendung finden!!). Darum ist mit einem
erneuten Abfall der Gerinnungsfaktoren zu rechnen. Ggf. auch frühzeitig Vitamin K substituieren!
- Antifibrinolytika und Heparin-neutralisierende Substanzen (z.B. Protamin) nicht gleichzeitig
geben
4.4.2 Risikomindernde Maßnahmen bei der PPSB-Gabe:
• Gleichzeitig low dose Heparinisierung
(Ausnahme: lebensbedrohliche Blutungen, ZNS-Blutungen)
• Ausgleich eines Antithrombin-Mangels bei Leberinsuffizienz (AT mind. 70%)
4.4.3 PPSB – Mögliche Nebenwirkungen
Thromboembolien (tiefe Venenthrombosen, Pulmonalembolien, arterielle Thrombosen ein-
schließlich akuter Myokardinfarkt), DIC, allergische Reaktionen, anaphylaktische Reaktionen,
HIT II, Induktion von Inhibitoren gegen Gerinnungsfaktoren, die Übertragung transfusions-
medizinisch relevanter Viren, z.B. HIV, HBV, HCV ist nicht vollständig auszuschließen (Plasma-
derivat aus einem Plasmapool).
4.5 Zusammenfassung: Allgemeine Prinzipien zur Berechnung der Faktorenkonzentration
(Applikationsdosis)
Der Gehalt an Gerinnungsfaktoren wird meist in internationalen Einheiten (I.E. oder I.U.) ange-
geben. 1 Einheit ist als diejenige Aktivität definiert, die in 1 mL Frischplasma (Spenderpool)
enthalten ist. Diese Einheit entspräche dann einer Aktivität dieses Faktors von 100%. Dement-
sprechend würden 0.8 I.E./ml einer Aktivität von 80% entsprechen. Die Messung der „incremental
recovery“ eines Gerinnungsfaktors erfolgt aus einer Blutprobe, die meist 1 Stunde nach Medika-
mentengabe vom Patienten entnommen wird. Die Berechnung der benötigten Menge an Gerin-
nungsfaktor kann aus der Beobachtung im klinischen Alltag berechnet werden, dass nach Gabe
von
1 I.E. Gerinnungsfaktor pro kgKG ein Anstieg (= incremental recovery) um 1 – 2% erfolgt.
Aufgrund individueller Faktoren kann der tatsächliche Anstieg nach Messung der Gerinnungs-
faktoraktivität zwischen 50% und 100% des berechneten Anstiegs liegen. Daher ist eine Kontrolle
nach Substitutionstherapie unerlässlich. Bei Blutungen wird zusätzlich noch Gerinnungsfaktor
verbraucht, so dass neben der klinischen Kontrolle (Ziel: Blutstillung) die Laborkontrolle erforder-
lich ist. Außerdem ist zu beachten, dass bei ausgeprägtem Faktorenmangel der Anstieg nach der
ersten Gabe geringer ist als nach nachfolgenden Gaben. Dies ist auf die Verteilung der
Gerinnungsfaktoren in diversen Kompartimenten zurückzuführen. Nachdem ein basaler
Faktorenspiegel verteilt ist, führt eine weitere Applikation zu deutlicherem Anstieg im Plasma.
Darum sollte nach der ersten Gabe von 1 I.E. Faktor/kgKG eher mit 1% Anstieg, bei
nachfolgender Gabe eher mit 2% Anstieg gerechnet werden.
5. Thrombophile Diathesen
5.1 Thromboseentstehung
5.1.1 Virchow Trias:
Grundlage der Entstehung einer Thrombose ist das Zusammenwirken von drei Faktoren, die nach
ihrem Entdecker Rudolf Virchow (1856) benannt wurden. Als Voraussetzung für die
Thromboseentstehung gelten daher Veränderungen an der Gefäßwand (z.B. Arteriosklerose,
Vasculitis), Veränderungen der Strömungsgeschwindigkeit des Blutes (z.B. durch Stase
hervorgerufener örtlicher Sauerstoffmangel – Hypoxie – mit Endothelzellschädigung, durch Stase
bedingte Anreicherung prokoagulatorischer Faktoren), und eine Veränderungen in der
Zusammensetzung des Blutes (Rheologie).
Letztendlich sind es in der Regel immer mehrere Faktoren, die zusammenkommen und die
Entwicklung einer Thrombose begünstigen können. Man spricht darum immer von einer
sog. multifaktoriellen Genese der Thrombose.
5.1.2 Thrombusentstehung im venösen System:
Der „Gerinnungs- oder Fibrinthrombus“ („roter“ Thrombus“) entspricht dem Vollblutgerinnsel.
Es entsteht vor allem in Gebieten langsam strömenden Blutes (Stasebezirken). Klinisch entsteht
die sog. Venenthrombose, die sich beispielweise als tiefe Bein- oder Beckenvenenthrombose
manifestieren kann. Abgehende Thromben können zu sekundären Embolien führen (z.B.
Lungenembolie). Bestehen weiterhin Restverschlüsse im venösen System, so kann als Spätfolge
ein „postthrombotisches Syndrom“ entstehen. Bei chronischen Perfusionsstörungen kann dann
auch ein Ulcus cruris („offenes Bein“ – Geschwür am U-Schenkel) auftreten. Störungen des
Gerinnungssystems im Sinne einer sog. Hyperkoagulabilität, die genetisch bedingt oder durch ein
Fehlen von Inhibitoren verursacht werden können, begünstigen diese Entwicklung.
5.1.3 Thrombusentstehung im arteriellen System:
Als häufigste Ursache arterieller Thrombosen gelten arteriosklerotische Veränderungen der
Gefäßwand in unterschiedlichen Organsystemen (z.B. Koronar-, Intrazerebralarterien). Initma-
schäden der Gefäßwand (arteriosklerotischer Plaque) führen zum Verlust antithrombotischer
Eigenschaften und zur Ablagerung von Thrombozyten, sog. Abscheidungsthromben von
Thrombozytenaggregaten („weißer“ Thrombus). Anschließend entsteht ein Gerinnungsthrombus
aus Fibrin mit eingeschlossenen Erythrozyten und Leukozyten. Klassische Risikofaktoren der
Arteriosklerose sind Hypertonie, Störungen des Lipidstoffwechsels, Stoffwechselerkrankungen
(z.B: Diabetes mellitus), Adipositas, exogene Faktoren (z.B. Rauchen). Einige weitere Faktoren
scheinen in Zusammenhang mit einem erhöhten Thromboserisiko zu stehen, eine Erhöhung des
Fibrinogens, der D-Dimere und des Homozysteins. Der Thrombus kann die Blutversorgung in den
nachgeordneten Gefäßgebieten kritisch einschränken (Ischämie, Infarkt).
5.2 Thrombophilie
Definition:
Veränderungen des Hämostasesystems, die mit einem erhöhten Thrombose- und Thromboembolie
Risiko einhergehen. Sie wird auch „thrombophile Diathese“ genannt (= abnorme Thrombose-
neigung, Gegenstück zur hämorrhagischen Diathese). Die Prävalenz ist ca. 2 - 5 mal häufiger als
die hämorrhagische Diathese (1:2500 - 1:5000).
Übersicht angeborener thrombophiler Störungen:(ausgewählte Beispiele)
1. Faktor V Leiden Mutation (G1691A)
2. Prothrombin Mutation (G20210A)
3. Antithrombin Mangel
4. Protein C Mangel
5. Protein S Mangel
Beispiele für ein angeborenes thrombophiles Risiko:
Ursache Prävalenz* Thrombophile Risikosteigerung
F.V Leiden heterozygot 5-10% Ca. 5-10 fach
F.V Leiden homozygot 0,05-0,5% Ca. 80 fach
Prothrombinmutation
G20210A heterozygot
1-3% 2-3 fach
Prothrombinmutation
G20210A homozygot
0,01% 50 – (100) fach
AT-Mangel Typ I
heterozygot
< 1% (0,02-0,2) > 10 fach
PC-Mangel heterozygot <1% (0,2-0,8) Ca. 3,8-10 fach
PS-Mangel heterozygot Nicht exakt
bekannt
Ca. 10 fach
Wann ist der Verdacht auf eine angeborene Thrombophilie-Ursache gegeben?
Aus der Gerinnungsanamnese lassen sich die entscheidenden Hinweise für mögliche Ursachen
einer Thrombose erkennen. Eine spontan auftretende Thrombose („aus heiterem Himmel“), die
ohne mögliche (exogene) Auslöser (z.B. Trauma, Immobilisation, Östrogene, Nikotinabusus)
auftritt, spricht eher für eine genetische Ursache. Meist findet sich hinsichtlich Thrombosen dann
auch eine positive Familienanamnese. Weitere Hinweise sind beispielsweise:
- Venöse Thrombose < 45. Lebensjahr
- Familiäre Thromboseneigung (positive Familien-Anamnese in der Verwandtschaft 1. Grades)*
- Spontan-Thrombose ohne erkennbaren Anlass
- Ungewöhnliche Rezidivneigung venöser Thrombosen
- Ungewöhnliche Thromboselokalisation:
* Mesenterialvenen-, Milzvenen-, Pfortaderthrombose
* Zerebrale Sinusvenenthrombose, Zentralvenenverschluss am Auge
- Kombination venöser und arterieller Thrombosen
- Sondersituationen oder spezielle Symptomatik:
* Kumarin-Nekrose
* Neonatale Purpura fulminans
Beispiele erworbener Thrombophilie-Ursachen
Thrombosen aufgrund eines erkennbaren Auslösers, bei negativer Familienanamnese, lassen sich
meist nicht mit einem genetischen Risiko begründen. Folgende Ursachen können dafür verant-
wortlich sein:
- Vorangegangene Thrombose (Gefäßveränderungen, Reststenosen)
(z.B. PTS = postthrombotisches Syndrom)
- Operationen (besonders an Knie- und Hüftgelenk, große Bauch- und Thoraxchirurgie)
- Immobilisation, langes Sitzen mit angewinkelten Beinen („Reisethrombose“, “Sitzthrombose“)
- Höheres Alter (zunehmende Gefäßveränderungen),
- Exsikkose (erhöhte Blutviskosität)
- Adipositas (Fettleibigkeit)
- Ovulationshemmer (Östrogenhaltig)
- Rauchen (Nikotin)
- Schwangerschaft (Östrogenwirkung) und Wochenbett (Immobilisation)
- Entzündliche und infektiöse Prozesse (Fibrinogenerhöhung, Thrombozytenaktivierung)
In der Regel ist die Manifestation thrombotischer Ereignisse, wie bereits erwähnt, als Folge des
Zusammenkommens mehrere endogener oder exogener Ursachen zu sehen. So kann z.B. eine
genetische Dispostion bei einem Menschen bestehen (z.B. heterozygote Faktor V-Leiden-
Mutation), aber erst nach der zusätzlichen Einnahme eines oralen Kontrazeptivums („Pille“) und
einer Immobilisation im Gipsverband entwickelt sich das thrombotische Ereignis. Wie die
unterschiedlichen Risikofaktoren zusammenwirken, z.B. ob sich das Risiko addiert, multipliziert
oder gar potenziert, ist nicht genau bekannt. Daher ist die Risikoabschätzung des thrombophilen
Risikos eines Patienten immer individuell zu betrachten und ebenso die Art und Weise der Primär-
oder Sekundärprophylaxe zu beurteilen. Laborbefunde, in denen auf unbekannte Weise, eine auf
die „Komma-Stelle“ genaues Thromboserisiko eines Patienten angegeben wird, sind daher als
nicht valide zu betrachten.
Grundsätzlich können auch einige der genannten angeborenen thrombophilen Störungen (z.B.
Antithrombinmangel, Mangel an Protein C und S oder eine Resistenz gegen aktiviertes Protein C )
durch Krankheiten erworben werden. Im Gegensatz zu den angeborenen Mangelzuständen treten
die erworbenen Störungen dann im Rahmen spezieller Krankheitsbilder auf (z.B. Verbrauchs-
koagulopathie bei schweren Infektionen). Diese Mangelzustände müssen dann vor dem Hinter-
grund des gesamten Krankheitsbildes beurteilt und behandelt werden.
5.3 APC Resistenz (= Resistenz gegen aktiviertes Protein C) / Faktor V Leiden
5.3.1 Historisches:
Die Resistenz gegen aktiviertes Protein C (kurz: APC - Resistenz) wurde erstmals 1993 vom
schwedischen Arzt DAHLBÄCK in Malmö beschrieben, nachdem er bei Patienten mit erhöhter
Thromboserate ein Ausbleiben einer Verlängerung der Gerinnungszeit nach APC-Zugabe fand.
Aktiviertes Protein C ist ein Inhibitor der Gerinnungskaskade. 1994 entdecken BERTINA et al. in
dem holländischen Ort Leiden, dass > 90% der Fälle mit APC-Resistenz durch Punktmutation im
Faktor V - Gen verursacht werden (Faktor-V-Leiden-Mutation). Bei ca. 5% der Patienten mit
APC-Resistenz findet man keine genetische Ursache.
5.3.2 Faktor V – Leiden-Mutation:
Die Anlage wird autosomal dominant vererbt. Ca. 5-10% der mitteleuropäischen Bevölkerung
(Deutschland: 3-8,5%) sind heterozygote Träger dieser Mutation und haben statistisch ein 5-
10fach höheres Risiko für eine venöse Thrombose. Ein wesentlich höheres Thromboserisiko
besteht, wenn die Erbanlage homozygot auftritt (ca. Faktor 80). Die Frequenz des homozygoten
Auftretens dieser Anlage liegt natürlich erheblich niedriger (unter 1 %)..
Pathogenese:
Die APC-Resistenz wird durch eine Punktmutation (Nukleotidposition 1691 (G1691A), Ersatz von
Guanin durch Adenin) auf dem Exon 10 des Faktor V-Gens (1q23) ausgelöst. In der Folge wird ein
verändertes Faktor-V-Molekül synthetisiert (Ersatz der AS Arginin durch Glutamin in Position 506
der Polypeptidkette (R506Q, bzw. A506G), Faktor V:506, das auch die Kofaktorfähigkeit für die
Inaktivierung von Faktor VIII verliert. Die proteolytische Wirkung von aktiviertem Protein C
gegenüber Faktor V ist um etwa Faktor 10 herabgesetzt, da APC die Spaltstelle im aktivierten
Faktor V-Molekül nicht mehr erkennt, und folglich die Faktor V Aktivität erhalten bleibt (erhöhte
Bildung von Thrombin). Diese strukturelle Veränderung des Faktor-V-Moleküls macht es
resistenter gegenüber APC, daher die Bezeichnung „APC-Resistenz“.
Eine klinisch relevante Faktor-VIII-Resistenz scheint übrigens nicht vorzukommen. Dies liegt
wahrscheinlich an der geringeren Stabilität des Faktor VIIIa, der auch ohne Protein-C-Einwirkung
relativ bald inaktiv wird.
5.3.3 Kombination der F.V–Leiden-Mutation mit anderen thrombophilen Risikofaktoren:
Generell entsteht ein erheblicher Anstieg des Thromboserisikos, wenn angeborene und erworbene
bzw. verschiedene Risiken aufeinander treffen.
Beispiele:
•„Östrogen-haltige Pille“ + F.V-Leiden-Mutation (heterozygot) Risikoerhöhung ca. 30-fach
•„Östrogen-haltige Pille“ + F.V-Leiden-Mutation (homozygot) Risikoerhöhung ca. 200-fach
• Pille (Östrogen) allein ca. 3-4-fach
• F.V-Leiden-Mutation (heterozygot) allein ca. 5-10-fach
• F.V-Leiden-Mutation (homozygot) allein ca. 80-fach
Achtung!
Immer wieder kommt es zu u.U. folgenschweren Verwechslungen zwischen F.V-Mangel und F.V-
Leiden-Mutation. Viele Patienten werden mit der Verdachtsdiagnose F.V-Mangel zum
Thrombophiliescreening in Gerinnungsambulanzen überwiesen. Wichtig ist daher, klar zu stellen,
dass die F.V-Leiden-Mutation kein F.V-Mangel ist. Letzteres bedeutet auch kein erhöhtes
Thrombose, sondern logischerweise ein erhöhtes Blutungsrisiko. Die Behandlung bzw. Prophylaxe
ist dementsprechend gerade gegensätzlich!
Selten kann es den Fall einer Kombination des F.V-Mangels mit F.V-Leiden-Mutation geben. Eine
genaue Zahl zur Prävalenz kann an dieser Stelle nicht genannt werden. In diesen Fällen scheint die
thrombophilie Neigung nicht nur zu überwiegen, sondern sogar verstärkt zu Tage zu treten..
5.4 Prothrombin Mutation (G20210 A)
5.4.1 Bedeutung der Prothrombin-Mutation
1996 wurde von POORT et al. eine Punktmutation im Prothrombin-Gen (G20210A) nachgewiesen.
Die Prothrombin-Genmutation stellt einen weiteren angeborenen Risikofaktor für eine Thrombo-
philie dar. Die Frequenz dieser Genmutation in der europäischen Bevölkerung ist gering (ca. 1-
2%). Außerdem ist das Risiko für eine Thrombose bei isoliertem Auftreten relativ gering (Risiko
ca. 2 – 6 fach). Es steigt jedoch wiederum erheblich an, wenn weitere genetische oder externe
thrombophile Risikofaktoren hinzukommen.
Vorkommen:
- Überwiegend heterozygot, nur 0,01% homozygot
- Prävalenz 2,8% (2-4%) heterozygot
- Thrombosekollektiv: 5-18% positiv für diese Mutation
5.4.2 Molekularbiologie
Eine Punktmutation führt zum Austausch von Adenin gegenüber Guanin in Position 20210 der 3´-
codierenden Sequenz des Prothrombin-Gens (G20210AMutation) auf dem Chromosom 11p11-
q12. Die Mutation führt zu einem erhöhten Prothrombin (= Faktor II) Spiegel im Blut (ca. 120%
Faktor II Aktivität), der mit einem erhöhten Thromboserisiko einhergeht. Durch die erhöhte
Prothrombinaktivität wird vermehrt Thrombin gebildet und das hämostatische Gleichgewicht auf
die prokoagulatorische Seite verschoben.
5.4.3 Klinik
Bei Einnahme von östrogenhaltigen Ovulationshemmern steigt das thrombophile Risiko bei
Vorliegen einer Prothrombin (G20210A)-Mutation in heterozygoter Ausprägung um den Faktor 16
an. Bei heterozygoten Merkmalsträgern besteht ein 2-3-fach höheres Thromboserisiko (Rezidiv-
risiko ist nicht unbedingt erhöht). Bei homozygoten Merkmalsträgern (Erstbeschreibung 1997)
liegt ein deutlich höheres Risiko vor (50-100-fach höheres Thromboserisiko). Bei Zusammen-
treffen einer Faktor-V-Leiden-Mutation und einer G20210A-Mutation kommt es zur Verviel-
fältigung des Thromboembolierisikos.
5.5 Antithrombin-Mangel
5.5.1 Bedeutung des Antithrombin-Mangels
Antithrombin (AT) stellt den wichtigsten Inhibitor der Blutgerinnung dar, da es nicht nur
Thrombin (zentrales Enzym der Gerinnung) sondern eine ganze Reihe weiterer Gerinnungsenzyme
(z.B. insbesondere den Faktor Xa, aber in geringerem Maße auch die Faktoren XIa, XIIa und IXa
inaktiviert). Ein AT-Mangel führt daher zu einer entscheidenden Verschiebung des
hämostaseologischen Gleichgewichts zur prokoagulatorischen Seite. Bereits eine geringe
Verminderung des AT-Spiegels kann daher Thrombosen verursachen (z.B. eine subnormale AT-
Konzentration zwischen 40%–70%). AT gehört biochemisch zur Gruppe der SERPINE
(Serinproteaseinhibitoren), die ihre Enzyme (Serinproteasen = die o.g. Gerinnungsfaktoren)
irreversibel hemmen (sog. „Suizid-Substrate“). Die normale Serumaktivität von AT beträgt ca. 80
– 120 %. Die AT-Aktivität kann unter der Einnahme von Östrogenen um bis zu 10% abfallen, ist
in der Regel während der Schwangerschaft nur gering vermindert und bleibt bei zunehmendem
Alter konstant.
5.5.2 Klinik des angeborenen AT-Mangels
1965 Erstbeschreibung des angeborenen heterozygoten AT-Mangels (autosomale Vererbung)
durch EGEBERG bei Mitgliedern einer Familie in Norwegen. 1989 erste Kasuistik mit einem
angeborenen, homozygoten AT-Mangels bei 2 Kindern (schwerste venöse und arterielle
Thrombosen bei Geburt – die Kinder überlebten nur wenige Tage).
Man unterscheidet grob zwei Typen des AT-Mangels: Bei Typ I sind die AT-Aktivität und -
Konzentration (immunologische Bestimmung) gleichermaßen vermindert. Bei Typ II ist die AT-
Aktivität alleine vermindert bei einer gleichbleibenden oder sogar erhöhten AT-Konzentration im
Plasma.
Der angeborene AT-Mangel geht mit einer hohen Thromboembolie-Prävalenz von mehr als 50%
einher. Es handelt sich meist um einen heterozygoten Defekt, der mit einer durchschnittlichen
AT-Aktivität von ca. 50% einhergeht. Der homozygote AT Mangel ist mit dem Leben in der
Regel nicht vereinbar (siehe oben). Bei den meisten Patienten mit heterozygotem AT Mangel
treten Thromboembolien bereits zwischen dem 15. und 30. Lebensjahr auf (Manifestation als tiefe
Beinvenenthrombosen und Lungenembolien). Typisch ist das Auftreten von Thrombosen bereits
vor dem 50. Lebensjahr (80% der betroffenen Patientengruppe ist bereits an mindestens einer
Thrombose erkrankt).Bei atypisch lokalisierten Thrombosen (Mesenterialvenen, Hirnvenen) ist
ebenfalls an einen AT Mangel zu denken. Nicht jede Person mit AT-Mangel muss jedoch eine
Thrombose bekommen; es gibt erhebliche familiäre Unterschiede. Während der Schwangerschaft
ist die Thromboserate besonders hoch (40 – 70%), ebenso im Wochenbett. Häufigste
Manifestation der Thrombose sind die tiefen Beinvenen, gefolgt von Lungenembolien.
5.5.3 Klinik des erworbenen AT-Mangels
Der erworbene AT-Mangel hängt maßgeblich von der zugrundeliegenden Erkrankung ab.
Folgende Ursachen sind möglich (Beispiele nach Gruppen geordnet):
Synthesestörung:
- Lebererkrankung mit einer verminderten Proteinsynthese. Thrombosen sind eher selten, da auch
andere Gerinnungsfaktoren vermindert sind. Das hämostaseologische Gleichgewicht liegt
auf einem niedrigeren Niveau (mit einer niedrigen Restaktivität der Gerinnungsfaktoren).
- Frühgeborene (Unreife der Leber, eingeschränkte Syntheseleistung)
- L-Asparaginasetherapie (oft kombiniert mit erhöhtem AT-Verbrauch) bei Tumortherapie.
Erhöhter Verlust:
- Nephrotisches Syndrom (Protein- und auch AT-Verlust durch Proteinurie)
- Lymphfistel (Proteinverlust)
- Exudative Enteropathie
- Massivblutung (Plasmaverlust, Verlust aller Gerinnungsfaktoren)
Erhöhter Verbrauch:
- DIC = disseminierte intravasale Koagulation)
- Sepsis (erhöhter Proteinumsatz und Verbrauch, Gerinnungsstörungen, ggf. DIC)
- Ausgedehnte Thrombosen verbrauchen ebenfalls Gerinnnungsfaktoren
- Große Operationen mit großer Wundfläche
- Multitrauma
- Heparintherapie (v.a. bei intravenöser Dauertherapie, Aktivitäts- und Konzentrationsabfall von
AT oder bei Therapiebeginn).
5.5.4 Therapie des AT-Mangels
Patienten mit angeborenen AT-Mangel und ersten thromboembolischen Ereignis werden
üblicherweise mit Kumarinderivaten langzeitantikoaguliert.
Humanes Antithrombin-Konzentrat steht für bestimmte Indikationen (z.B. akutes thrombotischen
Ereignis, während der Entbindung, perioperativ) zur Verfügung.
Der erworbene AT-Mangel im Rahmen der Grunderkrankung wird ggf. ebenfalls durch gezielte
Substitution von AT behandelt. Aufgrund der gegenwärtigen Studienlage wird die Gabe von AT
bei AT-Verbrauch im Rahmen einer disseminierten intravasalen Gerinnung (DIC) empfohlen. Bei
einer Sepsis (ohne DIC) wird die Gabe von AT hingegen nicht empfohlen, weil ein Benefit für die
Patienten nicht gefunden wurde, es jedoch zu vermehrten Blutungskomplikationen kam.
5.5.5 AT-Mangel als Nebenwirkung bei Gerinnungstherapie
Heparin verliert erheblich an Wirkung, wenn AT abfällt. Darum sollte eine Konzentration des AT
ggf. durch Substitution aufrechterhalten bzw. auf einem Level von mindestens 70-80 % gehalten
werden. Umgekehrt muss auch beachtet werden, daß eine laufende Heparintherapie durch
unkontrollierte AT-Gabe in ihrer Wirksamkeit erheblich gesteigert werden kann, so daß die Gefahr
einer Blutung durch überschießende Heparinwirkung entsteht. AT alleine verursacht keine erhöhte
Blutungsneigung, da es ein langsamer Inhibitor der Gerinnung ist (auch nicht bei einer
Überdosierung). Erst in Kombination mit Heparin wird die AT-Wirkung erheblich verstärkt (um
ca. Faktor 1000). Dann können sich die globalen Gerinnungstests verändern (v.a. Verlängerung der
aPTT) und eine erhebliche Blutungsneigung entstehen.
Besonders wichtig ist die Kontrolle des AT vor der Gabe von PPSB, da die Anhebung der
Gerinnungsfaktorenaktivität ohne Angleichung des Inhibitors zu einer erhöhten
Thromboemboliegefahr führt. Daher nochmals zur Wiederholung: Wird die Indikation zur
Substitution mit AT gestellt, so sollte eine AT-Aktivität im Plasma >70% aufrechterhalten
werden (gem. den aktuellen Leitlinien der Bundesärztekammer)
5.6 Protein C - Mangel
Protein C ist ein Vitamin K abhängiges Protein, das in der Leber synthetisiert wird. Die
Aktivierung des Protein C findet am sog. Thrombinvermittelt am Thrombomodulinkomplex an der
Endothelzelle statt. APC stellt einen zentralen Inhibitor des Gerinnungssystems dar, der die
Thrombinbildung durch Inaktivierung der Faktoren Va und VIIIa drosselt. Aufgrund der kurzen
Halbwertszeit von Protein C fällt bei einer Leberfunktionsstörung der Protein C-Spiegel rasch ab.
Der angeborene und erworbene Protein C-Mangel führt zu einem erhöhten Thromboserisiko.
5.6.1 Angeborener Protein C Mangel (heterozygot/homozygot):
Der angeborene Protein C-Mangel wurde erstmals von Griffin 1981 beschrieben und wird auto-
somal rezessiv vererbt. Die genetischen Ursachen können vielfältig sein. Grundsätzlich werden
hinsichtlich der Protein C-Aktivität und -Konzentration 2 Typen unterschieden:
Typ 1: Verminderung der Protein C Aktivität und Protein C Konzentration.
Typ 2: Verminderung der Protein C Aktivität bei normaler Protein C Konzentration.
Genetisch unterscheidet man:
Heterozygote Merkmalsträger:
Die klinische Manifestation eines angeborenen Protein C-Mangels kann auch innerhalb einer
Familie sehr unterschiedlich sein. Bei schwerem angeborenen (oder erworbenem, s.u.) Protein-C-
Mangel kann eine Purpura fulminans auftreten. Sie entsteht durch Blutgerinnsel in der
Mikrozirkulation. Es folgen Blutergüsse in das Gewebe. Dermatologisch imponieren nicht-
erhabene, kleine, runde, purpurfarbene Rötungen der Haut. Schwere behandlungsbedürftige
Symptome sind bei Protein-C-Spiegeln unter 20 bis 25 Prozent des Protein-C-Normwertes zu
erwarten.
Zumeist sind für die Entstehung einer Thrombose zusätzliche Risikofaktoren erforderlich.
Besonders nach Operationen oder bei septischen Prozessen wird die Thromboseentstehung
begünstigt. Neben Bein- und Beckenvenenthrombose, die mit oder ohne Lungenembolie auftreten
können, treten Thrombosen auch an seltenen Lokalisationen (z.B. Mesenterialvenen, Sinusvenen
des Gehirns, der Pfortader oder der Retina) auf. Auch arterielle Thrombosen sind beschrieben; es
kommt zuweilen zur Apoplexie bereits im jugendlichen Alter.
Homozygote Merkmalsträger:
Der homozygote Protein C-Mangel ist kaum mit dem Leben vereinbar und eine ausgesprochene
Rarität. Wenn vorhanden, dann tritt die klinische Manifestation bereits im Neugeborenenalter als
schwere Verlaufsform einer intravasalen Gerinnung (DIC) mit Purpura fulminans (disseminierte
Hautnekrosen) und rezidivierenden massiven Thromboembolien auf.
5.6.2 Erworbener Protein C-Mangel:
Ein erworbener Protein C-Mangel kann infolge einer Synthesestörung (Leber), eines erhöhten
Proteinumsatzes (schwere Entzündungen, Infektionen) oder bei Eiweißverlust auftreten. Da
Protein C ein Vitamin K-abhängiges Protein darstellt, fällt Protein C auch unter Gabe von
Kumarinen (Vitamin-K-Antagonisten) ab. Die Halbwertszeit des Protein C liegt mit 10h unter der
Halbwertszeit der Gerinnungsfaktoren (mit Ausnahme des Faktor VII, der allerdings auch in
geringer Konzentration noch wirksam ist). Darum besteht in der initialen Phase einer
Kumarinbehandlung vorübergehend eine Verschiebung des hämostatischen Gleichgewichtes in
Richtung Thrombogenität, unter der es zur gefürchteten Kumarinnekrose oder Thromboembolien
kommen kann. Aus diesem Grund muß der Beginn einer oralen Antikoagulation mit
Kumarinderivaten unter gleichzeitiger Gabe von Heparin stattfinden, die erst bei Erreichen einer
INR von 2,0 abgesetzt wird. Ein kongenitaler Protein-C-Mangelzustand kann unter oraler
Antikoagulation nicht beurteilt werden. Selten tritt bei Patienten mit Lupus antikoagulans eine
Inhibition von Protein C auf. Nachfolgend werden Ursachen für einen erworbenen Protein C-
Mangel aufgeführt:
Synthesestörungen:
- Lebererkrankungen (verminderte Proteinsynthese)
- Chronisch entzündliche Darmerkrankungen (Vit. K Resorptionsstörung + Proteinverlust)
- Vitamin-K-Mangel (Vit. K abhängige Proteinsynthese)
- Kumarintherapie (Vit. K Antagonist), cave: Protein C steigt nach Kumarintherapie sehr langsam
(Kontrolle nach 8 – 12 Wochen).
- Intoxikation mit Rattengift auf Kumarinbasis
- Asparaginasetherapie
- Infektionen
Erhöhter Umsatz:
- DIC
- Postoperativ (Minimum: 3. postop. Tag mit ca. 70%, nach 7-15 Tagen Normalisierung)
- Akute Thromboembolie
- Polytrauma
5.6.3. Therapie des Protein-C-Mangels
Bei schwerem kongenitalen Protein-C-Mangel kann eine orale Antikoagulation indiziert sein. Bei
nur mäßig vermindertem Protein C sollte eine dauerhafte Antikoagulation erst nach einem
idiopathischem thrombotischen Erstereignis diskutiert werden. Hierbei muß bei sehr ausgeprägtem
Mangel in der Einstellungsphase ggf. Protein C (Ceprotin®
) substituiert werden, um eine
Kumarinnekrose zu vermeiden. Die Gabe von Protein C kann auch zur kurzfristigen Korrektur des
hämostatischen Gleichgewichtes eingesetzt werden. Die aktuellen Leitlinien der
Bundesärztekammer sehen – neben der Purpura fulminans - folgende Indikationen vor:
Hierbei werden initial Werte um 100% angestrebt, anschließend sollen Werte über 25%
aufrechterhalten werden.
5.7 Protein S - Mangel
Protein S ist ebenfalls ein Vitamin K abhängiges Leberprotein, das als Kofaktor des aktivierten
Protein C (APC) die Inaktivierung der Faktoren Va und VIIIa beschleunigt. Ein Protein S-Mangel
verschiebt das hämostaseologische Gleichgewicht dahingehend, dass die Gerinnungsfaktoren Va
und VIIIa zu gering inaktiviert werden. Die erheblichen Schwankungen des Protein S
Plasmaspiegels in Abhängigkeit verschiedener Umstände bereiten erhebliche Schwierigkeiten in
der korrekten Diagnose eines Protein S-Mangels. Beispielsweise kann der Protein S-Spiegel kann
in Abhängigkeit bestimmter Medikamente (z.B. Kumarine) oder unter Hormoneinfluss
(Östrogene) passager vermindert sein. Hintergrund hierbei ist, dass Protein S im Plasma an die
Komplementkomponente C4b gebunden ist, d.h. nur ein Teil des Protein S liegt wirklich aktiv und
frei im Blut vor. Hormonelle Veränderungen führen z.B. zur Erhöhungen von C4b und dadurch zur
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39_06 + Hämost. Erlangen. Hämostasiologie, Teil 6. Medikamente bei akuter Blutungsneigung. Gerinnung . Blutgerinnung

  • 1. Skript zur Vorlesung Praktikum Transfusionsmedizin/Hämostaseologie, Teil II 2. Klinisches Semester Transfusionsmedizinische und Hämostaseologische Abteilung, Universitätsklinikum Erlangen Spezielle Hämostaseologie: Diagnostik und Therapie Hämorrhagischer und Thrombophiler Diathesen. Inhaltsverzeichnis (Weiterführung von Hämostaseologie, Teil I): 3.1 Einleitung 3.2 Einteilungskriterien der hämorrhagischen Diathese 3.2.1 Einteilung nach Pathogenese 3.2.2 Klinische Symptomatik (Blutungstypen) 3.2.3 Einteilung nach Organlokalisation 3.3 Klinische Beurteilung einer hämorrhagischen Diathese 3.4 Thrombozytär bedingte hämorragische Diathesen 3.4.1 Angeborene Thrombozytopathien (selten) 3.4.2 Erworbene Thrombozytopathien 3.4.3 Thrombozytopenien (Einteilung): 3.4.3.1 Immunthrombozytopenie (ITP) 3.4.3.2 Neonatale Allo-Immunthrombozytopenie (NAIT) 3.4.3.3 Posttransfusionspurpura (PTP) 3.4.3.4 Autoimmune Thrombozytopenie 3.4.3.5 Arzneimittel (AM) induzierte Thrombozytopenie 3.4.3.6 Heparin-induzierte Thrombozytopenie (HIT) 3.5 Vasopathien 3.5.1 Purpura Schoenlein-Henoch 3.5.2 Panarteriitis nodosa 3.5.3 Sonstige vaskulär bedingte hämorrhagische Diathesen 3.5.4 Morbus Rendu-Osler-Weber (selten) 3.6 Angeborene Koagulopathien 3.6.1 Hämophilie A 3.6.1.2 Therapie der Hämophilie 3.6.2 Von Willebrand-Jürgens Syndrom 3.6.2.1 Von Willebrand Faktor (Antigen) 3.6.2.2 Klassifikation: hereditäres vWJS 3.6.2.3 Sonderform: Erworbenes vWJS 3.6.2.4 Diagnostik des vWJS 3.6.2.5 Therapie des vWJS 3.7 Erworbene Koagulopathien 3.7.1 Hemmkörper- (Inhibitor-) Koagulopathie 3.7.1.1 Diagnostik der Hemmkörperhämophilie 3.7.1.2 Therapie der Hemmkörperhämophilie 3.7.2 Allgemeine diagnostische und therapeutische Prinzipien bei Koagulopathien 4. Therapie mit Plasma und dessen Derivaten 4.1. Plasma zur therapeutischen Anwendung 4.2. Die wichtigsten Plasmaderivate 4.3 Auswahl und Dosierung des geeigneten Plasmaderivats 4.4 PPSB (Prothrombinkomplex) Konzentrat
  • 2. 4.4.1 Prinzipien der PPSB-Anwendung 4.4.2 Risikomindernde Maßnahmen bei der PPSB-Gabe: 4.4.3 PPSB – Mögliche Nebenwirkungen 4.5 Zusammenfassung: Allgemeine Prinzipien zur Berechnung der Faktorenkonzentration 5. Thrombophile Diathesen 5.1 Thromboseentstehung 5.1.1 Virchow Trias 5.1.2 Thrombusentstehung im venösen System 5.1.3 Thrombusentstehung im arteriellen System 5.2 Thrombophilie 5.3 APC Resistenz (= Resistenz gegen aktiviertes Protein C) / Faktor V Leiden 5.3.1 Historisches 5.3.2 Genetik des Faktor V – Leiden 5.3.3 Kombination von F.V - Leiden mit anderen thrombophilen Risikofaktoren 5.4 Prothrombin Mutation (G20210 A) 5.4.1 Bedeutung der Prothrombin Mutation 5.4.2 Molekularbiologie 5.4.3 Klinik 5.5 Antithrombin-Mangel 5.5.1 Bedeutung des Antithrombin Mangels 5.5.2 Klinik des angeborene Antithrombinmangel 5.5.3 Klinik des erworbenen Antithrombinmangels 5.5.4 Therapie des Antithrombinmangels 5.5.5 AT-Mangel als Nebenwirkung bei Gerinnungstherapie 5.6 Protein C Mangel 5.6.1 Angeborener Protein C Mangels (heterozygot/homozygot) 5.6.2 Erworbener Protein C Mangel 5.6.3 Therapie des Protein-C-Mangels 5.7 Protein S Mangel 5.7.1 Angeborener Protein S Mangel 5.7.2 Erworbener Protein S Mangel 5.7.3 Therapie des Protein-S-Mangels 5.8 Prophylaxe und Therapie der venösen Thromboembolien 5.8.1 Cumarine (Phenprocoumon, Warfarin) 5.8.2 Heparine 5.8.3 Direkte Thrombininhibitoren 5.8.3.1. Hirudin 5.8.3.2. Argatroban 5.8.3.3. Dabigatran 5.8.4 Direkte Faktor-Xa-Inhibierung: Rivaroxaban 5.8.5. Kurzer Überblick: Thromboseprophylaxe bei chirurgischen und immobilisierten internistischen Patienten 5.8.6 Fibrinolytika
  • 3. 3.1 Einleitung Aufgrund der großen Komplexität der Physiologie der Hämostase ergibt sich die Möglichkeit für vielerlei Störungen der Blutstillung. Wenn hieraus eine abnorme Blutungsneigung resultiert, sprechen wir von einer hämorrhagischen Diathese. Dagegen äußert sich eine trombophile Diathese oder Thrombophilie klinisch in einer Thromboseneigung. Definition der hämorrhagischen Diathese: Sammelbezeichnung für Krankheitszustände, die durch eine Blutungsneigung bzw. das Auftreten spontaner, schwer stillbarer Blutungen gekennzeichnet sind [Diathese = Neigung]. Hämorrhagi- sche Diathesen sind angeborene oder erworbene Störungen des Blutgerinnungssystems. 3.2 Einteilungskriterien der hämorrhagischen Diathesen 3.2.1 Einteilung nach Pathogenese: Ätiologisch werden Blutungen nach den zugrunde liegenden Ursachen eingeteilt. Eine mögliche Ursache ist eine thrombozytär bedingte Blutungsneigung, also ein Defekt der primären Hämostase, der sich wiederum in eine Verminderung der Thrombozytenzahl (Thrombozytopenie) oder in eine Funktionsstörung der Thrombozyten (Thrombozytopathie) unterteilen lässt. Eine andere wichtige Ursache ist die plasmatisch bedingte Blutungsneigung, also ein Defekt der sekundären Hämostase. Bei dieser handelt es sich i.d.R. um den Mangel bzw. die Fehlfunktion eines oder mehrerer Gerinnungsfaktoren. Als bekanntestes Beispiel ist hier die Hämophilie A, der angeborene Mangel an Gerinnungsfaktor VIII, zu nennen. Die (bei Mitbetrachtung sehr leichter Formen) häufigste angeborene hämorrhagische Diathese ist das von- Willebrand-Jürgens-Syndrom (vWJS), das klassischerweise als „Mischform“ einer plasmatischen und thrombozytären Blutungsneigung imponiert. Seltener treten Blutungen durch eine Hyperfibrinolyse auf (z.B. Verbrauchskoagulopathie, DIC, tumorassoziierte Hyperfibrinolyse). Der geringste Anteil der Blutungen wird durch Vasopathien (vaskuläre Ursache, um 5% der Blutungsursachen) verursacht. Eine weitere Einteilungsmöglichkeit ist die Unterscheidung nach hereditär vs. erworben. Als Beispiele für krankheitsbedingt erworbene hämmorrhagische Diathesen lassen sich Thrombozytopenie aufgrund maligner hämatologischer Erkrankungen, Hemmkörperhämophilie, Vasulitis und vor allem eine Thrombozytenfunktionsstörung durch die Einnahme von verschiedenen Medikamenten, insbesondere acetylsalicylsäurehaltige Schmerzmittel oder andere Nicht-steroidale Antirheumatika, nennen. Auch weitere iatrogene Ursachen sind häufig (z.B. unerwünschte Nebenwirkung im Rahmen einer Antikoagulation; erhöhte Gefäßfragilität nach chronischer Therapie mit Cortikosteroiden, sog „chirurgische Blutung“) Schließlich wird als primäre Form einer hämorrhagischen Diathese jedes eigenständige Krank- heitsbild und als sekundäre Form die Blutung als Begleitsymptom einer Grunderkrankung bezeichnet. Einen Überblick verschafft die nachfolgende Tabelle: Einteilungskriterium Beispiele Nach Defekt im Hämostasesystem Thrombozytopenie/Hämophilie A/Hyperfibrinolyse/Gefäßverletzung Hereditär/erworben X-chromosomal vererbte Hämophilie A/Hemmkörperhämophilie Krankheitsbedingt/iatrogen Mangel an Gerinnungsfaktoren aufgrund Synthesestörung – Therapie mit Antikoagulantien Chronisch - akut Hämophilie aufgrund hereditären Faktorenmangels -
  • 4. hämorrhag. Diathese bei Verbrauchskoagulopathie Primär - sekundär Hämophilie A – Faktorenmangel bei Leberzirrhose 3.2.2 Klinische Symptomatik (Blutungstypen): Eine Blutungsneigung kann sich bereits im Alltag durch auffallend lange oder starke Blutungen bei Bagatellverletzungen äußern. Ebenso kann eine Neigung zu spontanem Nasenbluten (Epistaxis) oder Zahnfleischbluten bestehen. Bei schwerer Hämophilie sind Einblutungen in Gelenke häufig. Klinisch sehr bedeutsam sind auch Einblutungen in die Haut, die vielerlei Formen aufweisen können: Die Rhexisblutung bezeichnet Gefäßläsionen, die scharf begrenzt und meist auf eine Lokalisation beschränkt sind (im Lichtmikroskop erkennbar). Die Diapedesisblutung betrifft die Endstrombahn, die Blutungen erscheinen daher eher verwaschen (die Gefäßläsion ist nur elektronenmikroskopisch nachweisbar). Aus der Morphologie der Blutung auf der Haut oder den Schleimhäuten lassen sich wichtige Hinweise auf die Krankheitsursache erkennen. Bei punktförmigen Blutungen unterscheidet man die Petechie (ital.: Blutflecken), die punktförmig flach ist und einzeln, d.h. voneinander gut abgrenzbar erscheint, von der Purpura (lat.: Purpur), einer Anhäufung von vielen Petechien, die nicht mehr gut voneinander abgrenzbar sind und einen unscharfen Randsaum aufweisen. Davon abzugrenzen ist das Hämatom („Bluterguss“), das eine raumfordernde Blutung im Gewebe bedeutet, die Sugillation (unscharf begrenzte Blutung in der Haut), die Suffusion (flache, unscharf begrenzte Blutung in der Schleimhaut) und die Ekchymose (flache, fleckförmige und scharf begrenzte Blutung). Die klinisch am wichtigsten zu differenzierenden Blutungsmorphologien sind einerseits die Hämatome, die spontan meist bei schweren plasmatischen Gerinnungsstörungen auftreten können (z.B. Hämophilie A oder B) und auch im Schleimhautbereich lokalisiert sein können (z.B. von Willebrand Syndrom). Petechien treten in der Regel bei Thrombozytopenien auf (häufigste Ursache) oder bei starken Thrombozytenpathien. Vasopathien sind mehr oder minder ausgeprägte Störungen der Gefäßintegrität, die zu Einblutungen in das Gewebe (z.B. Haut) führen können. Das Erscheinungsbild dabei ist bunt, bei Vasopathien treten hauptsächlich petechienartige Blutungen auf. 3.2.3 Einteilung nach Organlokalisation: Für Blutungen bestimmter Organe oder Blutbeimengungen zu Körperflüssigkeiten und -sekreten werden spezielle Begriffe verwendet: Epistaxis Nasenbluten Hämaskos Blut in Bauchhöhle Hämoptoe Blutungen aus der Lunge Hämarthros Blut im Gelenk Hämatemesis Erbrechen von Blut Hämometra Blut in Gebärmutter Hämothorax Blutansammlung in der Brusthöhle Hämoperikard Blut im Herzbeutel Hyphäma Blut in der vorderen Augenkammer Meläna Blut im Kot, dunkle Farbe = Hämatinbildung durch HCl des Magensaftes
  • 5. 3.3 Klinische Beurteilung einer hämorrhagischen Diathese Für die klinische Beurteilung eines Patienten ist zunächst die Eigenanamnese unabdingbar. Da einige hämorrhagische Diathesen auch hereditär sind, kommt der Erhebung der Familienanamnese eine große Bedeutung zu; dies besonders bei Kindern. Durch die Anamnese kann also eine erste Einschätzung des Schweregrades der hämorrhagischen Diathese erfolgen. Hilfreich für die Anamneseerhebung sind standardisierte Fragebögen. Wichtige Fragen sind beispielsweise die bisher erfolgten Blutungskomplikationen in Anzahl und Lokalisation, die Anzahl transfusionspflichtiger Blutungen, das Erstmanifestationsalter bei Blutungskomplikationen oder der Blutungstyp (siehe oben). Erfragt werden muß hierbei auch, ob bei Operationen, Zahnextraktionen, Geburten oder größeren Verletzungen auffällige Blutungen auftraten. 3.4 Thrombozytär bedingte Hämorragische Diathesen Grundsätzlich unterschieden werden muß die Thrombozytopathie (Funktionsstörung der Thrombozyten) von der Thrombozytopenie (verminderte Thrombozytenzahl). Kurzcharakterisierung der Thrombozyten: - Bildungsort: Megakaryozyten im Knochenmark - Ca. 25% der Thrombozyten finden sich in der Milz (Thrombozytenreservoir) - Normwert im peripheren Blut: 150.000 – 450.000/µl - Durchmesser des Thrombozyten ca. 2 – 4 µm - Lebensdauer der Thrombozyten im Blut: ca. 7-10 Tage 3.4.1 Angeborene Thrombozytopathien Bei angeborenen Thrombozytopathien besteht meist eine lebenslange Blutungsneigung, die unter- schiedlich stark ausgeprägt sein kann und mit keiner offensichtlichen Störung von globalen plasmatischen Gerinnungstesten oder der Thrombozytenzahl einhergeht. Zur Diagnose der Thrombozytopathie muss ein Test durchgeführt werden, die die Thrombozytenfunktion erfasst (z.B. Thrombozytenaggregationstestung nach Born oder die In-vivo oder besser In-vitro Blutungzeit mittels PFA-100® ) durchgeführt werden. Häufig ist für eine eindeutige Klassifizierung der Thrombozytopathie eine aufwendige Untersuchung des thrombozytären Rezeptorstatus nötig, die jedoch meist nur durchgeführt wird, wenn die Subklassifizierung der Thrombozytopathie von klinischer Relevanz ist.. Neben den klassischen, aber auch sehr seltenen Rezeptordefekten (s.u.) gibt es noch eine Reihe schwierig zu klassifizierender Defekte der Sekretion von Plättcheninhaltsstoffen und –rezeptoren. Das sehr seltene Bernard-Soulier-Syndrom (BSS) weist einen quantitativen oder qualitativen Synthesedefekt des GP Ib-V-IX Rezeptors (= vWF-Rezeptor) auf. Dies führt zu einer unzu- reichenden Bindung des vWF (von Willebrand Faktor) an die Thrombozytenmembran und dadurch zu einer eingeschränkten Thrombozytenfunktion. Die Erkrankung wird autosomal rezessiv vererbt. Da vorwiegend die Thrombozytenadhäsion betroffen ist, ist die Blutungszeit verlängert und die Ristocetin-induzierte Thrombozytenaggregation pathologisch. Im Diffenenzialblutbild fallen morphologisch sog. „Riesenthrombozyten“ (sog. „Giant Platelets“) auf. Die Thrombasthenie Glanzmann stellt eine seltene, autosomal rezessive Störung der Throm- bozytenfunktion dar, wobei der Fibrinogen-Rezeptor (GP IIb/IIIa) betroffen ist (quantitativer oder qualitativer Synthesedefekt des Rezeptors). Durch eine unzureichende Fibrinogenbindung an die Thrombozytenmembran ist hauptsächlich die Thrombozytenaggregation gestört. Im Thrombo-
  • 6. zytenaggregationstest sind die Reaktionen mit den Agonisten ADP und Kollagen verändert, während die Reaktion mit Ristocetin normal ist. Die Morphologie der Thrombozyten ist unauf- fällig. Die klinische Symptomatik ist variabel (petechialen Blutungen, Epistaxis, Menorrhagien, etc.), insgesamt besteht jedoch nur eine leichte bis mittelgradige Blutungsneigung. Eine Reihe dieser funktionellen Plättchenfunktionsstörungen führen oft nur zu milder Blutungsneigung und sind dadurch sowohl anamnestisch als auch diagnostisch sehr schwer zu fassen. Meist sind es Einzelereignisse, die zu schweren Blutungen geführt haben, die dann Anlaß zu meist langwierigen diagnostischen Abklärungen geben. Therapeutisch entspricht die Vorgehensweise der bei BSS (siehe oben). Thrombozytopathien lassen sich therapeutisch mit der Gabe von Thrombozytenkonzentraten behandeln. Wenn die Thrombozytopathie auf einem Rezeptordefekt beruht (wie bei Bernard- Soulier oder Glanzmann), kann die Gabe von Thrombozytenkonzentraten jedoch zu einer Immunisierung gegen den fehlenden Glykoproteinrezeptorkomplex führen, was eine weitere Versorgung mit Thrombozytenkonzentraten auch in Notfallsituationen unmöglich macht. Darum sollten hier nach Möglichkeit andere Maßnahmen versucht werden: Häufig kommt es nach Gabe von DDAVP (Minirin®) zu einer Verbesserung der Thrombozytenfunktion. Bei kleinen chirurgischen oder zahnärztlichen Eingriffen reicht oftmals eine lokale Antifibrinolyse aus. Sehr bewährt hat sich bei Blutungsereignissen bei Thrombasthenie Glanzmann auch die Gabe von rekombinantem Faktor VIIa (Novoseven® ) 3.4.2 Erworbene Thrombozytopathien: Erworbene Plättchenfunktionsstörungen (z.B. durch Medikamente induziert) stellen den häufig- sten Grund für Gerinnungsstörungen dar und führen nicht selten zu erheblichen (oft peri- operativen) Blutungsproblemen (Medikamentenanamnese!). Ein Beispiel hierfür ist die Einnahme von Aspirin® oder anderen Arzneimitteln, die Acetylsalicylsäure enthalten. Andere Antiphlogistika und Schmerzmittel können ebenfalls Bestandteile enthalten, welche die Thrombozytenfunktion beeinträchtigen (COX-Hemmer, s. Übersicht). Des Weiteren wurden in über 100 Medikamenten und auch Nahrungsmitteln Stoffe gefunden, die eine Verminderung der Plättchenfunktion verursachen. Wichtig zu erwähnen ist, dass die meisten dieser Medikamente primär nicht zur absichtlichen Hemmung der Thrombozytenfunktion wie z.B. als Sekundärprophylaxe nach Myokardinfakt oder ischiämischem Apoplex eingenommen werden, sondern oft als nicht rezeptpflichtiges Schmerzmittel. Daher sollte immer nach solchen Medikamenteneinnahmen gefragt werden! Daneben existieren noch eine Reihe pathologischer Zustände, die oft mit einer toxischen Thrombozytenfunktionsstörung verbunden sind (z.B: Myeloproliferatives Syndrom, extrakorporale Blutzirkulation, Dysproteinämien, Autoantikörper, etc.). Ursachen erworbener Thrombozytopathien: Medikamente Nichtsteroidale Antiphlogistika (Aspirin,Ibuprofen) [Cyclooxygenase: COX] Tiklopidin [ADP-Antagonismus mit Inhibition der GpIIb/IIIa-Aktivierung] Mechanisch Extrakorporale Zirkulation Verbrennungen Toxisch Urämie Lebererkrankungen Regenerativ hämatologische Systemerkrankungen CLL Plasmozytom 3.4.3 Thrombozytopenien (Einteilung):
  • 7. Es gibt eine Reihe von Krankheitsbildern, die mit einer Verminderung der Thrombozytenzahl (mild: 50.000 – 150.000/µL; mittelschwer: 20.000 – 50.000 /µL; schwer: < 20.000/µL) einher- gehen. Allgemein unterscheidet man eine Bildungsstörung oder eine Umsatzstörung vom Throm- bozytenverbrauch (z.B. bei Blutungen). Thrombozytopenien treten aufgrund einer Bildungsstörung des Knochenmarks (hereditär, im Rahmen einer erworbenen hämatologischen Grunderkrankung oder aufgrund einer toxischen Schädigung) auf. Eine zweite wichtige Ursache ist die Autoimmunthrombozytopenie, bei der Antikörper gegen Thrombozyten und Megakaryozyten auftreten. 3.4.3.1. Immunthrombozytopenie (ITP) Die ITP wurde früher als Idiopathische Thrombozytopenie verstanden. Seit bekannt ist, dass Autoantikörper für das Krankheitsbild verantwortlich sind, wird diese Abkürzung für den Begriff Immunthrombozytopenie verwendet. (Falls in „neuen“ Arztbriefen „idiopathische Thrombozytopenie“ vermerkt sein sollte, ist entweder ein alter Begriff verwendet worden, oder es handelt sich tatsächlich um eine Thrombozytopenie, für die noch kleine Ursache gefunden wurde.) Die ITP kommt bei Kindern (meist akute ITP) und bei Erwachsenen vor und stellt eine isoliert vorkommende Thrombozytopenie dar, die mit keinen anderen klinischen Ursachen vergesellschaftet ist. Daher stellt die ITP eine Ausschlussdiagnose dar. Sie kann mit oder ohne Splenomegalie vorkommen. Die akute ITP tritt meist bei Kindern nach Infektionen auf und heilt nach längstens 12 Monaten aus. Bei Immunthrombozytopenien, die länger als 12 Monate andauern, spricht man von einer chronischen ITP (Morbus Werlhof). Differentialdiagnostisch ist bei der akuten ITP der postoperative akute Thrombozytenabfall bei Blutungen oder die heparininduzierte Thrombozytopenie (HIT) zu unterscheiden. Akut treten typischerweise Petechien, Hämatome und Schleimhautblutungen auf. Bei der chronischen ITP werden Thrombozytenzahlen auch unter 20.000/µL oft gut toleriert (Adaptation), die dann meist nur kleine petechiale Einblutungen verursachen. Die Thrombozytenfunktion kann bei der ITP eingeschränkt sein, wenn sich die Autoantikörper gegen spezielle thrombozytäre Rezeptoren richten. Häufig ist die Funktion der verbliebenen Thrombozyten jedoch besser, als die Thrombozytopenie befürchten läßt. Da die Antikörperbeladung zu einem schnelleren Abbau der Thrombozyten in der Milz führt, liegen bei in der Regel gesteigerter Megakaryozytopoese im Knochenmark überproportional viele junge Thrombozyten vor, die besonders gut funktionieren. Weil junge Thrombozyten noch ein größeres Volumen aufweisen als ältere, ist das mittlere thrombozytäre Volumen in der Regel gesteigert. Liegen in selteneren Fällen jedoch Autoantikörper vor, die bereits die Thrombozytopoese auf der Ebene der Megakaryozyten hemmen, so ist dann die Megakaryozytopoese gehemmt. Evtl. nachzuweisende antithrombozytäre Antikörper (IgG-Typ) können unter immunsuppressiver Therapie mit Cortison, Cyclophosphamid, oder einer Kombination von beiden, abfallen und es somit zu einer Erhöhung der Thrombozytenzahl kommen. Durch die Gabe von Immunglobulinen wird eine Blockade des Monozyten-Makrophagen-Systems und ein dadurch bedingter reduzierter Abbau von AK-beladenen Thrombozyten bewirkt, so daß mit dieser Therapie ein rascher Anstieg erreicht werden kann. Als weiteren Therapieansatz kann eine Splenektomie vorgenommen werden, die zu einer Verminderung der Thrombozyten-Clearance aus dem Blut (durch die Milz) führt. Die Thrombozytengabe ist auf vitale Notfallsituationen beschränkt (cave: Antikörperboosterung). In letzter Zeit wurden auch durch die Gabe von Thrombopoietinanaloga gute Therapieerfolge erzielt. Ebenso sind gegen B-Zellen gerichtete spezifische Antikörper (Anti-CD20 – Rituximab) eingesetzt worden. Thrombozytenkontrollen können bei der chronischen ITP in mehrmonatigen Abständen bzw. bei entsprechender veränderter klinischer Symptomatik durchgeführt werden, bei der akuten ITP sollten sie aber mindestens wöchentlich erfolgen. Der Patient sollte über die Krankheit gründlich aufgeklärt werden (Notfallausweis). Dies gilt hauptsächlich für Vorsichtsmaßnahmen (z.B. Sportarten mit Verletzungsrisiko meiden) oder den Verzicht auf die Einnahme von
  • 8. Acetylsalicylsäure und andere nichtsteroidale Schmerzmittel/Antirheumatika. Diese Empfehlung gilt generell für alle Patienten mit klinisch relevanten Thromboztopenien bzw. –pathien. 3.4.3.2 Neonatale Allo-Immunthrombozytopenie (NAIT) Statistisch gesehen weisen 1,4 von 1000 Neugeborenen eine Thrombozytopenie (bei Neugebore- nen bedeutet dies eine Thrombozytenzahl unter 50.000 pro µL) auf, wobei bei 50% eine Allo- immunisierung vorliegt. Diese Immunisierung beruht auf einer Alloantikörperbildung der Mutter gegen fetale (vom Vater vererbte) thrombozytäre Antigene. Die fetalen Thrombozyten werden daher durch transplazentar erworbene maternale Antikörper (IgG-Typ) gebunden und abgebaut. Die NAIT kann im Gegensatz zur Rhesusinkompatibilität schon während der ersten Schwangerschaft in utero klinisch manifest werden. Es imponieren ausgeprägte Geburtshämatome, petechiale Blutungen und Nabelschnurblutungen. Es besteht ein erhöhtes Risiko für intrazerebrale Blutungen (ca. 10%). Post partum können die Thrombozyten weiter abfallen (Minimum nach ca. 24 – 72h). Diagnostisch findet man in der Regel Antikörper gegen thrombozytäre Antigene (~80- 90% Anti-HPA 1a [früher: Zwa oder PlA1], <18% Anti-HPA 5b (Bra), < 4% andere). Jede nachfolgende Schwangerschaft gilt als Risikoschwangerschaft und sollte nur in darauf spezialisierten Zentren betreut werden. Therapeutisch erfolgt eine ggf. intrauterin notwendige Behandlung heutzutage primär mit Corticoiden oder Immunglobulinen. Die Gaben kompatibler, d.h. für das betreffende Antigen-negativen Thrombozyten wird bei Erfolglosigkeit der primären Therapieansätze notwendig. Aufgrund der mit der Cordozentese verbundenen Risiken (Blutungen bei Thrombozytopenie) wird die intrauterine Gabe von Thrombozyten zurückhaltend angegangen. Postpartal ist dagegen die Gaben Ag-negativer Thrombozytenkonzentrate (von unverwandten Spendern oder ggf. von der Mutter) die Therapie der Wahl bei klinisch relevanter neonataler Thrombozytopenie.. Die Thrombozyten der Mutter müssen gewaschen und in AB-Plasma resuspendiert werden (Antikörperdepletion). Die Thrombozytenwerte sollte auch bei initialem Anstieg mind. 4 Wochen postpartal kontrolliert werden.. 3.4.3.3 Posttransfusionspurpura (PTP) Bei jeder schweren Thrombozytopenie, die ca. 5-15 Tage nach einer Bluttransfusion auftritt (Ery- throzytenkonzentrat oder Thrombozytenkonzentrat), muss an eine transfusionsinduzierte Thrombozytopenie gedacht werden. Diagnostisch werden thrombozytäre Alloantikörper im Patientenplasma nachgewiesen. Typischerweise erscheint dieses Problem bei Frauen nach Mehrfachschwangerschaften. Als beweisend gilt der Nachweis von thrombozytären Alloantikörpern gegen HPA-1a (80% der AK). Für die Abklärung wird daher ein Speziallabor benötigt. Die Komplikation tritt vorwiegend bei HPA-1a negativen Personen auf, wobei vor allem (Frequenz > 90%) Frauen mit positiver Schwangerschaftsanamnese im Alter von 60 – 70 Jahren betroffen sind. Die Pathophysiologie der Posttransfusionspurpura ist nicht eindeutig geklärt. Es wird vermutet, dass die gegen Fremdthrombozyten gerichtete Immunreaktion schließlich auch die eigenen Thrombozyten angreift (sog. „bystander-Effekt“). Die Therapie der Wahl besteht in der Gabe von Immunglobulinen. 3.4.3.4 Autoimmune Thrombozytopenie Bei Neugeborenen liegen mütterliche Autoantikörper vom IgG-Typ vor, die plazentagängig sind (IgG-Typ), sich an die fetalen Thrombozyten anlagern und zu einer erhöhten Abbaurate führen. Der Antikörpernachweis kann auch aus mütterlichem Serum durchgeführt werden. Autoimmunthrombozytopenien treten in der Regel bei Müttern mit Autoimmunopathien auf (z.B. Systemischer Lupus erythematodes [SLE], siehe auch ITP). Prädiktive Aussagen zur fetalen Thrombozytenkonzentration sind schwierig, da die mütterlichen Werte nicht mit den Werten der Neugeborenen korrelieren. Therapeutisch wird aktuell entweder immunsuppressiv mit Cortison oder mit Immunglobulinen behandelt (als Einzeltherapie oder in Kombination).
  • 9. 3.4.3.5 Arzneimittel (AM) induzierte Thrombozytopenie Die AM-induzierte Thrombozytopenie basiert auf einer Bildung thrombozytärer Antikörper (immunogene Umsatzstörung), die durch Medikamente verursacht wurde, oder durch eine direkte toxische Einwirkung (Bildungsstörung) auf Thrombozyten. Bei immunogenen Störungen können die durch Medikamentenmetabolismus entstandenen Intermediärprodukte eine AK-Bindung an thrombozytäre Antigene induzieren (IgG-Typ an den thrombozytären Fc Gamma-Rezeptor). Man vermutet dabei die Ausbildung eines Komplexes aus dem Arzneimittel und einem thrombozytären Glykoprotein (Wechselwirkung mit GP IIb/IIIa und GP Ib/IX). Derartige Komplexe wurden vor- wiegend für die Medikamente Quinine, Quinidine, Sulfonamide und Ranitidin gefunden (Bildung eines Neoantigens durch AM-Bindung). Typischerweise steht die progrediente Thrombozytopenie in einem zeitlichen Zusammenhang zur Arzneimittelgabe. Die kausale Therapie besteht im Absetzen des ursächlichen Medikaments. Die symptomatische Therapie ist die Gabe von Thrombozyten. Nach Absetzen des AM kann die Erholung der Thrombozytenbildung frühestens erst nach 3 Tagen beurteilt werden (cave: Beachte die Halbwertszeit des Medikaments). 3.4.3.6 Heparin induzierte Thrombozytopenie (HIT) Die HIT kann quasi als Sonderform der AM-induzierten Thrombozytopenien angesehen werden. Bei der klinisch schwerwiegenden und relevanten Form, der HIT Typ II, findet sich laboranalytisch nach einer kurzfristigen Anwendung (5-15 Tage) von Heparin ein „Thrombozytensturz“ (Abfall der Thrombozytenzahl innerhalb von 1-2 Tagen um über 50% - relativer Abfall ist entscheidend – ggf. können auch noch normale Thrombozytenwerte vorliegen!). Bei vorimmunisierten Patienten (letzte Heparingabe innerhalb der vergangenen 3 Monate) kann die Symptomatik bereits in einem kürzeren Zeitabstand nach Beginn der Heparintherapie auftreten. Das Problem kann auch nach Anwendung eines niedermolekularen Heparins (NMH) auftreten, wenn auch mit einer ca. 10-100-fach geringeren Wahrscheinlichkeit als nach der Gabe eines unfraktioniertem Heparins (UFH). Darum müssen stets Blutbildkontrollen nach Beginn einer Heparintherapie erfolgen! In der Regel sollten diese insbesondere in den ersten 3 Wochen nach Beginn einer Therapie mit Heparinen alle 3-4 Tage durchgeführt werden. Nach neueren Erkenntnissen und Vorgaben amerikanischer Leitlinien (ACCP-guidelines Juni 2008) kann evtl. nach der reinen Gaben von NMH auf diese Blutbildkontrollen zukünftig verzichtet werden. Dies ist jedoch aufgrund der weiterhin bestehenden Empfehlungen zur Blutbildkontrolle in den Fachinformationen der diversen NMH noch mit gewissem Vorbehalt in die Praxis umzusetzen. Hinsichtlich der Pathogenese ist wichtig zu wissen, das Heparine, insbesondere UFH, Thrombozyten aktivieren können. Es kommt dann zu einer Freisetzung von Plättchenfaktor 4 (PF4). Danach bildet sich ein Komplex aus Heparin und PF4 im Sinne eines Neoantigens, gegen das bestimmte Menschen Antikörper bilden können. Diese Immunkomplexe wiederum können erneut Thrombozyten und auch Endothelien aktivieren, was zur Thrombozytenaktivierung und – aggregation und somit zu weiterer Freisetzung von PF4 führt. Dies führt in der Folge zum raschen Thrombozytensturz. Dadurch kann es zur Thrombosierung in verschiedenen Gefäßsystemen kommen, arteriell oder venös. Dadurch unterscheidet sich die HIT übrigens auch von anderen medikamenteninduzierten Thrombozytopenien, die ohne thrombotisches Risiko einhergehen! Diagnostisch kann auf die Anwesenheit von HIT-AK untersucht werden (Screening Test, z.B. auch ELISA). Alternativ können solche HIT-AK auch in einem funktionellen Testverfahren mit gewaschenen Thrombozyten, die heparinabhängige Thrombozytenaktivierung durch Patientenserum, nachgewiesen werden. Wichtig: Da keines der aktuell zur Verfügung stehenden Testverfahren die HIT mit Sicherheit beweisen kann, ist der klinische Verlauf entscheidend für die Diagnosestellung und für therapeutische Konsequenzen. Therapeutisch muss Heparin sofort abgesetzt und im Bedarfsfall durch eine andere Antikoagula- tion (Heparinoid Danaparoid oder die Thrombininhibitor Hiruidin bzw. Argatroban) ersetzt
  • 10. werden. Wichtig: NMH sind aufgrund der hohen Kreuzreaktivität als medikamentöse Alternative zu UFH kontraindiziert. Diese Kontraindikation gilt inzwischen auch gegen das synthetische Heparin-Analogon Fondaparinux (Arixtra® ), da auch dieses - wenngleich extrem selten – wohl eine HIT II auslösen kann. Die HIT Typ I unterscheidet sich durch einen geringeren Thrombozytenabfall (um bis 10% des Ausgangswertes), der durch eine direkte Bindung von Heparin an die Thrombozytenmembran erklärt wird (Verkürzung der Halbwertszeit älterer Thrombozyten). Der klinische Verlauf ist benigne und es bedarf keines Wechsels in der durchgeführten Antikoagulation. Zusammenfassung: Übersicht Thrombozytopenie Pathogenese: - Bildungsstörung - Störungen des peripheren Umsatzes - Verteilungsstörungen - Verdünnungseffekt (Massivtransfusion, Blutung) Klinik: - Petechialer Blutungstyp - Verletzungen – Ekchymosen 3.5 Vasopathien: Die Vasopathien stellen eine heterogene Erkrankungsgruppe mit folgenden Gemeinsamkeiten dar: Die Blutung ist lokal begrenzt und stellt die Folge einer erhöhten Gefäßdurchlässigkeit oder –ver- letzbarkeit dar. Vaskulitiden stellen eine Gruppe entzündlicher Erkrankungen der arteriellen oder venösen Gefäß- wand dar. Die Klassifikation dieser Erkrankungen richtet sich nach der bevorzugten Gefäß- lokalisation (Riesenzellarteriitis – große Gefäße, Panarteriitis nodosa – mittelgroße, viszerale Arte- rien; Purpura Schönlein-Henoch – Vaskulitis allergica der kleinen Gefäße; mikroskopische Polyangiitis – nekrotisierende GN). Der Blutungstyp ist oft petechial (punktförmig, „flohstich- artig“), aber auch Ekchymosen und Hämatome können auftreten. 3.5.1 Purpura Schoenlein-Henoch Die Purpura Schoenlein-Henoch tritt hauptsächlich bei Kindern und jungen Erwachsenen auf und ist meist infektassoziiert (Streptokokken). Pathogenetisch verursacht eine Immunkomplex-Vasku- litis (IgA und Komplement in den Gefäßen) Petechien auf der Haut. Der Verlauf ist meist gutartig, als Therapie werden bei Bedarf auch Steroide eingesetzt. Die Vaskulitis allergica stellt eine Vaskulitis der kleinen Gefäße mit typischer Lokalisation auf der Haut, dem Gastrointenstinaltrakt (GI-Trakt) und den Nierenglomeruli dar. Typische Symptomatik: Hautpetechien und Juckreiz mit gelegentlicher Urtikaria. Zusätzlich können Arthralgien, Arthritiden und Bauchschmerzen (Angina abdominalis) auftreten. Es sind hauptsächlich Kinder und Personen unter 21 Jahren betroffen. Das Krankheitsbild tritt meist postinfektiös im Kindesalter auf. Die Prognose ist gut – keine hämostaseologische Therapie erforderlich. Nur bei schwerer systemischer Beteiligung (Arthritiden, etc.) kann eine antiphlogistische Therapie mit Glukokortikoiden (meist im Erwachsenenalter) indiziert sein. 3.5.2 Panarteriitis nodosa
  • 11. Die Panarteriitis nodosa ist eine nekrotisierende Vaskulitis der mittelgroßen und der viszeralen Arterien. Die Symptomatik ist bisweilen uncharakteristisch. Am häufigsten sind die Nieren mit einer Glomerulonephritis betroffen (Symptomatik: Hämaturie, Proteinurie). Weitere spezifische Symptome neben Allgemeinsymptomen können sein: Myalgien, Hodenschmerz- und schwellung, Livedo reticularis (netzförmige Zyanose der Haut, marmoriert), Mono- und Polyneuropathien, Aneurysmen und Gefäßverschlüsse. Die Therapie der Wahl ist eine antiphlogistische Therapie mit Glucocortikoiden, ggf. in Kombination mit immunsuppressiven, zytotoxischen Substanzen. Nach einem Gefäßverschluss (z.B. Apoplex) wird als Sekundärprophylaxe ein Thrombozytenaggrega- tionshemmer verordnet (keine Antikoagulation). 3.5.3 Sonstige vaskulär bedingte hämorrhagische Diathesen: 3.5.3.1 Morbus Rendu-Osler-Weber (selten) ( = Hereditäre hämorrhagische Teleangiektasie) Der Morbus Rendu-Osler-Weber stellt eine autosomal dominant vererbte Gefäßanomalie dar, die durch eine Ausbildung von arterio-venösen Gefäßmalformationen gekennzeichnet ist. Als klini- sche Symptomatik treten Epistaxis (Nasenbluten) und auch gastrointestinale Blutungen auf. Die Teleangiektasien sind in der Haut, auf den Schleimhäuten und im GI-Trakt lokalisiert. Teleangiek- tasien sind Erweiterungen der Endstrombahngefäße. Beim klinischen Vollbild finden sich Teleangiektasien in der Gesichtshaut, den Lippen, der Zunge und im Nagelbett. Häufig erscheinen Epistaxis und GI-Blutungen. Gefährlich können (v.a. im späteren Lebensalter) arterio-venöse Shunts der pulmonalen Strombahn mit resultierenden hämodynamischen Störungen sein. Klinisch wird anhand der Teleangiektasien und der Verteilung der Blutungslokalisation die Diagnose gestellt. Wichtige kapillare Gefäßgebiete (Gehirn, Lunge und Leber) sollten durch bildgebende Verfahren (z.B. MRT) abgeklärt werden. Therapeutisch kann nur symptomatisch vorgegangen werden. Gelegentlich hilft eine lokale antifibrinolytische Therapie. Hämodynamische arterio- venöse Shunts können durch lokale Embolisation oder chirurgische Resektion beseitigt werden.
  • 12. 3.6 Angeborene Koagulopathien Im Prinzip kann jeder der bekannten Gerinnungsfaktoren von Geburt an mehr oder weniger stark vermindert oder fehlstrukturiert sein. Diese angeborenen Koagulopathien sind eher selten. So hat der angeborene Mangel an F.VIII, die Hämophilie A, eine Prävalenz von ca. 1 : 5000 - 1 : 10.000 (männliche Geburten). Die seltenere Hämophilie B, der angeborene Mangel an F.IX, bildet nur einen Anteil von ca. 15% aller Hämophiliepatienten. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass der sehr seltene angeborene Mangel an Faktor XI auch als Hämophilie C bezeichnet wird. Ebenfalls sei erwähnt, dass der recht häufige autosomal vererbte Mangel an Faktor XII, nicht zur Blutungsneigung führt, obgleich er eine deutliche Verlängerung der aPTT verursachen kann. Die Hämophilien A und B stellen X-chromosomal rezessiv vererbte Blutungsleiden dar. In der Regel erkranken daher Männer, Frauen sind Konduktorinnen, die auch eine Verminderung der Aktivität der entsprechenden Gerinnungsfaktoren aufweisen können. Alle anderen Gerinnungsfaktoren werden autosomal vererbt. Schwere Mangelzustände können daher nur bei Homozygotie auftreten und sind daher viel seltener als Hämophilie A oder B bei Männern. 3.6.1 Hämophilie A: Ein isoliert auftretender Faktor VIII-Mangel ist in der Regel angeboren. Davon zu unterscheiden ist die erworbene Hämophilie aufgrund eines immunologischen Inhibitors. Als Differentialdiagnose ist das von Willebrand-Jürgens Syndrom zu beachten, das typischerweise mit einer zusätzlichen Verminderung des von Willebrand-Antigens oder der Ristocetin-Cofaktor- Aktivität einhergeht. In seltenen Fällen (dem sog. Typ 2N, siehe Einteilung unten) kann jedoch auch hier nur eine isolierte Verminderung des Faktor VIII imponieren. Klinische Leitsymptome und Diagnostik: Der Laborbefund weist eine Verlängerung der aPTT bei normalem Quick-Wert und einer Verminderung der Faktor VIII-Aktivität auf. Die Blutungsgefährdung hängt von der Faktor VIII- Restaktivität ab. Die Krankheitsmanifestation der hämophilen Kinder tritt oft schon im 2.-3. Lebensjahr auf, typischerweise mit steigender Mobilität der Kinder. Folgende Symptome sind typisch: - Gelenkeinblutungen => hämophile Arthropathie (Blutergelenke) - Blutungen nach Verletzungen, Zahnextraktion, und aus gastrointestinalen Läsionen - Weichteilblutungen: * Muskulatur (darum keine i.m.-Injektion ohne vorherige Substitution!!) * Psoas-Blutung ! * Mundbodenblutung ! * Hirnblutung (seltene Blutungsmanifestation, aber hohe Mortalität) Man unterscheidet anhand der Restaktivität des Faktors VIII folgende Schweregrade: schwer < 1 % mittelschwer 1 - 4 % leicht 5 - 15 % Subhämophilie 25 – 50 % mild 5 - 40% (Diese Einteilung gilt auch für die nicht ausgeführte Hämophilie B)
  • 13. Merke: Der Schweregrad der Hämophilie gibt einen Anhalt über das Spontanblutungsrisiko. Er ist auch wichtig für die Dosis-Kalkulation an Gerinnungsfaktorkonzentrat bei geplanter Substitutions- behandlung. Die klinischen Konsequenzen für das Kleinkind können gravierend sein. Gelenkblutungen ent- stehen als Folge von traumatischen Gefäßschäden, wie sie im normalen Bewegungsablauf auf- treten. Nach mehrfachen Einblutungen kann also Folge eine Gelenkdeformität auftreten, die zu einem Langzeitschaden führt. Dies gilt es durch die geeigneten therapeutischen Maßnahmen zu vermeiden. Darum wird zunehmend im Zweifelsfalle eine frühzeitig beginnende Dauersubstitution empfohlen, um Invalidität zu verhindern. Die Hemmkörperhämophilie wird durch Antikörper gegen einen Gerinnungsfaktor (z.B. Faktor VIII) ausgelöst. Dadurch erfolgt eine Hemmung der Funktion des entsprechenden Gerinnungsfaktors. Eine solche Hemmkörperbildung kann sich sowohl bei Patienten mit Hämophilie A (oder auch B) im Sinne eines Allo-Antikörpers gegen fremden, im Rahmen der Substitution zugeführten Faktor VIII (oder IX) als auch als Autoimmunkrankheit bei vorher Gesunden im Sinne eines Auto-Antikörpers gegen körpereigenen F.VIII (oder IX) auftreten. Letztere Ereignisse sind sehr selten (Inzidenz: ca. 1-2 pro Mio.) und oft sehr schwierig zu erkennen („plötzlich auftretende spontane oder auch postoperative starke Blutungsneigung“). Die Ursache ist oft nicht zu erkennen (iatrogen – ca. 50%). Alternativ hierzu ist auch an eine maligne Grunderkrankung zu denken! Eine weitere und genauere Darstellung erfolgt weiter unten. 3.6.1.1. Therapie der Hämophilie: Grundsätzlich stehen für die Behandlung der Hämophilie sowohl rekombinante, als auch aus Plasmapool hergestellte Präparate zur Verfügung. Die Plasmapräparate sind virusinaktiviert und etwas preiswerter. Therapeutische Prinzipien: Die Dosierung richtet sich nach der Restaktivität des Gerinnungsfaktors und nach dem Körpergewicht des Patienten. Grundsätzlich sollte die Behandlung hämophiler Patienten in einem Behandlungszentrum für diese Erkrankung erfolgen. Adressen können in der Geschäftsstelle der Hämophiliegesellschaft erfragt werden (Internet: www.dhg.de). Das Therapiekonzept (hier: für Hämophilie A) unterscheidet hinsichtlich verschie- dener klinischer Situationen folgende Vorgehensweisen: - Behandlung der lebensbedrohlichen, akuten Blutung: Gabe von 50 – 70 E/kg KG Faktor VIII-Konzentrat. Das Ziel ist die Blutstillung und die Normalisierung der Faktor VIII- Aktivität (Kontrolle!). Aufgrund der Halbwertszeit von Faktor VIII (s. Tab. unten) ist eine Substitutionsfrequenz von 2 – 3 Medikamentengaben pro Tag erforderlich. Als Erhaltungs- dosis kann auch eine kontinuierliche Gabe mit ca. 5 E/kg KG pro Stunde (Dosierungs- anpassung nach Aktivität des Gerinnungsfaktors) erfolgen. - Bei Gelenk- und Muskelblutungen ist eine Faktor VIII-Restaktivität von 40% – 60% anzu- streben, die mit ca. zwei Medikamentengaben pro Tag erreicht werden kann. - Eine blutungsvorbeugende Behandlung (z.B. vor OP) wird nach der Größe des operativen Eingriffs festgelegt und sollte mit dem Operateur besprochen werden. - Bei Reha-Maßnahmen ist die Dosierung mit dem verantwortlichen Therapeuten abzu- stimmen (Dosierungsbeispiel: 20-30 IE/kgKG 3x/Woche). Im Kindesalter ist in aller Regel eine Dauerprophlylaxe mit Faktorenpräparaten indiziert. Im Erwachsenenalter, nach Abschluss des Knochenwachstums, wird derzeit zumeist eine Bedarfssubstitution durchgeführt. Neuere Untersuchungen haben aber gezeigt, dass auch Erwachsene mit starker Blutungstendenz von einer Dauerprophylaxe mit dem Ziel der Verhinderung einer Gelenkarthropathie profitieren können.
  • 14. Merkregel für die Dosierung eines Konzentrats von Gerinnungsfaktoren : 1 IE Faktorenkonzentrat/kgKG (entspricht dem Faktorengehalt von 1 ml Plasmapool) Anstieg der koagulatorischen Faktoren- aktivität um 1-2 IE (1-2%). Faustformel: Dosis (IE) = KG (kg) x angestr. F.VIII-Anstieg (IE/ml) x 0,5 Der Substitutionserfolg ist durch Einzelfaktorenanalyse vor und nach Konzentratapplikation zu kontrollieren. Entsprechend der Halbwertszeit der Gerinnungsfaktoren (Übersicht s.u.) hat die Faktor VIII-Substitution alle 8 - 12 Stunden zu erfolgen (Bei der Hämophilie B sind aufgrund der Halbwertszeit des Faktor IX von 20-24 Stunden längere Intervalle möglich). Bei schweren Blutungen bei oder nach großen Operationen sollte die Faktor VIII-Aktivität vor der nächsten Substitution nicht unter 30% Restaktivität absinken.
  • 15. Übersicht: Halbwertszeiten der Gerinnungsproteine und Substitutionsziele von Faktor VIII Hämophilie A: Mittlere Initialdosis von Faktor- VIII-Präparat (E/kg KG) bei diversen Blutungsereignissen Blutung Erwachsene Kinder Gelenk 20 – 40 30-40 Weichteile 40 – 60 30-40 GI-Trakt 30 – 60 Lebensbedrohliche Blutung 50-80 80-100 Operationen: Klein 25 – 40 50-100 Groß 50 – 80 80-100 (Quelle: Leitlinien der BÄK, 2008) Halbwertszeiten gerinnungsaktiver Plasmaproteine Fibrinogen 96 - 120 h Plasminogen 36 - 48 h; Plasmininhibitor: 36 h Faktor II 48 - 60 h Faktor V 12 - 15 h Faktor VII 1,5 - 6 h Faktor VIII 8 - 12 h Faktor IX 20 - 24 h Faktor X 24 - 48 h v. Willebrand-/ Ristocetin-Co-Faktor 6 - 12 h Faktor XI 60 - 80 h ; Faktor XII 48 - 60 h Faktor XIII 100 - 120 h t-PA 5 min Antithrombin 36 h Protein C 1,5 - 6 h Protein S 24 - 48 h 3.6.2 Von Willebrand-Jürgens Syndrom (vWJS) Im Gegensatz zu den Hämophilien A und B, die X-chromosomal vererbt werden, liegt bei der von- Willebrand-Erkrankung je nach Subtyp ein autosomal-dominanter oder ein autosomal-rezessiver Erbgang vor. Vielfältige Mutationen im Genom, das für das von-Willebrand-Antigen kodiert, können zu einer Proteinsynthesestörung oder zur Bildung eines funktionell gestörten Proteins (vWF-Molekül) führen. Mutationen an der Bindungsstelle zwischen Faktor VIII- und vWF- Antigen können zu einer verminderten Faktor VIII-Aktivität als einziger Hinweis auf ein vWJS führen. Klinisches Bild: Das vWJS ist die häufigste angeborene Gerinnungsstörung überhaupt. Viele Verlaufsformen sind milde. Während laboranalytisch bei 1% der Bevölkerung ein vWJS nachgewiesen werden kann, sind Personen mit einer eindeutigen klinischen Symptomatik erheblich seltener (1:3.000-1:10.000). Das Auftreten der klinischen Symptomatik ist variabel, kann einen phasenhaften Verlauf nehmen und interindividuell stark schwanken. Typisches und häufigstes Merkmal ist eine Neigung zu Nasenbluten (Epistaxis). Auch andere Schleimhautblutungen, wie beispielsweise Blutungen nach Zahnextraktionen oder starke Menorrhagien, finden sich in der Anamnese gehäuft. Prinzipiell ist jeder erdenkliche Schweregrad bei dieser Erkrankung möglich, wobei leichte Verlaufsformen mit vielleicht nur einem Blutungsereignis in der Anamnese überwiegen. In der Regel zeigt sich das vWJS als eine Mischung einer thrombozytären und plasmatischen Hämostasestörung, was sich mit der Doppel- bzw. Dreifachfunktion des Von-Willebrand-Antigens in der primären Hämostase (Thrombozytenadhäsion, -aggregation) und in der sekundären Hämostase (F.VIII-Bindung – Schutz vor proteolytischem Abbau) erklären lässt. Je nach Form des vWJS können jedoch thrombozytäre oder plasmatische Blutungsformen überwiegen, bzw. ausschließlich vorhanden sein. Selten treten schwere Formen (z.B. Typ 3) mit einem hämophilieähnlichen Blutungstyp auf. Typisch für diese Manifestationsform sind gastrointestinale und intramuskuläre Blutungen, Gelenkblutungen, Menorrhagien und Epistaxis.
  • 16. 3.6.2.1 Von Willebrand Faktor (Antigen): Der von Willebrand Faktor (vWF) ist ein multimeres Protein mit einer Molekülgröße von 278 KDa pro Monomere, das auf einem Gen des Chromosoms 12 kodiert wird. Im Plasma liegt das Molekül als multimere Struktur (sog. "vWF-Multimere“, Molekulargewicht bis 20 Mio. Dalton) vor. Die einzelnen Monomere sind hierbei durch Disulfidbrücken verknüpft. Das Protein wird in den Endothelzellen der Gefäße und in den Megakaryozyten des Knochenmarks synthetisiert und aus Endothelzellen (Speicher: Weibel-Palade-Bodies) und Thrombozyten (Speicher: α-Granula) freigesetzt. Während das Endothel kontinuierlich vWF sezerniert und somit die Quelle des plasmatischen vWF darstellt, schütten die Thrombozyten ihren vWF erst bei Aktivierung aus. Auch die endotheliale Sekretion kann durch Gerinnungsaktivierung gesteigert werden. Durch den vWF erfolgt eine Anhaftung von Thrombozyten and die subendotheliale Matrix (Kollagen) nach Gefäß- bzw. Gewebeverletzung (Liganden-Rezeptor-Interaktion des vWF und des thrombozytären GP-Ib-IX-Komplex). Der plasmatische vWF wird von dem Endothel zunächst als „ultralarge multimers“ (UL-vWF) vom Endothel sezerniert (ca. 20 MDa). Die Multimere werden im Plasma durch die Metalloproteinase ADAMTS-13 gespalten. Aus der endothelialen Sekretion, der Halbwertszeit (ca. 12h) und der Aktivität des Multimeren-spaltenden Enzyms ergibt sich letztlich ein Gleichgewicht. Hierdurch befinden sich unterschiedlich große Multimere im Plasma. Während die Funktion des vWF, den Faktor VIII zu schützen, unabhängig von der Proteingröße ist, können nur die mittelgroßen und großen Multimere die Plättchen adhärieren. Diese verschieden große Multimere können in der sog. „Multimeren-Analyse“ nachgewiesen werden (Proteinblot). Für die exakte Differenzierung der qualitativen Veränderungen des vWF, also der Unterformen des von vWJ- Syndroms Typ 2 sowie der erworbenen Typen ist diese Diagnostik Voraussetzung. VWF – Mehrfachfunktion Der vWF hat 3 physiologische Funktionen, wobei insbesondere der ersten und dritten der im folgenden aufgeführten Funktionen die größte Bedeutung zukommen: 1. Adhäsion der (aktivierten) Thrombozyten an subendotheliale Strukturen – Vermittlung der Plättchenaggregation (GP Ib/IX und GP IIb/IIIa); Ristocetin-Cofaktor-Aktiviät 2. Thrombozytenaggregation (alternativ zu Fibrinogen an GP IIb/IIIa der Thrombozyten) 3. Bindung von FVIII und dadurch Schutz von F.VIII vor proteolytischem Abbau 3.6.2.2 Klassifikation: hereditäres vWJS Typ 1: Quantitativer partieller Mangel an vWF Häufigkeit: ca. 70-80%, Vererbung autosomal-dominant. Typ 2: Qualitativer Defekt/Mangel an vWF Häufigkeit ca. 15 - 20 %, Vererbung autosomal dominant oder rezessiv – Typ 2A: Große Multimere fehlen; hierdurch defekte Interaktion zwischen vWF und Thrombozyten. Verschiedene Ursachen, z.B. erhöhte Empfindlichkeit gegenüber ADAMTS-13 (IIA nach Ruggeri) oder oder Störung der Multimerisierung (IIC und E nach Ruggeri) Faktor VIII nur mäßig vermindert oder normal
  • 17. – Typ 2B: Große Multimere fehlen, Ristocetin-induzierte Plättchenaggregation gesteigert. Ursache: Erhöhte Affinität des vWF zum Glykoprotein Ib/IX der Thrombozyten; spontan vWF-beladene Thrombozyten werden abgebaut, daher Verlust der großen Multimere und oftmals Thrombozytopenie – Typ 2M: Verminderte Interaktionsfähigkeit des vWF mit Thrombozyten, hierdurch abnormes Multimerenmuster, oftmals vermehrte schwere Multimere bei vermindertem Ristocetincofaktor. – Typ 2N: Verminderte Bindungskapazität des vWF für FVIII:C (gleicht phänotypisch einer milden bis mittelschweren Hämophilie A; keine Beeinträchtigung der Thrombozyteninteraktion.) Nur durch F.VIII-Bindungsassay sicher von der Hämophilie A zu unterscheiden. Typ 3: Quantitativer weitestgehend kompletter Mangel an vWF: Völliges Fehlen des vWF (allenfalls Spuren von vWF:Ag nachweisbar), hierdurch auf 2 h verkürzte Halbwertszeit des Faktor VIII. Letztlich überwiegt hier der hämophilieähnliche Blutungstyp, obwohl auch die Plättchenfunktion schwer beeinträchtigt ist. Die o.g. Klassifikation ist die nach Sadler. Die Klassifizierung nach Ruggeri (numeriert mit römischen Ziffern) unterscheidet wesentlich mehr Subtypen, die in der Klassifizierung nach Sadler zusammengfaßt sind. Zur Feinbezeichnung wird daher gelegentlich weiterhin die Klassifikation nach Ruggeri verwendet (zu erkennen an römischen Ziffern). Exkurs: In diesen Zusammenhang kann auch eine pathologische Vermehrung der schweren Multimere, ausgelöst durch einen Mangel an ADAMTS-13, erwähnt werden: Diese Veränderung des von-Willebrand-Faktors, die auch in der Multimerenanalyse erkennbar ist, führt zur Thrombotisch-Thrombozytopenischen Purpura (TTP; Morbus Moschcowitz und Upshaw- Schulman-Syndrom), einem Verbrauchskoagulopathie-ähnlichem Krankheitsbild. Die TTP kann sozusagen als „Gegenteil des vWJS 2A“ aufgefasst werden. 3.6.2.3 Sonderform: Erworbenes vWJS Das seltene erworbene vWJS kann durch folgende Ursachen ausgelöst werden: * Medikamente (z.B. Valproinsäure), * Lymphoproliferative oder myeloproliferative Erkrankungen * Monoklonale Gammopathien * Hypothyreosen * Herzfehler (z.B. hochgradige Aortenstenose, hierdurch mechanische Schädigung durch Offenlegung der Spaltstelle des vWF) * Autoantikörper (bei vorher Gesunden) * Allo-AK unter Substitution bei Typ III vWJS 3.6.2.4 Diagnostik des vWJS (Lieber Dominik, zur Info – hier habe ich auch noch a bisserl was geändert) Milde Formen des vWJS werden mit den klinischen Routineparametern Quick, aPTT und Thrombozytenzahl in der Regel nicht erfasst; bei schweren Ausprägungen mit Faktor-VIII- Aktivitäten von ca. unter 30% ist dann aber die aPTT verlängert.
  • 18. Bei klinischem oder anamnestischen Verdacht auf vWJS sollten darum folgende Parameter mitbestimmt werden: Von-Willebrand-Faktor-Antigen (vWF:Ag) und Ristocetin-Cofaktor-Aktivität (vWF:RiCof). Während die Bestimmung des vWF:Ag nur das Vorhandensein (Menge) des vWF darstellt, kann über die Bestimmung der vWF-RiCof-Aktivität die Funktion des vWF mit Thrombozyten zu interagieren erfasst werden. (NB: Ristocetin war früher ein Antibiotikum, das schon lange Jahre nicht mehr eingesetzt wird. Die mehr oder weniger zufällig entdeckte Funktion, die vWF-vermittelt die Thrombozytenadhäsion und –aggregation zu induzieren, wird aber heute noch diagnostisch genutzt). Weiterhin ist es sinnvoll, einen Test zur Untersuchung der Thrombozytenfunktion durchzuführen. Aufgrund der beschriebenen Problematiken der sog. In-vivo-Blutungszeit (z.B. geringe Standardisierbarkeit und Sensitivität) empfiehlt sich hier die In-vitro-Blutungszeit mittels PFA- 100® (Platelet function analyzer). Falls die Möglichkeit besteht, wäre zu weiteren Diagnosesicherung die Durchführung einer speziellen Thrombozytenaggregationstestung insbesondere mit dem Agonisten Ristocetin (zum Vergleich auch z.B. ADP oder Kollagen) zu empfehlen. Die Ergebnisse dieser Tests können nun verschiedenartig ausfallen; systematisch ist dies weiter oben bereits erläutert. Typischerweise ist bei einem vWJS die In-vitro-Blutungszeit verlängert und die Thrombozytenaggregation nach Ristocetinstimulation vermindert (Ausnahme: Typ 2N). Die Thrombozytenaggregation mit ADP und Kollagen ist normal oder weit weniger beeinträchtigt als die Stimulation mit Ristocetin. Ebenfalls immer – mit Ausnahme des Typ 2 N und ggf. 2B – ist vWF-RiCof vermindert. Bei einer rein quantitativen Verminderung, also Typ 1 und 3, ist das vWF:Ag (und meistens der Faktor VIII) im gleichem Maße vermindert wie die vWF-RiCof. Dagegen ist bei vWJS Typ 2 (qualitativer Defekt!) die vWF-RiCof stärker vermindert als das vWF-Ag. Darum ist hier diagnoseweisend die Berechung des Quotienten aus vWF- RiCof/vWF:Ag, der bei Typ 2 in der Regel unter 0,7 liegt. Bei Typ 3 sind beide Parameter extrem vermindert bzw. völlig fehlend. Auch die Faktor-VIII-Aktivität ist hier zumeist auf unter 10% reduziert. Zu bedenken ist ferner, dass alle hier aufgeführten vWJS-typischen Parameter starken natürlichen Schwankungen unterliegen. Bei Akut-Phase-Reaktionen (Infekte, Trauma) oder auch bei der Therapie mit Sexualhormonen (insb. Östrogenen) können diese Faktoren ansteigen. Leichtere Formen des vWJS können hierdurch „maskiert“ werden. Für Träger der Blutgruppe 0 gelten für vWF:Ag, vWF:RiCof und F. VIII zudem niedrigere Normbereiche als für Träger der Blutgruppen A, B, und AB. Sollte der Verdacht auf einen Typ 2 (oder auch ein erworbenes vWJS, das sowohl eine quantitative als auch qualitative Beeinträchtigung des vWF darstellen kann) bestehen, können u.a. folgende Spezialuntersuchungen zweckmäßig sein: (1) die elektrophoretische Auftrennung der Multimere (vWF-Multimerenanalyse) des von- Willebrand-Proteins zur Beurteilung der Verteilung der unterschiedlich schweren Anteile sowie des Spaltungsmusters; im Wesentlichen sinnvoll bei vWF:RiCof / vWF:Ag unter 0,7 zur Subtypisierung des Typ 2 sowie diverser erworbener vWJS. (2) Zur DD 2A vs. 2B Thrombozytenaggregation mit nur reduzierter Dosis von Ristocetin (0,6 statt 1,2 mg/ml) – hier ist eine Aggregation von unter 10% normal, während eine Aggregation über 10% auf einen Typ 2B hindeutet. (3) FaktorVIII-Bindungsassay zur Differentialdiagnose Typ 2N vs. Hämophilie A. 3.6.2.5 Therapie des vWJS In der Regel werden milde Formen des vWJS mit DDAVP (Vasopressin, Minirin® ) behandelt. Durch Gabe von DDAVP erfolgt ein Anstieg von Faktor VIII und vWF (Mobilisierung aus den Weibel-Palade Bodies) auf das 2-4 fache, max. 30 - 60 Min. nach der Medikamentengabe. Für die Wiederholung der DDAVP Gabe wird ein Zeitintervall von mindestens 12 Stunden empfohlen. Für eine ausreichende klinische Wirkung von DDAVP muß eine gewisse Restaktivität an funktionierendem vWF vorliegen (ca. 10-15 %): DDAVP wirkt daher am besten bei vWJS Typ 1.
  • 19. Auch bei manchen qualitativen Defekten (Typ 2) zeigt sich oft ein Effekt des DDAVP, wobei sich gerade hier ein „Minirintest“ einige Tage vor einem Eingriff empfiehlt, um einen ausreichenden Anstieg der vWF:RiCof und Thrombozytenfunktion zu kontrollieren.Bei Typ 2B wird die Gabe von DDAVP von den meisten Experten als kontraindiziert angegeben, da der zugrundeliegende Defekt, nämlich eine zu hohe Affinität des vWF zu Thrombozyten, zu einer verstärkten Thrombozytopenie führen kann. Die Dosierung von DDAVP besteht in der Gabe von 0,3-0,4 µg/kgKG DDAVP i.v., in 0,9%-NaCl-Lsg. (50-100 ml) über einen Zeitraum von 30-60 min. DDAVP kann zu Hypertonus, Hyponatriämie sowie zu einem Absinken der Krampfschwelle führen. Darum ist die Gabe bei entsprechend gefährdeten Patienten kontraindiziert. Auch im Kleinkindesalter darf DDAVP nicht angewendet werden. In allen Fällen, in denen DDAVP kontraindiziert oder nicht ausreichend wirksam ist, muß im Bedarfsfalle eine Substitutionsbehandlung mit vWF-haltigem Faktor-VIII-Konzentrat durchgeführt werden. Letzteres ist die primäre Therapieoption bei vWJS Typ 3 und bei schwerem vWJS Typ 1 oder 2. Die erfolgreiche Therapie des erworbenen vWJS erfordert die genaue Kenntnis der Pathogenese. Bei einem mechanischen/hämodynamisch bedingten vWJS sind z.B. DDAVP und vWF/VIII- Konzentrate gleich wirksam, jedoch hält die Wirkung aufgrund des vermehrten Abbaus nur sehr kurz an. Nach einer Behebung des Klappenvitiums kommt es innerhalb von Stunden zu einer Normalisierung von Faktor VIII und vWF. Wenn die Ursache in einem autoimmunogen gebildetem Hemmkörper liegt, kann die Gabe von Hyperimmunglobulin kurzfristig zu einem Anstieg der Werte führen, alternativ kann auch eine Immunsupprimierung erfolgreich sein. Häufig kann eine Blutungskomplikation auch durch Gabe von rekombinantem Faktor VIIa gestillt werden. Dosierung von VWF-haltigem F.VIII-Konzentrat: Bei leichten Blutungen erfolgt eine einmalige Gabe von 30-50 IE/kgKG des Gerinnungsfaktor- konzentrats (ggf. Wiederholung der Dosis bei längerer oder persistierender Blutung). Bei schwerer Blutung wird eine Dosierung bis 50 IE/kgKG, und anschließend 30-50 IE/kgKG des Konzentrats in 12-24 h Abständen (HWZ VWF/RCoF ca. 8-16 h) bis zur Blutstillung oder bis zum Abschluss der Wundheilung verabreicht. Cave: Der Gehalt an vWF ist in den Plasmapräparaten nicht standardisiert und kann daher schwanken. In der Regel werden im Beipackzettel jedoch die gemessenen Konzentrationen der Faktoren in der jeweiligen Charge angegeben. Zudem kann der individuelle Bedarf unterschiedlich sein; bei großen Wundflächen kann es auch zu einem relevanten Verbrauch der verabreichten Faktoren kommen. Nach Arzneimittelgabe ist das vWF- Ag und idealerweise auch die vWF:RiCof (optional auch Faktor VIII-Aktivität) im Blut zu kontrollieren. 3.7 Erworbene Koagulopathien Unter erworbenen Koagulopathien versteht man plasmatische Gerinnungsstörungen, die durch folgende Ursachen ausgelöst werden können: - Hemmkörperhämophilie - Hemmkörper gegen vWF oder mechanische Schädigung des vWF (siehe 3.6.2.3) - Vitamin K- Mangel (Mangel der Faktoren II, VII, IX, X und Protein C, S und Z), z. B. durch orale Antikoagulation mit Kumarinderivaten - Antikoagulation mit Standardheparin, LMW-Heparin, Hirudin - Therapie mit Cephalosporinen der 3. Generation - Leberfunktionsstörungen - Asparaginasebehandlung - Multifaktorielle Hämostasestörung bei Schock, Sepsis, Multitrauma Verdünnungskoagulopathie) - Verbrauchskoagulopathie (disseminierte intravasale Gerinnung, DIC)
  • 20. 3.7.1 Hemmkörper- (Inhibitor-) Koagulopathie Antikörper im Gerinnungssystem lassen sich wie folgt unterteilen: Alloantikörper können bei Patienten mit angeborenem Mangel, insbesondere beim völligem Fehlen von Gerinnungsfaktoren, gegen den substituierten Faktor auftreten. Diese Alloantikörper erschweren die weitere Therapie der Patienten erheblich, da sie zu einer Neutralisierung der substituierten Faktoren führen. Klinisch hinweisend für eine Hemmkörper-Hämophilie ist darum eine verzögerte oder ausbleibende Blutstillung trotz Faktorensubstitution. Im Vorfeld dieser Entwicklung kann bereits eine zunehmende Dosierung oder eine Wiederholung der Faktorensubstitution in kürzeren Abständen einen Hinweis Hemmkörperbildung geben. Autoantikörper hingegen treten bei zuvor Gesunden gegen eigene Komponenten des Gerinnungssystems auf. Hierunter fallen zunächst die spezifischen Inhibitoren. Diese sind oftmals gegen einen einzigen Gerinnungsfaktor gerichtet. Handelt es sich hierbei um den vWF, resultiert das o.g. erworbene vWJS. Inhibitoren, die spezifisch gegen Faktor VIII gerichtet sind, führen zur Hemmkörper-Hämophilie A usw. Unspezifische Antikörper sind oftmals gegen Phospholipide gerichtet. Diese Antikörper werden auch als Lupusantikoagulantien bezeichnet. Sie führen in der Regel nur in vitro zu einer Gerinnungshemmung, während sie klinisch in vivo typischerweise eine Thromboseneigung verursachen. (das Lupus antikoagulans ist darum ein thrombophiler Risikofaktor und wird in diesem Skript weiter unten behandelt) Währden die Alloantikörper durch Faktorensubstitution induziert sind, ist die Ursache der Autoantikörper vielfältig. Sie traten oft spontan („idiopathisch“) auf, häufig sind sie jedoch mit anderen Autoimmunerkrankungen vergesellschaftet. Ebenso häufig treten sie bei Infektionen oder paraneoplastisch bei Tumoren auf. 3.7.1.1 Diagnostik der Hemmkörperhämophilie: Screening Test: Plasmatauschtest Hierbei wird zunächst das Patientenplasma im Verhältnis 1:1 mit Normalplasma versetzt und die aPTT nochmals wiederholt. Vereinfacht ausgedrückt: Kommt es zu einer Normalisierung der aPTT so ist vom Vorliegen eines echten Faktorenmangels auszugehen. Bleibt die aPTT dagegen weiter verlängert, so ist ein Hemmkörper anzunehmen. Da es sich bei den spezifischen Antikörpern um sog. progrediente Inhibitoren (keine Sofortinhibitoren) handelt, ist eine Inkubation von 2 Stunden vor der Durchführung der aPTT notwendig. (CAVE: Wird ein Plasmatauschtest bei V.a. auf Lupus antikoagulans durchgeführt, so entfällt die 2h-Inkubation, da diese Antikörper sog. Sofortinhibitoren sind.) Zu weiteren Quantifizierung des Hemmkörpers dient dann der Bethesda-Test. Hierbei wird das Patientenplasma in einer geometrischen Verdünnungsreihe (mit F VIII-Mangelplasma) im Verhältnis 1+1 mit abgepuffertem Normalpool versetzt und wieder 2 Stunden bei 37°C inkubiert. Während dieser Zeit kommt es zu einer Inaktivierung des F VIII, die von der Stärke des Inhibitors abhängt. Anschließend wird die Faktor-VIII-Aktivität aPTT-basiert bestimmt. Durch Vergleich mit einer über den gleichen Zeitraum inkubierten Kontrolle (Normalpool + F VIII-Mangelplasma 1+1) wird die Rest-Aktivität der einzelnen Verdünnungen bestimmt. Diese wird unter Berücksichtigung des Verdünnungsfaktors in Bethesda-Einheiten umgerechnet. Eine Bethesda-Einheit (B.E.) ist definiert als die Menge an Antikörper, die in einer 1:1-Mischung aus Patienten- und Normalplasma nach 2-stündiger Inkubation bei 37°C 50% der F VIII-Aktivität inaktiviert. 3.7.1.2 Therapie der Hemmkörperhämophilie:
  • 21. Die Therapie ist abhängig von Höhe der Hemmkörperkonzentration: 1. Low responder (< 5 Bethesda-Einheiten „BE“), spontane Rückbildung möglich. 2. High responder (> 5 BE), in der Regel Therapie erforderlich. Primär ist zwischen der akuten Therapie eines blutenden Patienten mit Hemmkörperhämophilie und der Eradikationstherapie des Hemmkörpers zu unterscheiden. Bei erster kann bei niedrig titrigen Antikörpern die Gabe von hohen Dosen von F.VIII in Erwägung gezogen werden (Überspielen der Hemmung). Alternativ und bei high responders ist heutzutage die Gabe von rVIIa (Novoseven® ) die Therapie der Wahl. Bei der mittel- bis langfristigen Behandlung der Hemmkörper-Hämophilie liegen heute unterschiedliche Behandlungsansätze vor, die in sog. Therapieschemata (z.B. „Bonner Schema“) kombiniert werden. Bei einem Faktor VIII-Hemmkörper kann entweder mit einer hochdosierten Faktor-VIII-Therapie oder mit immunsuppressiver Therapie behandelt werden. Mehrere Vorgehensweisen können als Behandlung gewählt werden. Die Induktion einer Immuntoleranz durch eine Hochdosistherapie mit F.VIII-Konzentraten wird vorwiegend in der Pädiatrie mit Erfolg angewendet. Die Immunmodulation/Immunsuppression besteht in einer Immunglobulingabe in Kombination mit immunsuppressiver Therapie (z.B. Corticosteroiden und Cyclophosphamid). Die aktuellen Empfehlungen der Leitlinien der Bundesärztekammer von 2008 seien nachfolgend aufgeführt:
  • 22.
  • 23. 3.7.2 Allgemeine diagnostische und therapeutische Prinzipien bei Koagulopathien: Folgende Vorgehensweise hat sich für die Spezifizierung einer Koagulopathie bewährt: Aufgrund der Ergebnisse der Globaltest (oder ggf. bei entsprechendem klinischen Verdacht bzw. entsprechender Vorinformation direkt) erfolgt die gezielte Bestimmung der Einzelfaktorenaktivitäten. Anhand der festgestellten Faktor-Restaktivität erfolgt die Einstufung des Schweregrads der Koagulopathie (in „leicht“, „mittel“ oder „schwer“). Durch den Plasmatauschtest kann ein Inhibitor eines Gerinnungsfaktors versus echtem Faktorenmangel ausgeschlossen werden. Vor elektiven operativen Eingriffen ist die Höhe und Zeitdauer der voraussichtlich erforderlichen Substitutionsbehandlung zu ermitteln. Schließlich erfolgt die Auswahl des geeigneten Substitutionsmittels und Einsatz unter therapeutischer Verlaufskontrolle der Faktorenrestaktivität. Faktorenkonzentrate werden bei Blutungen und bestehendem Faktormangel als Gerinnungs- therapie oder zur Prophylaxe bei Faktormangel (z.B. vor Operationen) eingesetzt. Faktoren- konzentrate werden dabei intravenös als Bolus oder als Kurzinfusion verabreicht. Für die korrekte Dosierung sind folgende Kenntnisse erforderlich: 1. Kenntnis der für die jeweilige Blutungssituation und –lokalisation erforderliche Plasmakonzentration des Gerinnungsfaktors. 2. Die Dosierung und der zeitliche Abstand der Substitutionstherapie richten sich nach der Halbwertszeit des Gerinnungsfaktors. Diese kann durch Verbrauch oder Blutverlust verkürzt sein. 3. Bei angeborenen Faktorenmangel sollte ein Behandlungsplan vorliegen. 4. Vermeidung von Fehlern in der Präanalytik, damit die korrekte Aktivität des Gerinnungsfaktors gemessen wird. Häufigste präanalytische Fehlerquelle sind eine unsachgemäße Blutabnahme und zu lange Transportzeiten bis zur Bestimmung. Idealerweise sollte (Citrat-)Blut für die Bestimmung von Gerinnungsfaktoren nach Lösen der Stauungsmanschette abgenommen werden; das Röhrchen muß vollständig gefüllt sein, um das korrekte Verhältnis Citrat/Blut zu gewährleisten. Seltener kann die Kontamination mit EDTA durch ein vorangegangenes EDTA-Röhrchen zu Fehlern führen, weshalb nach Möglichkeit vor dem Citratröhrchen ein anders Citratröhrchen oder ein Serumröhrchen befüllt werden sollte. 4. Therapie mit Plasma und dessen Derivaten 4.1. Plasma zur therapeutischen Anwendung Gefrorenes Frischplasma (GFP) wird für die Substitutionstherapie bei Blutverlust und komplexen Koagulopathien zur Erhaltung des hämostaseologischen Gleichgewichts und auch bei Mangel an Einzelfaktoren eingesetzt, für die kein eigenes Konzentrat zur Verfügung steht. Es enthält sowohl prokoagulatorische als auch inhibitorische Gerinnungsfaktoren in einer physiologischen Konzentration (ist also im Gegensatz zu Einzelfaktorenkonzentraten nicht angereichert). Die Gewinnung von GFP kann auf verschiedene Wege erfolgen. Einmal kann es aus einer Einzelspende gewonnen werden. Nach Gewinnung wird dieses Plasma zunächst quarantänegelagert. Erst nach einer Zweituntersuchung des Spenders später auf HIV, HCV und HBV mindestens 4 Monate wird das Plasma freigegeben. Hiervon zu unterscheiden ist das Solvent-detergent (SD)-Plasma. Dieses ist ein Poolpräparat aus 500-1600 Einzelspenden, das mit Lösemitteln und Detergenzien behandelt wird, um lipidumhüllte Viren (z.B. HIV, HCV und HBV) zu zerstören. Hierbei kommt es jedoch zu einem gewissen Abfall vieler Gerinnungsfaktoren und insbesondere des Protein S, was neben dem erhöhten Risiko der Übertragung nicht-lipidumhüllter Viren ein Grund ist, im Allgemeinen das Einzelspender-GFP zu bevorzugen. Eine seltene Indikation speziell für die Gabe von SD-Plasma ist die thrombotisch- thrombozytopenische Purpura (s.oben), bei der ein Mangel der von-Willebrand-Faktor-spaltenden Protease ADAMTS-13 zu einer Vermehrung extrem großer von-Willebrand-Multimere führt. Da die ADAMTS-13 das SD-Verfahren gut übersteht, in SD-Plasmen jedoch die schweren Multimere
  • 24. des von-Willebrand-Faktors signifikant vermindert sind, erscheint diese Plasmapräparation besonders geeignet, bei der TTP das hämostaseologische Gleichgewicht wiederherzustellen. Seit kurzem ist in Deutschland wieder Methylenblau-virusinaktiviertes Einzelplasma erhältlich. 4.2 Die wichtigsten Plasmaderivate Aus gepooltem humanem Spenderplasma werden durch das von Herrn Cohn in den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts beschriebene Fraktionierungsverfahren Plasmaderivate hergestellt. Albumin, Immunglobuline, Gerinnungspräparate (z.B. Faktor VIII, Faktor IX, Prothrombinkomplex/PPSB, Fibrinkleber, Antithrombin) und Fibrinolytika stellen die gebräuchlichsten Plasmaderivate dar. Gerinnungsfaktoren- oder inhibitorenkonzentrate dienen der Behandlung oder Verhütung von Blutungen oder von Thromboembolien, wenn ein Mangel an einem oder mehreren Gerinnungsfaktoren vorliegt. Neben der o.g. Herstellung aus humanem Spenderplasma können einige dieser Faktoren oder Inhibitoren heutzutage auch gentechnisch (rekombinant) hergestellt werden. Generell enthalten die Gerinnungsfaktoren- oder inhibitorenkonzentrate einen oder mehrere Gerinnungsfaktoren in hochreiner Form. Der Gehalt an den spezifischen Inhaltsstoffen wird in Internationalen Einheiten (I.E.) pro mL Konzentrat angegeben. Die spezifische Aktivität des Gerinnungsfaktors ist definiert als I.E. des Faktors pro mg Protein. Als Stabilisatoren werden diesen Präparaten oft Albumin und Glukose beigesetzt. Für alle genannten Präparate besteht eine Chargendokumentationspflicht. Als Virusreduktionsverfahren wird entweder die „Flüssig-Hitze-Inaktivierung“, die „Trocken- Dampf-Inaktivierung“, oder das „Solvent-Detergent-Verfahren“ (= SD-Verfahren“) eingesetzt. Zur weiteren Reduktion von Viren wird entweder die Filtration (z.B. „Nanofiltration“) oder Reini- gungsverfahren (z.B. Chromatographie) eingesetzt. Die so hergestellten Plasmaderivate haben daher heutzutage einen hohen Standard an Infektionssicherheit. Seit 1995 sind keine Übertragungen viraler Erkrankungen durch Plasmaderivate mehr beschrieben worden.
  • 25. 4.3 Auswahl und Dosierung des geeigneten Plasmaderivats Einige Punkte wurden bereits in 3.7.2. erläutert. Ansonsten sind folgende weitere Überlegungen vor einer Gerinnungstherapie mit Plasma oder Plasmaderivaten zu treffen: 1. Steht ein geeignetes Medikament zur Behandlung des Faktorenmangels (Alternative) zur Verfügung, so dass gar keine plasmapräparation eingesetzt werden muß? (z.B. DDAVP bei vWJS oder auch bei leichter Hämophilie A). 2. Einsatz von Einzelfaktoren oder eines Präparats aus verschiedenen Einzelfaktoren (z.B. Faktor VIII Präparat vs. Kombination von Faktor VIII und vWF). 3. Einsatz eines rekombinanten Gerinnungsfaktors (garantiert virusfrei) vs. Gerinnungsfaktorpräparat humanen Ursprungs. 4.4 PPSB (Prothrombinkomplex) Konzentrat Enthält: Prothrombin (II), Proconvertin (VII), Stuart-Faktor (X), Antihämophiler Faktor B (IX), Protein C, S und Z – somit alle Vitamin-K-abhängigen Gerinnungsfaktoren – und -inhibitoren) 4.4.1 Prinzipien der PPSB-Anwendung: Bei PPSB handelt es sich um ein Plasmaderivat, in die o.g. Gerinnungsfaktoren angereichert sind, die sich zur Behandlung akuter Blutungen /z.B. unter Cumarinmedikation) eignen. Da dieses Präparat das hämostatische Gleichgewicht stark zur prokoagulatorischen Seite verschiebt, können bei Einsatz des Medikaments Nebenwirkungen (z.B. Thromboembolien) auftreten. Für die Anwendung von PPSB sollte daher folgendes beachtet werden: - Gabe nur bei erwiesenem Mangel an Prothrombinkomplex - Bei Vitamin K Mangel und Indikation für PPSB ist Vitamin K gleichzeitig zu geben. - PPSB Gabe bei schwerer Leberinsuffizienz nur dann, wenn die Gabe von GFP alleine nicht ausreicht bzw. die Gefahr einer Hypervolämie besteht. - Antithrombin kontrollieren; ggf. Antithrombin-Gabe, um ein Antithrombin von mindestens 70 % zu gewährleisten. - Erstdosis: 20 I.E. kg/KG (Ausnahme, bei bedrohlicher Blutung: 40 I.E. kg/KG) - Cave: Bei wiederholten Gaben ist mit Kumulation der Faktoren II und X zu rechnen, die eine längere Halbwertszeit als Faktor VII aufweisen. Darum sollten bei wiederholter Gabe diese Faktoren kontrolliert werden. - Cumarine haben i.d.R. eine längere Halbwertszeit als die Gerinnungsfaktoren (extrem lange Halbwertszeit bei Cumarinen, die ans Rattengift Verwendung finden!!). Darum ist mit einem erneuten Abfall der Gerinnungsfaktoren zu rechnen. Ggf. auch frühzeitig Vitamin K substituieren! - Antifibrinolytika und Heparin-neutralisierende Substanzen (z.B. Protamin) nicht gleichzeitig geben 4.4.2 Risikomindernde Maßnahmen bei der PPSB-Gabe: • Gleichzeitig low dose Heparinisierung (Ausnahme: lebensbedrohliche Blutungen, ZNS-Blutungen) • Ausgleich eines Antithrombin-Mangels bei Leberinsuffizienz (AT mind. 70%) 4.4.3 PPSB – Mögliche Nebenwirkungen
  • 26. Thromboembolien (tiefe Venenthrombosen, Pulmonalembolien, arterielle Thrombosen ein- schließlich akuter Myokardinfarkt), DIC, allergische Reaktionen, anaphylaktische Reaktionen, HIT II, Induktion von Inhibitoren gegen Gerinnungsfaktoren, die Übertragung transfusions- medizinisch relevanter Viren, z.B. HIV, HBV, HCV ist nicht vollständig auszuschließen (Plasma- derivat aus einem Plasmapool). 4.5 Zusammenfassung: Allgemeine Prinzipien zur Berechnung der Faktorenkonzentration (Applikationsdosis) Der Gehalt an Gerinnungsfaktoren wird meist in internationalen Einheiten (I.E. oder I.U.) ange- geben. 1 Einheit ist als diejenige Aktivität definiert, die in 1 mL Frischplasma (Spenderpool) enthalten ist. Diese Einheit entspräche dann einer Aktivität dieses Faktors von 100%. Dement- sprechend würden 0.8 I.E./ml einer Aktivität von 80% entsprechen. Die Messung der „incremental recovery“ eines Gerinnungsfaktors erfolgt aus einer Blutprobe, die meist 1 Stunde nach Medika- mentengabe vom Patienten entnommen wird. Die Berechnung der benötigten Menge an Gerin- nungsfaktor kann aus der Beobachtung im klinischen Alltag berechnet werden, dass nach Gabe von 1 I.E. Gerinnungsfaktor pro kgKG ein Anstieg (= incremental recovery) um 1 – 2% erfolgt. Aufgrund individueller Faktoren kann der tatsächliche Anstieg nach Messung der Gerinnungs- faktoraktivität zwischen 50% und 100% des berechneten Anstiegs liegen. Daher ist eine Kontrolle nach Substitutionstherapie unerlässlich. Bei Blutungen wird zusätzlich noch Gerinnungsfaktor verbraucht, so dass neben der klinischen Kontrolle (Ziel: Blutstillung) die Laborkontrolle erforder- lich ist. Außerdem ist zu beachten, dass bei ausgeprägtem Faktorenmangel der Anstieg nach der ersten Gabe geringer ist als nach nachfolgenden Gaben. Dies ist auf die Verteilung der Gerinnungsfaktoren in diversen Kompartimenten zurückzuführen. Nachdem ein basaler Faktorenspiegel verteilt ist, führt eine weitere Applikation zu deutlicherem Anstieg im Plasma. Darum sollte nach der ersten Gabe von 1 I.E. Faktor/kgKG eher mit 1% Anstieg, bei nachfolgender Gabe eher mit 2% Anstieg gerechnet werden.
  • 27. 5. Thrombophile Diathesen 5.1 Thromboseentstehung 5.1.1 Virchow Trias: Grundlage der Entstehung einer Thrombose ist das Zusammenwirken von drei Faktoren, die nach ihrem Entdecker Rudolf Virchow (1856) benannt wurden. Als Voraussetzung für die Thromboseentstehung gelten daher Veränderungen an der Gefäßwand (z.B. Arteriosklerose, Vasculitis), Veränderungen der Strömungsgeschwindigkeit des Blutes (z.B. durch Stase hervorgerufener örtlicher Sauerstoffmangel – Hypoxie – mit Endothelzellschädigung, durch Stase bedingte Anreicherung prokoagulatorischer Faktoren), und eine Veränderungen in der Zusammensetzung des Blutes (Rheologie). Letztendlich sind es in der Regel immer mehrere Faktoren, die zusammenkommen und die Entwicklung einer Thrombose begünstigen können. Man spricht darum immer von einer sog. multifaktoriellen Genese der Thrombose. 5.1.2 Thrombusentstehung im venösen System: Der „Gerinnungs- oder Fibrinthrombus“ („roter“ Thrombus“) entspricht dem Vollblutgerinnsel. Es entsteht vor allem in Gebieten langsam strömenden Blutes (Stasebezirken). Klinisch entsteht die sog. Venenthrombose, die sich beispielweise als tiefe Bein- oder Beckenvenenthrombose manifestieren kann. Abgehende Thromben können zu sekundären Embolien führen (z.B. Lungenembolie). Bestehen weiterhin Restverschlüsse im venösen System, so kann als Spätfolge ein „postthrombotisches Syndrom“ entstehen. Bei chronischen Perfusionsstörungen kann dann auch ein Ulcus cruris („offenes Bein“ – Geschwür am U-Schenkel) auftreten. Störungen des Gerinnungssystems im Sinne einer sog. Hyperkoagulabilität, die genetisch bedingt oder durch ein Fehlen von Inhibitoren verursacht werden können, begünstigen diese Entwicklung. 5.1.3 Thrombusentstehung im arteriellen System: Als häufigste Ursache arterieller Thrombosen gelten arteriosklerotische Veränderungen der Gefäßwand in unterschiedlichen Organsystemen (z.B. Koronar-, Intrazerebralarterien). Initma- schäden der Gefäßwand (arteriosklerotischer Plaque) führen zum Verlust antithrombotischer Eigenschaften und zur Ablagerung von Thrombozyten, sog. Abscheidungsthromben von Thrombozytenaggregaten („weißer“ Thrombus). Anschließend entsteht ein Gerinnungsthrombus aus Fibrin mit eingeschlossenen Erythrozyten und Leukozyten. Klassische Risikofaktoren der Arteriosklerose sind Hypertonie, Störungen des Lipidstoffwechsels, Stoffwechselerkrankungen (z.B: Diabetes mellitus), Adipositas, exogene Faktoren (z.B. Rauchen). Einige weitere Faktoren scheinen in Zusammenhang mit einem erhöhten Thromboserisiko zu stehen, eine Erhöhung des Fibrinogens, der D-Dimere und des Homozysteins. Der Thrombus kann die Blutversorgung in den nachgeordneten Gefäßgebieten kritisch einschränken (Ischämie, Infarkt). 5.2 Thrombophilie Definition: Veränderungen des Hämostasesystems, die mit einem erhöhten Thrombose- und Thromboembolie Risiko einhergehen. Sie wird auch „thrombophile Diathese“ genannt (= abnorme Thrombose- neigung, Gegenstück zur hämorrhagischen Diathese). Die Prävalenz ist ca. 2 - 5 mal häufiger als die hämorrhagische Diathese (1:2500 - 1:5000).
  • 28. Übersicht angeborener thrombophiler Störungen:(ausgewählte Beispiele) 1. Faktor V Leiden Mutation (G1691A) 2. Prothrombin Mutation (G20210A) 3. Antithrombin Mangel 4. Protein C Mangel 5. Protein S Mangel Beispiele für ein angeborenes thrombophiles Risiko: Ursache Prävalenz* Thrombophile Risikosteigerung F.V Leiden heterozygot 5-10% Ca. 5-10 fach F.V Leiden homozygot 0,05-0,5% Ca. 80 fach Prothrombinmutation G20210A heterozygot 1-3% 2-3 fach Prothrombinmutation G20210A homozygot 0,01% 50 – (100) fach AT-Mangel Typ I heterozygot < 1% (0,02-0,2) > 10 fach PC-Mangel heterozygot <1% (0,2-0,8) Ca. 3,8-10 fach PS-Mangel heterozygot Nicht exakt bekannt Ca. 10 fach Wann ist der Verdacht auf eine angeborene Thrombophilie-Ursache gegeben? Aus der Gerinnungsanamnese lassen sich die entscheidenden Hinweise für mögliche Ursachen einer Thrombose erkennen. Eine spontan auftretende Thrombose („aus heiterem Himmel“), die ohne mögliche (exogene) Auslöser (z.B. Trauma, Immobilisation, Östrogene, Nikotinabusus) auftritt, spricht eher für eine genetische Ursache. Meist findet sich hinsichtlich Thrombosen dann auch eine positive Familienanamnese. Weitere Hinweise sind beispielsweise: - Venöse Thrombose < 45. Lebensjahr - Familiäre Thromboseneigung (positive Familien-Anamnese in der Verwandtschaft 1. Grades)* - Spontan-Thrombose ohne erkennbaren Anlass - Ungewöhnliche Rezidivneigung venöser Thrombosen - Ungewöhnliche Thromboselokalisation: * Mesenterialvenen-, Milzvenen-, Pfortaderthrombose * Zerebrale Sinusvenenthrombose, Zentralvenenverschluss am Auge - Kombination venöser und arterieller Thrombosen - Sondersituationen oder spezielle Symptomatik: * Kumarin-Nekrose * Neonatale Purpura fulminans Beispiele erworbener Thrombophilie-Ursachen Thrombosen aufgrund eines erkennbaren Auslösers, bei negativer Familienanamnese, lassen sich meist nicht mit einem genetischen Risiko begründen. Folgende Ursachen können dafür verant- wortlich sein: - Vorangegangene Thrombose (Gefäßveränderungen, Reststenosen) (z.B. PTS = postthrombotisches Syndrom) - Operationen (besonders an Knie- und Hüftgelenk, große Bauch- und Thoraxchirurgie) - Immobilisation, langes Sitzen mit angewinkelten Beinen („Reisethrombose“, “Sitzthrombose“)
  • 29. - Höheres Alter (zunehmende Gefäßveränderungen), - Exsikkose (erhöhte Blutviskosität) - Adipositas (Fettleibigkeit) - Ovulationshemmer (Östrogenhaltig) - Rauchen (Nikotin) - Schwangerschaft (Östrogenwirkung) und Wochenbett (Immobilisation) - Entzündliche und infektiöse Prozesse (Fibrinogenerhöhung, Thrombozytenaktivierung) In der Regel ist die Manifestation thrombotischer Ereignisse, wie bereits erwähnt, als Folge des Zusammenkommens mehrere endogener oder exogener Ursachen zu sehen. So kann z.B. eine genetische Dispostion bei einem Menschen bestehen (z.B. heterozygote Faktor V-Leiden- Mutation), aber erst nach der zusätzlichen Einnahme eines oralen Kontrazeptivums („Pille“) und einer Immobilisation im Gipsverband entwickelt sich das thrombotische Ereignis. Wie die unterschiedlichen Risikofaktoren zusammenwirken, z.B. ob sich das Risiko addiert, multipliziert oder gar potenziert, ist nicht genau bekannt. Daher ist die Risikoabschätzung des thrombophilen Risikos eines Patienten immer individuell zu betrachten und ebenso die Art und Weise der Primär- oder Sekundärprophylaxe zu beurteilen. Laborbefunde, in denen auf unbekannte Weise, eine auf die „Komma-Stelle“ genaues Thromboserisiko eines Patienten angegeben wird, sind daher als nicht valide zu betrachten. Grundsätzlich können auch einige der genannten angeborenen thrombophilen Störungen (z.B. Antithrombinmangel, Mangel an Protein C und S oder eine Resistenz gegen aktiviertes Protein C ) durch Krankheiten erworben werden. Im Gegensatz zu den angeborenen Mangelzuständen treten die erworbenen Störungen dann im Rahmen spezieller Krankheitsbilder auf (z.B. Verbrauchs- koagulopathie bei schweren Infektionen). Diese Mangelzustände müssen dann vor dem Hinter- grund des gesamten Krankheitsbildes beurteilt und behandelt werden.
  • 30. 5.3 APC Resistenz (= Resistenz gegen aktiviertes Protein C) / Faktor V Leiden 5.3.1 Historisches: Die Resistenz gegen aktiviertes Protein C (kurz: APC - Resistenz) wurde erstmals 1993 vom schwedischen Arzt DAHLBÄCK in Malmö beschrieben, nachdem er bei Patienten mit erhöhter Thromboserate ein Ausbleiben einer Verlängerung der Gerinnungszeit nach APC-Zugabe fand. Aktiviertes Protein C ist ein Inhibitor der Gerinnungskaskade. 1994 entdecken BERTINA et al. in dem holländischen Ort Leiden, dass > 90% der Fälle mit APC-Resistenz durch Punktmutation im Faktor V - Gen verursacht werden (Faktor-V-Leiden-Mutation). Bei ca. 5% der Patienten mit APC-Resistenz findet man keine genetische Ursache. 5.3.2 Faktor V – Leiden-Mutation: Die Anlage wird autosomal dominant vererbt. Ca. 5-10% der mitteleuropäischen Bevölkerung (Deutschland: 3-8,5%) sind heterozygote Träger dieser Mutation und haben statistisch ein 5- 10fach höheres Risiko für eine venöse Thrombose. Ein wesentlich höheres Thromboserisiko besteht, wenn die Erbanlage homozygot auftritt (ca. Faktor 80). Die Frequenz des homozygoten Auftretens dieser Anlage liegt natürlich erheblich niedriger (unter 1 %).. Pathogenese: Die APC-Resistenz wird durch eine Punktmutation (Nukleotidposition 1691 (G1691A), Ersatz von Guanin durch Adenin) auf dem Exon 10 des Faktor V-Gens (1q23) ausgelöst. In der Folge wird ein verändertes Faktor-V-Molekül synthetisiert (Ersatz der AS Arginin durch Glutamin in Position 506 der Polypeptidkette (R506Q, bzw. A506G), Faktor V:506, das auch die Kofaktorfähigkeit für die Inaktivierung von Faktor VIII verliert. Die proteolytische Wirkung von aktiviertem Protein C gegenüber Faktor V ist um etwa Faktor 10 herabgesetzt, da APC die Spaltstelle im aktivierten Faktor V-Molekül nicht mehr erkennt, und folglich die Faktor V Aktivität erhalten bleibt (erhöhte Bildung von Thrombin). Diese strukturelle Veränderung des Faktor-V-Moleküls macht es resistenter gegenüber APC, daher die Bezeichnung „APC-Resistenz“. Eine klinisch relevante Faktor-VIII-Resistenz scheint übrigens nicht vorzukommen. Dies liegt wahrscheinlich an der geringeren Stabilität des Faktor VIIIa, der auch ohne Protein-C-Einwirkung relativ bald inaktiv wird. 5.3.3 Kombination der F.V–Leiden-Mutation mit anderen thrombophilen Risikofaktoren: Generell entsteht ein erheblicher Anstieg des Thromboserisikos, wenn angeborene und erworbene bzw. verschiedene Risiken aufeinander treffen. Beispiele: •„Östrogen-haltige Pille“ + F.V-Leiden-Mutation (heterozygot) Risikoerhöhung ca. 30-fach •„Östrogen-haltige Pille“ + F.V-Leiden-Mutation (homozygot) Risikoerhöhung ca. 200-fach • Pille (Östrogen) allein ca. 3-4-fach • F.V-Leiden-Mutation (heterozygot) allein ca. 5-10-fach • F.V-Leiden-Mutation (homozygot) allein ca. 80-fach Achtung! Immer wieder kommt es zu u.U. folgenschweren Verwechslungen zwischen F.V-Mangel und F.V- Leiden-Mutation. Viele Patienten werden mit der Verdachtsdiagnose F.V-Mangel zum Thrombophiliescreening in Gerinnungsambulanzen überwiesen. Wichtig ist daher, klar zu stellen,
  • 31. dass die F.V-Leiden-Mutation kein F.V-Mangel ist. Letzteres bedeutet auch kein erhöhtes Thrombose, sondern logischerweise ein erhöhtes Blutungsrisiko. Die Behandlung bzw. Prophylaxe ist dementsprechend gerade gegensätzlich! Selten kann es den Fall einer Kombination des F.V-Mangels mit F.V-Leiden-Mutation geben. Eine genaue Zahl zur Prävalenz kann an dieser Stelle nicht genannt werden. In diesen Fällen scheint die thrombophilie Neigung nicht nur zu überwiegen, sondern sogar verstärkt zu Tage zu treten.. 5.4 Prothrombin Mutation (G20210 A) 5.4.1 Bedeutung der Prothrombin-Mutation 1996 wurde von POORT et al. eine Punktmutation im Prothrombin-Gen (G20210A) nachgewiesen. Die Prothrombin-Genmutation stellt einen weiteren angeborenen Risikofaktor für eine Thrombo- philie dar. Die Frequenz dieser Genmutation in der europäischen Bevölkerung ist gering (ca. 1- 2%). Außerdem ist das Risiko für eine Thrombose bei isoliertem Auftreten relativ gering (Risiko ca. 2 – 6 fach). Es steigt jedoch wiederum erheblich an, wenn weitere genetische oder externe thrombophile Risikofaktoren hinzukommen. Vorkommen: - Überwiegend heterozygot, nur 0,01% homozygot - Prävalenz 2,8% (2-4%) heterozygot - Thrombosekollektiv: 5-18% positiv für diese Mutation 5.4.2 Molekularbiologie Eine Punktmutation führt zum Austausch von Adenin gegenüber Guanin in Position 20210 der 3´- codierenden Sequenz des Prothrombin-Gens (G20210AMutation) auf dem Chromosom 11p11- q12. Die Mutation führt zu einem erhöhten Prothrombin (= Faktor II) Spiegel im Blut (ca. 120% Faktor II Aktivität), der mit einem erhöhten Thromboserisiko einhergeht. Durch die erhöhte Prothrombinaktivität wird vermehrt Thrombin gebildet und das hämostatische Gleichgewicht auf die prokoagulatorische Seite verschoben. 5.4.3 Klinik Bei Einnahme von östrogenhaltigen Ovulationshemmern steigt das thrombophile Risiko bei Vorliegen einer Prothrombin (G20210A)-Mutation in heterozygoter Ausprägung um den Faktor 16 an. Bei heterozygoten Merkmalsträgern besteht ein 2-3-fach höheres Thromboserisiko (Rezidiv- risiko ist nicht unbedingt erhöht). Bei homozygoten Merkmalsträgern (Erstbeschreibung 1997) liegt ein deutlich höheres Risiko vor (50-100-fach höheres Thromboserisiko). Bei Zusammen- treffen einer Faktor-V-Leiden-Mutation und einer G20210A-Mutation kommt es zur Verviel- fältigung des Thromboembolierisikos.
  • 32. 5.5 Antithrombin-Mangel 5.5.1 Bedeutung des Antithrombin-Mangels Antithrombin (AT) stellt den wichtigsten Inhibitor der Blutgerinnung dar, da es nicht nur Thrombin (zentrales Enzym der Gerinnung) sondern eine ganze Reihe weiterer Gerinnungsenzyme (z.B. insbesondere den Faktor Xa, aber in geringerem Maße auch die Faktoren XIa, XIIa und IXa inaktiviert). Ein AT-Mangel führt daher zu einer entscheidenden Verschiebung des hämostaseologischen Gleichgewichts zur prokoagulatorischen Seite. Bereits eine geringe Verminderung des AT-Spiegels kann daher Thrombosen verursachen (z.B. eine subnormale AT- Konzentration zwischen 40%–70%). AT gehört biochemisch zur Gruppe der SERPINE (Serinproteaseinhibitoren), die ihre Enzyme (Serinproteasen = die o.g. Gerinnungsfaktoren) irreversibel hemmen (sog. „Suizid-Substrate“). Die normale Serumaktivität von AT beträgt ca. 80 – 120 %. Die AT-Aktivität kann unter der Einnahme von Östrogenen um bis zu 10% abfallen, ist in der Regel während der Schwangerschaft nur gering vermindert und bleibt bei zunehmendem Alter konstant. 5.5.2 Klinik des angeborenen AT-Mangels 1965 Erstbeschreibung des angeborenen heterozygoten AT-Mangels (autosomale Vererbung) durch EGEBERG bei Mitgliedern einer Familie in Norwegen. 1989 erste Kasuistik mit einem angeborenen, homozygoten AT-Mangels bei 2 Kindern (schwerste venöse und arterielle Thrombosen bei Geburt – die Kinder überlebten nur wenige Tage). Man unterscheidet grob zwei Typen des AT-Mangels: Bei Typ I sind die AT-Aktivität und - Konzentration (immunologische Bestimmung) gleichermaßen vermindert. Bei Typ II ist die AT- Aktivität alleine vermindert bei einer gleichbleibenden oder sogar erhöhten AT-Konzentration im Plasma. Der angeborene AT-Mangel geht mit einer hohen Thromboembolie-Prävalenz von mehr als 50% einher. Es handelt sich meist um einen heterozygoten Defekt, der mit einer durchschnittlichen AT-Aktivität von ca. 50% einhergeht. Der homozygote AT Mangel ist mit dem Leben in der Regel nicht vereinbar (siehe oben). Bei den meisten Patienten mit heterozygotem AT Mangel treten Thromboembolien bereits zwischen dem 15. und 30. Lebensjahr auf (Manifestation als tiefe Beinvenenthrombosen und Lungenembolien). Typisch ist das Auftreten von Thrombosen bereits vor dem 50. Lebensjahr (80% der betroffenen Patientengruppe ist bereits an mindestens einer Thrombose erkrankt).Bei atypisch lokalisierten Thrombosen (Mesenterialvenen, Hirnvenen) ist ebenfalls an einen AT Mangel zu denken. Nicht jede Person mit AT-Mangel muss jedoch eine Thrombose bekommen; es gibt erhebliche familiäre Unterschiede. Während der Schwangerschaft ist die Thromboserate besonders hoch (40 – 70%), ebenso im Wochenbett. Häufigste Manifestation der Thrombose sind die tiefen Beinvenen, gefolgt von Lungenembolien. 5.5.3 Klinik des erworbenen AT-Mangels Der erworbene AT-Mangel hängt maßgeblich von der zugrundeliegenden Erkrankung ab. Folgende Ursachen sind möglich (Beispiele nach Gruppen geordnet):
  • 33. Synthesestörung: - Lebererkrankung mit einer verminderten Proteinsynthese. Thrombosen sind eher selten, da auch andere Gerinnungsfaktoren vermindert sind. Das hämostaseologische Gleichgewicht liegt auf einem niedrigeren Niveau (mit einer niedrigen Restaktivität der Gerinnungsfaktoren). - Frühgeborene (Unreife der Leber, eingeschränkte Syntheseleistung) - L-Asparaginasetherapie (oft kombiniert mit erhöhtem AT-Verbrauch) bei Tumortherapie. Erhöhter Verlust: - Nephrotisches Syndrom (Protein- und auch AT-Verlust durch Proteinurie) - Lymphfistel (Proteinverlust) - Exudative Enteropathie - Massivblutung (Plasmaverlust, Verlust aller Gerinnungsfaktoren) Erhöhter Verbrauch: - DIC = disseminierte intravasale Koagulation) - Sepsis (erhöhter Proteinumsatz und Verbrauch, Gerinnungsstörungen, ggf. DIC) - Ausgedehnte Thrombosen verbrauchen ebenfalls Gerinnnungsfaktoren - Große Operationen mit großer Wundfläche - Multitrauma - Heparintherapie (v.a. bei intravenöser Dauertherapie, Aktivitäts- und Konzentrationsabfall von AT oder bei Therapiebeginn). 5.5.4 Therapie des AT-Mangels Patienten mit angeborenen AT-Mangel und ersten thromboembolischen Ereignis werden üblicherweise mit Kumarinderivaten langzeitantikoaguliert. Humanes Antithrombin-Konzentrat steht für bestimmte Indikationen (z.B. akutes thrombotischen Ereignis, während der Entbindung, perioperativ) zur Verfügung. Der erworbene AT-Mangel im Rahmen der Grunderkrankung wird ggf. ebenfalls durch gezielte Substitution von AT behandelt. Aufgrund der gegenwärtigen Studienlage wird die Gabe von AT bei AT-Verbrauch im Rahmen einer disseminierten intravasalen Gerinnung (DIC) empfohlen. Bei einer Sepsis (ohne DIC) wird die Gabe von AT hingegen nicht empfohlen, weil ein Benefit für die Patienten nicht gefunden wurde, es jedoch zu vermehrten Blutungskomplikationen kam. 5.5.5 AT-Mangel als Nebenwirkung bei Gerinnungstherapie Heparin verliert erheblich an Wirkung, wenn AT abfällt. Darum sollte eine Konzentration des AT ggf. durch Substitution aufrechterhalten bzw. auf einem Level von mindestens 70-80 % gehalten werden. Umgekehrt muss auch beachtet werden, daß eine laufende Heparintherapie durch unkontrollierte AT-Gabe in ihrer Wirksamkeit erheblich gesteigert werden kann, so daß die Gefahr einer Blutung durch überschießende Heparinwirkung entsteht. AT alleine verursacht keine erhöhte Blutungsneigung, da es ein langsamer Inhibitor der Gerinnung ist (auch nicht bei einer Überdosierung). Erst in Kombination mit Heparin wird die AT-Wirkung erheblich verstärkt (um ca. Faktor 1000). Dann können sich die globalen Gerinnungstests verändern (v.a. Verlängerung der aPTT) und eine erhebliche Blutungsneigung entstehen. Besonders wichtig ist die Kontrolle des AT vor der Gabe von PPSB, da die Anhebung der Gerinnungsfaktorenaktivität ohne Angleichung des Inhibitors zu einer erhöhten Thromboemboliegefahr führt. Daher nochmals zur Wiederholung: Wird die Indikation zur
  • 34. Substitution mit AT gestellt, so sollte eine AT-Aktivität im Plasma >70% aufrechterhalten werden (gem. den aktuellen Leitlinien der Bundesärztekammer)
  • 35. 5.6 Protein C - Mangel Protein C ist ein Vitamin K abhängiges Protein, das in der Leber synthetisiert wird. Die Aktivierung des Protein C findet am sog. Thrombinvermittelt am Thrombomodulinkomplex an der Endothelzelle statt. APC stellt einen zentralen Inhibitor des Gerinnungssystems dar, der die Thrombinbildung durch Inaktivierung der Faktoren Va und VIIIa drosselt. Aufgrund der kurzen Halbwertszeit von Protein C fällt bei einer Leberfunktionsstörung der Protein C-Spiegel rasch ab. Der angeborene und erworbene Protein C-Mangel führt zu einem erhöhten Thromboserisiko. 5.6.1 Angeborener Protein C Mangel (heterozygot/homozygot): Der angeborene Protein C-Mangel wurde erstmals von Griffin 1981 beschrieben und wird auto- somal rezessiv vererbt. Die genetischen Ursachen können vielfältig sein. Grundsätzlich werden hinsichtlich der Protein C-Aktivität und -Konzentration 2 Typen unterschieden: Typ 1: Verminderung der Protein C Aktivität und Protein C Konzentration. Typ 2: Verminderung der Protein C Aktivität bei normaler Protein C Konzentration. Genetisch unterscheidet man: Heterozygote Merkmalsträger: Die klinische Manifestation eines angeborenen Protein C-Mangels kann auch innerhalb einer Familie sehr unterschiedlich sein. Bei schwerem angeborenen (oder erworbenem, s.u.) Protein-C- Mangel kann eine Purpura fulminans auftreten. Sie entsteht durch Blutgerinnsel in der Mikrozirkulation. Es folgen Blutergüsse in das Gewebe. Dermatologisch imponieren nicht- erhabene, kleine, runde, purpurfarbene Rötungen der Haut. Schwere behandlungsbedürftige Symptome sind bei Protein-C-Spiegeln unter 20 bis 25 Prozent des Protein-C-Normwertes zu erwarten. Zumeist sind für die Entstehung einer Thrombose zusätzliche Risikofaktoren erforderlich. Besonders nach Operationen oder bei septischen Prozessen wird die Thromboseentstehung begünstigt. Neben Bein- und Beckenvenenthrombose, die mit oder ohne Lungenembolie auftreten können, treten Thrombosen auch an seltenen Lokalisationen (z.B. Mesenterialvenen, Sinusvenen des Gehirns, der Pfortader oder der Retina) auf. Auch arterielle Thrombosen sind beschrieben; es kommt zuweilen zur Apoplexie bereits im jugendlichen Alter. Homozygote Merkmalsträger: Der homozygote Protein C-Mangel ist kaum mit dem Leben vereinbar und eine ausgesprochene Rarität. Wenn vorhanden, dann tritt die klinische Manifestation bereits im Neugeborenenalter als schwere Verlaufsform einer intravasalen Gerinnung (DIC) mit Purpura fulminans (disseminierte Hautnekrosen) und rezidivierenden massiven Thromboembolien auf. 5.6.2 Erworbener Protein C-Mangel: Ein erworbener Protein C-Mangel kann infolge einer Synthesestörung (Leber), eines erhöhten Proteinumsatzes (schwere Entzündungen, Infektionen) oder bei Eiweißverlust auftreten. Da Protein C ein Vitamin K-abhängiges Protein darstellt, fällt Protein C auch unter Gabe von Kumarinen (Vitamin-K-Antagonisten) ab. Die Halbwertszeit des Protein C liegt mit 10h unter der Halbwertszeit der Gerinnungsfaktoren (mit Ausnahme des Faktor VII, der allerdings auch in geringer Konzentration noch wirksam ist). Darum besteht in der initialen Phase einer Kumarinbehandlung vorübergehend eine Verschiebung des hämostatischen Gleichgewichtes in Richtung Thrombogenität, unter der es zur gefürchteten Kumarinnekrose oder Thromboembolien kommen kann. Aus diesem Grund muß der Beginn einer oralen Antikoagulation mit Kumarinderivaten unter gleichzeitiger Gabe von Heparin stattfinden, die erst bei Erreichen einer
  • 36. INR von 2,0 abgesetzt wird. Ein kongenitaler Protein-C-Mangelzustand kann unter oraler Antikoagulation nicht beurteilt werden. Selten tritt bei Patienten mit Lupus antikoagulans eine Inhibition von Protein C auf. Nachfolgend werden Ursachen für einen erworbenen Protein C- Mangel aufgeführt: Synthesestörungen: - Lebererkrankungen (verminderte Proteinsynthese) - Chronisch entzündliche Darmerkrankungen (Vit. K Resorptionsstörung + Proteinverlust) - Vitamin-K-Mangel (Vit. K abhängige Proteinsynthese) - Kumarintherapie (Vit. K Antagonist), cave: Protein C steigt nach Kumarintherapie sehr langsam (Kontrolle nach 8 – 12 Wochen). - Intoxikation mit Rattengift auf Kumarinbasis - Asparaginasetherapie - Infektionen Erhöhter Umsatz: - DIC - Postoperativ (Minimum: 3. postop. Tag mit ca. 70%, nach 7-15 Tagen Normalisierung) - Akute Thromboembolie - Polytrauma 5.6.3. Therapie des Protein-C-Mangels Bei schwerem kongenitalen Protein-C-Mangel kann eine orale Antikoagulation indiziert sein. Bei nur mäßig vermindertem Protein C sollte eine dauerhafte Antikoagulation erst nach einem idiopathischem thrombotischen Erstereignis diskutiert werden. Hierbei muß bei sehr ausgeprägtem Mangel in der Einstellungsphase ggf. Protein C (Ceprotin® ) substituiert werden, um eine Kumarinnekrose zu vermeiden. Die Gabe von Protein C kann auch zur kurzfristigen Korrektur des hämostatischen Gleichgewichtes eingesetzt werden. Die aktuellen Leitlinien der Bundesärztekammer sehen – neben der Purpura fulminans - folgende Indikationen vor: Hierbei werden initial Werte um 100% angestrebt, anschließend sollen Werte über 25% aufrechterhalten werden. 5.7 Protein S - Mangel Protein S ist ebenfalls ein Vitamin K abhängiges Leberprotein, das als Kofaktor des aktivierten Protein C (APC) die Inaktivierung der Faktoren Va und VIIIa beschleunigt. Ein Protein S-Mangel verschiebt das hämostaseologische Gleichgewicht dahingehend, dass die Gerinnungsfaktoren Va und VIIIa zu gering inaktiviert werden. Die erheblichen Schwankungen des Protein S Plasmaspiegels in Abhängigkeit verschiedener Umstände bereiten erhebliche Schwierigkeiten in der korrekten Diagnose eines Protein S-Mangels. Beispielsweise kann der Protein S-Spiegel kann in Abhängigkeit bestimmter Medikamente (z.B. Kumarine) oder unter Hormoneinfluss (Östrogene) passager vermindert sein. Hintergrund hierbei ist, dass Protein S im Plasma an die Komplementkomponente C4b gebunden ist, d.h. nur ein Teil des Protein S liegt wirklich aktiv und frei im Blut vor. Hormonelle Veränderungen führen z.B. zur Erhöhungen von C4b und dadurch zur