Wie kann die Zusammenarbeit zwischen digitalen Initiativen und Projekten mit Wohlfahrtsverbänden, Kommunen und Verwaltung besser gelingen? Um das zu verstehen, haben wir uns das Thema intersektorale Zusammenarbeit im Kontext der Integration von Geflüchteten genauer angeschaut. In diesem Impulspapier beleuchten wir, was Kooperationen und Partnerschaften über Sektoren hinweg im Bereich der Flüchtlingsintegration bislang erschwert hat und welche unterschiedliche Interessen und Bedürfnisse die verschiedenen Akteure haben.
3. Intersect 3 Einleitung
1. EINLEITUNG
Im Juni 2017 haben wir eine Studie mit dem Titel
“Digitale Wege zur Integration” veröffentlicht.
Darin haben wir die Entstehungsgeschichte
einer Landschaft digitaler Flüchtlingsprojekte
erfasst und ihr Potenzial analysiert.
Mit insgesamt 48 von 112 damals in unserer
Datenbank aufgeführten Projekten haben
wir Interviews geführt.
4. Intersect 4 Einleitung
Die Studie portraitiert die Entwicklung dieser Projekt
landschaft. Es begann mit einer Explosionsphase im
Sommer 2015, in der die meisten aller Projekte ins Leben
gerufen wurden, die aber an vielen Stellen mit Dopplungen
einhergingen, denn viele Projekte arbeiteten zeitgleich an
ähnlichen Ideen. Ab Mitte 2016 folgte eine Konsolidierung
sphase: Einige der Projekte stellten ihre Arbeit ein oder
taten sich mit anderen zusammen.
Letzteres ist eine wünschenswerte Entwicklung, denn durch
Kooperationen und Zusammenschlüsse können Ressourcen
gebündelt und potentiell die Reichweite erhöht werden.
Allerdings ist dieser Prozess auch mit Herausforderungen
verbunden. Neben der Tatsache, dass niemand gern für einen
Zusammenschluss das eigene Projekt aufgibt, in das
man monatelang alle Energie gesteckt hat, gibt es
praktische Hürden, die Kooperationen zwischen
Projekten erschweren.
Denn die Szene, die sich hier entwickelt hat, ist deutlich
heterogener ist als vermutet. Sowohl die Genese der
Projekte als auch der fachliche Hintergrund ihrer Teams
sind sehr divers. Um das zu veranschaulichen haben wir
sechs verschiedene Projekttypen entworfen, die jeweils
gemeinsame Merkmale aufweisen. Diese Typen unter
scheiden sich unter anderem in ihrer Motivation, ihrer
Arbeitskultur, ihren Finanzierungsmodellen und in ihrem
Professionalisierungsgrad. Diese Unterschiede tragen dazu
bei, dass der Austausch und die Zusammenarbeit zwischen
digitalen Projekten nicht immer glatt lief.
„Einbettung“ von digitalen Projekten
Eine weitere Schlussfolgerung unserer Studie ist, dass
digitale Projekte ihre größtmögliche Wirkung entfalten
können und eine sinnvolle Ergänzung zu bereits bestehen
den analogen Angeboten darstellen, wenn sie möglichst gut
in bestehende Strukturen eingebettet sind. Das bedeutet,
dass sie nicht nur untereinander, sondern auch mit den
etablierten Akteuren im Integrationsbereich – NGOs und
Wohlfahrtsverbänden, aber auch Behörden und Verwaltung –
Kooperationen und Partnerschaften eingehen müssen.
Digitale Ansätze alleine reichen nicht aus: Das größte
Potenzial liegt in der Verbindung von Online- und
Offline-Angeboten.
Die etablierten Akteure auf der einen und die neuen Akteure
auf der anderen Seite können hierbei voneinander profitieren:
Die Stärke der digitalen Projekte liegt insbesondere in ihrer
Innovationskraft und in den Skalierungsmöglichkeiten, die
ein digitaler Ansatz bieten kann. Sie können Versorgungs
lücken füllen und sind im Gegensatz zu analogen Angeboten
nicht an Orte und Zeiten gebunden. Umgekehrt können die
neuen Akteure viel von der Erfahrung und Expertise der
etablierten Organisationen lernen.
Was für die Projekte untereinander im Kleinen galt – dass
Vielfalt die Kommunikation und Kollaboration erschweren
kann – zeigt sich in ausgeprägterer Form und mit einem
erhöhten Komplexitätsgrad, wenn man sich alle Akteure
im Integrationsbereich anschaut: Die Organisationen sind
insgesamt sehr unterschiedlich, und das Potenzial für
Missverständnisse, Fehlkommunikation und Frust ist groß.
Dass eine stärkere sektorübergreifende Zusammenarbeit
grundsätzlich von allen begrüßt wird, ging aus zahlreichen
unserer Interviews hervor. Bereits zur Zeit der Veröffent
lichung der Studie gab es erste Beispiele, wie solche
Kooperationen in der Praxis aussehen können.
Dennoch ist bei der Verzahnung zwischen den Ansätzen
digitaler, innovativer Projekte und jenen bereits bestehen
der Hilfsorganisationen sowie der Verwaltung noch Luft
nach oben. Den bisherigen Erfolgsgeschichten standen
auch einige Beispiele gescheiterter – oder zumindest sehr
langwieriger – Versuche gegenüber, eine Kooperation auf
die Beine zu stellen.
5. Intersect 5 Einleitung
Fokus auf die intersektorale
Zusammenarbeit
Unsere zentralen Grundannahmen sind demnach erstens,
dass die verschiedenen Akteure, die im Bereich Integration
arbeiten, ihre Aktivitäten besser miteinander verzahnen
und sich als Teil eines größeren Systems begreifen sollten.
Wir plädieren im letzten Kapitel unserer Studie für einen
systemischen Ansatz, bei dem Integrationsmaßnahmen
ineinandergreifen und einander ergänzen. Zweitens gehen
wir davon aus, dass ein solcher systemischer Ansatz und
engere Zusammenarbeit über Sektoren hinweg dadurch
erschwert werden, dass die Akteure sich unter anderem
in ihren Arbeitskulturen, Wertesystemen und der Sprache
sehr stark unterscheiden.
Wir haben uns deshalb vorgenommen, uns das Thema
intersektorale Zusammenarbeit genauer anzuschauen.
Wir möchten verstehen, was Kooperationen und Partner
schaften über Sektoren hinweg bislang erschwert hat,
welche Interessen und Bedürfnisse die verschiedenen
Akteure haben und was getan werden kann, damit die
Zusammenarbeit künftig besser gelingt. Wir fragen uns
also: Was unterscheidet die verschiedenen Akteure von
einander, welche Hürden stehen Kooperationen im Weg?
Und welche potenziellen Synergien können durch verstärkte
Zusammenarbeit entstehen? Aus unseren Erkenntnissen
möchten wir eine Art Übersetzungshilfe entwerfen, die
intersektorale Kooperationen in Zukunft erleichtert und
das gegenseitige Verständnis erhöht.
Unsere Methodik
Für die Studie “Digitale Wege zur Integration“ hatten
wir vor allem mit digitalen Projekten gesprochen. Jetzt
wollten wir die andere Seite, also Behörden, Verwaltung
und Wohlfahrtsverbände stärker zu Wort kommen lassen
und ihre Einschätzung zu gelungener intersektoraler
Zusammenarbeit hören.
Neben Interviews und dem Besuch einiger relevanter
Veranstaltungen, haben wir uns aber auch auf theoretischer
Ebene mit intersektoraler Zusammenarbeit, systemischen
Ansätzen und der Bedeutung verschiedener Arbeitskulturen
und -Kontexte befasst. Auf Basis dieser theoretischen
Ansätze haben wir eine Umfrage erstellt, durch die wir
ermitteln wollen, wie sich die Arbeitskontexte, Strukturen,
Abläufe und Wertesysteme der verschiedenen AkteurInnen
unterscheiden. Daraus möchten wir Erkenntnisse über
Hürden bei der Zusammenarbeit ableiten. Erste Ergebnisse
sind auch in dieses Thesenpapier eingeflossen.
Schließlich haben wir neben Einzelgesprächen auch ein
Zusammentreffen zwischen verschiedenen AkteurInnen
aus dem Bereich der Flüchtlingsintegration (digitale
Projekte, VertreterInnen aus Verwaltung, Kommunen
und Wohlfahrtsverbänden u.a.) organisiert, um gemein
sam über Potenziale und mögliche Hürden bei der
Zusammenarbeit zu sprechen.
In diesem Impulspapier fassen wir unsere ersten Erkennt
nisse und Thesen zusammen. In den kommenden Monaten
werden wir diesen Fragen weiter nachgehen.
6. Intersect 6 Einführung in die Theorie
2. EINFÜHRUNG
IN DIE THEORIE
Sowohl empirisch als auch intuitiv ist offensichtlich,
dass ein digitales Sozialunternehmen, eine Kommune
und ein Nachbarschaftsverein völlig unterschiedliche
Arbeitsweisen und Strukturen haben. Wir benötigen
jedoch einen theoretischen Rahmen, anhand dessen
wir diese Unterschiede einordnen können. Erst dann
können wir auf systemische Weise verstehen, welche
Auswirkungen diese auf die Zusammenarbeit haben.
7. Intersect 7 Einführung in die Theorie
Spiral Dynamics®
:
Eine kurze Einführung
Als theoretische Grundlage diente uns „Spiral Dynamics“®
.
Dies ist eine Theorie, die 1996 zum ersten Mal von den
Psychologen Don Beck und Chris Cowan in ihrem gleich
namigen Buch formuliert wurde und sich stark auf die
Forschung der Psychologin Clare W. Graves aus den 1960er
bis 70er Jahren bezieht.
Die Theorie beschreibt ein Spektrum möglicher „Bewusst
seinsmodi“, in denen sich eine Person befinden kann. Dazu
wird in Spiral Dynamics jeder Bewusstseinsmodus mit
einer Farbe gekennzeichnet. Das dient der Kategorisierung
verschiedener psychologischer Typen. An der Farbe, die
einer Person zugeordnet ist, orientieren sich deren Werte,
Verhalten und Weltanschauung.
Diese Ideen beziehen sich nicht nur auf Einzelpersonen.
Durch die Arbeit von Beck und Cowan und anderen
DenkerInnen wie Ken Wilber wurde klar, was es auf
gesellschaftlicher Ebene bedeutet, wenn eine Bevölker
ung überwiegend aus einer bestimmten „Farbe“
heraus agiert. Was bedeutet dies für die geteilten Werte
dieser Gesellschaft? Und was sagt das darüber aus, welche
Strukturen und welches Verhalten daraus entstehen?
In den letzten Jahren bestand ein zunehmendes Interesse
daran, die Prinzipien von Spiral Dynamics auf die Orga
nisationsebene zu übertragen. Der belgische Forscher
Frederic Laloux hat 2014 mit seinem Buch Reinventing
Organizations große Aufmerksamkeit erregt. Darin hat er
beschrieben, wie auch Organisationen – ob multinationale
Unternehmen, staatliche Behörden, Nachbarschaftsver
eine, die Kirche oder die Mafia – durch ein solches Farb
modell analysiert werden können und wie die jeweiligen
Arbeitsweisen weitgehend bestimmten Farben zugeordnet
werden können.
Eine internationale Community ist inzwischen entstanden,
die sich mit Laloux’ Ideen und deren Umsetzung ausein
andersetzt. Immer mehr OrganisationsentwicklerInnen,
Coaches und UnternehmensberaterInnen bringen diese
Prinzipien in ihre Klientenarbeit ein.
In einem vom Bundesministerium für Bildung und For
schung geförderten Projekt haben ForscherInnen der imu
augsburg GmbH (in Zusammenarbeit mit weiteren Part
nern) ein „Integrales Kompetenzmodell“ entwickelt, dass
die Werte und Kompetenzen der unterschiedlichen Farben
formuliert und miteinander vergleicht.
In den letzten Jahren wurde viel über die Eigenschaften
von Organisationen in den unterschiedlichen „Farben“
geschrieben. Eine Dimension, die aber bisher wenig the
matisiert wurde, ist die Interaktion zwischen den Organi
sationen. Wenn zum Beispiel eine blaue Organisation auf
eine grüne stößt: Welche Synergiepotenziale, aber eben
auch Spannungen können entstehen? Diese Dimension der
Zusammenarbeit zwischen Organisationen steht in unserer
Arbeit im Vordergrund.
8. Intersect 8 Einführung in die Theorie
Blau, orange, grün
In der Literatur werden Spektren zwischen fünf bis
acht Farben beschrieben. Wir beziehen uns hier auf
drei davon – und zwar auf die drei Farben, die bei den
meisten Organisationen im Bereich der Integration von
Geflüchteten dominieren.
Bei dieser Kategorisierung geht es nicht um eine Wer
tung. Keine Farbe ist inhärent besser als die andere. Man
könnte auch sagen: Die Farben haben alle unterschiedliche
Stärken und Schwächen. Welcher Ansatz für welche Or
ganisation besser geeignet ist, ist deshalb stark situations
abhängig und subjektiv.
Die Antwort auf die Frage „Welchem Farbtyp entspricht
Organisation XY?“ ist nicht eindeutig. Die Farben beschrei
ben Idealtypen; die gelebte Realität von Menschen und
Organisationen ist deutlich komplexer. In der Praxis findet
man oft Mischformen. Eine Organisation kann so in einer
Hinsicht orange und in anderer grün sein; eine weitere
Organisation mag überwiegend blau agieren, aber in
besonderen Situationen zu Orange tendieren.
Insofern ist es meist irreführend, eine Organisation per se
als orange oder blau zu bezeichnen. Die Theorie ermöglicht
es uns aber, ein gemeinsames Verständnis über die Eigen
schaften, Werte oder das Verhalten einer Organisation zu
entwickeln, um zu verstehen, welche Dynamiken daraus
entstehen können.
Spiral Dynamics im
Integrationsbereich
In Anlehnung an das oben genannte „Integrale Kompetenz
modell“ haben wir eine digitale Umfrage entwickelt, die es
uns ermöglicht, AkteurInnen im Bereich der Flüchtlings
integration nach dem Farbenmodell von Spiral Dynamics
einzuordnen. Diese digitalen Umfragen werden wir in den
nächsten Monaten weiter intensivieren, um belastbare Aus
sagen über die jeweilige Akteursgruppe treffen zu können.
Im Folgenden haben wir anhand der bestehenden Literatur
und aus unseren qualitativ gesammelten Erkenntnissen
Thesen entwickelt, die durch die quantitativen Daten aus
den Umfragen ergänzt und bestätigt oder doch in Frage
gestellt werden.
Staatliche Institutionen sind in der Regel recht blau. Das
geht mit den rechtlichen Anforderungen einher, denen sie
verpflichtet sind. Beispiele für Akteursgruppen aus dem In
tegrationskontext wären u.a. das Bundesamt für Migration
und Flüchtlinge (BAMF) oder die Bundesagentur für Arbeit
(BA). Die Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten auf
Landes- und Kommunalebene sind regional unterschiedlich.
Trotzdem erwarten wir, dass all diese meist blau agieren.
Die meisten privatwirtschaftlichen Unternehmen oszillieren
heute im orangen Bereich. Mehrere Firmen in Deutschland
haben sich seit 2015 in irgendeiner Form für die Integration
von Geflüchteten eingesetzt – etwa durch finanzielle Unter
stützung von Projekten oder durch Programme, um Arbeits-
oder Praktikumsplätze für Geflüchtete bereitzustellen.
In der Zivilgesellschaft ist das Bild etwas gemischter. Bei
Nachbarschaftsvereinen und anderen kleineren Organi
sationen, bei denen freiwilliges Engagement eine zentrale
Rolle spielt, findet man meistens grüne Organisations
formen. Aus unserer Typologie von digitalen Projekten
würden wir die „Hacker“ und die „AktivistInnen“ als über
wiegend grün betrachten.
Die großen und etablierten Wohlfahrtsverbände haben dank
ihrer Größe – und oft auch durch ihren Umgang mit staatli
cher Förderung und der entsprechenden Bürokratie – feste
Strukturen und Prozesse entwickelt, die eher blau agieren.
Dank der Tendenz der letzten 10-15 Jahre, mehr unterneh
merisches Denken in den sozialen Sektor zu bringen, gibt es
auch einige zivilgesellschaftliche AkteurInnen und soziale Pro
jekte, die in ihrem Ansatz relativ orange sind. Dazu gehören
unsere Kategorien „SozialunternehmerInnen“ und „Profis“.
9. Intersect 9 Einleitung
BLAU
Die Farbe Blau beschreibt ein System, in dem Regeln, Ordnung und Stabilität dominieren. In blauen Organisationen
gibt es feste Hierarchien mit klar definierten Rollen für jede/n MitarbeiterIn und ebenso klare Prozesse,
Entscheidungswege und Dokumentationen. Es handelt sich häufig um große, etablierte Organisationen wie etwa
Ministerien, Armeen oder die älteren christlichen Kirchen.
Stärken
Klar geregelte Strukturen ermöglichen blauen
Organisationen, über längere Zeit sehr stabil,
rechenschaftspflichtig und unabhängig von
Einzelpersonen zu bestehen.
Schwächen
Festgefahrene Strukturen führen dazu, dass blaue
Organisationen meistens nicht besonders agil,
anpassungsfähig oder innovativ sind.
ORANGE
Ein oranges System ist ergebnisorientiert: Leistung hat den höchsten Wert. Orange Organisationen folgen einer
kapitalistischen Logik: Es geht um den optimalen Einsatz von Ressourcen (inklusive MitarbeiterInnen), um Output
und Effizienz zu maximieren. Orange Organisationen agieren pragmatisch und sind auch veränderungsbereit, wenn
dies von Vorteil ist. Die meisten größeren Unternehmen sind heutzutage überwiegend orange.
Stärken
Klare Ziele, verbunden mit der Betonung von
Meritokratie und Anpassungsfähigkeit, können orange
Organisationen sehr leistungsstark machen.
Schwächen
Ein enger Fokus auf Leistung kann zu Lasten der
MitarbeiterInnen gehen. Auch besteht die Gefahr,
Auswirkungen auf die breite Gesellschaft oder auf
die Umwelt zu vernachlässigen.
GRÜN
Im grünen Wertesystem stehen Vielfalt, Harmonie und Empowerment im Zentrum. Diversen Meinungen wird
respektvoll zugehört. In grünen Organisationen werden traditionelle Hierarchien oft abgelehnt. Stattdessen werden
Entscheidungen auf Basis breiteren Konsenses getroffen. Grüne Organisationsformen sind oft in Aktivistenkreisen
und sozialen Organisationen zu finden, aber auch zunehmend in Firmen.
Stärken
Grüne Organisationen können Interessen von diversen
Stakeholdern beachten, MitarbeiterInnen sind oft
intrinsisch hoch motiviert.
Schwächen
Grüne Organisationen legen sehr viel Wert auf
Partizipation und Konsens. Dies kann zu sehr langsa
mer Entscheidungsfindung oder schließlich Lähmung
führen.
10. The Emergence of the “Digital Refugee Scene”Intersect 10 Die intersektorale Zusammenarbeit: bisherige Erfahrungen und Thesen
3. DIE INTERSEKTORALE
ZUSAMMENARBEIT:
BISHERIGE ERFAHRUNGEN
UND THESEN
Im Zentrum unserer Arbeit stehen folgende Fragen:
Was passiert, wenn die diversen im Integrationsbereich
tätigen Organisationen versuchen, zusammen zu
arbeiten? Welche Faktoren und Dynamiken können
dem im Wege stehen? Wie können Kooperationen
besser gelingen?
11. The Emergence of the “Digital Refugee Scene”Intersect 11 Die intersektorale Zusammenarbeit: bisherige Erfahrungen und Thesen
Zum Thema Partnerschaften und Kooperationen hat
jede Organisation ihre eigene Vorstellungen, Bedürfnisse
und Interessen. Manche Konstellationen erscheinen
schlicht inkompatibel. Wir glauben, dass zukünftig (mehr)
Kooperationen nicht nur möglich, sondern auch notwendig
und gewinnbringend sind. Wenn aber unterschiedliche
Einstellungen zwischen den jeweiligen Organisationen
überbrückt werden müssen, braucht es hierfür besseres
gegenseitiges Verständnis.
Die Arbeitslogiken, Bedürfnisse und Interessen einer
Organisation sind grundsätzlich mit ihren Strukturen und
Werten verbunden. Deswegen kann unser Farbenmodell
uns dabei helfen, diese Bedürfnisse besser zu beleuchten,
mögliche Missverständnisse zu antizipieren und zu
erklären. Verschiedene Wertvorstellungen können
beispielsweise dazu führen, dass jemand sein Gegenüber
falsch einschätzt und nicht versteht, was dem anderen
wichtig ist und warum.
Einige Zitate in den folgenden Abschnitten sollen dies
verdeutlichen. Sie stammen von MitarbeiterInnen aus
verschiedenen Organisationen, mit denen wir gesprochen
haben. Vieles dazu wurde im Rahmen unseres Roundtables
Anfang Dezember in Berlin gesagt und von uns gesammelt.
Wir haben die Erzählungen anonymisiert, da es nicht
Sinn und Zweck ist, auf Erfolge und Misserfolge bei
Kooperationsversuchen zwischen einzelnen Organisationen
einzugehen. Wir möchten vielmehr ein besseres Verständ
nis für allgemeine Muster des Systems entwickeln.
KOMPLEXITÄT
TRANSPARENZ
Wie anfangs erwähnt plädieren wir dafür, dass
neue Initiativen und Projekte besser in bestehende
Strukturen im Integrationsbereich eingebettet werden
müssen, um sich zu stabilisieren und ihr volles
Potenzial zu entfalten. Sowohl unsere Interviews als
auch Redebeiträge bei Veranstaltungen und unserem
Roundtable haben allerdings gezeigt, dass die staatlich
geregelten Zuständigkeiten, Befugnisse und Verfahren der
Integrationsmaßnahmen einen zu hohen Komplexitätsgrad
aufweisen und sich der Einstieg für Außenstehende
dadurch äußerst schwer gestaltet
So war etwa beim Zukunftskongress Migration und
Integration, der im September 2017 in Berlin stattfand,
von Seiten der Kommunen die Rede von „übermäßiger
Komplexität” und der Notwendigkeit von „schlankeren
Prozessen” sowie einer „Deregulierung von Maßnahmen”.
Der Informationsaustausch zwischen Bund, Ländern
und Kommunen müsse besser funktionieren und den
Kommunen insgesamt mehr Handlungsspielraum und
Flexibilität zugestanden werden. Denn die Bundesebene
wisse oft nicht, was die Kommunen brauchen.
Es fehlt bei den neuen Projekten also zunächst einmal
das grundlegende Wissen darüber, wie die Prozesse
funktionieren. Das trifft sowohl auf die Funktionsweise der
öffentlichen Verwaltung als auch die Entscheidungswege
innerhalb von Wohlfahrtsverbänden zu. Es mangelt nicht
nur an Kapazitäten, sich dieses Wissen anzueignen, die
nötigen Informationen sind nicht leicht – und manchmal
auch gar nicht – zu finden.
Mehrmals wurde uns gegenüber der Wunsch nach mehr
Transparenz und festen AnsprechpartnerInnen geäußert.
„Man blickt einfach nicht durch und weiß nicht, wen man
fragen soll”, berichtet uns ein Projektleiter. „Uns fehlen
auch die Kapazitäten, das zu durchdringen.”
12. Intersect 12 Die intersektorale Zusammenarbeit: bisherige Erfahrungen und Thesen
VertreterInnen aus Behörden, der Verwaltung oder
Wohlfahrtsverbänden berichten Ähnliches: Eine
Mitarbeiterin eines Bezirksamts erzählt uns, dass sich
auch Behörden untereinander teilweise nicht kennen
oder über ihre jeweiligen Befugnisse Bescheid wissen.
So kommt es dann zu Situationen, die uns ein Projektleiter
als „Bermuda-Dreieck“ der Zuständigkeiten beschreibt:
„Am Ende blickt keiner mehr durch.“
Hier treffen also die von uns zuvor in Farben beschrie
benen Systeme aufeinander. Die überwiegend blauen
Behörden und Wohlfahrtsverbände treffen auf stark orange
geprägte, unternehmerische Start-ups, die sich von den
Vorgaben gebremst sehen und sie für äußerst ineffizient
halten. „Wir haben gelernt nicht mehr in Räume zu gehen,
in denen Regeln gelten, die wir nicht beeinflussen können“,
fasst dies ein Projektleiter in einem Interview zusammen.
Grüne, zivilgesellschaftliche Initiativen, die sich oft auf
ihre Vision berufen, sehen in den vielen Hürden und
Reglementierungen vor allem Hindernisse, die ihnen
in den Weg gelegt werden.
Wenn es also um die Frage der Zusammenarbeit zwischen
etablierten Akteuren und innovativen Projekten geht,
scheinen Interesse und Bereitschaft grundsätzlich zwar
auf beiden Seiten vorhanden zu sein, doch komplexe
Verfahren und mangelnde Transparenz führen weiterhin
zu vielen Einschränkungen.
Um die notwendigen Navigationshilfen für das büro
kratische System zur Verfügung zu stellen, müssen
Transparenz und ein einfacher Zugang zu Informationen
gewährleistet sein. Langfristig wird das ganze System
aber vereinfacht werden müssen, um mehr Raum für
Agilität und Innovationskraft zu schaffen. Dafür wurde
auch seitens der Kommunen beim bereits erwähnten
Zukunftskongress plädiert. Es müsse mehr Raum für
„unkonventionelle Ansätze“ geben und weniger in strengen
Abfolgen von Schritten gedacht werden.
Dieser Raum könnte so beispielsweise von innovativen
Akteuren genutzt werden, um neue Impulse zu setzen.
Das hohe Maß an Komplexität der Verfahren und die
straffen Regularien verhindern aber offenbar bislang,
dass sie diesen Raum erhalten.
NETZWERKE UND
EXKLUSIVITÄT
In unseren Gesprächen wurde uns von allen Seiten zu
getragen, dass insbesondere persönliche Kontakte eine
Rolle spielen, wenn es darum geht, Partnerschaften und
Kooperationen zwischen Organisationen aufzubauen.
Die digitalen Projekte, die besonders erfolgreich beim
Aufbau verschiedener Partnerschaften sind, betonen, wie
wichtig dabei direkte Beziehungen zu Personen innerhalb
der Partnerorganisation waren. Ähnliches merkten
VertreterInnen von Wohlfahrtsverbänden und Behörden an.
Es scheint also breiter Konsens zu sein, dass das
persönliche Netzwerk für die Zusammenarbeit ent
scheidend ist. Diese Tatsache kann sich aber für einige
unbequem anfühlen. Eine Gesprächspartnerin aus der
Verwaltung meint, dass „selbst bei uns, wo man es nicht
denken würde,“ persönliche Kontakte eine große Rolle
spielen. Der Kommentar weist darauf hin, dass diese
persönliche Dimension in einem Spannungsverhältnis
zu den blauen Grundprinzipien einer Behörde steht.
Denn in ihren formalisierten Strukturen gibt es keinen
offiziellen Raum für solche informellen Wege.
Die Exklusivität, die so entsteht, ist problematisch
und in manchen Fällen unzulässig.
13. Intersect 13 Die intersektorale Zusammenarbeit: bisherige Erfahrungen und Thesen
„Exklusivität“ war ein weiteres Stichwort bei unserem
Roundtable, allerdings in einem anderen Zusammenhang.
Die Mitgründerin eines digitalen Projekts beschwerte
sich über den LAGeSo-Roundtable. Diese Runde – wir
beschreiben sie auf Seite 22 unserer Studie Digitale
Wege zur Integration – bestand aus VertreterInnen
verschiedener digitaler Projekte und traf sich mehrmals
im Frühjahr und Sommer 2016. Grund der Beschwerde
war, dass das Zustandekommen der Gruppe nicht
transparent gewesen sei, da man nur über persönliche
Kontakte Teil dieser Runde werden konnte. Diese Kritik
entspringt aus einer eher grünen Haltung, nach der jedem
die gleichen Chancen auf Teilhabe zustehen sollten.
Es besteht also einerseits Konsens darüber, dass
persönliche Netzwerke sehr wichtig sind. Andererseits
führt die Exklusivität eines Netzwerkes gleichzeitig zu
potenziellen Spannungen. Dies korreliert mit einem blauen
Wertesystem, das dies zu informell findet, während ein
grünes Wertesystem dies als unfair bewertet. Von den
drei Farbgruppen hat lediglich Orange kein Problem mit
solcher Exklusivität als Mittel zum Zweck.
GLAUBWÜRDIGKEIT
UND VERTRAUEN
Die MitarbeiterInnen vieler digitaler Projekte berichten
von reichlich Frust, wenn es darum geht, Kooperationen
und Partnerschaften mit etablierten Organisationen
aufzubauen. Sie klagten diesbezüglich über komplizierte
Antragsverfahren und langwierige Anbahnungsprozesse.
Dieser Frust ist durchaus nachvollziehbar. Die
Erklärungsversuche seitens der Behörden und
Wohlfahrtsverbände leuchten allerdings ebenso ein.
Das plötzliche Aufkommen dutzender neuer Projekte,
die alle auf der Suche nach Kooperationspartnern
und Fördergeldern waren, stellte für die etablierten
Organisationen eine Überforderung dar. Weder hatten
sie die Kapazitäten noch die nötigen Informationen,
um einschätzen zu können, welche Projekte für eine
Zusammenarbeit infrage kommen könnten.
Einigen der Projekte mangelte es aus Sicht der Organi-
sationen auch an der nötigen Professionalität und
Expertise. „Jeder Antrag auf Förderung sollte ebenso
sorgfältig vorbereitet werden wie eine Bewerbung auf eine
neue Stelle“, so die Mitarbeiterin einer Bundesbehörde.
Zu oft bekomme sie Anträge, die voller Fehler und
schlecht vorbereitet seien. Ähnlich klingt der Bericht einer
Mitarbeiterin eines Wohlfahrtsverbandes. Sie erzählt von
zahlreichen Anfragen digitaler Projekte, die aus ihrer Sicht
schlecht konzipiert waren und zudem die Zielgruppe nicht
ausreichend eingebunden hatten.
Der meisterwähnte Begriff in diesem Zusammenhang ist
„Vertrauen“. Vertrauen ist eine essenzielle Voraussetzung
für gelungene Zusammenarbeit und wird offenbar primär
auf einer zwischenmenschlichen Ebene etabliert.
Ein guter Kontakt kann einer Art Validierung gleich
kommen und den Zugang zu anderen Akteuren erleichtern.
So berichteten MitarbeiterInnen eines digitalen Projekts,
dass die Zusammenarbeit mit einer Behörde direkt
zu Folgeaufträgen geführt und sich daraus eine Art
Schneeballeffekt entwickelt habe.
14. Intersect 14 Die intersektorale Zusammenarbeit: bisherige Erfahrungen und Thesen
Das Thema Validierung kommt aber auch an anderer
Stelle zum Tragen. So erklärte die Mitarbeiterin einer
Beratungsstelle, dass sie nicht ohne Weiteres in ihrer
Beratung auf digitale Informationsangebote verweisen
könne, ohne vorher jeden einzelnen Inhalt auf seine
Qualität überprüft zu haben. Die Menschen, die zu ihr
kämen, müssten darauf vertrauen können, dass sie nur
geprüfte Informationen weitergibt. Man könne sich aber
schließlich „nicht durch alles durchklicken und dann
sagen, ja, die Informationen stimmen“.
Auch umgekehrt sind Fehlinformationen ein
spannungsreiches Thema. So berichteten uns gleich
mehrere Beratungsstellen, sie seien ungefragt mit ihren
Angeboten in Online-Datenbanken aufgenommen und
dabei teilweise völlig falsch beschrieben worden. Das sei
problematisch, da Menschen dadurch in die Irre geführt
würden und sie selbst zudem keinen Einfluss mehr auf
die Verbreitung der Informationen haben. Wer übersetzt
diese Information, und wer übernimmt die Verantwortung,
wenn sich durch die Übersetzung weitere Fehler
einschleichen?
Hier treffen wieder unterschiedliche Haltungen aufein
ander. Dem Wunsch der blauen Wohlfahrtsverbände, dass
bestimmte Qualitätsstandards und Abläufe eingehalten
werden, stehen die eher orange geprägten Start-Ups
gegenüber, die lieber schnell ein Produkt auf den Markt
bringen und es dann nach und nach verbessern, ohne sich
allzu lange mit möglichen Risiken aufzuhalten.
FINANZIERUNG
UND KONKURRENZ
„Bei Geld hört die Freundschaft auf“, so lautet eine
Redewendung. Auch die Herausforderungen und
Stolpersteine, die unsere GesprächspartnerInnen
hinsichtlich der intersektoralen Zusammenarbeit
identifizierten, waren häufig mit dem Thema
Finanzierung verbunden.
Als wir für die Studie Digitale Wege zur Integration
geforscht haben, hörten wir von fast jedem digitalen
Projekt, das Geld sei knapp, es gebe nicht genug
Finanzierungsquellen. Während der Recherche wurde uns
aber von anderen Akteuren – von der Verwaltung und
der Politik – ein ganz anderes Bild vermittelt: Es mangele
nicht an Geldern, Fördermittel würden ausreichend
zur Verfügung stehen, digitale Projekte und andere
innovative Akteure würden nur schwerer an diese
Gelder herankommen.
Die Gründe dafür sind vielfältig. Scheinbar hakt es aber
nicht daran, dass nicht genug öffentliche Mittel vorhanden
sind, sondern daran, wie und an wen sie vergeben werden.
Wenn eine öffentliche Institution eine andere Initiative
finanziell unterstützen möchte, greift das Vergaberecht.
Diese Komplexitätssteigerung führt dazu, dass manch
vielversprechende Kooperationen nie zustande kommen. Ein
Beispiel: Eine Gesprächspartnerin hat ein digitales Projekt
mitentwickelt, bei dem eine Behörde beteiligter Partner war.
Diese Beteiligung auf konzeptioneller und inhaltlicher Ebene
sei nur deshalb möglich gewesen, weil alle anderen Partner
ihre Kosten selber getragen haben. Wäre eine Förderung
notwendig gewesen, hätten die entsprechenden Prozesse
den Projektverlauf so sehr gebremst, dass das Projekt
schließlich nicht mehr umsetzbar gewesen wäre.
Förderungen unter Vergaberechtskriterien korrelierten mit
der Agilität und der Geschwindigkeit eines dynamischen
Themas wie der Integration von Geflüchteten. Aber nicht
nur das: Je nach Fördertopf gelten andere rechtliche
Voraussetzungen und andere Anforderungen. Ein
Gesprächspartner aus einem Wohlfahrtsverband erzählt,
wie digitale Projekte und andere kleinere Initiativen
15. Intersect 15 Die intersektorale Zusammenarbeit: bisherige Erfahrungen und Thesen
auf seine Organisation mit einer Partnerschaftsanfrage
zugekommen seien, weil eine gemeinnützige Rechts
form Voraussetzung einer bestimmten Fördermittel
ausschreibung war.
Wir haben schon darauf hingewiesen, wie der Mangel an
Kapazitäten und entsprechender Expertise auf Seiten vieler
neuer Akteure den Zugang zu öffentlichen Fördermitteln
erschwert oder gar unmöglich macht. Stattdessen gehen
Fördergelder aus der öffentlichen Hand meist an etablierte
Trägerorganisationen mit viel Erfahrung bei der Verwal
tung solcher Gelder.
Zwei GesprächspartnerInnen haben uns bestätigt,
dass dabei innerhalb dieser Trägerorganisationen eine
bedauerliche Dynamik entstehe. Eine Gesprächspartnerin
aus der Politik kommentierte, dass diese Organisationen
zwar viel gute Arbeit bezüglich des Bedarfs der
Geflüchteten leisten. Gleichzeitig sei es aber nicht in
ihrem Interesse, diesen Bedarf zu minimieren, denn
mit dem Ende des Bedarfs würde würde eine essenzielle
Finanzierungsquelle wegfallen. Ein Gesprächspartner aus
der Verwaltung auf Landesebene wählte noch drastischere
Worte: So seien die großen Trägerorganisationen
hauptsächlich daran interessiert, ihre bestehenden
Strukturen und Tätigkeiten nachhaltig zu finanzieren,
was dagegen spreche, bestimmte Abläufe oder das System
nachhaltig verändern zu wollen. Hier soll kein böser Wille
unterstellt werden. Hilfreicher ist, die Situation anhand
des Farbenmodells von Spiral Dynamics zu interpretieren:
Eine überwiegend blaue Organisation agiert hier innerhalb
von blau geprägten Förderprozessen. In dieser Dynamik ist
Erhalt von Stabilität der höchste Wert, auf den das System
hinarbeitet. Die Kehrseite davon ist oft Trägheit verbunden
mit wenig Raum für Neues.
Aber Finanzierung für die Integrationsarbeit kommt
neben der staatlichen Förderung auch aus andersfarbigen
Quellen. Viele Unternehmen, Unternehmensstiftungen
und Philanthropen bringen ein eher oranges, unter
nehmerisches Denken in ihr soziales Engagement. Das
manifestiert sich unter anderem in einem ausgeprägten
Fokus auf quantitative Wirkungsanalyse und Effizienz,
was wiederum mit etablierten und verhältnismäßig blauen
Organisationen Spannung erzeugen kann: Ein Vertreter
eines Wohlfahrtsverbands erzählt, wie ein wohlhabender
Philanthrop die Organisation finanziell unterstützen wollte,
dabei aber Daten über Leistungen und Ergebnisse sehen
wollte, welche die Organisation nicht erheben konnte.
Bezeichnend für ein orange geprägtes Wertesystem ist
eine Affinität mit der Konkurrenz. Der orange Wert
des Leistungsprinzips kann gut damit leben, dass
eine Konkurrenzsituation dann entsteht, wenn viele
Organisationen auf begrenzte Mittel zugreifen wollen.
Die Steigerung dieser orangefarbenen Logik ist, diese
Konkurrenz-Dimension explizit in Wettbewerben
für Integrationsprojekte mit Gewinnern und Preisen
auszuleben. In vielen Fällen sind die Gewinnerprojekte
auch diejenigen, die selbst tendenziell orange agieren –
also vor allem soziale Unternehmen.
Für das grüne Wertesystem, das Harmonie und
Vielfalt priorisiert, ist diese Konkurrenzsituation
etwas befremdlich. Unsere Empfehlungen hier sind
mit der grünen Perspektive durchaus vereinbar:
Finanzierungsstrukturen und -mechanismen sollen
nicht nur die Konkurrenz, sondern vor allem die
Zusammenarbeit fördern, was dazu führt, dass nicht
nur einzelne Initiativen, sondern das System als Ganzes
gestärkt wird.
16. Intersect 16 Die intersektorale Zusammenarbeit: bisherige Erfahrungen und Thesen
4. AUSBLICK
Die Integration von Geflüchteten in Deutschland befindet
sich in einer entscheidenden Phase. Inzwischen bekommt
das Thema zwar weniger mediale Aufmerksamkeit (im
Vergleich zu 2015 und 2016) und es hat zumindest den
Anschein, als seien die staatlichen und zivilgesellschaftlichen
Strukturen nicht mehr so stark überlastet. Die Menschen,
die in jener Zeit nach Deutschland gekommen sind, in
die Gesellschaft – und dies vor allem mit einer positiven,
inklusiven und offenen Vision von Integration – mit
einzubeziehen, bedarf allerdings noch deutlich mehr
Arbeit. Es handelt sich hierbei um einen gemeinschaftlichen
Prozess, bei dem sich nicht eine Seite in bestehende
Strukturen integriert, sondern vielmehr gemeinsam etwas
Neues gestaltet wird. Gleichzeitig müssen wir jetzt überlegen,
wie das System als Ganzes effektiver und resilienter
funktionieren kann. Die sogenannte „Flüchtlingskrise“ gibt
uns jetzt die Chance, Integration in Deutschland neu und
besser zu denken und zu gestalten.
17. Intersect 17 Die intersektorale Zusammenarbeit: bisherige Erfahrungen und Thesen
Wie bereits erwähnt, empfinden wir dabei die intensivere
Verzahnung und die gelungene Zusammenarbeit zwischen
den sehr diversen Akteuren, die in diesem Bereich aktiv
sind, als zentral. Das bedeutet auch ein besseres Ver
ständnis für ihre jeweiligen Stärken und Schwächen
zu entwickeln, um Synergieeffekte zu identifizieren.
Um diese Synergien auch zu nutzen, erfordert es
Bemühungen auf allen Seiten. Eine grundsätzliche
Offenheit dafür scheint vorhanden: In neuen, sowie
etablierten Organisationen in digitalen Projekten, als
auch Projekten mit geringem Digitalbezug, erkennen
Menschen die Notwendigkeit dieser Entwicklung.
Einige der Voraussetzungen wie auch Maßnahmen,
die intersektorale Zusammenarbeit fördern können,
ergeben sich quasi von selbst. Wenn sich die Landschaft
digitaler Projekte konsolidiert und professionalisiert,
werden Partnerschaften mit etablierten Akteuren aus
dem öffentlichen Sektor (z.B. Behörden, Kommunen,
Bundesministerien) und der Zivilgesellschaft (Wohl
fahrtsverbänden und größeren NGOs) immer selbst
verständlicher. Weitere wichtige Treiber wären die Adap
tierung oder Entwicklung von Finanzierungsmodellen
für die speziellen Bedürfnisse solcher Projekte sowie
mehr Transparenz und Navigationshilfe in den
bestehenden Strukturen.
Mindestens genauso wichtig aber ist es, die „weicheren
Faktoren“, die wir in diesem Papier skizziert haben, bei
einer Verbesserung der intersektoralen Zusammenarbeit
zu bedenken.
Die gelungene Zusammenarbeit erfordert gegenseitiges
Verständnis, Empathie und den Willen zur Multiper
spektivität. Wir hoffen, dass das hier beschriebene Spiral
Dynamics-Modell sowohl dabei hilft, die Natur, Logik und
Interessen von potenziellen Partnerorganisationen besser
nachzuvollziehen, als auch die eigene Organisation
zu reflektieren.
Unser Ziel als betterplace lab ist es dabei, auch in den
kommenden Monaten durch diese Art Übersetzungs
leistung zu besserer Verzahnung und gelungener
Zusammenarbeit beizutragen, um nachhaltiges Wirken
zu ermöglichen.
18. ÜBER DAS BETTERPLACE LAB
Als Deutschlands erstes digital-soziales Forschungsinstitut analysiert das betterplace lab diese Innovationen und beschreibt
kommende Trends im betterplace trendradar. Mal vom Berliner Bürostuhl aus, mal während der Feldforschung auf einer
indischen WIFI-Rikscha hockend. Darüber hinaus vergleicht das betterplace lab mit dem NGO-Meter die Leistungsfähigkeit
von Online Fundraising, erstellt kenntnisreiche Studien, hält inspirierende Vorträge und veranstaltet jährlich die coolste
Konferenz an der Schnittstelle zwischen Innovation und Gemeinwohl, das betterplace labtogether. Unser Hintergrund:
Der „Think-and-do-Tank“ betterplace lab wurde 2010 gegründet und ist Teil der gut.org gemeinnützige Aktiengesellschaft,
die auch betterplace.org betreibt, Deutschlands größte Online-Spendenplattform.
Impressum
Herausgeber
gut.org gemeinnützige Aktiengesellschaft
Schlesische Straße 26
10997 Berlin
AutorInnen
Ben Mason, Lavinia Schwedersky
Redaktion
Isabel Gahren
Design, Grafik Layout
Rico Reinhold
Lektorat
Maren Mittentzwey
19. The Emergence of the “Digital Refugee Scene”Intersect 19
Gefördert durch:
aufgrund eines Beschlusses
des Deutschen Bundestages