Keynote anlässlich der Tagung "Videos in der Hochschullehre" am 12. Februar 2019 an der Universität Worms:
360-Grad-Video Technologien eröffnen substantiell neue Möglichkeiten für die Visualisierung von Handlungen, die Vermittlung eines Raumerlebens und die Situierung komplexer Geschehen, indem das Umfeld in alle Richtungen und Ebenen aufgenommen werden kann. Dabei verlieren im Kontext „klassischer“ Videoformate gelernte Gestaltungsaspekte (z.B. Einstellungsgrößen) an Bedeutung oder lassen sich nicht mehr oder anders (z.B. Schnitttechniken) nutzen. Erheblich stärker als bei den habituierten Videoformaten muss bei 360-Grad-Video Produktionen die spätere Rezeptionsumgebung (Screen mit welchem Interface oder HMD) sowie das intendierte Nutzungsziel mitgedacht werden. Dabei spielen Aspekte der Immersion ebenso eine Rolle wie die jeweiligen Möglichkeiten der individuellen Manipulation des Bildausschnittes und das jeweils mögliche Sichtfeld.
In dem hier zur Rede stehenden Beitrag werden die Besonderheiten von 360-Grad-Video aufgezeigt, die Rahmenbedingungen für Produktion und Rezeption umrissen sowie Beispiele für einen Einsatz als Lehrmedium, Lernwerkzeug und Kommunikationsanlass diskutiert.
Lehrmedium, Lernwerkzeug und Kommunikationsanlass - Wie 360º-Video in Lern- und Optimierungsprozessen funktioniert
1.
2. „Ausgangspunkt von Lernprozessen sind
authentische Problemsituationen, die aufgrund ihres
Realitätsgehalts und ihrer Relevanz dazu motivieren,
neues Wissen oder neue Fertigkeiten
zu erwerben.“
(Mandl & Reinmann-Rothmeier, 1998, S. 198)
11. Virtuelle Realitäten
sind frei explorierbar.
Über die Manipulation des
Handlungsverlaufs hinaus
sind (meist) Interaktionen
mit Objekten möglich
EXKURS
12. Die Produktion von 360º-Video setzt
spezielle Kameras (i.d.R. mit mehr
als einer Linse) oder Kamera-
Kombinationen (z.B. GoPro-Rig)
voraus
13. Für ein 360º-Video müssen die
Aufnahmen der einzelnen
Bildsensoren (Linsen
bzw. Kameras) montiert
(„gestitcht“) werden
14. Bei der Aufnahme von 360º-Video kann im Unterschied
zum „klassischen“ Film nicht mit differierenden
Einstellungsgrößen (Totale, Nahaufnahme,
Detail usw.) gearbeitet werden
16. In der Nachbearbeitung kann die Ausrichtung
(der Bildausschnitt, der am Anfang steht)
definiert und das Bild stabilisiert werden
17. 360º-Videos lassen sich wie „klassische“ Video-Formate
schneiden: Aneinanderreihung von Clips, Manipulation des
zeitlichen Ablaufs (Zeitraffer, Zeitlupe), Integration von
artifiziellen Inhalten (Beschriftungen, Bilder)...
19. Für die Projektion von 360º-Videos bedarf es spezieller
Player (Client- oder Server basiert)
Die Auszeichnung mit
Metadaten bedingt die
Identifikation des
Formats
20. 360º-Video gilt als „immersive Media*“; das
ist allerdings vom Endgerät abhängig....
* Ramalho & Chambel, 2013
22. Immersion fokussiert eine formal-technische Dimension*:
Wie viele Sinne werden angesprochen?
Wie stark wird die Außenwelt abgeschirmt?
Wie hoch ist die (technische) Qualität?
*Slater & Wilbur, 1997; Ramalho & Chambel, 2013, S. 35
23. Präsenz bezieht sich auf das Medienerlebnis*:
Wie stark stellt sich das Gefühl ein, an einem
anderen Ort (und ggf. auch in einer
anderen Zeit) zu sein?
Wie intensiv taucht ein Nutzer
in das medienvermittelte
Geschehen ein?
*Rupp et al., 2016, S. 2108
28. Stereoskopisches 360º-Video
setzt als Endgerät ein HMD voraus
Einschränkungen in der Projektionsqualität
nivellieren allerdings (noch) häufig die Mehrwerte
der stereoskopischen Darstellung
30. 360º-Video erlaubt die individuelle Erschließung von
(Lern-)Räumen, ausgehend von den eigenen
Kenntnissen und Interessen
31. Im Sinne des Konstrukts der
Subjektiven Theorien*
kommt 360º-Videos im Vergleich
zu „klassischen“ Video-Formaten
ein verbessertes Adaptionspotential zu
* Groeben et al., 1998
32. Die (interindividuelle) Erschließung
von (Lern-)Räumen innerhalb
von 360º-Video stellt selbst
ein Artefakt dar
Stichwort: „Rezeptionsmuster*“
*Hebbel-Seeger & Diesch, 2019
40. Am Beispiel „Nachhaltigkeit“ beschäftigen wir uns in einem
Forschungsverbundprojekt* mit der Nutzung innovativer
Videotechnologien (insbes. 360º-Video) zur Unterstützung
forschenden Lernens
*BMBF-Projekt „SCoRe“
42. Videos unter den Bedingungen einer Forschungs-„Crowd“:
Skalierbarkeit und Selbstorganisation
43. Videos haben eine kommunikative Funktion,
wenn sich anhand der visualisierten Inhalte über
den Gegenstand, den Prozess oder das Ergebnis
ausgetauscht werden soll (Social Video Learning*)
* Vohle, 2016
44. Videos als Werkzeuge für
Erkenntnistätigkeiten
im Forschungsprozess
(mit unterschiedlichen
Funktionen in unterschiedlichen
Phasen):
l Exploration eines Ist-Zustands,
l Erhebung von Daten,
l Analyse von Daten usw.
45. Videos als Werkzeuge für die Organisation
des Forschungsprozesses
(im weiteren Sinne):
l Darstellung des bisherigen
Forschungsablaufs,
l Kommunikation über den
Forschungsablauf,
l Publikation von Forschungs-
ergebnissen usw.
46. Videos haben als Prozess
eine Unterstützungsfunktion,
wenn über die angestrebte Visualisierung
die Studierenden gezwungen sind,
Sachverhalte zu abstrahieren und zu inszenieren
Mit 360º-Videos steigt hier die Komplexität
47. Videos haben als Produkt eine Dokumentationsfunktion
(auch) als Grundlage/Möglichkeit einer Leistungsbewertung
48. Kontakt:
Prof. Dr. Andreas Hebbel-Seeger
Head of Media School
am Campus Hamburg der Hochschule Macromedia
Gertrudenstr. 3 | 20095 Hamburg
eMail: ahebbel-seeger@macromedia.de
Folien und Feedback:
http://speakerscore.com/Worms360
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
49. Quellen:
Groeben, N., Wahl, D., Schlee, J. & Scheele, B. (1988). Forschungsprogramm Subjektive Theorien. Tübingen: Hogrefe.
Hebbel-Seeger, A. & Diesch, A. (2019). Pattern while watching 360 videos. On the reception of immersive
commercials. Athens Journal of Mass Media and Communications 5, 1, 35-49.
Lippens, V. (1992). Die Innensicht beim motorischen Lernen : Untersuchungen zu Veränderungen der subjektiven
Theorien bei Lern- und Optimierungsprozessen am Beispiel des Ruderns. Köln: Sport & Buch Strauß.
Mandl, H. & Reinmann-Rothmeier, G. (1998). Auf dem Weg zu einer neuen Kultur des Lehrens und Lernens. In G. Dörr
& K.L. Jüngst (Hrsg.), Lernen mit Medien. Ergebnisse und Perspektiven zu medial vermittelten Lernprozessen (S. 193-
205). Weinheim: Juventa.
Ramalho, J. & Chambel, T. (2013). Immersive 360° Mobile Video with an Emotional Perspective. Proceedings of
ImmersiveMe 2013 (S. 35-40). Bacelona/Spain: ACM.
Rupp, M.A., Kozachuk, J., Michaelis, J.R., Odette, K.L., Smither, J.A. & McConnel, D.S. (2016), The effects of
immersiveness and future VR expectations on subjective-experiences during an educational 360° video. Proceedings
of the Human Factors and Ergonomic Society 2016 Annual Meeting. https://bit.ly/2AKQgmA
Slater, M., & Wilbur, S. (1997). A framework for immersive virtual environments (FIVE): Speculations on the role of
presence in virtual environments. Presence: Teleoperators and Virtual Environments 6, 6, 603–616.
Vohle, F. (2016). Social Video Learning. Eine didaktische Zäsur.
In A.-W. Scheer & C. Wahter (Hrsg.), Digitale Bildungslandschaften
(S. 175-185). Saarbrücken: IMC.