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OrganisationsEntwicklung
Zeitschrift für Unternehmensentwicklung und Change Management
1
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21
Alles nur Show?
Wie Berater zum Fake Change beitragen
Täuschend echt
Manipulatoren rechtzeitig erkennen
Wahrhaftiger Wandel
Erfolgsfaktoren für den echten Change
Lügendetektor
Mit Shadowing den Blick auf die Hinterbühne wagen
Aus eigener Kraft
Shopfloor Management bei thyssenkrupp Steel
Fake
Change
Wandel als leeres Versprechen
Organisations
Entwicklung
79
Nr. 1 |2021
OrganisationsEntwicklung
Up-Scaling agiler Arbeitsweisen | Erfahrung
Up-Scaling agiler
Arbeitsweisen
Organisationsentwicklung mit Scrum,
Dualen Betriebsmodellen und Microenterprises
Markus Warg und Markus Frosch
Agile Arbeitsweisen haben sich in den meisten Unternehmen etabliert. Die teilweise signifikanten Unterschiede zwi-
schen den Ansätzen zeigen sich vor allem beim Up-Scaling auf die gesamte Organisation, wobei sie zudem ihren Bei-
trag zur Organisationsentwicklung offenbaren. Der Beitrag fasst die Ergebnisse unserer Studie zum Thema Chancen,
Risiken und Empfehlungen zum Up-Scaling agiler Methoden im Rahmen von Kundenzentrierung und Organisations-
entwicklung zusammen.
Agile Arbeitsweisen fördern die Innovation
Neue Technologien beschleunigen die Digitalisierung, die
Entstehung von Plattformen sowie von Ökosystemen. Sie bie-
ten Chancen für den Aufbau und die bessere Nutzung von Fä-
higkeiten in der Organisation und damit für deren Entwick-
lung. Gerade im Dienstleistungssektor zeigt sich, wie neue
Technologien Gesellschaft und Arbeitsformen verändern und
im Zusammenspiel zwischen Menschen und Technologien
Wert schaffen. Zusätzlich zur traditionellen Mensch+Mensch-
Interaktion entstehen neue Formen der Zusammenarbeit
wie Mensch+Technologie oder Technologie+Technologie. Ein
neues Verständnis von Workforce Management etabliert sich,
das nicht nur den Mensch sondern alle Kräfte, die für eine Or-
ganisation wirken können, umfasst (Frosch & Warg 2020; Stor-
backa, Brodie, Böhmann, Maglio & Nenonen 2016).
Gleichzeitig bremsen diverse Innovationsbarrieren diese Ent­
wicklungen: Risikoaversion bzgl. Innovationen, fehlende Res­
sourcen und Fähigkeiten, Fokus auf das laufende Geschäft,
strukturelle Aspekte wie Zentralisierung und Formalisierung,
alte IT-Systeme, fehlende Koordinationskapazitäten sowie Wi-
derstand in der Organisation (Lewin, Välikangas & Jin 2017).
Diese Barrieren machen es für Organisationen zu einer Her-
ausforderung moderne Technologien einzubinden und dies-
bezügliche Fähigkeiten aufzubauen.
Agile Arbeitsweisen können dabei helfen, die Zusammen-
arbeit zu gestalten und die Chancen neuer Technologien so-
wie der Digitalisierung für die Organisationsentwiklung zu nut­
zen. Agile Vorteile durch kleine Teams, eindeutige Rollen und
Verantwortungen, schnelle Zyklen und die Einbindung des
Kunden können beim Veränderungs- und Transformations-
prozess helfen.
Im Kleinen funktionierende agile Arbeitsweisen können
aber in großen Organisationen und bei erhöhter Komplexität
auch im Chaos enden. Dabei sind die Auswirkungen, wenn ein
unternehmensweites agiles Experiment scheitert, deutlich gra­
vierender als ein misslungenes Projekt.
Agile Arbeitsweisen auf größere Einheiten oder das Gesamt­
unternehmen zu übertragen birgt neben den Chancen also auch
Risiken. Da agile Praktiken ursprünglich für kleinere Teams
oder Einheiten entwickelt wurden, lassen sie sich nicht ohne
weiteres auf große Organisationen ausrollen. Um dies dennoch
zu ermöglichen, sind in den letzten Jahren verschiedene An-
sätze entstanden, die Unternehmen beim Ausrollen, dem so ge­
nannten Up-Scaling, agiler Arbeitsweisen unterstützen sollen.
80 Nr. 1 |2021
OrganisationsEntwicklung
Erfahrung | Up-Scaling agiler Arbeitsweisen
Drei Up-Scaling-Ansätze
Die Studie analysiert drei unterschiedliche Ansätze zur Skalie-
rung agiler Arbeitsweisen:
•	 Der Ansatz «Up-Scaling agiler Methoden» zielt darauf, die
Vorteile agiler Methoden nicht nur in einzelnen Teams son-
dern für die Zusammenarbeit in großen Teilen oder in der
gesamten Organisation zu skalieren.
•	 Der Ansatz «Duale Betriebsmodelle» versucht die Stärken
agiler Arbeitsweisen mit den Stärken klassischer, hierar-
chieorientierter Strukturen zu verbinden.
•	 Der Ansatz der «Microenterprises» bietet eine neue Organi-
sationsform durch den Einsatz agiler Teams als Microenter-
prises, die über Plattformen und Ökosysteme zusammen
arbeiten.
Up-Scaling agiler Methoden — Beispiel Spotify
Agile Methoden unterstützen die Effektivität von Teams. Diese
sind zumeist recht klein, zwischen sechs und zwölf Personen,
und nur temporär angelegt. Die Rollen jedes Teammitgliedes
sind eindeutig festgelegt und Kommunikation hat eine große
Bedeutung. Kommunikationsprinzipien und -regeln wie die
tägliche Abstimmung, in der jedes Teammitglied berichtet was
es erreicht hat, an welchem Thema es arbeitet und wo es Hilfe
benötigt, sind genau festgelegt. Auf die Befähigung jedes Team­
mitgliedes bspw. durch Mentoring wird großer Wert gelegt. Da
es wenig Hierarchien, wenige formale Regelungen und keine
gravierenden Unterschiede in der Qualifikation gibt, werden
agile Teams auch als organische Organisationsstrukturen be-
zeichnet (Hamann 2013, Zell 2019).
Mit steigendem Erfolg und erhöhter Nachfrage kommt es
in der Regel zunächst zur Ausweitung des Teams mit neuen
Mitarbeitenden und dann zur Bildung weiterer Teams, die sich
eng abstimmen. Dieser Wachstumsprozess erhöht die Anzahl
der Verbindungen zwischen den Teammitgliedern und damit
die Komplexität. Die Rollen und Aufgaben werden differen-
zierter und die Kommunikation anspruchsvoller (vgl. Abbil-
dung 1).
Die steigende Komplexität führt zu nachlassender Effektivi-
tät und dem Bedarf nach Skalierung. Up-Scaling-Methoden
versuchen die Effektivität der agilen Teams durch gezielte Re-
geln auch bei zunehmender Organisationsgröße zu erhalten
und weiter weitestgehend auf Hierarchien zu verzichten.
Scrum of Scrums (SoS), Scaled Agile Framework (SAFe), Disci-
plined Agile Delivery (DAD) oder die Spotify Culture sind die
dabei führenden Ansätze (Daut 2015; Mucker 2020).
Scrum of Scrum ist eine Technik, um Scrum für größere Pro­
jekte und sogar Programme zu skalieren. Bei mehr als zwölf
Teammitgliedern werden die Personen auf neue Teams ver-
teilt. In die Daily Scrum of Scrums-Meetings entsendet jedes
Team einen Botschafter, der das Team repräsentiert (Mucker
2020). Dabei beantworten die Botschafter im einfachsten Fall
die gleichen Fragen wie im Daily Scrum: Was habe ich/haben
wir seit dem letzten Daily Scrum/SoS erledigt? Was plane ich/
planen wir, bis zum nächsten Daily Scrum/SoS? Was hat mich/
uns bei der Arbeit behindert (Impediments)? Auf diese Weise
können Themen strukturiert und an die jeweiligen (Spezialis-
ten-) Teams übergeben werden. Der Nachteil ist, dass Scrum
of Scrums sehr von der Anzahl und den beteiligten Personen
sowie von deren Einstellung und Methodenkenntnis abhängt
und eine Kontrolle nur schwer möglich ist.
Scaled Agile Framework (SAFe) stammt von Dean Leffing-
well und beschreibt eine übergreifende Struktur aus Metho-
den, Prinzipien und Ansätzen, um auch agile Teams von 200
Abbildung 1
Start-ups zwischen Effektivität und Komplexität (IfSD)
81
Nr. 1 |2021
OrganisationsEntwicklung
Up-Scaling agiler Arbeitsweisen | Erfahrung
und mehr Mitarbeitenden zu steuern, da diese Teams eine
übergreifende Struktur benötigen (De Jong 2020). Die Gefahr
bei SAFe ist, dass die einzelnen Regeln unreflektiert zur An-
wendung kommen. Auch der One-Size-Fits-All Anspruch von
SAFe ist ein Kritikpunkt, da es nicht auf unterschiedliche Rah-
menbedingungen eingeht (Conboy & Carroll 2019).
Das Disciplined Agile Delivery (DaD) Framework versucht
bereits vor Scrum und Sprint 0 anzusetzen. Dazu berücksich-
tigt das Framework Entscheidungen über die anzuwendende
Programmiersprache, die Architektur und Plattform. Der An-
spruch, den die Entwickler von DaD erheben, ist, eine end-to-
end Strategie zu liefern, die von der Initiierung des Projekts bis
hin zu Wartung und Betrieb reicht. DaD setzt auf einen Metho-
denmix, der allerdings nicht unreflektiert und ohne Verständ-
nis der dahinterliegenden Prinzipien übernommen werden
sollte. Darin begründet sich auch der wesentliche Nachteil
von DaD, nämlich, dass kaum Ressourcen verfügbar sind, die
diesen ganzheitlichen Ansatz in größeren Organisationen im-
plementieren können.
Bei der Spotify Culture handelt es sich um eine Organisati-
onsstruktur der Produktentwicklung mit dem Fokus auf die
Aufbaustruktur. Es ist weniger ein Framework als ein Vorzeige-
beispiel für eine agile Organisation entstanden beim schwedi-
schen Musikanbieter Spotify. Spotify wurde 2006 gegründet,
hat das Musikstreaming revolutioniert, mehr als 280 Mio. ak­
tive Nutzer und beschäftigt ca. 4.500 Mitarbeitende. Maß­
geblich relevant für diesen Erfolg ist die Art und Weise wie
Spotify der Herausforderung begegnet, eine Vielzahl an Teams
im Rahmen des Produktentwicklungsprozesses zu managen.
Das kleinste Team wird bei Spotify als Squad bezeichnet und
ähnelt dem Scrum-Team. Der Squad wird von einem Product
Owner priorisiert, der die Kunden vertritt. Mehrere Squads
(100–120 Personen) werden in Tribes gebündelt. Die Aufgabe
der Querschnittfunktionen wird von den Chapters übernom-
men. Im Ergebnis gleicht die Spotify-Organisationsstruktur
stark einer Matrix-Organisation: Die horizontale Struktur
(Squads und Tribes) sorgt dafür, dass Wissen, Tools und Soft-
ware geteilt werden. Die vertikale Struktur (Chapter) unter-
stützt und ermöglicht diese Prozesse.
Die Kritik am Spotify-Modell konzentriert sich zumeist auf
die fehlende Auflösung der Abhängigkeiten innerhalb der Tri-
bes. Spotify hat dieses Risiko mit der Einführung einer Zielar-
chitektur begrenzt. Die Architektur besteht wiederum aus Sys-
temen mit eindeutig geregelten Verantwortungen. (Daut 2015;
Kniberg & Ivarsson 2012).
Auch das Beispiel Spotify zeigt, dass es beim Up-Scaling
agi­
ler Arbeitsweisen darum geht, ab einer gewissen Organisa-
tionsgröße (wahrscheinlich im unteren dreistelligen Mitarbei-
terbereich) die richtige Ergänzung agiler Methoden zu finden,
um Komplexität, Redundanzen und Unsicherheiten zu besei-
tigen.
Duale Betriebsmodelle — Beispiel SIGNAL IDUNA
Aus der Perspektive agiler Arbeitsweisen ist der Begriff Hierar-
chie negativ belegt. Er steht für altmodische, machtorientierte
Führungsprinzipien, die auf Statussymbolen anstelle von Kom­
petenzen basieren. Allerdings steigt bspw. bei Start-ups die
Wertschätzung für Querschnittsfunktionen und Hierarchien
mit Zunahme der Organisationsgröße, was sich auch aus den
dargestellten Up-Scaling-Grenzen und den einhergehenden
Problemen wie Komplexität und Überlastung ableitet.
Die Gegenposition, die den Begriff Hierarchie positiv be-
legt, war Mitte des letzten Jahrhunderts, im Zuge der signifi-
kanten Zunahme der Organisationsgrößen besonders ausge-
prägt. Dabei wird Hierarchie als selbstverständliche Begleite-
rin von komplexen Organisationen erachtet. Hierarchie ermög­
licht Wertschätzung und Anreize für besondere Mitarbeitende
sowie die Vertretung der Organisation als Teil der Gesellschaft
(Barnard 1938).
Da organische, agile Organisationsstrukturen, wie bei Start-
ups erlebbar, bei Erreichen gewisser Organisationsgrößen Ele-
mente mechanistischer, hierarchischer Organisationsstruktu-
ren – eindeutige Verantwortungen, Führungsebenen, formale
Regelungen – benötigen und mechanistische Organisations-
strukturen wiederum einen Bedarf an Agilität haben, liegt die
Ausgestaltung der Organisationsstruktur bei mittelgroßen und
großen Organisationen zumeist im mittleren Bereich zwischen
organischem Netzwerk und mechanistischer Hierarchie.
Die Kombination organischer, netzwerkartiger Strukturen
mit mechanistischen, hierarchischen Strukturen bezeichnet
Kotter als Dual Operating Model (Duales Betriebsmodell) (Kot­
ter 2014) (vgl. Abbildung 2).
Abbildung 2
Dual Operating Model (IfSD) (Kotter 2014)
82 Nr. 1 |2021
OrganisationsEntwicklung
Erfahrung | Up-Scaling agiler Arbeitsweisen
Kotter erachtet die Anpassungsfähigkeit von Strukturen und
Kulturen, die im letzten Jahrhundert gewachsen sind, an die
heute benötigte Veränderungsgeschwindigkeit als nicht ge­
geben. Die Lösung sieht er nicht darin, das Vorhandene zu be-
seitigen, sondern darin, der vorhandenen mechanistischen
Struktur eine organische Struktur zur Seite zu stellen. Die or-
ganische Struktur ermöglicht Agilität und Geschwindigkeit,
während die mechanistische Struktur Stabilität und Effizienz
sicherstellt. (Kotter 2014). Das Duale Betriebsmodell ermög-
licht es trotz vorhandener Silos, Bürokratien, Regelreporting
etc. die Vorteile agiler, organischer Teams insbesondere in kun­
dennahen Bereichen zu realisieren und auf diese Weise «Be-
schleunigung» als Teil des Betriebssystemes der Organisation
zu implementieren.
Das Beispiel der SIGNAL IDUNA-Gruppe zeigt wie die Trans-
formation einer Gruppe mit der Hilfe des Dualen Betriebsmo-
dells erfolgreich gestaltet werden kann. Hierfür hat der füh-
rende deutsche Zielgruppenversicherer für Handel, Handwerk
und Gewerbe (Beitragseinnahmen ca. 6 Mrd. Euro, 10.200 Mit-
arbeitende) die Themen Service- und Kundenzentrierung in
den Mittelpunkt seiner Vision «Gemeinsam mehr Lebensqua-
lität schaffen» gestellt. Agiles Arbeiten und kleine Teams set-
zen konsequent aus Sicht der Kunden die angestrebte Verbes-
serung der Kundenerlebnisse (Customer-Journeys), der Ser-
vicequalität (Service-Journeys) und des Nutzens für die Ziel-
gruppen (Zielgruppen-Journeys) selbstbestimmt durch.
Gleichzeitig trägt die Beibehaltung der mechanistischen,
hierarchieorientierten Teilstruktur zur Stabilität und Sicher-
heit in der Organisation bei, erhält jedoch auch die eher ge-
schlossenen, bewahrenden Eigenschaften.
Bei einer Vielzahl von Journeys ist es sinnvoll Unterstüt-
zungsfunktionen, die alle Journeys benötigen, wie bspw. Per-
sonalfunktionen, einheitlich anzubieten und Fähigkeiten, die
in den Journeys geschaffen werden, systematisch wiederzu-
verwenden. An diesen Themen offenbaren sich die Nachteile
Dualer Betriebsmodelle. Die agilen, selbstorganisierenden
Teams stoßen auf die mechanistischen Strukturen. Die SIG-
NAL IDUNA-Gruppe löst diese Herausforderung durch den
Einsatz von Plattformen, die durch eine Service Dominierte
Architektur (SDA) charakterisiert sind. Diese Architektur er-
möglicht es, alle Fähigkeiten, Daten und Kompetenzen, die für
kundenzentrierte Prozesse benötigt werden, in Echtzeit be-
reitzustellen und zu nutzen. Auf diese Weise gelingt es dem
Unternehmen die Fähigkeiten der bestehenden operativen
Einheiten und der agilen Teams zu kombinieren.
Microenterprises — Beispiel HAIER
Der chinesische Industriekonzern und Serien-Weltmarktfüh-
rer bei großen Haushaltsgeräten, die Unternehmensgruppe
HAIER, beschäftigt ca. 73.000 Mitarbeitende. HAIER gelang
innerhalb von 20 Jahren der Aufstieg von einer Kühlschrankfa-
brik zu einem multinationalen Konzern. Der Erfolg fußt maß­
geblich auf der Etablierung einer neuen Philosophie, die auf
agiler Arbeitsweise basiert und zu einer neuen Organisations-
struktur geführt hat.
Die Philosophie Rendanheyi bezeichnet die Ausrichtung
von «Mitarbeiter und Anwender» auf ein Ziel. HAIER geht es
dabei darum, die Mauern zwischen den Kunden und der Or-
ganisation einzureissen und ganz nah am Kunden zu sein,
eben Null-Abstand: «Zero-distance» (Kanter & Dai 2018). Um
aus Sicht der Organisation näher an den Kunden zu kommen,
werdeninFormvonMicroenterprisesagile,selbstorganisieren­
de Teams auf- und eingesetzt. Diese Teams haben die Kom­
pe­
tenzen, um Innovationen und externe Lösungen schnell für die
Kunden bzw. Nutzer zu adaptieren (Tangvald & Wallhoff 2019).
Abbildung 3
Microenterprises (IfSD) (Hamel & Zanini 2018)
Incubating
Microenterprises
Industry
Platform
Node
Microenterprises
Market
Microenterprises
83
Nr. 1 |2021
OrganisationsEntwicklung
Up-Scaling agiler Arbeitsweisen | Erfahrung
Es gibt drei Arten von als Microenterprises bezeichneten
Teams (Hamel & Zanini 2018) (vgl. Abbildung 3):
•	 Markt- / kundenzentrierte Microenterprises haben ihre Wur-
zeln in der alten Organisation und erfinden sich selbst neu,
um kundenzentrierte Lösungen zu erstellen.
•	 Incubating Microenterprises identifizieren neue Geschäfts-
modelle und digitale Services und verbinden diese mit den
klassischen Geschäftseinheiten.
•	 Node Microenterprises unterstützen die anderen Microen-
terprises mit allen Produkten und Services, die diese benö-
tigen: Personalwesen, IT (-Betrieb, Produktion), Design usw.
Neben den agilen Teams sind Plattformen bei HAIER von zen-
traler Bedeutung. Unterschiedliche Plattformen integrieren
und bündeln digitale Fähigkeiten und stellen diese wiederver-
wendbar zur Verfügung. Auf diese Weise unterstützen die Platt­­­
formen sowohl die Microenterprises als auch die Interaktionen
mit Kunden und externen Partnern. Dies ermöglicht der Orga-
nisation neue Mensch+Technologie-Konstellationen, innova-
tive Produkte und innovatives Workforce Management.
Bei der Unterstützung der Microenterprises unterscheidet
HAIER zwischen Shared Service-Plattformen und Industrie-
Plattformen:
•	 Shared Service-Plattformen unterstützen Microenterprises
mit Querschnittsfunktionen wie HR, Finance, Design, Con-
trolling, usw.
•	 Industrie-Plattformen finanzieren und koordinieren Mi­
croenterprises
Um die Kunden besser zu verstehen soll die Interaktion mit
ihnen erhöht werden. Ziel ist es, aus Kunden Anwender bzw.
Nutzer zu machen, da ein Kunde bei HAIER für die «one trans­
action»-Beziehung steht, ein Nutzer hingegen für die kon­
tinuierliche Interaktion (Kanter & Dai 2018).
Mit dem Ziel die Interaktion mit den Kunden zu erhöhen,
ermöglichen Plattformen, die bestehenden Produkte und Lö-
sungen durch wertvolle Services und Fähigkeiten zu ergänzen.
Dies bietet neue Wertversprechen, mittels derer der Kunde
zum Engagement und damit zur Interaktion animiert wird.
Auf diese Weise werden Kunden zunehmend Nutzer, die bereit
Abbildung 4
Microenterprises, Plattformen und Ökosysteme (IfSD)
Market
Microenterprises
Node
Microenterprises
Customer
Interaction
Industry
Platform
Interaction
Shared Service
Platform
Incubating
Microenterprises
Ökosysteme
External Enterprise
O
O
External Enterprise
External
capabilities
*
84 Nr. 1 |2021
OrganisationsEntwicklung
Erfahrung | Up-Scaling agiler Arbeitsweisen
sind, sich und ihre Ressourcen einzubringen, wenn es für sie
vorteilhaft ist. In einem dritten Schritt werden dann von HAI-
ER auf Basis der Plattformen Nutzergemeinschaften und Öko-
systeme entwickelt.
Der Aufbau von Ökosystemen soll aus Nutzern Lifetime-
Nutzer machen. Hierfür wird kontinuierlich die Anzahl der
Wertversprechen (Lösungen, Anbieter, Funktionen, Services)
erhöht. Um den Nutzen der Wertversprechen für sich zu gene-
rieren, engagieren sich die Kunden im Sinne eines Co-crea­
tion-Prozesses und interagieren mit der Organisation (Kanter
& Dai 2018).
Das Beispiel HAIER zeigt wie mit dem Ansatz der Micro­
en­
ter­
prises die wesentlichen «innovation barriers» (Lewin et al.
2017) beseitigt werden:
•	 Risikoaversion bzgl. Innovationen wird durch selbstorgani-
sierende,unternehmerischagierende,agileTeamsabgebaut.
•	 Fehlende Ressourcen und Fähigkeiten für die Exploration
werden über offene Plattformen auf Basis moderner Tech-
nologien integriert, aufgebaut und neu kombinierbar.
•	 Der Fokus auf das laufende Geschäft bleibt und Micro­
enterprises ergänzen Produkte, entwickeln kundenzent-
rierte Lösungen und Ökosysteme.
•	 Alte IT-Systeme werden durch moderne Plattformen er-
gänzt und teilweise ersetzt.
•	 Die Koordination wird durch klare Rollen im Zuge der Mo-
dularisierung in verschiedene Microenterprises, Industrie-
und Shared Service-Plattformen skalierbar.
Der Preis für die Realisierung dieser Vorteile ist die Erforder-
nis, das gesamte Unternehmen, bzw. die gesamte Organisa­
tion neu aufzustellen und damit ein hoher Transformations-
aufwand. Wie die Erfolgsgeschichte von HAIER zeigt, scheint
der Ansatz der Microenterprises dann sinnvoll, wenn das Ge-
schäftsmodell den systematischen Aufbau von Fähigkeiten er-
fordert, um dem hohen Innovationsdruck gerecht zu werden.
Ergebnis und Empfehlungen
Allen drei Up-Scaling-Ansätzen ist die Kundenzentrierung
immanent, da ihr Ursprung in agilen, selbstorganisierenden
Teams liegt, die bereits bei der Entwicklung von Wertverspre-
chen die Kunden und ihre Wünsche via Interaktion und Co-
creation einbinden.
Signifikante Unterschiede bestehen bei den Up-Scaling An-
sätzen hinsichtlich des systematischen Aufbaus und der Wie-
derverwendung von Fähigkeiten. Während bei «Agilen Me-
thoden» und dem «Dualen Betriebsmodell» lediglich die Zu-
ordnung zu Querschnitt-Teams bzw. vorhandenen Querschnitt-­
Funktionen vorgesehen ist, sehen die «Microenterprises» die
Integration, den Aufbau und die Wiederverwendung von Fä-
higkeiten bereits in ihrem plattformbasierten Ansatz vor.
Alle drei Ansätze zum Hochskalieren agiler Arbeitsweisen
haben Stärken und Schwächen. Bei der Wahl des Ansatzes
sollteninsbesonderedieAspekteStrategie,Unternehmensgrö­
ße, Geschäftsmodell, Qualifikation, Innovationsdruck, Tech-
Abbildung 5
Kundenzentrierung und Organisationsentwicklung mittels Up-Scaling agiler Arbeitsweisen
«Der Preis dieser Vorteile ist die
Erforder­
nis, das gesamte Unternehmen
neu aufzustellen und damit ein hoher
Transformationsaufwand.»
Kriterium Indikator ME*
DB*
AM*
+ +
+ +
+ +
+ +
+ +
+ +
+ +
+ —
— —
— +
+ —
— —
+ +
+ +
— —
— +
— —
— —
*AM = Agile Methoden; *DB = Duales Betriebsmodell; *ME = Microenterprises
Kundennähe und Wertversprechen
Interaktion, Co-Creation und Ressourcen-Integration
Datenbasiertes Kundenverständnis und Nutzergemeinschaften
Verbesserung der Integration und Nutzung von Ressourcen
Aufbau und Wiederverwendung von internen/externen Fähigkeiten
Workforce Management und gegenseitige Wertschöpfung
Kundenzentrierung
Organisationsentwicklung
85
Nr. 1 |2021
OrganisationsEntwicklung
Up-Scaling agiler Arbeitsweisen | Erfahrung
Literatur
•	 Barnard, C. I. (1938). The Functions of the Executive. Harvard Univer-
sity Press.
•	 Conboy, K. & Carroll, N. (2019). Implementing large-scale agile
frameworks: challenges and recommendations. IEEE Software, 36(2),
S. 44—50.
•	 Daut, P. (2015). Agile@ scale: do more with less or be safe? Ansätze
zur Skalierung - ein Überblick. Projektmanagement und Vorgehens­
modelle 2015.
•	 De Jong, B. (2020). Das Scaled Agile Framework — Was ist SAFe? #1.
Das Scaled Agile Framework. https://zoe.ch/scaled-agile-framework
•	 Frosch, M. & Warg, M. (2020). A Conceptual Framework for Work-
force Management: Impacts from Service Science and SD Logic. Inter-
national Conference on Applied Human Factors, 2020 Springer.
•	 Hamann, D. (2013). The art of scaling people. Slideshare.
•	 Hamel, G. & Zanini, M. (2018). The end of bureaucracy. Harvard
Business Review, 3(3), S. 44—51.
•	 Kniberg, H. & Ivarsson, A. (2012). Scaling agile @spotify.
ttps://zoe.ch/spotifyscaling
•	 Kotter, J. (2014). Accelerate: Building strategic agility for a faster-
moving world, Harvard Business Review Press.
•	 Lewin, A. Y., Välikangas, L.& Jin, C. (2017). Lessons from Haier
Enabling Open Innovation. International Journal of Innvation Studies.
•	 Moss Kanter, R. & Dai, N. H. (2018). Haier: Incubating Entrepreneurs
in a Chinese Giant.
•	 Mucker, C. (2020). Scaling Agile - Welcher Ansatz passt zu mir?
•	 Storbacka, K., Brodie, R. J., Böhmann, T., Maglio, P. P. &
Nenonen, S. (2016). Actor engagement as a microfoundation for
value co-creation. Journal of Business Research, 69(8), S. 3008—3017.
•	 Tangvald, M. & Wallhoff, E. (2019). Adopting a network-based
organisation.
•	 Zell, H. (2019). Die Grundlagen der Organisation — lernen und lehren:
BoD-Books on Demand.
Markus Frosch
CEO projekt 3T, Frankfurt
Kontakt:
markus.frosch@projekt-3T.com
Prof. Dr.
Markus Warg
Leiter Institut für Service Design,
Hamburg
Kontakt:
markus.warg@ifsd.hamburg
nologieabhängigkeit und die Bedeutung der Interaktion mit
den Kunden berücksichtigt werden.
Tendentiell empfiehlt sich der Ansatz «Up-Scaling agiler Me­
thoden» bei kleinen und mittelgroßen Organisationen, deren
Strategie den schnellen Aufbau von einer oder wenigen Lösun­
gen erfordert und deren Teams eng zusammenarbeiten und
über annähernd gleich qualifizierte Teammitglieder verfügen.
Der Ansatz «Duales Betriebsmodell» ermöglicht größeren
Organisationen, die bzgl. Qualifikationsniveau und Art der Tä-
tigkeit durch sehr heterogene Organisationseinheiten charak-
terisiert sind, die Stärken agiler Methoden mit den Stärken
klassischer, hierarchieorientierter Strukturen zu verbinden.
Der Ansatz der «Microenterprises» erfordert eine grund­
legende Neuaufstellung der Organisation. Dafür bietet er grö-
ßeren Organisationen mit hohem Innovationsdruck die Mög-
lichkeit systematisch Fähigkeiten zu integrieren, aufzubauen,
wiederzuverwenden und zu kombinieren. Vorhandene Fähig-
keiten können für neue Wertversprechen genutzt, neue Work-
force-Kombinationen etabliert und die Organisation systema-
tisch entwickelt werden.

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Warg M., Frosch M., (2021) Up-Scaling agiler Arbeitsweisen - ZOE.pdf

  • 1. OrganisationsEntwicklung Zeitschrift für Unternehmensentwicklung und Change Management 1 — 21 Alles nur Show? Wie Berater zum Fake Change beitragen Täuschend echt Manipulatoren rechtzeitig erkennen Wahrhaftiger Wandel Erfolgsfaktoren für den echten Change Lügendetektor Mit Shadowing den Blick auf die Hinterbühne wagen Aus eigener Kraft Shopfloor Management bei thyssenkrupp Steel Fake Change Wandel als leeres Versprechen Organisations Entwicklung
  • 2. 79 Nr. 1 |2021 OrganisationsEntwicklung Up-Scaling agiler Arbeitsweisen | Erfahrung Up-Scaling agiler Arbeitsweisen Organisationsentwicklung mit Scrum, Dualen Betriebsmodellen und Microenterprises Markus Warg und Markus Frosch Agile Arbeitsweisen haben sich in den meisten Unternehmen etabliert. Die teilweise signifikanten Unterschiede zwi- schen den Ansätzen zeigen sich vor allem beim Up-Scaling auf die gesamte Organisation, wobei sie zudem ihren Bei- trag zur Organisationsentwicklung offenbaren. Der Beitrag fasst die Ergebnisse unserer Studie zum Thema Chancen, Risiken und Empfehlungen zum Up-Scaling agiler Methoden im Rahmen von Kundenzentrierung und Organisations- entwicklung zusammen. Agile Arbeitsweisen fördern die Innovation Neue Technologien beschleunigen die Digitalisierung, die Entstehung von Plattformen sowie von Ökosystemen. Sie bie- ten Chancen für den Aufbau und die bessere Nutzung von Fä- higkeiten in der Organisation und damit für deren Entwick- lung. Gerade im Dienstleistungssektor zeigt sich, wie neue Technologien Gesellschaft und Arbeitsformen verändern und im Zusammenspiel zwischen Menschen und Technologien Wert schaffen. Zusätzlich zur traditionellen Mensch+Mensch- Interaktion entstehen neue Formen der Zusammenarbeit wie Mensch+Technologie oder Technologie+Technologie. Ein neues Verständnis von Workforce Management etabliert sich, das nicht nur den Mensch sondern alle Kräfte, die für eine Or- ganisation wirken können, umfasst (Frosch & Warg 2020; Stor- backa, Brodie, Böhmann, Maglio & Nenonen 2016). Gleichzeitig bremsen diverse Innovationsbarrieren diese Ent­ wicklungen: Risikoaversion bzgl. Innovationen, fehlende Res­ sourcen und Fähigkeiten, Fokus auf das laufende Geschäft, strukturelle Aspekte wie Zentralisierung und Formalisierung, alte IT-Systeme, fehlende Koordinationskapazitäten sowie Wi- derstand in der Organisation (Lewin, Välikangas & Jin 2017). Diese Barrieren machen es für Organisationen zu einer Her- ausforderung moderne Technologien einzubinden und dies- bezügliche Fähigkeiten aufzubauen. Agile Arbeitsweisen können dabei helfen, die Zusammen- arbeit zu gestalten und die Chancen neuer Technologien so- wie der Digitalisierung für die Organisationsentwiklung zu nut­ zen. Agile Vorteile durch kleine Teams, eindeutige Rollen und Verantwortungen, schnelle Zyklen und die Einbindung des Kunden können beim Veränderungs- und Transformations- prozess helfen. Im Kleinen funktionierende agile Arbeitsweisen können aber in großen Organisationen und bei erhöhter Komplexität auch im Chaos enden. Dabei sind die Auswirkungen, wenn ein unternehmensweites agiles Experiment scheitert, deutlich gra­ vierender als ein misslungenes Projekt. Agile Arbeitsweisen auf größere Einheiten oder das Gesamt­ unternehmen zu übertragen birgt neben den Chancen also auch Risiken. Da agile Praktiken ursprünglich für kleinere Teams oder Einheiten entwickelt wurden, lassen sie sich nicht ohne weiteres auf große Organisationen ausrollen. Um dies dennoch zu ermöglichen, sind in den letzten Jahren verschiedene An- sätze entstanden, die Unternehmen beim Ausrollen, dem so ge­ nannten Up-Scaling, agiler Arbeitsweisen unterstützen sollen.
  • 3. 80 Nr. 1 |2021 OrganisationsEntwicklung Erfahrung | Up-Scaling agiler Arbeitsweisen Drei Up-Scaling-Ansätze Die Studie analysiert drei unterschiedliche Ansätze zur Skalie- rung agiler Arbeitsweisen: • Der Ansatz «Up-Scaling agiler Methoden» zielt darauf, die Vorteile agiler Methoden nicht nur in einzelnen Teams son- dern für die Zusammenarbeit in großen Teilen oder in der gesamten Organisation zu skalieren. • Der Ansatz «Duale Betriebsmodelle» versucht die Stärken agiler Arbeitsweisen mit den Stärken klassischer, hierar- chieorientierter Strukturen zu verbinden. • Der Ansatz der «Microenterprises» bietet eine neue Organi- sationsform durch den Einsatz agiler Teams als Microenter- prises, die über Plattformen und Ökosysteme zusammen arbeiten. Up-Scaling agiler Methoden — Beispiel Spotify Agile Methoden unterstützen die Effektivität von Teams. Diese sind zumeist recht klein, zwischen sechs und zwölf Personen, und nur temporär angelegt. Die Rollen jedes Teammitgliedes sind eindeutig festgelegt und Kommunikation hat eine große Bedeutung. Kommunikationsprinzipien und -regeln wie die tägliche Abstimmung, in der jedes Teammitglied berichtet was es erreicht hat, an welchem Thema es arbeitet und wo es Hilfe benötigt, sind genau festgelegt. Auf die Befähigung jedes Team­ mitgliedes bspw. durch Mentoring wird großer Wert gelegt. Da es wenig Hierarchien, wenige formale Regelungen und keine gravierenden Unterschiede in der Qualifikation gibt, werden agile Teams auch als organische Organisationsstrukturen be- zeichnet (Hamann 2013, Zell 2019). Mit steigendem Erfolg und erhöhter Nachfrage kommt es in der Regel zunächst zur Ausweitung des Teams mit neuen Mitarbeitenden und dann zur Bildung weiterer Teams, die sich eng abstimmen. Dieser Wachstumsprozess erhöht die Anzahl der Verbindungen zwischen den Teammitgliedern und damit die Komplexität. Die Rollen und Aufgaben werden differen- zierter und die Kommunikation anspruchsvoller (vgl. Abbil- dung 1). Die steigende Komplexität führt zu nachlassender Effektivi- tät und dem Bedarf nach Skalierung. Up-Scaling-Methoden versuchen die Effektivität der agilen Teams durch gezielte Re- geln auch bei zunehmender Organisationsgröße zu erhalten und weiter weitestgehend auf Hierarchien zu verzichten. Scrum of Scrums (SoS), Scaled Agile Framework (SAFe), Disci- plined Agile Delivery (DAD) oder die Spotify Culture sind die dabei führenden Ansätze (Daut 2015; Mucker 2020). Scrum of Scrum ist eine Technik, um Scrum für größere Pro­ jekte und sogar Programme zu skalieren. Bei mehr als zwölf Teammitgliedern werden die Personen auf neue Teams ver- teilt. In die Daily Scrum of Scrums-Meetings entsendet jedes Team einen Botschafter, der das Team repräsentiert (Mucker 2020). Dabei beantworten die Botschafter im einfachsten Fall die gleichen Fragen wie im Daily Scrum: Was habe ich/haben wir seit dem letzten Daily Scrum/SoS erledigt? Was plane ich/ planen wir, bis zum nächsten Daily Scrum/SoS? Was hat mich/ uns bei der Arbeit behindert (Impediments)? Auf diese Weise können Themen strukturiert und an die jeweiligen (Spezialis- ten-) Teams übergeben werden. Der Nachteil ist, dass Scrum of Scrums sehr von der Anzahl und den beteiligten Personen sowie von deren Einstellung und Methodenkenntnis abhängt und eine Kontrolle nur schwer möglich ist. Scaled Agile Framework (SAFe) stammt von Dean Leffing- well und beschreibt eine übergreifende Struktur aus Metho- den, Prinzipien und Ansätzen, um auch agile Teams von 200 Abbildung 1 Start-ups zwischen Effektivität und Komplexität (IfSD)
  • 4. 81 Nr. 1 |2021 OrganisationsEntwicklung Up-Scaling agiler Arbeitsweisen | Erfahrung und mehr Mitarbeitenden zu steuern, da diese Teams eine übergreifende Struktur benötigen (De Jong 2020). Die Gefahr bei SAFe ist, dass die einzelnen Regeln unreflektiert zur An- wendung kommen. Auch der One-Size-Fits-All Anspruch von SAFe ist ein Kritikpunkt, da es nicht auf unterschiedliche Rah- menbedingungen eingeht (Conboy & Carroll 2019). Das Disciplined Agile Delivery (DaD) Framework versucht bereits vor Scrum und Sprint 0 anzusetzen. Dazu berücksich- tigt das Framework Entscheidungen über die anzuwendende Programmiersprache, die Architektur und Plattform. Der An- spruch, den die Entwickler von DaD erheben, ist, eine end-to- end Strategie zu liefern, die von der Initiierung des Projekts bis hin zu Wartung und Betrieb reicht. DaD setzt auf einen Metho- denmix, der allerdings nicht unreflektiert und ohne Verständ- nis der dahinterliegenden Prinzipien übernommen werden sollte. Darin begründet sich auch der wesentliche Nachteil von DaD, nämlich, dass kaum Ressourcen verfügbar sind, die diesen ganzheitlichen Ansatz in größeren Organisationen im- plementieren können. Bei der Spotify Culture handelt es sich um eine Organisati- onsstruktur der Produktentwicklung mit dem Fokus auf die Aufbaustruktur. Es ist weniger ein Framework als ein Vorzeige- beispiel für eine agile Organisation entstanden beim schwedi- schen Musikanbieter Spotify. Spotify wurde 2006 gegründet, hat das Musikstreaming revolutioniert, mehr als 280 Mio. ak­ tive Nutzer und beschäftigt ca. 4.500 Mitarbeitende. Maß­ geblich relevant für diesen Erfolg ist die Art und Weise wie Spotify der Herausforderung begegnet, eine Vielzahl an Teams im Rahmen des Produktentwicklungsprozesses zu managen. Das kleinste Team wird bei Spotify als Squad bezeichnet und ähnelt dem Scrum-Team. Der Squad wird von einem Product Owner priorisiert, der die Kunden vertritt. Mehrere Squads (100–120 Personen) werden in Tribes gebündelt. Die Aufgabe der Querschnittfunktionen wird von den Chapters übernom- men. Im Ergebnis gleicht die Spotify-Organisationsstruktur stark einer Matrix-Organisation: Die horizontale Struktur (Squads und Tribes) sorgt dafür, dass Wissen, Tools und Soft- ware geteilt werden. Die vertikale Struktur (Chapter) unter- stützt und ermöglicht diese Prozesse. Die Kritik am Spotify-Modell konzentriert sich zumeist auf die fehlende Auflösung der Abhängigkeiten innerhalb der Tri- bes. Spotify hat dieses Risiko mit der Einführung einer Zielar- chitektur begrenzt. Die Architektur besteht wiederum aus Sys- temen mit eindeutig geregelten Verantwortungen. (Daut 2015; Kniberg & Ivarsson 2012). Auch das Beispiel Spotify zeigt, dass es beim Up-Scaling agi­ ler Arbeitsweisen darum geht, ab einer gewissen Organisa- tionsgröße (wahrscheinlich im unteren dreistelligen Mitarbei- terbereich) die richtige Ergänzung agiler Methoden zu finden, um Komplexität, Redundanzen und Unsicherheiten zu besei- tigen. Duale Betriebsmodelle — Beispiel SIGNAL IDUNA Aus der Perspektive agiler Arbeitsweisen ist der Begriff Hierar- chie negativ belegt. Er steht für altmodische, machtorientierte Führungsprinzipien, die auf Statussymbolen anstelle von Kom­ petenzen basieren. Allerdings steigt bspw. bei Start-ups die Wertschätzung für Querschnittsfunktionen und Hierarchien mit Zunahme der Organisationsgröße, was sich auch aus den dargestellten Up-Scaling-Grenzen und den einhergehenden Problemen wie Komplexität und Überlastung ableitet. Die Gegenposition, die den Begriff Hierarchie positiv be- legt, war Mitte des letzten Jahrhunderts, im Zuge der signifi- kanten Zunahme der Organisationsgrößen besonders ausge- prägt. Dabei wird Hierarchie als selbstverständliche Begleite- rin von komplexen Organisationen erachtet. Hierarchie ermög­ licht Wertschätzung und Anreize für besondere Mitarbeitende sowie die Vertretung der Organisation als Teil der Gesellschaft (Barnard 1938). Da organische, agile Organisationsstrukturen, wie bei Start- ups erlebbar, bei Erreichen gewisser Organisationsgrößen Ele- mente mechanistischer, hierarchischer Organisationsstruktu- ren – eindeutige Verantwortungen, Führungsebenen, formale Regelungen – benötigen und mechanistische Organisations- strukturen wiederum einen Bedarf an Agilität haben, liegt die Ausgestaltung der Organisationsstruktur bei mittelgroßen und großen Organisationen zumeist im mittleren Bereich zwischen organischem Netzwerk und mechanistischer Hierarchie. Die Kombination organischer, netzwerkartiger Strukturen mit mechanistischen, hierarchischen Strukturen bezeichnet Kotter als Dual Operating Model (Duales Betriebsmodell) (Kot­ ter 2014) (vgl. Abbildung 2). Abbildung 2 Dual Operating Model (IfSD) (Kotter 2014)
  • 5. 82 Nr. 1 |2021 OrganisationsEntwicklung Erfahrung | Up-Scaling agiler Arbeitsweisen Kotter erachtet die Anpassungsfähigkeit von Strukturen und Kulturen, die im letzten Jahrhundert gewachsen sind, an die heute benötigte Veränderungsgeschwindigkeit als nicht ge­ geben. Die Lösung sieht er nicht darin, das Vorhandene zu be- seitigen, sondern darin, der vorhandenen mechanistischen Struktur eine organische Struktur zur Seite zu stellen. Die or- ganische Struktur ermöglicht Agilität und Geschwindigkeit, während die mechanistische Struktur Stabilität und Effizienz sicherstellt. (Kotter 2014). Das Duale Betriebsmodell ermög- licht es trotz vorhandener Silos, Bürokratien, Regelreporting etc. die Vorteile agiler, organischer Teams insbesondere in kun­ dennahen Bereichen zu realisieren und auf diese Weise «Be- schleunigung» als Teil des Betriebssystemes der Organisation zu implementieren. Das Beispiel der SIGNAL IDUNA-Gruppe zeigt wie die Trans- formation einer Gruppe mit der Hilfe des Dualen Betriebsmo- dells erfolgreich gestaltet werden kann. Hierfür hat der füh- rende deutsche Zielgruppenversicherer für Handel, Handwerk und Gewerbe (Beitragseinnahmen ca. 6 Mrd. Euro, 10.200 Mit- arbeitende) die Themen Service- und Kundenzentrierung in den Mittelpunkt seiner Vision «Gemeinsam mehr Lebensqua- lität schaffen» gestellt. Agiles Arbeiten und kleine Teams set- zen konsequent aus Sicht der Kunden die angestrebte Verbes- serung der Kundenerlebnisse (Customer-Journeys), der Ser- vicequalität (Service-Journeys) und des Nutzens für die Ziel- gruppen (Zielgruppen-Journeys) selbstbestimmt durch. Gleichzeitig trägt die Beibehaltung der mechanistischen, hierarchieorientierten Teilstruktur zur Stabilität und Sicher- heit in der Organisation bei, erhält jedoch auch die eher ge- schlossenen, bewahrenden Eigenschaften. Bei einer Vielzahl von Journeys ist es sinnvoll Unterstüt- zungsfunktionen, die alle Journeys benötigen, wie bspw. Per- sonalfunktionen, einheitlich anzubieten und Fähigkeiten, die in den Journeys geschaffen werden, systematisch wiederzu- verwenden. An diesen Themen offenbaren sich die Nachteile Dualer Betriebsmodelle. Die agilen, selbstorganisierenden Teams stoßen auf die mechanistischen Strukturen. Die SIG- NAL IDUNA-Gruppe löst diese Herausforderung durch den Einsatz von Plattformen, die durch eine Service Dominierte Architektur (SDA) charakterisiert sind. Diese Architektur er- möglicht es, alle Fähigkeiten, Daten und Kompetenzen, die für kundenzentrierte Prozesse benötigt werden, in Echtzeit be- reitzustellen und zu nutzen. Auf diese Weise gelingt es dem Unternehmen die Fähigkeiten der bestehenden operativen Einheiten und der agilen Teams zu kombinieren. Microenterprises — Beispiel HAIER Der chinesische Industriekonzern und Serien-Weltmarktfüh- rer bei großen Haushaltsgeräten, die Unternehmensgruppe HAIER, beschäftigt ca. 73.000 Mitarbeitende. HAIER gelang innerhalb von 20 Jahren der Aufstieg von einer Kühlschrankfa- brik zu einem multinationalen Konzern. Der Erfolg fußt maß­ geblich auf der Etablierung einer neuen Philosophie, die auf agiler Arbeitsweise basiert und zu einer neuen Organisations- struktur geführt hat. Die Philosophie Rendanheyi bezeichnet die Ausrichtung von «Mitarbeiter und Anwender» auf ein Ziel. HAIER geht es dabei darum, die Mauern zwischen den Kunden und der Or- ganisation einzureissen und ganz nah am Kunden zu sein, eben Null-Abstand: «Zero-distance» (Kanter & Dai 2018). Um aus Sicht der Organisation näher an den Kunden zu kommen, werdeninFormvonMicroenterprisesagile,selbstorganisieren­ de Teams auf- und eingesetzt. Diese Teams haben die Kom­ pe­ tenzen, um Innovationen und externe Lösungen schnell für die Kunden bzw. Nutzer zu adaptieren (Tangvald & Wallhoff 2019). Abbildung 3 Microenterprises (IfSD) (Hamel & Zanini 2018) Incubating Microenterprises Industry Platform Node Microenterprises Market Microenterprises
  • 6. 83 Nr. 1 |2021 OrganisationsEntwicklung Up-Scaling agiler Arbeitsweisen | Erfahrung Es gibt drei Arten von als Microenterprises bezeichneten Teams (Hamel & Zanini 2018) (vgl. Abbildung 3): • Markt- / kundenzentrierte Microenterprises haben ihre Wur- zeln in der alten Organisation und erfinden sich selbst neu, um kundenzentrierte Lösungen zu erstellen. • Incubating Microenterprises identifizieren neue Geschäfts- modelle und digitale Services und verbinden diese mit den klassischen Geschäftseinheiten. • Node Microenterprises unterstützen die anderen Microen- terprises mit allen Produkten und Services, die diese benö- tigen: Personalwesen, IT (-Betrieb, Produktion), Design usw. Neben den agilen Teams sind Plattformen bei HAIER von zen- traler Bedeutung. Unterschiedliche Plattformen integrieren und bündeln digitale Fähigkeiten und stellen diese wiederver- wendbar zur Verfügung. Auf diese Weise unterstützen die Platt­­­ formen sowohl die Microenterprises als auch die Interaktionen mit Kunden und externen Partnern. Dies ermöglicht der Orga- nisation neue Mensch+Technologie-Konstellationen, innova- tive Produkte und innovatives Workforce Management. Bei der Unterstützung der Microenterprises unterscheidet HAIER zwischen Shared Service-Plattformen und Industrie- Plattformen: • Shared Service-Plattformen unterstützen Microenterprises mit Querschnittsfunktionen wie HR, Finance, Design, Con- trolling, usw. • Industrie-Plattformen finanzieren und koordinieren Mi­ croenterprises Um die Kunden besser zu verstehen soll die Interaktion mit ihnen erhöht werden. Ziel ist es, aus Kunden Anwender bzw. Nutzer zu machen, da ein Kunde bei HAIER für die «one trans­ action»-Beziehung steht, ein Nutzer hingegen für die kon­ tinuierliche Interaktion (Kanter & Dai 2018). Mit dem Ziel die Interaktion mit den Kunden zu erhöhen, ermöglichen Plattformen, die bestehenden Produkte und Lö- sungen durch wertvolle Services und Fähigkeiten zu ergänzen. Dies bietet neue Wertversprechen, mittels derer der Kunde zum Engagement und damit zur Interaktion animiert wird. Auf diese Weise werden Kunden zunehmend Nutzer, die bereit Abbildung 4 Microenterprises, Plattformen und Ökosysteme (IfSD) Market Microenterprises Node Microenterprises Customer Interaction Industry Platform Interaction Shared Service Platform Incubating Microenterprises Ökosysteme External Enterprise O O External Enterprise External capabilities *
  • 7. 84 Nr. 1 |2021 OrganisationsEntwicklung Erfahrung | Up-Scaling agiler Arbeitsweisen sind, sich und ihre Ressourcen einzubringen, wenn es für sie vorteilhaft ist. In einem dritten Schritt werden dann von HAI- ER auf Basis der Plattformen Nutzergemeinschaften und Öko- systeme entwickelt. Der Aufbau von Ökosystemen soll aus Nutzern Lifetime- Nutzer machen. Hierfür wird kontinuierlich die Anzahl der Wertversprechen (Lösungen, Anbieter, Funktionen, Services) erhöht. Um den Nutzen der Wertversprechen für sich zu gene- rieren, engagieren sich die Kunden im Sinne eines Co-crea­ tion-Prozesses und interagieren mit der Organisation (Kanter & Dai 2018). Das Beispiel HAIER zeigt wie mit dem Ansatz der Micro­ en­ ter­ prises die wesentlichen «innovation barriers» (Lewin et al. 2017) beseitigt werden: • Risikoaversion bzgl. Innovationen wird durch selbstorgani- sierende,unternehmerischagierende,agileTeamsabgebaut. • Fehlende Ressourcen und Fähigkeiten für die Exploration werden über offene Plattformen auf Basis moderner Tech- nologien integriert, aufgebaut und neu kombinierbar. • Der Fokus auf das laufende Geschäft bleibt und Micro­ enterprises ergänzen Produkte, entwickeln kundenzent- rierte Lösungen und Ökosysteme. • Alte IT-Systeme werden durch moderne Plattformen er- gänzt und teilweise ersetzt. • Die Koordination wird durch klare Rollen im Zuge der Mo- dularisierung in verschiedene Microenterprises, Industrie- und Shared Service-Plattformen skalierbar. Der Preis für die Realisierung dieser Vorteile ist die Erforder- nis, das gesamte Unternehmen, bzw. die gesamte Organisa­ tion neu aufzustellen und damit ein hoher Transformations- aufwand. Wie die Erfolgsgeschichte von HAIER zeigt, scheint der Ansatz der Microenterprises dann sinnvoll, wenn das Ge- schäftsmodell den systematischen Aufbau von Fähigkeiten er- fordert, um dem hohen Innovationsdruck gerecht zu werden. Ergebnis und Empfehlungen Allen drei Up-Scaling-Ansätzen ist die Kundenzentrierung immanent, da ihr Ursprung in agilen, selbstorganisierenden Teams liegt, die bereits bei der Entwicklung von Wertverspre- chen die Kunden und ihre Wünsche via Interaktion und Co- creation einbinden. Signifikante Unterschiede bestehen bei den Up-Scaling An- sätzen hinsichtlich des systematischen Aufbaus und der Wie- derverwendung von Fähigkeiten. Während bei «Agilen Me- thoden» und dem «Dualen Betriebsmodell» lediglich die Zu- ordnung zu Querschnitt-Teams bzw. vorhandenen Querschnitt-­ Funktionen vorgesehen ist, sehen die «Microenterprises» die Integration, den Aufbau und die Wiederverwendung von Fä- higkeiten bereits in ihrem plattformbasierten Ansatz vor. Alle drei Ansätze zum Hochskalieren agiler Arbeitsweisen haben Stärken und Schwächen. Bei der Wahl des Ansatzes sollteninsbesonderedieAspekteStrategie,Unternehmensgrö­ ße, Geschäftsmodell, Qualifikation, Innovationsdruck, Tech- Abbildung 5 Kundenzentrierung und Organisationsentwicklung mittels Up-Scaling agiler Arbeitsweisen «Der Preis dieser Vorteile ist die Erforder­ nis, das gesamte Unternehmen neu aufzustellen und damit ein hoher Transformationsaufwand.» Kriterium Indikator ME* DB* AM* + + + + + + + + + + + + + + + — — — — + + — — — + + + + — — — + — — — — *AM = Agile Methoden; *DB = Duales Betriebsmodell; *ME = Microenterprises Kundennähe und Wertversprechen Interaktion, Co-Creation und Ressourcen-Integration Datenbasiertes Kundenverständnis und Nutzergemeinschaften Verbesserung der Integration und Nutzung von Ressourcen Aufbau und Wiederverwendung von internen/externen Fähigkeiten Workforce Management und gegenseitige Wertschöpfung Kundenzentrierung Organisationsentwicklung
  • 8. 85 Nr. 1 |2021 OrganisationsEntwicklung Up-Scaling agiler Arbeitsweisen | Erfahrung Literatur • Barnard, C. I. (1938). The Functions of the Executive. Harvard Univer- sity Press. • Conboy, K. & Carroll, N. (2019). Implementing large-scale agile frameworks: challenges and recommendations. IEEE Software, 36(2), S. 44—50. • Daut, P. (2015). Agile@ scale: do more with less or be safe? Ansätze zur Skalierung - ein Überblick. Projektmanagement und Vorgehens­ modelle 2015. • De Jong, B. (2020). Das Scaled Agile Framework — Was ist SAFe? #1. Das Scaled Agile Framework. https://zoe.ch/scaled-agile-framework • Frosch, M. & Warg, M. (2020). A Conceptual Framework for Work- force Management: Impacts from Service Science and SD Logic. Inter- national Conference on Applied Human Factors, 2020 Springer. • Hamann, D. (2013). The art of scaling people. Slideshare. • Hamel, G. & Zanini, M. (2018). The end of bureaucracy. Harvard Business Review, 3(3), S. 44—51. • Kniberg, H. & Ivarsson, A. (2012). Scaling agile @spotify. ttps://zoe.ch/spotifyscaling • Kotter, J. (2014). Accelerate: Building strategic agility for a faster- moving world, Harvard Business Review Press. • Lewin, A. Y., Välikangas, L.& Jin, C. (2017). Lessons from Haier Enabling Open Innovation. International Journal of Innvation Studies. • Moss Kanter, R. & Dai, N. H. (2018). Haier: Incubating Entrepreneurs in a Chinese Giant. • Mucker, C. (2020). Scaling Agile - Welcher Ansatz passt zu mir? • Storbacka, K., Brodie, R. J., Böhmann, T., Maglio, P. P. & Nenonen, S. (2016). Actor engagement as a microfoundation for value co-creation. Journal of Business Research, 69(8), S. 3008—3017. • Tangvald, M. & Wallhoff, E. (2019). Adopting a network-based organisation. • Zell, H. (2019). Die Grundlagen der Organisation — lernen und lehren: BoD-Books on Demand. Markus Frosch CEO projekt 3T, Frankfurt Kontakt: markus.frosch@projekt-3T.com Prof. Dr. Markus Warg Leiter Institut für Service Design, Hamburg Kontakt: markus.warg@ifsd.hamburg nologieabhängigkeit und die Bedeutung der Interaktion mit den Kunden berücksichtigt werden. Tendentiell empfiehlt sich der Ansatz «Up-Scaling agiler Me­ thoden» bei kleinen und mittelgroßen Organisationen, deren Strategie den schnellen Aufbau von einer oder wenigen Lösun­ gen erfordert und deren Teams eng zusammenarbeiten und über annähernd gleich qualifizierte Teammitglieder verfügen. Der Ansatz «Duales Betriebsmodell» ermöglicht größeren Organisationen, die bzgl. Qualifikationsniveau und Art der Tä- tigkeit durch sehr heterogene Organisationseinheiten charak- terisiert sind, die Stärken agiler Methoden mit den Stärken klassischer, hierarchieorientierter Strukturen zu verbinden. Der Ansatz der «Microenterprises» erfordert eine grund­ legende Neuaufstellung der Organisation. Dafür bietet er grö- ßeren Organisationen mit hohem Innovationsdruck die Mög- lichkeit systematisch Fähigkeiten zu integrieren, aufzubauen, wiederzuverwenden und zu kombinieren. Vorhandene Fähig- keiten können für neue Wertversprechen genutzt, neue Work- force-Kombinationen etabliert und die Organisation systema- tisch entwickelt werden.