In diesem Vortrag werden empirische Untersuchungen zum individuellen Lernen und zur kollaborativen Wissenskonstruktion mit Wikis vorstellt. Wikis sind Werkzeuge im Netz, die den kooperativen Aufbau eines gemeinsamen Wissensspeichers ermöglichen. Durch die Zusammenarbeit und den Diskurs der beteiligten Autoren entwickelt sich das gemeinsame Wissen weiter, das Wiki wächst und wird komplexer: Es kommt zur kollaborativen Wissenskonstruktion. Gleichzeitig entwickelt sich das individuelle Wissen der beteiligten Autoren weiter: Es findet individuelles Lernen statt.
Theoretische Grundlage für die empirischen Arbeiten ist das Ko-Evolutionsmodell, dass zwei Systeme und deren Zusammenspiel beschreibt: Das kognitive System eines Individuums, in dem individuelle Lernprozesse stattfinden und das soziale System Wiki, in dem gemeinsames Wissen konstruiert wird. Das Modell integriert systemische und konstruktivistische Theorien und beschreibt einen kognitiven Konflikt als Auslöser für Lernen und Wissenskonstruktion. Der kognitive Konflikt führt zu einem Austausch von Wissen bzw. Informationen zwischen den zwei Systemen.
Der Vortrag stellt eine Netzwerkanalyse mit Artikeln aus der Online-Enzyklopädie Wikipedia vor, mit der die Ko-Evolution eines Artikel-Netzwerkes und eines Autoren-Netzwerkes analysiert wurde. Präsentiert werden außerdem Laborstudien, in denen der kognitive Konflikt, den ein Individuum erlebt als Auslöser für Lernen und Wissenskonstruktion untersucht wurde. Dazu wurden verschiedene Aspekte der Inkongruenz variiert, als Ausmaß der Nichtübereinstimmung zwischen Vorwissen der Versuchspersonen und Informationen im Wiki. Es zeigt sich, dass eine mittlere Inkongruenz individuelles Lernen und kollaborative Wissenskonstruktion anregt.
1. Individuelles Lernen und kollaborative
Wissenskonstruktion mit Wikis als
Ko-Evolution von kognitiven
und sozialen Systemen.
Johannes Moskaliuk
10.Februar 2010 | Tübingen
3. Technologie Wiki
Webseiten, die miteinander verlinkt sind
direkt im Browser editierbar
Text einfügen, ändern, löschen
neue Seiten anlegen
Links setzen
3
4. Forschungsfrage
3 Ko-Evolution
2
Individuelles Lernen
Wissen eines Individuums
1
Kollaborative Wissenskonstruktion
Wissen einer Community
4
5. Theorie | kollaborative Wissenskonstruktion
1
Kollaborative Wissenskonstruktion
Wissen einer Community
5
6. Theorie | kollaborative Wissenskonstruktion
Wissenschaft
neue Ideen
Gesellschaft
Community
Wiki
Diskurs
Scardamalia & Bereiter (2006)
6
7. Theorie | kollaborative Wissenskonstruktion
1
Kollaborative Wissenskonstruktion
Wissen einer Community
7
9. Theorie | individuelles Lernen
Kognitiver Konflikt
Informationen
aus der Umwelt
Wiki
Individuelles
Vorwissen
Piaget (1978)
9
10. Theorie | individuelles Lernen
Assimilation
Eine neue Umwelterfahrung kann
mit einem vorhandenen Schema
verstanden werden.
Akkommodation
Eine neue Umwelterfahrung führt zu
einer Anpassung des vorhandenen
Schemas.
Piaget (1978)
10
14. Theorie | Ko-Evolution
Ko-Evolution
Kognitives System Kognitiver Konflikt
externalisieren
Wiki
internalisieren
Soziales System
Cress & Kimmerle (2008)
14
16. Hypothesen | Höhe des kognitiven Konflikt
Wiki
Vorwissen
Inkongruenz
Kognitiver
Konflikt
keine
Lernen und Anknüpfungs-
Wissens- punkte
konstruktion
niedrige mittlere hohe
Inkongruenz Inkongruenz Inkongruenz
16
17. Hypothesen | Höhe des kognitiven Konflikt
Wiki
Vorwissen
Inkongruenz
Kognitiver
Konflikt
keine
Lernen und Anknüpfungs-
Wissens- motivationale
Hürden punkte
konstruktion
niedrige mittlere hohe
Inkongruenz Inkongruenz Inkongruenz
17
18. Hypothesen
Ko-Evolution von
sozialen und kognitiven
Systemen
Kognitives System
Kognitiver
Konflikt
als Auslöser
Soziales System
18
19. Feldstudie | Ko-Evolution in Wikipedia
Netzwerkanalyse
Knoten und Beziehungen (Kanten)
Deskriptive Methode
Strukturen beschreiben
Entwicklung über die Zeit
Autoren-Netzwerk Artikel-Netzwerk
Mitarbeit an Artikeln Links zwischen Artikeln
Hypothese:
Ko-Evolution
19
20. Feldstudie | Untersuchungskorpus
Artikel aus der Wikipedia
Ursachen der Schizophrenie
biologische Faktoren
soziale Faktoren
Diathese Stress - Modell
20
23. Feldstudie | Ergebnisse
Autoren-Netzwerk: Mitarbeit bei
integrativen Artikeln
Artikel-Netzwerk: Konvergenz
biologischer und sozialer Artikel
Ko-Evolution
23
24. Feldstudie | Ergebnisse
Netzwerkanalyse
Struktur eines Netzwerkes vs.
Unabhängigkeit
deskriptiv vs.
hypothesentestend
großes Artikel-Netzwerk vs.
Einzelfall
24
25. Hypothesen
Ko-Evolution von
sozialen und kognitiven
Systemen
Kognitives System
Kognitiver
Konflikt
als Auslöser
Soziales System
25
30. Abhängige Variablen | Externale Akkommodation
Hinweis auf
Diathese-Stress-Modell
Qualitative
Verschieben von Text Wissenskonstruktion
∆ Argumentstruktur
30
31. Abhängige Variablen | Internale Assimilation
Faktenwissen
Die Double Bind Theorie macht empirisch
gesicherte Aussagen über die Ursachen
der Schizophrenie.
21 Aussagen über
die Ursachen der
richtig falsch weiß nicht
Schizophrenie
31
32. Abhängige Variablen | Internale Akkommodation
Offene Frage
„Notiere die Erklärung, die Dir am
ehesten eingeleuchtet hat, oder die Du
für die beste Erklärung hältst“
Diathese-Stress-
Modell
Interaktion
Konzeptwissen
biologische und
soziale Ursachen
Rating der Qualität nur biologische
oder nur soziale
der Antworten Ursachen
32
33. Studie 1 | Manipulation der Externalisierung
Wiki VP Wiki VP Wiki VP Wiki VP
Bedingung 1 Bedingung 2 Bedingung 3
Niedrige mittlere hohe
Inkongruenz Inkongruenz Inkongruenz
biologisch sozial Diathese-Stress
33
34. Studie 1 | Hypothesen
Lernen
Wissens- keine
konstruktion motivationale Anknüpfungs-
Hürden punkte
niedrige mittlere hohe
Inkongruenz Inkongruenz Inkongruenz
34
35. Studie 1 | Ergebnisse
F(1,77)=6.706, p=.012
r2change=.107
35
36. Studie 1 | Zusammenfassung
Design
Vorwissen konstant
Informationen im Wiki variiert
Mittlere Inkongruenz
Mehr Konzeptwissen
Mehr Faktenwissen
Mehr Qualitative Wissenskonstruktion
Mittlere Inkongruenz erleichtert es, eigenes
Wissen mit vorhandenen Informationen im
Wiki zu verknüpfen.
36
37. Studie 2 und 3 | Zusammenfassung
Wiki VP Wiki VP Wiki VP Wiki VP
Bedingung 1 Bedingung 2 Bedingung 3
Niedrige mittlere hohe
Inkongruenz Inkongruenz Inkongruenz
biologisch sozial
37
38. Studie 3 | Ergebnisse
F(1,73)=26.989, p<.01,
r2change=.285
38
39. Studie 4 und 5 | Redundanz vs. Gegensätzlichkeit
Wiki VP Wiki VP Wiki VP
Alle Infos Vier Infos Keine Infos
Redundanz redundant redundant Redundant
Gegensätzlichkeit Kein Gegensatz Kein
Gegensatz Gegensatz
39
40. Studie 4 | Manipulation der Redundanz
Wiki VP Wiki VP Wiki VP
Bedingung 1 Bedingung 2 Bedingung 3
niedrige mittlere hohe
Redundanz Redundanz Redundanz
biologisch sozial
40
41. Studie 4 | Ergebnisse
F(1,82)=32,789, p<.01,
r2change=.299
41
42. Studie 5 | Manipulation der Gegensätzlichkeit
Wiki VP Wiki VP
Bedingung 1 Bedingung 2
hohe niedrige
Gegensätzlichkeit Gegensätzlichkeit
sozial biologisch
42
43. Studie 5 | Ergebnisse
t(48)=2.01, p<.05, d=0.57
43
44. Laborstudien | Zusammenfassung
Mittlere Inkongruenz fördert Lernen und
Wissenskonstruktion
Redundanz und Gegensätzlichkeit als
Faktoren der Inkongruenz
Gegensätzlichkeit motiviert, das Wiki zu
ergänzen
Redundanz ermöglicht Integration von
vorhandenem Wissen und neuen
Informationen
44
45. Fazit
Individuelles Lernen und kollaborative
Wissenskonstruktion
Ko-Evolution
Entwicklung von Autoren-Netzwerk und
Artikel-Netzwerk
Kognitiver Konflikt als Auslöser
Mittlere Inkongruenz
Redundanz
Gegensätzlichkeit
45
46. Fazit
Individuelles Lernen
Wissen
Wiki
Kollaborative Wissenskonstruktion
Informationen
46
Piaget spezifiziert nun den Prozess, wie das kognitive Gleichgewicht wieder hergestellt wird. Er unterscheidet den Prozess der Assimilation und den Prozess der Akkommodation. Assimilation meint: Akkommodation meint: