3. Was ist Landeskunde?
Ansatz von Claus Altmayer (2002, 2004,
2007) - Landeskunde als
Kulturwissenschaft:
Landeskunde hat es nicht mit Fakten und
Zahlen, sondern vor allem mit
„kulturellen Deutungsmustern“ zu tun.
Kulturelles Lernen in Gang setzen und
unterstützen mit dem Ziel des
Fremdverstehens
4. Kultur als geteiltes Wissen
Clifford Geerts: Kultur ist das
“selbstgesponnene Bedeutungsgewebe” in das
Menschen als Mitglieder sozialer Gruppen
“verstrickt” sind.
„Mit ‚Kultur‘ wären demnach vor allem
diejenigen Bestände eines ... von uns als
‚normal‘, ‚selbstverständlich‘ und allgemein
bekannt angenommenen Wissens gemeint,
das wir in unseren alltäglichen
Lebensvollzügen immer schon verwenden ...“
(Altmayer 2002)
5. Kulturelle Deutungsmuster
„Wir deuten die gemeinsame Welt und Wirklichkeit und
orientieren uns handelnd in dieser Wirklichkeit auf der
Basis von Mustern, die wir im Verlauf unserer
Sozialisation erlernt haben …
So weit es sich bei diesen Mustern um überlieferte, im
kulturellen Gedächtnis einer Gruppe gespeicherte und
abrufbare Muster von einer gewissen Stabilität handelt,
spreche ich von ‘kulturellen Deutungsmustern’, und
den Bestand an ‘kulturellen Deutungsmustern’, der
einer Gruppe als gemeinsamer Wissensvorrat für die
diskursive Wirklichkeitsdeutung zur Verfügung steht,
nenne ich die ‘Kultur’ dieser Gruppe“ (Altmayer, 2007,
S. 13).
7. Kulturelles Lernen
Kulturelles Lernen heißt - veranlasst durch die
Auseinandersetzung mit deutschsprachigen ‘Texten’
oder in Begegnungssituationen - über die eigenen
Deutungsmuster reflektieren und diese so anpassen,
umstrukturieren, verändern oder weiterentwickeln, dass
sie den kulturellen Deutungsmustern der Zielkultur
weitgehend entsprechen
und die Lernenden in die Lage versetzen, diesen Texten
oder Situationen einen kulturell angemessenen Sinn
zuschreiben und dazu angemessen Stellung nehmen zu
können (Altmayer 2007, S. 17 – 18).
Ziel: Fremdverstehen
8. Fremdverstehen als Prozess
in vier Schritten
” ‚Fremdverstehen’ heißt …, dass Fremdsprachenlerner
bereit und in der Lage sind,
die eigenen individuellen und/oder kulturellen kognitiven
Schemata der Welt- und Wirklichkeitsdeutung zu
relativieren und in Frage zu stellen;
die eventuelle ‚Fremdheit’ und Unverständlichkeit von
fremdsprachlichen Texten und Äußerungen prinzipiell
auf diesen Texten/ Äußerungen möglicher Weise zu
Grunde liegende andere und unbekannte kognitive
Schemata zurückführen können;
9. Fremdverstehen als Prozess
in vier Schritten
die ‚fremden’ Schemata als potenzielle Gründe
rekonstruieren können, die für die mit
fremdsprachlichen Texten und Äußerungen
erhobenen Geltungsansprüche sprechen könnten;
auf der Basis dieser Rekonstruktion der rationalen
Gründe von Geltungsansprüchen dazu begründet
Stellung nehmen, d.h. die Gründe als hinreichend
akzeptieren oder als inakzeptabel zurückweisen
können.“ (Altmayer 2004, S. 70/71)
10. Beispiel Fremdverstehen
Hongi
Maj. Bill Eberhardt touches noses (Hongi) with a
Maori warrior during a Powhiri, or welcoming
ceremony, at Christchurch, New Zealand.
Als ein Werk der Regierung der Vereinigten Staaten
ist diese Datei gemeinfrei. Quelle:
http://commons.wikimedia.org/wiki/File%3APowhiri%2C_USAF.jpg
Video: What a Hongi means
http://youtu.be/uwN3TcsLXsU
11. Zugänge für kulturelles
Lernen
Kultur in Sprache
Kultur im Verhalten/ Handeln von Menschen
Kultur in Manifestationen, d.h. diejenigen
institutionellen, historischen und kulturellen
Gegebenheiten, die das Beziehungsgefüge
für unsere Alltagskultur herstellen (vgl.
Krumm 1998)
13. Beispiel: Kultur in Sprache Identität
Muddeln ist Widerstand (Tom Pauls)
Auf der Webseite des Tom-Pauls-Theaters Pirna heißt es im Text „Die sächsischen
Wörter des Jahres 2008“ zum Wort „Muddln“:
„Wir muddeln rum. Nicht, dass wir nichts täten. Wir machen schon was; bloß – es
wird nischt. Wir haben uns gleichsam von der Zeit abgekoppelt, wir sind
ausgestiegen aus dem Weltengetriebe, wir sind nicht weg, aber wir sind auch nicht
hier. Wir sind bei uns. … Muddeln ist eine großartige Sache, die gesund erhält. Es ist
die sächsische Art zu meditieren.“
14. Beispiel: Raum/Proxemik Verhalten bei Begrüßung
Zwei Bilder aus einem studentischen Projekt (2003): Ein brasilianischer
Student begrüßt eine deutsche Studentin/ Zwei Deutsche begrüßen sich.
16. Beispiel: Zeit - Sonntag
Sonntag: Beispiel für Zeitkompartimentierung
17. Was sind „neue“ Medien?
Heute und für unser Thema interessant: Web 2.0:
„Web 2.0 ist ein Schlagwort, das für eine Reihe
interaktiver und kollaborativer Elemente des Internets,
speziell des World Wide Webs, verwendet wird. Hierbei
konsumiert der Nutzer nicht nur den Inhalt, er stellt als
Prosument selbst Inhalt zur Verfügung. Der Begriff
postuliert in Anlehnung an die Versionsnummern von
Softwareprodukten eine neue Generation des Webs und
grenzt diese von früheren Nutzungsarten ab. Die
Verwendung des Begriffs nimmt jedoch zugunsten des
Begriffs Social Media ab.“ (
http://de.wikipedia.org/wiki/Web_2.0)
19. Potential für Kulturlernen 1
Material sammeln und
zusammenstellen:
RSS Feeds; E-Portfolios;
social bookmarking; Evernote; …. BlogArchiv als E-Portfolio –
Informationen sammeln als
Grundlage für eine Rekonstruktion
der fremden kognitiven Schemata
20. Potential für Kulturlernen 2
Material mit anderen diskutieren –
zusammenarbeiten:
Kollaborative Online-Tools wie z.B. Google Docs
; Wikis; Etherpad; TitanPad; Mindmeister; Skype;
Soziale Netzwerke (Twitter, Facebook, Google+;
Google+-Hangout)
Rekonstruktion der fremden kognitiven
Schemata im Austausch auch mit den
Fremden
21. Potential für Kulturlernen 3
Eigene Texte/Materialien erstellen bzw.
veröffentlichen:
Blogs; Medien teilen (YouTube; Flickr);
E-Book erstellen; Slideshare; Prezi; Wikis; … –
Veröffentlichen/Teilen von Erkenntnissen
zu fremden kognitiven Schemata;
begründet dazu Stellung nehmen.
ODER: Zum Anstoß von Lernprozessen: Fremde
Handlungen, Texte, Äußerungen
sehen/hören/erfassen.
23. Was heißt Lernen in diesem
Zusammenhang?
Quelle: http://www.dadalos-d.org/web20/images/lernen_20.png
24. Was heißt Lernen in diesem Zusammenhang?
traditionelle
Vorstellung
konstruktivistische
Vorstellung
konnektivistische
Vorstellung
Wissen kann vermittelt
werden
Wissen wird
konstruiert
Wissen ist verteilt und
vernetzt
Instruktion
selbstbestimmtes
Lernen
Lernen als lebenslanger
Prozess
unterrichten
begleiten
Lehrer als „Meister“
Lehrer als Moderator/
Coach
Lerner als „Lehrling“
Lerner als aktives
Subjekt
Lehrsystem
Lernumgebung
...
...
Teilnehmende lernen
voneinander/ miteinander
Lehrer als
Teilnehmender des
Lernnetzwerkes
Lerner aktiv als Teil
eines Netzwerkes
Persönliches
Lernnetzwerk (PLN)
...
25. Lernen heißt ...
... nicht, Informationen zu erwerben.
Lernen heißt, Informationen zu diskutieren,
Informationen zu bezweifeln, Informationen zu
kritisieren, Informationen zu teilen, Informationen
zu schaffen.
Lernen heißt, bedeutungsvolle Verbindungen
zwischen Informationen zu erzeugen. Lernen
heißt Bedeutung für sich zu erschaffen (vgl.
Michael Wesch: „A Portal to Media Literacy“).
26. Lernen im konnektivistischen Ansatz
(George Siemens)
Daten: originale Sachverhalte, Symbole
Informationen: Daten, die gegliedert, interpretiert,
aufbereitet und verwendbar für den Zweck gemacht wurden,
für den die Daten ursprünglich gesammelt wurden
Wissen: Informationen im Kontext (d.h. die Bedeutung von
Informationen verstehen) oder Information mit
semantischer Bedeutung
Lernen: Zur Handlung gebrachtes oder in Handlung
überführbares Wissen, etwas mit dem Wissen tun.
Quelle: George Siemens (2005): What is Learning: http://www.connectivism.ca/?p=14
27. Frage?
Wie können Internet und Social Media
Lernprozesse des Fremdverstehens
unterstützen, d.h.
fremde Schemata der Weltdeutung zu
finden und zu erkennen, deren Bedeutung
zu rekonstruieren und begründet dazu
Stellung zu nehmen,
d.h. für sich Bedeutung zu schaffen und mit
diesem Wissen etwas zu tun?
28. Beispiel: Projekt 1968
Rainald Grebes Lied als Ausgangspunkt - Daten
Daten gegliedert - gemeinsam erstellte Mindmap als
Grundlage für Gruppenarbeit zum Sammeln von
Informationen
Gruppenarbeit - Deutungsmuster/ kulturelle
Schlüsselwörter mit Inhalt füllen - Bedeutung schaffen
- Wissen - für Gruppenarbeit social media nutzen
Lernen/etwas mit dem Wissen tun: Ergebnisse
präsentieren und diskutieren:
Gruppenblogs/ Präsentationen
31. Bedeutung schaffen - Wissen
Gruppenarbeit: Zu jeweils einem Teil des
Bedeutungsnetzes
Hintergrundinformationen sammeln und
verarbeiten (Suchmaschine der Wahl;
Evernote; Dropbox; Delicious).
Für Austausch in der Gruppenarbeit: Blog
oder Wiki oder ein Soziales Netzwerk oder
kollaborative Onlinetools nutzen
Evtl. Deutungsmuster „1968“ in anderen
Kulturen diskutieren
32. Etwas mit dem Wissen tun
Ergebnisse der Gruppenarbeit online
und/oder offline präsentieren und
diskutieren:
Blogs, YouTube, Flickr, Slideshare, Prezi;
E-Book erstellen ...
33. Evtl. Diskussion:
„... Recourcenschonung,
Klimawandel - wenn heute
Janis Joplin davon reden
würde! Oder nehmen Sie
"Nachhaltigkeit": Damals
hieß es "die young" und:
"Man kann schlafen, wenn
man tot ist." 20-Jährige von
heute reden ganz anders,
die sind schon so straight
drauf ...“ (Rainald Grebe
über 68 im taz-Interview).
Jennis Joplin 1969 - Live Fast, Love Hard,
Die Young
35. Literatur
Altmayer, Claus. (2002). Kulturelle Deutungsmuster in Texten. Prinzipien und Verfahren einer kulturwissenschaftlichen Textanalyse im Fach Deutsch als Fremdsprache. Zeitschrift für Interkulturellen
Fremdsprachenunterricht [Online], 6(3), Available: http://zif.spz.tu-darmstadt.de/jg-06-3/beitrag/deutungsmuster.htm
Altmayer, Claus: Kultur als Hypertext. Zur Theorie und Praxis der Kulturwissenschaft im Fach Deutsch als Fremdsprache. Iudicium Verlag München 2004
Altmayer, Claus (2008): Von der Landeskunde zur Kulturwissenschaft. Innovation oder Modetrend? – In: Germanistische Mitteilungen 65/2007. – Online am 03.11.2008:
http://www.bgdv.be/gm65/GM65_altmayer.pdf
Aufenanger, Stefan: Keynote von Prof. Dr. Stefan Aufenanger (Universität Mainz, Erziehungswissenschaft und Medienpädagogik): “‘Gefällt mir!’ – Besser Lernen mit digitalen Medien”
http://youtu.be/v78gOFnUoLA (Veröffentlicht am 06.02.2013)
Bernhardt, Thomas und Marcel Kirchner: E-Learning 2.0 im Einsatz – Online am 26.07.2013. URL: http://elearning2null.de/learnmedia/Bernhardt-Kirchner_E-Learning-2.0-im-Einsatz.pdf
Bernhardt, Thomas und Marcel Kirchner: Lerntheoretischer Hintergrund. In: E-Learning 2.0. Gemeinschaftlich geführte Weblog der Wissenschaftlichen Mitarbeiter und Promotionsstudenten Thomas Bernhardt
(Uni Bremen) & Marcel Kirchner (TU Ilmenau) zum Thema “E-Learning 2.0″.Online am 26.07.2013. URL: http://www.elearning2null.de/publikationen/expose/2-lerntheoretischer-hintergrund/ .
D@dalos – Internationaler UNESCO Bildungsserver für Demokratie-, Friedens- und Menschenrechtserziehung: Online-Lehrbuch Web 2.0. Online: http://www.dadalos-d.org/web20/inhalt.htm
Geertz, Clifford. (1995). Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme. 4. Aufl. Frankfurt a.M.
Krumm, H.-J.: Landeskunde Deutschland, D-A-CH oder Europa? Über den Umgang mit Verschiedenheit im DaF-Unterricht. – In: Info DaF. Informationen Deutsch als Fremdsprache 25, 5 (1998), S. 523-544.
Penning, D.: Landeskunde als Thema des Deutschunterrichts – fächerübergreifend und/oder fachspezifisch? – In: Info DaF 22, 6 (1995), 626 – 640.
Podcasting im Fremdsprachenlernen & Interkulturellen Lernen Testwiki der Duisburg-Essener Anglistik. – Online am 14.07.2013:
http://wiki.uni-due.de/ang/index.php/Podcasting_im_Fremdsprachenlernen_%26_Interkulturellen_Lernen
Rosa, Lisa: Lernen Lernen lernen mit dem persönlichen Lernnetzwerk. Wie im digitalen Zeitalter eigensinnig und gemeinsam gelernt wird. – Vortrag auf der #relearn der re:publica 13 2013. Online:
http://shiftingschool.wordpress.com/2013/05/10/lernen-lernen-lernen-mit-dem-personlichen-lernnetzwerk-wie-im-digitalen-zeitalter-eigensinnig-und-gemeinsam-gelernt-wird/
Siemens, George: Connectivism: http://www.connectivism.ca/
Tushar Chaudhuri und Csilla Puskás: Interkulturelle Lernaktivitäten im Zeitalter des Web 2.0. Erkenntnisse eines telekollaborativen Projektes zwischen der Hong Kong Baptist University und der Justus-LiebigUniversität Gießen – In: Informationen Deutsch als Fremdsprache • 38. Jahrgang • Heft 1 • Februar 2011. – Online am 14.07.2013: http://www.iudicium.de/InfoDaF/contents/InfoDaF_2011_Heft_1.htm
Wesch, Michael: Vortrage “A Portal to Media Literacy”, (17. Juni 2008 an der University of Manitoba). – Online: http://youtu.be/J4yApagnr0s
Hinweis der Redaktion
Warum dieses Thema? Nicht nur, weil beide Stichworte meine besonderen fachlichen Interessen umschreiben.
Fachliche Gründe:
Landeskunde ist ein Problem (Altmayer) und seit 2005/06 immer wieder in der fachlichen Diskussion, besonders auch unter dem Stichwort „Kulturwissenschaft“.
„Neue“ Medien: Dazu Thissen, Kirch, Stang u.a. (2013): „Soziale Medien und Tablet Computer sind kein weiteres Sprachlabor, das nach ein paar Jahren veraltet war, es sind Technologien und Kommunikationsformen, die eine neue digitale Welt ebenso selbstverständlich bestimmen werden, wie für uns der öffentliche und private Personenverkehr (Autos, Züge, Flugzeuge) und die traditionellen Kommunikationsmedien (TV, Telefon) zum Alltag gehören. Es gibt kein zurück mehr!“
Um dieses weite Feld in der hier gebotenen Kürze zur Diskussion zu stellen, sollen in den folgenden Abschnitten diese Fragen angerissen werden:
Daraus folgen die Fragen:
Wie ist der Kulturbegriff in diesem Kontext zu sehen?
Was sind kulturelle Deutungsmuster?
Was bedeutet kulturelles Lernen und Fremdverstehen?
Diesen Fragen soll im folgenden nachgegangen werden.
Kultur ist geteiltes Wissen, sind „selbstgesponnene Bedeutungsgewebe“, in die der Mensch verstrickt ist. Die Untersuchung von Kultur „ist daher keine experimentelle Wissenschaft, die nach Gesetzen sucht, sondern eine interpretierende, die nach Bedeutungen sucht“ (Geertz 1987, S. 9).
Diese Kulturdefinition passt auch sehr gut zu dem hier von mir vertretenen Konzept von Lernen, denn wenn Lernen heißt – wie später noch ausgeführt werden wird – Bedeutung für sich zu erschaffen (vgl. Wesch 2008), dann sucht Kulturlernen eben durch Interpretation nach Bedeutungen.
Diese kulturellen Deutungsmuster spielen in der Kommunikation eine wichtige Rolle und werden in der Regel als bekannt vorausgesetzt, ohne es immer zu sein. So sind sie eine mögliche Quelle für Nichtverstehen oder Falschverstehen und eine Grundlage für kulturelles Lernen im Fremdsprachenunterricht (vgl. Altmayer 2007, S. 14).
Vgl. Beispiel nächste Folie
Stasi-Hauptmann Wiesler (Ulrich Mühe), der den Schriftsteller Dreymann abhört.
Bundesminister des Inneren Wolfgang Schäuble
Kulturelle Deutungsmuster: Sicherheit und Freiheit oder Freiheit versus Sicherheit; weisen über diesen einen Text hinaus und sind als Teil des gesellschaftlichen Diskurses in vielen anderen Texten zu finden.
Nachdenken über eigene und fremde Deutungsmuster = Kulturelles Lernen
Aufgabe von Landeskunde: Wissenserwerb im Sinn des Erwerbs von Deutungsmustern anzuregen und zu begleiten mit dem Ziel des Fremdverstehens, also den Lernprozess der Entwicklung von Fremdverstehen zu unterstützen.
Landeskunde hat es deshalb nicht mit Fakten und Zahlen, sondern vor allem mit ‘kulturellen Deutungsmustern’ zu tun
Der erste Schritt zum Fremdverstehen ist anzuerkennen, dass die Begrüßungsrituale der eigenen Kultur nicht die einzig möglichen sind und dass dieses zunächst sehr exotisch scheinende Ritual in der Kultur der Maori ganz sicher eine bestimmte Bedeutung hat.
Im zweiten und dritten Schritt geht es darum, nach der Bedeutung – nach den kognitiven Schemata – dieses Begrüßungsrituals für die Maori zu suchen und diese Schemata zu rekonstruieren, um für sich eine Bedeutung dafür zu schaffen. Dabei helfen die neuen Medien: Dr. Rangimarie Turuki Rose Peri aus Tuai, einer kleinen Stadt in den Bergen der Nordinsel von Neuseeland, erklärt in einem kurzen Video auf YouTube, was ein Hongi als traditioneller Gruß der Maori bedeutet:
Er symbolisiert die Einheit des Menschen und seine Verbindung mit der Natur, mit der Göttin Mutter Erde und mit dem Mitmenschen: „Wenn wir das sehende oder heilende Auge berühren, verbinden wir uns und erinnern uns dass wir miteinander verknüpft sind und dass wir Teil der Einheit von allem sind, das existiert“, sagt sie sinngemäß übersetzt.
Nachdem dieses Ritual nun nicht mehr einfach nur exotisch ist, sondern versucht wurde, seine Bedeutung zu rekonstruieren, kann im vierten Schritt dazu Stellung genommen werden.
Drei Zugänge für kulturelles Lernen nach KRUMM
Im folgenden soll versucht werden, anhand von Beispielen zu zeigen, wie diese Themenbereiche mit den genannten drei Zugängen für kulturelles Lernen verbunden werden können.
Auf der Webseite des Tom-Pauls-Theaters Pirna heißt es im Text „Die sächsischen Wörter des Jahres 2008“ zum Wort „Muddln“:
„Wir muddeln rum. Nicht, dass wir nichts täten. Wir machen schon was; bloß – es wird nischt. Wir haben uns gleichsam von der Zeit abgekoppelt, wir sind ausgestiegen aus dem Weltengetriebe, wir sind nicht weg, aber wir sind auch nicht hier. Wir sind bei uns. … Muddeln ist eine großartige Sache, die gesund erhält. Es ist die sächsische Art zu meditieren.“
Das zeigt sehr schön am Beispiel eines Wortes aus einem regionalen Dialekt, wie sich in Sprache und Wortbedeutungen regionale Identitäten zeigen oder anders gesagt: Wie sich regionale Identitäten in Sprache ausdrücken
Ein Brasilianer begrüßt eine Deutsche, die diese Nähe offensichtlich als unangenehm empfindet; zwei Deutsche begrüßen sich. Begrüßungsrituale als Deutungsmuster. Diese kurzen Filme aus einem studentischem Projekt zeigen im übrigen auch, wie selbst angefertigte Medien theoretisches Wissen zu Raum als wichtigem Kulturaspekt (vgl. dazu z.B. Hall 1966) sichtbar und begreifbarer machen können.
Hier wird ganz deutlich ein Wert angesprochen, der für viele Deutsche eine große Rolle spielt: Sicherheit. Eine von Hofstedes Dimensionen von Nationalkulturen (vgl. Hofstede 2001) ist die Dimension der Unsicherheitsvermeidung:
„The uncertainty avoidance dimension expresses the degree to which the members of a society feel uncomfortable with uncertainty and ambiguity. The fundamental issue here is how a society deals with the fact that the future can never be known: should we try to control the future or just let it happen?“ (http://geert-hofstede.com/dimensions.html am 28.07.2013).
Mit einem Unsicherheitsvermeidungsindex von 65 gehört Deutschland nach Hofstede zu den unsicherheitsvermeidenden Ländern (vgl. http://geert-hofstede.com/germany.html am 28.07.2013). Die Wichtigkeit der Vermeidung von unsicheren, unbekannten, nicht beherrschbaren oder ambiguinen Situationen als Wert zeigt sich nicht nur in diesem Werbespot, sondern auch in vielen Situationen im Alltag und könnte ebenfalls als kulturelles Deutungsmuster verstanden werden.
Greg Nees sieht darin ein Beispiel für die starke Kompartmentierung oder Bereichsbildung, die er als Amerikaner in Deutschland vorfindet: „Another example of compartmentalization in German society can be seen in then use of time. Clear an orderly divisions of time organize German life, and specific days and time slots carry an implicit meaning“ (Nees 2000, S. 49). Sonntag könnte hier wieder als kulturelles Deutungsmuster gesehen werden, ohne dessen Kenntnis man die Spezifik des deutschen Sonntags und des mit diesem Tag verbundenen Verhaltens nicht verstehen kann.
Wir erinnern uns:
Kulturelles Lernen heißt nach Altmayer (2007, S. 17 – 18) – veranlasst durch die Auseinandersetzung mit deutschsprachigen Texten oder in Begegnungssituationen – über die eigenen Deutungsmuster zu reflektieren und diese so anzupassen, umzustrukturieren, zu verändern oder weiter zu entwickeln, dass sie den kulturellen Deutungsmustern der Zielkultur weitgehend entsprechen und sich in die Lage zu versetzen, diesen Texten oder Situationen einen kulturell angemessenen Sinn zuzuschreiben und dazu angemessen Stellung nehmen zu können. Das Ziel kulturellen Lernens ist Fremdverstehen.
Teilschritte kulturellen Lernens: s. Folien
Das alles auch ohne neue Medien möglich, aber: ZITAT
„Facebook, Twitter, Youtube und Co. sind nicht nicht nur Kommunikationsplattformen. Sie sind ebenso die größten Bildungsplattformen auf diesem Planeten. Nicht nur in den Klassenräumen sondern ebenso im Internet wird global Wissen erschlossen, vermittelt, kommuniziert und weiter entwickelt. Die digitale Welt ist kein lustiges Freizeitvergnügen – sie ist Kommunikationsraum und Lernort zugleich. Und sie ist nicht(!) virtuell, sondern sie ist real. … Das Social Web steht weniger für Technologien als vielmehr für eine neuen Kultur bzw. neue Denk- und Arbeitsweisen. Es geht um neue Formen gemeinsam zu arbeiten und zu lernen. Es geht um neue Berufe. Es geht um neue Sozialsysteme. Es geht um neue Hierarchiemodelle und neue Formen der Zusammenarbeit. Das alles ist keine Science Fiction. Es passiert hier und jetzt und es ist längst kein Nischenthema mehr. Schule kann und muss die Schüler auf diese Zukunft vorbereiten. Tut sie das nicht, ist sie letztlich wertlos.” (Christoph Deeg: Der digitale Bildungs-GAU und was wir dagegen tun sollten. – Online am 29.07.2013 unter http://crocksberlin.wordpress.com/2013/07/28/der-digitale-bildungs-gau-und-was-wir-dagegen-tun-sollten/).
Speziell für Landeskunde und kulturelles Lernen:
Durch kollaborative Online-Tools ist Kommunikation und Zusammenarbeit über Kulturgrenzen hinweg leichter möglich geworden und durch Zusammenarbeit und Austausch mit den Fremden wird kulturelles Lernen authentisch.
Lernen heute: lebenslanges Lernen, das durch persönliche Lernnetzwerke unterstützt werden kann.
Zielgruppe: Germanistikstudenten
Studierende der Germanistik deshalb, weil ich diese Zielgruppe am besten kenne und weil an DaF-Seminaren häufig deutsche und nichtdeutsche Studierende gemeinsam teilnehmen und sie so sehr gut kulturell von einander lernen könnten. Auch dafür eignet sich „1968“, weil sich mit diesem Deutungsmuster europaweit, ja auch weltweit, verschiedene Inhalte verbinden können. Zudem verfügen ausländische Germanistikstudierende über Sprachkenntnisse auf einem Niveau, das ihnen selbständige Recherche und Kommunikation untereinander auf Deutsch gestattet, so dass man sich voll und ganz auf die kulturellen Daten und Informationen konzentrieren kann.
Das soll nicht heißen, dass man kulturelles Lernen mit neuen Medien nicht auch bei Lernenden mit geringeren Sprachkenntnissen initiieren kann. Schon bei Anfängern bietet sich der Zugang über die Sprache (kulturelle Ebene der Wortbedeutung) oder über Alltagsrituale (Begrüßen, sich verabschieden) an. Allerdings müsste da der Lehrende zum einen die Erstsprache der Lernenden oder eine von allen beherrschte Lingua Franca beherrschen, um wirklich als Teilnehmender des Lernnetzwerks bzw. Moderator agieren zu können. Zum anderen müsste der Lehrende sicher die Lernressourcen zu großen Teilen vorauswählen und dabei die sprachliche Kompetenz seiner konkreten Lernergruppe berücksichtigen.
Die hier verwendete Gliederung der Mindmap in pragmatisch – politisch – ideologisch – institutionell – kulturell – historisch ist ein Vorschlag von Penning (1995) für die Aufteilung von landeskundlichen Themen in eine Art Netzwerk und passt hier recht gut.
Falls die Gruppen nicht an einem Ort zusammen arbeiten, können auch hier schon kollaborative Mindmapping-Werkzeuge aus dem Internet wie zum Beispiel Mindmeister eingesetzt werden.
Etwas mit dem Wissen tun = LERNEN
Eine Veröffentlichung im Netz, das Teilen des Wissens mit anderen, ermöglicht auch gegenseitiges Kommentieren. Zu dem Schritt „etwas mit dem Wissen tun“ gehört auch, dass die Gruppen die präsentierten Ergebnisse der anderen kommentieren oder diskutieren. Erst in einer solchen Verarbeitung des gesammelten Wissens und in einem solchen Gedankenaustausch findet Lernen statt.