Thema der 3. Session ist „Aktivierung. Wie können wir dafür sorgen, dass möglichst viele Menschen gute Online Angebote für ihr soziales Engagement nutzen?
Aktivierung ist ein Thema, das wahrscheinlich jeden hier von uns beschäftigt und wir werden heute nachmittag viele Beispiele dafür hören, wie wir Menschen motivieren können sich sozial zu engagieren.
Was meinen wir aber genau mit Aktivierung?
Wenn Organisationen früher über Aktivierung gesprochen haben, dann ging es meist darum, dass Menschen Geld spenden oder sich ehrenamtlich engagieren sollten. Im Zuge des Web 2.0 haben sich die Engagementformen jedoch enorm vervielfältigt.
Heute gehen wir davon aus, dass Menschen nicht nur passive Empfänger von Nachrichten sind, sondern selbst welche verfassen wollen. Und das der Weg zum Engagierten nicht mehr nur darin besteht, ihn um eine Geld- oder Zeitspende zu bitten, sondern mit ihm in den Dialog zu treten, ihn Teil unserer Community werden zu lassen und ihn so zum Multiplikator zu machen, der unsere Botschaften in seinen Netzwerken spreaded, liked und shared.
Spender sollen im Zuge des Peer2Peer Fundraisings selbst zu Fundraisiern werden, Unternehmen sollen sich mit ihren Mitarbeitern und Kunden ehrenamtlich engagieren, Bürger sollen auf nutzergenerierten Plattformen soziale Mißstände dokumentieren oder wenigstens einen Wikipedia Artikel editieren.
Rund um diese Aktivierungswelle – die manchmal schon wie ein Aktivierungswahn rüberkommt - sind in den letzten Jahren Tausende von Websites, Plattformen und Tools entstanden.
Überall begegnen wir der Überzeugung, dass wenn diese digitalen Dienstleistungen richtig gut sind – von ihrem Nutzenversprechen und ihrer Usability, dann werden Menschen in Heerscharen kommen und sie nutzen.
Ken Banks, der Gründer von Frontline SMS, einem Tool, welches in vielen Entwicklungshilfeprojekten zum Einsatz gekommen ist, benannte seinen Blog vor 10 Jahren nach genau dieser Überzeugung:
„Build it Kenny, and they will come“ (wobei it sich auf Software und „they” auf die Nutzer bezieht)
Doch die Realität sieht oft – das wissen viele von uns hier im Raum – etwas anders aus.
Wir alle kennen großartige digitale Produkte, entwickelt von leidenschaftlichen Menschen, die wichtige gesellschaftliche Probleme lösen wollen. Und die nicht abheben. Bzw. die als Pilotprojekte funktionieren, dann aber den Sprung in die Breite nicht schaffen.
Wenn Angebote funktionieren, dann liegt es bei genauerem Hinschauen oft nicht daran, dass sie einfach genial sind und sich deshalb wie von selbst verbreiten, sondern dass die Macher viele Stunden harte und oft knochentrockene Arbeit reinstecken.
Und diese Arbeit beinhaltet oft eine starke, aber in der öffentlichen Wahrnehmung meist ausgeblendete Offline-Komponente haben. (Kickstarter eines der besten Beispiele dafür)
Jeder der mich und die Arbeit von betterplace kennt, wird wissen, dass wir keine Technoskeptiker sind. Sondern eher begeisterte Onliner, die davon überzeugt sind, dass Digitalisierung einen Schlüssel zu einer wirksameren Zivilgesellschaft darstellt. Aber die Zeit für Cyberutopisten auf der einen, und Technoskeptiker auf der anderer Seite, ist einfach wirklich vorbei. Vielmehr bewegen wir uns gerade auf ein nuancierteres Verständnis der Möglichkeiten von Online- und Offlinekanälen hin.
Und so kommt es, dass einer der wichtigen Trends im digital-sozialen Umfeld, darin besteht OFFLINE aktiv mitzudenken und zu gestalten.
Zum Auftakt dieser Session, gespickt mit vielen Beispielen für erfolgreiche Online Aktivierung, möchte ich dementsprechend vier Vorschläge machen, wie online und offline ineinandergreifen können. Und ich werde dabei, wo immer möglich, auf unsere eigenen Erfahrungen in den letzten Jahren zurückgreifen.
1. Lasst mich mit dem heute hier offensichtlichsten anfangen: mit Veranstaltungen, auf denen Menschen persönlich miteinander in Kontakt kommen.
Als wir betterplace als Plattform starteten, gingen wir davon aus, dass wir ein geniales Konzept hätten und dass NGOs und Spender das genauso sehen würden und uns in Scharen fürs Fundraising nutzen würden. Aber unsere Idee einer Spenderzentrierten Plattform hob nicht wirklich ab. Wir mussten einsehen, dass wenige Menschen in Deutschland morgens aufwachen und denken: “Ich möchte unbedingt ein Sozialprojekt unterstützen und suche mir auf betterplace eines aus.“ Und auch in der NGO-Landschaft beäugte man teilweise verhalten diese neue Plattform.
Einer unser maßgeblichen Erfolgsfaktoren sah dann so aus:
Wir wirkten bei immer mehr Konferenzen mit, gaben Workshops, standen für Gespräche zur Verfügung. Im persönlichen Kontakt war es viel besser möglich Vertrauen zu etablieren und unseren digitalen Produkten ein Gesicht zu geben.
Digitale Tools erscheinen oft zu technisch. Wenn ich dagegen persönlich Kontakt aufnehme, sagt mir mein Bauchgefühl sofort, ob ich ein Produkt glaubwürdig, relevant oder aufregend finde. Und bei Veranstaltungen, auf denen Menschen mit ähnlichen Zielsetzungen und Wertvorstellungen zusammen kommen, kann eine hohe Energie entstehen, die wiederum eine gute Grundlage für Kooperationen und den kreativen Austausch ist.
1. Fazit:
Das Internet ist großartig darin, bestehende Netzwerke (zwischen Freunden, Bekannten und Interessensgruppen) zu intensivieren (Xing, fb). Es erleichtert unheimlich die Koordination von Aufgaben innerhalb von Gruppen (google docs) und ermöglicht es Wissen zu teilen.
Offline ist gut darin, Vertrauen zu etablieren, spontane und unerwartete Beziehungen aufzubauen. Und im Offline sind wir länger fokussiert: Online ist jeder nur einen Klick vom nächsten Angebot entfernt. Heute bleiben die meisten von euch hoffentlich geschlagene sechs bis acht Stunden beim betterplace labtogether.
2. Mein zweiter Ratschlag lautet: arbeitet als Online-Angebote mit Offline Netzwerken und Multiplikatoren zusammen.
Der Erfolg vieler Online-Plattformen hängt damit zusammen, dass sie es verstehen gute Beziehungen zu Offline Netzwerken zu unterhalten, zu Multiplikatoren wie Community Aktivisten, Journalisten, NGOs, politische Eliten oder Unternehmen. Mit anderen Worten: Hört auf Endnutzer zu aktivieren, sondern fokussiert euch auf Intermediäre, die aus eigenem Anreiz heraus mitwirken. Die ihre jeweiligen Netzwerke auf unsere Plattformen spülen, da sie dadurch ihre eigenen Ziele besser erreichen können.
Ein schönes Beispiel dafür ist Think Big.
Um Jugendliche aller Bildungsschichten für soziales Engagement zu mobilisieren, baute betterplace im Auftrag von Telefonica eine Online Plattform, auf der sich Jugendliche sehr einfach für 400€ Förderungen bewerben können.
Auf der Plattform dokumentieren sie ihre Projekte und es entsteht eine beeindruckende Übersicht des sozialen Engagements Jugendlicher.
Alles Sachen, für die Online Medien hervorragend geeignet sind: Einfacher Zugang, effiziente Prozessdurchführung, Dokumentation und Orientierung.
Aber der eigentliche Treiber in dem Programm welches mittlerweile über 1800 Projekte fördert, ist eine enge Offline Kooperation mit einem Netzwerk deutscher Jugendorganisationen. Dieses Netzwerk hat ein großes Eigeninteresse an Think Big, erhalten sie doch für das Coaching der Jugendprojekte von Telefonica eine eigene finanzielle Förderung. Ohne die Kooperation mit diesem Offlinigen Netzwerk wäre die Think Big Plattform um einiges leerer.
Für Online-Angebote, die über Kooperationen wachsen – und dazu gehört betterplace.org inzwischen dazu, hier Auswahl unserer Kooperationen – gilt es zu realisieren, dass die Ziele der Partner, auch wenn sie vordergründig nur wenig mit der eigenen Plattform zu tun haben, bis zu einem gewissen Grad auch die eigenen Ziele werden müssen.
Eine weitere Erfahung haben wir bei betterplace gemacht:
3. Bietet Online Angebote in Offline Formaten an
Der Trendreport ist das wichtigste Produkt des betterplace lab. Er startete vor drei Jahren als Online Plattform, die bis heute kontinuierlich wächst.
Aber es ist das jährlich erscheinende Trendreport-Buch, welches sich als besonders erfolgreich erwiesen hat. Menschen mögen die haptische Erfahrung ein gut gestaltetes Buch in den Händen zu haben und auf dem Schreibtisch eines Entscheiders ...
gelangt der Inhalt auch besser in den Kopf, als wenn wir ihm einen Link zur Plattform schicken würden. Mit der Druckversion ist es uns gelungen ganz andere Netzwerke zu erschließen und größere Reputation aufzubauen, als es alleine online möglich gewesen wäre.
Das gleiche Prinzip hat sich auch bei der Plattform bestätigt: die ausdruckbaren pdfs, die wir Projektmachern anbieten, werden an Bäumen und Ladentheken aufgehängt und Interessierte reißen sich die Projektinformationen ab und besuchen dann das Projekt online.
Wenn wir jetzt darüber sprechen, dass mit Offline-Aktivitäten neue Zielgruppen erreicht werden können, dann ist es an dieser Stelle wichtig darauf hinzuweisen, dass Offline schon alleine aus Inklusionsgründen ein extrem wichtiger Trend ist. Denn reine Online Produkte schließen automatisch alle Bevölkerungsgruppen aus, die keinen Internetzugang haben, oder nicht internet-kompetent sind. Also zum Beispiel Behinderte, arme und alte Menschen.
Das ist schlecht für sie und für uns. Denn dadurch werden die Stimmen von einigen verstärkt, und von anderen ausgeblendet. Der Gefahr dieses undemokratischen Effekts müssen wir uns bewusst sein. Und wenn unsere soziale oder politische Initiative den Anspruch hat, offen und inklusiv zu sein, müssen wir auch offline aktiv werden, um den digitalen Graben zu überwinden.
Deutschland ist in Bezug auf dieses Thema bis dato nicht besonders gut aufgestellt. Wir diskutieren bestenfalls über Infrastruktur-Themen wie Breitbandversorgung, aber nicht um das wesentlich breitere Thema der digitalen Alphabetisierung unserer Gesellschaft. In Großbritannien dagegen gibt es große Regierungsinitiativen, wie „Digital by default“ die aufgesetzt sind, um sicherzustellen, dass alle Bevölkerungsschichten Zugang zu den staatlichen Informationsportalen bekommen und diese zu nutzen wissen.
4. Damit komme ich zu meinem 4. Argument für den Trend Offline und das lautet: Erforsche Offline die Bedürfnisse und Gewohnheiten deiner Zielgruppe
Jeder der im sozialen Sektor arbeitet, muss sich die Hände „im Feld“ schmutzig machen, um ein tieferes Verständnis für den lokalen Kontext und die realen Bedürfnisse der anvisierten Nutzer zu erschließen.
Participle ist eine Londoner NGO, die innovative Lösungen für große soziale Probleme wie Jugendarbeitslosigkeit oder Einsamkeit im Alter entwickelt, bei denen Online-Plattformen eine wichtige Funktion einnehmen. In ihrem „Life Programm“ geht es darum, Familien, die sich in chronischen Krisen befinden (wo Schulversagen, Arbeitslosigkeit, Sucht u.ä. zusammen kommen) zu helfen.
Um deren Problematik besser zu verstehen, begleitete ein Participle Team mehrere Familien für acht Woche durch ihren Alltag – in die Schule, den Supermarkt, in den Pub. Nur nachdem sie eine solche 360 Grad Erfassung vorgenommen hatten, traten Muster zutage, die die Sozialarbeiter bei ihren punktuellen Begegnungen nicht wahrnehmen konnten. Dazu zählte zum Beispiel, dass die Krisenfamilien eine unglaubliche Vielfalt von Betreuungskontakten hatten – von Polizisten über kommunale Wohnungsbeamte bis zu Nachhilfelehrern. Im Durchschnitt musste jede Familie 23 verschiedene staatliche Betreuer managen und da diese so fragmentiert waren, entstand zu keinem einzigen davon ein Vertrauensverhältnis.
Auf Basis dieser Erkenntnis entwickelte Participle ein neues konzentriertes Betreuungsformat, welches maßgeblich über eine Online-Plattform gesteuert wird.
Die Erkenntnis von Participle ist, dass intensive Offline Recherchen für das Programmdesign unabdingbar sind.
Online wiederum ist darin unschlagbar 1. Beziehungen effizient zu strukturieren und 2. die Wirksamkeit ihrer Prozesse durch die vorhandenen Datenmassen und –analysen genau messen und die Programme dementsprechend anpassen zu können.
Ein kurzer Exkurs in eigener Sache:
Wir im lab haben uns gedacht: Wenn Offline so wichtig ist, dann machen wir das auch.
Nächstes Frühjahr startet mein Team zu einer sechswöchigen Forschungsreise, dem Lab around the world
Während dieser Zeit erforschen wir an sieben verschiedenen Standorten wie digitale Medien eingesetzt werden, um die Arbeit von NGOs effektiver zu machen und um Lebensverhältnisse vor Ort zu verbessern.
Beim betterplace labtogether 2014 werden wir euch mehr von dieser Reise berichten können.
Eine Bemerkung zum Schluss ist mir noch wichtig: Online und Offline sind in einem ständigen Wandel begriffen. Attribute, die wir heute dem persönlichen Kontakt im analogen Leben zuschreiben, sind morgen vielleicht schon mit der digitalen Sphäre verbunden. Offline Kontakte sind nicht per se „natürlicher“ und „authentischer“ als online Beziehungen. In dem Moment in dem digitale Technologien vertrauter sind und nahtloser in unseren Alltag eingebunden werden, verschwimmen viele bislang wahrgenommenen Grenzen zwischen on- und offline und werden bedeutungslos.
Wir alle kennen das schon aus unserer eigenen Erfahrung mit Technologie. Heute finden viele Treffen völlig selbstverständlich via Skype oder im Hangout statt, für die man vor zwei Jahren noch ins Flugzeug gestiegen wäre. Ebenso hätte ich vor wenigen Jahren noch hier gestanden und euch erzählt, dass sich viele Arbeiten in Teams besser offline organisieren lassen. Mit super einfachen neuen Arbeitswerkzeugen wie Hackpad oder Podio ist kollaboratives Arbeiten aber plötzlich zu einer besonderen Stärke des Online-Kanals geworden.
Deshalb sind die hier angeführten Stärken und Schwächen von On- und Offline nichts mehr als Momentaufnahmen.
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Wenn wir uns zurücklehnen und darauf warten, dass Menschen in Scharen auf unsere brillianten Plattformen kommen, haben wir vielleicht wahnsinniges Glück. Im Regelfall werden wir aber von den Ergebnissen enttäuscht sein.
Der Erfolg von Plattformen basiert meiner Erfahrung nach auf einigen wenigen klugen strategischen Entscheidungen und Prinzipien. Viele dieser Strategien haben eine wichtige Offline-Komponente, von denen ich hier vier angeführt habe.
Mehr Menschen werden sich einloggen, wenn wir ein bisschen öfter abschalten.
Es gibt einen regelrechten Aktivierungswahn. Besonders deutlich sehen wir das auch bei Konsummarken – wie Ford in seiner aktuellen Kampagne - erscheint es plötzlich nicht mehr genug, ihre Produkte anzupreisen, indem sie auf deren Vorzüge hinweisen und positive Emotionen wecken, sondern man versucht zum Kunden zu kommen, indem man ihn auffordert, seine Meinung zu sagen, und am besten noch Teil einer Community zu werden.