Zukunftsuhr - Aufsatz zur Generationengerechtigkeit
Artikel zum Fachkräftemangel
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Taalance
Aktueller und künftiger Fachkräftemangel
Hintergrund
Die Schweizer Wirtschaft floriert und schafft fortlaufend neue Arbeitsplätze. Die Zahl der Arbeitsplätze
wächst rascher als die Bevölkerung. Die Anforderungen an die Arbeitskräfte erhöhen sich allerdings
kontinuierlich. Als Folge davon haben in mehreren Berufen die Rekrutierungsschwierigkeiten zuge-
nommen und offene Stellen sind nur schwer zu besetzen. Der in den Medien thematisierte „Fachkräf-
temangel“ ist also Tatsache. Allerdings stehen in den meisten Berufen mit Mangelerscheinung den
offenen Stellen auch qualifizierte Arbeitslose gegenüber. Ursache wie Ausmass des Fachkräfteman-
gels sind daher nicht unumstritten.
Anhand der Geburtenraten lässt sich voraussagen, dass die Anzahl erwerbstätiger Personen ab dem
Jahr 2021 abnehmen wird. Dann werden weniger junge Personen in die Arbeitswelt eintreten, als äl-
tere diese infolge der Pensionierung verlassen werden. Deshalb wird befürchtet, dass sich dannzumal
der Fachkräftemangel noch deutlich verschärfen wird. Als Fachkraft gilt, wer eine Qualifizierung auf
Sekundarstufe II oder auf Tertiärstufe – also eine Lehre oder ein Studium – abgeschlossen hat.
Der Mangel an Fachkräften ist nicht nur in der Schweiz spürbar. In Deutschland zum Beispiel verläuft
eine analoge Entwicklung. Da die Bildungs-, Branchen- und Berufslandschaften dort anders struktu-
riert sind, treten die Mangelerscheinungen allerdings in anderen Berufen als bei uns auf.
Aktueller Mangel
Zwei Studien analysierten den aktuellen Fachkräftemangel anhand von Daten aus den Jahren 2012
bis 2014. Das SECO hat 12 Berufsfelder mit Anzeichen von Mangel identifiziert:
1. Ingenieurberufe
2. Managementberufe
3. Techniker/innen
4. Rechtswesen
5. Gesundheitsberufe
6. Informatikberufe
7. Werbung, Tourismus, Treuhand
8. Unterricht, Bildung
9. Technische Fachkräfte
10. Sozial-, Geistes- und Natur-Wissenschaftler
11. Sport, Unterhaltung
12. Erziehung, Fürsorge, Seelsorge
Der vom Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Zürich berechnete Mangelindikator ergab auf
schweizerischem Niveau für die vier Berufsgruppen 1) Akademische Berufe, 2) Handwerker, 3) Tech-
niker und gleichrangige nichttechnische Berufe und 4) Führungskräfte hohe Werte. Die Rangliste der
Mangelberufe zeigt ein detaillierteres Bild:
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1. Ärzte
2. Ingenieure
3. Produktionsleiter von Waren und im Bau
4. Softwareentwickler und –analytiker
5. Nichtärztliche akademische Berufe im Gesundheitswesen
6. Elektroinstallateure und –mechaniker
7. Elektroingenieure
8. Juristen
9. Krankenpflegefachkräfte
10. Ausbaufachkräfte
11. Architekten, Raumplaner und Designer
12. Elektromechaniker
13. Holzbearbeiter
14. Material- und ingenieurtechnische Fachkräfte
15. Medizinische und pharmazeutische Fachberufe
Eigentlich sollten sich Ungleichgewichte am Arbeitsmarkt von selbst korrigieren. In Berufen mit knap-
pem Arbeitskräfteangebot steigen die Löhne, folglich erlernen mehr Personen diese Berufe, was die
Anzahl Stellensuchender vergrössert und die Löhne wieder sinken lässt. Da Verschiebungen in der
Berufswahl aber nur langsam erfolgen und Ausbildungsgänge mehrere Jahre dauern, wirkt dieser
Mechanismus träge. Die Gefahr besteht, dass Angebot und Nachfrage während mehreren Jahren
auseinanderklaffen und die Löhne von Mangelberufen während längerer Zeit auf übermässig hohem
Niveau verharren. Einwanderer und Grenzgänger stellen daher wichtige zusätzliche Fachkräfte und
sind traditionelle Pfeiler der Schweizer Arbeitsmarktpolitik. Dies zog über Jahrzehnte politische Dis-
kussionen zur Immigration nach sich und führte unter anderem zur im Jahr 2014 angenommenen Ini-
tiative gegen die Masseneinwanderung.
Künftiger Mangel
Leider existiert nur eine einzelne Studie zur Quantifizierung des zukünftigen Fachkräftemangels. Sie
bezieht sich auf Spezialisten der Informations- und Kommunikationstechnologie und legt dar, dass die
Beschäftigtenzahl in diesem Bereich von 177'000 im Jahr 2012 auf 213‘000 im Jahr 2020 anwachsen
wird. Bis zum Jahr 2020 ergibt sich ein Rekrutierungsbedarf von insgesamt 72'500 IKT-Fachkräften.
Infolge des Fachkräftemangels werden 25‘000 Personen hiervon nicht rekrutiert werden können.
Zu den zukünftigen Verhältnissen vermitteln der WEF-Report „The Future of Jobs“ oder die interes-
sante Studie von Economix zu Deutschland konkrete Vorstellungen. Die Autoren der zweiten Studie
sagen voraus, dass für Deutschland bis ins Jahr 2030 keine Linderung des Fachkräftemangels zu er-
warten sei.
Zur zukünftigen Ausprägung des Fachkräftemangels in der Schweiz lassen sich folgende allgemeine
Überlegungen anstellen:
Die sich beschleunigende Digitalisierung erhöht die Nachfrage nach IT-Berufen.
Neu aufkommende Technologien erfordern mehr Ingenieure, Mathematiker, Naturwissenschaftler,
aber auch Techniker sowie technische Berufsleute wie Mechatroniker.
Die Komplexität der Arbeitswelt nimmt zu und dadurch steigt der Bedarf an Akademikern. Prinzipi-
ell gilt, je qualifizierter ein Beruf ist, desto ausgeprägter ist der Mangel an Berufsvertretern. Es
werden also primär – aber nicht nur – Hochschulabgänger fehlen.
In schnell wachsenden Branchen werden Berufsleute mit Branchenwissen knapp werden. Zu den
Wachstumsbranchen gehören ganz allgemein die Dienstleistungen, da die Tertiarisierung unserer
Wirtschaft weiter voranschreitet. Insbesondere werden Dienstleistungen für Unternehmen wie
Consulting, IT-Dienste etc. zulegen. Doch auch das Gesundheits- und Sozialwesen wird wachsen
und entsprechende Spezialisten werden rar sein.
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Kaufmännische Angestellte sind bereits heute in zu grosser Zahl verfügbar. In Zukunft werden sie
zudem deutlich weniger nachgefragt werden. Im Gegensatz zu ihnen werden Spezialisten wie Re-
visoren, Buchhalter, Immobilienfachleute, Organisationsfachleute etc. gesucht sein.
Reaktionen von Bund, Kantonen und Unternehmen
Bund und Kantone haben aufgrund der zu erwartenden Schwierigkeiten die Fachkräfteinitiative lan-
ciert. Sie hat die verstärkte Deckung der Fachkräftenachfrage bis 2020 durch Personen aus der
Schweiz zum Ziel. Die vier Schwerpunkte der Initiative betreffen
1. die Höherqualifizierung von potentiell 1.5 Millionen Vollzeitarbeitskräften mit einem Abschluss
auf Sekundarstufe II.
2. die Förderung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, damit 130‘000 Nichterwerbspersonen
einfacher eine Arbeit aufnehmen können.
3. die Schaffung guter Bedingungen für ältere Arbeitnehmende, damit diese bis ins Pensionsalter
und darüber hinaus beruflich aktiv bleiben. Hier besteht ein Potential von 84‘000 Vollzeitar-
beitskräften.
4. die bessere Integration von Flüchtlingen und vorläufig Aufgenommenen in die Arbeitswelt.
Grosse Unternehmen reagieren eigenständig mit Weiterbildungsprogrammen, Outsourcing oder ver-
lagern Arbeitsplätze ins Ausland, indem sie in osteuropäischen oder asiatischen Ländern z.B. Shared
Service Center errichten.
KMU verfügen nicht über die Möglichkeiten der grossen Unternehmen und sind den inländischen Be-
dingungen stärker ausgeliefert. Sie versuchen über die Ausbildung von Lehrlingen und Praktikanten,
zukünftige Fachkräfte in einem frühen Stadium ihrer beruflichen Laufbahn zu binden.
Eine andere Art dem Fachkräftemangel zu begegnen, ist die Erhöhung der Lebensarbeitszeit von Ar-
beitnehmenden. Dies kann durch die Steigerung der wöchentlichen Arbeitszeit von z.B. 42 auf 45 Stun-
den oder durch die Erhöhung der Anzahl Arbeitsjahre erreicht werden. Bei letzterem werden die Ange-
stellten motiviert, bis zum Pensionierungsalter oder sogar über dieses hinaus zu arbeiten. Mit der Vor-
lage «Altersvorsorge 2020» will der Bundesrat AHV und berufliche Vorsorge unter anderem auch zur
Erleichterung der Arbeit im Alter revidieren.
Schlussbemerkung
Rationalisierungen mit Hilfe technischer Innovationen und im speziellen der Digitalisierung erhöhen die
Produktivität des Personals und lindern dadurch den Fachkräftemangel. Es wird allgemein erwartet,
dass die Digitalisierung den Fachkräftemangel über längere Zeit laufend reduzieren wird.
Bund, Kantone, Arbeitgeberverbände und Unternehmen strengen sich seit längerem an, den absehba-
ren Folgen der demografischen Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt zu begegnen. Es ist zu hoffen, dass
diese Anstrengungen Wirkung zeigen und die Verschärfung des Fachkräftemangels ab dem Jahr 2021
gemildert wird. Hingegen wird er sich trotz Rationalisierungen, Innovationen und staatlicher Tätigkeit
als eine unabwendbare Folge der Demographie weiter zuspitzen. Diese Feststellung ruft nach Überle-
gungen, wie er zusätzlich gemildert werden kann.
Studien, Webseiten
Berufe mit hohem Fachkräftemangel. Amt für Wirtschaft und Arbeit (AWA) des Kantons Zürich, 2016
Fachkräftemangel in der Schweiz. Indikatorensystem zur Beurteilung der Fachkräftenachfrage.
SECO, 2016
ICT-FACHKRÄFTESITUATION BILDUNGSBEDARFSPROGNOSE 2020. Econlab, 2012