Integriertes Anlagenmanagement ist eine der wesentlichsten Vorrausetzungen damit urbane Verkehrsanlagen in Zukunft dauerhaft, zuverlässig und sicher bereitgestellt werden können.
Space Efficiency and Effective Life through Urban Transport in Vienna
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1. 92 ETR | JUNI 2017 | NR. 6 www.eurailpress.de/etr
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1. HERAUSFORDERUNGEN
UND ZIELE DER WIENER LINIEN
Die WIENER LINIEN stehen vor großen Her-
ausforderungen. In den nächsten Jahren soll
das Netz erweitert und das Angebot verdich-
tet werden, damit das zu erwartende weiter
steigende Fahrgastaufkommen bewältigt
werden kann, ohne massive Einbrüche bei
der Qualität hinnehmen zu müssen. Dahin-
ter steckt die Annahme der Stadt, dass Wien
auf über 2 Mio. Einwohner wachsen wird.1)
Das bedeutet für die WIENER LINIEN, dass al-
leine das Halten des derzeitigen Modal Splits
einen enormen Zuwachs an Fahrgästen be-
deutet, während eine weitere Steigerung
1) Der Stadtentwicklungsplan STEP 2025 sieht im Kapitel
„Wir leisten uns Stadt“, S. 15, beim Wachstumsszenario
bereits 2025 1,91 Mio. EW vor. Für 2029 prognostiziert
das Statistische Jahrbuch von 2014 schon 2 Mio. Einwoh-
ner. Für 2044 sollen es sogar 2,084 Mio. sein.
Daniel Dötzl, MSc.
Stabsstelle Infrastruktur
DI Thomas Hammer, MSc.
Abteilung Bahnbau
Integriertes Anlagenmanagement
Die schnell ablaufende Urbanisierung, die begleitende Digitalisierung und die aufkommende integrier-
te, elektrische und autonome Mobilität stellen die Infrastrukturbetreiber in den Städten vor extreme
Herausforderungen. Diese Trends führen zu einer Intensivierung der Anlagennutzung bei steigenden
Verfügbarkeits-, Sicherheits- und Zuverlässigkeitsanforderungen.
Dies erfordert präzise Kenntnisse des Infrastruktur- und Anlagenzustands und seiner künftigen Entwick-
lung im Betriebszusammenhang. Integriertes Anlagenmanagement kann diese Ziele gewährleisten,
wenn es konsistent abläuft und auf gut ausgebildete Menschen aufsetzt.
des Marktanteils derzeit als eher schwer zu
bewältigen erscheint.
→→ Bis 2020 soll die Marke von einer Milliar-
de Fahrgästen fallen.
→→ Der öffentliche Verkehr muss einen
Modal Split von 40 Prozent erreichen.
Das heißt: 40 Prozent aller Wege in Wien
werden öffentlich zurückgelegt.
→→ Zudem verpflichten sich die WIENER LI-
NIEN zu 20 Milliarden „Platzkilometern“
– das sind etwa zwei Milliarden mehr als
noch 2010.
Die Anforderungen an die Infrastruktur und
die (neuen) Fahrzeuge steigen damit.
Daher wurde bei den WIENER LINIEN in
den letzten Jahren eine Reihe von großen
und komplexen Projekt- und Prozessvorha-
ben zur dauerhaften Gewährleistung von
Quantität und Qualität umgesetzt. Dazu
zählt neben der Anbahnung der U2/U5 und
des Straßenbahnpakets die Beschaffung je
einer neuen Bus-, Straßenbahn- und U-Bahn-
flotte, die Generalsanierung der Linien U1
und U4 (sowie der Neubau Heiligenstadt),
die Erneuerung der Hauptwerkstätte, die
Adaption der Straßenbahn-Betriebsbahnhö-
fe (Remise 2.0), die generelle Ausarbeitung
Priv. Doz. DI Dr. techn.
Markus Ossberger
Stv. Leiter Hauptabteilung Bau-
und Anlagenmanagement
Leiter Stabsstelle Infrastruktur
Markus.ossberger@wienerlinien.at
BILD 1: Seit Anfang der 90er Jahre sind Modal Split und Fahrgastzahlen korrespondierend
gestiegen. Dies dürfte in einer kontinuierlichen, gut abgestimmten und integrierten Planungs-,
Finanzierungs- und Verkehrspolitik der Stadt Wien begründet sein. Fast 40 % Modal Split und
fast eine Milliarde Fahrgästen zu halten wird künftig eine herausfordernde Aufgabe darstellen
Dipl.-Ing. Dr. techn.
Andreas Oberhauser
Stabstellenleiter
Technische Prüfstelle
Wiener Linien GmbH & Co KG
andreas.oberhauser
@wienerlinien.at
DI Florian Pototschnig, MSc.
Stabsstelle Infrastruktur
Wiener Linien GmbH & Co KG
florian.pototschnig
@wienerlinien.at
2. 93ETR | JUNI 2017 | NR. 6www.eurailpress.de/etr
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eines konsistenten Stellplatzbedarfs für Stra-
ßenbahnen und Busse (Remisen-Kapazität)
sowie aktuell – im Rahmen der Objektsicher-
heit – für U-Bahnen. Außerdem wurde die
grundsätzliche Machbarkeit eines vollau-
tomatischen U-Bahnbetriebs geprüft. Eine
Umsetzung im Rahmen des U2/U5-Ausbaus
wird erfolgen.
Derzeit steht fest, dass die U2/U5 (Matz-
leinsdorfer Platz/Wienerberg, Frankhplatz/
Elterleinplatz) mit dem Straßenbahnnetz (Li-
nien O, D, 25, 67) und einer Schnellbuslinie
(15A) ausgebaut wird. Der Horizont aller Re-
alisierungen ist 2030. Der Fahrzeugbestand
beträgt über 500 Fahrzeuge.
Die WIENER LINIEN betreiben das sechst-
größte Straßenbahnnetz (29 Linien) der Welt
und das zehntgrößte Metronetz (derzeit 5
Linien) Europas. Außerdem werden über 100
Buslinien weitgehend in eigener Verantwor-
tung betrieben.
Das Anlagevermögen (zum Jahresab-
schluss 2016) beträgt rund 7 Mrd. Euro.
Die Infrastrukturdatenbank derWIENER LI-
NIEN enthält derzeit 4.470 Haltestellenbau-
werke für Bus und Straßenbahn sowie 104 U-
Bahnstationen mit in Summe 276 Aufzügen.
Für beide ist überdies eine Winterdienstka-
pazität bereitzustellen.
Die Fahrzeuge der WIENER LINIEN werden
bei der U-Bahn in 3 U-Bahn-Bahnhöfen und
4 Abstellanlagen abgestellt. Bei der Stra-
ßenbahn sind es 10 Bahnhöfe und Abstell-
anlagen, beim Bus 3 Garagen. Die Anlagen
werden von 1.332 Zaunelementen mit einer
Länge von 37 Kilometern umfasst. Die Ener-
gieversorgung der Schienenfahrzeuge und
-anlagen erfolgt über 70 Straßenbahnunter-
werke, 274 Speispunkte und 6290 Oberlei-
tungsmasten, von denen 4579 im Eigentum
der WIENER LINIEN stehen. Die Gleisanlagen
der Straßenbahn bzw. U-Bahn schlagen mit
einer Gesamtlänge von 422 Gleiskilometern
und 1111 Weichen bzw. 160 Gleiskilometern
und 594 Weichen zu Buche. Die graphische
Auswertung (Bild 4) zeigt, dass selbst das
Straßenbahnnetz nur wenige Bogenanteile
aufweist und zu rund 70 % in der Geraden
verläuft. Die Befahrung selbst liegt auf den
stark befahrenen Abschnitten bei bis zu 9
MGT/a (Währingerstraße) bzw. bei 10 MGT/a
(Renner-Ring).
Das Budget für die laufende Instandhal-
tung betrug im Jahr 2016 rund 300 Mio. Euro
inkl. Personalkosten sowie 156 Mio. Euro für
BILD 2:
Die Modernisierung der U4
stellt ein sehr komplexes
Erneuerungsprojekt dar, das
teilweise unter Betrieb durch-
geführt werden muss. Es
dient auch als Lernfeld und
Vorbild für weitere General
sanierungsmaßnahmen, die
in Zukunft noch anstehen
BILD 3:
Die künftige Ausbaupla-
nung des Wiener ÖV-
Netzes. Stand, Mai 2017.
Der Realisierungszeitraum
wurde seitens der Stadt
Wien bis 2020 festgelegt.
Die Donaufeldtangente
wurde verschoben und
ist vorläufig nicht konkret
ausgeplant
3. 94 ETR | JUNI 2017 | NR. 6 www.eurailpress.de/etr
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die Erweiterung des U-Bahnnetzes. Insge-
samt sind derzeit rund 1260 Mitarbeiter in
der Hauptabteilung B6 Bau- und Anlagen-
management und 215 Mitarbeiter in der
Abteilung Nachrichtentechnik und Zugsi-
cherung beschäftigt.
2. INTEGRIERTES
ANLAGENMANAGEMENT
Integriertes Anlagenmanagement ist bei
den WIENER LINIEN daher eine systemati-
sche und koordinierte Vorgehensweise, mit
der die Anlagen und Objekte optimal gema-
nagt werden können. Optimal heißt, dass
die Performance, die Risiken und Kosten der
Anlagen über den gesamten Lebenszyklus
bekannt sind, erfasst werden und Entschei-
dungen unter Einbeziehung der Unterneh-
mensziele getroffen werden. Dies bedeutet
eine Erweiterung der rein technisch-kauf-
männischen Vorgehensweise, die bisher
gewählt wurde, aus Aspekten der Langfris-
tigkeit. [3]
Das Vorgehen bezieht sich zunächst stark
auf den Gleisbau, da hier bereits wesentliche
Elemente der Strategie existieren. Es muss
in Zukunft jedoch integrierend über die Ge-
samtheit der Gewerke und der Fahrzeuge
geplant werden.
International bekannter ist mittlerweile der
Begriff „Asset-Management“. Dieser umfasst
alle organisatorischen und technischen Ak-
tivitäten, die es ermöglichen, einen Nutzen
(Mehrwert) aus Assets (Anlagen) zu erzielen.
Der internationale Standard „ISO 55000 –
Asset-Management“ ist aus dem britischen
PAS 55 (Publicly Available Specification)
hervorgegangen. Dieser Standard hat sei-
nen Ursprung in der Welle an Privatisierun-
gen und Deregulierungen der 1980er und
1990er Jahre. Mit dem Fokus auf kurzfris-
tigen Kosteneinsparungen desinvestierte
bspw. Railtrack bei Gleiserneuerungen und
Wartung. Dies führte zu einem Rückgang
der Betriebssicherheit und einer Sicherheits-
krise im Schienenverkehr, die 2000 in dem
Zugunglück in Hatfield gipfelte.
Asset-Management folgt sinngemäß den
Grundsätzen der ISO 55000, die WIENER
LINIEN haben sie jedoch nicht eingeführt.
Bei den WIENER LINIEN liegt daher die Ver-
antwortung für das Bau- und Anlagenma-
nagement bei den verantwortungsvollen
Eigentümern und wird als integriertes An-
lagenmanagement bezeichnet. Anlagen
werden so geplant und bereitgestellt, dass
sie bestmöglich zur Erreichung der Unter-
nehmensziele beitragen können. Diese sind
stark verkürzt und für das Anlagenmanage-
ment relevant.2)
Die für die Mobilität zur Verfügung ge-
stellte Infrastruktur samt Fahrzeugen muss
jedenfalls dauerhaft mit hoher Leistungsfä-
higkeit betrieben werden können. Andern-
falls können die WIENER LINIEN das prog-
nostizierte starke Bevölkerungswachstum
nicht bewältigen, ohne in Wien an Lebens-
qualität zu verlieren.
3. STEIGENDE BETRIEBSBELASTUNGEN
– DIE NOTWENDIGKEIT VON INTEG-
RIERTEM ANLAGENMANAGEMENT
Entgegen anderslautenden Annahmen un-
terliegt auch die Nahverkehrsinfrastruktur
einer beträchtlichen Betriebsbelastung,
die teilweise der von Fern- und Güterver-
kehrsstrecken entspricht. So liegen die Be-
triebsbelastungen der U-Bahn bei bis zu
30 MGT/a und jene der Straßenbahn bei bis
zu 10 MGT/a (siehe Bild 7).
Dies zeigt sich an Schadensbildern sowohl
am Oberbau als auch an den Bauwerken, die
mit den von derVollbahninfrastruktur bekann-
ten Schadensbildern teilweise vergleichbar
sind, auch wenn die Charakteristik der Lastkol-
lektive mit niedrigen Achslasten (< 15 t) und
starren Fahrplänen mit geringen Intervallen
grundsätzlich anders aufgebaut ist. Diese Cha-
rakteristik führt beispielsweise bei den Schie-
nenschäden zu anderen Phänomenen, als sie
aus dem Vollbahnbereich bekannt sind. Dies
wurde für die urbanen Schienenbahnen am
2) http://mobil.krone.at/phone/kmm__1/story_
id__447940/sendung_id__488/story.phtml; abgerufen
am 12. April 2015.
BILD 4: Gleisgeometrie und Gleislänge des Straßenbahnnetzes
BILD 5:
Befahrungscharakte-
ristik des Straßenbahn-
netzes. Je dicker der
Balken, umso stärker
die Befahrung. Die
Farbe gibt Auskunft
über das Alter des
jeweiligen Abschnitts
(grün = jung)
4. 95ETR | JUNI 2017 | NR. 6www.eurailpress.de/etr
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Beispiel derWIENER LINIEN sehr detailliert und
kenntnisreich ausgeführt [2].
Herausfordernd ist hierbei, dass die ver-
kehrspolitischen Ziele der Stadt Wien (Stadt-
entwicklungsplan STEP 20253)
und Fachkon-
zept Mobilität) eine starke Forcierung des
öffentlichen Verkehrs vorsehen. Dies bedeu-
tet etwa eine Steigerung der Fahrgäste von
jährlich rund 954 Mio. (2016) auf 1,2 Mrd.
BILD 6:
Integriertes Anlagen-
management bei den
WIENER LINIEN
BILD 7:
Darstellung der Netz-
belastung der Straßen-
bahn der WIENER LINIEN
in Lastklassen (MGT/a).
Violett und rot be-
zeichnen die höchsten
Lastklassen. Betriebs-
belastung im Strecken-
netz der Straßenbahn.
Der höchstbelastete
Abschnitt„Dr.-Karl-Ren-
ner-Ring“ bringt es auf
knapp 10 MGT/a
(Quelle: WIENER LINIEN
HASTUS visualisiert mit
Infrastruktur-Datenbank)
3) Stadtentwicklungsplan 2025:
https://www.wien.gv.at/
stadtentwicklung/strategi-
en/step/step2025/publikati-
onen.html
5. 96 ETR | JUNI 2017 | NR. 6 www.eurailpress.de/etr
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im Jahr 2025. Außerdem werden bei den
WIENER LINIEN derzeit neue Fahrzeuggene-
rationen beschafft, die teilweise über neue
Achs- und Drehgestell-Konfigurationen
(FLEXITY; Bombardier) verfügen und damit
ein geändertes Lastbild darstellen. Die ho-
hen Leistungen der Fahrzeuge und damit
einhergehende starke Beschleunigungs-
und Verzögerungseffekte sind schon seit der
Fahrzeuggeneration ULF (Siemens, ab Ende
1990er Jahre) bekannt. Das Alter der Infra-
strukturanlagen selbst stellt ein wachsendes
Problem bei der Entstehung von Schäden
und deren weiterem Verlauf dar.
Die errechnete durchschnittliche Nut-
zungsdauer des gesamten Gleisnetzes un-
ter Berücksichtigung der Längen der unter-
schiedlichen Trassierungsklassen und der
Befahrungsanteile liegt bei ca. 35 Jahren.
Unter Berücksichtigung der Streuungen der
Lebenszyklen von geraden Gleisabschnitten
bei derzeitiger Datenlage, sollte das durch-
schnittliche Gleisnetzalter im Bereich von 20
Jahren liegen.
Die Konsequenzen von zu geringen Inves-
titionen etwa bei der Fahrweginstandhaltung
zeigt für einen hypothetischen Fall Bild 8.
4. MONITORING AN DER ÖPNV-IN
FRASTRUKTUR – ANALYSE, PROG-
NOSE UND MANAGEMENTSCHNITT-
STELLEN
Ein Kernthema für die Gewährleistung von
Infrastrukturverfügbarkeit ist daher die Er-
neuerungsrate bezogen auf die Gleisnetz-
länge. Aktuelle Prognosen zeigen, dass Er-
neuerungsraten von bis zu 4 % erforderlich
sind, um die gegenwärtige Qualität auf-
rechtzuerhalten [4].
Zur Ableitung notwendiger Soll-Erneu-
erungsraten und der damit verbundenen
Budgetplanung ist zuerst die Kenntnis des
Anlagenalters und des aktuellen Zustands
wesentlich. Daher bauen die WIENER LINIEN
seit Jahren eine umfassende Infrastrukturda-
tenbank (ISDB) auf. Sie liefert die Grundlage
für die Mengengerüste von Ausschreibun-
gen, fasst relevante Bauwerkdokumente
zusammen und enthält eine Dokumentation
sicherheitsrelevanter Überprüfungen u. v. m.
Eine gesamtheitliche Planung der Erneu-
erung muss wie bereits angedeutet im Zu-
sammenhang mit den Unternehmenszielen
(Netzausbau, Kundenorientierung) gesche-
hen. Dies bedeutet, dass gut formulierte,
mit validen Zahlen und einheitlichen Men-
gengerüsten unterlegte Szenarien für den
jeweiligen Betrieb im Szenario-Jahr vorlie-
gen müssen. Die Mengengerüste beinhalten
neben der Infrastruktur die Art und Struktur
des Fahrplans, die Art der Fahrzeuge und de-
ren Radprofile sowie geforderte Verfügbar-
keiten, Zuverlässigkeit und Wartbarkeit bei
jeweiligem Budget. Im Prinzip bedeutet dies
eine Hinterlegung mit Lebenszykluskosten
(LCC/RAMS) [5].
Ansätze dieser Art werden gemeinhin (In-
frastructure) Asset Management genannt.
Werden sie mit der Unternehmensstrategie
und der Personalplanung und -entwicklung
verschränkt und in den Kennzahlen- und
Reporting-Systemen hinterlegt, dann nennt
man sie – gesamtheitlich – Enterprise Res-
source Management (ERP). Ein Beispiel für
eine derart integrierte Vorgehensweise zeigt
Bild 6.
Die aktuellen Erneuerungsquoten liegen
aber wohl bei den meisten Betrieben unter
den von den Technikern ermittelten Opti-
malwerten.
Beim Integrierten Anlagenmanagement
liegt die Herausforderung daher beim Um-
gang mit den „Nicht-Maßnahmen“, also ei-
nem umfassenden Risikomanagement auf
Basis von LCC/RAMS und sehr guten Progno-
sewerten.
In der Praxis wird dieser Tatsache mit ei-
ner geteilten Sichtweise begegnet. Da der
Optimalwert (aus derzeitiger Sicht und nach
Kenntnis aller künftigen Entwicklungen) auf
geraume Zeit nicht finanzierbar sein wird,
wird der Netzbestand in zwei Kategorien
unterteilt:
1. Investitionsrückstau oder„Rucksack“
2. Erforderliche Erneuerungsquote „ohne
Rucksack“.
Die dahinterliegende Philosophie ist grund-
sätzlich einfach zu verstehen. Es herrscht
aber gerade bei finanzierenden Stellen oft-
mals Unverständnis über den sogenannten
„Rucksack“.
BILD 8: Hypothetisches Fortschreiten des durchschnittlichen Gleisalters bei geringer Erneuerungsquote (1,25 % links) und angemessener Rate
(2,86% rechts); Straßenbahnnetz WIENER LINIEN [3]
BILD 9: Erneuerungsraten abgeleitet aus Messwagendaten und dem zugrunde liegenden
Anlagenalter als Planungsgrundlage für ein künftiges Bauprogramm [3]
6. ETR AUSTRIA | Wissen
»
Wesentlich ist zunächst, dass es einen
hypothetischen Anlagenzustand aufgrund
der reinen Altersbetrachtung gibt. Dabei
werden die Verlege- oder Errichtungsjahre
herangezogen und mit durchschnittlichen
Lebensdauern belegt. Diese Lebensdauern
können entweder bilanziellen Grundsätzen
folgen (Abschreibung) oder aus Regressi-
onen (Erneuerungsdaten) bzw. plausiblen
Vergleichsprojekten herangezogen werden.
Für den Fahrweg der Straßenbahn der WIE-
NER LINIEN bedeutet dies etwa Folgendes:
Die Lebensdauer eines geraden Gleises
liegt – unter Annahme der historischen Ver-
kehrslasten und der historischen Instandhal-
tungspraxis – zwischen 28 und 40 Jahren.
Bei Bögen, in Abhängigkeit von Radius und
Belastung, ist sie entsprechend kürzer. Da-
BILD 10:
Lebenszyklus der Gleis-
netze der Straßenbahn
in Abhängigkeit von
Befahrungsintensität und
Bogenradius [3]
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7. 98 ETR | JUNI 2017 | NR. 6 www.eurailpress.de/etr
ETR AUSTRIA | Wissen
bei ist anzumerken, dass der Bogenanteil im
Netz bei rund einem Viertel der Gleislänge
liegt.
Entsprechend dieser einfachen Berech-
nung auf der Basis der Verlegejahre kann
nun der jährliche Erneuerungsbedarf unter
Vernachlässigung der statistischen Schwan-
kung kalkuliert werden. Dabei werden
Abschnitte ausgewiesen, die rechnerisch
schon längst ausgetauscht hätten werden
müssen. Der heterogene Fahrzeugpark,
die unterschiedlichen Fahr- und Instand-
haltungsweisen, verschiedene Ober- und
Unterbauformen usw. erzeugen mehr oder
weniger große Streuungen, die im günsti-
gen Fall einen rechnerischen Rucksack er-
zeugen. Das ist im Sinne eines Risiko- und
Sicherheitsmanagements jener Anteil des
Netzes, der rein alterstechnisch am Ende
des Lebenszyklus angekommen ist, prak-
tisch und messtechnisch belegbar, aber
noch einen Abnutzungsvorrat aufweist.
Dabei kann es durchaus vorkommen, dass
bei den Grenzbetrachtungen der Profile
(der zulässigen Verschleißzustände) einzel-
ne Profilpaarungen auftreten, für die etwa
die Entgleisungssicherheit nicht mehr für
alle Situationen rechnerisch nachgewiesen
werden kann. Es kann daher z. B. zu Lang-
sam-Fahrstellen oder zu Beschränkungen
beim Fahrzeugeinsatz kommen. Der „Ruck-
sack“ bezeichnet jene Anlagenteile, für die
eine uneingeschränkte Betriebsführung
nicht mehr wahrscheinlich ist und für die
im Rahmen des Risiko- und Sicherheitsma-
nagements (vertieftes Monitoring-Konzept
z. B. im Hinblick auf Schienenschäden, Ent-
gleisungssicherheit) erhöhte Aufmerksam-
keit geboten ist.
Eine analytische Prüfung der tatsächli-
chen Messwerte der Schienenprofile wird in
diesem Zusammenhang gegenübergestellt
(Tool: Timelines, AIT). Die Auswertung wird
aber derzeit aufgrund der noch nicht ausrei-
chenden Genauigkeiten bei jedem Profil ag-
gregiert, linien- bzw. netzweit den rechne-
rischen Annahmen gegenübergestellt und
durch die Praktiker vor Ort gesamtheitlich
(den Ober- und Unterbauzustand einschlie-
ßend) bewertet.
Erst in der Zusammenschau aller Bewer-
tungssysteme ergibt sich eine realistische
und auf reelle Erneuerungsabschnittslängen
konsolidierte Planung des Bedarfs. Diese
Vorgehensweise, mit starker Abstützung auf
dezentrale, extrem komplexe und leistungs-
starke Sensorsysteme, die in Prozessketten
integriert werden, wird mit menschlicher
Bewertung und Feststellung abgeschlossen.
Im industriellen Zusammenhang würde man
dies als Industrie 4.0 bezeichnen (Bild 6).
Neben dem Einsatz im Management wird
das Monitoring auch im operativen Bereich
verwendet. Diese operativen Grundlagen
sind die wesentliche Basis für den oben dar-
gestellten Managementansatz.
5. RESÜMEE
Zusammenfassend erfordern die derzeit
ablaufenden gesellschaftlichen Verän-
derungsprozesse wie Urbanisierung und
SmartCity-Philosophie bei gleichzeitig im-
mer knapperen finanziellen Mitteln extrem
präzise Kenntnisse des Infrastruktur- und
Anlagenzustands und seiner künftigen Ent-
wicklung im Betriebszusammenhang.
Integriertes Anlagenmanagement ist ein
Management-Rahmen, der die Verfolgung
dieser Ziele gewährleisten kann, wenn die
darunterliegenden Prozesse gut aufgesetzt
sind und alles auf einer extrem innovativen
Monitoring-Technologie abgestützt wird.
Leistungsfähige IT-Systeme (Big-Data, Cloud
Computing, dezentrale Systeme) sind da-
bei selbstverständliche Voraussetzungen.
Wesentlich ist das Vorhandensein von qua-
lifiziertem Personal, das auf der Basis dieser
Daten und Informationen wissensbasierte
Entscheidungen treffen kann.
Folgt man diesem ganzheitlichen Ansatz,
dann kann der Schritt der technikgetrie-
benen Life Cycle Costs (LCC/RAMS) um die
echte Unternehmens- und Kundenpers-
pektive erweitert werden. Dies bringt eine
hohe Akzeptanz beim Management-Board
der Unternehmen und kann ein tieferes Ver-
ständnis der kaufmännischen/strategischen
Controller nach sich ziehen.
Die langfristige Planung der finanziellen
Mittel, das zugehörige Risikoniveau und die
resultierende Sicherheit der Anlagen kön-
nen besser abgeschätzt werden.
Klar ist, dass dies strategische Analysen
sind, die weniger präzise Einzelprognosen
darstellen, als vielmehr mögliche Zukunfts-
szenarien unter den jeweiligen Rahmenbe-
dingungen bieten. Die Rechenmodelle stel-
len mögliche zukünftige Entwicklungen dar,
die mit stark reduzierter Komplexität von
den betroffenen Entscheidern hinsichtlich
Plausibilität der Annahmen durchdacht wer-
den können. Eine derartige Vorgehensweise
– ein integriertes Anlagenmanagement –
bringt folgende Vorteile:
1. Strategische Planung findet in einem
einheitlichen Rahmen statt und ist für
das Board gut verständlich.
2. Definierte Szenarien können dahinge-
hend durchdacht werden, welcher Ent-
scheidungsspielraum und somit welche
Steuerungsmöglichkeiten heute zur Ver-
fügung stehen.
3. Risiko- und Sicherheitsmanagement
werden massiv durch valide Daten ge-
stützt.
4. Den Fahrzeugbetreibern können umge-
hende Feedbackinformationen über z. B.
geplante Flottenänderungen oder -er-
neuerungen gegeben werden.
5. Betriebsanforderungen können seitens
der Technik mit konkreten monetären
Auswirkungen hinterlegt und mit ande-
ren Szenarien verglichen werden.
6. Die Bedeutung der Fachleute steigt,
Weiterbildung und Qualifikation werden
zum Schlüssel für die Infrastrukturbetrei-
ber.
7. Geeignete Technik ist ein „enabler“, aber
eben nur ein Teil des Erfolgs! ◀
Literatur
[1] Achs G., Töll H.: Technischer Bericht zur Dauermessanla-
ge, FCP ZT GmbH im Auftrag der Wiener Linien (2015)
[2] Fischmeister E.: Strukturelles Sicherheits-Management
für die Instandhaltung von urbanen Gleisen, Disserta-
tion, TU WIEN, (2012)
[3] Hammer T., Pototschnig F. et.al.: Abschlussbericht Glä-
serner Fahrweg; Interner Bericht der Wiener Linien
(2014)
[4] SBB AG Infrastruktur: Netzzustandsbericht 2013 inkl.
Anhänge zum Netzzustandsbericht (2013); http://www.
sbb.ch/sbb-konzern/medien/publikationen/nzb.html
[5] Hierzer R.: Instandhaltungsmanagement für den ÖPNV,
Dissertation, TU WIEN, (2009)
▶ SUMMARY
Integrated plant management
The change processes currently going on in society, such as urbanisation and the SmartCity
philosophy, accompanied by a worsening shortage of financial resources, require extremely
precise knowledge of the condition of the infrastructure and equipment and how it is going
to develop in future in the operational context. Integrated plant management offers a frame-
work within which it is possible to guarantee the pursuit of these objectives, provided the
underlying processes are well-founded and everything is supported by extremely innovative
monitoring technology.
It goes without saying that high-performance IT systems (big data, cloud computing and
decentralised systems) are the prerequisites for this.