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Olaf Zimmermann, Gabriele Schulz: Strukturen der Kulturpolitik in der Bundesrepublik Deutschland
1. Kultur und Politik B 1.1
Strukturen und Prozesse in der Kulturpolitik
Strukturen der Kulturpolitik in der
Bundesrepublik Deutschland
Olaf Zimmermann, Gabriele Schulz
An der Kulturpolitik sind viele Akteure auf den verschiedenen Ebenen des staatlichen Gemeinwe-
sens beteiligt. Der Prozess der Willensbildung wird auch von Verbänden und von Organisationen
des „Dritten Sektors“ beeinflusst. Der Beitrag erläutert nicht nur die Strukturen innerhalb derer sich
die Akteure bewegen, sondern beschreibt auch, wie der Willensbildungsprozess im Zusammenspiel
der unterschiedlichen Interessensvertreter funktioniert.
Gliederung Seite
1. Wandel der Kulturpolitik 2
1.1 Von der Kulturförderung zur Neuen Kulturpolitik 3
1.2 Kulturpolitik – ein ewiger Zankapfel zwischen Bund und Ländern 4
1.3 Gestaltung von Kulturpolitik 6
2. Kulturpolitik als komplexes Geflecht 6
2.1 Der Dritte Sektor 7
2.2 Die Rolle der Kommunalen Spitzenverbände 8
2.3 Die Rolle von Parteien und parteinahen Stiftungen 9
2.4 Die Rolle der Verbände 10
2.5 Die staatliche Ebene der Kulturpolitik 13
2.6 Die Rolle der Länder 13
2.7 Die Rolle des Bundes 15
2.8 Die Rolle der Europäischen Union 17
3. Kulturpolitische Einflussnahme auf die Gesetzgebung 19
4. Zusammenfassung 21
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2. B 1.1 Kultur und Politik
Strukturen und Prozesse in der Kulturpolitik
1. Wandel der Kulturpolitik
Kulturpolitik in der Bundesrepublik steht in enger Wechselwirkung
mit verschiedenen anderen Politikfeldern. Sie ist sowohl auf der
kommunalen als auch der Landes- und Bundesebene eingebettet in
den Entscheidungsrahmen von Politikbereichen, die zunächst kultur-
politikfern erscheinen.
Kulturpolitik wird zum einen über die Rahmenbedingungen bzw. die
Zuweisung von Finanzmitteln durch den Bund, die Länder und die
Kommunen gestaltet. Weitere kulturpolitische Akteure sind die Verei-
ne und Verbände, entweder über ihre eigenen kulturpolitischen Aktivi-
täten oder aber aufgrund der Einflussnahme auf Kulturpolitik. Die
Stiftungen gewinnen in der Kulturpolitik zunehmend an Bedeutung.
Sie verfügen über Finanzmittel, um jenseits der öffentlichen Kassen
Kultur zu finanzieren und setzen dabei spezifische Akzente. Ein
„schlafender Riese“ in der Kulturpolitik sind die beiden christlichen
Kirchen. Sowohl die katholische als auch die evangelische Kirche
halten eine reichhaltige kulturelle Infrastruktur vor und sichern damit
das kulturelle Erbe. Sie investieren zugleich in die Förderung der kul-
turellen Breitenarbeit sowie von Künstlerinnen und Künstlern.
GATS, Konvention Die internationale Kulturpolitik hat in den vergangenen Jahren an
Kulturelle Vielfalt Bedeutung gewonnen. Beginnend mit den Verhandlungen um GATS
(Generell Agreement on Trade and Services) mussten die kulturpoliti-
schen Akteure dieser politischen Ebene verstärkte Aufmerksamkeit
schenken. Hier geht es darum, Kultur und Medien vor einer allseitigen
Ökonomisierung und Liberalisierung zu schützen und das in Deutsch-
land bestehende System der öffentlichen Kulturförderung sowie des
gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu erhalten.
Seit der Verabschiedung der „Konvention Kulturelle Vielfalt“ im Ok-
tober 2005 liegt nunmehr ein völkerrechtliches Instrument vor, um
eine einseitige ökonomische Betrachtung von Kultur und Medien zu
verhindern. Dieses völkerrechtliche Instrument muss nun von mindes-
tens 25 Mitgliedsstaaten der UNESCO ratifiziert werden, bevor es in
Kraft tritt.
Kulturpolitik ist in den letzten Jahren komplexer geworden. Sie muss
im Verbund mit anderen Politikfeldern gesehen werden und darf nicht
isoliert betrachtet werden.
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3. Kultur und Politik B 1.1
Strukturen und Prozesse in der Kulturpolitik
1.1 Von der Kulturförderung zur Neuen Kulturpolitik
Seit der Entwicklung der Neuen Kulturpolitik zu Beginn der 70er- Kulturpolitik als
Jahre wird Kulturpolitik als Gesellschaftspolitik verstanden. Konzent- Gesellschaftspolitik
rierte sich Kulturpolitik zuvor in erster Linie auf Förderpolitik und den
Erhalt bzw. die Schaffung von Kultureinrichtungen der so genannten
Hochkultur, rückten im Laufe der 70er-Jahre andere mit der Kultur
und der Kulturpolitik verbundene Bereiche in das Blickfeld politischer
Entscheidungen. Die Entstehung der Soziokultur, die Ausweitung der
kulturellen Bildung auf die unterschiedlichen kulturellen Sparten und
verschiedene andere kulturpolitische Initiativen trugen dazu bei, dass
Kulturpolitik seit den 70er-Jahren in einem umfassenderen Sinne ver-
standen und betrieben wird.
Daneben haben insbesondere die Arbeiten von Fohrbeck und Wiesand Soziale Lage
– erst im Spiegel-Institut für Projektstudien, dann im Zentrum für der Künstler
Kulturforschung – einen maßgeblichen Anteil zu einer breiteren Defi-
nition von Kultur und Kulturpolitik beigetragen. Die Studien von
Fohrbeck und Wiesand zur sozialen Lage der Künstler1 eröffneten
neue Sichtweisen auf die Produktionsbedingungen von Kultur. An-
hand von Datenmaterial wurde die soziale Lage der Künstler darge-
legt. Die Autoren wiesen empirisch nach, dass die Mehrzahl der
Künstler nicht kranken- und rentenversichert war. Der große Verdienst
dieser Arbeit ist, dass damit der Blick für die Rahmenbedingungen
von Kunst und Kultur geschaffen und in der Nachfolge geschärft wur-
de. Die Verabschiedung des Künstlersozialversicherungsgesetzes im
Jahre 1982 ist das Ergebnis der langjährigen Bemühungen von Fohr-
beck, Wiesand und anderen Kulturpolitikern für die Einbeziehung von
Künstlern in das Sozialversicherungssystem.
Aber nicht nur im Hinblick auf die direkte soziale Lage der Künstler
waren diese Arbeiten wegweisend. Sie machten zugleich deutlich,
dass die Entwicklung von Kunst und Kultur grundsätzlich von der
Steuerpolitik, von der Wirtschaftspolitik und von der Rechtspolitik
abhängt. Es wurde damit der Sprung von der alleinigen Betrachtung
der Kulturpolitik als Förderpolitik zur Kulturpolitik als Gestaltung von
Rahmenbedingungen gemacht. Dass dabei die Förderpolitik aufgrund
der vornehmlichen Finanzierung von Kultur in der Bundesrepublik
durch die öffentlichen Hände nicht obsolet wurde, versteht sich von
selbst.
Die Gründung des Deutschen Kulturrates im Jahr 1981 war die folge- Gründung des
richtige Entwicklung aus einer stärker ordnungspolitischen Definition Deutschen Kulturrates
der Kulturpolitik. Der Deutsche Kulturrat ist der Spitzenverband der
Bundeskulturverbände. Seine unmittelbaren Mitglieder sind die 8
Sektionen, die die künstlerischen Sparten repräsentieren. Den Sektio-
nen wiederum gehören Bundeskulturverbände der unterschiedlichen
Bereiche des kulturellen Lebens an – von den Verbänden der Künstler
über die der Kultureinrichtungen, der Kulturvereine bis zu den Ver-
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4. B 1.1 Kultur und Politik
Strukturen und Prozesse in der Kulturpolitik
bänden der Kulturwirtschaft. Gemeinsames Ziel dieser sehr verschie-
denen Organisationen ist die Verbesserung der Rahmenbedingungen
für Kunst und Kultur. Dazu gehört ganz wesentlich der Versuch, die
Bundesgesetzgebung zu beeinflussen und dadurch die Rahmenbedin-
gungen für die unterschiedlichen Bereiche des kulturellen Lebens zu
verbessern. Die Besonderheit des Deutschen Kulturrates besteht darin,
dass hier Verbände unter einem Dach zusammenarbeiten, die an ande-
ren Orten sich gegenüberstehen und miteinander verhandeln. Die ge-
meinsamen im Deutschen Kulturrat erarbeiteten Positionen erhalten
durch das Zusammenwirken der verschiedenen Akteure eine beson-
ders hohe Verbindlichkeit.
1.2 Kulturpolitik – ein ewiger Zankapfel zwischen
Bund und Ländern
Föderalismusreform Wer die Debatten zur Föderalismusreform in den Jahren 2003 bis
2006 verfolgt hat, konnte zum Eindruck gelangen, dass der Bund die
gesamte Kulturpolitik an sich reißen wolle und die Länder auch noch
dieses Politikfeldes beraubt werden sollen. Dieses war und ist mitnich-
ten der Fall. Der Bund hat seit jeher kulturpolitische Kompetenzen
und hat diese schon immer wahrgenommen. Eine Reihe von Instituti-
onen werden bereits seit Jahren vom Bund finanziell unterstützt, ohne
das bisher das Sitzland in seiner kulturpolitischen Kompetenz be-
schnitten oder geschmälert wurde. Der Unterschied zu vorherigen
Jahrzehnten besteht darin, dass der Bund seine kulturpolitischen
Kompetenzen seit einigen Jahren selbstbewusster wahrnimmt und
dass die Länder nicht zuletzt aufgrund des europäischen Einigungs-
prozesses an Gestaltungsmöglichkeiten verlieren. Kultur- und Bil-
dungspolitik wurden daher im Prozess der Föderalismusreform von
den Ländern als ihr ureigenstes Handlungsfeld reklamiert. Sie haben
darauf gedrungen, dass die kultur- und bildungspolitischen Hand-
lungsspielräume des Bundes beschnitten werden und konnten sich
damit, nach einem ersten Scheitern der Föderalismusreform im De-
zember 2004, im Juni 2006 durchsetzen.
Seit der Gründung der Bundesrepublik war Kulturpolitik ein Konflikt-
thema zwischen Bund und Ländern gewesen. Nach der Instrumentali-
sierung von Kultur und Kulturpolitik im Dritten Reich erschien die
Kulturhoheit der Länder manchem Politiker geradezu als einzig denk-
bare Lehre. Dass der Föderalismus ein besonders hohes Gut ist, was
gerade der Kultur nutzt, wurde im Zuge der Föderalismusreform im-
mer wieder vorgebracht. Vergessen wurde bei allem Berufen auf die
große kulturelle und kulturpolitische Vergangenheit der Länder, dass
die meisten Länder erst nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet wur-
den, dass es sich bei ihnen um künstliche Gebilde und nicht etwa über
Jahrhunderte gewachsene Gebiete mit eigenen Traditionen handelt,
und vor allem, dass es die Alliierten waren, die Deutschland föderal
organisieren wollten, nicht zuletzt deshalb, um ein Erstarken Deutsch-
lands zu verhindern.
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