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Stuttgarter Bündnis
für Integration
Grundlagen der
Integrationspolitik
in der
Landeshauptstadt
Stuttgart
wir haben im Jahre 2001 mit dem Bündnis für Integration als eine der ersten deutschen Städte ein Gesamt-
konzept für die Integration und Partizipation von Zuwanderern entwickelt.
Das Stuttgarter Integrationskonzept hat inzwischen international viel Anerkennung erfahren.
Das Bundesinnenministerium und die Bertelsmann Stiftung haben Stuttgart 2005 mit dem Integrationspreis
in der Kategorie der deutschen Großstädte ausgezeichnet. Der Europarat in Straßburg hat im Mai 2004 unser
Konzept „Bündnis für Integration“ in wesentlichen Teilen zur offiziellen Politik des Europarates gemacht. So
dient es als Modell für die Entwicklung von Integrationskonzepten anderer Kommunen. Und die UNESCO hat
unsere gemeinsame Arbeit durch eine ehrenvolle Erwähnung (2. Preis) im Rahmen des “Cities for Peace“-
Preises 2002/2003 gewürdigt. Stuttgart ist damit die erste Stadt, die diesen UNESCO-Preis erhält.
Diese Auszeichnungen und die damit verbundene Nachfrage waren für uns Anlass genug, unser Integrations-
konzept neu aufzulegen. Ich freue mich, Ihnen hiermit diese zweite Neuauflage präsentieren zu können.
Ergänzt wurde das Bündnis um den Runden Tisch der Religionen, den ich im vergangenen Jahr gegründet
habe. Mit dem „Manifest für ein aktives und friedliches Miteinander der Religionsgemeinschaften“ wollen
wir in Stuttgart zu einem toleranten Zusammenleben beitragen. Im Juli 2005 habe ich die Stuttgarter Partner-
schaft „Eine Welt“ auf den Weg gebracht. Mit dieser Initiative wollen wir einen kommunalen Beitrag zur Ver-
wirklichung der acht großen Entwicklungsziele leisten, die die Vereinten Nationen als Grundsätze und Werte
für alle Menschen in ihrer Charta verankert haben. Als Gewinner der Globalisierung und als Region mit der
höchsten Exportquote haben wir eine Verantwortung über unsere Stadtgrenzen hinaus.
Das Bündnis für Integration setzt neue Akzente durch die Zusammenführung der einzelnen Integrationsmaß-
nahmen in ein Gesamtkonzept. Das Strategiepapier begründet in dieser Hinsicht eine Neuorientierung der
Stuttgarter Integrationspolitik.
Ich wünsche mir, dass unsere Integrationsbemühungen weiterhin so viel Unterstützung von allen Ämtern und
Dienststellen der Stadtverwaltung, von Tausenden Haupt- und Ehrenamtlichen in Kultur, Sport und in sozialen
Einrichtungen erfahren, dass Nachbarn weiterhin mit regem Interesse auf den anderen zugehen, dass die
Sprach- und Integrationskurse weiterhin so gut angenommen werden und Integrationsprojekte im Bildungs-
bereich Früchte tragen. Das Bündnis für Integration ist unser Markenzeichen und der Puls für unsere interna-
tionale Stadt.
Unser Ziel ist es, dass jeder Stuttgarter seine Chancen in Bildung und Beruf, Wohnen und Freizeit, aber auch
in Fragen der politischen Mitsprache nutzen kann, sich hier wohlfühlt, seine individuellen Fähigkeiten und
Potentiale ausschöpft und so seine ganze Persönlichkeit für die Belange der Allgemeinheit einsetzt.
Dr. Wolfgang Schuster
Oberbürgermeister
1
Inhaltsverzeichnis
1. Die Notwendigkeit einer Neuorientierung 3
2. Veränderte Rahmenbedingungen 7
2.1 Entwicklungen auf EU-, Bundes- und Landesebene 7
2.2 Die Situation in Stuttgart 9
3. Folgen für die Stuttgarter Integrationspolitik 15
3.1 Der neue Ansatz: Orientierung nach Zielgruppen 15
3.2 Integrationsziele und Handlungsfelder 18
3.2.1 Die Förderung der Chancengleichheit durch Sprach- und Integrationskurse 19
3.2.2 Die Förderung der Chancengleichheit in Schule und Ausbildung 20
3.2.3 Berufliche Integration 21
3.2.4 Die Förderung der Integration in den Stadtteilen 22
3.2.5 Die Unterstützung von interkulturellen Initiativen und von neuen 23
Formen der interkulturellen Zusammenarbeit
3.2.6 Das Zusammenleben mit den Muslimen und der interreligiöse Dialog 24
3.2.7 Die interkulturelle Ausrichtung der Stadtverwaltung 25
3.2.8 Politische Partizipation 26
3.2.9 Medien und Information in der internationalen Bürgergesellschaft 27
3.3 Steuerungsorgane und -instrumente 28
2
Impressum:
Stabsabteilung für Integrationspolitik
der Landeshauptstadt Stuttgart
Eberhardstraße 61
70173 Stuttgart
Telefon (0711) 216-7896
Fax (0711) 216-5640
E-Mail: S/IP@stuttgart.de
Verantwortlich für den Text:
Die Integrationsbeauftragten
Gari Pavkovic
Isabel Lavadinho
Wissenschaftliche Begleitung
Dr. Caroline Y. Robertson
(Interfakultatives Institut für Angewandte
Kulturwissenschaften der Universität Karlsruhe)
Gestaltung: Stabsabteilung Kommunikation
(Team Öffentlichkeitsarbeit); Grafik: Uwe Schumann;
Fotos: Stabsabteilung für Integrationspolitik und
Forum der Kulturen
Aktualisierte Fassung
Stuttgart, April 2006
3
In Stuttgart leben Menschen aus über 160 Staaten.
Mit der zunehmend transnationalen Ausrich-
tung und Vernetzung von Wirtschaft, Wissen-
schaft, Medien und Gesellschaft wächst auch die
Mobilität von Menschen. Nationale, ethnische und
kulturelle Zugehörigkeiten verändern sich mit der
Folge, dass unser Zusammenleben von einer wach-
senden Internationalisierung geprägt ist.
Die internationale Vernetzung von wirtschaftlichen
und anderen Interessensgruppen sowie die innereu-
ropäische Öffnung der Grenzen bringen zahlreiche
Chancen, aber auch Risiken für unsere Gesell-
schaft. Wir profitieren von der wirtschaftlichen und
der kulturellen Öffnung in die Welt auf vielfältige
Weise.
Die Globalisierung der Wirtschaft eröffnet nicht
nur gute Perspektiven für Unternehmen, sondern
auch für Städte im Wettstreit um Investitionen und
Arbeitsplätze. Die Landeshauptstadt Stuttgart spielt
mit einer Exportquote von über 50 Prozent eine
wichtige Rolle im internationalen Wettbewerb der
Städte. Zuwanderungsbewegungen sind ein Teil die-
ses Prozesses und schließen den Wettbewerb um
„kreative Köpfe“ und Bildungseliten mit ein. Unter-
nehmen werden – zunehmend auch auf der
Führungsetage – international, und bei der Grün-
dung von kleineren und mittleren Unternehmen
spielen nichtdeutsche Selbstständige eine immer
wichtigere Rolle.
Im Hinblick auf Standortentscheidungen werden
Städte zunehmend auch auf Grund ihres internatio-
nalen Flairs, ihrer Innovationsbereitschaft und ihrer
Offenheit gegenüber modernen interkulturellen
Lebensformen beurteilt.
Durch die Begegnung der Kulturen im Alltag ent-
stehen neue Erfahrungshorizonte: in unserer Berufs-
welt, in Bildung und Wissenschaft, in den Künsten,
beim Sport sowie in unserem Ess- und Konsumver-
halten. Stuttgart hat in den letzten Jahrzehnten in
allen diesen Bereichen von der Zuwanderung viel
profitiert.
Aber auch der innere Zusammenhalt einer inter-
nationalen Stadtgesellschaft hängt stark davon
ab, wie die verschiedenen Bevölkerungsgruppen ihr
Zusammenleben in kultureller Vielfalt gestalten.
Andererseits bringt die Öffnung der Grenzen auch
Probleme und Gefahren mit sich. Die globalen
Auswirkungen von regionalen Konflikten in der
Welt können sich auf das Zusammenleben der ver-
schiedenen ethnischen Bevölkerungsgruppen in
unserer Stadt negativ auswirken.
Ängste können entstehen, die nicht selten irratio-
nal sind, die aber deswegen nicht weniger ernst
genommen werden müssen. Ängste und Vorurteile
können von Deutschen ebenso wie von Nichtdeut-
schen instrumentalisiert und missbraucht werden.
Und nicht zuletzt hat auch der Bewegungsspielraum
für Straftäter und Extremisten zugenommen.
Das Bild von Stuttgart in der Welt hängt sehr
eng damit zusammen, wie wir mit der Welt in
Stuttgart umgehen. Im Hinblick auf die wach-
sende Internationalität unserer Bevölkerung müs-
sen die bestehenden Formen des Zusammenle-
bens neu bedacht und bewusster auf gemeinsa-
me Ziele hin ausgerichtet werden. Stuttgart wird
im 21. Jahrhundert immer stärker zu einer inter-
nationalen Stadt werden. Diese Entwicklung gilt
es rechtzeitig für die deutschen und für die zuge-
wanderten Bürgerinnen und Bürger zu nutzen.
Durch eine Verstärkung und Neuorientierung der
Integrationsarbeit und durch einen erweiterten
Dialog der Kulturen wollen wir die positiven
Impulse der Internationalisierung verstärken und
den negativen Auswirkungen dieser Entwicklung
entgegenwirken.
Veränderte gesellschaftliche Rahmenbedingun-
gen und die veränderte Einwanderungsrealität in
unserer Stadt erfordern eine Neukonzipierung der
kommunalen Migrations- und Integrationspoli-
tik. Die sozialen und kulturellen Lebenswelten unser-
er Zuwandererinnen und Zuwanderer differenzieren
sich – genauso wie bei der einheimischen Mehrheits-
bevölkerung. Stereotype Einteilungen der Zuwande-
rer in nationale oder religiöse Kategorien spiegeln
die tatsächliche plurale Zuwanderungsrealität in
Deutschland nicht wider. Eine „Ausländerpolitik“,
die Zuwanderung einseitig unter dem Aspekt der
Benachteiligung von Minderheiten oder der Belas-
tung der Aufnahmegesellschaft betrachtet, über-
sieht die gewinnbringenden Aspekte. Eine nur defi-
zit-orientierte oder gar abwehrende Ausländerpolitik
wird den gegenwärtigen und zukünftigen Integrati-
onsaufgaben nicht gerecht.
Dies bedeutet keinen Bruch mit der bisherigen „Aus-
länderpolitik“ der Landeshauptstadt, sondern deren
organische und kontinuierliche Fortentwicklung und
Anpassung an wesentlich veränderte Lebenslagen.
1. Die Notwendigkeit einer Neuorientierung
4
Einige aus der bisherigen Ausländerpolitik vertrauten
Schlüsselwörter wie „Ausländer“, „Türken“, „Musli-
me“, „Antidiskriminierung“ etc. werden in diesem
Konzept nicht oder nur in ganz bestimmten Kontexten
gebraucht. Sprache bestimmt sehr stark die Konstruk-
tion unserer Weltsicht und unsere Einstellungen. Es ist
sinnvoller, von „Zugewanderten“ als von „Ausländern“
zu reden, wobei auch dieser Begriff für hier geborene
Kinder und Jugendliche ohne deutschen Pass nicht zu-
treffend ist. Je nach Kontext wird diese Gruppe auch
als „Inländer(innen) nichtdeutscher Herkunft“, „Bil-
dungsinländer(innen)“ oder „Bürger(innen) ohne deut-
schen Pass" definiert. Seit einigen Jahren hat sich der
Begriff „Personen mit Migrationshintergrund“ etabliert,
der sowohl nicht deutsche Staatsangehörige, einge-
bürgerte Migranten, Spätaussiedler sowie die Kinder
all dieser Einwanderergruppen umfasst.
Es ist effektiver, rechtliche
und soziale Chancengleich-
heit zu fördern, als sich auf
Antidiskriminierungspro-
gramme zu beschränken.
Pauschale Gruppenzu-
gehörigkeiten wie „die Tür-
ken“ oder „die Muslime“
sagen wenig über die
tatsächlichen Bedarfslagen
von einzelnen Personen aus,
die bestimmten ethnischen
oder religiösen Minderheiten
angehören.
Für den Integrationserfolg
spielt eine Fülle anderer Fak-
toren eine wesentliche Rolle,
die verändert werden kön-
nen und sollen: Sprach-
kenntnisse, Bildung, berufli-
che Qualifikation, ausländerrechtlicher Status u.a.
Ebensowenig genügt es, einen „Multikulturalis-
mus“ zu verfolgen, bei dem ein unverbindliches
Nebeneinander der Kulturen ohne einen Konsens
über gemeinsame Grundwerte als ausreichend
betrachtet wird. Die passive Duldung des Nebenein-
anders der verschiedenen kulturellen Lebenswelten
bedeutet im Ergebnis oft Gleichgültigkeit. Ein solcher
„Multikulturalismus“ kann die gegenseitigen Vorbe-
halte und Abschottungstendenzen nicht abbauen.
Die Folgen sind ethnische und soziale Ghettobildun-
gen, wie wir sie in einigen Städten in Europa und in
den USA beobachten.
Selbst zwischen den unterschiedlichen ethnischen
Gruppen gibt es häufig wenig Kontakt. Die Gefahr
geschlossener ethnischer Gemeinschaften liegt darin,
dass sie eine parallele Infrastruktur und Lebenswelt
aufbauen, die von Freizeit-, Kommunikations- und
Informationsangeboten bis hin zum Konsum und
privaten Dienstleistungen reichen. Mit ihren Nachbarn
anderer Nationalität wollen sie oft und müssen sie
auch nichts zu tun haben. Erst im öffentlichen Raum,
wie beispielsweise in den Kindergärten und Schulen,
bei den Behörden, im Beruf und bei den Sozialen
Diensten werden Begegnungen erforderlich. Bedin-
gungen der Verständigung und des Vertrauens wer-
den jedoch wesentlich durch den Privatbereich vor-
geprägt.
Dem soll mit einem interkulturellen Ansatz entge-
gen gewirkt werden, bei dem wesentlich das Mit-
einander, der vielfältige Austausch und die gegen-
seitige Ergänzung, die Begegnung und der Dialog
der Kulturen gefördert werden.
Dabei soll es aber keinesfalls darum gehen, kulturel-
le Differenzen einzuebnen oder ethnisch organisierte
Strukturen der Kommunikation auszuhöhlen. Die Plu-
ralisierung von kulturellen
Lebensformen und sozialen
Milieus ist eine unumkehrba-
re Entwicklung in allen offe-
nen, postmodernen Gesell-
schaften. Dazu ge-hören
auch die ethnischen Gemein-
schaften mit ihren verschiede-
nen Untergruppen. Weder
die deutsche Mehrheitsbevöl-
kerung noch die verschiede-
nen nichtdeutschen Minder-
heiten müssen sich auf eine
einheitliche Kultur verständi-
gen. Gleichwohl bedarf es
aber eines gemeinsamen
Rahmens bzw. verbindender
Grundwerte, die alle Bevöl-
kerungsgruppen als Grundla-
ge für das Zusammenleben in der Vielfalt anerken-
nen. Diese Grundlage bildet unsere freiheitlich-
demokratische Rechtsordnung.
Die Integration der Vielfalt muss auf der Grundla-
ge unserer Verfassung erfolgen. Ihre Grundpfei-
ler sind: Menschenrechte, Demokratie, Rechts-
staatlichkeit und Gewaltenteilung, die Gleichstel-
lung von Mann und Frau sowie die Trennung von
Staat und Kirche.
Die Anerkennung derGrundpfleiler unserer Gesell-
schaftsordnung und die gleichberechtigte Teilhabe
der Zuwanderer am gesellschaftlichen Leben sind
notwendige Rahmenbedingungen für eine erfolg-
reiche Integration und für ein friedliches Zusam-
menleben in kultureller Vielfalt.
Außer den Zugewanderten muss deshalb auch die
Aufnahmegesellschaft besser auf die Migrations-
realitäten unserer Zeit vorbereitet werden. Die Not-
wendigkeit und Unvermeidlichkeit der Internationali-
sierung, aber auch die vielfältigen Chancen, die
5
damit einhergehen, müssen als Bestandteil der Inte-
grationsarbeit vermittelt werden. Nach verschiede-
nen Untersuchungen des Europabarometers gehört
Deutschland zusammen mit Österreich, Belgien und
Griechenland zu den Ländern der Europäischen
Union, in denen fremdenfeindliche Einstellungen in
der Bevölkerung am häufigsten verbreitet sind. Wie
zahlreiche Studien und Umfragen bestätigen, unter-
scheiden sich die Einstellungen zu den Zugewander-
ten und ethnischen Gruppen auch innerhalb
Deutschlands erheblich, beispielsweise Muslimen
oder fremd aussehenden Personen gegenüber.
Hinzu kommt ein immer wieder zu beobachtender
Antisemitismus.
2004 wurde wieder ein Anstieg rechtsextremisti-
scher Straftaten in Baden-Württemberg verzeichnet
(857 gegenüber 800 im Jahr 2002). Die Zahl rechts-
extremistischer Skinheads und sonstiger gewaltbe-
reiter Zirkel hat sich von rund 800 im Jahr 2002 auf
1.000 im Jahr 2004 um 25 Prozent erhöht,
während auf Bundesebene ein leichter Rückgang zu
beobachten war. (Verfassungsschutzbericht Baden-
Württemberg 2004, S. 116f.)
Auf der anderen Seite werden 8.510 Personen mit
Migrationshintergrund extremistischen und extremi-
stisch beeinflussten Ausländerorganisationen zuge-
ordnet, was einen Anteil von 0,7 Prozent an Anhän-
gern extremistischer Ausländerorganisationen in
Baden-Württemberg ausmacht. Diese Zahl blieb seit
2002 annähernd konstant. Der Anteil religiös-natio-
nalistischer Gruppen ist dabei der dominante. (Ver-
fassungsschutzbericht Baden-Württemberg 2004, S.
12-13)
Laut Verfassungsschutzbericht des Jahres 2002 des
Landesamtes für Verfassungsschutz war die Zahl der
rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten entge-
gen der bundesweiten Tendenz wie schon im Vor-
jahr leicht rückläufig:
„Bundesweit beläuft sich die Gesamtzahl gewaltbe-
reiter Rechtsextremisten auf rund 10.700 (2001:
10.400), in Baden-Württemberg auf rund 800
(2001: 850). Den weitaus größten Teil davon bilden
Skinheads. Ihre Zahl sank in Baden-Württemberg im
Jahr 2002 erstmals wieder auf 770, nachdem sie in
den letzten Jahren kontinuierlich zugenommen
hatte (2001: 820).“
(Verfassungsschutzbericht Baden-Württemberg 2002,
S. 28/29)
Die Entwicklung und Umsetzung einer situations-
bezogenen Integrationspolitik ist aus all diesen
Gründen ein notwendiges und mögliches Steue-
rungsinstrument. Zugewanderte und Einheimische
müssen um einen Konsens darüber bemüht sein,
was unter Integration zu verstehen ist und welche
berechtigten Erwartungen sich daraus an die Auf-
nahmegesellschaft als auch an die Zugewanderten
ableiten.
Das vorliegende Positionspapier soll zu einem
gemeinsamen Integrationsverständnis beitragen, das
die vielfältigen Lebenswelten in und die Identifikati-
on mit der Stadt Stuttgart in den Vordergrund
rückt.
Unter Integration ist die aktive Herstellung einer
gemeinsamen Verständigungsgrundlage zu verste-
hen. Insofern ist Integration ein wechselseitiger
Prozess. Sie setzt sowohl die Befähigung (Sprache,
Verständigung) als auch die Bereitschaft hierzu
(Motivation, Dialog) voraus.
Im Kontext der kommunalen Integrationspolitik liegt
der Schwerpunkt auf der sozialen und – damit ver-
bunden – der kulturellen Integration:
1. Soziale Integration:
Im Wesentlichen wird eine soziale Integration durch
Chancengleichheit im Beruf, Bildung, Wohn- und
Freizeitangeboten erreicht. Chancengleichheit be-
deutet nicht nur, gleiche Chancen zu ermöglichen.
Die Betroffenen müssen diese Chancen auch aktiv
ergreifen.
2. Kulturelle Integration:
Die Definition der sozialen Integration macht deut-
lich, dass Chancengleichheit auch die Bereiche Bil-
dung und Freizeitangebote umfasst. Der Mensch ist
ein kulturelles Wesen, das an der Gestaltung seines
kulturellen Umfelds beteiligt ist. Deshalb bedingen
sich soziale und kulturelle Integration gegenseitig
für das Gelingen einer umfassenden Integration.
Kulturelle Integration bedarf der Förderung der Teil-
habe an gesellschaftlichen und kulturellen Prozes-
sen. Sie beinhaltet die Verinnerlichung gesellschaftli-
cher und kultureller Grundwerte und die Übernahme
der Denkmuster einer pluralistischen Gesellschaft
sowie die Befähigung und die Bereitschaft, sich in
dieser Gesellschaft voll einzubringen (zunehmende
Identifikation mit der Aufnahmegesellschaft, Teilha-
be an Entwicklungsprozessen).
Zentrale Maßnahmen einer Integrationspolitik sind
daher zum einen das Erkennen und die Förderung
von Partizipationsmöglichkeiten und zum anderen
die Unterbindung von sozialen und kulturellen
Ausgrenzungstendenzen.
Viele gesellschaftliche und rechtliche Vorgaben lie-
gen außerhalb der kommunalen Entscheidungs-
kompetenz, beeinflussen aber die Integrationsar-
beit vor Ort in erheblichem Maße; dazu gehören
u.a. die Voraussetzungen für die vollständige
rechtliche Gleichstellung (Einbürgerung) und für
bestimmte Formen der politischen Partizipation
6
(Beschränkung des Kommunal- und EU-Wahlrechts
auf Zugewanderte mit Herkunft aus EU-Staaten).
Dieses Positionspapier will als „Strategiekonzept“
die Leitziele, die Steuerungsinstrumente und die Rah-
menbedingungen der künftigen Integrationsarbeit
bestimmen. Insbesondere werden die zentralen
Handlungsfelder einer künftigen Integrationspolitik
in der Landeshauptstadt Stuttgart und die Umset-
zungsschritte aufgezeigt, die notwendig sind, damit
die Integrationsziele in diesen Handlungsfeldern
erreicht werden können.
Da aber die kommunale Integrationspolitik im Kon-
text von zahlreichen rechtlichen Bestimmungen
und Umsetzungsrichtlinien steht, die auf ande-
ren Ebenen beschlossen werden (Europäische
Union, Bundesrepublik Deutschland, Land Baden-
Württemberg), wird zunächst auf diese vorgegebe-
nen äußeren Rahmenbedingungen im 2. Kapitel
eingegangen. Zu dieser Bestandsaufnahme gehört
auch die gegenwärtige Situation in Stuttgart.
Der vorgegebene Ist-Stand auf EU-, Bundes- und
Landesebene sowie vor Ort bildet schließlich die
Grundlage für die Neuausrichtung der Stuttgar-
ter Integrationspolitik (3. und 4. Kapitel).
Die Entwicklung der Steuerungsinstrumente zur
Umsetzung der Integrationsziele wird als gemein-
same Aufgabe verstanden, die im Verbund der
zuständigen Kooperationspartner geleistet werden
muss. Die im Positionspapier formulierten Empfeh-
lungen sollen die Grundlage für diesen Entwick-
lungs- und Umsetzungsprozess bilden.
Integrationsarbeit als kommunale Querschnitts-
und Gesamtsteuerungsaufgabe erfolgt in Zusam-
menarbeit aller beteiligten Instanzen: städtische
Ämter und Organisationen der freien Träger, Schu-
len und andere Bildungsstätten, Agentur für Arbeit,
Unternehmen, Gewerkschaften, Sport- und Kultur-
vereine, Migrantenselbstorganisationen und ehren-
amtlich tätige Bürgerinitiativen, Religionsgemein-
schaften, Medien und politische Gremien sowie
die Bürgerinnen und Bürger selbst.
Die oben angeführten Institutionen haben in Stutt-
gart bereits gute Grundlagen geschaffen, auf denen
wir unsere weitere Arbeit aufbauen können.
Bewährte Projekte sollen fortgesetzt und dort, wo
es notwendig ist, ausgeweitet werden. Neue wer-
den hinzukommen müssen.
Die Integrationsbeauftragten bei der Stabsabteilung
für Integrationspolitik (S-IP) können dieses „Bünd-
nis für Integration“ in Absprache mit den jeweili-
gen Kooperationspartnern koordinieren und unter-
stützen. Sie haben als zentrale Stabsstelle für die
Weiterentwicklung der Integrationsarbeit auf der
Grundlage der rechtlichen Vorgaben sowie der be-
schlossenen Ziele und Kooperationsvereinbarungen
zu sorgen.
7
2.1 Entwicklungen auf
EU-, Bundes- und
Landesebene
Die Einwanderungs- und Integrationspolitik ist auf-
grund veränderter rechtlicher, gesellschaftlicher und
sozialer Rahmenbedingungen europa-, bundes- und
landesweit in Bewegung geraten. Betroffen sind so-
wohl rechtliche Regelungen des Aufenthalts-, Arbeits-
und Staatsangehörigkeitsrechts als auch Integrations-
maßnahmen, die das Zusammenleben von Menschen
unterschiedlichster Herkunft gestalten und die gesell-
schaftliche Integration nicht-deutscher Personen för-
dern.
Am 1. Mai 1999 trat der Vertrag von Amsterdam
in Kraft. Die Mitgliedsstaaten der Europäischen
Union verpflichten sich darin unter anderem, ihre
Beschäftigungspolitik auf die Wirtschaftspoli-
tik der Gemeinschaft abzustimmen, Diskri-
minierungen aus Gründen des Geschle-
chts, der Rasse, der Religion oder der
Weltanschauung zu bekämpfen und
die Chancengleichheit von Mann und
Frau zu fördern. 2004/2005 wurden
sollen auch gemeinsame europäische
Asyl- und Einwanderungsregelungen
geschaffen. Dazu gehört die Harmonisie-
rung der Rechte von Drittstaatsangehörigen
innerhalb der Union (Art. 61 ff). Der erste Schritt
dahin werden gemeinsame Mindeststandards für
die Asylverfahren und für die Aufnahmebedingun-
gen sein.
Durch die Unterzeichnung des Amsterdamer Vertra-
ges ist die nationale Zuwanderungspolitik in einen
europäischen Rahmen gestellt worden. Die Über-
tragung von Kompetenzen zur zukünftigen
Ausgestaltung der Migrationspolitik auf die
Europäische Ebene wird zur Konsequenz haben,
dass in den kommenden Jahren weitreichende Grund-
satzentscheidungen zur Ausrichtung der Migrations-
politik in den EU-Ländern umgesetzt werden müs-
sen. Auf kommunaler Ebene werden entsprechende
Handlungs- und Umsetzungskompetenzen erforder-
lich werden.
Anlässlich seines 50-jährigen Bestehens 1999 hat
der Europarat seine Selbstverpflichtung wiederholt,
sich einzusetzen für den gesellschaftlichen Zusam-
menhalt („Kohäsion“) und die Solidarität der in
Europa lebenden Menschen sowie für die Bekämp-
fung von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und poli-
tischer, kultureller oder religiöser Intoleranz und Dis-
kriminierung von Minderheiten.
Das Europäische Komitee für Wanderung
(CDMG) hat zwei Berichte erstellt, die grundlegende
Gedanken zur Umsetzung dieses Engagements for-
mulieren: „Vielfalt und Zusammenhalt – neue Her-
ausforderungen für die Integration von Migranten
und Minderheiten“ („Diversity and cohesion: new
challenges for the integration of immigrants and
minorities“) sowie einen „Leitfaden für die Integra-
tionspolitik (Framework for integration policies“).
Als innovatives Konzept sollen „Vielfalt und
Zusammenhalt“ eine Leitlinie künftiger Arbeit der
Mitgliedsstaaten des Europarates werden.
Das Konzept „Vielfalt“ (diversity) soll den veränder-
ten demografischen Realitäten besser begegnen als
das frühere Konzept des Multikulturalismus und
es soll einen dynamischen Prozess abbilden,
von dem zunehmend pluralistische
Gesellschaften profitieren können: alle
Menschen sind verschieden und haben
ein Recht, unterschiedlich zu sein. Der
Grundstein für Integrationspolitiken
und Minderheitenschutz ist hierbei der
Gleichheitsgrundsatz: Alle Menschen
sind gleich und haben gleiche Rechte.
Das Diversity-Konzept verweist darauf,
dass Menschen generell und zunehmend über
multiple Identitäten und Zugehörigkeiten zu Grup-
pen und Kulturen verfügen.
Der zweite Begriff „Zusammenhalt“ (cohesion)
wird häufiger benutzt im Kontext von Beschäfti-
gung und Armut, wobei es um den Abbau von
sozialen Desintegrationsprozessen und die „Mar-
ginalisierung“ bestimmter Gruppen geht. Die Poli-
tik des sozialen Zusammenhalts zielt darauf, eine
Zersplitterung der Gesellschaft zu verhindern oder
rückgängig zu machen.
Seit dem 1. Januar 2000 gilt im Bund das neue
Staatsangehörigkeitsrecht. Die entscheidende
Änderung durch das neue Staatsangehörigkeitsrecht
ist die Ergänzung um das Geburtsrecht. In Deutsch-
land geborene Kinder ausländischer Eltern, die dau-
erhaft hier leben (acht Jahre rechtmäßiger Aufent-
halt, Besitz einer Aufenthaltserlaubnis/einer Aufent-
haltsberechtigung), werden automatisch deutsche
Staatsbürger. Nach geltendem Recht ist bei hier
geborenen Kindern eine weitere Staatsangehörigkeit
2. Veränderte Rahmenbedingungen
8
(z.B. Türkisch, Italienisch) bis zum Erreichen des 23.
Lebensjahres erlaubt. Die hiermit verbundene Auf-
gabe des Grundsatzes der einheitlichen Staatsan-
gehörigkeit der Familie ist ein deutliches Signal und
ein Integrationsanreiz, der durch verstärkte
Bemühungen um eine freiwillige Einbürgerung der
ersten Generation ergänzt werden muss.
Die neue Staatsangehörigkeitsregelung muss zudem
durch weitere Integrationsmaßnahmen ergänzt wer-
den. Das Beispiel der Aussiedlerinnen und Aussied-
ler, insbesondere der Russlanddeutschen, die über
einen deutschen Pass verfügen, vermag dies zu ver-
deutlichen. Sowohl hinsichtlich ihrer Akzeptanz
durch die Aufnahmegesellschaft als auch im Hinblick
auf ihre eigene Integrationsfähigkeit und -bereit-
schaft (Sprach- und Kulturkenntnisse, Bildung und
Berufsqualifikationen) bestehen Defizite, die zu
nicht unerheblichen Problemen geführt haben.
Auch viele Zugewanderte, insbesondere aus dem
muslimischen Kulturkreis, die seit Jahrzehnten deut-
sche Staatsbürger sind, erfahren Diskriminierungen
und Ablehnung. Eine Betrachtung der Migrationser-
fahrung in anderen europäischen Ländern bestätigt
ebenso die Notwendigkeit von weiterreichenden
Integrationsmaßnahmen unabhängig von der
Erteilung der Staatsangehörigkeit. In Frankreich, in
den Niederlanden und in Großbritannien ergaben
sich wiederholt soziale Unruhen auf der Grundlage
ethnischer Zugehörigkeit und der damit verbunde-
nen Benachteiligung in der Gesellschaft, zuletzt
besonders gravierend in französischen Vorstädten.
Bei erheblicher sozialer Ungleichheit oder bei einer
objektiv gegebenen oder nur als solche empfunde-
nen Diskriminierungspraxis bleiben Ausschreitungen
– trotz gemeinsamer Staatsangehörigkeit – möglich.
Integrationsbemühungen müssen sich daher stets
auch an den jeweils gegebenen Bedingungen vor Ort
orientieren und liegen deswegen in besonderem
Maß in der unmittelbaren Verantwortung der Kom-
mune.
Mit den Ergebnissen der Unabhängigen Kommis-
sion „Zuwanderung“ (der so genannten „Süss-
muth-Kommission“) hatte die rot-grüne Bundesre-
gierung weitreichende Vorschläge zur Neugestal-
tung der Zuwanderung in der Bundesrepublik erhal-
ten. Neue rechtliche Veränderungen sowie Integrati-
onsmaßnahmen für Neuzuwanderinnen und
Neuzuwanderer (Sprach- und Integrationskurse) sol-
len Schwer-punkt der Integrationsleistungen wer-
den.
Auch der akute Mangel an ausreichend qualifi-
zierten Arbeitskräften in Teilbereichen der Wirt-
schaft hat zu neuen Überlegungen Anlass gegeben,
die bisherigen Zuwanderungsbedingungen attrakti-
ver zu gestalten. Eine nur an kurz- und mittelfristi-
gen Wirtschaftsinteressen ausgerichtete Zuwande-
rungspolitik, wie von der „green card“-Regelung
vorgesehen, hat sich jedoch schon bei der früheren
Gastarbeiterpolitik als problematisch erwiesen.
Unbestritten ist, dass Deutschland weiterhin auslän-
dische Arbeitskräfte benötigt und dass die Zuwan-
derung arbeitsmarktkompatibel gestaltet werden
sollte.
Zur Steuerung der Zuwanderung aus wirtschaftlichen
Gründen sind daher mittelfristige Analysen über
den Arbeitskräftebedarf und die wirtschaftliche Ent-
wicklung einzelner Branchen unverzichtbar. Für Stutt-
gart und sein Umland mit den vorhandenen Schwer-
punkten des Auto- und Maschinenbaus ist die Sicher-
stellung von qualifizierten Arbeitskräften für den
Wohlstand der Region von großer Bedeutung. Im
High-Tech-Bereich, vor allem in der Wissenschaft
und der Forschung, ist die Gewinnung der „besten
Köpfe“ für die Zukunftsfähigkeit der Region und
des Landes Baden-Württemberg insgesamt von ent-
scheidender Bedeutung, wie zuletzt die Studie von
Roland Berger und Partner für die Landesstiftung
Baden-Württemberg deutlich gemacht hat.
Eine arbeitsmarktorientierte Zuwanderung und die
gesellschaftspolitische Integration gehören zusam-
men. Auch aufgrund der Integrationspolitik der Ver-
gangenheit sind ausländische Arbeitsmigranten und
Aussiedler, die in den vergangenen Jahrzehnten ein-
gereist sind, überproportional von Arbeits- und Aus-
bildungslosigkeit betroffen. Es müssen daher – im
Rahmen der Gestaltung der Einwanderung – auch
Maßnahmen zur Eingliederung von bereits in
Deutschland lebenden Migrantinnen und Migranten
geschaffen werden.
Das Zuwanderungsgesetz hat die Integrations-
politik des Bundes grundlegend reformiert.
So berücksichtigt das Zuwanderungsgesetz in der
Folge des 11. September 2001 verstärkt Sicherheit-
saspekte. Unter anderem dürfen die obersten Lan-
desbehörden sowie das Bundesinnenministerium zur
Abwehr einer besonderen Gefahr ohne vorherige
Androhung eine sofort vollziehbare Abschiebungs-
anordnung erlassen. Das Gesetz regelt die Auswei-
sung von Schleusern, Personen, die einer terroristi-
schen Vereinigung angehören oder eine solche
unterstützen, Führern extremistischer Organisatio-
nen und Hasspredigern.
Das Aufenthaltsgesetz, das am 1. Januar 2005 in
Kraft getreten ist, kennt nur noch zwei Aufent-
haltstitel: die Aufenthaltserlaubnis (für einen zeit-
lich befristeten Aufenthalt) und die Niederlassungs-
erlaubnis (für einen unbefristeten Aufenthalt). Beide
9
sind wiederum an vier mögliche Aufenthaltszwecke
geknüpft: Ausbildung, Erwerbstätigkeit, Familie
sowie humanitäre Gründe. Eine befristete Aufent-
haltserlaubnis muss grundsätzlich rechtzeitig verlän-
gert werden, das heißt, der Antrag hierfür muss vor
Ablauf der Aufenthaltserlaubnis gestellt werden, um
negative Rechtsfolgen zu vermeiden. Bei fristgerech-
ter Antragstellung der Aufenthaltsverlängerung
bleibt hingegen auch die Arbeitserlaubnis bis zur
Entscheidung über den Aufenthalt gültig. Mit dem
Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes haben die
Ausländerbehörden die Zuständigkeit für die Ertei-
lung einer Arbeitserlaubnis von der Bundesagen-
tur für Arbeit übernommen und damit das bisher
doppelte Genehmigungsverfahren gebündelt.
Das Zuwanderungsgesetz hat grundsätzliche Rege-
lungen für Integrations- und Orientierungskur-
se getroffen, denn diese sollen Zuwanderer an
Sprache, Kultur und Rechtsordnung in Deutschland
heranführen, so dass diese ohne die Vermittlung
Dritter in alltäglichen Angelegenheiten selbständig
entscheiden und handeln können. Ein Integrations-
kurs besteht aus 630 Unterrichtsstunden, von
denen 300 in einem Basissprachkurs, 300 weitere in
einem Aufbaukurs und 30 in einem Orientierungs-
kurs zur Rechtsordnung, Kultur und Geschichte
angeboten werden. Zuwanderer, die nach dem
Gesetz nicht verpflichtet sind, einen Sprach- und
Integrationskurs zu besuchen (wie zum Beispiel
bereits länger in Deutschland lebende Personen),
können im Rahmen verfügbarer Plätze freiwillig
daran teilnehmen. Eine erfolgreiche Teilnahme
ermöglicht bei Vorliegen der übrigen Voraussetzun-
gen eine raschere Einbürgerung. Die Nichtteilnahme
eines „verpflichteten“ Zuwanderers kann dagegen
auch negative Auswirkungen, wie die Kürzung von
Leistungen nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch
nach sich ziehen.
Mit der Festschreibung der Förderung bleibe-
berechtigter Ausländerinnen und Ausländer in
der Koalitionsvereinbarung hat sich auch die Lan-
desregierung Baden-Württemberg die Notwen-
digkeit weiterentwickelter Integrationskonzepte zu
eigen gemacht. Integrationsfördernde Maßnahmen
für bleibeberechtigte Ausländerinnen und Ausländer
bilden auch hier die zentrale Zielvorgabe. Integrati-
onsmaßnahmen dürfen jedoch nicht erst dann zum
Tragen kommen, wenn der Status der Bleibeberech-
tigung feststeht. Weitere Konsequenzen ergeben
sich aus der bundesdeutschen demografischen
Entwicklung. Die Überalterung der deutschen
Bevölkerung und der erhebliche Geburtenrückgang
werden langfristig den Umfang der zukünftigen
Zuwanderungsmöglichkeiten in die Bundesrepublik
Deutschland nachhaltig beeinflussen.
2.2. Die Situation in
Stuttgart
2.2.1 Bevölkerungsstruktur
In Stuttgart gehen seit Mitte der 70er-Jahre die
Geburten zurück. Hinzu kommt, dass Jahr für Jahr
viele Einwohnerinnen und Einwohner in die Umland-
gemeinden abwandern. Diese negative Bevölke-
rungsentwicklung wird seit den 60er-Jahren durch
Zuwanderung nichtdeutscher Einwohnerinnen und
Einwohner nur teilweise kompensiert, die damals
angeworben wurden, um den vorhandenen Mangel
an Arbeitskräften zu beseitigen.
Eine in der Anlage 1 beigefügte Grafik veranschau-
licht den Entwicklungsgang der deutschen und
der nichtdeutschen Einwohnerinnen und Ein-
wohner in Stuttgart in den letzten 18 Jahren
(Schaubild „Bevölkerung in Stuttgart seit 1986 nach
Staatsangehörigkeit“). Bei näherer Betrachtung der
Einwohnerstatistik seit 1986 lässt sich feststellen, dass
sich die Bevölkerungszahl in Stuttgart, die seit Mitte
der 90er-Jahre leicht rückgängig war, stabilisiert hat.
Die Zahl der Zugewanderten ist nicht zuletzt durch
das veränderte Staatsbürgerschaftsrecht leicht rück-
läufig. Zum Stichtermin Ende 2005 waren hier An-
gehörige von 173 Staaten gemeldet. Der Anteil der
nichtdeutschen Einwohnerinnen und Einwohner
beträgt 21,9 Prozent. Damit nimmt Stuttgart im
Großstadtvergleich hinter Frankfurt zusammen mit
München den zweiten Platz ein.
Neben den Einwohnerinnen und Einwohnern mit
deutscher Staatsangehörigkeit (462.218) stellen
Staatsangehörige der Türkei (22.538), Griechen-
lands (14.669), Italiens (14.192), Kroatiens (13.753)
und Restjugoslawiens, d.h. Serbien-Montenegro
(11.842) Gruppen mit mehr als 10.000 Personen.
Die Grafik Einwohnerinnen und Einwohner in
Stuttgart nach Alter, Geschlecht und Staatsan-
gehörigkeit (Bevölkerungspyramide, Anlage 2)
verdeutlicht den unterschiedlich hohen Anteil der
nichtdeutschen Bevölkerung in den verschiedenen
Altersgruppen. Während ihr Anteil bei den über 60-
Jährigen bei 12,1 Prozent liegt, ist er bei den Kin-
dern und Jugendlichen bei 21,7 Prozent. Doppel-
staatler mit deutschem Pass werden in der Statistik
ausschließlich als Deutsche geführt. Das neue Staats-
bürgerschaftsrecht, das im Jahr 2000 in Kraft trat
und demzufolge über die Hälfte der Kinder Nicht-
deutscher bei der Geburt automatisch die deutsche
Staatsangehörigkeit erhalten, hat den gesamten
Anteil nichtdeutscher Kinder und Jugendlicher bis
18 Jahre um mehr als drei Prozentpunkte gesenkt.
Nicht gesenkt dagegen hat das neue Staatsbürger-
recht den realen Bedarf an Sprachförderung und
10
Anlagen 1
Einwohner in Stuttgart seit 1986 nach Staatsangehörigkeit
Anteil der ausländischen Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung
in Stuttgart 1986 bis 2005
11
Einwohner in Stuttgart am 31. Dezember 2005 nach
Alter, Geschlecht und Staatsangehörigkeit
Anlage 2
12
anderen zusätzlichen Bildungsangeboten und Erzie-
hungshilfen, so dass Jugendarbeit, Betreuungsange-
bote in Kindertagesstätten, Kontakt und Unterstüt-
zung von jungen Eltern nichtdeutscher Abstammung
sowie Schule und Berufsausbildung wesentlicher
Bestandteil der Integrationsmaßnahmen bleiben
müssen.
Die Zahl der Einbürgerungen war 2004 mit 3.082
Eingebürgerten leicht rückläufig gegenüber 2003 mit
3.203 Fällen und 2002 mit 3.227 Fällen. Die größte
Gruppe dabei war die der Türken mit 32 Prozent. Die
Zahl der EU-Bürger war erwartungsgemäß gering, da
sie ohnehin in allen Mitgliedsstaaten der Europäischen
Union wohnen und arbeiten dürfen. Vor allem junge
Menschen lassen sich einbürgern. Viele von ihnen
sind hier geboren und aufgewachsen und fühlen sich
als Deutsche. Mehr als zwei Drittel der Eingebürgerten
sind unter 35 Jahre alt.
Zugleich macht sich auch in Stuttgart die allgemeine
Erfahrung bemerkbar, dass Nichtdeutsche in der zwei-
ten und dritten Generation ihre Familiengröße der der
Deutschen anpassen. Zu den veränderten Lebenswel-
ten in Stuttgart gehört auch die wachsende Zahl von
Single-Haushalten und allein erziehenden Eltern. Ein-
personenhaushalte, die in Stuttgart knapp die Hälfte
aller Haushalte ausmachen, sind zudem sehr hetero-
gen (Auszubildende mit geringem Einkommen, junge
mobile Berufstätige, ältere Menschen – oft verwitwete
Frauen).
Aus verschiedenen Motivationslagen heraus wollen
oder müssen allein stehende Personen und Allein-
erziehende häufiger stadtzentral wohnen. Die Hete-
rogenität in den inneren Stadtbezirken ist zugleich
eine sozialpolitische Herausforderung und Chance
für die Entwicklung der internationalen Stadtgesell-
schaft (vgl. auch Kapitel 2.2.4).
2.2.2 Arbeitsmarkt
Nichtdeutsche stellten 2004 insgesamt 14,4 Prozent
der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten
in Stuttgart. 59,6 Prozent von ihnen sind als Arbei-
terinnen und Arbeiter beschäftigt. Nichtdeutsche
stellen 33,2 Prozent aller Arbeiter(innen) und 7,8 Pro-
zent aller Angestellten in Stuttgart (Statistisches Lan-
desamt Baden-Württemberg 2005).
Stuttgart hat insgesamt eine Arbeitslosenquote von
10,7 Prozent (Stand: Januar 2006). Nichtdeutsche
sind mit einer Arbeitslosenquote von 18,6 Prozent
häufiger von Arbeitslosigkeit betroffen. Von den
ausländischen Beschäftigten haben nur 40 Prozent
eine abgeschlossene Berufsausbildung gegenüber
70 Prozent der deutschen Beschäftigten (Statisti-
sches Landesamt Baden-Württemberg). Gerade in
Verbindung mit wirtschaftlichen Umstrukturierun-
gen sind ausländische Beschäftigte daher auch häu-
figer von Entlassungen bedroht.
Um geeignete Integrationsmaßnahmen entwickeln
zu können, müssen die Hindernisse für die Einstel-
lung von Nichtdeutschen noch genauer eruiert wer-
den. Neben der unzureichenden sprachlichen und
beruflichen Qualifikation der Nichtdeutschen, die ver-
bessert werden kann, betrifft das die Barrieren bei
der Erteilung der Arbeitserlaubnis durch das Arbeit-
samt, die am Arbeitsmarkt benötigten Qualifikations-
profile, mögliche Vorurteile seitens der potenziellen
Arbeitgeber gegenüber Nichtdeutschen, Auswirkun-
gen des dritten Arbeitsmarkts, aber auch kulturelle,
religiöse oder geschlechtsspezifische Gründe von
Nichtdeutschen, eine Arbeit anzunehmen.
Für gezielte Integrationsmaßnahmen sind noch ge-
nauere sozioökonomische Daten über nichtdeutsche
Beschäftigte zu erheben, z.B. geschlechtsspezifische
Daten über Einkommen, Arbeitszeit, Bildung u.Ä. Ein
bedeutender Teil der nichtdeutschen Beschäftigten
(vor allem Frauen) ist in den Niedriglohnsektoren
beschäftigt bzw. als Um- oder Angelernte in die
untersten Lohngruppen eingruppiert. Niedriger Ver-
dienst bedeutet niedriger Lebensstandard trotz Arbeit,
vor allem später im Alter aufgrund geringer Renten.
Auch die Situation der nichtdeutschen Kleinen und
Mittelständischen Unternehmen bedarf einer ge-
naueren Betrachtung. Statistiken oder Beobachtungen
über die Situation der nichtdeutschen Selbständigen
in Stuttgart existieren derzeit noch nicht und müssen
zeitnah erhoben werden.
2.2.3 Hilfe zum Lebensunterhalt
Von 1.000 ausländischen Einwohnern erhalten 30
Hilfe zum Lebensunterhalt, von 1.000 deutschen Ein-
wohnern sind es 13. Das Risiko, von Hilfe zum Le-ben-
sunterhalt abhängig zu werden, ist also für Nichtdeut-
sche doppelt so hoch wie für Deutsche. Bedürftigkeit
setzt sich in der zweiten und dritten Generation der
Arbeitsmigranten fort; besonders betroffen sind nicht-
deutsche Frauen. (Sozialamt, Statistisches Amt)
13
Ausländer in Stuttgarter 2005
Anlage 3
14
2.2.4 Räumliche Schwerpunkte von
Nichtdeutschen im Allgemeinen
und von einkommensschwachen
Menschen im Besonderen
Die Grafik Ausländer 2005 in den Stadtbezirken
(Anlage 3) zeigt die Verteilung der Stuttgarter Bevöl-
kerung nach Staatsangehörigkeit und Ausländeranteil
in den verschiedenen Stadtbezirken.
Die ungleiche Verteilung von Deutschen und Nicht-
deutschen im Stadtgebiet lässt sich klar erkennen.
Nichtdeutsche sind in den Innenstadtbezirken, in
Bad Cannstatt und in den von Industrie geprägten
Stadtbezirken (Feuerbach, Zuffenhausen, Untertürk-
heim, Wangen) überrepräsentiert. Dabei sind die
nichtdeutschen Bevölkerungsgruppen einigermaßen
proportional innerhalb der einzelnen Stadtbezirke
verteilt. Für die Integrationspolitik bedeutet dies,
dass von einer eindeutigen ethnischen Ghettobil-
dung in Stuttgart nicht gesprochen werden kann,
sondern lediglich von einer hohen Konzentration
von Nichtdeutschen in weniger attraktiven Stadtge-
bieten mit preisgünstigerem Wohnraum.
Die nichtdeutsche Bevölkerung teilt häufig ihre
Wohnstandorte mit den einkommensschwachen
deutschen Bevölkerungsgruppen. Stadtviertel, die
einen hohen Anteil von Nichtdeutschen aufweisen,
haben aber umgekehrt nicht automatisch auch eine
hohe Sozialhilfedichte der Nichtdeutschen zur Folge.
(Sozialbericht 1: Armut in Stuttgart)
2.2.5 Schulbildung
Der Anteil der nichtdeutschen Schülerinnen und
Schüler an Stuttgarter Grundschulen betrug im
Schuljahr 2004/2005 einschließlich der Privatschulen
Durchschnitt 27,2 Prozent. Die Entwicklung der
Schülerzahlen in weiterführenden Schulen wird
erheblich vom unterschiedlichen Übertrittsverhalten
deutscher und nichtdeutscher Schülerinnen und
Schüler beeinflusst.
11,9 Prozent der deutschen und 58,9 Prozent der
nichtdeutschen Schülerinnen und Schüler traten im
Sommer 2004 von der Grundschule in die Haupt-
schule über (Zahlen einschließlich der Privatschulen).
Dagegen wechselten 60,1 Prozent der deutschen
und nur 16,8 Prozent der nichtdeutschen Schülerin-
nen und Schüler ans Gymnasium. Die Diskrepanz
fällt bei Realschulen geringer aus: 28,0 Prozent der
Deutschen und 25,0 Prozent der Nichtdeutschen
wechselten im Sommer 2004 in die Realschule. Laut
dem Stuttgarter Schulbericht 2004 betrug der
Anteil der nichtdeutschen Schülerinnen und Schüler
an Förderschulen im Schuljahr 2004/2005 58,1 Pro-
zent, an allen Sonderschulformen insgesamt 48,3
Prozent.
Das Bildungsniveau von nichtdeutschen Kindern
und Jugendlichen ist insgesamt überproportional
niedriger als das ihrer deutschen Altersgenossen.
Bildungsprobleme treten aber auch bei zahlreichen
Aussiedlerkindern und -jugendlichen auf, die zwar
einen deutschen Pass, aber oft eine nichtdeutsche
Herkunftssprache und einen Migrationshintergrund
haben.
Bislang sind die schwerwiegenden Folgen des nied-
rigen Bildungsniveaus von Nichtdeutschen bzw. von
Personen mit Migrationsvergangenheit nicht hinrei-
chend erkannt worden. Aufgrund des hohen Anteils
der Kinder mit Migrationshintergrund, der überdies
noch zunehmen wird, wird das Gesamtbildungsni-
veau der Stuttgarter Bevölkerung zukünftig weiter
sinken. Diese Tendenz lässt sich vermutlich nur
durch erhebliche Investitionen im Schulbereich
(einschließlich Mentorenprogrammen, Weiterbil-
dungsmaßnahmen für Lehrkräfte im multikulturellen
Lehr- und Lernumfeld, spezifischen mit den ethni-
schen Gruppen abgestimmten Unterstützungspro-
jekten mit Jugend- und Schulsozialarbeitern) und
durch die gezielte Anwerbung von hochqualifizier-
ten Zuwanderern abschwächen.
15
Die kurze Darstellung der veränderten gesellschaftli-
chen Rahmenbedingungen und der Situation in
Stuttgart machen nochmals deutlich, dass es nicht
mehr nur um die Fortschreibung der früheren Aus-
länderpolitik gehen kann, sondern eine Neupositio-
nierung der gegenwärtigen und künftigen Integrati-
onspolitik erforderlich ist. Notwendig ist ein Perspek-
tivenwechsel.
Die Staatsangehörigkeit allein ist zunehmend ein
unzureichender Indikator für Migrationserfahrung
und Integrationsbedarf. Der statische und statisti-
sche Begriff „Ausländer“ beinhaltet oft Personen,
die in Stuttgart aufgewachsen sind und sich von der
deutschen Bevölkerung nur dadurch unterscheiden,
dass sie keinen deutschen Pass besitzen. Ein hoher
Anteil Nichtdeutscher ist nicht gleichbedeutend mit
dem Vorhandensein sozialer Probleme.
Gleichwohl haben wir unter den Migrantinnen und
Migranten eine allzu große Zahl von Menschen mit
niedrigem Einkommen, geringem Bildungsniveau
und unzureichenden Deutschkenntnissen, die die
soziale Unterschichtung der Zuwanderinnen und
Zuwanderer, vor allem aus den ehemaligen Anwer-
beländern, zur Folge hat.
Die Lebenswelten dieser Bevölkerungsgruppen sind
nicht nur von Merkmalen wie Staatsangehörigkeit
und kultureller Orientierung geprägt, sondern auch
– und vor allem – von der unterschiedlichen Teilha-
be der Menschen an Bildung, Arbeit, Wohlstand
und sozialer Absicherung sowie von ungleichen
politischen Mitwirkungsmöglichkeiten am kommu-
nalen Geschehen. Soziale und rechtliche Ungleich-
heit können den Zusammenhalt einer Gesellschaft
gefährden. Die Entwicklung von gemeinsamer Verant-
wortung für das friedliche Miteinander stellt daher
besondere Anforderungen an alle Einwohnerinnen
und Einwohner in unserer Stadt.
Im Mittelpunkt aller Integrationsmaßnahmen
steht insofern das friedliche Zusammenleben
von Menschen unterschiedlicher Herkunft in
einer internationalen Bürgergesellschaft. Die
Förderung der Chancengleichheit heterogener
Bevölkerungsgruppen muss daher die bisherigen
Integrationskonzepte mit nationalitätenorientier-
ter Förderung ablösen.
Die frühere einseitige Wahrnehmung und Selbst-
wahrnehmung der Zuwanderinnen und Zuwanderer
als „Ausländer“ und als Angehörige bestimmter
Nationalitäten hatte zur Folge, dass die Pflege der
Herkunftstraditionen und des muttersprachlichen
Unterrichts überbetont wurden, während zentrale
Voraussetzungen für die Integration, wie der Er-
werb von Deutschkenntnissen, eine berufliche Wei-
terqualifizierung und die aktive Beteiligung am ge-
sellschaftlichen Leben, hierzulande zu sehr vernach-
lässigt wurden. Die Pflege der Muttersprache bildet
durchaus einen wichtigen Grundstein für das Erler-
nen des Deutschen als Zweitsprache und für den
Erwerb von Fremdsprachenkenntnissen. Dies liegt
aber vor allem in der Eigenverantwortung der
Zuwanderer und ihrer Organisationen.
Der sprachliche Reichtum der Zuwanderer ist eine
gesellschaftliche Ressource, die im Bildungswesen
wird inzwischen verstärkt aufgegriffen. 1995 wurde
von der Stadt Stuttgart der Antrag auf einen Schul-
versuch gestellt, um Sprachunterricht in italienischer
und türkischer Sprache an öffentlichen Schulen zu
ermöglichen. Dieses Angebot (noch mit Versuchs-
charakter) wird im Rahmen eines erweiterten Fremd-
sprachenangebots für alle Schülerinnen und Schüler
an einigen Stuttgarter Realschulen angeboten. Mitt-
lerweile bieten zahlreiche Stuttgarter Schulen Spra-
chen der größeren Zuwanderergruppen im Rahmen
von Arbeitsgemeinschaften sowie als zweite oder
dritte Fremdsprache an.
Integrationsmaßnahmen sollen das Zusammenleben
in dieser Gesellschaft insgesamt verbessern. Deswe-
gen muss die Förderung von Deutschkenntnissen
eindeutig Vorrang vor der Förderung der Herkunfts-
sprachen haben. Deutsch als die gemeinsame Spra-
che stellt eine Schlüsselqualifikation für die Teilhabe
an allen gesellschaftlichen Bereichen dar.
3.1 Der neue Ansatz:
Orientierung nach
Zielgruppen
Zielgruppen der neuen Integrationspolitik sind alle
zugewanderten Personen in Stuttgart mit ihren be-
sonderen individuellen, sozialen, kulturellen und
migrationsspezifischen Merkmalen, die ihre jeweili-
ge Lebenswelt ausmachen.
Deswegen soll auf die bisher übliche Kategorisie-
rung nach Arbeitnehmern aus den ehemaligen An-
werbeländern, Aussiedlern und Flüchtlingen verzich-
tet werden. Spezifische Angebote für diese Teilgrup-
3. Folgen für die Stuttgarter Integrationspolitik
16
pen sollen zugunsten von integrativen Angeboten
für alle Zuwanderer verändert werden.
Wesentliche Merkmale der nichtdeutschen Bevölke-
rung ergeben sich jedoch nach wie vor
- aus dem unterschiedlichen rechtlichen Aufent-
haltsstatus und
- aus der unterschiedlichen sozialen und gesell-
schaftlichen Realität.
Diese Faktoren sind ausschlaggebend für die Lebenssi-
tuation der nichtdeutschen Stuttgarterinnen und Stutt-
garter, weil daraus die Forderungen nach Chancen-
gleichheit und gesellschaftliche/politische Partizipation
abzuleiten sind.
Dieser Ansatz trägt der Tatsache und der Anfor-
derung Rechnung, dass Integration eine gesamt-
gesellschaftliche Aufgabe darstellt, die sowohl
von der zugewanderten als auch von der
einheimischen Bevölkerung mitgetragen
werden muss. Und er trägt dem Umstand Rech-
nung, dass der soziale Status der Migrantin-
nen und Migranten eine wesentliche
Grundlage der Integrationspolitik einer
Kommune ist.
Im Hinblick darauf lassen sich zunächst fünf
Hauptzielgruppen für die künftige Integrationspo-
litik ableiten:
1. Eingereiste Personen mit befristetem Aufent-
halt: Flüchtlinge (sofern sie nicht als Asylberech-
tigte anerkannt werden) sowie Personen mit spe-
zifischer (von vornherein befristeter) Arbeitsrege-
lung. Flüchtlinge sind auf Grund der ausländer-
und asylrechtlichen Bestimmungen eine gesell-
schaftliche Randgruppe. Ihr Flüchtlingsstatus
erschwert die soziale Eingliederung.
2. Neuzuwandererinnen und Neuzuwanderer
3. Länger hier lebende nichtdeutsche Einwan-
derinnen und Einwanderer mit einem auf
Dauer angelegten Aufenthalt.
4. Eingewanderte mit deutscher Staatsan-
gehörigkeit: Eingebürgerte, Aussiedlerinnen und
Aussiedler.
5. Die deutsche Mehrheitsbevölkerung ohne
Migrationshintergrunf ist ebenfalls Zielgruppe in
ihrer Mitverantwortung bei der aktiven Gestaltung
des gemeinsamen Zusammenlebens und beim
Abbau von Fremdenfeindlichkeit und Diskriminie-
rung.
Diese Differenzierungen sind im Hinblick auf
bestimmte Fragestellungen sinnvoll (z.B. bei der
Umstrukturierung von Migrationsdiensten oder der
Einrichtung von Anlauf- und Servicestellen für blei-
beberechtigte Neuzuwanderinnen und Neuzuwan-
derer). Die Integrationspolitik darf sich jedoch –
schon aus gesellschaftlichen und ökonomischen
Gründen – nicht auf Einwanderinnen und Einwan-
derer mit einem Daueraufenthalt beschränken. Sie
muss alle Zuwanderergruppen berücksichtigen.
Auch in Zukunft wird es zeitlich befristete
Migration geben. Von 1991 bis 2004 wanderten
ca. 10,5 Millionen Menschen mit ausländischem
Pass nach Deutschland ein und ca. 8,0 Millionen
aus. Längere arbeitsbedingte Auslandsaufenthalte
werden immer selbstverständlicher. Das betrifft
sowohl den Auslandseinsatz von deutschen Fach-
und Führungskräften als auch den Einsatz von aus-
ländischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hier-
zulande. Im Topmanagement multinationaler Unter-
nehmen werden Führungspositionen grundsätzlich
nur Bewerbern mit internationaler Erfahrung über-
tragen. Die internationalen Auslandseinsätze
beschränken sich jedoch nicht nur auf Führungs-
kräfte.
Die zunehmende Mobilität in Wirtschaft, Wissen-
schaft und anderen Bereichen macht deutlich, dass
eine Trennlinie zwischen den Zuwanderergruppen
mit einem befristeten und einem verfestigten Auf-
enthalt nur bedingt sinnvoll ist. Viele Zuwanderin-
nen und Zuwanderer erfüllen erst nach mehreren
Jahren die Voraussetzungen für einen verfestigten
Aufenthalt. Dies gilt etwa für Flüchtlinge, wie z.B.
Asylbewerber, die de facto nicht in ihr Herkunfts-
land zurückkehren können (z.B. Afghanistan) oder
traumatisierte Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem ehe-
maligen Jugoslawien. Die tatsächliche Dauer des
Aufenthaltes wird auch künftig bei vielen Zuwande-
rern nicht abzusehen sein.
Alle Migranten bleiben unabhängig von ihrem Auf-
enthaltsstatus Menschen mit grundsätzlichen Rech-
ten, die beachtet werden müssen. Das Hauptziel der
17
Sozialen Arbeit besteht darin, die notwendige Hilfe
und Unterstützung zum Schutz der Menschenwürde
zu leisten, auch für Menschen ohne gesicherten
Aufenthaltsstatus. Diese Hilfe umfasst: Beratung,
soziale und gesundheitliche Grundversorgung sowie
den Zugang zu schulischer Bildung.
Durch frühzeitige und differenzierte Integrations-
maßnahmen für die unterschiedlichen Zuwanderer-
gruppen wird ihre Zugehörigkeit zu der Aufnahme-
gesellschaft gestärkt und den Tendenzen der ethni-
schen Abschottung und der Bildung von Parallelge-
sellschaften entgegengewirkt.
Alle Integrationsmaßnahmen können darüber
hinaus – also unabhängig vom Herkunfts-
land und dem genaueren rechtlichen Status
– in drei Hauptkategorien untergliedert werden.
Für
- neu zugewanderte Personen,
- bereits länger hier lebende Personen mit
Migrationserfahrung
- und die deutsche Mehrheitsgesellschaft
müssen jeweils spezifische Integrationsangebote
entwickelt werden.
3.1.1. Zu den neu
zugewanderten Personen
Die Gesamtgruppe der neu zugewanderten Perso-
nen ist in sich sehr heterogen, so-wohl im Hinblick
auf Status und Einreisemotivation als auch hinsicht-
lich Herkunftsländern und Kulturen. Sie umfasst Per-
sonen aus der Gruppe des Familiennachzugs, der
Aussiedler, der Flüchtlinge und –
zukünftig in erhöhtem Maße – Personen aus der
Gruppe der arbeitsmarktbezogenen Zuwanderung
im Rahmen der EU-Freizügigkeit sowie für Hochqua-
lifizierte aus Drittstaaten. Die Integration der
Neuankömmlinge ist sowohl von ihren kommunika-
tiven Fähigkeiten und Kompetenzen abhängig,
als auch von der Qualität der Begegnung
mit der Mehrheitsgesellschaft.
Der Nachweis von Sprachkenntnis-
sen, wie auch von der Unabhängi-
gen Kommission „Zuwanderung“
für nichtdeutsche Ehegatten oder
für Abkömmlinge von Spätaussied-
lern gefordert, ist insofern eine not-
wendige, aber keine hinreichende
Bedingung für eine erfolgreiche Inte-
gration.
Die Stadt Stuttgart wird daher – in Anlehnung an
die niederländischen Erfahrungen mit dem „Projekt
Integration Neuankömmlinge“ (PIN) und unter Be-
rücksichtigung der Vorgaben von Bund und Land –
eine Organisationsstruktur aufbauen müssen, die
Anlaufstellen (zentral/stadtteilbezogen) für neu
Zugewanderte mit entsprechenden Integrationsan-
geboten anbietet.
Dazu wird in Kooperation mit den bestehenden
Anlaufstellen für Nichtdeutsche bei der Stadt und
bei den freien Trägern geprüft, welche Modelle
künftig als Integrationsservicestellen für Neuzuge-
wanderte am besten geeignet sind.
Angesichts der Heterogenität der Neuzuwanderung,
bedingt durch die mitgebrachten Traditionen des
Herkunftslandes, die Einreisemotivation, den Status
bei der Einreise und insbesondere durch die bisher
erworbenen Bildungs- und Qualifikationsprofile,
wird ein entsprechend differenziertes Angebot
erforderlich sein.
3.1.2 Zu den länger hier lebenden
Personen mit Migrationserfahrung
Die Gesamtgruppe der bereits länger hier lebenden
Migrantinnen und Migranten ist ebenfalls hetero-
gen zusammengesetzt. Der Grad der Integration der
einzelnen Gruppen und Personen variiert erheblich.
Soziale Desintegrationserscheinungen sind auch bei
Teilen der zweiten und dritten Generation zu beob-
achten, insbesondere bei sozial benachteiligten jün-
geren Zuwanderinnen und Zuwanderern mit niedri-
ger Schulbildung und schlechten Perspektiven auf
dem Arbeitsmarkt. Demotivierende Lebenswelten,
enttäuschte Erwartungen und soziale Ausgrenzung
erzeugen in „marginalisierten Gruppen“ ein großes
Unzufriedenheits- und Konfliktpotenzial. Integrati-
onsmaßnahmen müssen noch stärker auf diese Ziel-
gruppe hin ausgerichtet werden.
Ein verstärkter Integrationsbedarf be-steht vor allem
auch bei nichtdeutschen Frauen, die aufgrund
von verschiedenen Faktoren (familiäre
Situation, niedriges Bildungsniveau,
geringe Deutschkenntnisse etc.)
größere Partizipations-schwierigkei-
ten im öffentlichen Bereich haben,
angefangen von der Teilnahme an
Elternabenden im Kindergarten
und Schule bis hin zum (Wieder-
)Einstieg ins Berufsleben.
In Stuttgart nimmt aber auch die Zahl
der qualifizierten Personen mit Migrati-
onshintergrund zu. Das bi- und interkultu-
18
relle Potenzial dieser Gruppe ist eine wichtige Res-
source in der internationalen Stadt, die es noch stär-
ker in der Verwaltung und in der Wirtschaft zu nut-
zen gilt.
3.1.3 Zur deutschen
Mehrheitsgesellschaft
Seit geraumer Zeit und mit einer Vielfalt von Ange-
boten bietet Stuttgart viele Möglichkeiten für die
Begegnung und den Dialog der Kulturen. Die Ange-
botsvielfalt reicht von „aufklärenden“ Vortrags- und
Informationsreihen über Kulturveranstaltungen bis
hin zu vielseitigen Bildungsangeboten. Dennoch gibt
es rechtsextremistische Handlungen und Fremden-
feindlichkeit auch in Stuttgart. Im Vorfeld von Ge-
waltbereitschaft finden sich fremdenfeindliche Hal-
tungen und Äußerungen, die nicht als Randerschei-
nungen hingenommen werden dürfen.
Das vorliegende Integrationskonzept sieht daher die
Einbeziehung der Mehrheitsgesellschaft als einen
zentralen und integralen Bestandteil der neuen Inte-
grationspolitik vor. Hiermit werden zwei Zielvorga-
ben verknüpft: die Bewusstmachung der Prämisse
„eine Stadtgemeinschaft – viele Lebenswelten“
als positive gesellschaftliche Realität und die konse-
quente Verfolgung und Bestrafung von fremden-
feindlichen Handlungen.
3.2 Integrationsziele und
Handlungsfelder
Die künftige Integrationspolitik will im Sinne des
neuen europäischen Leitbildes zur Integration kultu-
relle Vielfalt und gesellschaftlichen Zusammen-
halt in unserer Stadt fördern. Beides steht in einer
Wechselwirkung zueinander: Die Akzeptanz von
Vielfalt fördert den sozialen Zusammenhalt.
Eine stabile Gesellschaftsordnung mit Wohlstand
und sozialer Gerechtigkeit ist wiederum Vorausset-
zung für die Bereitschaft, mit anderen Kulturen in
Dialog zu treten.
Eine wesentliche Voraussetzung für den Integrati-
onserfolg und für den sozialen Frieden in einer
heterogenen Stadtgesellschaft bildet die gleichbe-
rechtigte Teilhabe der Zuwanderer an gesell-
schaftlichen Ereignissen und am kommunalen
Geschehen.
Dies beinhaltet sowohl die gesellschaftliche und
politische Partizipation in Übereinstimmung mit den
gesetzlichen Möglichkeiten als auch Chancengleich-
heit in den zentralen Bereichen des gesellschaftli-
chen Lebens: sprachliche Verständigung, Schulbil-
dung und berufliche Qualifizierung, Erwerbstätig-
keit, Wohnsituation, Inanspruchnahme der kommu-
nalen Serviceleistungen, selbstorganisierte Aktivitä-
ten in Vereinen und Religionsgemeinschaften.
In einer offenen Gesellschaft bedeutet kulturelle
Vielfalt Bereicherung und damit zugleich eine Ver-
besserung der Lebensqualität, aber auch ein Erfor-
dernis für persönliche und gesellschaftliche Entwick-
lung. Durch den Dialog mit anderen Kulturen erwei-
tern alle Bevölkerungsgruppen ihr Repertoire an
Handlungsmöglichkeiten und Fähigkeiten. Daraus
lassen sich für die Integrationspolitik folgende Ziele
ableiten:
- Die Förderung der Partizipation und der
Chancengleichheit von Menschen unter-
schiedlicher Herkunft.
- Die Förderung des friedlichen Zusammenle-
bens der verschiedenen Bevölkerungsgruppen.
- Die Nutzung der kulturellen Vielfalt für die
Erweiterung der persönlichen und beruflichen
Kompetenzen aller in der internationalen
Gesellschaft.
Die genannten Ziele werden in den einzelnen
Handlungsfeldern durch Projekte und andere
integrationsfördernde Maßnahmen umgesetzt.
Daraus ergeben sich neue Schwerpunkte, wobei an
dieser Stelle auf eine vollständige Aufzählung ver-
zichtet wird. In den folgenden Abschnitten werden
acht zentrale Handlungsfelder näher beschrieben. Sie
gelten als Entwicklungsthemen von besonderer
Bedeutung.
Daneben gibt es bestehende Integrationsaufgaben
und laufende Projekte, die fortgeführt werden,
sowie zusätzliche Maßnahmen, die sich aus anderen
Bezügen heraus entwickeln (z.B. Interdisziplinäre
Arbeitsgruppen und Projekte gegen Armut in Stutt-
gart, neue Projekte im Sozial-, Jugendhilfe- und
Gesundheitsbereich, Runder Tisch gegen Diskrimi-
nierung und für ein friedliches Zusammenleben in
unserer Stadt).
Die Qualität der Umsetzung wird durch eine enge
Zusammenarbeit mit den Kooperationspartnern
sichergestellt, die über eine langjährige Erfahrung in
der Migrations- und Integrationsarbeit verfügen. Da-
zu zählen vor allem die Migrationsdienste der freien
Wohlfahrtspflege in Stuttgart. Auch die Volkshoch-
schule Stuttgart nimmt wichtige Integrationsaufga-
ben wahr: Sprachförderung, berufliche Qualifizie-
rung, interkulturelle Verständigung und politische
Bildung.
19
3.2.1 Die Förderung der Chancen-
gleichheit durch Sprach- und Inte-
grationskurse
Die gemeinsame Sprache stellt eine Schlüsselqualifika-
tion für die Teilhabe an der Gesellschaft dar. Die Be-
herrschung der deutschen Sprache ist eine wesentli-
che Voraussetzung für die berufliche Qualifikation
und die Eingliederung in den Arbeitsmarkt. Gute
Deutschkenntnisse erleichtern den Zugang zur politi-
schen Information und ermöglichen ein tieferes Ver-
ständnis der deutschen Gesellschaft.
Sprach- und Integrationskurse richten sich nicht nur
an Neuzuwanderer, sondern auch an die vielen bereits
länger hier lebenden Einwanderinnen und Einwande-
rer, die über keine ausreichenden Deutschkenntnisse
verfügen.
Eine wichtige Zielgruppe sind Frauen, die erst nach
Eintritt ihrer Kinder in den Kindergarten oder in die
Schule für sich eine Möglichkeit sehen, Deutsch zu
lernen, und die auf bedarfsgerechte Angebote im
Wohnumfeld angewiesen sind (Kurse entsprechend
dem jeweiligen Sprach- und Bildungsniveau, Sicher-
stellung der Kinderbetreuung, „Mama lernt Deutsch“-
Kurse an Schulen). Die Sprachbefähigung junger Müt-
ter ist zudem eine wichtige Voraussetzung für die För-
derung der deutschen Sprache bei ihren Kindern.
Die veränderten Förderbestimmungen der Bundesre-
gierung zur Sprachförderung zugewanderter Perso-
nen und die im Zuwanderungsgesetz des Bundesmini-
sters des Inneren verankerten Integrationskurse für
Neuzugewanderte machen es erforderlich, auf kom-
munaler Ebene ein Gesamtsprachkonzept zu ent-
wickeln.
Ziele und Umsetzungsschritte dieses Gesamtsprach-
konzeptes sind: Auf- und Ausbau eines bedarfsge-
rechten und differenzierten Angebots für alle zuge-
wanderten Stuttgarterinnen und Stuttgarter mit Inte-
grationskursen des Bundes und ergänzenden kommu-
nalen Kursangeboten, Installierung eines „Koopera-
tionsnetzwerks Sprache“, Sicherstellung der
zusätzlichen personellen Kapazitäten für die Gesamt-
koordination der Sprachförderung.
Von 2001 bis 2004 wurden in Stuttgart Integrations-
kurse des Landes Baden-Württemberg zur Förderung
von Deutsch- und Landeskenntnissen durchgeführt.
Angeboten wurden bis zu 300 Stunden Einführung in
die deutsche Sprache und sozial gesellschaftlicher
Unterricht sowie Fördergespräche mit dem Ziel einer
Erstorientierung in Deutschland. Das Angebot umfas-
ste Grundkurse, Aufbaukurse sowie Alphabetisie-
rungskurse. Die Finanzierung erfolgte bis zum Inkraft-
treten des Zuwanderungsgesetzes über die Landesstif-
tung Baden-Württemberg, durch Komplementärmittel
der Landeshauptstadt Stuttgart sowie über Trägermit-
tel und Teilnehmerbeiträge.
Unter Federführung der Stabsabteilung für Integrati-
onspolitik wurde ein Trägernetzwerk mit zwölf inter-
kulturell erfahrenen Sprachkursanbietern installiert.
Dadurch können die Kurse nach einheitlichen Qua-
litätskriterien bedarfsorientiert und flächendeckend in
den Stadtteilen angeboten werden. Seit 2002 wurden
die personellen Kapazitäten der Stabsabteilung für
Integrationspolitik erweitert, so dass eine kommunale
Koordination der Sprachförderung gewährleistet ist.
Durch das Zuwanderungsgesetz erfolgte ab Januar
2005 eine Neuregelung der Sprachkursförderung
auf Bundesebene. Die Anbieter der Bundes-Integra-
tionskurse wurden in das Kooperationsnetzwerk
Sprachförderung nach dem „Stuttgarter Modell“
eingebunden, ebenso die Regionalkoordinatoren
des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, die
Ausländerbehörde, die ARGE JobCenter, das Sozial-
amt sowie die Träger der Migrationserstberatung
und der Jugendmigrationsdienste.
In räumlicher Nähe zur Ausländerbehörde wurde im
Sozialamt eine zentrale Erstberatungs- und Clea-
ringstelle eingerichtet, um allen Migrantinnen und
Migranten einen schnellen Zugang zum passenden
Kursangebot zu ermöglichen. Neuzuwanderer
bekommen in der Erstberatungsstelle von den Trä-
gern der Migrationserstberatung einen Überblick
über die vielfältigen Träger- und Kursprofile sowie
über die aktuellen Starttermine der Kurse. Mitarbei-
ter des Sozialamtes beraten Altzuwanderer über alle
Kursangebote und führen bei Bedarf auch Sprach-
tests durch.
Zunehmend machen die JobCenter von der Mög-
lichkeit Gebrauch, die Bezieher von Arbeitslosengeld
II mit Sprachdefiziten an die Clearingstelle zu ver-
mitteln. Dort erfolgt eine Kursberatung und ein Ein-
stufungstest. Gegebenenfalls leitet die Clearingstelle
auch das Verfahren zur Verpflichtung zum Besuch
eines Integrationskurses über die Ausländerbehörde
ein. Die Ausländerbehörde kann eine solche diffe-
renzierte Beratung und Einstufung selbst nicht leis-
ten.
20
3.2.2 Die Förderung der Chancen-
gleichheit in Schule und Ausbildung
Zentraler Ort der Vermittlung von Bildung und Spra-
che ist die Schule. Besorgt müssen wir feststellen,
dass die Bildungserfolge von Kindern und Jugendli-
chen nichtdeutscher Muttersprachen in Stuttgart
seit 20 Jahren nicht weiter gestiegen sind, sondern
die Diskrepanz zu Kindern und Jugendlichen deut-
scher Muttersprache im Wesentlichen gleich geblie-
ben ist. Auch bundesweit stagniert die Entwicklung
bei der Verbesserung der Schulabschlüsse von nicht-
deutschen Jugendlichen seit Anfang der 90er-Jahre.
Die Verbesserung der Schulabschlüsse von Jugendli-
chen aus Zuwandererfamilien ist die beste Vorbeu-
gung gegen soziale und gesellschaftliche Desinte-
gration mit all ihren Folgen. Das gilt auch für deutsch-
stämmige Kinder und Jugendliche aus osteuropäi-
schen Spätaussiedlerfamilien. Bestehende Maßnah-
men in diesem Bereich müssen ausgewertet und
neue in Kooperation mit allen relevanten Stellen
entwickelt werden. Die Landeshauptstadt Stuttgart
baut seit dem Jahr 2000 konsequent die ganzheitli-
che Sprach- und Bildungsförderung in Tagesein-
richtungen für Kinder aus, um allen Kindern die
gleichen Bildungschancen bei der Einschulung zu
ermöglichen. Im Projekt „Einstein in der Kinderta-
geseinrichtung“ werden Forschergeist, Spracherwerb
und Sozialkompetenz der Kinder auf vielfältige Weise
gefördert. Da sich die Förderprogramme im Primarbe-
reich erst langfristig positiv auf den Schulerfolg aus-
wirken werden, bedarf es zugleich weiterer Integrati-
onsmaßnahmen in Schulen, insbesondere in Grund-
und Hauptschulen mit einem hohen Migrantenanteil.
Zu den schulischen Fördermaßnahmen, die den
Schulerfolg hinsichtlich der Übergänge und der
Abschlüsse verbessern, gehören:
- Vorschulischer Bereich: Weiterentwicklung von
Sprachförderkonzepten in Grundschulförderklas-
sen und damit im Zusammenhang eine intensivier-
te Kooperation zwischen Grundschulen und Kin-
dertagesstätten
- Schuleingangsbereich: Erste Klassen mit einem
besonderen Sprachförderangebot
- Vorbereitungsklassen für Grundschülerinnen und -
schüler sowie für Schülerinnen und Schüler des
Sekundarbereichs
- Fördermaßnahmen während des Besuchs von
Regelklassen
- Grund- und Hauptschule: sprach- und bildungsför-
dernde Projekte für Schüler und ihre Eltern in
Zusammenarbeit von Schulen und außerschulischen
Partnern: individuelle Lernhilfen und sprachfördern-
de Gruppenangebote für Schüler mit unzureichen-
den Deutschkenntnissen, Förderung der Ausbil-
dungsreife von Acht- und Neuntklässlern, Elternbil-
dungsangebote mit Informationen zum deutschen
Schulsystem und mit Programmen zur Förderung
ihrer Sprach- und Integrationskompetenz
- Kooperationsklassen Hauptschule/Berufsschule
- Ergänzende Angebote der Sprachförderung, der
Hausaufgabenbetreuung und Vorbereitung auf
Prüfungen werden von Schule-Eltern-Initiativen,
von der Jugendhilfe und von zahlreichen anderen
Initiativen im Rahmen der Ganztagesbetreuung
geleistet.
Die Stabsabteilung für Integrationspolitik hat seit
dem Jahr 2002 in Verbund mit Schulen, dem Staat-
lichen Schulamt, der Jugendhilfe, den Migrations-
diensten und Bildungseinrichtungen freier Träger,
den Kammern sowie mit zahlreichen Freiwilligen
(Studenten, Senioren, Vertretern von Migranten-
selbstorganisationen) mehrere Projekte an Grund-,
Förder- und Hauptschulen initiiert, die alle zum Ziel
haben, die schulische und berufliche Integration von
Kindern und Jugendlichen aus Einwandererfamilien
zu verbessern.
Diese Angebote werden seit dem Jahr 2004 im
Beruflichen Qualifizierungsnetzwerk zur Förderung
der Chancengleichheit von Jugendlichen mit Migra-
tionshintergrund (BQN Stuttgart) koordiniert und
systematisch zu integrierten Fördersystemen weiter-
entwickelt.
Die Praxiserfahrungen aus den Modellprojekten und
aus der Kooperation von Schulen und außerschuli-
schen Partnern sollen in die Curricula der beteiligten
Projektschulen Eingang finden und somit zur Qualität-
sentwicklung des Unterrichts und zur Stärkung der
Schulprofile im interkulturellen Kontext beitragen.
Voraussetzungen für eine effektivere Förderung der
Schüler und Auszubildenden mit Migrationshinter-
grund sind:
21
- Erweiterung der interkulturellen Kompetenz von
Schulen bei ihrem Bildungsauftrag in der Einwan-
derungsgesellschaft
- Stärkung der Migranteneltern in ihrem Erziehungs-
und Bildungsauftrag, verbunden mit ihrer aktiven
Teilhabe am Schulgeschehen
- eine engere Zusammenarbeit der Wirtschaft mit
Hauptschulen
Jugendliche aus Migrantenfamilien müssen noch in-
tensiver bei der Suche nach Arbeitsstellen unterstützt
werden, die ihrer tatsächlichen beruflichen Qualifi-
kation entsprechen. Sie sind auch bei der Einstel-
lung von Auszubildenden in städtischen Ämtern
stärker zu berücksichtigen. Diese Jugendlichen haben
oft zusätzliche sprachliche und interkulturelle Kom-
petenzen, die entsprechend anerkannt werden sollen.
3.2.3 Berufliche Integration
Erwerbstätigkeit und das daraus erwirtschaftete Ein-
kommen bilden die Voraussetzung für eine gleich-
berechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.
Die Partizipation am Arbeitsmarkt stellt somit eine
der zentralen Bedingungen für eine erfolgreiche
Integration dar.
Erwerbstätigkeit ist mehr als ökonomische Unab-
hängigkeit. Sie ermöglicht soziale Kontakte, stärkt
das Selbstwertgefühl, erweitert den Horizont und
vergrößert die Identifikation mit dem Gemeinwesen.
Hinsichtlich der negativen Aspekte des Strukturwan-
dels sind Migrantinnen und Migranten überdurch-
schnittlich vom Wegfall industrieller Arbeitsplätze
betroffen – vor allem, weil sie besonders für
Beschäftigungen rekrutiert worden waren, die
früher eine geringe Qualifikation erforderten.
Positive wirtschaftliche Impulse erfährt Stuttgart
durch Zugewanderte, die eigene Betriebe gegründet
haben – mit relevanten Beschäftigungseffekten
auch in die Mehrheitsbevölkerung hinein. Auch im
Dienstleistungssektor und Hinblick auf die Entwick-
lung innovativer Beschäftigungsfelder spielen
Migrantinnen und Migranten eine wichtige Rolle.
Zukünftig wird sich allein schon aus demografischen
Gründen die Nachfrage nach qualifizierten Fachkräften
erhöhen. Dieser Bedarf wird zum Teil durch die nach-
wachsende eigene Bevölkerung zu decken sein,
einschließlich der jungen Menschen mit Migrationshin-
tergrund. Wie alle wirtschaftlich dynamischen Metro-
polregionen wird Stuttgart darüber hinaus kontinuier-
lich neue Zuwanderer anziehen und auch benötigen.
Folglich charakterisieren zwei gegensätzliche Ent-
wicklungen die Beschäftigungssituation von Zuge-
wanderten: positive wirtschaftliche Impulse durch
selbständige Gewerbetreibende und qualifizierte
Fachkräfte auf der einen Seite, überdurchschnittli-
che Arbeitslosigkeit gerade unter den Migranten
mit einem niedrigen Qualifikations- und Bildungsni-
veau auf der anderen Seite.Diese Entwicklungen
sind bei der Gestaltung der Stuttgarter Arbeits-
markt- und Integrationspolitik zu berücksichtigen.
Dabei kristallisieren sich drei vorrangige Handlungs-
felder heraus:
- Die Chancen der Arbeitsmarktreformen (Hartz IV)
und des Zuwanderungsgesetzes für die Arbeitsför-
derung von benachteiligten Migrantinnen und
Migranten nutzen: gezielte Ausrichtung der Quali-
fizierungsmaßnahmen und der damit verbundenen
Sprachvermittlung auf die Bedürfnisse und Poten-
ziale der Arbeitslosen mit Migrationshintergrund.
Durch die begonnene interkulturelle Ausrichtung
der JobCenter und durch ihre Einbindung in das
Stuttgarter Kooperationsnetzwerk der Sprachkurs-
förderung können die individuellen Eingliede-
rungshilfen optimiert werden, damit für die Betrof-
fenen durch die verschiedenen aufeinander abge-
stimmten Fördermaßnahmen die jeweils beste
Fachqualifikation erreicht wird.
- Verbesserung der Ausbildungssituation und der
Beschäftigungssituation von Jugendlichen und jun-
gen Erwachsenen durch individuell ausgerichtete
Beratungsangebote und Qualifizierungsprogramme
im Verbund aller relevanten Akteure nach dem Vor-
bild des Beruflichen Qualifizierungsnetzwerks BQN
Stuttgart (Schulen, Agentur für Arbeit, Kammern,
Jugendhilfe, Stabsabteilung für Integrationspolitik,
Migrationsdienste und Migrantenselbstorganisatio-
nen). Dabei sind auch die Ausbildungs- und
Beschäftigungspotenziale der Zuwandererbetriebe
stärker zu nutzen. Bei Neueinstellungen und in der
Ausbildung für den Öffentlichen Dienst soll der
Anteil von Migrantinnen und Migranten im Zuge
der interkulturellen Ausrichtung erhöht werden.
- Förderung selbständiger Tätigkeit: Unterstützung
von Existenzgründungen durch interkulturell ausge-
richtete Beratungs- und Qualifizierungsangebote
sowie durch Beseitigung der Hindernisse bei der
Kreditvergabe.
22
3.2.4 Die Förderung der Integration
in den Stadtteilen
Integration fängt im Lebensumfeld an: Wohnen und
Nachbarschaft, Kindergarten, Schule und Jugend-
treff, Arbeitsstätte, Engagement in Vereinen, bürger-
schaftlichen Initiativen und Religionsgemeinschaf-
ten. Und es gibt zahlreiche bürgerschaftliche Initiati-
ven, die bereits jetzt eine wichtige Integrationsarbeit
in den Stadtteilen leisten: Sicherheitsbeiräte, Sport-
und Kulturvereine, Migrantenvereine, Kirchenge-
meinden, Freundeskreise Asyl, Jugendräte u.a.
Bezirksvorsteher und Bezirksbeiräte geben zahl-
reiche Impulse für das Zusammenleben im Stadtbe-
zirk. Fachkräfte aus der pädagogischen und der so-
zialen Arbeit treffen sich regelmäßig in den so ge-
nannten „Stadtteilrunden“, bzw. regionalen Hand-
lungsfeldkonferenzen, in denen sie sich gemeinsam
für die Verbesserung der Lebensverhältnisse von Kin-
dern, Jugendlichen, Familien und älteren Menschen
im Wohnquartier einsetzen. Daneben gibt es Runde
Tische und Arbeitskreise unter Einbeziehung von
Stadtplanern und anderen Fachleuten, die verschie-
dene Maßnahmen zur Förderung der Integration und
zum Abbau von sozialer und ethnischer Segregation
in den Stadtteilen auf den Weg bringen.
15 Stuttgarter Bezirke haben bereits einen Lokale
Agenda-Prozess eingeleitet. Vor allem in Stadtbezir-
ken mit einem hohen Anteil an nichtdeutscher
Wohnbevölkerung spielt die Frage des Zusammenle-
bens im Sinne von Sich-Wahrnehmen, Tolerieren
und Akzeptieren von deutschen und nichtdeutschen
Mitbürgern eine zunehmende Rolle.
Konflikte, die sich aus dem Zusammenleben im
Wohnumfeld und im Stadtteil ergeben, haben eine
besondere Bedeutung. Hier wird in erster Linie über
Integrationsbereitschaft entschieden. Konflikte müs-
sen früh erkannt und gelöst werden, damit ein
friedliches Miteinander sichergestellt werden kann
(„Frühwarnsystem“).
Mit der Mediation durch interkulturell erfahrene
haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter aus der Sozialarbeit existiert bereits ein
Angebot zur Konfliktlösung in Einzelfällen. Die Inte
grationsbeauftragten koordinieren dieses Vermitt-
lungs- und Streitschlichtungsangebot.
23
Neben der bewährten Mediation in konkreten
Streitfällen (Intervention) bedarf es eines intensiver-
en interkulturellen Dialogs vor Ort im Alltag
(Prävention). Bestehende bürgerschaftliche Initiati-
ven und die verschiedenen Migrantengruppen kom-
men verstärkt ins Gespräch und entwickeln gemein-
sam vertrauensbildende und integrationsfördernde
Aktivitäten im Stadtteil.
Engagierte Schlüsselpersonen mit bikultureller
Kompetenz sind wichtige Brückenbauer zwi-
schen den Kulturen. Solche interkulturellen „key
persons“ sind wertvolle sachkundige Ansprechpart-
ner vor Ort – sowohl für ehrenamtlich engagierte
deutsche und nichtdeutsche Stadtteilbewohner als
auch für die Institutionen im Stadtbezirk. Sie sind in
der Lage, die zugewanderte Bevölkerung stärker für
das bürgerschaftliche Engagement im Stadtteil zu
gewinnen.
Sehr ermutigende Beispiele gibt es überall dort, wo
interkulturell erfahrene hauptamtliche Fachkräfte
den Dialog zwischen den verschiedenen Bevölke-
rungsgruppen in Gang setzen und moderieren
(sozusagen als „Stadtteilmanager für Interkulturelles
und Integration“), wie z.B. im „Haus 49“ im Nord-
bahnhofviertel oder beim Projekt „Soziale Stadt“ in
Freiberg/Mönchfeld, Rot und Fasanenhof. Als weite-
re erfolgreiche Beispiele der letzten Jahre können
die von einer Bezirksvorsteherin angeregten Akti-
vitäten in Neugereut angeführt werden (Sprachför-
derung, Hip-Hop-Projekt gegen Gewalt von rechts),
ferner der Runde Tisch in Hallschlag, die Kooperati-
on Flüchtlingshilfe-Schule in Degerloch (bessere
Integration von Flüchtlingskindern in Schule und
Stadtteil) sowie die von Stadtteilrunden unter der
Federführung der Jugendhilfe initiierten Angebote
in Stuttgart-Ost und in den Oberen Neckarvororten
(interkulturell ausgerichtete Stadtteilveranstaltun-
gen). Hauptamtliche haben zum Teil andere Mög-
lichkeiten als Ehrenamtliche, wenn es darum geht,
nachhaltig integrationsförder-nde Projekte zu initiie-
ren, wie z.B. Internationales Frauencafé, Deutsch-
kurse für Migrantenmütter in Räumen von Kinder-
gärten oder Schulen, internationale Stadtteilbegeg-
nungen etc.
Zentrale Ansprechstellen wie die Stabsabteilung für
Integration können solche stadtteilkundigen Ver-
trauenspersonen unterstützen und ergänzen, aber
nicht ersetzen. Deshalb ist die Einbindung von
interkulturell kompetenten haupt- und ehren-
amtlichen Personen in die bestehenden Stadt-
teilstrukturen eine wesentliche Voraussetzung für
die Integrationsarbeit im sozialen Nahraum.
In diesem Zusammenhang ist ein Projekt zur För-
derung des Interkulturellen Dialogs und der
Integration in den Stadtteilen geplant:
Die Integrationsbeauftragten erheben zusammen mit
Kooperationspartnern, die vor Ort arbeiten, welche bür-
gerschaftlichen Initiativen in den einzelnen Stadtbezirken
bereits erfolgreich arbeiten (Sicherheitsbeiräte, Vereine,
von Fachleuten organisierte Stadtteilrunden, Initiativen im
Programm „Soziale Stadt“ u.a.m.). In Zusammenhang mit
der Bestandsaufnahme wird ermittelt, in welchen Stadt-
teilen interkulturell erfahrene und engagierte Stadtteilbe-
wohner bereits in die bestehenden Strukturen vor Ort
aktiv eingebunden sind. Es wird ferner ausgelotet, inwie-
weit in den Migrantenvereinen weitere interessierte
mehrsprachige Vertrauenspersonen vorhanden sind, die
in den interkulturellen Stadtteil-Dialog stärker einbezogen
werden können.
Die integrative/interkulturelle Stadtteilarbeit wird ferner
durch projektbezogene Kooperationen verstärkt und wei-
ter professionalisiert. Die Stadtteilgremien stehen bezüg-
lich ihrer Integrationsarbeit in engem Austausch mit den
Integrationsbeauftragten (S-IP), die weitere Integrations-
maßnahmen im Verbund mit den verschiedenen Koope-
rationspartnern in den Stadtteilen koordinieren: Sprach-
und Integrationskurse, Mediation u.a.
3.2.5 Die Unterstützung von inter-
kulturellen Initiativen und von
neuen Formen der interkulturellen
Zusammenarbeit
Stuttgart weist als internationale Stadt ein breites
und qualitativ hoch stehendes Kulturangebot auf, zu
dem auch renommierte Institutionen mit internatio-
naler Bedeutung und Aufgabenstellung zählen. Im
Zuge der Arbeitszuwanderung sind zahlreiche Kul-
turvereine der verschiedenen Migrantengruppen ent-
standen, die ihre Aufgabe zunächst darin sahen, die
traditionelle Kultur ihrer Herkunftsländer zu erhalten
und zu pflegen und einen Ort der Begegnung unter
Landsleuten zu schaffen.
Seit einigen Jahren bilden sich verstärkt interkultu-
relle Initiativen, die über die engere Kulturarbeit hin-
aus einen wichtigen Beitrag zur Verständigung und
Integration leisten. Sie wollen den gesellschaftlichen
Wandel kulturell reflektieren und – wichtiger noch –
für das Zusammenleben in der Stadt fruchtbar ma-
chen. Die internationale Bevölkerung in Stuttgart
und im Umland sucht verstärkt die Gelegenheit, ihre
Farben, ihr Profil zu zeigen. Sie möchte im Kulturle-
ben der Stadt vorkommen und ihre Interessen im
kulturellen Angebot der Stadt aufgenommen sehen.
Die Akteure, d.h. die im kulturellen Bereich angesie-
delten Vereine und Projekte, aber auch die zahlrei-
chen hier lebenden Künstlerinnen und Künstler nicht-
deutscher Herkunft treten zunehmend aus der
Nische der so genannten „Migrantenkunst“ heraus.
Sie fordern ein neues Verständnis kommunaler Kul-
24
tur, die Internationalität mit den lokalen Traditionen
und Initiativen verbindet und in den Kontext eth-
nischkultureller Pluralisierung integrieren soll.
Dieser Ansatz wurde 1996 in dem Positionspapier
von Dr. Wolfgang Schuster als damaligen Kulturbür-
germeister dargelegt: „Stuttgart auf dem Weg zur
interkulturellen Stadt – Konzeptionelle Ansätze und
Fördermaßnahmen“. Mit der Gründung des Forums
der Kulturen Stuttgart hat die Umsetzung des neuen
Konzepts begonnen.
Das Forum der Kulturen versteht sich als Dachver-
band nichtdeutscher Kulturvereine und interkulturel-
ler Einrichtungen. Seit April 2001 gibt es eine kosten-
lose Monatszeitschrift „Interkultur Stuttgart –
Begegnung der Kulturen“ heraus.
Der Initiativkreis Interkulturelle Stadt Stuttgart IKIS
ist ein Zusammenschluss von Institutionen in Stutt-
gart unter der Federführung des Insituts für Aus-
landbeziehungen (ifa), die den internationalen Kultu-
raustausch unterstützen und den interkulturellen
Dialog fördern.
Das Deutsch-Türkische Forum ist ein Verein, der in
der Region Stuttgart die kulturelle Integration för-
dert. Dieser Verein unterstützt die Bemühungen um
das deutsch-türkische Miteinander und versteht sich
als Begegnungsstätte, in der türkische und deutsche
Bürger gleichberechtigt mit partnerschaftlicher Hal-
tung in einen Dialog treten können.
Das Forum der Kulturen und das Deutsch-Türkische
Forum werden seit dem Jahr 2000 durch die Lan-
deshauptstadt Stuttgart gefördert (Kulturamt).
Das Kulturamt der Stadt Stuttgart hat in seinem
Förderbereich in den letzten Jahren folgende
Schwerpunkte gesetzt:
- Beratung von nichtdeutschen Kulturvereinen und
deutsch-ausländischen Gesellschaften,
- Finanzielle Förderung von Veranstaltungen nach
den im Jahr 2000 beschlossenen und später modi-
fizierten Förderrichtlinien,
- Förderung von interkulturellen Kooperationspro-
jekten,
- Gewährung finanzieller Sanierungszuschüsse in
Notlagen von Vereinen,
- Förderung internationaler Beziehungen, u.a. im
Rahmen von Städtepartnerschaften,
- Beziehungen zu bzw. Kooperation mit ausländi-
schen Kulturinstituten und Konsulaten (z.B. die
„Französische Woche in und um Stuttgart“),
- Beratung und Information über europäische För-
derprogramme und bei der Durchführung von Pro-
jekten,
- Veranstaltung der Vortragsreihe „Interkultur im
Rathaus“.
Die verschiedenen Einrichtungen des Kulturamts
verwirklichen den Aspekt der Interkulturalität in
ihrem Programm in besonderem Maße. Es sind dies
z.B. die Stadtbücherei mit ihren Stadtteilbüchereien,
der TREFFPUNKT Rotebühlplatz, die Stuttgarter
Musikschule und der Museumspädagogische Dienst.
Dazu gehört jedoch auch die Arbeit von der Stadt
geförderter Institutionen wie z.B. die Volkshoch-
schule Stuttgart, des Linden-Museums und des Insti-
tuts für Auslandsbeziehungen.
3.2.6 Das Zusammenleben mit den
Muslimen und der interreligiöse
Dialog
Die Schwierigkeiten, die im Herbst 2000 in Zusam-
menhang mit der Dialogreihe „Muslime in Stuttgart
und ihr Glaube“ und mit dem geplanten Kulturzen-
trum in Heslach entstanden sind, waren ein wichti-
ger Hinweis darauf, dass der Dialog mit den Musli-
men neu konzipiert werden muss.
Grob geschätzt gehören 50 000 Stuttgarterinnen
und Stuttgarter dem Islam an (Statistisches Amt,
2001). Somit bildet der Islam nach den beiden
großen christlichen Konfessionen, wie überall in
Deutschland, die drittgrößte Glaubensgemeinschaft.
Nach wie vor haben die türkischstämmigen Muslime
daran den größten Anteil. Da der Islam keine festen
Hierarchien und Organisationsformen kennt, sind
auch in Stuttgart verschiedene Strömungen und
Gruppierungen vertreten.
25
„Für den vertrauensvollen und offenen Dialog zwi-
schen Muslimen und Nicht-Muslimen, für den
Abbau von Vorurteilen und Klischeevorstellungen ist
es wichtig, über den Glauben des jeweils anderen
Bescheid zu wissen.“ (Barbara John, ehemalige Aus-
länderbeauftragte des Senats Berlin)
Letztlich auch mit dieser Zielsetzung hat die Stadt
Stuttgart die Dialogreihe der „Weltreligionen im
Rathaus“ initiiert und die Bildung eines „Runden
Tisches der Religionen“ und den Gesprächskreis
der Muslime mit dem Integrationsbeauftragten
angeregt. Die Landeshauptstadt unterstützt so auf
eine ihr gemäße Weise den interreligiösen Dialog
und speziell den Austausch mit den Muslimen,
jedoch nicht im Sinne der Auseinandersetzung mit
den religiösen Inhalten. Der interreligiöse Dialog
bleibt in der Zuständigkeit der Glaubensgemein-
schaften.
Ziele der Integrationspolitik sind auch hier das fried-
liche Zusammenleben von Stuttgarterinnen und
Stuttgartern verschiedener Glaubensrichtungen,
Chancengleichheit für Muslime in allen Lebensberei-
chen sowie Förderung der gesellschaftlichen Teilha-
be auf der Grundlage der deutschen Rechtsord-
nung.
Seit den Terroranschlägen in den USA hat das ohne-
hin durch gegenseitige Vorurteile belastete Verhält-
nis zu den Muslimen Schaden genommen. Die Mehr-
heitsgesellschaft wird einerseits ihrer Verantwortung
hinsichtlich Pauschalverurteilungen und der Gefahr
von Ausländerfeindlichkeit und Rechtsextremismus
gerecht werden müssen. Zur Herstellung einer Ver-
trauens- und Verständigungsbasis müssen anderer-
seits auch die Muslime selbst beitragen. Insbesonde-
re ist die Mehrheitsgesellschaft darauf angewiesen,
dass Muslime Extremismus und fundamentalistische
Tendenzen, die einer Integration zuwiderlaufen,
erkennen und öffentlich benennen.
Die Muslime sind gefordert, den Dialog untereinander
und zu den Nicht-Muslimen von sich aus fortzuset-
zen. Inzwischen ist ein innermuslimischer Konsens
über Lehrpläne für einen Islamunterricht an Grund-
schulen in Baden-Württemberg erzielt. Die Vermitt-
lung der Grundlagen des eigenen Glaubens in hiesi-
gem Schulunterricht ist ein guter Schutz vor Extre-
mismus und eine große Chance für den interreligiö-
sen Dialog. Der Islamische Religionsunterricht wird
ab dem Schuljahr 2006/2007 im Modellversuch an
zwei Stuttgarter Grundschulen erprobt.
Ein intensiverer Austausch mit den Muslimen muss
auch in den Stadtteilen erfolgen. Er ist ein Bestand-
teil der weiterentwickelten Integrationsarbeit im
Wohnumfeld (siehe Kapitel 3.2.4). Miteinander
leben heißt, am Leben der anderen teilzuhaben. Das
beinhaltet mehr als nur die Kenntnisse von der Reli-
gion seiner Nachbarn: es umfasst gegenseitige Hilfe,
wechselseitiges Lernen und gemeinsames Feiern.
Die großen christlichen Kirchen und alle anderen
Religionsgemeinschaften in unserer Stadt tragen
bereits jetzt sehr viel zur Verständigung zwischen den
verschiedenen Bevölkerungsgruppen bei. Sie haben
eine zentrale Vermittlerrolle bei der Bewertung und
der Bewältigung von Konflikten, die sich aus der In-
strumentalisierung der Religion für politische Zwecke
ergeben. Der interreligiöse Dialog der Glaubens-
gemeinschaften leistet einen wichtigen Beitrag
zum friedlichen Miteinander in unserer Stadt.
3.2.7 Die interkulturelle Ausrich-
tung der Stadtverwaltung
Integrationspolitik ist ebenso wie die Gleichstel-
lungspolitik eine kommunale Querschnittsaufgabe
und kein Spezialthema bestimmter Ressorts. In einer
zunehmend internationalen Stadt findet auch eine
verstärkt internationale und interkulturelle Ausrich-
tung der Verwaltung statt. Dieser Entwicklungspro-
zess ist aufgrund der gesamtgesellschaftlichen Be-
deutung und der Komplexität des Themas eine
Führungsaufgabe. Deswegen liegt die Verantwortung
für die Weiterentwicklung der integrationsfördernden
Maßnahmen in den Ämtern und bei den freien Trä-
gern, bei den Leitungen der zuständigen Organisa-
tionen, ferner bei den Planern und auf der Ebene
der Abteilungen, Teams und Mitarbeiter. Die Ge-
samtverantwortung für das Thema hat dabei der
Oberbürgermeister.
Die Amtsleiterinnen und Amtsleiter und entspre-
chend die Bezirksvorsteherinnen und -vorsteher
selbst sind deshalb in ihren Zuständigkeitsbereichen
für die interkulturelle Öffnung ihrer Dienste und für
das interkulturelle Qualitätsmanagement ihrer Lei-
stungsangebote verantwortlich. In diesem Sinne
26
sind sie de facto schon bisher die Integrationsbeauf-
tragten in ihren Ämtern und Stadtbezirken und sol-
len es auch künftig de iure sein. Sie werden bei der
Planung und Durchführung von Maßnahmen für
Menschen verschiedener kultureller Herkunft durch
die Stabsabteilung für Integrationspolitik nach Kräf-
ten unterstützt. Auch auf Arbeitsebene werden –
wie bisher – nach Bedarf Projektgruppen gebildet,
die sich aus sachkundigen Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern der Ämter zusammensetzen.
Hier spielen mehrere ineinander greifende Maßnah-
men eine wichtige Rolle: die Entwicklung von inter-
kulturellen Leitlinien und Konzepten für die ein-
zelnen Handlungsfelder und damit verbunden eine
Neuausrichtung der Arbeitsstrukturen und Förder-
richtlinien, interkulturelle Qualifizierung von Mit-
arbeiterinnen und Mitarbeitern, Einstellung
von mehrsprachigen Fachkräften aus der zuge-
wanderten Bevölkerung (mit Signalwirkung nach
außen), Pflege bzw. Aufbau von professionellen
Dolmetscherdiensten sowie der Aufbau von
interkulturellen Teamstrukturen für die Optimie-
rung der integrationsfördernden Arbeit.
Der Arbeitskreis „Kommunale Ausländerbeauftrag-
te“ im Städtetag Baden-Württemberg hat unter
aktiver Mitwirkung der Landeshauptstadt Stuttgart
die „Handlungsempfehlungen für eine interkulturel-
le Kommunalverwaltung“ entwickelt und im
November 2003 beschlossen.
Eine internationale Stadt als attraktiver Standort im
globalen Wettbewerb muss ihre Serviceleistungen
optimal an die Bedarfslagen der Bürger mit ihren
sprach-, kultur- und Imigrationsspezifischen Merk-
malen anpassen. Die interkulturelle Öffnung der
Regeldienste und Interkulturelles Qualitätsma-
nagement sind zentrale Aufgaben der modernen
Organisations- und Personalentwicklung im Rah-
men der kommunalen Gesamtsteuerung. Der
Bürgerservice einer internationalen Kommune muss
daher – analog der Wirtschaft – Methoden zum
professionellen Umgang mit kultureller Diversität
entwickeln („Managing Diversity Ansatz“).
Die Träger der Stuttgarter Kinder- und Jugendhilfe
haben im Jahr 2004 die Leitlinien zur Integration
und interkulturellen Orientierung der Kinder-
und Jugendhilfe in Stuttgart entwickelt, die im
Jahr 2005 vom Gemeinderat beschlossen worden
sind.
Damit ist die Jugendhilfe innerhalb der Stadtverwal-
tung Vorreiter bei der Umsetzung des Stuttgarter
„Bündnisses für Integration“.
3.2.8 Politische Partizipation
Für die Stärkung der demokratischen Stadtgesell-
schaft in ihrer heutigen multikulturellen Prägung ist
ein starkes politisches und gesellschaftliches Enga-
gement aller Bevölkerungsgruppen wünschenswert.
Besonders wichtig ist dabei auch, dass sich Zuwan-
derer für ihre Belange in dieser Gesellschaft einset-
zen und sich sinnvoll engagieren können.
Ein wichtiges kommunalpolitisches Forum dafür bie-
tet der Internationale Ausschuss des Gemeinde-
rats der Landeshauptstadt. Er berät und unter-
stützt den Gemeinderat in allen Fragen, die die nicht-
deutsche Bevölkerung in Stuttgart betreffen. In die-
ser Funktion ist er ein wichtiger „Querschnitts-Fach-
ausschuss“. Die Auseinandersetzung mit inter-
kulturellen und mit integrationsrelevanten Themen
muss aber auch in anderen beschließenden und
beratenden politischen Gremien verankert werden.
Da die Zahl der „Pass-Ausländer“ in Stuttgart auf-
grund des neuen Staatsangehörigkeitsgesetzes
abnimmt und zugleich der Bevölkerungsanteil der
Einwohnerinnen und Einwohner mit Migrationshin-
tergrund wächst, hat sich auch die Bedeutung des
Internationalen Ausschusses als kommunale Auslän-
dervertretung verändert. Der Internationale Aus-
schuss fungiert in seiner neuen Zusammensetzung
ab Dezember 2004 nicht mehr als eine gewählte
Vertretung der Ausländer, sondern als beratender
Fachausschuss des Gemeinderats für Integration.
Die sachkundigen Einwohnerinnen und Einwohner
wurden in den neuen Ausschuss aufgrund ihrer
Fachkompetenz und ihres Engagements in verschie-
denen integrationspolitischen Handlungsfeldern
berufen. Sie arbeiten in diesem Gremium nicht als
Vertreter von verschiedenen Nationalitätengruppen,
sondern als Experten für Sprachförderung, schuli-
sche und berufliche Bildung, Soziales und Jugend,
Arbeitsmarkt und Wirtschaft, Zusammenleben,
Stadtentwicklung und Sicherheit, Kultur und Mitein-
ander der Religionen.
Migrantinnen und Migranten steht es offen, sich
parteipolitisch zu engagieren. Eine gleichberechtigte
politische Partizipation wird erst mit der Erlangung
der deutschen Staatsbürgerschaft ermöglicht. Durch
die rechtliche Gleichstellung als deutsche Staatsbür-
ger werden Zugewanderte ein gleichwertiger politi-
scher Faktor und können direkt Einfluss auf die Bun-
des-, Landes-, Europa- und Kommunalpolitik neh-
men.
Derzeit können sich nur EU-Bürgerinnen und -Bür-
ger an Europa- und Kommunalwahlen beteiligen.
Die so genannten „Drittstaatsangehörigen“ –
immerhin zwei Drittel aller Ausländerinnen und
27
Ausländer in unserer Stadt – sind von diesen für die
demokratische Willensbildung elementaren Partizi-
pationsmöglichkeiten ausgeschlossen. Die auslän-
derrechtlich bedingte Dreigliederung der Zugewan-
derten in
- Personen mit deutschem Pass,
- EU-Bürgerinnen und - Bürger sowie
- Drittstaatsangehörige
erschwert letztlich den Integrationsprozess und den
Zusammenhalt der heterogenen Stadtgesellschaft.
Auf der anderen Seite nutzen die nichtdeutschen
Stuttgarterinnen und Stuttgarter die bestehenden
Möglichkeiten der politischen Partizipation nicht
genügend. Ihre Beteiligung bei Wahlen zum Inter-
nationalen Ausschuss und bei Kommunalwahlen
war in den letzten Jahren sehr gering.
Die Grundannahmen der früheren Ausländerpolitik
haben hier möglicherweise auch eine Rolle gespielt,
die den Heimatkulturen und dem politischen Ge-
schehen in den Herkunftsländern eine größere Be-
achtung schenkte als der interkulturellen Öffnung der
Minderheiten und ihrer Teilhabe am öffentlichen
Leben hierzulande.
Die Zuwandererinnen und Zuwanderer können ihre
Forderungen nach gleichberechtigter Teilhabe am
politischen Geschehen auch dadurch glaubwürdig
bekräftigen, dass sie sich stärker in den hiesigen
gesellschaftlichen und politischen Strukturen enga-
gieren.
Die nichtdeutschen Mitglieder des Internationalen
Ausschusses (und des früheren Ausländerausschus-
ses) haben jahrzehntelang dieses Engagement aufge-
bracht und sind sehr motiviert, ihre politische Arbeit
zu intensivieren. Da sie im Gegensatz zu den
Gemeinderatsfraktionen über keine eigene
Geschäftsstelle verfügen, werden sie in noch stärke-
rem Maße von der Stabsabteilung für Integrationspo-
litik als der geschäftsführenden Stelle des Ausschus-
ses unterstützt. Dies ist mit den bestehenden Kapa-
zitäten allerdings nur unzureichend leistbar.
3.2.9 Medien und Information in
der internationalen Bürgergesell-
schaft
In der heutigen Informations- und Wissensgesell-
schaft kommt dem Zu- und Umgang mit Informati-
on und Wissen ein hoher Stellenwert zu. Chancen-
gleichheit setzt gleiche Zugangsmöglichkeiten und
den kompetenten Umgang mit Wissen und Infor-
mationen voraus. Die modernen Medien nehmen
hier eine Schlüsselstellung ein. Moderne Technologi-
en einerseits und die globalisierten Angebote ande-
rerseits haben die Strukturen der Mediennutzung
grundlegend verändert. Auch das Wechselverhältnis
zwischen Zugewanderten und Medien hat sich sehr
verändert. Die Rolle der Medien im Spannungsver-
hältnis zwischen Integrations- und Desintegrations-
prozessen wird zunehmend ein Gegenstand der
Medien- und Migrationsforschung.
Die bisherige traditionelle „Ausländerpolitik“ zielte
hier im Wesentlichen auf die Ausweitung des
fremdsprachlichen Angebots der öffentlich-rechtli-
chen Rundfunkanstalten und die Vermeidung von
unnötigen Negativbildern von Nichtdeutschen in
den Printmedien, wie etwa die Benennung der
Nationalität bei kleinkriminellen Delikten in den
Lokalseiten der Presse.
Inzwischen ist eine große Zahl von fremdsprachlichen
Angeboten in Deutschland, vornehmlich für die Tür-
kisch sprechende Bevölkerung zu verzeichnen. Die
Ausdifferenzierung von fremdsprachlichen Angebo-
ten aus den Herkunftsländern hierzulande bewirkt
ein erhöhtes Interesse für Prozesse und Ereignisse
außerhalb Deutschlands und erschwert den Dialog
insofern, als die Mehrheitsgesellschaft nicht über
die nötigen Sprachkenntnisse verfügt, um sich an
den daraus entstehenden Diskussionen unmittelbar
zu beteiligen.
Andererseits haben die Berichte der deutschen Mas-
senmedien die Herausbildung von Vorurteilen den
Nichtdeutschen gegenüber und die Zunahme von
fremdenfeindlichen Aktivitäten und Delikten bislang
leider kaum verhindern können.
Bei dem Perspektivenwechsel im vorliegenden Posi-
tionspapier soll daher der Wirkungsweise der Medi-
en, einschließlich dem Internet, große Aufmerksam-
keit zukommen. Eine Analyse der Nutzung der
Medien in Stuttgart, insbesondere bei den Jugendli-
chen der zweiten und dritten Generation, sowie die
Initiierung von Bildungsmaßnahmen, die zu einer
kritischen interkulturellen Medienkompetenz führen
können, sind wichtige Aufgaben. Das Interesse für
deutschsprachige Medienangebote kann hierdurch
erhöht werden.
Ebenso wichtig ist die Nutzung der neuen Medien
für interaktive Foren des Dialogs, die zudem einen
qualifizierenden Aspekt mit sich bringt, der arbeits-
marktrelevant sein kann. Interaktive Foren, die in
der Jugendarbeit in den Stadtteilen verankert sein
sollten, müssen von ausgebildeten Personen mode-
riert werden.
Stuttgarter Büdnis für Integration
Stuttgarter Büdnis für Integration

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Stuttgarter Büdnis für Integration

  • 1. Stuttgarter Bündnis für Integration Grundlagen der Integrationspolitik in der Landeshauptstadt Stuttgart
  • 2. wir haben im Jahre 2001 mit dem Bündnis für Integration als eine der ersten deutschen Städte ein Gesamt- konzept für die Integration und Partizipation von Zuwanderern entwickelt. Das Stuttgarter Integrationskonzept hat inzwischen international viel Anerkennung erfahren. Das Bundesinnenministerium und die Bertelsmann Stiftung haben Stuttgart 2005 mit dem Integrationspreis in der Kategorie der deutschen Großstädte ausgezeichnet. Der Europarat in Straßburg hat im Mai 2004 unser Konzept „Bündnis für Integration“ in wesentlichen Teilen zur offiziellen Politik des Europarates gemacht. So dient es als Modell für die Entwicklung von Integrationskonzepten anderer Kommunen. Und die UNESCO hat unsere gemeinsame Arbeit durch eine ehrenvolle Erwähnung (2. Preis) im Rahmen des “Cities for Peace“- Preises 2002/2003 gewürdigt. Stuttgart ist damit die erste Stadt, die diesen UNESCO-Preis erhält. Diese Auszeichnungen und die damit verbundene Nachfrage waren für uns Anlass genug, unser Integrations- konzept neu aufzulegen. Ich freue mich, Ihnen hiermit diese zweite Neuauflage präsentieren zu können. Ergänzt wurde das Bündnis um den Runden Tisch der Religionen, den ich im vergangenen Jahr gegründet habe. Mit dem „Manifest für ein aktives und friedliches Miteinander der Religionsgemeinschaften“ wollen wir in Stuttgart zu einem toleranten Zusammenleben beitragen. Im Juli 2005 habe ich die Stuttgarter Partner- schaft „Eine Welt“ auf den Weg gebracht. Mit dieser Initiative wollen wir einen kommunalen Beitrag zur Ver- wirklichung der acht großen Entwicklungsziele leisten, die die Vereinten Nationen als Grundsätze und Werte für alle Menschen in ihrer Charta verankert haben. Als Gewinner der Globalisierung und als Region mit der höchsten Exportquote haben wir eine Verantwortung über unsere Stadtgrenzen hinaus. Das Bündnis für Integration setzt neue Akzente durch die Zusammenführung der einzelnen Integrationsmaß- nahmen in ein Gesamtkonzept. Das Strategiepapier begründet in dieser Hinsicht eine Neuorientierung der Stuttgarter Integrationspolitik. Ich wünsche mir, dass unsere Integrationsbemühungen weiterhin so viel Unterstützung von allen Ämtern und Dienststellen der Stadtverwaltung, von Tausenden Haupt- und Ehrenamtlichen in Kultur, Sport und in sozialen Einrichtungen erfahren, dass Nachbarn weiterhin mit regem Interesse auf den anderen zugehen, dass die Sprach- und Integrationskurse weiterhin so gut angenommen werden und Integrationsprojekte im Bildungs- bereich Früchte tragen. Das Bündnis für Integration ist unser Markenzeichen und der Puls für unsere interna- tionale Stadt. Unser Ziel ist es, dass jeder Stuttgarter seine Chancen in Bildung und Beruf, Wohnen und Freizeit, aber auch in Fragen der politischen Mitsprache nutzen kann, sich hier wohlfühlt, seine individuellen Fähigkeiten und Potentiale ausschöpft und so seine ganze Persönlichkeit für die Belange der Allgemeinheit einsetzt. Dr. Wolfgang Schuster Oberbürgermeister
  • 3. 1 Inhaltsverzeichnis 1. Die Notwendigkeit einer Neuorientierung 3 2. Veränderte Rahmenbedingungen 7 2.1 Entwicklungen auf EU-, Bundes- und Landesebene 7 2.2 Die Situation in Stuttgart 9 3. Folgen für die Stuttgarter Integrationspolitik 15 3.1 Der neue Ansatz: Orientierung nach Zielgruppen 15 3.2 Integrationsziele und Handlungsfelder 18 3.2.1 Die Förderung der Chancengleichheit durch Sprach- und Integrationskurse 19 3.2.2 Die Förderung der Chancengleichheit in Schule und Ausbildung 20 3.2.3 Berufliche Integration 21 3.2.4 Die Förderung der Integration in den Stadtteilen 22 3.2.5 Die Unterstützung von interkulturellen Initiativen und von neuen 23 Formen der interkulturellen Zusammenarbeit 3.2.6 Das Zusammenleben mit den Muslimen und der interreligiöse Dialog 24 3.2.7 Die interkulturelle Ausrichtung der Stadtverwaltung 25 3.2.8 Politische Partizipation 26 3.2.9 Medien und Information in der internationalen Bürgergesellschaft 27 3.3 Steuerungsorgane und -instrumente 28
  • 4. 2 Impressum: Stabsabteilung für Integrationspolitik der Landeshauptstadt Stuttgart Eberhardstraße 61 70173 Stuttgart Telefon (0711) 216-7896 Fax (0711) 216-5640 E-Mail: S/IP@stuttgart.de Verantwortlich für den Text: Die Integrationsbeauftragten Gari Pavkovic Isabel Lavadinho Wissenschaftliche Begleitung Dr. Caroline Y. Robertson (Interfakultatives Institut für Angewandte Kulturwissenschaften der Universität Karlsruhe) Gestaltung: Stabsabteilung Kommunikation (Team Öffentlichkeitsarbeit); Grafik: Uwe Schumann; Fotos: Stabsabteilung für Integrationspolitik und Forum der Kulturen Aktualisierte Fassung Stuttgart, April 2006
  • 5. 3 In Stuttgart leben Menschen aus über 160 Staaten. Mit der zunehmend transnationalen Ausrich- tung und Vernetzung von Wirtschaft, Wissen- schaft, Medien und Gesellschaft wächst auch die Mobilität von Menschen. Nationale, ethnische und kulturelle Zugehörigkeiten verändern sich mit der Folge, dass unser Zusammenleben von einer wach- senden Internationalisierung geprägt ist. Die internationale Vernetzung von wirtschaftlichen und anderen Interessensgruppen sowie die innereu- ropäische Öffnung der Grenzen bringen zahlreiche Chancen, aber auch Risiken für unsere Gesell- schaft. Wir profitieren von der wirtschaftlichen und der kulturellen Öffnung in die Welt auf vielfältige Weise. Die Globalisierung der Wirtschaft eröffnet nicht nur gute Perspektiven für Unternehmen, sondern auch für Städte im Wettstreit um Investitionen und Arbeitsplätze. Die Landeshauptstadt Stuttgart spielt mit einer Exportquote von über 50 Prozent eine wichtige Rolle im internationalen Wettbewerb der Städte. Zuwanderungsbewegungen sind ein Teil die- ses Prozesses und schließen den Wettbewerb um „kreative Köpfe“ und Bildungseliten mit ein. Unter- nehmen werden – zunehmend auch auf der Führungsetage – international, und bei der Grün- dung von kleineren und mittleren Unternehmen spielen nichtdeutsche Selbstständige eine immer wichtigere Rolle. Im Hinblick auf Standortentscheidungen werden Städte zunehmend auch auf Grund ihres internatio- nalen Flairs, ihrer Innovationsbereitschaft und ihrer Offenheit gegenüber modernen interkulturellen Lebensformen beurteilt. Durch die Begegnung der Kulturen im Alltag ent- stehen neue Erfahrungshorizonte: in unserer Berufs- welt, in Bildung und Wissenschaft, in den Künsten, beim Sport sowie in unserem Ess- und Konsumver- halten. Stuttgart hat in den letzten Jahrzehnten in allen diesen Bereichen von der Zuwanderung viel profitiert. Aber auch der innere Zusammenhalt einer inter- nationalen Stadtgesellschaft hängt stark davon ab, wie die verschiedenen Bevölkerungsgruppen ihr Zusammenleben in kultureller Vielfalt gestalten. Andererseits bringt die Öffnung der Grenzen auch Probleme und Gefahren mit sich. Die globalen Auswirkungen von regionalen Konflikten in der Welt können sich auf das Zusammenleben der ver- schiedenen ethnischen Bevölkerungsgruppen in unserer Stadt negativ auswirken. Ängste können entstehen, die nicht selten irratio- nal sind, die aber deswegen nicht weniger ernst genommen werden müssen. Ängste und Vorurteile können von Deutschen ebenso wie von Nichtdeut- schen instrumentalisiert und missbraucht werden. Und nicht zuletzt hat auch der Bewegungsspielraum für Straftäter und Extremisten zugenommen. Das Bild von Stuttgart in der Welt hängt sehr eng damit zusammen, wie wir mit der Welt in Stuttgart umgehen. Im Hinblick auf die wach- sende Internationalität unserer Bevölkerung müs- sen die bestehenden Formen des Zusammenle- bens neu bedacht und bewusster auf gemeinsa- me Ziele hin ausgerichtet werden. Stuttgart wird im 21. Jahrhundert immer stärker zu einer inter- nationalen Stadt werden. Diese Entwicklung gilt es rechtzeitig für die deutschen und für die zuge- wanderten Bürgerinnen und Bürger zu nutzen. Durch eine Verstärkung und Neuorientierung der Integrationsarbeit und durch einen erweiterten Dialog der Kulturen wollen wir die positiven Impulse der Internationalisierung verstärken und den negativen Auswirkungen dieser Entwicklung entgegenwirken. Veränderte gesellschaftliche Rahmenbedingun- gen und die veränderte Einwanderungsrealität in unserer Stadt erfordern eine Neukonzipierung der kommunalen Migrations- und Integrationspoli- tik. Die sozialen und kulturellen Lebenswelten unser- er Zuwandererinnen und Zuwanderer differenzieren sich – genauso wie bei der einheimischen Mehrheits- bevölkerung. Stereotype Einteilungen der Zuwande- rer in nationale oder religiöse Kategorien spiegeln die tatsächliche plurale Zuwanderungsrealität in Deutschland nicht wider. Eine „Ausländerpolitik“, die Zuwanderung einseitig unter dem Aspekt der Benachteiligung von Minderheiten oder der Belas- tung der Aufnahmegesellschaft betrachtet, über- sieht die gewinnbringenden Aspekte. Eine nur defi- zit-orientierte oder gar abwehrende Ausländerpolitik wird den gegenwärtigen und zukünftigen Integrati- onsaufgaben nicht gerecht. Dies bedeutet keinen Bruch mit der bisherigen „Aus- länderpolitik“ der Landeshauptstadt, sondern deren organische und kontinuierliche Fortentwicklung und Anpassung an wesentlich veränderte Lebenslagen. 1. Die Notwendigkeit einer Neuorientierung
  • 6. 4 Einige aus der bisherigen Ausländerpolitik vertrauten Schlüsselwörter wie „Ausländer“, „Türken“, „Musli- me“, „Antidiskriminierung“ etc. werden in diesem Konzept nicht oder nur in ganz bestimmten Kontexten gebraucht. Sprache bestimmt sehr stark die Konstruk- tion unserer Weltsicht und unsere Einstellungen. Es ist sinnvoller, von „Zugewanderten“ als von „Ausländern“ zu reden, wobei auch dieser Begriff für hier geborene Kinder und Jugendliche ohne deutschen Pass nicht zu- treffend ist. Je nach Kontext wird diese Gruppe auch als „Inländer(innen) nichtdeutscher Herkunft“, „Bil- dungsinländer(innen)“ oder „Bürger(innen) ohne deut- schen Pass" definiert. Seit einigen Jahren hat sich der Begriff „Personen mit Migrationshintergrund“ etabliert, der sowohl nicht deutsche Staatsangehörige, einge- bürgerte Migranten, Spätaussiedler sowie die Kinder all dieser Einwanderergruppen umfasst. Es ist effektiver, rechtliche und soziale Chancengleich- heit zu fördern, als sich auf Antidiskriminierungspro- gramme zu beschränken. Pauschale Gruppenzu- gehörigkeiten wie „die Tür- ken“ oder „die Muslime“ sagen wenig über die tatsächlichen Bedarfslagen von einzelnen Personen aus, die bestimmten ethnischen oder religiösen Minderheiten angehören. Für den Integrationserfolg spielt eine Fülle anderer Fak- toren eine wesentliche Rolle, die verändert werden kön- nen und sollen: Sprach- kenntnisse, Bildung, berufli- che Qualifikation, ausländerrechtlicher Status u.a. Ebensowenig genügt es, einen „Multikulturalis- mus“ zu verfolgen, bei dem ein unverbindliches Nebeneinander der Kulturen ohne einen Konsens über gemeinsame Grundwerte als ausreichend betrachtet wird. Die passive Duldung des Nebenein- anders der verschiedenen kulturellen Lebenswelten bedeutet im Ergebnis oft Gleichgültigkeit. Ein solcher „Multikulturalismus“ kann die gegenseitigen Vorbe- halte und Abschottungstendenzen nicht abbauen. Die Folgen sind ethnische und soziale Ghettobildun- gen, wie wir sie in einigen Städten in Europa und in den USA beobachten. Selbst zwischen den unterschiedlichen ethnischen Gruppen gibt es häufig wenig Kontakt. Die Gefahr geschlossener ethnischer Gemeinschaften liegt darin, dass sie eine parallele Infrastruktur und Lebenswelt aufbauen, die von Freizeit-, Kommunikations- und Informationsangeboten bis hin zum Konsum und privaten Dienstleistungen reichen. Mit ihren Nachbarn anderer Nationalität wollen sie oft und müssen sie auch nichts zu tun haben. Erst im öffentlichen Raum, wie beispielsweise in den Kindergärten und Schulen, bei den Behörden, im Beruf und bei den Sozialen Diensten werden Begegnungen erforderlich. Bedin- gungen der Verständigung und des Vertrauens wer- den jedoch wesentlich durch den Privatbereich vor- geprägt. Dem soll mit einem interkulturellen Ansatz entge- gen gewirkt werden, bei dem wesentlich das Mit- einander, der vielfältige Austausch und die gegen- seitige Ergänzung, die Begegnung und der Dialog der Kulturen gefördert werden. Dabei soll es aber keinesfalls darum gehen, kulturel- le Differenzen einzuebnen oder ethnisch organisierte Strukturen der Kommunikation auszuhöhlen. Die Plu- ralisierung von kulturellen Lebensformen und sozialen Milieus ist eine unumkehrba- re Entwicklung in allen offe- nen, postmodernen Gesell- schaften. Dazu ge-hören auch die ethnischen Gemein- schaften mit ihren verschiede- nen Untergruppen. Weder die deutsche Mehrheitsbevöl- kerung noch die verschiede- nen nichtdeutschen Minder- heiten müssen sich auf eine einheitliche Kultur verständi- gen. Gleichwohl bedarf es aber eines gemeinsamen Rahmens bzw. verbindender Grundwerte, die alle Bevöl- kerungsgruppen als Grundla- ge für das Zusammenleben in der Vielfalt anerken- nen. Diese Grundlage bildet unsere freiheitlich- demokratische Rechtsordnung. Die Integration der Vielfalt muss auf der Grundla- ge unserer Verfassung erfolgen. Ihre Grundpfei- ler sind: Menschenrechte, Demokratie, Rechts- staatlichkeit und Gewaltenteilung, die Gleichstel- lung von Mann und Frau sowie die Trennung von Staat und Kirche. Die Anerkennung derGrundpfleiler unserer Gesell- schaftsordnung und die gleichberechtigte Teilhabe der Zuwanderer am gesellschaftlichen Leben sind notwendige Rahmenbedingungen für eine erfolg- reiche Integration und für ein friedliches Zusam- menleben in kultureller Vielfalt. Außer den Zugewanderten muss deshalb auch die Aufnahmegesellschaft besser auf die Migrations- realitäten unserer Zeit vorbereitet werden. Die Not- wendigkeit und Unvermeidlichkeit der Internationali- sierung, aber auch die vielfältigen Chancen, die
  • 7. 5 damit einhergehen, müssen als Bestandteil der Inte- grationsarbeit vermittelt werden. Nach verschiede- nen Untersuchungen des Europabarometers gehört Deutschland zusammen mit Österreich, Belgien und Griechenland zu den Ländern der Europäischen Union, in denen fremdenfeindliche Einstellungen in der Bevölkerung am häufigsten verbreitet sind. Wie zahlreiche Studien und Umfragen bestätigen, unter- scheiden sich die Einstellungen zu den Zugewander- ten und ethnischen Gruppen auch innerhalb Deutschlands erheblich, beispielsweise Muslimen oder fremd aussehenden Personen gegenüber. Hinzu kommt ein immer wieder zu beobachtender Antisemitismus. 2004 wurde wieder ein Anstieg rechtsextremisti- scher Straftaten in Baden-Württemberg verzeichnet (857 gegenüber 800 im Jahr 2002). Die Zahl rechts- extremistischer Skinheads und sonstiger gewaltbe- reiter Zirkel hat sich von rund 800 im Jahr 2002 auf 1.000 im Jahr 2004 um 25 Prozent erhöht, während auf Bundesebene ein leichter Rückgang zu beobachten war. (Verfassungsschutzbericht Baden- Württemberg 2004, S. 116f.) Auf der anderen Seite werden 8.510 Personen mit Migrationshintergrund extremistischen und extremi- stisch beeinflussten Ausländerorganisationen zuge- ordnet, was einen Anteil von 0,7 Prozent an Anhän- gern extremistischer Ausländerorganisationen in Baden-Württemberg ausmacht. Diese Zahl blieb seit 2002 annähernd konstant. Der Anteil religiös-natio- nalistischer Gruppen ist dabei der dominante. (Ver- fassungsschutzbericht Baden-Württemberg 2004, S. 12-13) Laut Verfassungsschutzbericht des Jahres 2002 des Landesamtes für Verfassungsschutz war die Zahl der rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten entge- gen der bundesweiten Tendenz wie schon im Vor- jahr leicht rückläufig: „Bundesweit beläuft sich die Gesamtzahl gewaltbe- reiter Rechtsextremisten auf rund 10.700 (2001: 10.400), in Baden-Württemberg auf rund 800 (2001: 850). Den weitaus größten Teil davon bilden Skinheads. Ihre Zahl sank in Baden-Württemberg im Jahr 2002 erstmals wieder auf 770, nachdem sie in den letzten Jahren kontinuierlich zugenommen hatte (2001: 820).“ (Verfassungsschutzbericht Baden-Württemberg 2002, S. 28/29) Die Entwicklung und Umsetzung einer situations- bezogenen Integrationspolitik ist aus all diesen Gründen ein notwendiges und mögliches Steue- rungsinstrument. Zugewanderte und Einheimische müssen um einen Konsens darüber bemüht sein, was unter Integration zu verstehen ist und welche berechtigten Erwartungen sich daraus an die Auf- nahmegesellschaft als auch an die Zugewanderten ableiten. Das vorliegende Positionspapier soll zu einem gemeinsamen Integrationsverständnis beitragen, das die vielfältigen Lebenswelten in und die Identifikati- on mit der Stadt Stuttgart in den Vordergrund rückt. Unter Integration ist die aktive Herstellung einer gemeinsamen Verständigungsgrundlage zu verste- hen. Insofern ist Integration ein wechselseitiger Prozess. Sie setzt sowohl die Befähigung (Sprache, Verständigung) als auch die Bereitschaft hierzu (Motivation, Dialog) voraus. Im Kontext der kommunalen Integrationspolitik liegt der Schwerpunkt auf der sozialen und – damit ver- bunden – der kulturellen Integration: 1. Soziale Integration: Im Wesentlichen wird eine soziale Integration durch Chancengleichheit im Beruf, Bildung, Wohn- und Freizeitangeboten erreicht. Chancengleichheit be- deutet nicht nur, gleiche Chancen zu ermöglichen. Die Betroffenen müssen diese Chancen auch aktiv ergreifen. 2. Kulturelle Integration: Die Definition der sozialen Integration macht deut- lich, dass Chancengleichheit auch die Bereiche Bil- dung und Freizeitangebote umfasst. Der Mensch ist ein kulturelles Wesen, das an der Gestaltung seines kulturellen Umfelds beteiligt ist. Deshalb bedingen sich soziale und kulturelle Integration gegenseitig für das Gelingen einer umfassenden Integration. Kulturelle Integration bedarf der Förderung der Teil- habe an gesellschaftlichen und kulturellen Prozes- sen. Sie beinhaltet die Verinnerlichung gesellschaftli- cher und kultureller Grundwerte und die Übernahme der Denkmuster einer pluralistischen Gesellschaft sowie die Befähigung und die Bereitschaft, sich in dieser Gesellschaft voll einzubringen (zunehmende Identifikation mit der Aufnahmegesellschaft, Teilha- be an Entwicklungsprozessen). Zentrale Maßnahmen einer Integrationspolitik sind daher zum einen das Erkennen und die Förderung von Partizipationsmöglichkeiten und zum anderen die Unterbindung von sozialen und kulturellen Ausgrenzungstendenzen. Viele gesellschaftliche und rechtliche Vorgaben lie- gen außerhalb der kommunalen Entscheidungs- kompetenz, beeinflussen aber die Integrationsar- beit vor Ort in erheblichem Maße; dazu gehören u.a. die Voraussetzungen für die vollständige rechtliche Gleichstellung (Einbürgerung) und für bestimmte Formen der politischen Partizipation
  • 8. 6 (Beschränkung des Kommunal- und EU-Wahlrechts auf Zugewanderte mit Herkunft aus EU-Staaten). Dieses Positionspapier will als „Strategiekonzept“ die Leitziele, die Steuerungsinstrumente und die Rah- menbedingungen der künftigen Integrationsarbeit bestimmen. Insbesondere werden die zentralen Handlungsfelder einer künftigen Integrationspolitik in der Landeshauptstadt Stuttgart und die Umset- zungsschritte aufgezeigt, die notwendig sind, damit die Integrationsziele in diesen Handlungsfeldern erreicht werden können. Da aber die kommunale Integrationspolitik im Kon- text von zahlreichen rechtlichen Bestimmungen und Umsetzungsrichtlinien steht, die auf ande- ren Ebenen beschlossen werden (Europäische Union, Bundesrepublik Deutschland, Land Baden- Württemberg), wird zunächst auf diese vorgegebe- nen äußeren Rahmenbedingungen im 2. Kapitel eingegangen. Zu dieser Bestandsaufnahme gehört auch die gegenwärtige Situation in Stuttgart. Der vorgegebene Ist-Stand auf EU-, Bundes- und Landesebene sowie vor Ort bildet schließlich die Grundlage für die Neuausrichtung der Stuttgar- ter Integrationspolitik (3. und 4. Kapitel). Die Entwicklung der Steuerungsinstrumente zur Umsetzung der Integrationsziele wird als gemein- same Aufgabe verstanden, die im Verbund der zuständigen Kooperationspartner geleistet werden muss. Die im Positionspapier formulierten Empfeh- lungen sollen die Grundlage für diesen Entwick- lungs- und Umsetzungsprozess bilden. Integrationsarbeit als kommunale Querschnitts- und Gesamtsteuerungsaufgabe erfolgt in Zusam- menarbeit aller beteiligten Instanzen: städtische Ämter und Organisationen der freien Träger, Schu- len und andere Bildungsstätten, Agentur für Arbeit, Unternehmen, Gewerkschaften, Sport- und Kultur- vereine, Migrantenselbstorganisationen und ehren- amtlich tätige Bürgerinitiativen, Religionsgemein- schaften, Medien und politische Gremien sowie die Bürgerinnen und Bürger selbst. Die oben angeführten Institutionen haben in Stutt- gart bereits gute Grundlagen geschaffen, auf denen wir unsere weitere Arbeit aufbauen können. Bewährte Projekte sollen fortgesetzt und dort, wo es notwendig ist, ausgeweitet werden. Neue wer- den hinzukommen müssen. Die Integrationsbeauftragten bei der Stabsabteilung für Integrationspolitik (S-IP) können dieses „Bünd- nis für Integration“ in Absprache mit den jeweili- gen Kooperationspartnern koordinieren und unter- stützen. Sie haben als zentrale Stabsstelle für die Weiterentwicklung der Integrationsarbeit auf der Grundlage der rechtlichen Vorgaben sowie der be- schlossenen Ziele und Kooperationsvereinbarungen zu sorgen.
  • 9. 7 2.1 Entwicklungen auf EU-, Bundes- und Landesebene Die Einwanderungs- und Integrationspolitik ist auf- grund veränderter rechtlicher, gesellschaftlicher und sozialer Rahmenbedingungen europa-, bundes- und landesweit in Bewegung geraten. Betroffen sind so- wohl rechtliche Regelungen des Aufenthalts-, Arbeits- und Staatsangehörigkeitsrechts als auch Integrations- maßnahmen, die das Zusammenleben von Menschen unterschiedlichster Herkunft gestalten und die gesell- schaftliche Integration nicht-deutscher Personen för- dern. Am 1. Mai 1999 trat der Vertrag von Amsterdam in Kraft. Die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union verpflichten sich darin unter anderem, ihre Beschäftigungspolitik auf die Wirtschaftspoli- tik der Gemeinschaft abzustimmen, Diskri- minierungen aus Gründen des Geschle- chts, der Rasse, der Religion oder der Weltanschauung zu bekämpfen und die Chancengleichheit von Mann und Frau zu fördern. 2004/2005 wurden sollen auch gemeinsame europäische Asyl- und Einwanderungsregelungen geschaffen. Dazu gehört die Harmonisie- rung der Rechte von Drittstaatsangehörigen innerhalb der Union (Art. 61 ff). Der erste Schritt dahin werden gemeinsame Mindeststandards für die Asylverfahren und für die Aufnahmebedingun- gen sein. Durch die Unterzeichnung des Amsterdamer Vertra- ges ist die nationale Zuwanderungspolitik in einen europäischen Rahmen gestellt worden. Die Über- tragung von Kompetenzen zur zukünftigen Ausgestaltung der Migrationspolitik auf die Europäische Ebene wird zur Konsequenz haben, dass in den kommenden Jahren weitreichende Grund- satzentscheidungen zur Ausrichtung der Migrations- politik in den EU-Ländern umgesetzt werden müs- sen. Auf kommunaler Ebene werden entsprechende Handlungs- und Umsetzungskompetenzen erforder- lich werden. Anlässlich seines 50-jährigen Bestehens 1999 hat der Europarat seine Selbstverpflichtung wiederholt, sich einzusetzen für den gesellschaftlichen Zusam- menhalt („Kohäsion“) und die Solidarität der in Europa lebenden Menschen sowie für die Bekämp- fung von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und poli- tischer, kultureller oder religiöser Intoleranz und Dis- kriminierung von Minderheiten. Das Europäische Komitee für Wanderung (CDMG) hat zwei Berichte erstellt, die grundlegende Gedanken zur Umsetzung dieses Engagements for- mulieren: „Vielfalt und Zusammenhalt – neue Her- ausforderungen für die Integration von Migranten und Minderheiten“ („Diversity and cohesion: new challenges for the integration of immigrants and minorities“) sowie einen „Leitfaden für die Integra- tionspolitik (Framework for integration policies“). Als innovatives Konzept sollen „Vielfalt und Zusammenhalt“ eine Leitlinie künftiger Arbeit der Mitgliedsstaaten des Europarates werden. Das Konzept „Vielfalt“ (diversity) soll den veränder- ten demografischen Realitäten besser begegnen als das frühere Konzept des Multikulturalismus und es soll einen dynamischen Prozess abbilden, von dem zunehmend pluralistische Gesellschaften profitieren können: alle Menschen sind verschieden und haben ein Recht, unterschiedlich zu sein. Der Grundstein für Integrationspolitiken und Minderheitenschutz ist hierbei der Gleichheitsgrundsatz: Alle Menschen sind gleich und haben gleiche Rechte. Das Diversity-Konzept verweist darauf, dass Menschen generell und zunehmend über multiple Identitäten und Zugehörigkeiten zu Grup- pen und Kulturen verfügen. Der zweite Begriff „Zusammenhalt“ (cohesion) wird häufiger benutzt im Kontext von Beschäfti- gung und Armut, wobei es um den Abbau von sozialen Desintegrationsprozessen und die „Mar- ginalisierung“ bestimmter Gruppen geht. Die Poli- tik des sozialen Zusammenhalts zielt darauf, eine Zersplitterung der Gesellschaft zu verhindern oder rückgängig zu machen. Seit dem 1. Januar 2000 gilt im Bund das neue Staatsangehörigkeitsrecht. Die entscheidende Änderung durch das neue Staatsangehörigkeitsrecht ist die Ergänzung um das Geburtsrecht. In Deutsch- land geborene Kinder ausländischer Eltern, die dau- erhaft hier leben (acht Jahre rechtmäßiger Aufent- halt, Besitz einer Aufenthaltserlaubnis/einer Aufent- haltsberechtigung), werden automatisch deutsche Staatsbürger. Nach geltendem Recht ist bei hier geborenen Kindern eine weitere Staatsangehörigkeit 2. Veränderte Rahmenbedingungen
  • 10. 8 (z.B. Türkisch, Italienisch) bis zum Erreichen des 23. Lebensjahres erlaubt. Die hiermit verbundene Auf- gabe des Grundsatzes der einheitlichen Staatsan- gehörigkeit der Familie ist ein deutliches Signal und ein Integrationsanreiz, der durch verstärkte Bemühungen um eine freiwillige Einbürgerung der ersten Generation ergänzt werden muss. Die neue Staatsangehörigkeitsregelung muss zudem durch weitere Integrationsmaßnahmen ergänzt wer- den. Das Beispiel der Aussiedlerinnen und Aussied- ler, insbesondere der Russlanddeutschen, die über einen deutschen Pass verfügen, vermag dies zu ver- deutlichen. Sowohl hinsichtlich ihrer Akzeptanz durch die Aufnahmegesellschaft als auch im Hinblick auf ihre eigene Integrationsfähigkeit und -bereit- schaft (Sprach- und Kulturkenntnisse, Bildung und Berufsqualifikationen) bestehen Defizite, die zu nicht unerheblichen Problemen geführt haben. Auch viele Zugewanderte, insbesondere aus dem muslimischen Kulturkreis, die seit Jahrzehnten deut- sche Staatsbürger sind, erfahren Diskriminierungen und Ablehnung. Eine Betrachtung der Migrationser- fahrung in anderen europäischen Ländern bestätigt ebenso die Notwendigkeit von weiterreichenden Integrationsmaßnahmen unabhängig von der Erteilung der Staatsangehörigkeit. In Frankreich, in den Niederlanden und in Großbritannien ergaben sich wiederholt soziale Unruhen auf der Grundlage ethnischer Zugehörigkeit und der damit verbunde- nen Benachteiligung in der Gesellschaft, zuletzt besonders gravierend in französischen Vorstädten. Bei erheblicher sozialer Ungleichheit oder bei einer objektiv gegebenen oder nur als solche empfunde- nen Diskriminierungspraxis bleiben Ausschreitungen – trotz gemeinsamer Staatsangehörigkeit – möglich. Integrationsbemühungen müssen sich daher stets auch an den jeweils gegebenen Bedingungen vor Ort orientieren und liegen deswegen in besonderem Maß in der unmittelbaren Verantwortung der Kom- mune. Mit den Ergebnissen der Unabhängigen Kommis- sion „Zuwanderung“ (der so genannten „Süss- muth-Kommission“) hatte die rot-grüne Bundesre- gierung weitreichende Vorschläge zur Neugestal- tung der Zuwanderung in der Bundesrepublik erhal- ten. Neue rechtliche Veränderungen sowie Integrati- onsmaßnahmen für Neuzuwanderinnen und Neuzuwanderer (Sprach- und Integrationskurse) sol- len Schwer-punkt der Integrationsleistungen wer- den. Auch der akute Mangel an ausreichend qualifi- zierten Arbeitskräften in Teilbereichen der Wirt- schaft hat zu neuen Überlegungen Anlass gegeben, die bisherigen Zuwanderungsbedingungen attrakti- ver zu gestalten. Eine nur an kurz- und mittelfristi- gen Wirtschaftsinteressen ausgerichtete Zuwande- rungspolitik, wie von der „green card“-Regelung vorgesehen, hat sich jedoch schon bei der früheren Gastarbeiterpolitik als problematisch erwiesen. Unbestritten ist, dass Deutschland weiterhin auslän- dische Arbeitskräfte benötigt und dass die Zuwan- derung arbeitsmarktkompatibel gestaltet werden sollte. Zur Steuerung der Zuwanderung aus wirtschaftlichen Gründen sind daher mittelfristige Analysen über den Arbeitskräftebedarf und die wirtschaftliche Ent- wicklung einzelner Branchen unverzichtbar. Für Stutt- gart und sein Umland mit den vorhandenen Schwer- punkten des Auto- und Maschinenbaus ist die Sicher- stellung von qualifizierten Arbeitskräften für den Wohlstand der Region von großer Bedeutung. Im High-Tech-Bereich, vor allem in der Wissenschaft und der Forschung, ist die Gewinnung der „besten Köpfe“ für die Zukunftsfähigkeit der Region und des Landes Baden-Württemberg insgesamt von ent- scheidender Bedeutung, wie zuletzt die Studie von Roland Berger und Partner für die Landesstiftung Baden-Württemberg deutlich gemacht hat. Eine arbeitsmarktorientierte Zuwanderung und die gesellschaftspolitische Integration gehören zusam- men. Auch aufgrund der Integrationspolitik der Ver- gangenheit sind ausländische Arbeitsmigranten und Aussiedler, die in den vergangenen Jahrzehnten ein- gereist sind, überproportional von Arbeits- und Aus- bildungslosigkeit betroffen. Es müssen daher – im Rahmen der Gestaltung der Einwanderung – auch Maßnahmen zur Eingliederung von bereits in Deutschland lebenden Migrantinnen und Migranten geschaffen werden. Das Zuwanderungsgesetz hat die Integrations- politik des Bundes grundlegend reformiert. So berücksichtigt das Zuwanderungsgesetz in der Folge des 11. September 2001 verstärkt Sicherheit- saspekte. Unter anderem dürfen die obersten Lan- desbehörden sowie das Bundesinnenministerium zur Abwehr einer besonderen Gefahr ohne vorherige Androhung eine sofort vollziehbare Abschiebungs- anordnung erlassen. Das Gesetz regelt die Auswei- sung von Schleusern, Personen, die einer terroristi- schen Vereinigung angehören oder eine solche unterstützen, Führern extremistischer Organisatio- nen und Hasspredigern. Das Aufenthaltsgesetz, das am 1. Januar 2005 in Kraft getreten ist, kennt nur noch zwei Aufent- haltstitel: die Aufenthaltserlaubnis (für einen zeit- lich befristeten Aufenthalt) und die Niederlassungs- erlaubnis (für einen unbefristeten Aufenthalt). Beide
  • 11. 9 sind wiederum an vier mögliche Aufenthaltszwecke geknüpft: Ausbildung, Erwerbstätigkeit, Familie sowie humanitäre Gründe. Eine befristete Aufent- haltserlaubnis muss grundsätzlich rechtzeitig verlän- gert werden, das heißt, der Antrag hierfür muss vor Ablauf der Aufenthaltserlaubnis gestellt werden, um negative Rechtsfolgen zu vermeiden. Bei fristgerech- ter Antragstellung der Aufenthaltsverlängerung bleibt hingegen auch die Arbeitserlaubnis bis zur Entscheidung über den Aufenthalt gültig. Mit dem Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes haben die Ausländerbehörden die Zuständigkeit für die Ertei- lung einer Arbeitserlaubnis von der Bundesagen- tur für Arbeit übernommen und damit das bisher doppelte Genehmigungsverfahren gebündelt. Das Zuwanderungsgesetz hat grundsätzliche Rege- lungen für Integrations- und Orientierungskur- se getroffen, denn diese sollen Zuwanderer an Sprache, Kultur und Rechtsordnung in Deutschland heranführen, so dass diese ohne die Vermittlung Dritter in alltäglichen Angelegenheiten selbständig entscheiden und handeln können. Ein Integrations- kurs besteht aus 630 Unterrichtsstunden, von denen 300 in einem Basissprachkurs, 300 weitere in einem Aufbaukurs und 30 in einem Orientierungs- kurs zur Rechtsordnung, Kultur und Geschichte angeboten werden. Zuwanderer, die nach dem Gesetz nicht verpflichtet sind, einen Sprach- und Integrationskurs zu besuchen (wie zum Beispiel bereits länger in Deutschland lebende Personen), können im Rahmen verfügbarer Plätze freiwillig daran teilnehmen. Eine erfolgreiche Teilnahme ermöglicht bei Vorliegen der übrigen Voraussetzun- gen eine raschere Einbürgerung. Die Nichtteilnahme eines „verpflichteten“ Zuwanderers kann dagegen auch negative Auswirkungen, wie die Kürzung von Leistungen nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch nach sich ziehen. Mit der Festschreibung der Förderung bleibe- berechtigter Ausländerinnen und Ausländer in der Koalitionsvereinbarung hat sich auch die Lan- desregierung Baden-Württemberg die Notwen- digkeit weiterentwickelter Integrationskonzepte zu eigen gemacht. Integrationsfördernde Maßnahmen für bleibeberechtigte Ausländerinnen und Ausländer bilden auch hier die zentrale Zielvorgabe. Integrati- onsmaßnahmen dürfen jedoch nicht erst dann zum Tragen kommen, wenn der Status der Bleibeberech- tigung feststeht. Weitere Konsequenzen ergeben sich aus der bundesdeutschen demografischen Entwicklung. Die Überalterung der deutschen Bevölkerung und der erhebliche Geburtenrückgang werden langfristig den Umfang der zukünftigen Zuwanderungsmöglichkeiten in die Bundesrepublik Deutschland nachhaltig beeinflussen. 2.2. Die Situation in Stuttgart 2.2.1 Bevölkerungsstruktur In Stuttgart gehen seit Mitte der 70er-Jahre die Geburten zurück. Hinzu kommt, dass Jahr für Jahr viele Einwohnerinnen und Einwohner in die Umland- gemeinden abwandern. Diese negative Bevölke- rungsentwicklung wird seit den 60er-Jahren durch Zuwanderung nichtdeutscher Einwohnerinnen und Einwohner nur teilweise kompensiert, die damals angeworben wurden, um den vorhandenen Mangel an Arbeitskräften zu beseitigen. Eine in der Anlage 1 beigefügte Grafik veranschau- licht den Entwicklungsgang der deutschen und der nichtdeutschen Einwohnerinnen und Ein- wohner in Stuttgart in den letzten 18 Jahren (Schaubild „Bevölkerung in Stuttgart seit 1986 nach Staatsangehörigkeit“). Bei näherer Betrachtung der Einwohnerstatistik seit 1986 lässt sich feststellen, dass sich die Bevölkerungszahl in Stuttgart, die seit Mitte der 90er-Jahre leicht rückgängig war, stabilisiert hat. Die Zahl der Zugewanderten ist nicht zuletzt durch das veränderte Staatsbürgerschaftsrecht leicht rück- läufig. Zum Stichtermin Ende 2005 waren hier An- gehörige von 173 Staaten gemeldet. Der Anteil der nichtdeutschen Einwohnerinnen und Einwohner beträgt 21,9 Prozent. Damit nimmt Stuttgart im Großstadtvergleich hinter Frankfurt zusammen mit München den zweiten Platz ein. Neben den Einwohnerinnen und Einwohnern mit deutscher Staatsangehörigkeit (462.218) stellen Staatsangehörige der Türkei (22.538), Griechen- lands (14.669), Italiens (14.192), Kroatiens (13.753) und Restjugoslawiens, d.h. Serbien-Montenegro (11.842) Gruppen mit mehr als 10.000 Personen. Die Grafik Einwohnerinnen und Einwohner in Stuttgart nach Alter, Geschlecht und Staatsan- gehörigkeit (Bevölkerungspyramide, Anlage 2) verdeutlicht den unterschiedlich hohen Anteil der nichtdeutschen Bevölkerung in den verschiedenen Altersgruppen. Während ihr Anteil bei den über 60- Jährigen bei 12,1 Prozent liegt, ist er bei den Kin- dern und Jugendlichen bei 21,7 Prozent. Doppel- staatler mit deutschem Pass werden in der Statistik ausschließlich als Deutsche geführt. Das neue Staats- bürgerschaftsrecht, das im Jahr 2000 in Kraft trat und demzufolge über die Hälfte der Kinder Nicht- deutscher bei der Geburt automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten, hat den gesamten Anteil nichtdeutscher Kinder und Jugendlicher bis 18 Jahre um mehr als drei Prozentpunkte gesenkt. Nicht gesenkt dagegen hat das neue Staatsbürger- recht den realen Bedarf an Sprachförderung und
  • 12. 10 Anlagen 1 Einwohner in Stuttgart seit 1986 nach Staatsangehörigkeit Anteil der ausländischen Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung in Stuttgart 1986 bis 2005
  • 13. 11 Einwohner in Stuttgart am 31. Dezember 2005 nach Alter, Geschlecht und Staatsangehörigkeit Anlage 2
  • 14. 12 anderen zusätzlichen Bildungsangeboten und Erzie- hungshilfen, so dass Jugendarbeit, Betreuungsange- bote in Kindertagesstätten, Kontakt und Unterstüt- zung von jungen Eltern nichtdeutscher Abstammung sowie Schule und Berufsausbildung wesentlicher Bestandteil der Integrationsmaßnahmen bleiben müssen. Die Zahl der Einbürgerungen war 2004 mit 3.082 Eingebürgerten leicht rückläufig gegenüber 2003 mit 3.203 Fällen und 2002 mit 3.227 Fällen. Die größte Gruppe dabei war die der Türken mit 32 Prozent. Die Zahl der EU-Bürger war erwartungsgemäß gering, da sie ohnehin in allen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union wohnen und arbeiten dürfen. Vor allem junge Menschen lassen sich einbürgern. Viele von ihnen sind hier geboren und aufgewachsen und fühlen sich als Deutsche. Mehr als zwei Drittel der Eingebürgerten sind unter 35 Jahre alt. Zugleich macht sich auch in Stuttgart die allgemeine Erfahrung bemerkbar, dass Nichtdeutsche in der zwei- ten und dritten Generation ihre Familiengröße der der Deutschen anpassen. Zu den veränderten Lebenswel- ten in Stuttgart gehört auch die wachsende Zahl von Single-Haushalten und allein erziehenden Eltern. Ein- personenhaushalte, die in Stuttgart knapp die Hälfte aller Haushalte ausmachen, sind zudem sehr hetero- gen (Auszubildende mit geringem Einkommen, junge mobile Berufstätige, ältere Menschen – oft verwitwete Frauen). Aus verschiedenen Motivationslagen heraus wollen oder müssen allein stehende Personen und Allein- erziehende häufiger stadtzentral wohnen. Die Hete- rogenität in den inneren Stadtbezirken ist zugleich eine sozialpolitische Herausforderung und Chance für die Entwicklung der internationalen Stadtgesell- schaft (vgl. auch Kapitel 2.2.4). 2.2.2 Arbeitsmarkt Nichtdeutsche stellten 2004 insgesamt 14,4 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Stuttgart. 59,6 Prozent von ihnen sind als Arbei- terinnen und Arbeiter beschäftigt. Nichtdeutsche stellen 33,2 Prozent aller Arbeiter(innen) und 7,8 Pro- zent aller Angestellten in Stuttgart (Statistisches Lan- desamt Baden-Württemberg 2005). Stuttgart hat insgesamt eine Arbeitslosenquote von 10,7 Prozent (Stand: Januar 2006). Nichtdeutsche sind mit einer Arbeitslosenquote von 18,6 Prozent häufiger von Arbeitslosigkeit betroffen. Von den ausländischen Beschäftigten haben nur 40 Prozent eine abgeschlossene Berufsausbildung gegenüber 70 Prozent der deutschen Beschäftigten (Statisti- sches Landesamt Baden-Württemberg). Gerade in Verbindung mit wirtschaftlichen Umstrukturierun- gen sind ausländische Beschäftigte daher auch häu- figer von Entlassungen bedroht. Um geeignete Integrationsmaßnahmen entwickeln zu können, müssen die Hindernisse für die Einstel- lung von Nichtdeutschen noch genauer eruiert wer- den. Neben der unzureichenden sprachlichen und beruflichen Qualifikation der Nichtdeutschen, die ver- bessert werden kann, betrifft das die Barrieren bei der Erteilung der Arbeitserlaubnis durch das Arbeit- samt, die am Arbeitsmarkt benötigten Qualifikations- profile, mögliche Vorurteile seitens der potenziellen Arbeitgeber gegenüber Nichtdeutschen, Auswirkun- gen des dritten Arbeitsmarkts, aber auch kulturelle, religiöse oder geschlechtsspezifische Gründe von Nichtdeutschen, eine Arbeit anzunehmen. Für gezielte Integrationsmaßnahmen sind noch ge- nauere sozioökonomische Daten über nichtdeutsche Beschäftigte zu erheben, z.B. geschlechtsspezifische Daten über Einkommen, Arbeitszeit, Bildung u.Ä. Ein bedeutender Teil der nichtdeutschen Beschäftigten (vor allem Frauen) ist in den Niedriglohnsektoren beschäftigt bzw. als Um- oder Angelernte in die untersten Lohngruppen eingruppiert. Niedriger Ver- dienst bedeutet niedriger Lebensstandard trotz Arbeit, vor allem später im Alter aufgrund geringer Renten. Auch die Situation der nichtdeutschen Kleinen und Mittelständischen Unternehmen bedarf einer ge- naueren Betrachtung. Statistiken oder Beobachtungen über die Situation der nichtdeutschen Selbständigen in Stuttgart existieren derzeit noch nicht und müssen zeitnah erhoben werden. 2.2.3 Hilfe zum Lebensunterhalt Von 1.000 ausländischen Einwohnern erhalten 30 Hilfe zum Lebensunterhalt, von 1.000 deutschen Ein- wohnern sind es 13. Das Risiko, von Hilfe zum Le-ben- sunterhalt abhängig zu werden, ist also für Nichtdeut- sche doppelt so hoch wie für Deutsche. Bedürftigkeit setzt sich in der zweiten und dritten Generation der Arbeitsmigranten fort; besonders betroffen sind nicht- deutsche Frauen. (Sozialamt, Statistisches Amt)
  • 16. 14 2.2.4 Räumliche Schwerpunkte von Nichtdeutschen im Allgemeinen und von einkommensschwachen Menschen im Besonderen Die Grafik Ausländer 2005 in den Stadtbezirken (Anlage 3) zeigt die Verteilung der Stuttgarter Bevöl- kerung nach Staatsangehörigkeit und Ausländeranteil in den verschiedenen Stadtbezirken. Die ungleiche Verteilung von Deutschen und Nicht- deutschen im Stadtgebiet lässt sich klar erkennen. Nichtdeutsche sind in den Innenstadtbezirken, in Bad Cannstatt und in den von Industrie geprägten Stadtbezirken (Feuerbach, Zuffenhausen, Untertürk- heim, Wangen) überrepräsentiert. Dabei sind die nichtdeutschen Bevölkerungsgruppen einigermaßen proportional innerhalb der einzelnen Stadtbezirke verteilt. Für die Integrationspolitik bedeutet dies, dass von einer eindeutigen ethnischen Ghettobil- dung in Stuttgart nicht gesprochen werden kann, sondern lediglich von einer hohen Konzentration von Nichtdeutschen in weniger attraktiven Stadtge- bieten mit preisgünstigerem Wohnraum. Die nichtdeutsche Bevölkerung teilt häufig ihre Wohnstandorte mit den einkommensschwachen deutschen Bevölkerungsgruppen. Stadtviertel, die einen hohen Anteil von Nichtdeutschen aufweisen, haben aber umgekehrt nicht automatisch auch eine hohe Sozialhilfedichte der Nichtdeutschen zur Folge. (Sozialbericht 1: Armut in Stuttgart) 2.2.5 Schulbildung Der Anteil der nichtdeutschen Schülerinnen und Schüler an Stuttgarter Grundschulen betrug im Schuljahr 2004/2005 einschließlich der Privatschulen Durchschnitt 27,2 Prozent. Die Entwicklung der Schülerzahlen in weiterführenden Schulen wird erheblich vom unterschiedlichen Übertrittsverhalten deutscher und nichtdeutscher Schülerinnen und Schüler beeinflusst. 11,9 Prozent der deutschen und 58,9 Prozent der nichtdeutschen Schülerinnen und Schüler traten im Sommer 2004 von der Grundschule in die Haupt- schule über (Zahlen einschließlich der Privatschulen). Dagegen wechselten 60,1 Prozent der deutschen und nur 16,8 Prozent der nichtdeutschen Schülerin- nen und Schüler ans Gymnasium. Die Diskrepanz fällt bei Realschulen geringer aus: 28,0 Prozent der Deutschen und 25,0 Prozent der Nichtdeutschen wechselten im Sommer 2004 in die Realschule. Laut dem Stuttgarter Schulbericht 2004 betrug der Anteil der nichtdeutschen Schülerinnen und Schüler an Förderschulen im Schuljahr 2004/2005 58,1 Pro- zent, an allen Sonderschulformen insgesamt 48,3 Prozent. Das Bildungsniveau von nichtdeutschen Kindern und Jugendlichen ist insgesamt überproportional niedriger als das ihrer deutschen Altersgenossen. Bildungsprobleme treten aber auch bei zahlreichen Aussiedlerkindern und -jugendlichen auf, die zwar einen deutschen Pass, aber oft eine nichtdeutsche Herkunftssprache und einen Migrationshintergrund haben. Bislang sind die schwerwiegenden Folgen des nied- rigen Bildungsniveaus von Nichtdeutschen bzw. von Personen mit Migrationsvergangenheit nicht hinrei- chend erkannt worden. Aufgrund des hohen Anteils der Kinder mit Migrationshintergrund, der überdies noch zunehmen wird, wird das Gesamtbildungsni- veau der Stuttgarter Bevölkerung zukünftig weiter sinken. Diese Tendenz lässt sich vermutlich nur durch erhebliche Investitionen im Schulbereich (einschließlich Mentorenprogrammen, Weiterbil- dungsmaßnahmen für Lehrkräfte im multikulturellen Lehr- und Lernumfeld, spezifischen mit den ethni- schen Gruppen abgestimmten Unterstützungspro- jekten mit Jugend- und Schulsozialarbeitern) und durch die gezielte Anwerbung von hochqualifizier- ten Zuwanderern abschwächen.
  • 17. 15 Die kurze Darstellung der veränderten gesellschaftli- chen Rahmenbedingungen und der Situation in Stuttgart machen nochmals deutlich, dass es nicht mehr nur um die Fortschreibung der früheren Aus- länderpolitik gehen kann, sondern eine Neupositio- nierung der gegenwärtigen und künftigen Integrati- onspolitik erforderlich ist. Notwendig ist ein Perspek- tivenwechsel. Die Staatsangehörigkeit allein ist zunehmend ein unzureichender Indikator für Migrationserfahrung und Integrationsbedarf. Der statische und statisti- sche Begriff „Ausländer“ beinhaltet oft Personen, die in Stuttgart aufgewachsen sind und sich von der deutschen Bevölkerung nur dadurch unterscheiden, dass sie keinen deutschen Pass besitzen. Ein hoher Anteil Nichtdeutscher ist nicht gleichbedeutend mit dem Vorhandensein sozialer Probleme. Gleichwohl haben wir unter den Migrantinnen und Migranten eine allzu große Zahl von Menschen mit niedrigem Einkommen, geringem Bildungsniveau und unzureichenden Deutschkenntnissen, die die soziale Unterschichtung der Zuwanderinnen und Zuwanderer, vor allem aus den ehemaligen Anwer- beländern, zur Folge hat. Die Lebenswelten dieser Bevölkerungsgruppen sind nicht nur von Merkmalen wie Staatsangehörigkeit und kultureller Orientierung geprägt, sondern auch – und vor allem – von der unterschiedlichen Teilha- be der Menschen an Bildung, Arbeit, Wohlstand und sozialer Absicherung sowie von ungleichen politischen Mitwirkungsmöglichkeiten am kommu- nalen Geschehen. Soziale und rechtliche Ungleich- heit können den Zusammenhalt einer Gesellschaft gefährden. Die Entwicklung von gemeinsamer Verant- wortung für das friedliche Miteinander stellt daher besondere Anforderungen an alle Einwohnerinnen und Einwohner in unserer Stadt. Im Mittelpunkt aller Integrationsmaßnahmen steht insofern das friedliche Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft in einer internationalen Bürgergesellschaft. Die Förderung der Chancengleichheit heterogener Bevölkerungsgruppen muss daher die bisherigen Integrationskonzepte mit nationalitätenorientier- ter Förderung ablösen. Die frühere einseitige Wahrnehmung und Selbst- wahrnehmung der Zuwanderinnen und Zuwanderer als „Ausländer“ und als Angehörige bestimmter Nationalitäten hatte zur Folge, dass die Pflege der Herkunftstraditionen und des muttersprachlichen Unterrichts überbetont wurden, während zentrale Voraussetzungen für die Integration, wie der Er- werb von Deutschkenntnissen, eine berufliche Wei- terqualifizierung und die aktive Beteiligung am ge- sellschaftlichen Leben, hierzulande zu sehr vernach- lässigt wurden. Die Pflege der Muttersprache bildet durchaus einen wichtigen Grundstein für das Erler- nen des Deutschen als Zweitsprache und für den Erwerb von Fremdsprachenkenntnissen. Dies liegt aber vor allem in der Eigenverantwortung der Zuwanderer und ihrer Organisationen. Der sprachliche Reichtum der Zuwanderer ist eine gesellschaftliche Ressource, die im Bildungswesen wird inzwischen verstärkt aufgegriffen. 1995 wurde von der Stadt Stuttgart der Antrag auf einen Schul- versuch gestellt, um Sprachunterricht in italienischer und türkischer Sprache an öffentlichen Schulen zu ermöglichen. Dieses Angebot (noch mit Versuchs- charakter) wird im Rahmen eines erweiterten Fremd- sprachenangebots für alle Schülerinnen und Schüler an einigen Stuttgarter Realschulen angeboten. Mitt- lerweile bieten zahlreiche Stuttgarter Schulen Spra- chen der größeren Zuwanderergruppen im Rahmen von Arbeitsgemeinschaften sowie als zweite oder dritte Fremdsprache an. Integrationsmaßnahmen sollen das Zusammenleben in dieser Gesellschaft insgesamt verbessern. Deswe- gen muss die Förderung von Deutschkenntnissen eindeutig Vorrang vor der Förderung der Herkunfts- sprachen haben. Deutsch als die gemeinsame Spra- che stellt eine Schlüsselqualifikation für die Teilhabe an allen gesellschaftlichen Bereichen dar. 3.1 Der neue Ansatz: Orientierung nach Zielgruppen Zielgruppen der neuen Integrationspolitik sind alle zugewanderten Personen in Stuttgart mit ihren be- sonderen individuellen, sozialen, kulturellen und migrationsspezifischen Merkmalen, die ihre jeweili- ge Lebenswelt ausmachen. Deswegen soll auf die bisher übliche Kategorisie- rung nach Arbeitnehmern aus den ehemaligen An- werbeländern, Aussiedlern und Flüchtlingen verzich- tet werden. Spezifische Angebote für diese Teilgrup- 3. Folgen für die Stuttgarter Integrationspolitik
  • 18. 16 pen sollen zugunsten von integrativen Angeboten für alle Zuwanderer verändert werden. Wesentliche Merkmale der nichtdeutschen Bevölke- rung ergeben sich jedoch nach wie vor - aus dem unterschiedlichen rechtlichen Aufent- haltsstatus und - aus der unterschiedlichen sozialen und gesell- schaftlichen Realität. Diese Faktoren sind ausschlaggebend für die Lebenssi- tuation der nichtdeutschen Stuttgarterinnen und Stutt- garter, weil daraus die Forderungen nach Chancen- gleichheit und gesellschaftliche/politische Partizipation abzuleiten sind. Dieser Ansatz trägt der Tatsache und der Anfor- derung Rechnung, dass Integration eine gesamt- gesellschaftliche Aufgabe darstellt, die sowohl von der zugewanderten als auch von der einheimischen Bevölkerung mitgetragen werden muss. Und er trägt dem Umstand Rech- nung, dass der soziale Status der Migrantin- nen und Migranten eine wesentliche Grundlage der Integrationspolitik einer Kommune ist. Im Hinblick darauf lassen sich zunächst fünf Hauptzielgruppen für die künftige Integrationspo- litik ableiten: 1. Eingereiste Personen mit befristetem Aufent- halt: Flüchtlinge (sofern sie nicht als Asylberech- tigte anerkannt werden) sowie Personen mit spe- zifischer (von vornherein befristeter) Arbeitsrege- lung. Flüchtlinge sind auf Grund der ausländer- und asylrechtlichen Bestimmungen eine gesell- schaftliche Randgruppe. Ihr Flüchtlingsstatus erschwert die soziale Eingliederung. 2. Neuzuwandererinnen und Neuzuwanderer 3. Länger hier lebende nichtdeutsche Einwan- derinnen und Einwanderer mit einem auf Dauer angelegten Aufenthalt. 4. Eingewanderte mit deutscher Staatsan- gehörigkeit: Eingebürgerte, Aussiedlerinnen und Aussiedler. 5. Die deutsche Mehrheitsbevölkerung ohne Migrationshintergrunf ist ebenfalls Zielgruppe in ihrer Mitverantwortung bei der aktiven Gestaltung des gemeinsamen Zusammenlebens und beim Abbau von Fremdenfeindlichkeit und Diskriminie- rung. Diese Differenzierungen sind im Hinblick auf bestimmte Fragestellungen sinnvoll (z.B. bei der Umstrukturierung von Migrationsdiensten oder der Einrichtung von Anlauf- und Servicestellen für blei- beberechtigte Neuzuwanderinnen und Neuzuwan- derer). Die Integrationspolitik darf sich jedoch – schon aus gesellschaftlichen und ökonomischen Gründen – nicht auf Einwanderinnen und Einwan- derer mit einem Daueraufenthalt beschränken. Sie muss alle Zuwanderergruppen berücksichtigen. Auch in Zukunft wird es zeitlich befristete Migration geben. Von 1991 bis 2004 wanderten ca. 10,5 Millionen Menschen mit ausländischem Pass nach Deutschland ein und ca. 8,0 Millionen aus. Längere arbeitsbedingte Auslandsaufenthalte werden immer selbstverständlicher. Das betrifft sowohl den Auslandseinsatz von deutschen Fach- und Führungskräften als auch den Einsatz von aus- ländischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hier- zulande. Im Topmanagement multinationaler Unter- nehmen werden Führungspositionen grundsätzlich nur Bewerbern mit internationaler Erfahrung über- tragen. Die internationalen Auslandseinsätze beschränken sich jedoch nicht nur auf Führungs- kräfte. Die zunehmende Mobilität in Wirtschaft, Wissen- schaft und anderen Bereichen macht deutlich, dass eine Trennlinie zwischen den Zuwanderergruppen mit einem befristeten und einem verfestigten Auf- enthalt nur bedingt sinnvoll ist. Viele Zuwanderin- nen und Zuwanderer erfüllen erst nach mehreren Jahren die Voraussetzungen für einen verfestigten Aufenthalt. Dies gilt etwa für Flüchtlinge, wie z.B. Asylbewerber, die de facto nicht in ihr Herkunfts- land zurückkehren können (z.B. Afghanistan) oder traumatisierte Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem ehe- maligen Jugoslawien. Die tatsächliche Dauer des Aufenthaltes wird auch künftig bei vielen Zuwande- rern nicht abzusehen sein. Alle Migranten bleiben unabhängig von ihrem Auf- enthaltsstatus Menschen mit grundsätzlichen Rech- ten, die beachtet werden müssen. Das Hauptziel der
  • 19. 17 Sozialen Arbeit besteht darin, die notwendige Hilfe und Unterstützung zum Schutz der Menschenwürde zu leisten, auch für Menschen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus. Diese Hilfe umfasst: Beratung, soziale und gesundheitliche Grundversorgung sowie den Zugang zu schulischer Bildung. Durch frühzeitige und differenzierte Integrations- maßnahmen für die unterschiedlichen Zuwanderer- gruppen wird ihre Zugehörigkeit zu der Aufnahme- gesellschaft gestärkt und den Tendenzen der ethni- schen Abschottung und der Bildung von Parallelge- sellschaften entgegengewirkt. Alle Integrationsmaßnahmen können darüber hinaus – also unabhängig vom Herkunfts- land und dem genaueren rechtlichen Status – in drei Hauptkategorien untergliedert werden. Für - neu zugewanderte Personen, - bereits länger hier lebende Personen mit Migrationserfahrung - und die deutsche Mehrheitsgesellschaft müssen jeweils spezifische Integrationsangebote entwickelt werden. 3.1.1. Zu den neu zugewanderten Personen Die Gesamtgruppe der neu zugewanderten Perso- nen ist in sich sehr heterogen, so-wohl im Hinblick auf Status und Einreisemotivation als auch hinsicht- lich Herkunftsländern und Kulturen. Sie umfasst Per- sonen aus der Gruppe des Familiennachzugs, der Aussiedler, der Flüchtlinge und – zukünftig in erhöhtem Maße – Personen aus der Gruppe der arbeitsmarktbezogenen Zuwanderung im Rahmen der EU-Freizügigkeit sowie für Hochqua- lifizierte aus Drittstaaten. Die Integration der Neuankömmlinge ist sowohl von ihren kommunika- tiven Fähigkeiten und Kompetenzen abhängig, als auch von der Qualität der Begegnung mit der Mehrheitsgesellschaft. Der Nachweis von Sprachkenntnis- sen, wie auch von der Unabhängi- gen Kommission „Zuwanderung“ für nichtdeutsche Ehegatten oder für Abkömmlinge von Spätaussied- lern gefordert, ist insofern eine not- wendige, aber keine hinreichende Bedingung für eine erfolgreiche Inte- gration. Die Stadt Stuttgart wird daher – in Anlehnung an die niederländischen Erfahrungen mit dem „Projekt Integration Neuankömmlinge“ (PIN) und unter Be- rücksichtigung der Vorgaben von Bund und Land – eine Organisationsstruktur aufbauen müssen, die Anlaufstellen (zentral/stadtteilbezogen) für neu Zugewanderte mit entsprechenden Integrationsan- geboten anbietet. Dazu wird in Kooperation mit den bestehenden Anlaufstellen für Nichtdeutsche bei der Stadt und bei den freien Trägern geprüft, welche Modelle künftig als Integrationsservicestellen für Neuzuge- wanderte am besten geeignet sind. Angesichts der Heterogenität der Neuzuwanderung, bedingt durch die mitgebrachten Traditionen des Herkunftslandes, die Einreisemotivation, den Status bei der Einreise und insbesondere durch die bisher erworbenen Bildungs- und Qualifikationsprofile, wird ein entsprechend differenziertes Angebot erforderlich sein. 3.1.2 Zu den länger hier lebenden Personen mit Migrationserfahrung Die Gesamtgruppe der bereits länger hier lebenden Migrantinnen und Migranten ist ebenfalls hetero- gen zusammengesetzt. Der Grad der Integration der einzelnen Gruppen und Personen variiert erheblich. Soziale Desintegrationserscheinungen sind auch bei Teilen der zweiten und dritten Generation zu beob- achten, insbesondere bei sozial benachteiligten jün- geren Zuwanderinnen und Zuwanderern mit niedri- ger Schulbildung und schlechten Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt. Demotivierende Lebenswelten, enttäuschte Erwartungen und soziale Ausgrenzung erzeugen in „marginalisierten Gruppen“ ein großes Unzufriedenheits- und Konfliktpotenzial. Integrati- onsmaßnahmen müssen noch stärker auf diese Ziel- gruppe hin ausgerichtet werden. Ein verstärkter Integrationsbedarf be-steht vor allem auch bei nichtdeutschen Frauen, die aufgrund von verschiedenen Faktoren (familiäre Situation, niedriges Bildungsniveau, geringe Deutschkenntnisse etc.) größere Partizipations-schwierigkei- ten im öffentlichen Bereich haben, angefangen von der Teilnahme an Elternabenden im Kindergarten und Schule bis hin zum (Wieder- )Einstieg ins Berufsleben. In Stuttgart nimmt aber auch die Zahl der qualifizierten Personen mit Migrati- onshintergrund zu. Das bi- und interkultu-
  • 20. 18 relle Potenzial dieser Gruppe ist eine wichtige Res- source in der internationalen Stadt, die es noch stär- ker in der Verwaltung und in der Wirtschaft zu nut- zen gilt. 3.1.3 Zur deutschen Mehrheitsgesellschaft Seit geraumer Zeit und mit einer Vielfalt von Ange- boten bietet Stuttgart viele Möglichkeiten für die Begegnung und den Dialog der Kulturen. Die Ange- botsvielfalt reicht von „aufklärenden“ Vortrags- und Informationsreihen über Kulturveranstaltungen bis hin zu vielseitigen Bildungsangeboten. Dennoch gibt es rechtsextremistische Handlungen und Fremden- feindlichkeit auch in Stuttgart. Im Vorfeld von Ge- waltbereitschaft finden sich fremdenfeindliche Hal- tungen und Äußerungen, die nicht als Randerschei- nungen hingenommen werden dürfen. Das vorliegende Integrationskonzept sieht daher die Einbeziehung der Mehrheitsgesellschaft als einen zentralen und integralen Bestandteil der neuen Inte- grationspolitik vor. Hiermit werden zwei Zielvorga- ben verknüpft: die Bewusstmachung der Prämisse „eine Stadtgemeinschaft – viele Lebenswelten“ als positive gesellschaftliche Realität und die konse- quente Verfolgung und Bestrafung von fremden- feindlichen Handlungen. 3.2 Integrationsziele und Handlungsfelder Die künftige Integrationspolitik will im Sinne des neuen europäischen Leitbildes zur Integration kultu- relle Vielfalt und gesellschaftlichen Zusammen- halt in unserer Stadt fördern. Beides steht in einer Wechselwirkung zueinander: Die Akzeptanz von Vielfalt fördert den sozialen Zusammenhalt. Eine stabile Gesellschaftsordnung mit Wohlstand und sozialer Gerechtigkeit ist wiederum Vorausset- zung für die Bereitschaft, mit anderen Kulturen in Dialog zu treten. Eine wesentliche Voraussetzung für den Integrati- onserfolg und für den sozialen Frieden in einer heterogenen Stadtgesellschaft bildet die gleichbe- rechtigte Teilhabe der Zuwanderer an gesell- schaftlichen Ereignissen und am kommunalen Geschehen. Dies beinhaltet sowohl die gesellschaftliche und politische Partizipation in Übereinstimmung mit den gesetzlichen Möglichkeiten als auch Chancengleich- heit in den zentralen Bereichen des gesellschaftli- chen Lebens: sprachliche Verständigung, Schulbil- dung und berufliche Qualifizierung, Erwerbstätig- keit, Wohnsituation, Inanspruchnahme der kommu- nalen Serviceleistungen, selbstorganisierte Aktivitä- ten in Vereinen und Religionsgemeinschaften. In einer offenen Gesellschaft bedeutet kulturelle Vielfalt Bereicherung und damit zugleich eine Ver- besserung der Lebensqualität, aber auch ein Erfor- dernis für persönliche und gesellschaftliche Entwick- lung. Durch den Dialog mit anderen Kulturen erwei- tern alle Bevölkerungsgruppen ihr Repertoire an Handlungsmöglichkeiten und Fähigkeiten. Daraus lassen sich für die Integrationspolitik folgende Ziele ableiten: - Die Förderung der Partizipation und der Chancengleichheit von Menschen unter- schiedlicher Herkunft. - Die Förderung des friedlichen Zusammenle- bens der verschiedenen Bevölkerungsgruppen. - Die Nutzung der kulturellen Vielfalt für die Erweiterung der persönlichen und beruflichen Kompetenzen aller in der internationalen Gesellschaft. Die genannten Ziele werden in den einzelnen Handlungsfeldern durch Projekte und andere integrationsfördernde Maßnahmen umgesetzt. Daraus ergeben sich neue Schwerpunkte, wobei an dieser Stelle auf eine vollständige Aufzählung ver- zichtet wird. In den folgenden Abschnitten werden acht zentrale Handlungsfelder näher beschrieben. Sie gelten als Entwicklungsthemen von besonderer Bedeutung. Daneben gibt es bestehende Integrationsaufgaben und laufende Projekte, die fortgeführt werden, sowie zusätzliche Maßnahmen, die sich aus anderen Bezügen heraus entwickeln (z.B. Interdisziplinäre Arbeitsgruppen und Projekte gegen Armut in Stutt- gart, neue Projekte im Sozial-, Jugendhilfe- und Gesundheitsbereich, Runder Tisch gegen Diskrimi- nierung und für ein friedliches Zusammenleben in unserer Stadt). Die Qualität der Umsetzung wird durch eine enge Zusammenarbeit mit den Kooperationspartnern sichergestellt, die über eine langjährige Erfahrung in der Migrations- und Integrationsarbeit verfügen. Da- zu zählen vor allem die Migrationsdienste der freien Wohlfahrtspflege in Stuttgart. Auch die Volkshoch- schule Stuttgart nimmt wichtige Integrationsaufga- ben wahr: Sprachförderung, berufliche Qualifizie- rung, interkulturelle Verständigung und politische Bildung.
  • 21. 19 3.2.1 Die Förderung der Chancen- gleichheit durch Sprach- und Inte- grationskurse Die gemeinsame Sprache stellt eine Schlüsselqualifika- tion für die Teilhabe an der Gesellschaft dar. Die Be- herrschung der deutschen Sprache ist eine wesentli- che Voraussetzung für die berufliche Qualifikation und die Eingliederung in den Arbeitsmarkt. Gute Deutschkenntnisse erleichtern den Zugang zur politi- schen Information und ermöglichen ein tieferes Ver- ständnis der deutschen Gesellschaft. Sprach- und Integrationskurse richten sich nicht nur an Neuzuwanderer, sondern auch an die vielen bereits länger hier lebenden Einwanderinnen und Einwande- rer, die über keine ausreichenden Deutschkenntnisse verfügen. Eine wichtige Zielgruppe sind Frauen, die erst nach Eintritt ihrer Kinder in den Kindergarten oder in die Schule für sich eine Möglichkeit sehen, Deutsch zu lernen, und die auf bedarfsgerechte Angebote im Wohnumfeld angewiesen sind (Kurse entsprechend dem jeweiligen Sprach- und Bildungsniveau, Sicher- stellung der Kinderbetreuung, „Mama lernt Deutsch“- Kurse an Schulen). Die Sprachbefähigung junger Müt- ter ist zudem eine wichtige Voraussetzung für die För- derung der deutschen Sprache bei ihren Kindern. Die veränderten Förderbestimmungen der Bundesre- gierung zur Sprachförderung zugewanderter Perso- nen und die im Zuwanderungsgesetz des Bundesmini- sters des Inneren verankerten Integrationskurse für Neuzugewanderte machen es erforderlich, auf kom- munaler Ebene ein Gesamtsprachkonzept zu ent- wickeln. Ziele und Umsetzungsschritte dieses Gesamtsprach- konzeptes sind: Auf- und Ausbau eines bedarfsge- rechten und differenzierten Angebots für alle zuge- wanderten Stuttgarterinnen und Stuttgarter mit Inte- grationskursen des Bundes und ergänzenden kommu- nalen Kursangeboten, Installierung eines „Koopera- tionsnetzwerks Sprache“, Sicherstellung der zusätzlichen personellen Kapazitäten für die Gesamt- koordination der Sprachförderung. Von 2001 bis 2004 wurden in Stuttgart Integrations- kurse des Landes Baden-Württemberg zur Förderung von Deutsch- und Landeskenntnissen durchgeführt. Angeboten wurden bis zu 300 Stunden Einführung in die deutsche Sprache und sozial gesellschaftlicher Unterricht sowie Fördergespräche mit dem Ziel einer Erstorientierung in Deutschland. Das Angebot umfas- ste Grundkurse, Aufbaukurse sowie Alphabetisie- rungskurse. Die Finanzierung erfolgte bis zum Inkraft- treten des Zuwanderungsgesetzes über die Landesstif- tung Baden-Württemberg, durch Komplementärmittel der Landeshauptstadt Stuttgart sowie über Trägermit- tel und Teilnehmerbeiträge. Unter Federführung der Stabsabteilung für Integrati- onspolitik wurde ein Trägernetzwerk mit zwölf inter- kulturell erfahrenen Sprachkursanbietern installiert. Dadurch können die Kurse nach einheitlichen Qua- litätskriterien bedarfsorientiert und flächendeckend in den Stadtteilen angeboten werden. Seit 2002 wurden die personellen Kapazitäten der Stabsabteilung für Integrationspolitik erweitert, so dass eine kommunale Koordination der Sprachförderung gewährleistet ist. Durch das Zuwanderungsgesetz erfolgte ab Januar 2005 eine Neuregelung der Sprachkursförderung auf Bundesebene. Die Anbieter der Bundes-Integra- tionskurse wurden in das Kooperationsnetzwerk Sprachförderung nach dem „Stuttgarter Modell“ eingebunden, ebenso die Regionalkoordinatoren des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, die Ausländerbehörde, die ARGE JobCenter, das Sozial- amt sowie die Träger der Migrationserstberatung und der Jugendmigrationsdienste. In räumlicher Nähe zur Ausländerbehörde wurde im Sozialamt eine zentrale Erstberatungs- und Clea- ringstelle eingerichtet, um allen Migrantinnen und Migranten einen schnellen Zugang zum passenden Kursangebot zu ermöglichen. Neuzuwanderer bekommen in der Erstberatungsstelle von den Trä- gern der Migrationserstberatung einen Überblick über die vielfältigen Träger- und Kursprofile sowie über die aktuellen Starttermine der Kurse. Mitarbei- ter des Sozialamtes beraten Altzuwanderer über alle Kursangebote und führen bei Bedarf auch Sprach- tests durch. Zunehmend machen die JobCenter von der Mög- lichkeit Gebrauch, die Bezieher von Arbeitslosengeld II mit Sprachdefiziten an die Clearingstelle zu ver- mitteln. Dort erfolgt eine Kursberatung und ein Ein- stufungstest. Gegebenenfalls leitet die Clearingstelle auch das Verfahren zur Verpflichtung zum Besuch eines Integrationskurses über die Ausländerbehörde ein. Die Ausländerbehörde kann eine solche diffe- renzierte Beratung und Einstufung selbst nicht leis- ten.
  • 22. 20 3.2.2 Die Förderung der Chancen- gleichheit in Schule und Ausbildung Zentraler Ort der Vermittlung von Bildung und Spra- che ist die Schule. Besorgt müssen wir feststellen, dass die Bildungserfolge von Kindern und Jugendli- chen nichtdeutscher Muttersprachen in Stuttgart seit 20 Jahren nicht weiter gestiegen sind, sondern die Diskrepanz zu Kindern und Jugendlichen deut- scher Muttersprache im Wesentlichen gleich geblie- ben ist. Auch bundesweit stagniert die Entwicklung bei der Verbesserung der Schulabschlüsse von nicht- deutschen Jugendlichen seit Anfang der 90er-Jahre. Die Verbesserung der Schulabschlüsse von Jugendli- chen aus Zuwandererfamilien ist die beste Vorbeu- gung gegen soziale und gesellschaftliche Desinte- gration mit all ihren Folgen. Das gilt auch für deutsch- stämmige Kinder und Jugendliche aus osteuropäi- schen Spätaussiedlerfamilien. Bestehende Maßnah- men in diesem Bereich müssen ausgewertet und neue in Kooperation mit allen relevanten Stellen entwickelt werden. Die Landeshauptstadt Stuttgart baut seit dem Jahr 2000 konsequent die ganzheitli- che Sprach- und Bildungsförderung in Tagesein- richtungen für Kinder aus, um allen Kindern die gleichen Bildungschancen bei der Einschulung zu ermöglichen. Im Projekt „Einstein in der Kinderta- geseinrichtung“ werden Forschergeist, Spracherwerb und Sozialkompetenz der Kinder auf vielfältige Weise gefördert. Da sich die Förderprogramme im Primarbe- reich erst langfristig positiv auf den Schulerfolg aus- wirken werden, bedarf es zugleich weiterer Integrati- onsmaßnahmen in Schulen, insbesondere in Grund- und Hauptschulen mit einem hohen Migrantenanteil. Zu den schulischen Fördermaßnahmen, die den Schulerfolg hinsichtlich der Übergänge und der Abschlüsse verbessern, gehören: - Vorschulischer Bereich: Weiterentwicklung von Sprachförderkonzepten in Grundschulförderklas- sen und damit im Zusammenhang eine intensivier- te Kooperation zwischen Grundschulen und Kin- dertagesstätten - Schuleingangsbereich: Erste Klassen mit einem besonderen Sprachförderangebot - Vorbereitungsklassen für Grundschülerinnen und - schüler sowie für Schülerinnen und Schüler des Sekundarbereichs - Fördermaßnahmen während des Besuchs von Regelklassen - Grund- und Hauptschule: sprach- und bildungsför- dernde Projekte für Schüler und ihre Eltern in Zusammenarbeit von Schulen und außerschulischen Partnern: individuelle Lernhilfen und sprachfördern- de Gruppenangebote für Schüler mit unzureichen- den Deutschkenntnissen, Förderung der Ausbil- dungsreife von Acht- und Neuntklässlern, Elternbil- dungsangebote mit Informationen zum deutschen Schulsystem und mit Programmen zur Förderung ihrer Sprach- und Integrationskompetenz - Kooperationsklassen Hauptschule/Berufsschule - Ergänzende Angebote der Sprachförderung, der Hausaufgabenbetreuung und Vorbereitung auf Prüfungen werden von Schule-Eltern-Initiativen, von der Jugendhilfe und von zahlreichen anderen Initiativen im Rahmen der Ganztagesbetreuung geleistet. Die Stabsabteilung für Integrationspolitik hat seit dem Jahr 2002 in Verbund mit Schulen, dem Staat- lichen Schulamt, der Jugendhilfe, den Migrations- diensten und Bildungseinrichtungen freier Träger, den Kammern sowie mit zahlreichen Freiwilligen (Studenten, Senioren, Vertretern von Migranten- selbstorganisationen) mehrere Projekte an Grund-, Förder- und Hauptschulen initiiert, die alle zum Ziel haben, die schulische und berufliche Integration von Kindern und Jugendlichen aus Einwandererfamilien zu verbessern. Diese Angebote werden seit dem Jahr 2004 im Beruflichen Qualifizierungsnetzwerk zur Förderung der Chancengleichheit von Jugendlichen mit Migra- tionshintergrund (BQN Stuttgart) koordiniert und systematisch zu integrierten Fördersystemen weiter- entwickelt. Die Praxiserfahrungen aus den Modellprojekten und aus der Kooperation von Schulen und außerschuli- schen Partnern sollen in die Curricula der beteiligten Projektschulen Eingang finden und somit zur Qualität- sentwicklung des Unterrichts und zur Stärkung der Schulprofile im interkulturellen Kontext beitragen. Voraussetzungen für eine effektivere Förderung der Schüler und Auszubildenden mit Migrationshinter- grund sind:
  • 23. 21 - Erweiterung der interkulturellen Kompetenz von Schulen bei ihrem Bildungsauftrag in der Einwan- derungsgesellschaft - Stärkung der Migranteneltern in ihrem Erziehungs- und Bildungsauftrag, verbunden mit ihrer aktiven Teilhabe am Schulgeschehen - eine engere Zusammenarbeit der Wirtschaft mit Hauptschulen Jugendliche aus Migrantenfamilien müssen noch in- tensiver bei der Suche nach Arbeitsstellen unterstützt werden, die ihrer tatsächlichen beruflichen Qualifi- kation entsprechen. Sie sind auch bei der Einstel- lung von Auszubildenden in städtischen Ämtern stärker zu berücksichtigen. Diese Jugendlichen haben oft zusätzliche sprachliche und interkulturelle Kom- petenzen, die entsprechend anerkannt werden sollen. 3.2.3 Berufliche Integration Erwerbstätigkeit und das daraus erwirtschaftete Ein- kommen bilden die Voraussetzung für eine gleich- berechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Die Partizipation am Arbeitsmarkt stellt somit eine der zentralen Bedingungen für eine erfolgreiche Integration dar. Erwerbstätigkeit ist mehr als ökonomische Unab- hängigkeit. Sie ermöglicht soziale Kontakte, stärkt das Selbstwertgefühl, erweitert den Horizont und vergrößert die Identifikation mit dem Gemeinwesen. Hinsichtlich der negativen Aspekte des Strukturwan- dels sind Migrantinnen und Migranten überdurch- schnittlich vom Wegfall industrieller Arbeitsplätze betroffen – vor allem, weil sie besonders für Beschäftigungen rekrutiert worden waren, die früher eine geringe Qualifikation erforderten. Positive wirtschaftliche Impulse erfährt Stuttgart durch Zugewanderte, die eigene Betriebe gegründet haben – mit relevanten Beschäftigungseffekten auch in die Mehrheitsbevölkerung hinein. Auch im Dienstleistungssektor und Hinblick auf die Entwick- lung innovativer Beschäftigungsfelder spielen Migrantinnen und Migranten eine wichtige Rolle. Zukünftig wird sich allein schon aus demografischen Gründen die Nachfrage nach qualifizierten Fachkräften erhöhen. Dieser Bedarf wird zum Teil durch die nach- wachsende eigene Bevölkerung zu decken sein, einschließlich der jungen Menschen mit Migrationshin- tergrund. Wie alle wirtschaftlich dynamischen Metro- polregionen wird Stuttgart darüber hinaus kontinuier- lich neue Zuwanderer anziehen und auch benötigen. Folglich charakterisieren zwei gegensätzliche Ent- wicklungen die Beschäftigungssituation von Zuge- wanderten: positive wirtschaftliche Impulse durch selbständige Gewerbetreibende und qualifizierte Fachkräfte auf der einen Seite, überdurchschnittli- che Arbeitslosigkeit gerade unter den Migranten mit einem niedrigen Qualifikations- und Bildungsni- veau auf der anderen Seite.Diese Entwicklungen sind bei der Gestaltung der Stuttgarter Arbeits- markt- und Integrationspolitik zu berücksichtigen. Dabei kristallisieren sich drei vorrangige Handlungs- felder heraus: - Die Chancen der Arbeitsmarktreformen (Hartz IV) und des Zuwanderungsgesetzes für die Arbeitsför- derung von benachteiligten Migrantinnen und Migranten nutzen: gezielte Ausrichtung der Quali- fizierungsmaßnahmen und der damit verbundenen Sprachvermittlung auf die Bedürfnisse und Poten- ziale der Arbeitslosen mit Migrationshintergrund. Durch die begonnene interkulturelle Ausrichtung der JobCenter und durch ihre Einbindung in das Stuttgarter Kooperationsnetzwerk der Sprachkurs- förderung können die individuellen Eingliede- rungshilfen optimiert werden, damit für die Betrof- fenen durch die verschiedenen aufeinander abge- stimmten Fördermaßnahmen die jeweils beste Fachqualifikation erreicht wird. - Verbesserung der Ausbildungssituation und der Beschäftigungssituation von Jugendlichen und jun- gen Erwachsenen durch individuell ausgerichtete Beratungsangebote und Qualifizierungsprogramme im Verbund aller relevanten Akteure nach dem Vor- bild des Beruflichen Qualifizierungsnetzwerks BQN Stuttgart (Schulen, Agentur für Arbeit, Kammern, Jugendhilfe, Stabsabteilung für Integrationspolitik, Migrationsdienste und Migrantenselbstorganisatio- nen). Dabei sind auch die Ausbildungs- und Beschäftigungspotenziale der Zuwandererbetriebe stärker zu nutzen. Bei Neueinstellungen und in der Ausbildung für den Öffentlichen Dienst soll der Anteil von Migrantinnen und Migranten im Zuge der interkulturellen Ausrichtung erhöht werden. - Förderung selbständiger Tätigkeit: Unterstützung von Existenzgründungen durch interkulturell ausge- richtete Beratungs- und Qualifizierungsangebote sowie durch Beseitigung der Hindernisse bei der Kreditvergabe.
  • 24. 22 3.2.4 Die Förderung der Integration in den Stadtteilen Integration fängt im Lebensumfeld an: Wohnen und Nachbarschaft, Kindergarten, Schule und Jugend- treff, Arbeitsstätte, Engagement in Vereinen, bürger- schaftlichen Initiativen und Religionsgemeinschaf- ten. Und es gibt zahlreiche bürgerschaftliche Initiati- ven, die bereits jetzt eine wichtige Integrationsarbeit in den Stadtteilen leisten: Sicherheitsbeiräte, Sport- und Kulturvereine, Migrantenvereine, Kirchenge- meinden, Freundeskreise Asyl, Jugendräte u.a. Bezirksvorsteher und Bezirksbeiräte geben zahl- reiche Impulse für das Zusammenleben im Stadtbe- zirk. Fachkräfte aus der pädagogischen und der so- zialen Arbeit treffen sich regelmäßig in den so ge- nannten „Stadtteilrunden“, bzw. regionalen Hand- lungsfeldkonferenzen, in denen sie sich gemeinsam für die Verbesserung der Lebensverhältnisse von Kin- dern, Jugendlichen, Familien und älteren Menschen im Wohnquartier einsetzen. Daneben gibt es Runde Tische und Arbeitskreise unter Einbeziehung von Stadtplanern und anderen Fachleuten, die verschie- dene Maßnahmen zur Förderung der Integration und zum Abbau von sozialer und ethnischer Segregation in den Stadtteilen auf den Weg bringen. 15 Stuttgarter Bezirke haben bereits einen Lokale Agenda-Prozess eingeleitet. Vor allem in Stadtbezir- ken mit einem hohen Anteil an nichtdeutscher Wohnbevölkerung spielt die Frage des Zusammenle- bens im Sinne von Sich-Wahrnehmen, Tolerieren und Akzeptieren von deutschen und nichtdeutschen Mitbürgern eine zunehmende Rolle. Konflikte, die sich aus dem Zusammenleben im Wohnumfeld und im Stadtteil ergeben, haben eine besondere Bedeutung. Hier wird in erster Linie über Integrationsbereitschaft entschieden. Konflikte müs- sen früh erkannt und gelöst werden, damit ein friedliches Miteinander sichergestellt werden kann („Frühwarnsystem“). Mit der Mediation durch interkulturell erfahrene haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus der Sozialarbeit existiert bereits ein Angebot zur Konfliktlösung in Einzelfällen. Die Inte grationsbeauftragten koordinieren dieses Vermitt- lungs- und Streitschlichtungsangebot.
  • 25. 23 Neben der bewährten Mediation in konkreten Streitfällen (Intervention) bedarf es eines intensiver- en interkulturellen Dialogs vor Ort im Alltag (Prävention). Bestehende bürgerschaftliche Initiati- ven und die verschiedenen Migrantengruppen kom- men verstärkt ins Gespräch und entwickeln gemein- sam vertrauensbildende und integrationsfördernde Aktivitäten im Stadtteil. Engagierte Schlüsselpersonen mit bikultureller Kompetenz sind wichtige Brückenbauer zwi- schen den Kulturen. Solche interkulturellen „key persons“ sind wertvolle sachkundige Ansprechpart- ner vor Ort – sowohl für ehrenamtlich engagierte deutsche und nichtdeutsche Stadtteilbewohner als auch für die Institutionen im Stadtbezirk. Sie sind in der Lage, die zugewanderte Bevölkerung stärker für das bürgerschaftliche Engagement im Stadtteil zu gewinnen. Sehr ermutigende Beispiele gibt es überall dort, wo interkulturell erfahrene hauptamtliche Fachkräfte den Dialog zwischen den verschiedenen Bevölke- rungsgruppen in Gang setzen und moderieren (sozusagen als „Stadtteilmanager für Interkulturelles und Integration“), wie z.B. im „Haus 49“ im Nord- bahnhofviertel oder beim Projekt „Soziale Stadt“ in Freiberg/Mönchfeld, Rot und Fasanenhof. Als weite- re erfolgreiche Beispiele der letzten Jahre können die von einer Bezirksvorsteherin angeregten Akti- vitäten in Neugereut angeführt werden (Sprachför- derung, Hip-Hop-Projekt gegen Gewalt von rechts), ferner der Runde Tisch in Hallschlag, die Kooperati- on Flüchtlingshilfe-Schule in Degerloch (bessere Integration von Flüchtlingskindern in Schule und Stadtteil) sowie die von Stadtteilrunden unter der Federführung der Jugendhilfe initiierten Angebote in Stuttgart-Ost und in den Oberen Neckarvororten (interkulturell ausgerichtete Stadtteilveranstaltun- gen). Hauptamtliche haben zum Teil andere Mög- lichkeiten als Ehrenamtliche, wenn es darum geht, nachhaltig integrationsförder-nde Projekte zu initiie- ren, wie z.B. Internationales Frauencafé, Deutsch- kurse für Migrantenmütter in Räumen von Kinder- gärten oder Schulen, internationale Stadtteilbegeg- nungen etc. Zentrale Ansprechstellen wie die Stabsabteilung für Integration können solche stadtteilkundigen Ver- trauenspersonen unterstützen und ergänzen, aber nicht ersetzen. Deshalb ist die Einbindung von interkulturell kompetenten haupt- und ehren- amtlichen Personen in die bestehenden Stadt- teilstrukturen eine wesentliche Voraussetzung für die Integrationsarbeit im sozialen Nahraum. In diesem Zusammenhang ist ein Projekt zur För- derung des Interkulturellen Dialogs und der Integration in den Stadtteilen geplant: Die Integrationsbeauftragten erheben zusammen mit Kooperationspartnern, die vor Ort arbeiten, welche bür- gerschaftlichen Initiativen in den einzelnen Stadtbezirken bereits erfolgreich arbeiten (Sicherheitsbeiräte, Vereine, von Fachleuten organisierte Stadtteilrunden, Initiativen im Programm „Soziale Stadt“ u.a.m.). In Zusammenhang mit der Bestandsaufnahme wird ermittelt, in welchen Stadt- teilen interkulturell erfahrene und engagierte Stadtteilbe- wohner bereits in die bestehenden Strukturen vor Ort aktiv eingebunden sind. Es wird ferner ausgelotet, inwie- weit in den Migrantenvereinen weitere interessierte mehrsprachige Vertrauenspersonen vorhanden sind, die in den interkulturellen Stadtteil-Dialog stärker einbezogen werden können. Die integrative/interkulturelle Stadtteilarbeit wird ferner durch projektbezogene Kooperationen verstärkt und wei- ter professionalisiert. Die Stadtteilgremien stehen bezüg- lich ihrer Integrationsarbeit in engem Austausch mit den Integrationsbeauftragten (S-IP), die weitere Integrations- maßnahmen im Verbund mit den verschiedenen Koope- rationspartnern in den Stadtteilen koordinieren: Sprach- und Integrationskurse, Mediation u.a. 3.2.5 Die Unterstützung von inter- kulturellen Initiativen und von neuen Formen der interkulturellen Zusammenarbeit Stuttgart weist als internationale Stadt ein breites und qualitativ hoch stehendes Kulturangebot auf, zu dem auch renommierte Institutionen mit internatio- naler Bedeutung und Aufgabenstellung zählen. Im Zuge der Arbeitszuwanderung sind zahlreiche Kul- turvereine der verschiedenen Migrantengruppen ent- standen, die ihre Aufgabe zunächst darin sahen, die traditionelle Kultur ihrer Herkunftsländer zu erhalten und zu pflegen und einen Ort der Begegnung unter Landsleuten zu schaffen. Seit einigen Jahren bilden sich verstärkt interkultu- relle Initiativen, die über die engere Kulturarbeit hin- aus einen wichtigen Beitrag zur Verständigung und Integration leisten. Sie wollen den gesellschaftlichen Wandel kulturell reflektieren und – wichtiger noch – für das Zusammenleben in der Stadt fruchtbar ma- chen. Die internationale Bevölkerung in Stuttgart und im Umland sucht verstärkt die Gelegenheit, ihre Farben, ihr Profil zu zeigen. Sie möchte im Kulturle- ben der Stadt vorkommen und ihre Interessen im kulturellen Angebot der Stadt aufgenommen sehen. Die Akteure, d.h. die im kulturellen Bereich angesie- delten Vereine und Projekte, aber auch die zahlrei- chen hier lebenden Künstlerinnen und Künstler nicht- deutscher Herkunft treten zunehmend aus der Nische der so genannten „Migrantenkunst“ heraus. Sie fordern ein neues Verständnis kommunaler Kul-
  • 26. 24 tur, die Internationalität mit den lokalen Traditionen und Initiativen verbindet und in den Kontext eth- nischkultureller Pluralisierung integrieren soll. Dieser Ansatz wurde 1996 in dem Positionspapier von Dr. Wolfgang Schuster als damaligen Kulturbür- germeister dargelegt: „Stuttgart auf dem Weg zur interkulturellen Stadt – Konzeptionelle Ansätze und Fördermaßnahmen“. Mit der Gründung des Forums der Kulturen Stuttgart hat die Umsetzung des neuen Konzepts begonnen. Das Forum der Kulturen versteht sich als Dachver- band nichtdeutscher Kulturvereine und interkulturel- ler Einrichtungen. Seit April 2001 gibt es eine kosten- lose Monatszeitschrift „Interkultur Stuttgart – Begegnung der Kulturen“ heraus. Der Initiativkreis Interkulturelle Stadt Stuttgart IKIS ist ein Zusammenschluss von Institutionen in Stutt- gart unter der Federführung des Insituts für Aus- landbeziehungen (ifa), die den internationalen Kultu- raustausch unterstützen und den interkulturellen Dialog fördern. Das Deutsch-Türkische Forum ist ein Verein, der in der Region Stuttgart die kulturelle Integration för- dert. Dieser Verein unterstützt die Bemühungen um das deutsch-türkische Miteinander und versteht sich als Begegnungsstätte, in der türkische und deutsche Bürger gleichberechtigt mit partnerschaftlicher Hal- tung in einen Dialog treten können. Das Forum der Kulturen und das Deutsch-Türkische Forum werden seit dem Jahr 2000 durch die Lan- deshauptstadt Stuttgart gefördert (Kulturamt). Das Kulturamt der Stadt Stuttgart hat in seinem Förderbereich in den letzten Jahren folgende Schwerpunkte gesetzt: - Beratung von nichtdeutschen Kulturvereinen und deutsch-ausländischen Gesellschaften, - Finanzielle Förderung von Veranstaltungen nach den im Jahr 2000 beschlossenen und später modi- fizierten Förderrichtlinien, - Förderung von interkulturellen Kooperationspro- jekten, - Gewährung finanzieller Sanierungszuschüsse in Notlagen von Vereinen, - Förderung internationaler Beziehungen, u.a. im Rahmen von Städtepartnerschaften, - Beziehungen zu bzw. Kooperation mit ausländi- schen Kulturinstituten und Konsulaten (z.B. die „Französische Woche in und um Stuttgart“), - Beratung und Information über europäische För- derprogramme und bei der Durchführung von Pro- jekten, - Veranstaltung der Vortragsreihe „Interkultur im Rathaus“. Die verschiedenen Einrichtungen des Kulturamts verwirklichen den Aspekt der Interkulturalität in ihrem Programm in besonderem Maße. Es sind dies z.B. die Stadtbücherei mit ihren Stadtteilbüchereien, der TREFFPUNKT Rotebühlplatz, die Stuttgarter Musikschule und der Museumspädagogische Dienst. Dazu gehört jedoch auch die Arbeit von der Stadt geförderter Institutionen wie z.B. die Volkshoch- schule Stuttgart, des Linden-Museums und des Insti- tuts für Auslandsbeziehungen. 3.2.6 Das Zusammenleben mit den Muslimen und der interreligiöse Dialog Die Schwierigkeiten, die im Herbst 2000 in Zusam- menhang mit der Dialogreihe „Muslime in Stuttgart und ihr Glaube“ und mit dem geplanten Kulturzen- trum in Heslach entstanden sind, waren ein wichti- ger Hinweis darauf, dass der Dialog mit den Musli- men neu konzipiert werden muss. Grob geschätzt gehören 50 000 Stuttgarterinnen und Stuttgarter dem Islam an (Statistisches Amt, 2001). Somit bildet der Islam nach den beiden großen christlichen Konfessionen, wie überall in Deutschland, die drittgrößte Glaubensgemeinschaft. Nach wie vor haben die türkischstämmigen Muslime daran den größten Anteil. Da der Islam keine festen Hierarchien und Organisationsformen kennt, sind auch in Stuttgart verschiedene Strömungen und Gruppierungen vertreten.
  • 27. 25 „Für den vertrauensvollen und offenen Dialog zwi- schen Muslimen und Nicht-Muslimen, für den Abbau von Vorurteilen und Klischeevorstellungen ist es wichtig, über den Glauben des jeweils anderen Bescheid zu wissen.“ (Barbara John, ehemalige Aus- länderbeauftragte des Senats Berlin) Letztlich auch mit dieser Zielsetzung hat die Stadt Stuttgart die Dialogreihe der „Weltreligionen im Rathaus“ initiiert und die Bildung eines „Runden Tisches der Religionen“ und den Gesprächskreis der Muslime mit dem Integrationsbeauftragten angeregt. Die Landeshauptstadt unterstützt so auf eine ihr gemäße Weise den interreligiösen Dialog und speziell den Austausch mit den Muslimen, jedoch nicht im Sinne der Auseinandersetzung mit den religiösen Inhalten. Der interreligiöse Dialog bleibt in der Zuständigkeit der Glaubensgemein- schaften. Ziele der Integrationspolitik sind auch hier das fried- liche Zusammenleben von Stuttgarterinnen und Stuttgartern verschiedener Glaubensrichtungen, Chancengleichheit für Muslime in allen Lebensberei- chen sowie Förderung der gesellschaftlichen Teilha- be auf der Grundlage der deutschen Rechtsord- nung. Seit den Terroranschlägen in den USA hat das ohne- hin durch gegenseitige Vorurteile belastete Verhält- nis zu den Muslimen Schaden genommen. Die Mehr- heitsgesellschaft wird einerseits ihrer Verantwortung hinsichtlich Pauschalverurteilungen und der Gefahr von Ausländerfeindlichkeit und Rechtsextremismus gerecht werden müssen. Zur Herstellung einer Ver- trauens- und Verständigungsbasis müssen anderer- seits auch die Muslime selbst beitragen. Insbesonde- re ist die Mehrheitsgesellschaft darauf angewiesen, dass Muslime Extremismus und fundamentalistische Tendenzen, die einer Integration zuwiderlaufen, erkennen und öffentlich benennen. Die Muslime sind gefordert, den Dialog untereinander und zu den Nicht-Muslimen von sich aus fortzuset- zen. Inzwischen ist ein innermuslimischer Konsens über Lehrpläne für einen Islamunterricht an Grund- schulen in Baden-Württemberg erzielt. Die Vermitt- lung der Grundlagen des eigenen Glaubens in hiesi- gem Schulunterricht ist ein guter Schutz vor Extre- mismus und eine große Chance für den interreligiö- sen Dialog. Der Islamische Religionsunterricht wird ab dem Schuljahr 2006/2007 im Modellversuch an zwei Stuttgarter Grundschulen erprobt. Ein intensiverer Austausch mit den Muslimen muss auch in den Stadtteilen erfolgen. Er ist ein Bestand- teil der weiterentwickelten Integrationsarbeit im Wohnumfeld (siehe Kapitel 3.2.4). Miteinander leben heißt, am Leben der anderen teilzuhaben. Das beinhaltet mehr als nur die Kenntnisse von der Reli- gion seiner Nachbarn: es umfasst gegenseitige Hilfe, wechselseitiges Lernen und gemeinsames Feiern. Die großen christlichen Kirchen und alle anderen Religionsgemeinschaften in unserer Stadt tragen bereits jetzt sehr viel zur Verständigung zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen bei. Sie haben eine zentrale Vermittlerrolle bei der Bewertung und der Bewältigung von Konflikten, die sich aus der In- strumentalisierung der Religion für politische Zwecke ergeben. Der interreligiöse Dialog der Glaubens- gemeinschaften leistet einen wichtigen Beitrag zum friedlichen Miteinander in unserer Stadt. 3.2.7 Die interkulturelle Ausrich- tung der Stadtverwaltung Integrationspolitik ist ebenso wie die Gleichstel- lungspolitik eine kommunale Querschnittsaufgabe und kein Spezialthema bestimmter Ressorts. In einer zunehmend internationalen Stadt findet auch eine verstärkt internationale und interkulturelle Ausrich- tung der Verwaltung statt. Dieser Entwicklungspro- zess ist aufgrund der gesamtgesellschaftlichen Be- deutung und der Komplexität des Themas eine Führungsaufgabe. Deswegen liegt die Verantwortung für die Weiterentwicklung der integrationsfördernden Maßnahmen in den Ämtern und bei den freien Trä- gern, bei den Leitungen der zuständigen Organisa- tionen, ferner bei den Planern und auf der Ebene der Abteilungen, Teams und Mitarbeiter. Die Ge- samtverantwortung für das Thema hat dabei der Oberbürgermeister. Die Amtsleiterinnen und Amtsleiter und entspre- chend die Bezirksvorsteherinnen und -vorsteher selbst sind deshalb in ihren Zuständigkeitsbereichen für die interkulturelle Öffnung ihrer Dienste und für das interkulturelle Qualitätsmanagement ihrer Lei- stungsangebote verantwortlich. In diesem Sinne
  • 28. 26 sind sie de facto schon bisher die Integrationsbeauf- tragten in ihren Ämtern und Stadtbezirken und sol- len es auch künftig de iure sein. Sie werden bei der Planung und Durchführung von Maßnahmen für Menschen verschiedener kultureller Herkunft durch die Stabsabteilung für Integrationspolitik nach Kräf- ten unterstützt. Auch auf Arbeitsebene werden – wie bisher – nach Bedarf Projektgruppen gebildet, die sich aus sachkundigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Ämter zusammensetzen. Hier spielen mehrere ineinander greifende Maßnah- men eine wichtige Rolle: die Entwicklung von inter- kulturellen Leitlinien und Konzepten für die ein- zelnen Handlungsfelder und damit verbunden eine Neuausrichtung der Arbeitsstrukturen und Förder- richtlinien, interkulturelle Qualifizierung von Mit- arbeiterinnen und Mitarbeitern, Einstellung von mehrsprachigen Fachkräften aus der zuge- wanderten Bevölkerung (mit Signalwirkung nach außen), Pflege bzw. Aufbau von professionellen Dolmetscherdiensten sowie der Aufbau von interkulturellen Teamstrukturen für die Optimie- rung der integrationsfördernden Arbeit. Der Arbeitskreis „Kommunale Ausländerbeauftrag- te“ im Städtetag Baden-Württemberg hat unter aktiver Mitwirkung der Landeshauptstadt Stuttgart die „Handlungsempfehlungen für eine interkulturel- le Kommunalverwaltung“ entwickelt und im November 2003 beschlossen. Eine internationale Stadt als attraktiver Standort im globalen Wettbewerb muss ihre Serviceleistungen optimal an die Bedarfslagen der Bürger mit ihren sprach-, kultur- und Imigrationsspezifischen Merk- malen anpassen. Die interkulturelle Öffnung der Regeldienste und Interkulturelles Qualitätsma- nagement sind zentrale Aufgaben der modernen Organisations- und Personalentwicklung im Rah- men der kommunalen Gesamtsteuerung. Der Bürgerservice einer internationalen Kommune muss daher – analog der Wirtschaft – Methoden zum professionellen Umgang mit kultureller Diversität entwickeln („Managing Diversity Ansatz“). Die Träger der Stuttgarter Kinder- und Jugendhilfe haben im Jahr 2004 die Leitlinien zur Integration und interkulturellen Orientierung der Kinder- und Jugendhilfe in Stuttgart entwickelt, die im Jahr 2005 vom Gemeinderat beschlossen worden sind. Damit ist die Jugendhilfe innerhalb der Stadtverwal- tung Vorreiter bei der Umsetzung des Stuttgarter „Bündnisses für Integration“. 3.2.8 Politische Partizipation Für die Stärkung der demokratischen Stadtgesell- schaft in ihrer heutigen multikulturellen Prägung ist ein starkes politisches und gesellschaftliches Enga- gement aller Bevölkerungsgruppen wünschenswert. Besonders wichtig ist dabei auch, dass sich Zuwan- derer für ihre Belange in dieser Gesellschaft einset- zen und sich sinnvoll engagieren können. Ein wichtiges kommunalpolitisches Forum dafür bie- tet der Internationale Ausschuss des Gemeinde- rats der Landeshauptstadt. Er berät und unter- stützt den Gemeinderat in allen Fragen, die die nicht- deutsche Bevölkerung in Stuttgart betreffen. In die- ser Funktion ist er ein wichtiger „Querschnitts-Fach- ausschuss“. Die Auseinandersetzung mit inter- kulturellen und mit integrationsrelevanten Themen muss aber auch in anderen beschließenden und beratenden politischen Gremien verankert werden. Da die Zahl der „Pass-Ausländer“ in Stuttgart auf- grund des neuen Staatsangehörigkeitsgesetzes abnimmt und zugleich der Bevölkerungsanteil der Einwohnerinnen und Einwohner mit Migrationshin- tergrund wächst, hat sich auch die Bedeutung des Internationalen Ausschusses als kommunale Auslän- dervertretung verändert. Der Internationale Aus- schuss fungiert in seiner neuen Zusammensetzung ab Dezember 2004 nicht mehr als eine gewählte Vertretung der Ausländer, sondern als beratender Fachausschuss des Gemeinderats für Integration. Die sachkundigen Einwohnerinnen und Einwohner wurden in den neuen Ausschuss aufgrund ihrer Fachkompetenz und ihres Engagements in verschie- denen integrationspolitischen Handlungsfeldern berufen. Sie arbeiten in diesem Gremium nicht als Vertreter von verschiedenen Nationalitätengruppen, sondern als Experten für Sprachförderung, schuli- sche und berufliche Bildung, Soziales und Jugend, Arbeitsmarkt und Wirtschaft, Zusammenleben, Stadtentwicklung und Sicherheit, Kultur und Mitein- ander der Religionen. Migrantinnen und Migranten steht es offen, sich parteipolitisch zu engagieren. Eine gleichberechtigte politische Partizipation wird erst mit der Erlangung der deutschen Staatsbürgerschaft ermöglicht. Durch die rechtliche Gleichstellung als deutsche Staatsbür- ger werden Zugewanderte ein gleichwertiger politi- scher Faktor und können direkt Einfluss auf die Bun- des-, Landes-, Europa- und Kommunalpolitik neh- men. Derzeit können sich nur EU-Bürgerinnen und -Bür- ger an Europa- und Kommunalwahlen beteiligen. Die so genannten „Drittstaatsangehörigen“ – immerhin zwei Drittel aller Ausländerinnen und
  • 29. 27 Ausländer in unserer Stadt – sind von diesen für die demokratische Willensbildung elementaren Partizi- pationsmöglichkeiten ausgeschlossen. Die auslän- derrechtlich bedingte Dreigliederung der Zugewan- derten in - Personen mit deutschem Pass, - EU-Bürgerinnen und - Bürger sowie - Drittstaatsangehörige erschwert letztlich den Integrationsprozess und den Zusammenhalt der heterogenen Stadtgesellschaft. Auf der anderen Seite nutzen die nichtdeutschen Stuttgarterinnen und Stuttgarter die bestehenden Möglichkeiten der politischen Partizipation nicht genügend. Ihre Beteiligung bei Wahlen zum Inter- nationalen Ausschuss und bei Kommunalwahlen war in den letzten Jahren sehr gering. Die Grundannahmen der früheren Ausländerpolitik haben hier möglicherweise auch eine Rolle gespielt, die den Heimatkulturen und dem politischen Ge- schehen in den Herkunftsländern eine größere Be- achtung schenkte als der interkulturellen Öffnung der Minderheiten und ihrer Teilhabe am öffentlichen Leben hierzulande. Die Zuwandererinnen und Zuwanderer können ihre Forderungen nach gleichberechtigter Teilhabe am politischen Geschehen auch dadurch glaubwürdig bekräftigen, dass sie sich stärker in den hiesigen gesellschaftlichen und politischen Strukturen enga- gieren. Die nichtdeutschen Mitglieder des Internationalen Ausschusses (und des früheren Ausländerausschus- ses) haben jahrzehntelang dieses Engagement aufge- bracht und sind sehr motiviert, ihre politische Arbeit zu intensivieren. Da sie im Gegensatz zu den Gemeinderatsfraktionen über keine eigene Geschäftsstelle verfügen, werden sie in noch stärke- rem Maße von der Stabsabteilung für Integrationspo- litik als der geschäftsführenden Stelle des Ausschus- ses unterstützt. Dies ist mit den bestehenden Kapa- zitäten allerdings nur unzureichend leistbar. 3.2.9 Medien und Information in der internationalen Bürgergesell- schaft In der heutigen Informations- und Wissensgesell- schaft kommt dem Zu- und Umgang mit Informati- on und Wissen ein hoher Stellenwert zu. Chancen- gleichheit setzt gleiche Zugangsmöglichkeiten und den kompetenten Umgang mit Wissen und Infor- mationen voraus. Die modernen Medien nehmen hier eine Schlüsselstellung ein. Moderne Technologi- en einerseits und die globalisierten Angebote ande- rerseits haben die Strukturen der Mediennutzung grundlegend verändert. Auch das Wechselverhältnis zwischen Zugewanderten und Medien hat sich sehr verändert. Die Rolle der Medien im Spannungsver- hältnis zwischen Integrations- und Desintegrations- prozessen wird zunehmend ein Gegenstand der Medien- und Migrationsforschung. Die bisherige traditionelle „Ausländerpolitik“ zielte hier im Wesentlichen auf die Ausweitung des fremdsprachlichen Angebots der öffentlich-rechtli- chen Rundfunkanstalten und die Vermeidung von unnötigen Negativbildern von Nichtdeutschen in den Printmedien, wie etwa die Benennung der Nationalität bei kleinkriminellen Delikten in den Lokalseiten der Presse. Inzwischen ist eine große Zahl von fremdsprachlichen Angeboten in Deutschland, vornehmlich für die Tür- kisch sprechende Bevölkerung zu verzeichnen. Die Ausdifferenzierung von fremdsprachlichen Angebo- ten aus den Herkunftsländern hierzulande bewirkt ein erhöhtes Interesse für Prozesse und Ereignisse außerhalb Deutschlands und erschwert den Dialog insofern, als die Mehrheitsgesellschaft nicht über die nötigen Sprachkenntnisse verfügt, um sich an den daraus entstehenden Diskussionen unmittelbar zu beteiligen. Andererseits haben die Berichte der deutschen Mas- senmedien die Herausbildung von Vorurteilen den Nichtdeutschen gegenüber und die Zunahme von fremdenfeindlichen Aktivitäten und Delikten bislang leider kaum verhindern können. Bei dem Perspektivenwechsel im vorliegenden Posi- tionspapier soll daher der Wirkungsweise der Medi- en, einschließlich dem Internet, große Aufmerksam- keit zukommen. Eine Analyse der Nutzung der Medien in Stuttgart, insbesondere bei den Jugendli- chen der zweiten und dritten Generation, sowie die Initiierung von Bildungsmaßnahmen, die zu einer kritischen interkulturellen Medienkompetenz führen können, sind wichtige Aufgaben. Das Interesse für deutschsprachige Medienangebote kann hierdurch erhöht werden. Ebenso wichtig ist die Nutzung der neuen Medien für interaktive Foren des Dialogs, die zudem einen qualifizierenden Aspekt mit sich bringt, der arbeits- marktrelevant sein kann. Interaktive Foren, die in der Jugendarbeit in den Stadtteilen verankert sein sollten, müssen von ausgebildeten Personen mode- riert werden.