Gereon Röckrath: Leistungsstörungen bei der Abwicklung von Verträgen im Kulturbereich, Teil II
1. A Rechtsgrundlagen
A1 Deutsche, europäische und internationale Rechtsgrundlagen
Leistungsstörungen bei der Abwicklung
von Verträgen im Kulturbereich
A
1.9
Prof. Dr. Gereon Röckrath S. 1
Geschäftsführer der HamburgMusik gGmbH − Elbphilharmonie und Laeiszhalle
Betriebsgesellschaft und Geschäftsführer der Elbphilharmonie und Laeiszhalle
Service GmbH, Lehrbeauftragter am Institut für Kultur- und Medienmanagement
der Hochschule für Musik und Theater Hamburg sowie Lehrkraft beim Internati-
onalen Studiengang Kultur- und Medienmanagement in Riga.
Inhalt Seite
1. Schadenersatz statt der Leistung (§§ 283, 280 BGB) 2
1.1 Vertretenmüssen der Pflichtverletzung 3
1.2 Schaden 6
2. Aufwendungsersatz (§ 284 BGB) 7
2.1 Verträge mit wirtschaftlicher und mit ideeller Zielsetzung 8
2.2 Interessenlage der Vertragsparteien beim Aufwendungsersatz 9
2.3 Aufwendungsersatz vor und nach dem
Schuldrechtsmodernisierungsgesetz 10
2.4 Voraussetzungen des Aufwendungsersatzanspruchs 11
2.5 Alternativität von Schadenersatz statt der Leistung und
Aufwendungsersatz 17
2.6 Versicherungsschutz für Aufwendungsersatz 17
57 Kultur & Recht April 2012
2. A Rechtsgrundlagen
A1 Deutsche, europäische und internationale Rechtsgrundlagen
Rechtsfolgen der Nichtleistung (Fortsetzung)
A 1. Schadenersatz statt der Leistung (§§ 283,
1.9 280 BGB)
S. 2
Hat der Leistungsempfänger keine weiteren finanziellen Einbußen erlitten, kann
er sich ohne Weiteres mit der in § 326 BGB geregelten Befreiung von der Ver-
pflichtung zur Erbringung der Gegenleistung begnügen. Hat die vom Schuldner
verschuldete Unmöglichkeit hingegen zu einer Minderung seines Vermögens
geführt, wird er bestrebt sein, diese vom Schuldner ersetzt zu bekommen.
Diese Konstellation verdeutlicht das nachfolgende Fallbeispiel:
Der Kunstsammler A hat bei einer Kunstgalerie ein Gemälde zum Preis
von 10.000 € erworben. Die Übergabe des Gemäldes an den Kunstsamm-
ler A ist unmöglich geworden, da die Galerie trotz des mit dem Kunstsammler A
abgeschlossenen Kaufvertrages das Gemälde zu einem höheren Preis an den
Kunstsammler B verkauft und diesem auch Eigentum am Gemälde verschafft hat.
Da für den Galeristen keine realistische und finanziell vertretbare Möglichkeit
besteht, das Gemälde wiederzuerlangen, liegt ein Fall der wirtschaftlichen Un-
möglichkeit vor.
a) Der Kunstsammler A hatte das Gemälde bereits an den Kunstsamm-
ler C weiterverkauft. Mit dem Kunstsammler C hatte er einen Kaufpreis
von 15.000 € vereinbart.
b) Der Kunstsammler A hatte sich für das Gemälde einen Rahmen anfer-
tigen lassen. Für die Spezialanfertigung zahlt er dem Hersteller des
Rahmens 20.000 €.
Die Regelung von § 326 BGB hat lediglich die Folge, dass der Kunstsammler A
den vereinbarten Kaufpreis von 10.000 € nicht leisten muss, da die Galerie ihm
das Gemälde nicht verschaffen kann. Der Kunstsammler möchte jedoch errei-
chen, dass ihm der entgangene Gewinn sowie die sinnlos gewordenen Aufwen-
dungen für die Spezialanfertigung des Bilderrahmens vom Schuldner ersetzt
werden. Es stellt sich daher die Frage, unter welchen Voraussetzungen der Leis-
tungsempfänger (hier: der Kunstsammler A) bei Unmöglichkeit der Leistungs-
erbringung vom Schuldner (hier: die Galerie) Schaden- oder Aufwendungsersatz
verlangen kann.
Wird der Schuldner von seiner Leistungspflicht nach § 275 Absatz 1 bis 3 BGB
befreit, weil die Leistung nach Abschluss des Vertrages unmöglich geworden ist,
kann der Leistungsempfänger unter den in den §§ 283, 280 Absatz 1 BGB gere-
gelten Voraussetzungen Ersatz des ihm entstandenen Schadens geltend machen.
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3. A Rechtsgrundlagen
A1 Deutsche, europäische und internationale Rechtsgrundlagen
Für die anfängliche Unmöglichkeit gilt die in § 311 a II BGB getroffene Sonder-
regelung für den Schaden- oder Aufwendungsersatz. Es müssen die nachfolgend
im Einzelnen dargestellten Voraussetzungen erfüllt sein, damit der Anspruch auf
Schadenersatz erfolgreich durchgesetzt werden kann.
A
1.9
1.1 Vertretenmüssen der Pflichtverletzung
S. 3
Der Schuldner hat nach § 276 BGB Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten, wenn
eine strengere oder mildere Haftung weder bestimmt noch aus dem sonstigen
Inhalt des Schuldverhältnisses zu entnehmen ist. Schadenersatzansprüche setzen
regelmäßig Verschulden (Vorsatz und Fahrlässigkeit) voraus. Schadenersatzan-
sprüche ohne Verschulden sieht das Gesetz nur in Ausnahmefällen vor. Eine für
den Veranstaltungsbereich wichtige Ausnahme stellt die in § 536 a BGB geregelte
verschuldensunabhängige Haftung des Vermieters für anfängliche Mängel dar.
Auf diese Norm wird bei der Darstellung der Schlechtleistung im Zusammenhang
mit der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten des Hallenbetreibers einge-
gangen. Bis auf ganz wenige gesetzlich geregelte Ausnahmefälle bleibt es mithin
bei der Grundkonzeption des Schadenersatzrechts, dass nur derjenige zum Aus-
gleich eines Schadens des Schadens verpflichtet ist, der das den Schaden begrün-
dende Ereignis zu vertreten hat. Die Galerie ist dem Kunstsammler A zum Scha-
denersatz daher nur verpflichtet, wenn sie die Umstände zu vertreten hat, die die
Unmöglichkeit der Leistungserbringung herbeigeführt haben. Der Kunstsammler
A kann die Galerie für seine finanziellen Einbußen also nicht in Anspruch neh-
men, wenn diese für die Unmöglichkeit der Leistungserbringung (hier: Eigen-
tumsverschaffung an dem Gemälde) nicht verantwortlich gemacht werden kann.
Im Falle der anfänglichen Unmöglichkeit (das vom Kunstsammler erworbene
Gemälde war schon vor Abschluss des Kaufvertrages durch einen Brand zerstört)
befreit § 311 a II BGB den Schuldner von einer Ersatzpflicht, wenn er das Leis-
tungshindernis bei Vertragsschluss nicht kannte und seine Unkenntnis auch nicht
zu vertreten hat. Im Übrigen gelten für den Schadenersatzanspruch die gleichen
Regeln.1 Nach § 276 BGB hat der Schuldner Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten.
1.1.1 Vorsatz
Vorsatz liegt vor, wenn der Schuldner das schadensbegründende Ereignis willent-
und wissentlich herbeigeführt hat.2 Das Merkmal des Wollens kommt in ver-
schiedenen Abstufungen vor. Die stärkste Form ist die Absicht des Schuldners.
Sie liegt vor, wenn der Schuldner darauf abzielt, die Unmöglichkeit der Leis-
tungserfüllung herbeizuführen. Vorsatz wird aber auch bejaht, wenn der Schuld-
ner das zur Unmöglichkeit führende Ereignis vorhersieht und als Konsequenz
seines Handels billigend in Kauf nimmt (sog. bedingter Vorsatz).3
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4. A Rechtsgrundlagen
A1 Deutsche, europäische und internationale Rechtsgrundlagen
1.1.2 Fahrlässigkeit
In Vertragsbeziehungen steht in den häufigsten Fällen der Vorwurf der Fahrläs-
sigkeit im Raum. Es ist in jedem Einzelfall zu prüfen, ob der Schuldner die Sorg-
A
falt eingehalten hat, um die Pflichtverletzung (Nichtleistung wegen Unmöglich-
1.9
keit) zu vermeiden. Die Fahrlässigkeit kommt ebenfalls in zwei Ausprägungen
S. 4 vor. Von der einfachen Fahrlässigkeit wird gesprochen, wenn der Schuldner die
im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt.4 Eine grobe Fahrlässigkeit
wird bejaht, wenn der Schuldner die Sorgfaltsanforderungen in besonders schwe-
rem Maße verletzt. Er unterlässt dasjenige, was in der konkreten Situation jedem
hätte einleuchten müssen.5 Hätte der Galerist jahrelang die Wartung seiner elekt-
rischen Leitungen und Geräte unterlassen und kommt es aufgrund defekter Lei-
tungen oder Geräte zu einem Brand in der Galerie, der die Kunstgegenstände
vernichtet, trifft den Galeristen eine Verantwortung für das Ereignis, das die
Unmöglichkeit der Leistungserbringung herbeigeführt hat.
Der Vorwurf der Fahrlässigkeit setzt immer voraus, dass der Eintritt des Ereignis-
ses für den Schuldner erkennbar und vermeidbar war. Beide Elemente sind eng
miteinander verknüpft. Der Schuldner ist verpflichtet, besondere Vorkehrungen
zur Vermeidung von Schäden zu treffen, wenn er eine Gefahr erkannt oder diese
zumindest hätte erkennen können. Hierfür ist jedoch nicht auf das individuelle
Vermögen des einzelnen Schuldners abzustellen. Die Beurteilung der Erkennbar-
und Vermeidbarkeit orientiert sich einem durchschnittlichen Angehörigen des
betreffenden Verkehrskreises (objektivierter Fahrlässigkeitsmaßstab).6
Da die Vertragsparteien untereinander grundsätzlich unabhängig von dem Grad
des Schuldvorwurfs für jeden Vorsatz und jede Form der Fahrlässigkeit haften,
bedürfte es im Regelfall keiner Abgrenzung von Vorsatz und Fahrlässigkeit bzw.
einer Abgrenzung von grober und leichter Fahrlässigkeit. Soweit im Gesetz oder
– was häufiger der Fall ist – im Vertrag die Haftung für einfache und/oder grobe
Fahrlässigkeit ausgeschlossen ist, können Abgrenzungsprobleme auftreten.7 Auf
die Möglichkeiten der Einschränkung der Haftung wird später noch eingegangen.
Als Orientierungshilfe für die Abgrenzung zwischen bedingtem Vorsatz und
der grober Fahrlässigkeit finden sich in der Studienliteratur folgende Merksätze:
! „Bei dem bedingten Vorsatz will der Schuldner auf jeden Fall handeln,
selbst wenn der Erfolg eintritt. (Er sagt sich: Na, wenn schon!)
Bei der bewussten Fahrlässigkeit hingegen würde er von der Handlung
absehen, wenn er wüsste, dass die als möglich erkannte Gefahr eintritt
(Er sagt sich: Es wird schon gut gehen.)“8
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