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Die Lügenpresse als Verschwörungstheorie

  1. Seite 1 Tagung der DGPuK-Fachgruppe Journalistik Würzburg, 15.-17.2.2017 Montage:AndreasLamm/message3/2008 Emergente Konsequenzen journalistischer Komplexitätsreduktion: Die Lügenpresse als Verschwörungstheorie Uwe Krüger & Jens Seiffert-Brockmann
  2. Seite 2 1. Einleitung 2. Begriffe und These 3. Beispiele: Panama Papers, Charlie Hebdo, Lichterkette 4. Auswege Gliederung
  3. Seite 3 Umfrage der Uni Mainz (Quiring/Schultz) vom Okt./Nov. 2016 Implications • SNA primarily addresses the “outer” characteristics of human interrelations • Hardly considers the inner processes of humans, which is the subject of psychology • Inner processes of humans may have an important impact on the outer characteristics of their relations  For describing networks of transcultural communication approaches of adult cognitive development are important http://www.zeit.de/2017/05/medien-vertrauen-umfrage-ifak/komplettansicht?print
  4. Seite 4 Idee einer Verschwörung zwischen Journalisten und Eliten Implications • Studie Prochazka/Schweiger 2016: populäre Medienkritik in Nutzerkommentaren ist die einer Parteilichkeit aufgrund zu großer Eliten-Nähe • Sinnfällig im Buchtitel „Wie Politiker, Geheimdienste und Hochfinanz Deutschlands Massenmedien lenken“ (Kopp 2014) – 120.000 verkaufte Ex. in 6 Monaten • „Die Idee einer Medienverschwörung – die ideologisch verschärfte Spielform einer ohnehin verbreiteten Medienverdrossenheit – ist momentan schwer in Mode. […] Ein drohender Dialog- und Kommunikationsinfarkt wird hier sichtbar, der einer offenen Gesellschaft gefährlich werden kann.“ (Pörksen 2015: 72)
  5. Seite 5 1. Einleitung 2. Begriffe und These 3. Beispiele: Panama Papers, Charlie Hebdo, Lichterkette 4. Auswege Gliederung
  6. Seite 6 Definition Verschwörungstheorie • „Erzählungen von einem sichtbaren und einem unsichtbaren, ‚geheimen‘ Plot, wobei der unsichtbare Plot erst im sichtbaren Plot beziehungsweise dessen ‚Defekten‘ lesbar wird. Grundlegend ist dabei, dass Verschwörungstheorien auf eine externe Textsorte als ‚visible plot‘ verweisen, deren Rahmen (frame) sie angreifen und durch den Rahmen ‚Verschwörung‘ zu ersetzen suchen“ (Seidler 2016: 40f.) • V: „das geheime Zusammenwirken einer (in der Regel überschaubaren) Gruppe von Personen, deren Absprachen und Handeln darauf zielen, die Ereignisse zu ihrem eigenen Vorteil (und damit zugleich zum Nachteil der Allgemeinheit) zu beeinflussen“ – VT: „der Versuch, (wichtige) Ereignisse als Folge derartiger geheimer Absprachen und Aktionen zu erklären“ (Hepfer 2015: 24)
  7. Seite 7 begrenztetotale Lutter 2001 orthodoxeheterodoxe Anton/Schetsche/Walter 2014 Arten von Verschwörungstheorien Pfahl-Traughber 2002 VT V-MythenV-IdeologienV-Hypothesen
  8. Seite 8 Definition „Lügenpresse“ als Medienverschwörung • eine heterodoxe (weil nicht von der Mehrheit der Bevölkerung und von Politik, Universitäten und Medien geteilte) Verschwörungsideologie, die eine Verschwörung zwischen Journalisten und Eliten aus Politik und/oder Wirtschaft mit mehr oder weniger totaler Reichweite (zumindest innerhalb des nationalen Rahmens) postuliert. Journalisten haben dabei die Rolle des Sündenbocks und Feindbildes – ihnen kann (Mit-) Schuld für negative Entwicklungen gegeben werden.
  9. Seite 9 Verschwörungstheorien als anthropologische Konstante • Menschen suchen permanent nach Mustern und Wirkungszusammenhängen in ihrer Umwelt • Einen Zusammenhang zu vermuten, wo keiner ist (falsch- positiv) war für das Überleben förderlicher als einen Zusammenhang zu übersehen, der existiert (falsch-negativ) • „Wir sind dazu vorbestimmt, in der Welt Ordnung, Muster und Sinn zu erkennen und wir finden Zufall, Chaos und Bedeutungslosigkeit unbefriedigend.“ (Gilovic 1991: 9)  hinzu kommen psychologische Bias-Phänomene wie Confirmation Bias, Placebo-Effekt, Selective Perception, Selective Exposure, Motivated Reasoning oder Clustering-Illusion
  10. Seite 10 Verschwörungstheorien als Folge der Aufklärung • Nach Französischer Revolution erlaubten es V-Theorien den reaktionären Kräften, die Ereignisse als Verschwörung von Geheimbünden gegen Thron und Altar darzustellen • Heilsgeschichtliches Strukturmuster wird säkularisiert: Verschwörer nehmen den Platz Gottes als Weltenlenker ein, und ein mechanistisches Weltbild kann im Angesicht von Chaos und Kontingenz auch in dezentralisierten, funktional differenzierten modernen Gesellschaften aufrechterhalten werden • Informationsgesellschaft mit digitalen Netzwerkmedien bietet idealen Nährboden für die Emergenz von V-Theorien
  11. Seite 11 Erklärungsansatz für „Lügenpresse“ mit Luhmann • Komplexitätssteigerung des sozialen Systems „Gesellschaft“ (als Umwelt für das Funktions- bzw. Leistungssystem Journalismus) hat für den Journalismus eine doppelte Wirkung: • 1.) Konfrontation mit komplexeren Gesellschaft führt zu Steigerung der Eigenkomplexität des Journalismus (Recherchenetzwerke, Newsrooms, Datenjournalismus, Social- Media-Redakteure) • 2.) Rezipienten als „Beobachter der Beobachter“ sind ihrerseits mit dem Problem steigender Umwelt-Komplexität konfrontiert, können aber nur bedingt mit Steigerung der Eigenkomplexität reagieren (außer: Bildung, Nutzer-Crowd)
  12. Seite 12 Hypothese • Je stärker der Journalismus Komplexität reduziert und je stärker seine Eigenkomplexität steigt, desto mehr Angriffsfläche bietet er für V-Hypothesen und V-Ideologien – v.a. für den Verdacht, es handele sich um interessengeleitete, gelenkte Berichterstattung, also eigentlich um PR, denn: • „Journalismus und Öffentlichkeitsarbeit zielen beide auf die Herstellung von Öffentlichkeit – und Nicht-Öffentlichkeit. Die Entscheidung, etwas öffentlich zu machen, impliziert die Möglichkeit, etwas nicht öffentlich zu lassen. Warum Themen nicht-öffentlich bleiben, hat in der Öffentlichkeitsarbeit andere Ursachen (Geheimhaltung) als im Journalismus (Komplexitätsreduktion)“ (Löffelholz 2004: 479).
  13. Seite 13 1. Einleitung 2. Begriffe und These 3. Beispiele: Panama Papers, Charlie Hebdo, Lichterkette 4. Auswege Gliederung
  14. Seite 14 Beispiel I: ICIJ-Enthüllung „Panama Papers“ (April 2016) • Hypothese: Je stärker der Journalismus Komplexität reduziert und je stärker seine Eigenkomplexität steigt, desto mehr Angriffsfläche bietet er für V-Hypothesen und V-Ideologien (v.a. für den Verdacht, es handele sich um interessengeleitete, manipulierte, gelenkte Berichterstattung, also eigentlich um PR) http://panamapapers.sueddeutsche.de/
  15. Seite 15 Linke kritisierten, dass westliche Eliten verschont würden • Selektive Suche nach Namen (UN-Sanktionen) • Sponsoren des Center of Public Integrity (Soros u.a.)
  16. Seite 16 Süddeutsche Zeitung bringt Gegenargumente • einige US-Zeitungen hätten im Rechercheverbund die Daten systematisch nach US-Eliten aus Politik und Wirtschaft abgesucht, aber ohne Erfolg – evtl. weil Reiche in den USA aufgrund niedriger Steuersätze kaum Anreiz haben, ihr Vermögen offshore zu verstecken (Richter 2016). • ICIJ-Chef Gerard Ryle wird indirekt zitiert: „Soros habe sich nie in seine Arbeit eingemischt […]. Soros wisse noch nicht einmal genau, was seine Stiftung finanziere. Nach der Enthüllung der LuxLeaks sei er in das Büro seiner Stiftung marschiert und habe angeregt, das ICIJ zu finanzieren. ‚Tun wir doch längst‘, antworteten seine Leute“ (Werner 2016).  Erklärungen verweisen auf interne Komplexität des Recherchenetzwerks und seiner Sponsoren
  17. Seite 17 Beispiel II: Trauermarsch der Staatschefs nach Charlie Hebdo (Januar 2015) http://www.handelsblatt.com/politik/international/terror-anschlag-auf-charlie- hebdo-tagesschau-wettert-gegen-verschwoerung-von-paris/11227850.html
  18. Seite 18 ARD aktuell bringt Argument • Kai Gniffke (ARD aktuell): Marsch von Paris war eine „große Geste von Millionen von Menschen und zahlreichen Politikern“, an der nichts auszusetzen gewesen sei. Redaktion habe vor allem darstellen wollen, dass viele Staatenlenker, die ansonsten durchaus unterschiedliche Interessen verfolgen, hier geeint marschieren. • Viele Nutzer und sogar Journalisten fühlten sich getäuscht: keine Distanz zur Macht, Tagesschau als Komplizin einer Inszenierung und Erfüllungsgehilfin von Selbstdarstellungsinteressen  Komplexität von Inszenierungen in einer Mediengesellschaft (Vorderbühne – Hinterbühne) Foto:ARD
  19. Seite 19 Beispiel III: Lichterkette für Flüchtlinge in Berlin (Oktober 2015) http://www.stefan-niggemeier.de Lichterkette 2015 Lichterkette 2003 • „Junge Freiheit“: offensichtlich manipulativer Akt der ARD
  20. Seite 20 ARD aktuell erklärt den Fehler  Komplexität liegt in der hoch arbeitsteilig organisierten Produktionskette des 22-sekündigen Nachrichtenfilms
  21. Seite 21 1. Einleitung 2. Begriffe und These 3. Beispiele: Panama Papers, Charlie Hebdo, Lichterkette 4. Auswege Gliederung
  22. Seite 22 Transparenz ist nicht die Lösung – was dann? • Journalismus ist verwundbar, weil er soziale Komplexität reduziert und selbst ein komplexes soziales System darstellt • Medial vermittelte Transparenz kann die „strukturell bedingte Glaubwürdigkeitslücke“ (Seidler 2016: 45) nicht schließen, denn jedes Zeichen verdeckt die Bedingungen seiner Entstehung • Statt Erklärung von Komplexität: Persönliche Erfahrung • Komplexität(sreduktion) im Journalismus ist eine nachgeordnete Bedingung für die Entstehung von V-Theorien, vorrangige Ursachen sind Gefühle von „alienation“, „powerlessness“, „hostility“ und „being disadvantaged“ aufseiten der Nutzer (Leman & Cinnirella 2013, Abalakina-Paap et al. 1999)  politische Repräsentationskrise ist die eigentliche Aufgabe
  23. Seite 23 Literatur (1) Abalakina-Paap, Marina, Stephan, Walter G., Craig, Traci, & Gregory, W. Larry (1999). Beliefs in Conspiracies. Political Psychology, 20 (3), 637–647. Anton, Andreas, Schetsche, Michael, & Walter, Michael K. (2014). Wirklichkeits- konstruktion zwischen Orthodoxie und Heterodoxie – zur Wissenssoziologie von Verschwörungstheorien. In dieselben (Hrsg.), Konspiration (S. 9-25). Wiesbaden: VS. Gilovich, Thomas (1991). How we know what isn't so. The fallibility of human reason in everyday life. New York, N.Y.: Free Press. Hepfer, Karl (2015). Verschwörungstheorien. Eine philosophische Kritik der Unvernunft. Bielefeld: transcript. Leman, Patrick J. & Cinnirella, Marco (2013). Beliefs in conspiracy theories and the need for cognitive closure. Frontiers in Psychology 4, 1-10. Löffelholz, Martin (2004). Ein privilegiertes Verhältnis. Theorien zur Analyse der Inter- Relationen von Journalismus und Öffentlichkeitsarbeit. In ders. (Hrsg.), Theorien des Journalismus. Ein diskursives Handbuch. 2. Aufl. (S. 471-485). Wiesbaden: VS. Luhmann, Niklas (1997). Die Gesellschaft der Gesellschaft. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Lutter, Marc (2001). Sie kontrollieren alles! Verschwörungstheorien als Phänomen der Postmoderne und ihre Verbreitung über das Internet. München: Ed. Fatal.
  24. Seite 24 Literatur (2) Pfahl-Traughber, Armin (2002). „Bausteine“ zu einer Theorie über „Verschwörungs- theorien“: Definitionen, Erscheinungsformen, Funktionen und Ursachen. In Helmut Reinalter (Hrsg.), Verschwörungstheorien. Theorie – Geschichte – Wirkung (S. 30-44). Innsbruck: StudienVerlag. Pörksen, Bernhard (2015). Der Hass der Bescheidwisser. Der Spiegel Nr. 2 vom 5.1., 72- 73, online: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-131147816.html Prochazka, Fabian & Schweiger, Wolfgang (2016). Medienkritik online. Was kommentierende Nutzer am Journalismus kritisieren. SCM – Studies in Communication Media, 5(4), 454-469. Richter, Nicolas (2016). Die Suche nach den Amerikanern im Heuhaufen. Süddeutsche Zeitung vom 8.4., http://www.sueddeutsche.de/politik/2.220/us-finanzen-die-suche-nach- den-amerikanern-im-heuhaufen-1.2939323 Seidler, John David (2016). Die Verschwörung der Massenmedien. Bielefeld: transcript. Werner, Kathrin (2016). Der globalisierte Journalismus. Süddeutsche Zeitung vom 12.4., S. 13, http://www.sueddeutsche.de/medien/panama-papers-das-ist-das-icij-1.2945245
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