Dieser Vortrag wurde am 12. September 2016 auf einer Fachtagung der Bundeszentrale für politische Bildung und der Kultusministerkonferenz ("Kriege und Konflikte - Schule zwischen medialer Meinungsbildung und dem Anspruch politischer Bildung") v.a. vor Lehrer/innen und Lehrerfortbildner/inne/n gehalten. Thema ist die aktuelle Vertrauenskrise der Medien (mit den Vorwürfen "Lügenpresse", "Mainstream-Medien", "Gleichschaltung", "Systemmedien") und dahinterliegende Auffälligkeiten in der Berichterstattung etwa zur Ukraine-Krise, Griechenland-Staatsschuldenkrise und Flüchtlingskrise. Die zentralen Argumente sind nachzulesen in Uwe Krüger: Mainstream - Warum wir den Medien nicht mehr trauen (C.H.Beck, München 2016).
Mainstream - Wie einseitig ist Berichterstattung heute?
1. Seite 1
Mainstream – Wie einseitig ist
Berichterstattung heute?
Uwe Krüger
„Kriege und Konflikte“ – Tagung von Bundeszentrale für politische
Bildung und Kultusministerkonferenz, Berlin 12./13.9.2016
Foto:HaraldSchottner/pixelio.de
2. Seite 2
• Vertrauenskrise in Zahlen
• Berichterstattung zum Euromaidan 2013/14
• Berichterstattung zur Griechenland-Krise 2015
• Berichterstattung zur Flüchtlingskrise 2015
• Auswege
Gliederung
3. Seite 3
Frank-Walter Steinmeier im November 2014
Foto:ArminKübelbeck(wikipedia.org)
„Der Meinungskorridor
war schon mal breiter. Es
gibt eine erstaunliche
Homogenität in deutschen
Redaktionen, wenn sie
Informationen gewichten
und einordnen. Der
Konformitätsdruck in den
Köpfen der Journalisten
scheint mir ziemlich hoch
zu sein.“
4. Seite 4
Allensbach-Umfrage für FAZ, Dezember 2015
„In letzter Zeit ist hin und wieder das Schimpfwort
'Lügenpresse' zu hören. Damit ist gemeint, dass
die Medien angeblich nicht objektiv berichten,
sondern Sachverhalte verdrehen oder bestimmte
Tatsachen ganz verheimlichen. Finden Sie, an
dem Vorwurf der 'Lügenpresse' ist etwas dran,
oder finden Sie das nicht?“
39%
36%
25%
Ist etwas dran
Finde das nicht
unentschieden,
keine Angabe
8. Seite 8
Berichterstattung über Euromaidan
• In öffentlich-rechtlichen Abendnachrichten kamen überwiegend
pro-westliche Akteure zu Wort
• Vitali Klitschko als herausragender Oppositionspolitiker
• Rechtsradikale Kräfte
(Swoboda, Rechter
Sektor) spielten kaum
eine Rolle
• Putsch? Nein, demo-
kratische Revolution!
Gut und Böse waren
klar verteilt
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Berichterstattung über Euromaidan
• Scharfschützenmorde wurden ohne Belege Janukowitsch
angelastet
• Unterstützung der Euromaidan-Eliten durch westliche Politiker
und Institutionen wurde vernachlässigt bzw. nicht hinterfragt
(5 Mrd. Dollar aus US-Steuermitteln seit 1991)
• Genaue Vorstellungen der US-Regierung über künftige
Regierung: Jazenjuk als Premier, nicht Klitschko (V. Nuland)
• „Demokratieförderung ist das billigste Instrument, um
amerikanischen Einfluss auszuweiten“ (Prof. Mária Huber)
Geopolitische Dimension wurde kaum aufgezeigt
10. Seite 10
Berichterstattung über Euromaidan
• Von Separatisten festgenommene Bundeswehroffiziere wurden
tagelang fälschlich als OSZE-Militärbeobachter bezeichnet,
obwohl sie nicht zur OSZE-Mission gehörten
• Morde an Euromaidan-Gegnern in Odessa (2. Mai 2014,
Gewerkschaftshaus) wurden ignoriert oder als bedauernswerter
Unfall vertuscht (Tagesschau)
• Mordserie an oppositionellen Politikern und Publizisten in der
Ukraine sowie Verbot der Kommunistischen Partei wurden
ignoriert (doppelte Standards werden sichtbar im Vergleich zu
Russland)
11. Seite 11
Mögliche Ursachen für Parteilichkeit
• PR-Abhängigkeit – Klitschko war als Deutsch sprechender
Oppositionspolitiker auf deutsche Journalisten abonniert
• Indexing: Orientierung an den Deutungsmustern und der
Meinungsspanne innerhalb der eigenen Eliten (Gabor Steingart:
„Westliche Medien und Politik sind eins“)
• Unterschwellige Parteilichkeit von Journalisten im Ost-West-
Konflikt durch westliche Sozialisation und Einbindung in
transatlantische Netzwerke (Bündnisrücksichten)
12. Seite 12
Transatlantische Netzwerke
Einführung NetzwerkeFrames Zusammenhänge
Ressortleiter und Herausgeber als Mitglieder der Atlantikbrücke,
Teilnehmer der Münchner Sicherheitskonferenz, Kurator der
American Academy oder des Aspen Instituts, Präsidiumsmitglied
der Deutschen Atlantischen Gesellschaft usw.
ZDF Die Anstalt 29.4.2014
13. Seite 13
Kluft zwischen Elite und Bevölkerung
• Während der Krimkrise 2014 wollten nur 45 Prozent der
Deutschen ihr Land „fest im westlichen Bündnis“ verankert
sehen, 49 Prozent wollten eine „mittlere Position zwischen
Westen und Russland“ (Umfrage für ARD und WELT)
• 57 Prozent der Deutschen wünschen, dass ihr Land
unabhängiger von den USA agiert (Umfrage für GMF 2014)
• Nur 38 Prozent würden ein Nato-Mitglied, das ehemalige
Sowjetrepublik ist, gegen Russland militärisch verteidigen
(Umfrage Pew Research Center 2015)
15. Seite 15
Berichterstattung über Griechenland
• Syriza-Führung als Bedrohung für Europas Stabilität und
Deutschlands Staatshaushalt, „Extremisten“, „Hasardeure“,
„Amateure“ oder „Spieler“
• EU will mit „Rettungspaketen“ und
„Hilfsprogrammen“ nur Gutes tun,
doch die „gierigen Griechen“ oder
„Pleite-Griechen“ verweigern
Reformen
Gut und Böse waren wieder
klar verteilt
16. Seite 16
Berichterstattung über Griechenland
• Studie Uni Würzburg: Analyse von fast 1500 Artikeln aus Bild,
Welt, FAZ, SZ, taz und Spiegel Online aus 1. Halbjahr 2015
• Häufig standen Tsipras und Varoufakis im Fokus, v.a. wurden
aber Aussagen über sie getroffen, sie selbst kamen kaum zu
Wort
• „Medienübergreifend konnte festgestellt werden, dass, wenn
Akteure der griechischen Regierung durch Adjektive im Text
bewertet wurden, diese Wertungen mehrheitlich negativ und
äußerst selten positiv waren“ (Kim Otto/Andreas Köhler)
• Mangel an Neutralität, Ausgewogenheit, Vielfalt und
Hintergrund Perspektive von Berlin und Brüssel
17. Seite 17
Berichterstattung über Griechenland
Programmbeschwerde des Vereins „Ständige Publikumskonferenz“ vom 24.6.2015
§https://publikumskonferenz.de/forum/viewtopic.php?f=30&t=754
§https://publikumskonferenz.de/forum/viewtopic.php?f=30&t=754
19. Seite 19
Mögliche Ursachen für Parteilichkeit
• Abhängigkeit von den Quellen und menschliche Nähe am
Korrespondentenstandort
• Unbewusste oder bewusste Identifikation mit „unserer“ bzw.
der „guten“ Seite, Vermeidung kognitiver Dissonanz
• publizistischer Kampf gegen die angeblich
verantwortungslose griechische Regierung und für die Stabilität
Europas und des Euro
• Wer aus bestimmten Konsensen ausschert, der wird abgestraft,
z.B. nicht mehr zu Reisen oder Hintergrundgesprächen
eingeladen Angst vor sozialer bzw. beruflicher Isolation
21. Seite 21
Berichterstattung über Flüchtlingskrise
• Bemühung, Verständnis für Flüchtlinge und die Politik der
offenen Grenzen zu wecken und Fremdenfeindlichkeit keinen
Vorschub zu leisten
• Bilder zeigten oft Frauen, Kinder und Familien, während der
Großteil der Flüchtlinge junge Männer waren
• Bei Auseinandersetzungen zwischen ungarischen
Grenzschützern und Flüchtlingen zeigte die BBC junge
Männer, die Tore eintraten und Steine warfen – die ARD zeigte
v.a. Frauen und Kinder, die vor Tränengas flohen (Indexing)
• Sorgen der Einheimischen vor staatlichem Kontrollverlust und
kulturellen Problemen nicht abgebildet
23. Seite 23
Mögliche Ursachen für Parteilichkeit
• Wieder Konformität mit dem Regierungskurs
• in besonderen Zeiten werde das ZDF zum
„Gesinnungssender“ (Wolfgang Herles)
• Humanistische Gesinnung in den Redaktionen, liberal-
fortschrittliche Werte – Journalisten sind vom Milieu her kein
repräsentatives Abbild der Bevölkerung
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Frame-Analyse: Thema
• Themenkomplex mit Kluft zwischen Elite und
Bevölkerung
• Auslandseinsätze der Bundeswehr
• „erweiterter Sicherheitsbegriff“
http://www.sinus-institut.de/sinus-loesungen/sinus-milieus/
25. Seite 25
Milieuverteilung Journalisten vs. Bevölkerung
JohannesRaabe(2005):DieBeobachtungjournalistischerAkteure.
Optioneneinerempirisch-kritischenJournalismusforschung.
Wiesbaden:VS,S.259
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Auswege aus der Vertrauenskrise
• Milieu-Vielfalt in den Redaktionen
• Aufgeben einer pädagogisch-paternalistischen Haltung
gegenüber dem Publikum Augenhöhe
• Unvoreingenommenheit in der Recherche und an den
Konferenztischen
• Zeit und Personal für Recherche und Reflexion
• Fixierung auf die eigenen politischen Eliten lockern („Wir sind
die Guten“), Multiperspektivität und Meinungsvielfalt erhöhen
27. Seite 27
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Weiterführend
Uwe Krüger: Mainstream. Warum
wir den Medien nicht mehr trauen.
C.H.Beck, München 2016