Ohde, Brendler-Lodigkeit: Steuerliche Aspekte im Hospitality- Bereich, Teil 2
Prof. Dr. Thomas Knubben: Megatrends im Kulturbetrieb. Übergreifende Herausforderungen und strategische Konsequenzen
1. B 2.8
Megatrends im Kulturbetrieb
Übergreifende Herausforderungen und strategische Konsequenzen
Prof. Dr. Thomas Knubben
Kunst und Kultur leben, auch wenn sie darauf sinnen, für die Ewigkeit gemacht zu sein, von Inno-
vation und Wandel. In der Moderne ist der Wandel gar zum prägenden Charakteristikum geworden,
dem sich kein Kulturbetrieb entziehen kann. Doch was bewirkt den Wandel, worin bestehen die
übergreifenden Trends, welche Folgen haben sie für den kulturellen Sektor und wie kann der Kul-
turbetrieb darauf reagieren? Der Beitrag skizziert sechs Megatrends und diskutiert die strategischen
Konsequenzen, die daraus zu ziehen sind.
Gliederung Seite
1. Die Erfahrung des permanenten Wandels in der Moderne 2
2. Der Kulturbetrieb im Wandel der letzten Jahrzehnte 3
3. Faktoren des Wandels in der Betrachtung des Strategischen Managements 4
4. Megatrends im Kulturbetrieb 5
4.1 Demografische Umbrüche 5
4.2 Digitalisierung und Medialisierung 8
4.3 Hybridisierung des Publikumsverhaltens 10
4.4 Kommunikation über das Internet 12
4.5 Ökonomisierung 15
4.6 Globalisierung 19
5. Ausblick 21
1
2. B 2.8 Kultur und Politik
Wirtschaft, Gesellschaft und Politik
1. Die Erfahrung des permanenten Wandels
in der Moderne
„O Augenblick – Verweile doch! Du bist so schön!“.1 Mit diesem
frommen Wunsch schickte Goethe seinen Faust in die Begegnung mit
Mephisto. Er war Ausdruck des erstrebten vollkommenen Glücks,
nämlich der Einheit des Menschen mit seiner Zeit und seiner Umwelt.
Er sollte freilich ein frommer Wunsch bleiben, denn ziemlich genau zu
dem Zeitpunkt, da er ausgesprochen wurde, hob die Welt mit der In-
dustriellen Revolution an zu ihrem tiefgreifendsten Wandel seit dem
Neolithikum, als der Mensch sein Jäger- und Sammlerleben aufgege-
ben hatte, um sich häuslich niederzulassen und die Welt durch Acker-
bau und Viehzucht zu kultivieren.
Wandel und Mit der Industriellen Revolution und all ihren wirtschaftlichen, sozia-
Beschleunigung: len und politischen Umwälzungen ist eine elementare kulturelle Erfah-
Signum der Moderne rung verbunden, die geradezu zum Signum der Moderne werden soll-
te – die Erfahrung des permanenten Wandels. Charles Baudelaire,
einer der Begründer der literarischen Moderne, hat diesen Befund auf
den Begriff gebracht: „Die Moderne – das ist das Vorübergehende, das
Flüchtige, das Kontingente.“2 Seit seinen Tagen hat sich diese Erfah-
rung indes nicht nur verstetigt, die Geschwindigkeit des Wandels hat
sich zudem permanent beschleunigt3, so dass der Verleger Michael
Urban schließlich konstatieren musste: „Früher hatten wir einen Zu-
stand, dann kam die Veränderung, dann ein neuer Zustand. Jetzt ist die
Veränderung der Zustand“ (Bea/Haas 2001, 6).
Auch der Kulturbetrieb ist von dieser Grundströmung moderner Zeit-
erfahrung elementar betroffen. Selbst wenn er sich als Hüter des (ver-
meintlich ewigen) kulturellen Erbes in der Institution des Archivs oder
des Museums von den Aufgeregtheiten des Tages einigermaßen ent-
hoben fühlen mag, kommen diese irgendwann durch die Hintertür
doch wieder auf ihn zu, in Bewegung gesetzt allein schon durch den
Druck der schieren Masse zeitgenössischer Produktion oder die Flüch-
tigkeit der genutzten (Träger-)Materialien, von Ansprüchen einer de-
mokratischen Öffentlichkeit ganz zu schweigen.
Megatrends als grund- Angesichts einer solchermaßen konstatierten Ubiquität, Permanenz
sätzliche Entwicklungen und Unausweichlichkeit des Wandels in den Rahmenbedingungen und
Erscheinungsformen des Kulturbetriebs stellen sich folgende Fragen:
Lassen sich etwa, wenn alles und immerfort Wandel ist, nicht doch
auch Unterschiede in der Dimension und Wirkungsmächtigkeit der
Kräfte ausmachen, die den Wandel bewirken? Kann es sein, dass sich
manche Kräfte gegenseitig neutralisieren, während andere sich zu
einer elementaren Wucht mit grundsätzlicher und anhaltender Durch-
schlagskraft aufschaukeln? Gibt es also neben dem permanenten
Kräuseln des Meeres an der Oberfläche auch elementare Strömungen
von besonderer Tragweite, denen wir die Qualität von Megatrends,
verstanden als umfassende Entwicklungen von grundsätzlicher Bedeu-
tung mit langfristigen Auswirkungen, zuweisen können? Und wenn ja,
wie können wir sie feststellen?
2
3. Kultur und Politik B 2.8
Wirtschaft, Gesellschaft und Politik
2. Der Kulturbetrieb im Wandel der letzten
Jahrzehnte
Zur Klärung dieser Fragen lohnt es sich, zunächst einen kurzen Blick
zurück zu werfen und zu schauen, was sich denn alles im Kulturbe-
trieb in den vergangenen rund dreißig Jahren verändert hat und ob sich
darin größere Entwicklungslinien erkennen lassen.
Dabei fällt sehr schnell auf, dass es eine Reihe von kulturellen Angebo- Neue Angebote,
ten vor dreißig Jahren noch gar nicht gegeben hat. So ist etwa das erste mediale Revolution
Musicaltheater in Deutschland 1984 in Hamburg eröffnet worden.
Auch große Kinokomplexe, die sogenannten Multiplex-Kinos, entstan-
den erst in den 90er-Jahren. Markante mediale Umbrüche wurden 1982
mit der Einführung des privaten Rundfunks eingeleitet. Die digitale
Revolution, die durch den PC ausgelöst wurde, hatte gerade begonnen,
aber das Internet war noch weit entfernt für den alltäglichen Nutzer.
Auch Festivals gab es nur wenige und sie hatten eine ganz klare Aus- Auswertung
richtung: Sie kümmerten sich entweder um das klassische Kulturerbe der Angebote
wie die Festspiele in Salzburg und Bayreuth, oder aber sie boten als
dezidiertes Gegenprogramm Rock- und Pop- und Jazz- oder Folkmu-
sik wie die Festivals, die vornehmlich in Universitätsstädten stattfan-
den. Seitdem hat es eine Fülle von Neugründungen gegeben, für die
das Schleswig-Holstein-Musikfestival, das 1986 erstmals stattfand,
beispielgebend wurde. Es verließ die angestammten Stätten klassi-
scher Kultur und ging aufs Land in Scheuern und private Herrenhäu-
ser und öffnete so das Angebot für neue Produktions- und Rezeptions-
formen. Kennzeichnend für diese übergreifende Entwicklung waren
eine stetige Ausweitung der kulturellen Angebote insgesamt und eine
Erweiterung des Kulturbegriffes, der ihnen zugrunde lag.
Hinzu kam eine neue Wahrnehmung von Kunst und Kultur als Wirt- Von der Moderne
schaftsfaktor. Die Welt hatte in den 80er-Jahren eine ungeheure Wirt- zur Postmoderne
schaftskonjunktur erlebt, die Preise für Spitzenkunst waren auf Aukti-
onen ins Unermessliche gestiegen. Überhaupt hatten die Ökonomie
und ihre Deutungsmechanismen die alten gesellschaftspolitischen
Paradigmen abgelöst. Der Markt war explodiert. Die Musik-, Film-
und Videoindustrie hatte ganz neue Formen der Massenwirksamkeit
erreicht. Die Ideale der Moderne – politisch artikuliert im gemeinsa-
men Streben nach einer aufrichtigen, demokratischen, gerechten und
sozialen Gesellschaft – wurden abgelöst von der Postmoderne als
Steinbruch für höchst individuelle Bedürfnisbefriedigung. Heute, zu
Beginn des 21. Jahrhunderts, stehen all diese Kulturbegriffe weitge-
hend gleichberechtigt nebeneinander und finden ihren Niederschlag in
einer fast unüberschaubaren Fülle von kulturellen Einrichtungen und
Angeboten. Aus dem häufig sehr beschaulichen Kulturleben der Ver-
gangenheit ist ein emsiger, geradezu überbordender Kulturbetrieb
geworden mit hunderttausenden von Akteuren und Umsätzen, welche
die Wertschöpfung der traditionellen Leitindustrien in Deutschland
mittlerweile deutlich übersteigen.
3
4. B 2.8 Kultur und Politik
Wirtschaft, Gesellschaft und Politik
3. Faktoren des Wandels in der Betrachtung
des Strategischen Managements
Die Idee des Die Theorie des „strategischen Fit“ besagt, dass der Erfolg eines Un-
„strategischen Fit“ ternehmens oder eines Betriebs wesentlich davon abhängt, ob es ihm
hinreichend gelingt, seine internen Potenziale, Strukturen und Stärken
mit dem externen Umfeld abzustimmen (Bea/Haas 2001, 15ff.), etwa
indem er auf Krisen oder Trends rasch und flexibel reagiert, oder aber,
wenn er stark, mutig und ideenreich genug ist, die äußeren Entwick-
lungen selbst zu bestimmen und zu verändern versucht (ein Beispiel
dafür sind die Multiplexkinos). Gleichgültig wie ein Betrieb agiert, ob
als Pionier oder Kopist, stets steht er vor der Herausforderung, Wandel
zu erkennen und angemessene Antworten darauf zu finden.
Wandel erkennen Wandel zu erkennen kann aber nur gelingen, wenn Kategorien bereit
stehen, die erlauben, die Fülle von Informationen und Wahrnehmun-
gen zu kanalisieren, sie in Wirkungszusammenhänge zu bündeln und
als relevant oder irrelevant zu bewerten.
Globales Umfeld Zur Strukturierung der Qualität und Dimension des Wandels unter-
und Marktumfeld scheidet das Strategische Management zwischen dem weiteren, dem
globalen Umfeld, und dem engeren, dem sogenannten Marktumfeld.
Das globale Umfeld ist dadurch gekennzeichnet, dass es große und
nachhaltige Wirkung entfaltet und für alle Unternehmen und Betriebe
gleichermaßen Gültigkeit hat, aber nicht oder nur wenig beeinflussbar
ist. Das Marktumfeld hingegen ist branchenspezifisch, kann sich regi-
onal auch ganz unterschiedlich darstellen und unterliegt der Gestal-
tungsmacht der Marktteilnehmer.
Das globale Umfeld Auf der Suche nach den Megatrends im Kulturbetrieb ist die Entwick-
lung im globalen Umfeld angesichts ihrer umfassenden Bedeutung
und Gültigkeit von besonderem Interesse. Und für sie hat das Strategi-
sche Management fünf zentrale Kategorien ausgemacht (Bea/Haas
2001, S. 83ff.):
– Bevölkerung,
– Technologie,
– Gesellschaft,
– Politik,
– Gesamtwirtschaft.
Entwicklungen in den einzelnen Kategorien – wie etwa die demogra-
fischen Veränderungen – können schon für sich genommen wir-
kungsmächtig sein, sie können sich aber auch mit Entwicklungen in
anderen Bereichen verbinden und so erst zu größeren Umbrüchen
4