1. Trauergottesdienst tür Erika überhot, 29.12.2000
Johannistriedhot
Hebräer 13,14: Denn wir haben hier keine bleibende
Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.
Verehrter Herr von Frankenberg, geehrte Familien überhof,
geehrte Anverwandte und Bekannte von Frau überhof , liebe
Trauergemeinde,
eben hörten wir den Lebenslauf von Erika überhot,
vorgetragen von ihrem Sohn Bengt.
Es gehört zum Wesen eines christlichen Abschiedsgottes -
dienstes, dass wir den Menschen, den wir zu Grabe tragen
müssen, das was ihn ausgemacht hat, seine Einzigartigkeit,
seine Existenz, das was dieser Mensch anderen bedeutet hat,
in den Kontext biblischer Glaubensaussagen stellen. Das
geschieht mit dem ganzen des Gottesdienstes und der Feier
am offenen Grab, es geschieht aber in besonderer Weise mit
der Ansprache.
Beim Nachdenken über das Leben von Erika Oberhot. fiel mir
spontan ein Satz aus dem Hebräerbrief ein (Kap 13,14)
"Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die
zukünftige suchen wir". Die Wahrheit dieses Satzes spiegelt
sich existentiell im Leben von Erika überhof wider.
Der Lebenslauf Erika überhots läßt unschwer erkennen, dass
Heimatverlust und Suche nach Heimat zumindest ein
Charakteristikum ihres Lebens war.
Heimatverlust und Suche nach Heimat ist zunächst einmal
eine räumliche Kategorie: Die üstpreußische Heimat, der
eiterliche Gutshof ihrer Kindheit, die vielen zwangsläufig
unsteten Zwischenstationen: Berlin, Ankelohe, Bremen, Fürth,
und schließlich Nürnberg, wo gerade die Wohnung am
Leipzigerplatz seit Anfang der 60iger Jahre ihr eine bis zu
ihrem Tod anhaltende räumliche Stabilität bot.
Heimatverlust und Suche nach Heimat ist aber auch eine
personale Kategorie: Das Verlieren und Finden von
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Menschen ,die einem wichtig sind, man liebt: Der geliebte
Vater scheidet als Marineoffizier frühzeitig aus dem Leben.
Sohn Joachim stirbt am Tage seiner Geburt, das Scheitern der
Ehe. Aber eben auch das Finden: Die Söhne Sven-Thorsten,
Bengt und Mattis, das Wachsen einer Großfamilie mit
Schwiegertöchtern, Enkeln und Urenkeln. Aber auch das
Finden in Person des geliebten Lebensgefährten, Ihnen,
geehrter Herr von Frankenberg und das seit 40 Jahren.
Heimatverlust und Suche nach Heimat kann auch als
körperliche Kategorie angesehen werden: Jede
körperliche Erkrankung ist ein Stück weit Verlust der Heimat
seines eigenen Körpers. Diesen Heimatverlust hat Erika
überhof durch ihre jahrzehntelange schwere und
fortschreitende rheumatische Erkrankung bitter erfahren
müssen.
Heimatverlust und Suche nach Heimat hat ebenso eine
geistige, charakterliche Dimension: Darin allerdings, so will
mir scheinen, hat Erika überhof niemals ihre Heimat verloren,
sondern daraus die Kraft gewonnen, an all den Heimat-verlusten
nicht zu zerbrechen und alles Suchen nach Heimat
nicht aufzugeben.
Aus dem Aschenputtel, das von seiner Mutter wenig
Rückendeckung und Stärkung erfahren hat, entwickelt sich
eine beeindruckende Frau, die Menschen be- und verzaubern
konnte. Dazu kommt ihre Verwurzelung in preußischen
Traditionen, die nichts mit dem Zerrbild zu tun haben, das in
der bundesrepublikanischen Gesellschaft meist gepflegt wird.
Diese hat sie als Vermächtnis an ihre Söhne weitergegeben:
Durchhalten, sich nicht unterkriegen zu lassen, nicht
aufzugeben - und: jeder soil seinen eigenen je spezifischen
Überzeugungen treu bleiben. Beides schafft eine große innere
Freiheit gegenüber äußeren Umständen, vorherrschenden
Meinungen und eine Kraft, die aus einem selber kommt. Eben
diese charakterlichen Grundhaltungen sind es im übrigen, die
in den Frauen und Männern des militärischen Widerstands
gegen Hitler das eigentliche preußische Ideal nochmals in
3. Reinkultur verkörperten.
Wir haben keine bleibende Stadt, die zukünftige suchen wir:
Zu Erika Oberhofs letzten Worten gehört der Satz: "Ich will
heim". Sicher schwingt da nochmals die Sehnsucht nach der
Heimat der Kindheit mit, ist diese doch grundlegend für alles
Sehnen. Entscheidend ist aber die andere Bedeutung, die sie
damit ausdrücken wollte: Ich will zu Gott. Der Wunsch durch
das eigene Sterben zur bleibenden Heimat bei Gott zu finden.
Damit gelangte sie zu einer geistlichen Tiefe des Glaubens,
wie sie nur wenigen Menschen geschenkt wird.
Sie sagte auch kurz vor ihrem Tod: "Ich habe meinen Frieden
mit meinen lieben Gott gemacht". Sie konnte das
allzuverständliche Hadern und die nagende Fragen: warum,
warum habe ich diese Krankheit erleiden müssen, warum
haben ich diese und jene Schicksalschläge ertragen müssen,
versöhnt ablegen und bildlich gesprochen auch dies in Gottes
Hände legen.
Sie waren als Angehörige erstaunt, gerade jetzt in den letzten
Monaten zu erleben, wie tief doch die Verbundenheit und
Verwurzelung von Erika Oberhof in den christlichen Glauben
und die Evang.-Luth. Kirche war. Etwas, das Ihnen in früheren
Jahren gar nicht so deutlich erkennbar gewesen ist. Der Satz
"Sterben ist ein Teil des Lebens" und der Prozeß des
Sterbens ein Teil, abschließend und vollendend, unserer
lebenslangen Persönlichkeitsentwicklung, wird in der Person
von Erika überhof existentielle Wirklichkeit. Dem gingen in
diesem Jahr nochmals sehr lebenszugewandte Stationen
voraus: Der 75. Geburtstag ihrer Schwester Marianne, die
Konfirmation ihres Enkels Wanja, der 18. Geburtstag ihrer
Enkelin Pia und zuletzt der Heilige Abend 2000, das
Gedächtnis der Geburt Jesu Christi, der ja die Grundlage
unseres begründeten Vertrauens auf einen menschen-freundlichen
Gott, dessen offene und bergende Arme diesseits
und jenseits der Todesschwelle uns Menschen erwarten. Als
am 24.12. der Arzt nochmals bei ihr war und sagte: Sie sind
doch immer so stark gewesen, antwortete sie:
4. "Jetzt nicht mehr". Und auch: "Das Jahr 2001 werde ich nicht
mehr erleben".
Am 25. Dezember gegen 11 Uhr schlief sie zuhause sanft ein,
so wie sie es sich gewünscht hatte.
Dass sie zuhause sterben konnte ist wesentlich mit Ihr
Verdienst, geehrter Herr von Frankenberg.
Die letzten Monate waren für Sie als Söhne ein ganz
wesentliche Phase der Begegnung mit ihrer Mutter, als sie
abwechselnd nachts Pflegedienst bei ihrer Mutter leisteten,
während der Zeit des unfallbedingten Krankenhauaufenthaltes
des Lebensgefährten ihrer Mutter.
"Die sollen bei der Beerdigung kein Theater machen, ich habe
genug gelitten" ließ sie ihnen sagen, ebenso wie den Wunsch
nach eines, soweit wie möglich heiteren Abschiednehmens.
Und in der Tat, es gibt so etwas wie eine getröstete Trauer, wo
Weinen wie Lachen seinen Platz hat, ohne ein Gegensatz zu
sein.
"Wir haben keine bleibende Stadt, die zukünftige Suchen wir'.
Der christliche Glaube ist vielmehr ein suchendes, ringendes
Sein, als ein statisches, steriles Haben. Beides aber ist,
unabhängig unserer jeweiligen persönlichen Lebens- und
Glaubenssituation, unabhängig davon was uns mehr oder
weniger umtreibt, nahe oder ferne ist, geborgen in der
weltweiten Familie der Christinnen und Christen der
Gegenwart und durch die Jahrhunderte hindurch: Das ist
Kirche.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere
Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus
Jesus. Amen.