Dr. Achim Gmilkowsky: Vertragsgestaltung für Fotografen, Teil 1
Dr. Iris Jana Magdowski: Museen als interkulturelle Lern- und Erlebnisorte
1. Best Practice J 1.3
Beispiele aus den Kultursparten
Museen als interkulturelle
Lern- und Erlebnisorte
Dr. Iris Jana Magdowski
In Deutschland haben mehr als 15 Mio. Menschen einen Migrationshintergrund. In vielen Schulen
liegt ihr Anteil schon heute bei 40 % und mehr. Teilhabe und Integration dieser Bevölkerungsgrup-
pe sind die großen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Interkulturelle Kompetenz ist auf allen
gesellschaftlichen Ebenen gefordert. Welche Konsequenzen zieht die Kulturpolitik und wie sollen
die Museen auf die neuen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen reagieren? Erfolgreiche Beispie-
le aus der Praxis geben Anregungen für die eigene Museumsarbeit.
Gliederung Seite
1. Integration als kulturpolitische Herausforderung 2
2. Interkulturelle Arbeit im Museum 4
2.1 Zielgruppenspezische Maßnahmen 5
2.2 Überwindung von Sprachbarrieren 6
2.3 Interkulturelle Lern- und Dialogprojekte 7
3. Leitfaden für die interkulturelle Museumsarbeit 8
3.1 Zielgruppenanalyse und Kooperationspartner 8
3.2 Vereinfachte deutschsprachige und muttersprachliche Führungen und
Museumsinformationen 9
3.3 Technikunterstützte muttersprachliche Ausstellungsinformationen 10
3.4 Kooperation Schule – Museum 10
3.5 Soziokulturelle Rahmenprogramme mit Migranten 11
3.6 Virtuelle Ausstellungswelten mit interkulturellen Bezügen 12
3.7 Interkulturelle Museumskonzepte 13
3.8 Besucherstudien und Evaluation 13
4. Museen als Akteure in der interkulturellen Bildung 14
4.1 Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland 14
4.2 Modellversuch des Museumsverbandes Baden-Württemberg – Begegnung mit dem
Fremden 14
4.3 Bundeswettbewerb schule@museum 15
4.4 Best Practice: Karlsruher Türkenbeute 15
5. Einwanderungsmuseum – Musealisierung der Migrationgeschichte 16
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2. J 1.3 Best Practice
Beispiele aus den Kultursparten
1. Integration als kulturpolitische
Herausforderung
Migration hat es in der Menschheitsgeschichte immer gegeben. Die
Arbeitswanderungen und der Wanderhandel im Übergang von der
Agrar- zur Industriegesellschaft am Ende der Frühen Neuzeit und der
Massenexodus aus Europa in die Neue Welt im 18. und 19. Jhdt. sind
zwei Beispiele von vielen. Trotzdem gibt es heute grundlegende Un-
terschiede. Der technische Fortschritt hat eine schier grenzenlose Mo-
bilität der Weltbevölkerung ermöglicht. Nicht selten leben in einer
deutschen Großstadt Menschen aus mehr als 150 Nationen auf engs-
tem Raum zusammen und verkörpern eine kulturelle Vielfalt, mit der
sich die einheimische Bevölkerung auseinander setzen muss.
Migration gesellschaft- Das Statistische Bundesamt weist im Mikrozensusbericht 2005
liche Normalität und 15,3 Mio. Menschen mit Migrationshintergrund für das Gebiet der
Herausforderung Bundesrepublik Deutschland aus. Das sind 19 % der Gesamtbevölke-
rung, wobei Arbeitsmigranten, Flüchtlinge und Spätaussiedler und
ihre Nachkommen die Hauptgruppen bilden. Menschen mit Migrati-
onshintergrund sind nach der vom Statistischen Bundesamt zugrunde
gelegten Definition in erster Linie zugewanderte oder in Deutschland
geborene Ausländer, eingebürgerte Ausländer, Spätaussiedler und die
Kinder dieser Personengruppen.1 Bei Ausländern und Eingebürgerten
bildet die türkischstämmige Bevölkerung eine Hauptgruppe, gefolgt
von Migranten aus den verschiedenen Mittelmeeranrainerstaaten. Eine
wichtige und zahlenmäßig große Gruppe sind auch die Spätaussiedler
und jüdischen Migranten aus der UdSSR/ GUS, unter denen sich viele
Intellektuelle befinden. „Verschleuderung von hochqualifiziertem
Humankapital“ nennt der Migrationsforscher Klaus J. Bade die Ver-
nachlässigung dieser Personengruppe in Deutschland.2
2010 werden in den deutschen Großstädten 50 % der Einwohner unter
50 Jahre einen Migrationshintergrund haben. „Die Minderheiten von
heute sind die Deutschen von morgen,“ stellt Lale Akgün in der Zeit
fest.3
Kunstbetrieb Die gesellschaftlichen Herausforderungen, die sich daraus ergeben,
multikulturell und sind immens. Das gilt auch für die Kulturpolitik, die dank polyglotter
international Künstler und Künste lange Zeit auf dieses Thema besser vorbereitet zu
sein schien. So hatten landauf, landab Instituts- und Theaterleiter im-
mer wieder bekräftigt, dass sie in ihren Häusern ein künstlerisches
Programm ohne nationale oder ethnische Schranken verwirklichen.
Themengebunden sei man auf der Suche nach dem Wichtigsten und
Besten, was die internationale Kunstszene zu bieten habe. Kunst habe
mit Können zu tun und sei ohne Grenzüberschreitungen nicht denkbar.
Der Kunstbetrieb mit seinem Personal aus allen Kontinenten sei mul-
tikulturell und das Publikum international, jedenfalls wenn man die
renommierten Einrichtungen in den Metropolen betrachte.
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3. Best Practice J 1.3
Beispiele aus den Kultursparten
Die Arbeit für und mit Migranten leisteten Sozial- und Jugendeinrich-
tungen. Diejenigen, die traditionell im Umgang mit anderen Kulturen
erfahren und für den interkulturellen Dialog gut vorbereitet sind, die
Kultureinrichtungen, spielten so gut wie keine Rolle, resümiert der
langjährige Leiter des Referats Kunst und Sport im Bundesministeri-
um für Bildung und Forschung Matanovic.4 Dieses Ministerium hat
das Forschungsprojekt des Instituts für Kulturpolitik der Kulturpoliti-
schen Gesellschaft Beheimatung durch Kultur gefördert, dessen Er-
gebnisse im Jahre 2007 veröffentlicht werden konnten. Der Integrati-
onsbeauftragte der Stadt Stuttgart beschreibt das so: „Die Kulturein-
richtungen bedienen mit ihren Veranstaltungen überwiegend eine klei-
ne, bildungsorientierte Bevölkerungsschicht, die diese Angebote von
sich aus in Anspruch nimmt. Solange die Säle voll sind, sieht der Kul-
turbetrieb von sich aus keinen Bedarf, sich die Migranten als eine
neue Zielgruppe zu erschließen.“5
Die empirischen Untersuchungen der Studie Beheimatung durch Kul- Kultureinrichtungen
tur belegen, dass Volkshochschulen und Bibliotheken für die Ziel- als interkulturelle
gruppe der Migranten als interkulturelle Aktions- und Erfahrungsorte Erfahrungsorte
die höchste Relevanz haben. Die bildende Kunst, so jedenfalls die
Einschätzung der befragten städtischen Kulturämter, sei nur von un-
tergeordneter Bedeutung. Für Museen gleich welcher Gattung gilt das
Gleiche. Es wird beklagt, dass das „noch immer bildungsbürgerlich
geprägte Repertoire der großen Häuser die Zuwandererklientel kaum
anspreche“, wobei dies allerdings nicht für die zweitstärkste Migran-
tengruppe der Spätaussiedler und Zuwanderer aus der ehemaligen
UdSSR/GUS gelte, die aus ihren Herkunftsländern ein großes Interes-
se an Angeboten der sog. Hochkultur mitgebracht hätten.6
Defizite stellt die Studie auch bei der programmatischen Fundierung
der interkulturellen Kulturarbeit fest. Nicht einmal ein Fünftel der
befragten Kommunen verfügen über entsprechende konzeptionelle
Grundlagen.7 Die interkulturelle Kulturarbeit der Kommunen sei sozi-
al-integrativ angelegt mit den Schwerpunkten Toleranz und Sprach-
kompetenz. Hauptansprechpartner seien bislang die Jugendämter, die
ohne Spartenbezug in ihren Einrichtungen das Spielerische und Krea-
tive fördern.
Anders verhält es sich bei den Schulen. Hier hat z. B. in NRW die Schulen als
bildende Kunst eine höhere Relevanz. Die Landesregierung hat ganz interkulturelle Lernorte
bewusst Künstler in den pädagogischen Alltag vermittelt, was nun
Wirkung zeigt.8 In der Regel stehen indes bei der staatlichen Schulpo-
litik keine künstlerischen Prozesse, sondern die Integration von Schü-
lern in die Gesellschaft im Vordergrund, was zugleich mit den Mitteln
von Kunst und Kultur, aber eben nicht vorrangig verfolgt wird.9 Wich-
tigste Meßlatte für die erfolgreiche Integration ist für die Schulverwal-
tung das Beherrschen der deutschen Sprache, wofür in jüngster Zeit
schon bei Kindern im Vorschulalter große pädagogische Anstrengun-
gen unternommen werden.10
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4. J 1.3 Best Practice
Beispiele aus den Kultursparten
Die Integrationsbeauftragten appellieren an die Kultureinrichtungen,
sich mit den Anforderungen für eine erfolgreiche Integrationspolitik
auseinanderzusetzen und für den interkulturellen Dialog eigene An-
strengungen zu unternehmen. Der Forderungskatalog umfasst folgen-
de Punkte11:
Forderungskatalog
für den interkulturellen • Einwanderer sollen mit Sprache, Kultur und Gesellschaft ihres
Dialog Aufnahmelandes vertraut gemacht werden, nicht nur über Integra-
tions- und Orientierungskurse, sondern auch über sog. nieder-
schwellige Kulturangebote auf kommunaler Ebene.
• Einwanderer sind an der Bewahrung ihrer Herkunftskulturen und
an der Vermittlung dieser einerseits an ihre Kinder und anderer-
seits an die Mehrheitsgesellschaft interessiert.
• Einwanderer ringen um sichtbare Zeichen ihrer Akzeptanz in der
Mehrheitsgesellschaft. Hierzu gehört die Anerkennung ihres per-
sönlichen Einsatzes und bürgerschaftlichen Engagements in der
Mehrheitsgesellschaft.
• In der Mehrheitsgesellschaft muss Interesse für die kulturellen
Wurzeln der Migranten geweckt und das Wissen um fremde Kultu-
ren einschließlich Religionen verbreitert werden, damit Kommuni-
kation auf gleicher Augenhöhe stattfinden kann.
2. Interkulturelle Arbeit im Museum
Die Berichte aus den deutschen Großstädten
im Rahmen der Studie des Instituts für Kul-
turpolitik belegen, dass die interkulturelle
Arbeit speziell der Museen noch in den An-
fängen steckt.
Blinder Aktionismus Es gibt Praxisbeispiele aus verschiedenen
Städten über migrantenspezifische Führungen
Die von den Verantwortlichen erst viel zu spät durch Ausstellungen.12 Solche modellhaften
erkannte Notwendigkeit einer begleitenden und Initiativen haben aber bislang keine Breiten-
nachholenden Integrationspolitik sollte keinen wirkung entfalten können, weil die hierfür
blinden Aktionismus auslösen. Der Kulturpolitik erforderlichen Ressourcen nur punktuell zur
sollte es um einen konzeptionellen Ansatz ge- Verfügung gestellt wurden. Die Frustration
hen, der die Chancen der Institution Museum in der Integrationsbeauftragten lässt sich nach-
der Zusammenarbeit mit Menschen mit Migrati- vollziehen.
onshintergrund erkennt und wahrnimmt.
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