1. Fünf Schritte zur Kritischen Psychologie
Ein Überblick über die methodischen
Grundlagen
Osnabrück, 20. Juli 2011
Stefan Meretz, Berlin
grundlegung.de
2. Die fünf Schritte...
... sind heute diese:
1. Was ist Methode, was Methodologie?
2. Warum Dialektik? Was ist das?
3. Wie funktioniert der »Fünfschritt«?
4. Was bedeutet das für die Psychologie?
5. Was heißt das für die Praxis?
3. 1. Was ist Methode, was Methodologie?
● Methodologie = Wissenschaft von den Methoden
● Psychologie hat ein Methodologie-Problem
● Kernfrage jeder Wissenschaft: Was ist der
Gegenstand und wie ist er bestimmt?
● Wie ist Psychologie definiert:
»Psychologie ist eine empirische Wissenschaft. Sie
beschreibt und erklärt das Erleben und Verhalten des
Menschen, seine Entwicklung im Laufe des Lebens und
alle dafür maßgeblichen inneren und äußeren Ursachen
und Bedingungen.« (Wikipedia, 15.7.2011)
● Und der Gegenstand? Der Mensch? Die Psyche?
Das Verhalten?
4. Noch mehr Wikipedia: »Psychologie«
Es gab und gibt innerhalb der Psychologie viele Ansätze (Paradig-
men). Die wichtigsten sind das Behavioristische Paradigma, das
Informationsverarbeitende Paradigma und ... das psychoanalytische/
psychodynamische Paradigma. Ebenfalls wichtig sind das
Phänomenologische/Humanistische Paradigma, das Eigenschafts-
paradigma, das dynamisch-interaktionistische Paradigma und das
Soziobiologische Paradigma ...
Diese Paradigmen sind keine Teildisziplinen der Psychologie ... ,
sondern jedes ist ein theoretisches Konzept ... Diese Ansätze, die
sich in Grundannahmen und in der Methodologie unterscheiden,
werden in der Regel nicht explizit erwähnt, bilden aber eine sehr
wichtige Grundlage für das ... Verständnis der Psychologie, ihrer
Theorien und v. a. der psychologischen Forschungsergebnisse.
Heute sind innerhalb eines psychologischen Faches (einer Disziplin)
in der Regel verschiedene Paradigmen gleichberechtigt ...
5. Was ist hier auffällig?
● Ansatz = Paradigma?
● Paradigma: Konsens einer vorherrschenden
Lehrmeinung (nach T. S. Kuhn)
● alle Ansätze fallen unter ein Paradigma: Verhalten
ist Resultat von Ursachen und Bedingungen
● Es ist eine Psychologie ohne Psychisches
● Es gibt keine Gegenstandsbestimmung bzw. die
Gegenstandsbestimmung ist nicht Teil der
Wissenschaft
● Definitionen ersetzen Gegenstandsbestimmung
● Vielfalt ist nicht Pluralismus, sondern Beliebigkeit
6. Wie macht‘s die Kritische Psychologie?
● Gegenstandsbestimmung des Psychischen ist
wesentlicher Teil der Wissenschaft
● Annahme: Das Psychische hat sich evolutionär
herausgebildet, und durch Rekonstruktion des
Prozesses der Herausbildung gewinnt man einen
Begriff vom Gegenstand
● Unterscheidung zwischen historischer und
aktueller Empirie
● ... dazu zunächst methodologische Überlegungen
7. 2. Warum Dialektik? Was ist das?
● Dialektik in der modernen Fassung hat seinen
Ursprung bei G. W. F. Hegel
● Begreifen der Wirklichkeit als Einheit von
Widersprüchen
● Dialektisches Denken = Entwicklungsdenken
● Aber Achtung: zwei Begriffe von Entwicklung:
– Logisch: Eindringen in den Gegenstand vom Sein über
das Wesen zum Begriff
– Historisch: Begreifen des Gegenstand durch
Rekonstruktion seines Gewordenseins
● Die KriPsy verwendet beides, das logische
Herangehen implizit, das historische explizit
8. Entwicklung vom Sein zum Begriff
Entwicklung
Seinslogik: Wesenslogik: Begriffslogik:
unmittelbar wechselseitig durcheinander
Daseiendes Bestimmtes Vermitteltes
unverbundene Ganzes und Totalität und
Einzelne Teile Momente
Verschiedenes Gegensätzliches Widersprüchliches
Gleich- abstrakte konkrete
Gültigkeit Allgemeinheit Allgemeinheit
nach einer Idee von Annette Schlemm: http://www.thur.de/philo/hegel/hegel3.htm
9. Die blinden Gelehrten: Sein
»Es ist ein »Es ist eine »Es ist ein
Rohr mit Wand mit Stock mit
Rillen« Ritzen« einem Quast«
unmittelbar Daseiendes unverbundene Einzelne
Verschiedenes Gleich-Gültiges
»So ist es!«
10. Die blinden Gelehrten: Wesen
»Das Rohr »...und
»...dann die
kommt schließlich
Wand...«
zuerst...« der Stock«
»...im Abstand »...im Abstand
von 3 bis 4 von 2 bis 3
Metern...« Metern...«
wechselseitig Bestimmtes Ganzes und Teile
Gegensätzliches abstrakt Allgemeines
»Das ist es im Wesentlichen!«
11. Die blinden Gelehrten: Begriff
»...es ist...«
»...ein...«
»Aha,...«
»...Elefant!«
durcheinander Vermitteltes Totalität und Momente
Widersprüchliches konkret Allgemeines
»Es ist auf den Begriff gebracht!«
12. Historisches Herangehen
● Psychisches als Gegenwärtig-Gewordenes
● Rekonstruktion des Werdensprozesses
● Werdensprozess als Einheit von Differenzierung
und Vermittlung des Differenzierten
13. 3. Wie funktioniert der »Fünfschritt«?
Entstehen der Keimform, die die spätere
Entwicklung bestimmen wird
Entstehen einer Krise, die auf Grundlage der dominanten
Funktion nicht mehr bewältigt werden kann
Funktionswechsel der Keimform zur wichtigen Funktion
innerhalb des dominanten Gesamtprozesses
Dominanzwechsel der neuen Funktion zur den
Gesamtprozess bestimmenden Funktion
Umstrukturierung des Gesamtprozesses auf die Logik
der neuen bestimmenden Funktion
14. Von der Natur- zur Gesellschaftsgeschichte
Die drei
Fünfschritte
der GdP
15. 4. Was heißt das für die Psychologie?
Die Psychologie braucht Begriffe, um zu begreifen:
● Gesellschaftlichen Natur des Menschen
● Gesellschaftliche Vermitteltheit der individuellen
Existenz
● Handlungsfähigkeit: Teilhabe an der Herstellung
der gesellschaftlichen Lebensbedingungen
● Bedingungen als Handlungsmöglichkeiten
● Handlungsgründe als »je meine Gründe«
● Begründungsdiskurs statt Bedingungsdiskurs
► Psychologie vom Standpunkt des Subjekts
16. Vom isolierten Einzelnen zum
gesellschaftlichen Menschen
Rekonstruktion der Gewordenseins
Begriffslogik:
Seinslogik: Wesenslogik:
durcheinander
unmittelbar wechselseitig Vermittelte
Daseiende Bestimmte
Menschliche
unverbundene Gesellschaft und Gesellschaft und
Einzelne Individuen gesellschaftliche
Menschen
Verschiedene Gegensätzliche
Widersprüchliche
Gleich- abstrakte
Gültigkeit Allgemeinheit konkrete
Allgemeinheit
18. 5. Was heißt das für die Praxis?
Verschiedene Praxisformen:
● Psychologische Praxis
● Theoretische Praxis
● Emanzipatorische Praxis
● Alltagspraxis
Eine Psychologie vom Standpunkt des Subjekts hat
Konsequenzen für alle Praxis-Formen und -orte, da
sie auch die »alltagspsychologischen« Denkfiguren
permanent hinterfragt.
19. Beispiele
Psychologische Praxis
● Aufhebung des hierarchischen Verhältnisses von
Forscher/in und Beforschten
Theoretische Praxis
● Reinterpretation als Kritik und Weiterentwicklung
Emanzipatorische Praxis
● Selbstorganisation und Ent-Unterwerfung
Alltagspraxis
● Nichterziehungsförmige Beziehungen
20. Empfehlung
zum Einstieg
● Uli Frank: Eine Psychologie
von »je mir«
● Stefan Meretz: Was ist
Kritische Psychologie?
● Leoni Breuer, Moritz Thede
Eckart, Leonie Knebel, Marcel
Thiel: Wege zur Kritischen
Psychologie
● Grete Erckmann, Michael
Zander: Widersprüche in
Therapie und Beratung
● Annette Schlemm: Ent-
Unterwerfung denken und
praktizieren
http://www.kritische-psychologie.de/texte/kp-contraste-2011.pdf
21. Danke :-)
Einführung in die »Grundlegung der Psychologie«:
grundlegung.de
Finally...
Cartoon: Nina Paley unter CC-by-sa, mimiandeunice.com/2011/07/01/inside-the-box/
Elefant-Bild: Andrevruas unter CC-by, commons.wikimedia.org/wiki/File:Elephante.jpg