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1
Geld- und Kapitalismuskritik
Bad Homburg 2019
(Zukunftswerkstatt - ModeratorInnentreffen)
(ausführliche Version) Dr. Annette Schlemm
2
„Wenn wir doch bloß das
Geld abschaffen könnten.“
(Ludwig Tieck)
„ Kein schlimmeres Gut erwuchs den
Menschen als das Geld.“ (Sophokles)
Geld- und Kapitalismuskritik
Was ist Geld?
3
• Geld als Wertmesser und Wertaufbewahrungsmittel
1. „Symbol“, „Interaktions- und Kommunikationsmedium“
• Geld als technische Größe, als Tauschmittel, über
Konventionen festgelegt
genauer:
• Kein ewiges Etikett, das nur mit der Ware was zu tun
hätte, sondern:
Tauschwert
= Verhältnis, in dem sie andere Waren ersetzt
(MEW 42: 77)
Was ist Geld?
4
2. Geld als gesellschaftliches Verhältnis
• Geld = Gesellschaftsverhältnis, eine bestimmte Beziehung
der Individuen aufeinander (MEW 42: 165)
• Menschen schenken einer Sache (dem Geld) das
Vertrauen, das sie sich nicht als Person schenken (MEW 42:
94)
• Verhältnis der Waren:
• ist nur Erscheinung des Verhältnisses der Menschen
Was ist Geld?
5
2. Geld als gesellschaftliches Verhältnis
(MEW 42: 85)
Auch bei Komplementärwährung
• Tätigkeiten, die sonst nicht bezahlt werden (weil sie nicht
profitabel sind)
• Erreicht nicht die (profitablen) Kernprozesse der
hochkomplex-industrialisierten Produktion
• Komplementär-Kommerzialisierung von vorher
nachbarschaftlichen bzw. öffentlich finanzierten Leistungen
Was ist Geld?
6
2. Geld als gesellschaftliches Verhältnis
(MEW 42: 85)
7
Geld – logisch – historisch
Logische Entwicklung:
(MEW 23: 62)
8
Einfache Wertform: „x Ware A = y Ware B“
Geld – logisch – historisch
Logische Entwicklung:
(ebd.: 63)
9
Aristoteles:
Geld – logisch – historisch
(logischer) Übergang von Ware zu Geld:
(ebd.: 73)
Marx:
(ebd.: 74)
10
Geld – logisch – historisch
(logischer) Übergang von Ware zu Geld:
(ebd.: 84)
Marx:
(ebd.: 83)
11
Geld – logisch – historisch
= Geschichtliche Entwicklung ???
(ebd.: 80)
Einfache Wertform:
Entfaltete Wertform:
(ebd.: 80)
MEW 13:
638)
???
12
Geld – logisch – historisch
= Geschichtliche Entwicklung ???
Tauschmittel-Geschichte...
Formwechsel von Getreide, Vieh,
Muscheln, Silber...
Es gibt Zweifel (historisch ethnographisch):
•Längst nicht jedes Beitragen, Weitergeben etc. wurde
begleitet von „Tauschmittel“-Austausch
Zur Form der Einführung:
•“Seit vielen tausend Jahren reden gewalttätige Männer
ihren Opfern ein, sie würden ihnen etwas schulden.“ (Graeber)
13
= Geschichtliche Entwicklung ???
• ... Münzgeld, Papiergeld ...
• ... Buchgeld ...
• ... Bitcoin ...
Tauschmittel-Geschichte...
Formwechsel von Getreide, Vieh,
Muscheln, Silber...
Geld – logisch – historisch
14
 Hier nicht nur Funktion als Tauschmittel betrachten,
sondern Entwicklung des gesellschaftlichen
Verhältnisses:
Geld – logisch – historisch
Geschichtliche Entwicklung
Geld setzt voraus:
• nicht gemeinschaftliche Produktion und Verteilung
(nicht Subsistenzproduktion, nicht Allmende)
• nicht gegenüber Sklaven und innerhalb der
Hausgemeinschaft (Frauen...)
• An den „Rändern“ der Gemeinschaft,
gegenüber „Fremden“
15
Geld – logisch – historisch
Geschichtliche Entwicklung
Lange Zeit blieb auch geldvermittelter Tausch
noch „in eine Moral von Brüderlichkeit und der
Verantwortung der Gemeinschaft für das
Existenzminimum jeder Person eingebunden“
(Habermann: 108)
• Frauen von Juchítan
• Christa Müller
16
Geschichtliche Entwicklung
Nutzen des Geldes
• ... Auflösung der Gemeinschaften, Verhältnis
zu Fronbauern...
• ... für Fronbauern erscheint Übergang zu
Geldleistungen als Fortschritt (Wat Tyler 1381)
vgl.:. Geld bedeutet: „persönliche Unabhängigkeit,
auf sachlicher Abhängigkeit gegründet“ (MEW 42: 91)
„Das Geld hat es bewirkt, daß man sich mit Anderen
vereinigen kann, ohne etwas von der persönlichen
Freiheit und Reserve aufgeben zu brauchen.“
(Simmel 1900/2001: 373)
17
„Das Problem der Knappheit [...] entsteht, wenn jemand im Interesse der eigenen Zukunft andere
vom Zugriff auf Ressourcen ausschließt. Die Frage ist: Wann und wie darf er das? Das hatte zu
langwierigen naturrechtlichen Debatten Anlaß gegeben. Die Antwort, die das
Kommunikationsmedium Geld ermöglicht, lautet: wenn er zahlt.“ (Luhmann 1988: 152)
Nutzen des Geldes
„Die Landfrieden des Mittelalters stehen alle im Dienst von
Tauschinteressen, und die Aneignung von Gütern durch freien, rein
ökonomisch rationalen Tausch ist in der Form [...] der begriffliche
Gegenpol der Aneignung von Gütern durch Zwang irgendwelcher Art,
am meisten: physischen Zwang, dessen geregelte Ausübung
insbesondere für die politische Gemeinschaft konstitutiv ist.“ (Weber
1922/1980: 385)
18
... für Fronbauern
erscheint Übergang zu
Geldleistungen als
Fortschritt (Wat Tyler
1381)
P.S.
Geldvermittlung
bedeutet:
„daß die Menschen der
Sache (dem Geld) mehr
Vertrauen schenken,
was sie sich nicht als
Personen schenken.“
(MEW 42: 94)
19
Geld – logisch – historisch
• 16.Jhd. England:
Grundherren bringen
bäuerliche Pächter in
Konkurrenz → Geld/Markt ist
nicht nur möglich, sondern
notwendig. (Wood)
• → Agrarkapitalismus entsteht
(MEW 42: 81)
20
Geld als Kapital
• Geld/Markt ist nicht nur möglich, sondern
notwendig → Agrarkapitalismus entsteht
• „Der Kapitalismus unterscheidet sich von anderen
Gesellschaftsformen, weil die Produzenten für den
Zugang zu den Produktionsmitteln vom Markt
abhängig sind.“ (Wood 2015: 10)
 Daraus entstehen „die Imperative des
Wettbewerbs und der Profitmaximierung, ein
Zwang zur Reinvestition von Mehrwert und eine
systematische und unablässige Notwendigkeit,
die Arbeitsproduktivität zu erhöhen und die
Produktivkräfte zu entwickeln.“ (ebd.: 50)
21
Geld als Kapital
Ab wann ist das
Kapitalismus?
A) Kapitalismus = Dominanz der Märkte/ Zwang, die
eigenen Produkte zu verkaufen und die eigenen
Konsumgüter zu kaufen (seit Agrarkapitalismus...)
→Wesentliches gesellschaftliches Verhältnis:
• Verhältnis der Menschen und Unternehmen als
vereinzelte („Privat“-)Produzenten
• Ausbeutung/Ausbeutungsform unwesentlich
22
Geld als Kapital
Ab wann ist das
Kapitalismus?
B) Kapital = G‘ = G + ∆G
• Woher kommt ∆G ???
(MEW
23: 170)
??
23
∀ ∆G aus Handel? (MEW 23: 174 ff.)
• Zirkulation schafft keinen (Mehr-)Wert
Geld als Kapital
 Ausbeutung: Aneignung unbezahlter Arbeit
• Produktion: ist Nutzung der Ware Arbeitskraft
• Nur Arbeitskraft kann Wert und Mehrwert schaffen.
• Wert der Ware Ak: ihre Reproduktionskosten (Lohn)
• Mehrwert: Ak schafft mehr Wert als eigene
Reproduktionskosten, diesen eignet sich Kapitalist als
Mehrwert an
24
Geld als Kapital
∀ ∆G aus Handel? (MEW 23: 174 ff.)
• Zirkulation schafft keinen (Mehr-)Wert
• In der Sphäre der Produktion:
Mehrwert: Ak schafft mehr Wert
als eigene
Reproduktionskosten, diesen
eignet sich Kapitalist als
Mehrwert an
https://philosophenstuebchen.wordpress.com/2011/08/18/geld-und-kapital-i/
und folgende
25
Geld als Kapital
B) Kapitalismus = Ausbeutung unbezahlter Arbeit der
Lohnarbeitenden
• d.h. Ausbeutung/Ausbeutungsform wesentlich
• erklärt erst die Enteignung des Mehrprodukts als
Mehrwert
• und damit die Quelle des ∆G in der Formel:
G‘ = G + ∆G = Kapital
Geld als Kapital
26
• „Profit“?
• Teil des Mehrwerts
∀ → Zins
• Kredit?
• G nicht als Tauschmittel, sondern als Zahlungsmittel
Kreditgeld als spezifische Geldform im Kapitalismus
(Busch 2004: 143)
• Spekulation?
• Zeitlich vorweggenommene Erwartung auf künftige
Mehrwertaneignung
• Vorschuss auf erwarteten angeeigneten
Mehrwert/Profit
27
W
G wird zu K
durch Arbeitskraft geschaffener Mehrwert:
Profit
Es wird nur „investiert“, wenn Profit erwartet wird
(mehr rauskommt) und dieser kommt von den
Leistungen der Arbeitskraft, die mehr erarbeitet,
als sie als Lohn bekommt:
)* Bedarf = zahlungskräftige Nachfrage
Geld als Kapital
28
Geld als Kapital
Kapitalismus = Ausbeutung unbezahlter Arbeit der
Lohnarbeitenden
• Die Möglichkeit dazu erwächst nicht notwendigerweise
aus der geldvermittelten Markttätigkeit, sondern
erfordert:
• Historische Voraussetzung: „sog. ursprüngliche
Akkumulation“: Trennung der Menschen von ihren
Lebensgrundlagen, Produktionsmitteln (Land)
29
Reichweite der Analyse und Kritik
Geld als Kapital
Waren Wert Geld Kapital Klassen
Ausbeutung: Mehrwert
30
Reicht Geldkritik?
Geld als Kapital
Das Geld ist „in besonderer Weise prädestiniert, die
Verhältnisse des Kapitalismus konzentriert und
prononciert zum Ausdruck zu bringen...“ (Busch 2004: 147)
(MEW 42: 127)
31
Reicht Geldkritik?
Geld als Kapital
Das Geld ist „in besonderer Weise prädestiniert, die
Verhältnisse des Kapitalismus konzentriert und
prononciert zum Ausdruck zu bringen...“
(Busch 2004: 147)
Aber:
•Als Ausdruck der kapitalistischen Verhältnisse
kann es diese zeigen oder verschleiern.
•Geld erscheint als „eine dem Produzenten
gegenüber äußere und von ihnen unabhängige
Macht“ (MEW 42: 81)
32
Reicht Geldkritik?
Geld als Kapital
• Geld erscheint als „eine
dem Produzenten
gegenüber äußere und
von ihnen unabhängige
Macht“ (MEW 42: 81)
→ Fetisch (hier):
Verkehrung eines gesellschaftlichen
Verhältnisses von Menschen in ein
Verhältnis von Dingen (Waren, Geld)
33
Geld als Kapital
(MEW 42: 91)
34
Reichweite der Analyse und Kritik
Geld als Kapital
Waren Wert Geld Kapital Klassen
Ausbeutung: Mehrwert
35
Reicht Geldkritik?
Geld als Kapital
„Indem das Geld, nicht aber die in ihm
verkörperten [gesellschaftlichen] Verhältnisse,
angebetet oder kritisiert werden, unterliegen
Bewunderer wie Kritiker desselben letztlich
gleichermaßen dem Geldfetischismus wenn auch
jeweils mit umgekehrtem Vorzeichen.“
(Busch 2004: 147)
• Geld ist ein Verhältnis
zwischen Menschen „in
Form eines Gegenstandes“
(MEW 13: 22)
36
Geld als Kapital
(MEW 42: 166)
37
Geld als Kapital
(MEW 42: 143)
38
W
G wird zu K
durch Arbeitskraft geschaffener Mehrwert:
Profit
1. Es wird nur „investiert“, wenn Profit erwartet
wird (mehr rauskommt) und dieser kommt von
den Leistungen der Arbeitskraft, die mehr
erarbeitet, als sie als Lohn bekommt:
)* Bedarf = zahlungskräftige Nachfrage
Geld/Kapital frisst Welt
39
W
K
2. und dieser Zwang, Profit zu machen sowie/für
Kapitalakkumulation zieht auch immer mehr
Rohstoffe und Energie in die Produktion, d.h. der
Naturverbrauch steigt.
• vgl. Reboundeffekt
Geld/Kapital frisst Welt
40
W
K
Geld/Kapital frisst Welt
41
• Natur und kapitalistische Wirtschaft
passen nicht zusammen:
„Wer glaubt, dass in einer endlichen Welt unendliches
Wachstum möglich ist, kann nur verrückt sein –
oder Ökonom.“ (Kenneth Boulding 1966)
Geld/Kapital frisst Welt
42
„Der einzige Weg, wie ein Abkommen im Jahr 2015
zum Zwei-Grad-Ziel führen könnte, wäre, die
gesamte Weltwirtschaft stillzulegen.“
(Yvo de Boer, 2006-2010 Generalsekr. d. Sekr. d.
Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen)
43
44
(MEW 42: 95)
(MEW 42: 143)
45
Siehe auch:
https://de.slideshare.net/philosophenstuebchen/postm

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Geld- und Kapitalismuskritik

  • 1. 1 Geld- und Kapitalismuskritik Bad Homburg 2019 (Zukunftswerkstatt - ModeratorInnentreffen) (ausführliche Version) Dr. Annette Schlemm
  • 2. 2 „Wenn wir doch bloß das Geld abschaffen könnten.“ (Ludwig Tieck) „ Kein schlimmeres Gut erwuchs den Menschen als das Geld.“ (Sophokles) Geld- und Kapitalismuskritik
  • 3. Was ist Geld? 3 • Geld als Wertmesser und Wertaufbewahrungsmittel 1. „Symbol“, „Interaktions- und Kommunikationsmedium“ • Geld als technische Größe, als Tauschmittel, über Konventionen festgelegt genauer: • Kein ewiges Etikett, das nur mit der Ware was zu tun hätte, sondern: Tauschwert = Verhältnis, in dem sie andere Waren ersetzt (MEW 42: 77)
  • 4. Was ist Geld? 4 2. Geld als gesellschaftliches Verhältnis • Geld = Gesellschaftsverhältnis, eine bestimmte Beziehung der Individuen aufeinander (MEW 42: 165) • Menschen schenken einer Sache (dem Geld) das Vertrauen, das sie sich nicht als Person schenken (MEW 42: 94) • Verhältnis der Waren: • ist nur Erscheinung des Verhältnisses der Menschen
  • 5. Was ist Geld? 5 2. Geld als gesellschaftliches Verhältnis (MEW 42: 85) Auch bei Komplementärwährung • Tätigkeiten, die sonst nicht bezahlt werden (weil sie nicht profitabel sind) • Erreicht nicht die (profitablen) Kernprozesse der hochkomplex-industrialisierten Produktion • Komplementär-Kommerzialisierung von vorher nachbarschaftlichen bzw. öffentlich finanzierten Leistungen
  • 6. Was ist Geld? 6 2. Geld als gesellschaftliches Verhältnis (MEW 42: 85)
  • 7. 7 Geld – logisch – historisch Logische Entwicklung: (MEW 23: 62)
  • 8. 8 Einfache Wertform: „x Ware A = y Ware B“ Geld – logisch – historisch Logische Entwicklung: (ebd.: 63)
  • 9. 9 Aristoteles: Geld – logisch – historisch (logischer) Übergang von Ware zu Geld: (ebd.: 73) Marx: (ebd.: 74)
  • 10. 10 Geld – logisch – historisch (logischer) Übergang von Ware zu Geld: (ebd.: 84) Marx: (ebd.: 83)
  • 11. 11 Geld – logisch – historisch = Geschichtliche Entwicklung ??? (ebd.: 80) Einfache Wertform: Entfaltete Wertform: (ebd.: 80) MEW 13: 638) ???
  • 12. 12 Geld – logisch – historisch = Geschichtliche Entwicklung ??? Tauschmittel-Geschichte... Formwechsel von Getreide, Vieh, Muscheln, Silber... Es gibt Zweifel (historisch ethnographisch): •Längst nicht jedes Beitragen, Weitergeben etc. wurde begleitet von „Tauschmittel“-Austausch Zur Form der Einführung: •“Seit vielen tausend Jahren reden gewalttätige Männer ihren Opfern ein, sie würden ihnen etwas schulden.“ (Graeber)
  • 13. 13 = Geschichtliche Entwicklung ??? • ... Münzgeld, Papiergeld ... • ... Buchgeld ... • ... Bitcoin ... Tauschmittel-Geschichte... Formwechsel von Getreide, Vieh, Muscheln, Silber... Geld – logisch – historisch
  • 14. 14  Hier nicht nur Funktion als Tauschmittel betrachten, sondern Entwicklung des gesellschaftlichen Verhältnisses: Geld – logisch – historisch Geschichtliche Entwicklung Geld setzt voraus: • nicht gemeinschaftliche Produktion und Verteilung (nicht Subsistenzproduktion, nicht Allmende) • nicht gegenüber Sklaven und innerhalb der Hausgemeinschaft (Frauen...) • An den „Rändern“ der Gemeinschaft, gegenüber „Fremden“
  • 15. 15 Geld – logisch – historisch Geschichtliche Entwicklung Lange Zeit blieb auch geldvermittelter Tausch noch „in eine Moral von Brüderlichkeit und der Verantwortung der Gemeinschaft für das Existenzminimum jeder Person eingebunden“ (Habermann: 108) • Frauen von Juchítan • Christa Müller
  • 16. 16 Geschichtliche Entwicklung Nutzen des Geldes • ... Auflösung der Gemeinschaften, Verhältnis zu Fronbauern... • ... für Fronbauern erscheint Übergang zu Geldleistungen als Fortschritt (Wat Tyler 1381) vgl.:. Geld bedeutet: „persönliche Unabhängigkeit, auf sachlicher Abhängigkeit gegründet“ (MEW 42: 91) „Das Geld hat es bewirkt, daß man sich mit Anderen vereinigen kann, ohne etwas von der persönlichen Freiheit und Reserve aufgeben zu brauchen.“ (Simmel 1900/2001: 373)
  • 17. 17 „Das Problem der Knappheit [...] entsteht, wenn jemand im Interesse der eigenen Zukunft andere vom Zugriff auf Ressourcen ausschließt. Die Frage ist: Wann und wie darf er das? Das hatte zu langwierigen naturrechtlichen Debatten Anlaß gegeben. Die Antwort, die das Kommunikationsmedium Geld ermöglicht, lautet: wenn er zahlt.“ (Luhmann 1988: 152) Nutzen des Geldes „Die Landfrieden des Mittelalters stehen alle im Dienst von Tauschinteressen, und die Aneignung von Gütern durch freien, rein ökonomisch rationalen Tausch ist in der Form [...] der begriffliche Gegenpol der Aneignung von Gütern durch Zwang irgendwelcher Art, am meisten: physischen Zwang, dessen geregelte Ausübung insbesondere für die politische Gemeinschaft konstitutiv ist.“ (Weber 1922/1980: 385)
  • 18. 18 ... für Fronbauern erscheint Übergang zu Geldleistungen als Fortschritt (Wat Tyler 1381) P.S. Geldvermittlung bedeutet: „daß die Menschen der Sache (dem Geld) mehr Vertrauen schenken, was sie sich nicht als Personen schenken.“ (MEW 42: 94)
  • 19. 19 Geld – logisch – historisch • 16.Jhd. England: Grundherren bringen bäuerliche Pächter in Konkurrenz → Geld/Markt ist nicht nur möglich, sondern notwendig. (Wood) • → Agrarkapitalismus entsteht (MEW 42: 81)
  • 20. 20 Geld als Kapital • Geld/Markt ist nicht nur möglich, sondern notwendig → Agrarkapitalismus entsteht • „Der Kapitalismus unterscheidet sich von anderen Gesellschaftsformen, weil die Produzenten für den Zugang zu den Produktionsmitteln vom Markt abhängig sind.“ (Wood 2015: 10)  Daraus entstehen „die Imperative des Wettbewerbs und der Profitmaximierung, ein Zwang zur Reinvestition von Mehrwert und eine systematische und unablässige Notwendigkeit, die Arbeitsproduktivität zu erhöhen und die Produktivkräfte zu entwickeln.“ (ebd.: 50)
  • 21. 21 Geld als Kapital Ab wann ist das Kapitalismus? A) Kapitalismus = Dominanz der Märkte/ Zwang, die eigenen Produkte zu verkaufen und die eigenen Konsumgüter zu kaufen (seit Agrarkapitalismus...) →Wesentliches gesellschaftliches Verhältnis: • Verhältnis der Menschen und Unternehmen als vereinzelte („Privat“-)Produzenten • Ausbeutung/Ausbeutungsform unwesentlich
  • 22. 22 Geld als Kapital Ab wann ist das Kapitalismus? B) Kapital = G‘ = G + ∆G • Woher kommt ∆G ??? (MEW 23: 170) ??
  • 23. 23 ∀ ∆G aus Handel? (MEW 23: 174 ff.) • Zirkulation schafft keinen (Mehr-)Wert Geld als Kapital  Ausbeutung: Aneignung unbezahlter Arbeit • Produktion: ist Nutzung der Ware Arbeitskraft • Nur Arbeitskraft kann Wert und Mehrwert schaffen. • Wert der Ware Ak: ihre Reproduktionskosten (Lohn) • Mehrwert: Ak schafft mehr Wert als eigene Reproduktionskosten, diesen eignet sich Kapitalist als Mehrwert an
  • 24. 24 Geld als Kapital ∀ ∆G aus Handel? (MEW 23: 174 ff.) • Zirkulation schafft keinen (Mehr-)Wert • In der Sphäre der Produktion: Mehrwert: Ak schafft mehr Wert als eigene Reproduktionskosten, diesen eignet sich Kapitalist als Mehrwert an https://philosophenstuebchen.wordpress.com/2011/08/18/geld-und-kapital-i/ und folgende
  • 25. 25 Geld als Kapital B) Kapitalismus = Ausbeutung unbezahlter Arbeit der Lohnarbeitenden • d.h. Ausbeutung/Ausbeutungsform wesentlich • erklärt erst die Enteignung des Mehrprodukts als Mehrwert • und damit die Quelle des ∆G in der Formel: G‘ = G + ∆G = Kapital
  • 26. Geld als Kapital 26 • „Profit“? • Teil des Mehrwerts ∀ → Zins • Kredit? • G nicht als Tauschmittel, sondern als Zahlungsmittel Kreditgeld als spezifische Geldform im Kapitalismus (Busch 2004: 143) • Spekulation? • Zeitlich vorweggenommene Erwartung auf künftige Mehrwertaneignung • Vorschuss auf erwarteten angeeigneten Mehrwert/Profit
  • 27. 27 W G wird zu K durch Arbeitskraft geschaffener Mehrwert: Profit Es wird nur „investiert“, wenn Profit erwartet wird (mehr rauskommt) und dieser kommt von den Leistungen der Arbeitskraft, die mehr erarbeitet, als sie als Lohn bekommt: )* Bedarf = zahlungskräftige Nachfrage Geld als Kapital
  • 28. 28 Geld als Kapital Kapitalismus = Ausbeutung unbezahlter Arbeit der Lohnarbeitenden • Die Möglichkeit dazu erwächst nicht notwendigerweise aus der geldvermittelten Markttätigkeit, sondern erfordert: • Historische Voraussetzung: „sog. ursprüngliche Akkumulation“: Trennung der Menschen von ihren Lebensgrundlagen, Produktionsmitteln (Land)
  • 29. 29 Reichweite der Analyse und Kritik Geld als Kapital Waren Wert Geld Kapital Klassen Ausbeutung: Mehrwert
  • 30. 30 Reicht Geldkritik? Geld als Kapital Das Geld ist „in besonderer Weise prädestiniert, die Verhältnisse des Kapitalismus konzentriert und prononciert zum Ausdruck zu bringen...“ (Busch 2004: 147) (MEW 42: 127)
  • 31. 31 Reicht Geldkritik? Geld als Kapital Das Geld ist „in besonderer Weise prädestiniert, die Verhältnisse des Kapitalismus konzentriert und prononciert zum Ausdruck zu bringen...“ (Busch 2004: 147) Aber: •Als Ausdruck der kapitalistischen Verhältnisse kann es diese zeigen oder verschleiern. •Geld erscheint als „eine dem Produzenten gegenüber äußere und von ihnen unabhängige Macht“ (MEW 42: 81)
  • 32. 32 Reicht Geldkritik? Geld als Kapital • Geld erscheint als „eine dem Produzenten gegenüber äußere und von ihnen unabhängige Macht“ (MEW 42: 81) → Fetisch (hier): Verkehrung eines gesellschaftlichen Verhältnisses von Menschen in ein Verhältnis von Dingen (Waren, Geld)
  • 34. 34 Reichweite der Analyse und Kritik Geld als Kapital Waren Wert Geld Kapital Klassen Ausbeutung: Mehrwert
  • 35. 35 Reicht Geldkritik? Geld als Kapital „Indem das Geld, nicht aber die in ihm verkörperten [gesellschaftlichen] Verhältnisse, angebetet oder kritisiert werden, unterliegen Bewunderer wie Kritiker desselben letztlich gleichermaßen dem Geldfetischismus wenn auch jeweils mit umgekehrtem Vorzeichen.“ (Busch 2004: 147) • Geld ist ein Verhältnis zwischen Menschen „in Form eines Gegenstandes“ (MEW 13: 22)
  • 38. 38 W G wird zu K durch Arbeitskraft geschaffener Mehrwert: Profit 1. Es wird nur „investiert“, wenn Profit erwartet wird (mehr rauskommt) und dieser kommt von den Leistungen der Arbeitskraft, die mehr erarbeitet, als sie als Lohn bekommt: )* Bedarf = zahlungskräftige Nachfrage Geld/Kapital frisst Welt
  • 39. 39 W K 2. und dieser Zwang, Profit zu machen sowie/für Kapitalakkumulation zieht auch immer mehr Rohstoffe und Energie in die Produktion, d.h. der Naturverbrauch steigt. • vgl. Reboundeffekt Geld/Kapital frisst Welt
  • 41. 41 • Natur und kapitalistische Wirtschaft passen nicht zusammen: „Wer glaubt, dass in einer endlichen Welt unendliches Wachstum möglich ist, kann nur verrückt sein – oder Ökonom.“ (Kenneth Boulding 1966) Geld/Kapital frisst Welt
  • 42. 42 „Der einzige Weg, wie ein Abkommen im Jahr 2015 zum Zwei-Grad-Ziel führen könnte, wäre, die gesamte Weltwirtschaft stillzulegen.“ (Yvo de Boer, 2006-2010 Generalsekr. d. Sekr. d. Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen)
  • 43. 43

Hinweis der Redaktion

  1. Ludwig Tieck, zit. in Busch 2004: 137 Sophokles, Antigone, Vers 295
  2. Altvater u.a., S. 24
  3. https://www.pinterest.at/pin/534309943271038011/
  4. Bild aus Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Urspr%C3%BCngliche_Akkumulation
  5. Fetisch des Nyambo-Stammes am Agu, heute Tansania 1904, Bild: Public Domain, nach https://www.heise.de/tp/features/Karl-Marx-zum-Zweihundertsten-4000583.html?seite=all
  6. Boulding-Zitat: https://www.bund-hamburg.de/themen/umweltpolitik/suffizienz/das-suffizienz-lexikon/wachstum/
  7. http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-131927837.html