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174
TCG 2022 /PERSPECTIVES
In einem Interview mit dem Handelsblatt sagte BMW-
Chef Oliver Zipse: »Die Menschheit entnimmt diesem
Planeten jedes Jahr 100 Milliarden Tonnen Rohstoffe.
Wir fragen: Muss ein Auto in Zukunft noch zwischen
70 bis 80 Prozent aus Primärrohstoffen bestehen?«
Sollten »wir« uns da nicht eher fragen: Muss ein Auto
in Zukunft noch fünf Meter lang sein und bis zu
2.500 kg wiegen, um damit im Schnitt 1,46 Personen
(das entspricht 110 kg Mensch) für durchschnittlich
eine Stunde am Tag zu bewegen?
ABRÜSTUNG IST DAS
NEUE PRESTIGE
Eine Branche, die seit Jahrzehnten immer erst auf politische Rahmenbe-
dingungen geschielt hat, bevor sie schließlich (re)aktiv wurde, tut auf
einmal so, als wäre sie die Pionierin der Nachhaltigkeit. Aber die Automo-
bilindustrie macht es sich zu einfach, wenn sie ihr Handeln nur als Reak-
tion auf externe Kundenwünsche, die es zu bedienen gilt, definiert. Sie
muss sich der Frage nach Relevanz und Glaubwürdigkeit in Bezug auf ihre
Vorreiterrolle, die sie in der Gesellschaft einnehmen will, stellen. Denn
mit ihren Marken, Produkten und auch ihrer Kommunikation wirkt sie auf
Wertvorstellungen, Lebensstile und Konsumkulturen ein.
HANS-CHRISTIAN SCHWINGEN
Vielfach ausgezeichneter Markenexperte
und Autor, Berater für Unternehmen
zur Revitalisierung und Sanierung von
Marken
175
PERSPECTIVES 2022
Marken sind Gesellschaftsgestalter (bzw. sollten es sein)
Marken sind Abbilder unserer gesellschaftlichen Werte, die einem stetigen
Wandel unterzogen sind. Gerade in Zeiten der Unsicherheit und des stän-
digen Überdenkens können, ja »müssen« Marken Werte-Kompasse für
ihre Kund*innen sein. In seinem Buch »Die Große Transformation« stellt
Prof. Dr. Uwe Schneidewind, bis 2020 Präsident des Wuppertal Instituts
für Klima, Umwelt, Energie, fest: »Gesucht ist eine neue ›Theorie der Firma‹,
die das eindimensionale, neoliberale Unternehmensverständnis aus der
zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, das nicht nach gesellschaftlichem
Mehrwert, sondern nur nach Einkommensmaximierung von Anteilseignern
gefragt hat, ablöst.« Der öffentliche Unmut darüber wachse, so Schneide-
wind, und raube den Unternehmen zunehmend die Legitimation für ihr
Handeln. Deshalb habe der gesellschaftliche Nutzen jeglicher Geschäfts-
tätigkeit im Zentrum von Geschäftsstrategien im 21. Jahrhundert zu
stehen.
Erstaunlich ist, dass trotz dieser Erkenntnis viel zu wenige Unternehmen
mit ihren Marken diese Chance erfolgreich für sich nutzen. Und mit stei-
genden Erwartungen von außen steigt auch das Risiko, immer schneller in
der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden. So wäre es für die Befragten
der »Meaningful Brands«-Studie (Havas, 2021) egal, wenn drei Viertel
aller Marken einfach vom Markt verschwänden.
Wo es den Menschen vor einigen Jahren noch primär um Selbstverwirk-
lichung und individuelle Freiheit ging, finden heute andere Werte rege
Zustimmung. Gerade in gesättigten Wohlstandsgesellschaften zeigt sich
schon länger, dass die materielle Befriedigung von Kundenbedürfnissen
nur eine, aber nicht die bestimmende Komponente gesellschaftlichen
Wohlstands ist und dass viele nichtmaterielle Dimensionen an Bedeutung
gewinnen. Die Coronapandemie und ihre langfristigen Folgen wirken hier
als Beschleuniger für Einstellungs- und Verhaltensänderungen: Ich-be-
zogene Werte wie Macht, Status, Dominanz, Autorität sind uncool und
werden gesellschaftlich zunehmend geächtet, wir-bezogene Werte wie
Gemeinsinn, Solidarität, Empathie, Kooperation sind angesagt und treten
in den Vordergrund.
Werteorientierung ist in der Automobilindustrie
noch nicht wirklich angekommen
So nimmt trotz aller Klimadebatten die Zahl von besonders umweltschäd-
lichen SUVs weiter zu. Jedes dritte im Jahr 2021 bislang (zum Zeitpunkt
des Verfassens dieses Artikels) in Europa zugelassene Elektroauto ist ein
SUV oder ein Crossover, Tendenz weiter steigend. Bis 2025 will VW nach
eigenem Bekunden weltweit 30 SUV-Modelle produzieren und einen SUV-
Anteil von 49 Prozent erreichen.
Auf der anderen Seite hat Audi beschlossen, den A1 aus dem Programm
zu nehmen, in Zukunft spielt er in den Elektroauto-Plänen der Ingolstädter
keine Rolle mehr. Das wäre im Kontext der Mehrmarkenstrategie im VW-
Konzern ja noch verständlich, wenn VW-Chef Herbert Diess nicht insge-
samt für das sogenannte A-Segment deren zukünftige E-Wirtschaftlich-
keit in Frage gestellt hätte. Und auch Mercedes unterzieht ihre A- und
B-Klasse einer genauen Prüfung. Dabei ist klar: Nur mit attraktiven kom-
pakten Autos inkl. intelligentem Packaging ist die Verkehrswende über-
haupt zu schaffen und mit den überfüllten Straßen und Parkflächen in
den Metropolen klarzukommen. Stattdessen zeigt nach Ansicht von Audi
ausgerechnet deren 5,35 Meter (!) langes Grandsphere Concept Car,
(Originalzitat) »how at Audi, we are shaping the future, today.« Progres-
sivität war für Audi mal ein ernst zu nehmender und gelebter Markenwert.
Heute? Nur noch Makulatur!
176
PERSPECTIVES 2022
Hinzu kommt, dass nicht nur die klassisch-großen Fahrzeuge, sondern
auch die Klein- und Mittelklassewagen mit den Jahren stetig gewachsen
sind. Ein aktueller VW Golf ist acht Zentimeter länger als seinerzeit der
erste VW Passat. Und mit Verweis auf Oliver Zipses Eingangszitat sei er-
wähnt, dass im Verlauf der Jahre selbst der 3er BMW um sage und schrei-
be 35 cm in der Länge und 22 cm in der Breite gewachsen ist.
Weniger Masse, weniger Dominanzgehabe, weniger ICH,
stattdessen mehr Cleverness, mehr Weitsicht, mehr WIR
Viele in Politik und Wirtschaft sind immer noch der Ansicht, dass das
Auto bei der Planung der Mobilität Vorrang vor allen anderen Verkehrsteil-
nehmern haben müsse. Mit welcher Rechtfertigung eigentlich? Fuß-
gänger*innen, Fahrradfahrer*innen und die Nutzer*innen des ÖPNV stellen
zumindest in Städten die Mehrheit. Schon gar nicht ist einzusehen, dass
auch große, schwere Fahrzeuge subventioniert werden, deren Käufer*innen
eh über genügend Finanzmittel verfügen. Es wäre außerdem überlegens-
wert, bei einer Fahrzeuglänge von über 4,70 Metern und einem Gewicht
von über 1.700 kg eine rote Linie zu ziehen, bei deren Überschreiten nicht
nur keine Kaufprämien mehr fließen, sondern – im Gegenteil – sogar eine
Gewichts- und Längensteuer zum Tragen kommt. Davon wären selbstre-
dend auch elektrisch betriebene Kleinpanzer betroffen, die aufgrund ihres
unverhältnismäßigen Ressourcenverbrauchs, ihrer Platzverschwendung,
ihres erhöhten Reifenabriebs und der dadurch verursachten Feinstaubent-
wicklung trotz »zero CO² emission« in umwelttechnischer Hinsicht eine
Mogelpackung zur Beruhigung des schlechten Gewissens sind. Es kann
nicht sein, dass überdimensionierte Individualfortbewegungsmittel weiter-
hin zum Mittelpunkt einer zuvorderst männlich geprägten Stadt- und
Verkehrsplanung gemacht werden. Deshalb sollten sie ungeachtet ihrer
Motorisierung aus den Innenstädten verbannt werden.
Und überhaupt: Die urbane Automobilität, bei der jeder Mensch noch im
dauerhaften Besitz eines eigenen Fahrzeugs ist, neigt sich dem Ende zu.
Auch wenn VW hier kein Vorreiter ist, so ist der Start eines zentralen
Auto-Abo-Angebotes dennoch ein schlauer Weg, weil man offensichtlich
erkannt hat, dass sich vor allem jüngere Menschen gar nicht mehr jahre-
lang fest an ein Auto binden wollen. Das Programm soll mit dem ID.3 und
dem ID.4 starten, um den Kunden Appetit auf Elektromobilität zu machen.
(VW könnte in diesem Zusammenhang übrigens auch noch darüber nach-
denken, vermehrt Fahrschulen günstig mit E-Autos auszustatten – nur
mal so als Idee in den Raum geworfen …) In einem zweiten Schritt können
auch VW-Händler ihre Autos bereitstellen, damit sie nicht ungenutzt auf
dem Hof stehen, und stattdessen zusätzlichen Umsatz erzielen.
VW geht nach eigenen Angaben davon aus, dass bis 2030 rund 20 Prozent
der Umsätze aus Abos und anderen Mobilitätsdiensten stammen könnten.
Das ist der richtige Weg. Ich selbst habe übrigens Anfang 2021 auf das
Abo-Modell von Sixt plus umgesattelt und kann aus eigener Erfahrung
sagen, wie einfach, bequem und vor allem flexibel sowohl die Online-Ab-
wicklung als auch der Fahrzeugtausch ist.
Übrigbleiben werden vor allem Fragen im Umgang mit der ländlichen Auto-
mobilität, aber selbst hier werden sich bei zunehmendem Homeoffice für
viele Berufsgruppen die Pendelwege in die Städte vermutlich reduzieren.
177
PERSPECTIVES 2022
Kommt das Auto der Zukunft aus China?
Betrachten wir zum Beispiel die Marke NIO, die sich gerade daranmacht,
den europäischen Markt zu erobern. In soziologischer Hinsicht durch einen
Fokus auf die Nutzer*innen-Communities, in technologischer Hinsicht
durch den smarten Move wechselbarer Batterien, die an sogenannten
Power-Swap-Stationen getauscht werden können. Damit umgeht man u.a.
das Problem, dass sich die wenigsten zu Hause eine eigene Wallbox mon-
tieren können – monatlich bis zu sechs Gratis-Batteriewechsel sollen
integrativer Bestandteil des Angebotes sein. Obwohl schon jetzt mehr wert
als beispielsweise BMW, werden die deutschen Hersteller NIO vermutlich
erst einmal belächeln, wie sie es im Falle von Tesla auch getan haben.
Aber wie sagt der Autoexperte Prof. Dr. Ferdinand Dudenhöffer: »Chinesen
treiben die Technologieentwicklung entscheidend voran. In Europa und
den USA hingegen gelten handgenähte Sitzoberflächen immer noch als
Glanzpunkte der Exklusivität.« Und er beleuchtet damit einen wesentli-
chen Aspekt: Die Anhäufung von Tech-Konzernen wie Baidu, Huawei und
Tencent, die immense Zahl technikaffiner Kunden und ebenso den uner-
schütterlichen Willen zur Durchsetzung des autonomen Fahrens. Huawei
(!) kündigt hier eine Disruption an, die die klassische Autoindustrie ebenso
wie das batterieangetriebene Auto noch mal so richtig aufreiben wird. Und
Herbert Diess sekundiert: »Autonomes Fahren wird die Welt verändern.«
Was bedeutet das insbesondere für die Premiumautomobilmarken? Die
Markenstärke der deutschen Automobilindustrie ruhte bisher auf Motor-
entwicklung, Hardwarequalität und Design. Diese Kriterien rücken jedoch
immer mehr in den Hintergrund, je standardisierter der Antrieb und je
relevanter die Digitalisierung und Vernetzung ist (nicht gerade ein Kompe-
tenzschwerpunkt der Autohersteller) und je mehr Innenstadtsperrungen,
Geschwindigkeitsbegrenzungen und Lkw-Kolonnen auf verstopften Auto-
bahnen das Ziel selbst (und nicht den Weg dahin) wieder mehr als Ziel in
den Mittelpunkt rücken lassen.
Werteorientierte Markenführung beruht auf der Überzeugung, mit der
Marke den Wandel des Unternehmens voranzutreiben und gesellschaft-
liche Veränderungen konstruktiv und verantwortungsvoll zu begleiten.
Die automobile Abrüstung, verbunden mit mehr Engagement in der Ver-
fügbarmachung und multimodaler Verknüpfung von Mobilitätsdiensten,
wird für Marken zum neuen Prestige, wenn sie sich glaubwürdig werte-
orientiert positionieren und langfristig überleben wollen. Das sollten sich
insbesondere die deutschen Automobilhersteller ins Lastenheft schrei-
ben. Nur so werden sie wichtige Antreiber für eine positive gesellschaft-
liche Entwicklung und nicht zu zentralen Verursachern ökologischer und
sozialer Probleme.

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  • 1. 4. 174 TCG 2022 /PERSPECTIVES In einem Interview mit dem Handelsblatt sagte BMW- Chef Oliver Zipse: »Die Menschheit entnimmt diesem Planeten jedes Jahr 100 Milliarden Tonnen Rohstoffe. Wir fragen: Muss ein Auto in Zukunft noch zwischen 70 bis 80 Prozent aus Primärrohstoffen bestehen?« Sollten »wir« uns da nicht eher fragen: Muss ein Auto in Zukunft noch fünf Meter lang sein und bis zu 2.500 kg wiegen, um damit im Schnitt 1,46 Personen (das entspricht 110 kg Mensch) für durchschnittlich eine Stunde am Tag zu bewegen? ABRÜSTUNG IST DAS NEUE PRESTIGE Eine Branche, die seit Jahrzehnten immer erst auf politische Rahmenbe- dingungen geschielt hat, bevor sie schließlich (re)aktiv wurde, tut auf einmal so, als wäre sie die Pionierin der Nachhaltigkeit. Aber die Automo- bilindustrie macht es sich zu einfach, wenn sie ihr Handeln nur als Reak- tion auf externe Kundenwünsche, die es zu bedienen gilt, definiert. Sie muss sich der Frage nach Relevanz und Glaubwürdigkeit in Bezug auf ihre Vorreiterrolle, die sie in der Gesellschaft einnehmen will, stellen. Denn mit ihren Marken, Produkten und auch ihrer Kommunikation wirkt sie auf Wertvorstellungen, Lebensstile und Konsumkulturen ein. HANS-CHRISTIAN SCHWINGEN Vielfach ausgezeichneter Markenexperte und Autor, Berater für Unternehmen zur Revitalisierung und Sanierung von Marken 175 PERSPECTIVES 2022 Marken sind Gesellschaftsgestalter (bzw. sollten es sein) Marken sind Abbilder unserer gesellschaftlichen Werte, die einem stetigen Wandel unterzogen sind. Gerade in Zeiten der Unsicherheit und des stän- digen Überdenkens können, ja »müssen« Marken Werte-Kompasse für ihre Kund*innen sein. In seinem Buch »Die Große Transformation« stellt Prof. Dr. Uwe Schneidewind, bis 2020 Präsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie, fest: »Gesucht ist eine neue ›Theorie der Firma‹, die das eindimensionale, neoliberale Unternehmensverständnis aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, das nicht nach gesellschaftlichem Mehrwert, sondern nur nach Einkommensmaximierung von Anteilseignern gefragt hat, ablöst.« Der öffentliche Unmut darüber wachse, so Schneide- wind, und raube den Unternehmen zunehmend die Legitimation für ihr Handeln. Deshalb habe der gesellschaftliche Nutzen jeglicher Geschäfts- tätigkeit im Zentrum von Geschäftsstrategien im 21. Jahrhundert zu stehen. Erstaunlich ist, dass trotz dieser Erkenntnis viel zu wenige Unternehmen mit ihren Marken diese Chance erfolgreich für sich nutzen. Und mit stei- genden Erwartungen von außen steigt auch das Risiko, immer schneller in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden. So wäre es für die Befragten der »Meaningful Brands«-Studie (Havas, 2021) egal, wenn drei Viertel aller Marken einfach vom Markt verschwänden. Wo es den Menschen vor einigen Jahren noch primär um Selbstverwirk- lichung und individuelle Freiheit ging, finden heute andere Werte rege Zustimmung. Gerade in gesättigten Wohlstandsgesellschaften zeigt sich schon länger, dass die materielle Befriedigung von Kundenbedürfnissen nur eine, aber nicht die bestimmende Komponente gesellschaftlichen Wohlstands ist und dass viele nichtmaterielle Dimensionen an Bedeutung gewinnen. Die Coronapandemie und ihre langfristigen Folgen wirken hier als Beschleuniger für Einstellungs- und Verhaltensänderungen: Ich-be- zogene Werte wie Macht, Status, Dominanz, Autorität sind uncool und werden gesellschaftlich zunehmend geächtet, wir-bezogene Werte wie Gemeinsinn, Solidarität, Empathie, Kooperation sind angesagt und treten in den Vordergrund. Werteorientierung ist in der Automobilindustrie noch nicht wirklich angekommen So nimmt trotz aller Klimadebatten die Zahl von besonders umweltschäd- lichen SUVs weiter zu. Jedes dritte im Jahr 2021 bislang (zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Artikels) in Europa zugelassene Elektroauto ist ein SUV oder ein Crossover, Tendenz weiter steigend. Bis 2025 will VW nach eigenem Bekunden weltweit 30 SUV-Modelle produzieren und einen SUV- Anteil von 49 Prozent erreichen. Auf der anderen Seite hat Audi beschlossen, den A1 aus dem Programm zu nehmen, in Zukunft spielt er in den Elektroauto-Plänen der Ingolstädter keine Rolle mehr. Das wäre im Kontext der Mehrmarkenstrategie im VW- Konzern ja noch verständlich, wenn VW-Chef Herbert Diess nicht insge- samt für das sogenannte A-Segment deren zukünftige E-Wirtschaftlich- keit in Frage gestellt hätte. Und auch Mercedes unterzieht ihre A- und B-Klasse einer genauen Prüfung. Dabei ist klar: Nur mit attraktiven kom- pakten Autos inkl. intelligentem Packaging ist die Verkehrswende über- haupt zu schaffen und mit den überfüllten Straßen und Parkflächen in den Metropolen klarzukommen. Stattdessen zeigt nach Ansicht von Audi ausgerechnet deren 5,35 Meter (!) langes Grandsphere Concept Car, (Originalzitat) »how at Audi, we are shaping the future, today.« Progres- sivität war für Audi mal ein ernst zu nehmender und gelebter Markenwert. Heute? Nur noch Makulatur!
  • 2. 176 PERSPECTIVES 2022 Hinzu kommt, dass nicht nur die klassisch-großen Fahrzeuge, sondern auch die Klein- und Mittelklassewagen mit den Jahren stetig gewachsen sind. Ein aktueller VW Golf ist acht Zentimeter länger als seinerzeit der erste VW Passat. Und mit Verweis auf Oliver Zipses Eingangszitat sei er- wähnt, dass im Verlauf der Jahre selbst der 3er BMW um sage und schrei- be 35 cm in der Länge und 22 cm in der Breite gewachsen ist. Weniger Masse, weniger Dominanzgehabe, weniger ICH, stattdessen mehr Cleverness, mehr Weitsicht, mehr WIR Viele in Politik und Wirtschaft sind immer noch der Ansicht, dass das Auto bei der Planung der Mobilität Vorrang vor allen anderen Verkehrsteil- nehmern haben müsse. Mit welcher Rechtfertigung eigentlich? Fuß- gänger*innen, Fahrradfahrer*innen und die Nutzer*innen des ÖPNV stellen zumindest in Städten die Mehrheit. Schon gar nicht ist einzusehen, dass auch große, schwere Fahrzeuge subventioniert werden, deren Käufer*innen eh über genügend Finanzmittel verfügen. Es wäre außerdem überlegens- wert, bei einer Fahrzeuglänge von über 4,70 Metern und einem Gewicht von über 1.700 kg eine rote Linie zu ziehen, bei deren Überschreiten nicht nur keine Kaufprämien mehr fließen, sondern – im Gegenteil – sogar eine Gewichts- und Längensteuer zum Tragen kommt. Davon wären selbstre- dend auch elektrisch betriebene Kleinpanzer betroffen, die aufgrund ihres unverhältnismäßigen Ressourcenverbrauchs, ihrer Platzverschwendung, ihres erhöhten Reifenabriebs und der dadurch verursachten Feinstaubent- wicklung trotz »zero CO² emission« in umwelttechnischer Hinsicht eine Mogelpackung zur Beruhigung des schlechten Gewissens sind. Es kann nicht sein, dass überdimensionierte Individualfortbewegungsmittel weiter- hin zum Mittelpunkt einer zuvorderst männlich geprägten Stadt- und Verkehrsplanung gemacht werden. Deshalb sollten sie ungeachtet ihrer Motorisierung aus den Innenstädten verbannt werden. Und überhaupt: Die urbane Automobilität, bei der jeder Mensch noch im dauerhaften Besitz eines eigenen Fahrzeugs ist, neigt sich dem Ende zu. Auch wenn VW hier kein Vorreiter ist, so ist der Start eines zentralen Auto-Abo-Angebotes dennoch ein schlauer Weg, weil man offensichtlich erkannt hat, dass sich vor allem jüngere Menschen gar nicht mehr jahre- lang fest an ein Auto binden wollen. Das Programm soll mit dem ID.3 und dem ID.4 starten, um den Kunden Appetit auf Elektromobilität zu machen. (VW könnte in diesem Zusammenhang übrigens auch noch darüber nach- denken, vermehrt Fahrschulen günstig mit E-Autos auszustatten – nur mal so als Idee in den Raum geworfen …) In einem zweiten Schritt können auch VW-Händler ihre Autos bereitstellen, damit sie nicht ungenutzt auf dem Hof stehen, und stattdessen zusätzlichen Umsatz erzielen. VW geht nach eigenen Angaben davon aus, dass bis 2030 rund 20 Prozent der Umsätze aus Abos und anderen Mobilitätsdiensten stammen könnten. Das ist der richtige Weg. Ich selbst habe übrigens Anfang 2021 auf das Abo-Modell von Sixt plus umgesattelt und kann aus eigener Erfahrung sagen, wie einfach, bequem und vor allem flexibel sowohl die Online-Ab- wicklung als auch der Fahrzeugtausch ist. Übrigbleiben werden vor allem Fragen im Umgang mit der ländlichen Auto- mobilität, aber selbst hier werden sich bei zunehmendem Homeoffice für viele Berufsgruppen die Pendelwege in die Städte vermutlich reduzieren. 177 PERSPECTIVES 2022 Kommt das Auto der Zukunft aus China? Betrachten wir zum Beispiel die Marke NIO, die sich gerade daranmacht, den europäischen Markt zu erobern. In soziologischer Hinsicht durch einen Fokus auf die Nutzer*innen-Communities, in technologischer Hinsicht durch den smarten Move wechselbarer Batterien, die an sogenannten Power-Swap-Stationen getauscht werden können. Damit umgeht man u.a. das Problem, dass sich die wenigsten zu Hause eine eigene Wallbox mon- tieren können – monatlich bis zu sechs Gratis-Batteriewechsel sollen integrativer Bestandteil des Angebotes sein. Obwohl schon jetzt mehr wert als beispielsweise BMW, werden die deutschen Hersteller NIO vermutlich erst einmal belächeln, wie sie es im Falle von Tesla auch getan haben. Aber wie sagt der Autoexperte Prof. Dr. Ferdinand Dudenhöffer: »Chinesen treiben die Technologieentwicklung entscheidend voran. In Europa und den USA hingegen gelten handgenähte Sitzoberflächen immer noch als Glanzpunkte der Exklusivität.« Und er beleuchtet damit einen wesentli- chen Aspekt: Die Anhäufung von Tech-Konzernen wie Baidu, Huawei und Tencent, die immense Zahl technikaffiner Kunden und ebenso den uner- schütterlichen Willen zur Durchsetzung des autonomen Fahrens. Huawei (!) kündigt hier eine Disruption an, die die klassische Autoindustrie ebenso wie das batterieangetriebene Auto noch mal so richtig aufreiben wird. Und Herbert Diess sekundiert: »Autonomes Fahren wird die Welt verändern.« Was bedeutet das insbesondere für die Premiumautomobilmarken? Die Markenstärke der deutschen Automobilindustrie ruhte bisher auf Motor- entwicklung, Hardwarequalität und Design. Diese Kriterien rücken jedoch immer mehr in den Hintergrund, je standardisierter der Antrieb und je relevanter die Digitalisierung und Vernetzung ist (nicht gerade ein Kompe- tenzschwerpunkt der Autohersteller) und je mehr Innenstadtsperrungen, Geschwindigkeitsbegrenzungen und Lkw-Kolonnen auf verstopften Auto- bahnen das Ziel selbst (und nicht den Weg dahin) wieder mehr als Ziel in den Mittelpunkt rücken lassen. Werteorientierte Markenführung beruht auf der Überzeugung, mit der Marke den Wandel des Unternehmens voranzutreiben und gesellschaft- liche Veränderungen konstruktiv und verantwortungsvoll zu begleiten. Die automobile Abrüstung, verbunden mit mehr Engagement in der Ver- fügbarmachung und multimodaler Verknüpfung von Mobilitätsdiensten, wird für Marken zum neuen Prestige, wenn sie sich glaubwürdig werte- orientiert positionieren und langfristig überleben wollen. Das sollten sich insbesondere die deutschen Automobilhersteller ins Lastenheft schrei- ben. Nur so werden sie wichtige Antreiber für eine positive gesellschaft- liche Entwicklung und nicht zu zentralen Verursachern ökologischer und sozialer Probleme.