6. Oft wenn ich Kleider mit vielfachen Falten,
Rüschen und Behängen sehe, die über schönen
Körper schön sich legen, dann denke ich, daß sie
nicht lange so erhalten bleiben, sondern Falten
bekommen, nicht mehr geradezuglätten, Staub
bekommen, der, dick in der Verzierung, nicht
mehr zu entfernen ist, und daß niemand so traurig
und lächerlich sich wird machen wollen, täglich
das gleiche kostbare Kleid früh anzulegen und
abends auszuziehn.
7. Doch sehe ich Mädchen, die wohl schön
sind und vielfach reizende Muskeln und
Knöchelchen und gespannte Haut und
Massen dünner Haare zeigen, und doch
tagtäglich in diesem einen natürlichen
Maskenanzug erscheinen, immer das gleiche
Gesicht in die gleichen Handflächen legen
und von ihrem Spiegel widerscheinen
lassen.
8. Nur manchmal am Abend, wenn sie spät
von einem Feste kommen, scheint es ihnen
im Spiegel abgenützt, gedunsen, verstaubt,
von allen schon gesehn und kaum mehr
tragbar.
9. »Woher hast du denn dein Wissen von den
Kleidern?« K. zuckte die Achseln, er habe
kein Wissen. »Du hast keines«, sagte die
Wirtin. »Du sollst dir aber auch keines
anmaßen.
Das Schloss, Kapitel 43
11. Im Waggon: Nasenspitze der alten
Frau mit fast noch jugendlich
gespannter Haut. Endet also die
Jugend auf der Nasenspitze und fängt
dort der Tod an?
Tagebuch, 16.Oktober 1911
13. Schön war Fr. Tschissik gestern. […] Niedrige weiße
Stirn. Das Puder, dessen Verwendung ich bisher
gesehen habe, hasse ich, wenn aber diese weiße
Farbe, dieser niedrig über der Haut schwebende
Schleier von etwas getrübter Milchfarbe vom Puder
herrührt, dann sollen sich alle pudern.
Tagebuch, 7. November 1911
Tagebuch, 16.Oktober 1911
14. Das Mädchen im Nebenzimmer
vorgestern (Helli Haas). Ich lag auf dem
Kanapee und hörte auf dem Rande des
Halbschlafs ihre Stimme. Sie kam mir
besonders stark angezogen vor, nicht
nur in ihre Kleider, sondern auch in das
ganze Nebenzimmer, nur ihre geformte,
nackte runde, starke dunkle Schulter,
die ich im Bad gesehen hatte, kam
gegen ihre Kleider auf.
Tagebuch, 30. September 1911