1. Schmerzliche Arbeit an der Erinnerung
Deutsche Antifaschisten im sowjetischen Exil: Folgekonferenz im Oktober geplant
Karl Fehler wurde 76 Jahre alt. Er starb, und Sohn verbrachten den Großteil ihre Verursacher offenzulegen. Der Arbeits-
seit vielen Jahren schwer krank und na- Kindheit in weit voneinander entfern- kreis hat es sich zur Aufgabe gemacht,
hezu bewegungsunfähig, im November ten Erziehungsheimen. Der vierjährige an die Schicksale der verfolgten Anti-
2010 in Friedrichshain. Im Arbeitskreis Karl kam in ein Heim des NKWD. Für faschisten zu erinnern und diese Arbeit
Sowjetexil war er dennoch einer der Ak- den Jungen begann eine Odyssee von an der Erinnerung öffentlich zu machen.
tivsten. Am 21. April 2010 hatte er uns einem Heim ins andere, bis sich Anna, Es begann mit dem Vortrags- und Ge-
seine Lebensgeschichte erzählt. Karl Lydia und Karl Ende 1947 in Iwanowo sprächsabend »Deutsche Antifaschisten
sprach ohne Unterbrechung eine Stunde wiedersahen. Zum ersten Mal in seinem im Gulag« im März 2009 mit Frido Sey-
lang – zum Glück gibt es davon eine Ton- bewussten Leben schlief er in einem mit dewitz. (s. Unser Blatt Nr. 40). Im Ju-
ni 2010 fand die zweitägige Konferenz
»Das verordnete Schweigen. Deutsche
Antifaschisten im sowjetischen Exil
statt (publiziert in der Reihe Pankower
Vorträge Heft 148, hg. von Helle Pan-
ke e. V.). Im Dezember 2010 stellte der
Arbeitskreis einen Antrag an die Partei
Die Linke für eine Gedenktafel am Karl-
Liebknecht-Haus mit dem Text: »Ehren-
des Gedenken an tausende deutscher
Kommunisten und Antifaschisten, die in
der Sowjetunion zwischen den 1930er-
Foto: privat
und 1950er-Jahren willkürlich verfolgt,
entrechtet, in Straflager deportiert und
ermordet wurden.« Eine Entscheidung
steht immer noch aus. In Vorbereitung
Karl Fehler (Mitte) mit Mutter (links) und Schwester 1955 in Iwanowo. befindet sich eine deutsch-russische
Wanderausstellung »Deutsche Antifa-
aufzeichnung in unserem Archiv, ergänzt Wäsche bezogenen Bett. Die Mutter, in- schisten im sowjetischen Exil. Lebens-
von biografischen Aufzeichnungen und zwischen an Wirbelsäulentuberkulose läufe zwischen den Extremen des 20.
Fotos. erkrankt, lag bis 1954 im dortigen Kran- Jahrhunderts« mit Unterstützung der
Die abgebildete Fotografie aus dem kenhaus. Im März 1955 erlaubte man Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Jahr 1948 zeigt den dreizehnjährigen ihr und den Kindern die Ausreise in die Am 28. und 29. Oktober 2011 findet
Sowjetpionier zusammen mit Mutter und DDR. Vor der Zentralen Kontrollkommis- das Thema »verordnetes Schweigen«
Schwester vor dem Internationalen Kin- sion der SED gab es im November 1955 seine Fortsetzung mit der Konferenz
derheim der »Roten Hilfe« in Iwanowo eine geheim zuhaltende mündliche »Re- »Nach dem Schweigen. Erinnerungsor-
bei Moskau – der letzten Heimstation vor habilitation«, von der nichts nach außen te, Gedenkbücher, Opferlisten des so-
der Rückkehr nach Deutschland 1955. dringen durfte. Die Scheinrehabilitation wjetischen Exils«. Daran beteiligen sich
Die drei waren hier, nach fast zehnjäh- war – falls es überhaupt dazu kam – die renommierte Forscher mit neuesten
riger Trennung, wieder beisammen. Es übliche Praxis. Forschungsergebnissen, darunter aus
fehlt auf dem Foto der Vater Karl Fehler, Das Schicksal Karl Fehlers und seiner Moskau und St. Petersburg. Die Tagung
Mitglied der KPD, seit 1933 Koordinator Familie war keineswegs die Ausnahme beginnt am Nachmittag des 28.10. mit
der illegalen Arbeit in Südwestdeutsch- – eher die Regel. Auf die Frage, was das einer Filmvorführung. Gezeigt wird der
land. Er war 1934 von den Nazis ver- Schwerste in ihrem Leben gewesen sei, Dokumentarfilm »Im Schatten des Gu-
haftet und 1941 im KZ Sachsenhausen antworten alle betroffenen Sowjetemi- lag. Als Deutsche unter Stalin geboren«
ermordet worden. Der gleichfalls verfolg- granten nahezu gleichlautend: Trennung von Loretta Walz und Annette Leo. Acht
ten Mutter Anna Fehler gelang die Flucht von den Kindern, Verlust der Lebens- Frauen und Männer erinnern sich darin
nach Paris und 1935 mit den Kindern partner und Geschwister und Ungewis- ihrer Kindheit in der Sowjetunion und der
in die Sowjetunion. Während der Vater sheit über das Schicksal der Vermissten frühen DDR. Zur erwähnten Parallelität
im deutschen Zuchthaus saß, verhaftete bis auf den heutigen Tag. Mit dem En- der Lebensläufe kommt eine unvorher-
der NKWD 1938 in Moskau die Mutter. de der Emigration begann die Zeit des gesehene Parallelität bei der Arbeit an
Sie wurde zu fünf Jahren Lagerhaft, da- großen Schweigens, die in der DDR bis der Erinnerung: Aus unserem Arbeits-
nach zu weiteren fünf Jahren Verban- zu deren Ende andauern sollte. Für das kreis sind Inge und Alex Glesel unter
nung verurteilt. Für die nächsten zehn Schweigen der Opfer stalinistischer Re- den acht Interviewten – und Karl Fehler,
Jahre verliefen die drei Lebenswege ge- pressalien gibt es viele, auch verständli- der die Aufführung des Films nicht mehr
trennt voneinander. Anna Fehler kam in che Gründe. Weit schwieriger ist es, das erleben kann. Inge Münz-Koenen
ein Lager bei Tomsk in Sibirien; Tochter Verschweigen der Verbrechen durch ihre
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