PRESSEAUSSENDUNG
Neues Leak: Österreich will Konzernklagerechte auch innerhalb der EU
Attac: Mitterlehner muss umgehend Unterstützung für dieses Papier zurückziehen
1. PRESSEAUSSENDUNG
Neues Leak: Österreich will Konzernklagerechte auch innerhalb der EU
Attac: Mitterlehner muss umgehend Unterstützung für dieses Papier zurückziehen
Das vom Seattle to Brussels Netzwerk veröffentlichte Leak zeigt, wie Österreich gemeinsam mit vier
anderen EU-Staaten Investorenschutz nun auch in der EU verankern will. (1) Das sogenannte “Nicht-
Papier” wurde Anfang April von Österreich, Deutschland, Finnland, Frankreich und den Niederlanden
in der Ratsarbeitsgruppe für Außenhandel vorgelegt. Der Kontext: Derzeit wird über die Abschaffung
der zahlreichen bilateralen Investitionsschutzabkommen zwischen EU-Mitgliedsstaaten diskutiert. Die
fünf Staaten schlagen nun vor, Investorenschutz und Konzernklagerechte gleich EU-weit einzuführen.
“Das Motto scheint zu sein: Sonderrechte für Konzerne, immer und überall. Das ist ein Skandal.
Konzernklagerechte sind ein zentraler Kritikpunkt an den geplanten Handelsabkommen TTIP und CETA.
Wirtschaftsminister Mitterlehner forciert hier auf EU-Ebene im Namen Österreichs eine Politik gegen
den Willen der Bevölkerung. Wir fordern Wirtschaftsminister Mitterlehner und die österreichische
Regierung auf, diesem Vorschlag umgehend die Unterstützung zu entziehen”, fordert Alexandra
Strickner von Attac Österreich.
Das geleakte Dokument ist auch im Zusammenhang mit den Verhandlungen zu TTIP und CETA zu
sehen. Mit diesen Abkommen sollen Klagerechte für Investoren und Konzerne zwischen der EU und
den USA bzw. Kanada verankert werden. Die fünf Länder wollen nun dieselben Sonderrechte für
Investoren auch innerhalb der EU. Alexandra Strickner: „Anscheinend sind TTIP und CETA noch nicht
genug, die Regierungen treiben immer weiter eine Handelspolitik im Interesse der Konzerne voran.“
Dabei scheinen die fünf Staaten nicht alleine zu sein. Kurz nach Vorstellung des Papiers in der
Ratsarbeitsgruppe meldete sich Business Europe, eine der größten Konzern-Lobbyorganisationen, mit
einer ähnlichen Forderung zu Wort. „Hier entsteht der Eindruck einer koordinierten Vorgangsweise. Es
ist nicht vertretbar, wie Regierungen und Lobbys gemeinsam versuchen, immer mehr Privilegien für
Konzerne durchzusetzen“, kommentiert Martin Konecny vom Seattle to Brussels Netzwerk.
Der Vorschlag der fünf Länder hätte weitreichende Folgen:
- Grenzüberschreitende Investoren bekämen Sonderrechte gegenüber lokalen Investoren,
Unternehmen und BürgerInnnen.
- Grenzüberschreitende Investoren bekämen die Möglichkeit, gültige Gesetze und Maßnahmen
demokratischer Regierungen vor privaten Schiedsgerichten anzufechten. Damit würden die
nationalen Rechtsstaaten weiter ausgehöhlt. Grenzüberschreitende Investoren würden nicht
mehr vor nationalen Gerichten, sondern vor privaten Schiedsgerichten klagen.
- Konzernrechte würden über das öffentliche Interesse gestellt. Politische Handlungsspielräume
und Demokratie innerhalb der gesamten EU würden damit weiter ausgehebelt.
- SteuerzahlerInnen würden für Konzerne und deren Profitinteressen zur Kasse gebeten werden.
Das geleakte Dokument wirft einmal mehr die Frage auf, auf welcher Grundlage die Regierungen
politische Entscheidungen eigentlich treffen. Ohne jegliche öffentliche Diskussion treibt das
Wirtschaftsministerium im Namen Österreichs in der EU derartige Vorschläge offensiv voran. “Es
braucht in Zukunft auch andere Mechanismen der Debatte über Handels- und Investitionsabkommen.
Nationale Parlamente müssen vorab in solche Diskussionen involviert werden, um die Möglichkeit zu
erhalten, von Anfang an grundlegende Positionen mitzubestimmen. Es kann nicht sein, dass ein
Minister im Alleingang solche Projekte vorantreibt”, meint Alexandra Strickner abschließend.
2. Hintergrundinformationen zum Vorschlag der fünf Staaten
Der Vorschlag für Inner-EU-Investorenschutz wurde am 7. April von Österreich, Deutschland, Finnland,
Frankreich und den Niederlanden im EU-Handelspolitikausschuss vorgestellt. Das “Nicht-Papier”
nimmt Bezug auf ein informelles technisches Treffen der Mitgliedsstaaten am 1. Oktober 2015. Ein
weiteres Treffen zur vertiefenden Diskussion dieses Vorschlags wird vorgeschlagen. Die fünf Länder
bieten auch an, einen ersten juristischen Textvorschlag auf der Basis ihrer Ideen zu erarbeiten.
Der Vorschlag steht im Kontext der sogenannten “infringement procedures”. (2) Die EU-Kommission
führt diese durch, um noch bestehende bilaterale Investitionsschutzabkommen (BIA) zwischen
Mitgliedsstaaten zu beenden. Diese sogenannten Intra-BIAs bestehen meist zwischen
westeuropäischen und zentral- bzw. osteuropäischen Ländern. Sie wurden zwar vor deren EU-Beitritt
abgeschlossen, bleiben aber weiter bestehen.
Die Europäische Kommission vertritt die Ansicht, BIAs stünden im Widerspruch zum EU-Recht. Da sie
Mitgliedsstaaten und Wirtschaftsakteure diskriminieren, sollen sie abgeschafft werden. Bisher ist die
Kommission damit gescheitert, so dass Investoren innerhalb der EU dieses Instrument schon hunderte
Male genutzt haben um ihre Interessen durchzusetzen. Auch österreichische Unternehmen haben
diese BIAs genutzt, unter anderem die EVN und Meinl.
Intra-EU BIAs ermöglichen Investoren, Regierungen anderer EU-Staaten bei privaten Schiedsgerichten
zu verklagen und Schadenersatzzahlungen zu fordern, wenn z.B. Sozial-, Umwelt- oder
Gesundheitsgesetzgebung ihre Profitinteressen einschränken.
Somit diskriminieren diese Intra-EU BIAs ausländische Investoren gegenüber lokalen Unternehmen und
BürgerInnen. Sie reduzieren die politischen Handlungsspielräume für Regierungen und höhlen die
Demokratie aus. Anstatt diese Privilegien, von denen vor allem westeuropäische Konzerne profitieren,
abzuschaffen schlagen die fünf Länder nun vor, Intra-EU BIAs auf alle EU-Länder auszuweiten. Sollten
auch die Abkommen CETA und TTIP eingeführt werden, ist mit einer Explosion von Konzernklagen zu
rechnen.
Die fünf Länder führen unter anderem folgende Argumente für den EU-weiten Investorenschutz an:
- Grenzüberschreitende Investoren in der EU brauchen höheren Schutz als BürgerInnen, lokale
Investoren und Unternehmen.
- Schiedsgerichte wären besser geeignet, um Investorenschutz zu garantieren – im Gegensatz zum
nationalen Rechtssystem eines Landes.
- Grenzüberschreitende Investoren benötigen juristische Privilegien, um rechtmäßige Maßnahmen
von demokratisch gewählten Parlamenten/Gremien in Frage stellen zu können – auch auf Kosten
der SteuerzahlerInnen
- Der Vorschlag ist notwendig, um die Verhandlungsposition der EU bei Handelsabkommen mit
anderen Ländern zu stärken. Das ist wichtiger als die Gleichheit aller BürgerInnen der EU vor dem
Recht zu gewährleisten.
Diese Argumente zeigen, wie wenig relevant die Interessen von ArbeitnehmerInnen und BürgerInnen
für diese fünf Länder sind.
EU-Intra-Investitionsschutzabkommen und österreichische Unternehmen
Österreichische Unternehmen nutzen die bestehenden Intra-EU-Investitionsschutzabkommen um ihre
Interessen durchzusetzen – auch gegen Österreich selbst. So hat Meinl den Staat Österreich über das
bilaterale Investitionsschutzabkommen mit Malta auf 200 Millionen Euro Schadenersatz geklagt. (3)
Die EVN klagte 2013 Bulgarien wegen der Abgeltungstarife für erneuerbare Energien. Der Konzern hat
diese vorfinanziert und will laut bulgarischen Medien nun 600 Millionen Euro vom Staat zurück. (4) Das
österreichische Holzunternehmen Schweighofer drohte Rumänien 2015 mit einer Klage wegen eines
3. neuen Forstgesetzes. Die rumänische Regierung hatte nämlich im Mai 2015 ein neues Gesetz
beschlossen, welches die Holzschlägerung in den Urwäldern eindämmen soll. Außerdem dürfen
einzelne Firmen nur mehr 30 Prozent des genehmigten Kontingents einer Holzsorte verarbeiten.
Schweighofer sieht durch das Gesetz seinen möglichen zukünftigen Profit beeinträchtigt. Bereits im
September 2014 und Mai 2015 hatte Schweighofer dem rumänischen Premier Victor Ponta in Briefen
eine ISDS-Klage angedroht, sollte das Gesetz in Kraft treten.(5)
(1) Das geleakte Dokument: “The AFFGN non-paper“
(2) http://europa.eu/rapid/press-release_IP-15-5198_en.htm
(3) http://kurier.at/wirtschaft/meinl-bank-klagt-republik-vor-schiedsgericht-in-
washington/145.176.949
(4) http://www.juve.de/nachrichten/oesterreich/2013/07/investitionstreit-evn-verklagt-mit-
freshfields-bulgarien-nach-einschrankung-im-stromhandel
(5) http://www.umweltinstitut.org/aktuelle-meldungen/meldungen/investorenschutz-
oesterreichischer-konzern-droht-rumaenien-mit-klage.html
Weitere Informationen:
Presseaussendung des Seattle to Brussels Network (http://www.s2bnetwork.org/wp-
content/uploads/2016/05/Intra-EU-Bits2-18-05.pdf)
Cecilia Olivet. A test for European solidarity. The case of intra-EU Bilateral Investment Treaties.
Amsterdam, Transnational Institute, January 2013.
(https://www.tni.org/files/download/briefing_on_intra-eu_bits_0.pdf)
The S2B Network. The Zombie ISDS. Rebranded as ICS, rights for corporations to sue states refuse
to die. Brussels, 2016 (http://www.s2bnetwork.org/the-zombie-isds/)
Deutschsprachige Kurzfassung (https://www.ttip-stoppen.at/wp-content/uploads/2014/03/ISDS-
Zombie-Zusammenfassung-DE.pdf)
CCPA, CEO, FOEE, FUE, TNI. Investment Court System put to the test.
Amsterdam/Brussels/Berlin/Ottawa, April 2016 (http://www.s2bnetwork.org/investment-court-
system-put-test/ )
Power Shift, Campact, TTIP Unfairhandelbar. Investment Protection in the EU-Canada CETA: a
critical analysis. Berlin, 2016. http://power-shift.de/wordpress/wp-
content/uploads/2016/05/Powershift-Campact-TTIP_Unfairhandelbar-Analysis-
InvestmentProt_CETA_May2016-final.pdf