1. 2 Effecten-Spiegel Nr. 38 – 17.09.2015
Der ES hatte in seiner letzten Ausgabe
zum Gesetzentwurf der Großen Koalition
zur Umsetzung neuer Delisting-Regelun-
gen Stellung genommen. Inzwischen fand
die öffentliche Anhörung dazu im Finanz-
ausschuss des Deutschen Bundestages
statt. Damit liegen die Karten auf dem
Tisch, nun muss gehandelt werden!
Der völlig überraschend eingebrachte Vor-
schlag sieht vor, dass für Aktiengesellschaften
ein Delisting (Rückzug von der Börse) oder
Downgrading (Wechsel in ein niedrigeres
Marktsegment) nur zulässig ist, wenn gleich-
zeitig ein Übernahmeangebot zum Erwerb der
außenstehenden Aktien gemacht wird. Als
Preis soll aber allein der durchschnittliche Bör-
senkurs der letzten drei Monate gelten. Eine
Unternehmensbewertung auf Grundlage der
Ertragswertmethode sowie die gerichtliche
Überprüfung des Abfindungspreises durch ein
Spruchverfahren soll es nicht mehr geben. Zu-
dem beinhaltet die vorgelegte Lösung „immer
noch keine Verpflichtung zum Hauptversamm-
lungs-Beschluss. Sie überlässt die Entschei-
dung über den Rückzug von der Börse viel-
mehr weiter der Unternehmensleitung“ (Prof.
Dr.Tim Drygala und Robert Peres in der LTO).
Getarnt als scheinbare Verbesserung des Anle-
gerschutzes entpuppt sich der Regierungsvor-
schlag damit als einer der aggressivsten An-
griffe auf die letzten, noch verbliebenen
Minderheitenrechte der Aktionäre. Für die
DSW ist dies ein „Dolchstoß für den treuen
langfristigen Anleger“, während ihn das Deut-
schen Aktieninstitut (DAI) beklatscht. Auf An-
frage des ES teilte das DAI mit: „Es ist sinnvoll,
den Börsenrückzug ... nicht im Aktienrecht zu
regeln, da die betroffenen Aktionäre ihre Akti-
onärsrechte wie z.B. das Recht auf Dividende
auch außerhalb der Börse behalten. Sachge-
recht ist es auch, die Abfindungshöhe anhand
des Börsenkurses zu bestimmen. Eine Entschä-
digung nach dem inneren Wert würde dage-
gen mit erheblichen Rechtsunsicherheiten für
die Unternehmen einhergehen und lange teure
Rechtstreitigkeiten über die richtige Abfin-
dungshöhe provozieren.“ Statt Aktionärsrech-
te zu schützen und die Anforderungen an den
Börsenrückzug anlegergerecht zu gestalten,
macht sich das DAI für ein Delisting ohne an-
gemessene Abfindung stark und lässt sich da-
mit vor den Karren der Lobbyisten spannen.
Mit diesem Gesetz werden jedoch nicht nur die
Minderheitsaktionäre billig abserviert, son-
dern auch die deutsche Wirtschaft schutzlos
gestellt. Gerade ausländische Großinvestoren
werden in Zukunft den Druck auf die Minder-
heitsaktionäre (darunter auch viele Mitarbei-
teraktionäre, Pensionskassen etc.) erhöhen,
indem sie bereits im Übernahmeangebot mit
einem späteren Delisting ohne Abfindung dro-
hen. Der Entwurf ist eine Anleitung dafür, wie
Aktionäre künftig billig aus ertragsstarken
deutschen Gesellschaften gedrängt werden
können, um diese dann zu Ramschpreisen zu
übernehmen. In der Konsequenz führt dies
zum Ausverkauf der deutschen Industrie, initi-
iert vom Großkapital und unterstützt vom
deutschen Gesetzgeber.
Der Effecten-Spiegel hat seit letzter Woche auf
seiner Internetseite www.effecten-spie-
gel.com ein Musterschreiben für Aktionäre
eingestellt, mit dem sie ihren jeweiligen Bun-
destagsabgeordneten auffordern können, ge-
gen diesen Vorschlag zu stimmen (s.S.31). Die
Resonanz ist gewaltig. Viele ES-Leser haben
umgehend das Schreiben heruntergeladen und
versandt. Die ersten haben auch schon eine
Stellungnahme von ihren Abgeordneten erhal-
ten, in der nun die eigentliche Intention des
Änderungsvorschlages offenbar wird: Es ist
„eine Abwägung zwischen (Klein-)Anleger-
schutz auf der einen Seite und dem berechtig-
ten Interesse der Wirtschaft, sich so schnell,
berechenbar und so kostengünstig wie mög-
lich von der Börse zurückziehen zu können.
Gerade letzteres trägt nicht unerheblich bei
der Entscheidungsfindung von Unternehmen
bei, überhaupt erst einen Börsengang zu wa-
gen – eine durchaus von der CDU/CSU-Frakti-
on gewünschte Tendenz... Nachdem Ihnen si-
cher auch bewusst ist, dass die Suche nach
dem ‚Inneren Wert‘ unter Nutzung des Ertrags-
wertverfahrens auch nur ein ‚clever guess‘ ist
... , scheint ... der Durchschnittsbörsenkurs
grundsätzlich der richtige erste (!) Ansatz-
punkt (Büro Prof. Dr. Heribert Hirte MdB/CDU-
Köln).“
Das sofortige Handeln der ES-Leser hat sich
schon jetzt gelohnt: Zum einen wird nun deut-
lich, worauf die Politik tatsächlich abzielt und
wer die wahren Hintermänner sind, zum ande-
ren formiert sich der Widerstand. In der ver-
gangenen Woche trafen sich die Berichterstat-
ter von Rechts- und Finanzministerium, um die
strittigen Punkte noch einmal zu verhandeln.
Vor allem die SPD, die ja ursprünglich den Än-
derungsantrag mit auf den Weg brachte, for-
dert nun eine Nachbesserung und macht damit
eine gewaltige Kehrtwende. In ihrer aktuellen
Presseerklärung heißt es dazu: „Ein faires Ab-
findungsangebot muss sich am Ertragswert
orientieren.“
Das Institut der Wirtschaftsprüfer e.V. (IDW)
hat dem ES auf Anfrage ebenfalls eine Stel-
lungnahme vorgelegt, in der für ein Delisting
„die Zustimmung der Hauptversammlung der
Gesellschaft sowie ein Abfindungsangebot
zum ‚wahren Wert‘, d.h. zu einem nach dem
Ertragswert- oder einem Discounted Cashflow
(DCF)-Verfahren ermittelten Zukunftserfolgs-
wert“ gefordert wird. „Der Übernehmer, der
Hauptaktionär oder das Management kennen
das Unternehmen zwar genau, sind aber durch
Insiderrecht gehindert oder haben mit Blick
auf die Abfindung kein Interesse, den Kapital-
markt über das Unternehmen zu informieren.“
Im „Schweinsgalopp“ will man dennoch
den Gesetzentwurf durchpeitschen. Am
23.09. wird der Finanzausschuss über den
Entwurf beraten, am 02.10. sollen die
Transparenz-Richtlinien im Bundestag ver-
abschiedet werden. Daher müssen die Ak-
tionäre den Druck nochmals erhöhen und
zeigen, dass man sie nicht widerstandslos
übergehen und einen derartigen Enteig-
nungsversuch durchsetzen kann.
n Im Spiegel der Kritik
Deutschland AG zum
Ramschpreis
Gesetzentwurf zum Delisting stoppen!
Marlis Weidtmann
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