Digitale Zukunft / Marion Marxer / Interview Pece 2014
1. pece Juni 2014 1312 pece Juni 2014
F
rau Marxer, Sie haben letzten
Sommer in einem Inteview mit
«Persönlich» ausgesagt, dass in
2 bis 3 Jahren 90 Prozent der Kommu-
nikation digital sein würde. Bleiben Sie
bei diesem Statement?
Marion Marxer: Mit den 2-3 Jahren war
ich wahrscheinlich etwas sehr progressiv...
sehr viel länger wird es jedoch nicht dau-
ern. Weltweit gesehen ist heute der grosse
Teil der Kommunikation digital. Vor al-
lem in den Emerging Markets läuft fast al-
les über digitale Kanäle. Dabei stehen
mobile Medien klar im Fokus. Sie sind
zentrales «Tool» für Austausch, Informa-
tion und Unterhaltung. Da dies die
Wachstumsmärkte sind, wird die Digitali-
sierung sehr stark durch sie getrieben.
Hier potenzieren sich zwei Faktoren: Ihr
Anteil an der weltweiten Kommunikation
steigt rasant, gleichzeitig wird die Kom-
munikation insgesamt im Eiltempo digi-
taler. Die Digitalisierung verläuft auch bei
uns exponentiell und wir stehen – meiner
Meinung nach – kurz vor einem «Akzep-
Marion Marxer ist eine Pionierin. Sie hat sich
nicht nur einen Namen als bekannteste
Werberin Liechtensteins geschaffen, sie war
auch eine der Ersten, die in der Schweiz auf
digitales Marketing setzte. So blickt sie der
digitalen Zukunft mit Spannung entgegen –
denn sie ist überzeugt: Jeder ist selbst dafür
verantwortlich, ob er von den neuen Möglich-
keiten profitiert oder sich davon «terrorisie-
ren» lässt. INTERVIEW NIKI EDER
tanz»-Durchbruch im Marketing. Papier
von Zeitungen wird bereits von den Nut-
zern sukzessive und in hoher Geschwin-
digkeit durch Screens ersetzt. Sobald Pa-
pier von Plakatwänden und POS Anzei-
gen durch Screens ersetzt sind – und das
ist aus Effizienzgründen nur noch eine
Frage von ein paar Jahren – sind wir bei
den 90%. Ich denke, dies wird ca.
2017/2019 der Fall sein.
Wie stark nutzen Sie selbst die digitalen
Medien?
Fast ausschliesslich. Ich bin 100% Mobile-
fokussiert – persönliche Treffen und Ge-
spräche ausgeschlossen. Ich besitze ein
MacBook Air, einen iPad und ein iPhone.
Information, Unterhaltung und Aus-
tausch erfolgen über diese drei mobilen
Geräte. Nur bei Büchern mache ich eine
Ausnahme. Die lese ich – zumindest im
Urlaub – noch in analoger Form, weil ich
es liebe, ihnen durch Eselohren und Son-
nencreme-Flecken eine Ferienpatina zu
verleihen. iOS ist mehr ein Bequemlich-
keitsentscheid, weil ich seit Jahrzehnten
Apple-Produkte benutze. Ich denke je-
doch, dass ich in nicht allzu langer Zeit ei-
nen System-Wechsel vornehmen werde,
da es punkto Innovation und Design lang-
sam ins Hintertreffen gerät – v.a. im Be-
reich Smart Phones und Tablets.
Welche Form der Datennutzung macht
Ihrer Meinung nach diesbezüglich das
Rennen – speziell in der Schweiz und
Liechtenstein?
Weltweit ganz klar: Mobile + Android.
Auch früher oder später in Liechtenstein
und der Schweiz. Die iOS-Dichte ist bei
uns ungewöhnlich hoch und deshalb wird
es ein bisschen länger dauern.
Die Digitalisierung bringt den gläser-
nen Menschen mit sich. Wer die Mög-
lichkeiten kennt, kann bereits heute
praktisch alle Informationen über einen
Menschen aus dem Netz ziehen. Was
überwiegt, die Chancen oder die Gefah-
ren für die Zukunft?
Natürlich gibt es einige negative oder zu-
mindest fragwürdige Aspekte und Entwik-
klungen. Zum Beispiel Health Tracking
über implantierte Chips etc. Ich frage
mich diesbezüglich, wie lange es noch
geht, bis wir unseren mobilen Device fra-
gen müssen, ob das Feierabend-Bier mit
Arbeitskollegen noch drin liegt oder un-
sere Krankenkassen-Prämie dadurch be-
reits ansteigt. Dennoch überwiegen ganz
klar die Chancen. Entwicklung ist auch
etwas, zu dem wir nicht ja oder nein sagen
können. Sie passiert mit oder ohne uns.
Wir können jedoch weitgehend selbst ent-
scheiden, ob wir von den neu entstehen-
den Möglichkeiten profitieren, oder uns
frustrieren und terrorisieren lassen. Hier
ist das Smart Phone ein gutes Beispiel. Ich
habe es selbst in der Hand, ob ich die da-
durch entstandene Mobilität und die vie-
len nützlichen Features geniesse, die mein
Leben erleichtern. Ob ich es von Zeit zu
Zeit auch mal stumm schalte oder ab-
stelle, um in Ruhe ein Gespräch oder ein-
fach Zeit für mich zu geniessen. Oder ob
ich mich durch die ständige Erreichbar-
keit stressen lasse und ununterbrochen
darüber motze.
Worin unterscheidet sich für Sie als
bekannteste Werberin Liechtensteins
die kollektive Intelligenz von der
kreativen Intelligenz?
Genau hier liegt der Unterschied zwischen
menschlicher und künstlicher Intelligenz
(Artificial Intelligence): Im Bereich der
Nutzung kollektiver Intelligenz sind heute
Computer schon fast besser als Menschen,
da es dabei – vereinfacht gesagt – um die
Auswertung der Gesamtheit der zur Ver-
fügung stehenden Informationen geht.
Ob Computer jedoch im Bereich der krea-
tiven Intelligenz – vereinfacht der Fähig-
keit zur Entwicklung neuartiger Ideen
und Ansätze – ganz an menschliche We-
sen herankommen, werden wir sehen. Auf
jeden Fall ist die Erschaffung von Compu-
tern mit menschlichen Fähigkeiten eine
der grössten Herausforderungen für die
Wissenschaft. Ebenfalls interessant sind
die Begriffe im Kontext von Crowd Sour-
cing. Im Zusammenhang mit einem Man-
dat habe ich mich damit befasst, wie es
denn eigentlich um die Kreativität der
Masse im Zusammenhang mit den aktuel-
len Entwicklungen im Bereich Crowd
Sourcing steht. Man könnte hier vielleicht
von «kollektiver Kreativität» sprechen.
Interessant ist, dass wir im Marketing bis-
her eben genau die Kreativität einer Viel-
zahl von Individuen genutzt haben, der
Trend nun aber hin zu einer Nivellierung
gehen könnte, da wir versuchen «Massen-
taugliches» zu entwickeln, zum Beispiel
durch Crowd Shaping. Dadurch fördern
wir jedoch nicht die Kreativität, sondern
das Mittelmass – den Durchschnitt aller
Meinungen.
Wohin geht der Trend im Bereich
Location Based Services?
Als erstes geht der Trend klar Richtung
Location Based – sowohl bei der Produkt-
und Service-Gestaltung wie auch in der
Vermarktung. Der unmittelbare Nutzen
in der Situation und in dem Umfeld, in
dem man sich gerade befindet, wird im-
mer zentraler. Stichworte in diesem Zu-
sammenhang sind: real-time, instant gra-
tification, context value marketing. Im
Bereich Location Based geht es meiner
Meinung nach hin zu einer stärkeren
Kommerzialisierung (zum Beispiel Cou-
poning am POS) sowie Augmented (In-
formationen visuell ins Umfeld eingebet-
tet) und Social (rund ums Zusammen-
bringen von Menschen, die sich im un-
mittelbaren Umfeld befinden). In diesem
Bereich gibt es auch enormes Potential
und neue Chancen für Medien.
Wo sehen Sie die Herausforderungen
für den lokalen Handel in Liechten-
stein? Und wie kann er von der Digitali-
sierung profitieren?
Die Herausforderung besteht darin, die
Digitalisierung nicht nur als Veränderung
der Kanäle zu sehen, sondern sich damit
auseinanderzusetzen, was sich im Verhal-
ten und bei den Bedürfnissen und Erwar-
tungen der Menschen verändert. Hier gibt
es dann auch viele Bereiche mit grossen
Chancen für lokale Geschäfte. Zum Bei-
spiel möchten Menschen heute bewusster
und mit gutem Gewissen einkaufen. Eine
Facette dieses Trends ist Local Love: Men-
schen kaufen vermehrt Dinge aus der Re-
gion, weil damit die Umwelt durch kür-
zere Transportwege geschont wird. Und,
weil sie die Wirtschaft der Region stärken
wollen, das Geld im unmittelbaren Um-
feld bleibt und irgendwie wieder zu ihnen
zurück kommt (Boomerang Shopping).
Ein stark vereinfachtes Beispiel dieses
Prinzips: wenn ich bei meinem Nachbarn,
einem Bäcker, Brötchen kaufe und er da-
mit nachher bei mir, einem Metzger,
Fleisch kauft, kommt das Geld, das ich
ausgebe immer wieder zu mir zurück. Als
lokales Geschäft kann ich diese Aspekte
im Marketing stär-
ker verankern und in
der Kommunikation stär-
ker betonen und dadurch die
Entwicklung als Chance nutzen.
Um noch einen Blick auf die Medien-
welt zu werfen. Denken Sie, dass Print-
medien in irgendeiner Form weiter exi-
stieren werden oder dass das Internet
die alleinige Rolle als Leitmedium über-
nehmen wird?
Eigentlich weiss ich gar nicht, wieso wir so
viel darüber diskutieren. Die Papier- und
Druck-Industrie muss sich deswegen Sor-
gen machen, ja, aber die Medien- und
Werbewelt sollte sich freudig die Hände
reiben und darüber freuen, dass die Ent-
wicklung weg vom Papier hin zu digitalen
Kanälen als Trägermedium sehr viele neue
Chancen und zusätzliches Geschäftspo-
tential bringt. Konkret zu Ihrer Frage: es
wird weiterhin Zeitungen und Zeitschrif-
ten geben, aber in einer anderen, interak-
tiveren und sicher digitalen Form. Auch
hier wieder: wir können uns über Wandel
und Entwicklung beklagen, uns davor
fürchten. Oder wir beschäftigen uns mit
den neuen technologischen Möglichkeiten
und den neuen Bedürfnissen der Gesell-
schaft und tragen selbst zur Erfindung
und Kreation von neuen Medien bei.
Denn Inhalt (Content) ist so aktuell wie
nie – und darum geht es ja eigentlich,
wenn wir von Medien sprechen.
Wo sieht sich Marion Marxer in 5 Jah-
ren und wie wird die Digitalisierung ihr
Leben beeinflussen?
Wo ich in 5 Jahren bin, weiss ich jetzt
noch nicht. Aber, ja, die Digitalisierung
beeinflusst mein Leben heute und wird es
auch in 5, 10 und 20 Jahren tun. Sie ge-
hört zur Entwicklung der Menschheit und
der Gesellschaft. Die Digitalisierung ver-
ändert unser Leben auf vielschichtige
Weise. Es gibt neue Möglichkeiten, neue
Bedürfnisse, neue Erwartungen und neue
Realitäten. Sie bestimmt, wie wir mitein-
ander umgehen und wie wir Dinge be-
trachten. Zum Beispiel: In 5 Jahren wird
Augenmented Reality wahrscheinlich ein
Ding der Normalität sein. Für meinen
dann 7-jährigen Sohn, der damit auf-
wächst, wird «Realität» etwas anderes sein
als für mich. Dies ist einer der vielen span-
nenden Aspekte, mit denen ich mich
wahrscheinlich in 5 Jahren auseinanderset-
zen werde – genau wie es alle anderen
auch tun werden.
«Die Digitalisie-
rung verändert
unser Leben auf
vielschichtige
Weise»