Sws aktuell 2016_02 von Lisa Sinowatz
Die duale Lehrlingsausbildung, also die Kombination von Berufsschule und betrieblichem Lernen genießt in Österreich eine
hohe Anerkennung. Das Ausbildungssystem steht jedoch zunehmend strukturellen Herausforderungen gegenüber.
GWA als Brückenbauerin Hannover Stand 29.4.24 final.pptx
Ausbildungsqualität in der Lehre
1. Ausbildungsqualität in der Lehre
Die duale Lehrlingsausbildung, also die Kombination von Berufsschule und betrieblichem Lernen genießt in Österreich eine
hohe Anerkennung. Das Ausbildungssystem steht jedoch zunehmend strukturellen Herausforderungen gegenüber. Die demo-
grafische Entwicklung führt dazu, dass die relevanten Alterskohorten schrumpfen. Immer mehr Jugendliche entscheiden sich
zudem für vollschulische Ausbildungswege. Die Bereitschaft der Betriebe, Lehrlinge auszubilden, sinkt und die Qualität der
Lehrlingsausbildung unterliegt starken Schwankungen auf Branchen- und Betriebsebene. Von Lisa Sinowatz
Impressum: Herausgeber und Medieninhaber Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien, 1040 Wien,
Prinz Eugen Strasse 20-22 · Redaktion Gerlinde Hauer, Petra Innreiter, Ilse Leidl, Reinhold Russinger,
Matthias Schnetzer, Norman Wagner · Kontakt SWSA@akwien.at · Verlags- und Herstellungsort Wien
Erscheinungsweise 11 mal jährlich · DVR 0063673 AKWien
Lehrlingsmonitor: Qualität messbar machen
Eine wesentliche Voraussetzung für die Qualitätssiche-
rung von betrieblichen Ausbildungsprozessen ist deren
Mess- und Vergleichbarkeit, um so strukturelle Stärken
wie Schwächen offenzulegen und zueinander in Bezug
zu setzen. Dafür braucht es ein transparentes Set von
Qualitätsindikatoren und eine systematische Erfassung
von Ausbildungsprozessen. Mit dem Lehrlingsmonitor
haben Arbeiterkammer (AK) und Österreichischer
Gewerkschaftsbund (ÖGB) ein Format geschaffen, das
darüber Aufschluss gibt, in welchen Bereichen Hand-
lungsbedarf besteht (siehe Glossar).
Um die Lehrberufe mit den subjektiv von den Lehr-
lingen eingeschätzten Ausbildungsbedingungen
vergleichen zu können, wurde aus dreizehn Items der
Index „betriebliche Rahmenbedingungen“ erstellt, der
unterschiedliche Dimensionen der Ausbildungsqualität
erfasst und so ein Bild der Ausbildungsqualität wieder-
geben soll.
Die höchsten Werte erringt dabei das allgemeine
soziale Klima, das in Ausbildungsbetrieben herrscht.
Ebenfalls positiv wird auch die Bereitschaft der Lehr-
betriebe beurteilt, den Lehrlingen verantwortungsvolle
und umfassendere Arbeitsaufgaben zu übertragen. Ein
weiteres Qualitätskriterium mit hohen Zustimmungs-
raten ist der konstruktive Umgang mit Fehlern, den
immerhin 44 Prozent in jedem Fall, und weitere 27 Pro-
zent zumindest ausreichend in ihrem Lehrbetrieb als
gegeben sehen.
Die geringsten Werte auf der Qualitätsskala erhält
die Feedbackkultur. Ein weiterer Mangel betrifft die
unzureichenden Zeitressourcen beim Ausprobieren
und Erlernen neuer Arbeitsschritte. Ebenfalls kaum die
Hälfte (47 Prozent) gibt an, dass in der Arbeit gut oder
zumindest ausreichend auf die eigenen Interessen und
Neigungen eingegangen wird (Abbildung 1). è
WUSSTEN SIE, DASS die Lehrabschlussprüfung aktuell
das einzige Instrument zur Messung der Ausbildungs-
qualität ist?
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Feedback und Rückfragen bitte an SWSA@akwien.at
SOZIAL-WIRTSCHAFTS
STATISTIK AKTUELL Nr 2/2016
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2. Ausbildungsqualität in der Lehre 2
Reality Check: Gesetzlicher Rahmen und betriebliche
Praxis
Gemäß Berufsausbildungsgesetz (BAG) dürfen Lehr-
linge nur für Tätigkeiten herangezogen werden, die mit
dem Wesen der Ausbildung vereinbar sind, also nicht
fachfremd. Dennoch kommt es oft vor, dass Lehrlinge
für ausbildungsfremde Tätigkeiten herangezogen
werden. Nur 16 Prozent der befragten Lehrlinge werden
ausschließlich für ausbildungsbezogene Tätigkeiten
eingesetzt.
Für die Ausbildung Jugendlicher gelten besondere
rechtliche Bestimmungen. So sind etwa Überstunden
für Lehrlinge unter 18 Jahren verboten. Dennoch gibt
jeder dritte Lehrling unter 18 Jahren an, regelmäßig
solche an sich verbotenen Überstunden zu leisten –
und das nicht immerfreiwillig (siehe Abb. 2).
Das Ergebnis im Bereich Tourismus sticht hier beson-
ders hervor: 27 Prozent der Lehrlinge dieser Branche
geben an, unfreiwillige Überstunden leisten zu müssen.
Weitere 30 Prozent müssen Überstunden leisten, die
manchmal freiwillig, aber auch manchmal unfreiwillig
sind. Nur ein Drittel der Lehrlinge muss keine Überstun-
den machen.
Ein weiteres Merkmal von Ausbildungsqualität betrifft
die fachlich-didaktische Kompetenz und die regel-
mäßige Präsenz der AusbilderInnen. Aufgaben- und
Verantwortungsbereiche der AusbilderInnen sind
gesetzlich klar geregelt. Bei der Befragung gaben
jedoch nur etwas mehr als die Hälfte der Lehrlinge
(56 Prozent) an, dass ihre AusbilderInnen regelmäßig
im Betrieb anwesend sind.
Das wichtigste Instrument zur Messung der Aus-
bildungsqualität bildet (in Ermangelung bindender
Qualitätskriterien während der Lehrausbildung) die
Lehrabschlussprüfung (LAP). Es lässt sich ein klarer
Zusammenhang zwischen betrieblichen Rahmenbe-
dingungen und dem Vorbereitungsgrad auf die è
WUSSTEN SIE, DASS jeder dritte Lehrling unter
achtzehn Jahren verbotene Überstunden leisten
muss?
Abbildung 1: Items der betrieblichen RahmenbedingungenAbbildung 1: Items der betrieblichen Rahmenbedingungen
Ich fühle mich im Betrieb als Kollege/Kollegin voll akzeptiert.
Es werden mir verantwortungsvolle Arbeitsaufgaben übertragen.
Ich führe nicht nur einzelne Arbeitsschritte durch, sondern
werde auch in größere Arbeitsabläufe voll mit einbezogen.
Wenn ich Fehler mache, wird mir erklärt was falsch war.
Die Arbeit macht mir Spaß.
Ich weiß genau, was ich in meiner Ausbildung lernen soll
(z.B. Berufsbild, Ausbildungsvorschrift, Ausbildungsplan).
Meine Ausbildung im Betrieb ist abwechslungsreich.
Ich kann meine Arbeit selbstständig planen,
durchführen und kontrollieren.
Die Arbeitsvorgänge werden mir zur vollsten Zufriedenheit erklärt.
Bei neuen Arbeitsaufgaben bekomme ich
genügend Zeit zum Ausprobieren.
Bei der Arbeit wird auf meine Neigungen und Interessen eingegangen.
Es wird regelmäßig besprochen, wie ich mit
der Ausbildung zurechtkomme.
Quelle: öibf / 1. Österreichischer Lehrlingsmonitor. n=6.465 Lehrlinge.
Differenz auf 100% sind Rundungsdifferenzen
Quelle: öibf / 1. Österreichischer Lehrlingsmonitor. n=6.417 Lehrlinge
8% 23% 23% 30% 16%
Ich muss Tätigkeiten
verrichten, die eindeutig
nicht zu meiner
Ausbildung gehören.
53 % 23% 13% 7% 5%
49% 28% 14% 5% 4%
45% 28% 16% 6% 5%
44% 27% 16% 8% 5%
40% 29% 17% 8% 6%
39% 33% 17% 7% 4%
38% 26% 19% 10% 8%
31% 31% 20% 10% 8%
29% 34% 21% 11% 5%
22% 27% 25% 15% 11%
19% 28% 26% 14% 12%
16% 22% 23% 18% 22%
stimme zu (1) (2) (3) (4) stimme nicht zu (5)
immer (1) (2) (3) (4) nie (5)
3. Ausbildungsqualität in der Lehre 3
Lehrabschlussprüfung nachweisen. Jene Lehrlinge,
die die Rahmenbedingungen während der Ausbildung
besser beurteilen, fühlen sich auch besser auf die Lehr-
abschlussprüfung vorbereitet. Weniger als die Hälfte
der befragten Lehrlinge sieht sich zum Befragungs-
zeitpunkt auf die LAP (eher) gut vorbereitet. Mehr als
jede/r Fünfte schätzt den eigenen Vorbereitungsgrad
sogar als (eher) schlecht ein. Ein gutes Drittel fühlt sich
„mittelmäßig“ gut auf die Prüfung vorbereitet. Hinzu
kommt, dass 43 Prozent der Befragten gar nicht oder
nur wenig mit dem/der AusbildnerIn darüber gespro-
chen haben, was bei der LAP gekonnt werden muss.
Jede/r Fünfte gab an, dass der Betrieb ihnen gar nicht
bei der Vorbereitung zur LAP hilft.
Zwei von drei Lehrlingen (64 Prozent) fühlen sich durch
die Lehre gut bis ausreichend auf die zukünftige Arbeit
als Fachkraft vorbereitet. Ein ähnlich hoher Anteil
(68 Prozent) blickt seiner individuellen beruflichen
Zukunft zuversichtlich entgegen.
Ausbildungsqualität ist sehr unterschiedlich
Die Analyse zeigt, dass Mängel in der Ausbildungs
qualität kein flächendeckendes Phänomen sind.
Vielmehr treten sie in einzelnen Lehrberufen oder
Abbildung 2: Freiwilligkeit der Überstunden nach Branchen
WUSSTEN SIE, DASS mehr als zwei Drittel der Lehrlinge
ihrer beruflichen Zukunft durchaus zuversichtlich
entgegenblickt?
Quelle: öibf / 1. Österreichischer Lehrlingsmonitor. n=6.462 Lehrlinge.
è
8% 23% 23% 30% 16%
12% 32% 34% 13% 9%
Ich habe mit meinem/r
AusbildnerIn darüber
gesprochen, was ich bei
der Lehrabschlussprüfung
können muss.
Wie fühlst du dich
aufgrund des bisherigen
Ausbildungsverlaufes auf
die Lehrabschlussprüfung
vorbereitet?
Quelle: öibf / 1. Österreichischer Lehrlingsmonitor. n=6.495 Lehrlinge.
Differenz auf 100% sind Rundungsdifferenzen.
gut (1) (2) (3) (4) schlecht vorbreitet (5)
Stimme zu (1) (2) (3) (4) stimme nicht zu (5)
Stimme zu (1) (2) (3) (4) stimme nicht zu (5)
keine freiwillig nicht-freiwillige manchmal freiwillig/manchmal unfreiwillige Überstunden
Bank Versicherung (n=97)
Industrie (n=940)
Sonstige Lehrberechtigte (n=518)
Information Consulting (n=47)
Handel (n=1.238)
Transport Verkehr (n=131)
Gewerbe Handwerk (n=2.810)
Tourismus Freizeitwirtschaft (n=570)
87% 7% 2 4
85% 8% 2 6%
80% 10% 3 8%
79% 13% 0 9%
74% 5% 11% 10%
73% 12% 5% 11%
59% 15% 10% 16%
31% 13% 27% 30%
Quelle: öibf / 1. Österreichischer Lehrlingsmonitor. n=6.351 Lehrlinge. Differenz auf 100% sind Rundungsdifferenzen.
Mein Betrieb hilft mir
bei der Vorbereitung zur
Lehrabschlussprüfung.
19% 18% 19% 13% 30%
27% 19% 20% 14% 20%
4. Ausbildungsqualität in der Lehre 4
Die Arbeiterkammer setzt sich ein für
n verbindliche Qualitätsstandards in der Lehre, um ein professionelles Qualitätsmanagement zu ermöglichen.
n die Ablösung des Gießkannen-Prinzips durch qualitätsgeleitete Förderungsmodelle – z.B. die Bindung der
Förderungen zumindest an den Antritt zur Lehrabschlussprüfung. Engagierte Ausbildungsbetriebe sollen von
ihrem Einsatz profitieren und mehr Förderung erhalten als mangelhaft ausbildende Betriebe.
n eine regelmäßige verpflichtende Weiterbildung für AusbilderInnen, um in den Bereichen Pädagogik und
Didaktik auf dem neuesten Stand zu bleiben.
n eine sensibilisierte Unternehmenskultur, die verstärkt die Potenziale motivations-basierter Unternehmens-
führung nutzt (z.B. Verbesserung der Feedbackkultur in den Lehrbetrieben, durchlässige Laufbahnplanung,
Weiterbildung und Zusatzqualifikationen, wertschätzender und motivierender Umgang).
Tabelle 1: Lehrberufe nach Index betriebliche Ausbildungsbedingungen
Oberes Drittel
§§ ProduktionstechnikerIn
§§ MaurerIn
§§ Metalltechnik
§§ Bankkaufmann/-frau
§§ Zimmerei
§§ Installations- und Gebäude-
technik
§§ VerwaltungsassistentIn
§§ LandmaschinentechnikerIn
Mittleres Drittel
§§ Bürokaufmann/-frau
§§ Pharmazeutischkaufmänni-
sche Assistenz
§§ Mechatronik
§§ Sonstige Lehrberufe
§§ Tischlerei
§§ Elektrotechnik (früher:
ElektroinstallateurIn)
§§ Betriebslogistikkaufmann/-
frau (früher: Lagerlogistik)
§§ Kraftfahrzeugtechnik
§§ Großhandelskaufmann/-frau
Unteres Drittel
§§ Einzelhandel
§§ MalerIn und Beschich-
tungstechnikerIn (früher:
MalerIn-AnstreicherIn)
§§ Hotel- und Gastgewerbe
assistentIn
§§ FriseurIn und Perücken
macherIn (StylistIn)
§§ Gastronomiefachmann/-frau
(Doppellehre Koch/Kellner –
Köchin/Kellnerin)
§§ Koch/Köchin
§§ Restaurantfachmann/-frau
(KellnerIn)
§§ Karosseriebautechnik
in Branchen bezogen gehäuft auf. Tabelle 1 gibt eine
Übersicht, welche Lehrberufe nach den betrieblichen
Ausbildungsbedingungen im oberen, mittleren bzw.
unteren Drittel positioniert sind. Besonders deut-
lich zeigt sich das am Beispiel der Tourismus- und
Gastronomie-Lehrberufe: Sämtliche Berufe im Gast-
gewerbe finden sich im unteren Drittel, wenn es um
die Ausbildungsqualität geht. Dem gegenüber steht
eine große Zahl an offenen Lehrstellen in diesem
Berufsbereich – 39 Prozent aller offenen Lehrstellen (im
Jahresdurchschnitt 2015) entfielen auf die Lehrberufe
dieser Branche.
5. Ausbildungsqualität in der Lehre 5
Glossar
Lehrlingsmonitor der AK und ÖGB (Öbif, 2015):
2014/15 wurden erstmals bundesweit Lehrlinge im
letzten Ausbildungsjahr befragt und rund 6.500 Frage-
bögen ausgewertet. Die Befragung orientierte dabei auf
drei zentralen Qualitätsdimensionen:
¡ Input-Qualität: Einhaltung der Ausbildungsordnung,
des Lehrlingsschutzes und Mitbestimmung im
Betrieb.
¡ Prozess-Qualität: AusbilderInnen, Rahmenbe-
dingungen von Lernen im Betrieb, Konfliktkultur,
Belastungsfaktoren, Unterstützung bei Lehrab-
schlussprüfungs-Vorbereitung, Entwicklungs-
möglichkeiten, Kooperation Berufsschule und
Lehrbetrieb,
¡ Output-Qualität: Vorbereitungsgrad zur Lehrab-
schlussprüfung, Berufliche Handlungsfähigkeit,
Verbleib im Beruf und im Betrieb, Zufriedenheit und
Lernergebnisse in der Berufsschule.
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