1. Ausgabe 04 2015
15 Euro
DER STILLE
UMPARKER
Opel steht vor der größten Modell
offensive seiner Geschichte. Eine
besondere Aufgabe für das Triumvirat in
der Unternehmenskommunikation. Das
Lenkrad hat Johan Willems in der Hand.
MEHR ALS EVALUATION Wie baut man ein Kommunikationscontrolling auf?
SCHWERPUNKT GESTALTUNG Procter & Gamble, Merck, Vonovia, Continental
VERTRIEBSTOOL ODER IMAGEPFLEGE Was Kundenmagazine bringen
,
3. 27|Ausgabe 04 2015
KUNDEN & MITARBEITER
und Endgeräten sowie deren extrem va
riable Nutzung durch den Kunden lassen
sich nicht mehr alleine durch Erfahrung
und Bauchgefühl optimieren. Diese em
pirische Erdung und Objektivierung des
Marketings hilft, die häufig kanalgepräg
ten Meinungen und Barrieren zu hinter
fragen, und trägt so zu einem Gesamt
kommunikationsoptimum aus Sicht des
Unternehmens bei.
KUNDENREISE OPTIMIEREN
Ohne Frage ist gerade im B2B-Ge
schäft Beziehungsmanagement besonders
wichtig. Mit Big Data lassen sich jedoch
automatisch neue Kunden erkennen
und profilieren. Auf Basis vorgegebe
ner A-Kunden werden über sogenannte
statistische Zwillinge neue Kunden und
Märkte identifiziert. Dabei werden die
ausgewählten Unternehmen mit über
10.000 Business-Attributen angereichert.
Auf Basis dieser Datenvektoren werden
mit Deep-Learning-Algorithmen soge
nannte Lookalikes (statistische Zwillinge)
als neue Kunden im digitalen Raum pro
gnostiziert (Predictive Analytics). Damit
können auch Interessenten identifiziert
werden, die nicht dem klassischen „Beute
schema“ entsprechen, aber potentielle
Käufer darstellen.
Durch dynamisches Profilieren kön
nen zudem automatisch Kommunika
tions- und Sales-Trigger identifiziert und
bewertet werden: Bei welchem Ereignis
ist die vertriebliche Ansprache besonders
erfolgreich? Zeit- und kontextspezifische
Verkaufssignale erhöhen die Konvertie
rungswahrscheinlichkeit signifikant. Zu
dem kann der Trigger auch als Kommuni
kationsanlass für die konkrete Ansprache
genutzt werden. Neben den Adressen der
Unternehmen können auch gleich An
haltspunkte für die richtige Kommuni
kationsansprache geliefert werden: Gege
benenfalls ist eine direkte Ansprache auf
Xing und LinkedIn erfolgsversprechender
als ein Anruf oder eine E-Mail. Auf diese
Weise hat Berner, einer der Marktführer
für Schrauben und Befestigungstechno
logie, neue potentielle Kunden außer
halb seiner Stammmärkte Automobil und
Bau finden können. Zudem konnten so
E-Commerce-affine Nutzer entdeckt wer
den, die systematisch durch Kampagnen
adressiert werden können.
Contentmarketing und zielgruppenre
levante Ansprache werden schon lange
als Erfolgsformel im Marketing gepre
digt. Dabei wird jedoch in der Regel nicht
das Potential digital verfügbarer Daten
zur automatisierten Contenterstellung ge
nutzt.
Das Unternehmen Datalovers nutzt
Big-Data-Algorithmen, um automatisch
in Echtzeit interessante und unverfälschte
Einblicke zu generieren. So werden etwa
automatisch Infografiken erzeugt, die für
ausgewählte Branchen die Geschäftsent
wicklung in Abhängigkeit vom Einsatz
bestimmter Technologien, vom digitalen
Reifegrad oder vom Werbeeinsatz aufzei
gen. Ebenso werden automatisch auf Ba
sis von Big Data aus dem Internet neue
Marktentwicklungen und aufkommende
Themen erkannt. So können schnell ak
tuelle Diskussionen und Meldungen sys
tematisch genutzt werden („News Ja
cking“). Die redaktionelle Beschreibung
und Erklärung der generierten Einblicke
erfolgt dabei durch ein entsprechendes
Analyseteam.
DIE STIMME DES KUNDEN
Um die Einschätzung von Kunden zu
Produkten zu erhalten, verfügt die klas
sische Marktforschung über ein umfang
reiches Instrumentarium: Fokusgruppen,
Kundenbefragungen, Panels etc. Der we
sentliche Nachteil dieser Primärforschung
ist der damit verbundene Aufwand. Im
Internet lassen sich Tausende von Pro
duktbewertungen automatisch jederzeit
analysieren.
Systematisch lässt sich das allerdings
nicht ohne Big Data realisieren: Ratings
und Reviews, die über verschiedene In
ternetplattformen global verteilt sind,
müssen intelligent erfasst und integriert
werden. Mit Hilfe von „Semantic Ana
lytics“ werden automatisch die zentralen
Kundenaussagen aus den Freitexten der
Reviews gewonnen. Um tiefergehende
Einblicke zu erhalten, müssen die ge
wonnenen Erkenntnisse mit anderen Da
ten wie Reklamationen, Umsatz oder >
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KUNDEN & MITARBEITER
Kundenzufriedenheit korreliert werden.
Damit rasch auf Produktbewertungen
reagiert werden kann, müssen diese Da
ten zudem schnell erfasst, analysiert und
Maßnahmen umgesetzt werden. Negative
Bewertungen können von den Firmen so
rasch beantwortet werden. Positive Be
wertungen können in der Marketingkom
munikation über Webseiten, soziale Prä
senzen oder andere Produktwerbungen
umgesetzt werden.
Bosch Siemens Haushaltsgeräte (BSH)
steuert auf Basis einer Big-Data-Infra
struktur als „Software as a Service“
(SaaS) den gesamten Prozess von der Ge
nerierung, Erfassung, Analyse und Nut
zung der Ratings und der Reviews. Durch
diese automatischen Analysen können
Kundenbewertungen sowohl qualitativ
als auch quantitativ untersucht und zur
nachhaltigen Umsatzsteigerung sinnvoll
genutzt werden. Interne Auswertungen
von BSH zeigen beispielsweise auf, dass
Produkte mit positiven Bewertungen ei
nen Umsatzanstieg von bis zu 30 Prozent
erreichen. Diese Produktrating-und-Re
view-Analysen werden damit als moder
nes „Goldschürfen“ zur neuen „Stiftung
Warentest“.
WAS IST ZU TUN?
Big Data kann seine Stärke in der au
tomatischen Erfassung, Generierung und
Analyse von Daten ausspielen. Bei kla
ren Interaktionsschemata und standar
disierter Kommunikation lässt sich auch
die Kommunikation in Form von Mail
kampagnen und Contenterstellung auto
matisieren. Die kreative Gestaltung von
Kommunikation und Kampagnen oder
die Erklärung von Kundenbedürfnissen
wird aber auch zukünftig die Domäne
von menschlicher Intelligenz sein. Das be
sondere Potential von Big Data lässt sich
damit insbesondere im Performancemar
keting und weniger im Bereich Branding
und Kreation realisieren.
Für Unternehmen bedeutet Big Data
einen Paradigmenwechsel hin zum da
tengetriebenen Realtime-Business. Da die
Digitalisierung von Prozessen, Kommuni
kation und Interaktion zunimmt, wird die
damit einhergehende Menge, Geschwin
digkeit und Relevanz von Daten weiter
steigen. Mit diesen Herausforderungen
sind aber auch die gestiegenen Potentiale
durch Big Data verknüpft. Gelingt es Un
ternehmen, die Daten systematisch schnell
zu erfassen, zu verarbeiten und entspre
chende Maßnahmen umzusetzen, lassen
sich Nutzenpotentiale in Form von opti
mierter „Customer Experience“, Kosten
reduktion und Umsatzsteigerung erzielen.
Um das Potential von Big Data zu
nutzen, müssen Unternehmen aber keine
Infrastruktur mit petabytegroßen Spei
chern aufbauen und Heerscharen von
Data-Scientists anstellen. Über moderne
Big-Data-„Analytics as a Service“ können
entsprechende Ansätze auch mit weni
ger Mitteln realisiert werden. Neben der
technischen Seite ist aber vor allem eine
organisatorische und kulturelle Verände
rung erfolgsentscheidend. Ein analytisch
und datengetriebenes Handeln wird in
den meisten Unternehmen nicht gelernt
und gelebt. Entsprechende Reifegrad- und
Vorgehensmodelle können Unternehmen
bei der notwendigen digitalen Transfor
mation helfen.,
Professor Peter Gentsch ist Inhaber eines
Lehrstuhls für CRM an der Hochschule Aalen
und Gründer von BIG Social Media.
BIG DATA – WAS NICHT NEU IST
Der Ansatz, aus Daten Einsichten für das Marketing zu gewin-
nen, ist nicht neu. Database-Marketing oder analytisches CRM
gibt es seit über 20 Jahren. Das Phänomen großer Datenmengen
ist ebenfalls nicht neu: Point of Sale, Kunden- und Kreditkarten
oder Webserver produzieren schon lange große Datenmengen.
Ebenso ist die Analyse unstrukturierter Daten z.B. in Form von
E-Mails, Webformular-Freitexten oder Kundenbefragungen häu-
fig Bestandteil von Marketing und Research.
BIG DATA – WAS NEU IST
Natürlich ist die Datenmenge durch das Internet der Dinge,
Mobiles und Social Media immens gestiegen – doch dies ist eher
ein graduelles Argument. Entscheidend ist, dass durch die Mög-
lichkeiten der IT und die Digitalisierung der Geschäftsprozesse
kundennahe Kontaktpunkte sowohl zur Generierung von Daten
als auch zum systematischen Aussteuern der Kommunikation ge-
stiegen sind. Hinzu kommt die hohe Geschwindigkeit, mit der die
entsprechenden Daten erfasst, prozessiert und genutzt werden.
Ebenso heben neue Data-Mining-Methoden des Deep Learning
und Semantic Analytics die analytische Wertschöpfung auf eine
neue Qualitätsstufe.