Referat von Dr.in Clarissa Rudolph im Rahmen der GPA-djp/PoWi-Ringvorlesung "Globale Arbeitsverhältnisse - gewerkschaftliche Perspektiven?" am 4. November 2010 an der Universität Wien.
2. 4. November 2010 Dr. Clarissa Rudolph 2
Gliederung
• Einführung: Deutscher Wohlfahrtsstaat
• Wandel zur aktivierenden Arbeitsmarktpolitik
• Grundzüge der Grundsicherung
• Wirkungen: Ergebnisse aus der Forschungspraxis
• Deutungen und Erklärungsansätze
• Ausblick und gewerkschaftliche Perspektiven
3. 4. November 2010 Dr. Clarissa Rudolph 3
Ausgangspunkt: dt. Wohlfahrtsstaat
• Die BRD als konservativ-kooperatistischer Wohlfahrtsstaat:
– Erwerbsarbeit-orientiert, NAV
– Statussicherung
– Familiale Subsidiarität – modernisiertes Ernährermodell
– Wenig Gleichstellungsorientierung
• Aktive Arbeitsmarktpolitik
– Vermeidung oder Abbau von Arbeitslosigkeit
– Eingliederung der Arbeitslosen in reguläre (svp.) Beschäftigung
– Förderung der beruflichen Bildung
– Förderung der individuellen Beschäftigungsfähigkeit
– „passive Leistungen“ zur Statussicherung
• „Inkrementeller Wandel“ (Mohr 2009) hin zur...
4. 4. November 2010 Dr. Clarissa Rudolph 4
...aktivierenden Arbeitsmarktpolitik
• Teilhabegerechtigkeit
• Arbeitsmarktintegration als soziales Leitprinzip
• (Re-)Kommodifizierung – Familialisierung
• Keine Leistung ohne Gegenleistung
⇒ Aktivierung
⇒ Eigenverantwortung
=> Folgen für gesellschaftliche In- und
Exklusion und für Geschlechterverhältnisse?
5. 4. November 2010 Dr. Clarissa Rudolph 5
Grundzüge der Grundsicherung
• Ziele der Grundsicherung für Arbeitsuchend (Hartz IV)
(explizite Intentionen)
Hilfe aus einer Hand
Abbau der Arbeitslosigkeit
Passgenaue Vermittlung in Arbeit
(finanzielle Einsparungen)
• Mittel
Zusammenlegung Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe im SGB II:
Grundsicherung für erwerbsfähige Hilfebedürftige
Die Grundsicherung erhalten „erwerbsfähige Hilfebedürftige“ sowie
Personen, die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft leben.
Die pauschalen Regelleistungen des SGB II betragen derzeit für
ALG II-BezieherInnen 359 € (PartnerIn 90%= 323 €, Kinder 0-5 J.
215 €, Kinder 6-13 J. 251 €, aber 14 J. 287 €) => Bedarfsabhängig,
Vermögen u.ä. der Bedarfsgemeinschaft wird angerechnet
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Wirkungen im gesellschaftlichen Kontext
• Im Wandel bundesdeutscher Sozial- und
Arbeitsmarktpolitik findet eine Individualisierung
und Liberalisierung statt, die Folgen für In- und
Exklusionsprozesse auf dem Arbeitsmarkt und in
der Gesellschaft hat:
– Zahl der LeistungsbezieherInnen steigt
– Insbesondere durch den hohen Anteil von
AufstockerInnen (Anstieg von 2007: 24,6% auf 2009:
27,8%)
– Ausbau des Niedriglohnsektors; Zunahme atypische
und prekärer Beschäftigungsverhältnisse (Leiharbeit –
überwiegend Männer [69%], Mini-Jobs – überwiegend
Frauen [63%]).
7. 4. November 2010 Dr. Clarissa Rudolph 7
Erwerbstätigkeit in Hartz IV
9. 4. November 2010 Dr. Clarissa Rudolph 9
Wirkungen auf
Geschlechterverhältnisse - Fragen
• Wandel von Arbeit und Wandel von
Geschlechterverhältnissen hin zum Konstrukt des/der
ArbeitsmarktbürgerIn?
• Ablösung des (Allein)Ernährermodells hin zum adult
worker/dual breadwinner model?
• Teilhabechancen für Frauen?
• Bedingungen der Teilhabe?
10. 4. November 2010 Dr. Clarissa Rudolph 10
Ergebnisse aus der
Forschungspraxis
• Konstrukt der Bedarfsgemeinschaft beinhaltet adult
worker model
=> ABER
• Neue Abhängigkeiten durch Anrechnung Partner-
einkommen => keine eigenständige Existenzsicherung
• Geschlechtsspezifische Arbeitsteilung im Aktivierungs-
prozess weiter virulent: Kinderbetreuung ist
„Frauensache“
• Aktivierung orientiert sich am (mod.) Ernährermodell
• Arbeitsmarktintegration unter prekären Bedingungen
• Kaum aktives Gleichstellungshandeln in den Jobcentern
• Emanzipationsgewinne individualisiert/spezif.
Zielgruppen
11. 4. November 2010 Dr. Clarissa Rudolph 11
Deutungen + Erklärungsansätze
• Flexibilisierung von Arbeit und Arbeitsverhältnissen
vorrangig. Regulierung von Arbeitslosigkeit, De-
Regulierung des Arbeitsmarktes
• Gleichstellungsziele sind Primärzielen der
Grundsicherung untergeordnet (Reduzierung der
Hilfebedürftigkeit und der Arbeitslosigkeit, Reduzierung
der Transferleistungen etc.).
• Aktivierungsziele sind kurzfristig angelegt und nicht
nachhaltig (Abbau von Qualifizierungen, Ausbau von
Vermittlungen in jede Form von Arbeit).
• Weiterhin Orientierung am modernisierten
Ernährermodell
12. 4. November 2010 Dr. Clarissa Rudolph 12
Deutungen + Erklärungsansätze
• Parallelität unterschiedlicher Geschlechterleitbilder =>
führt zu Spannungen zwischen geschlechtlich
strukturierter Realität, Geschlechterwissen und wenig
Gleichstellungsorientierung.
• Im Konflikt zwischen Geschlechterleitbildern und
geschlechtsspezifischen Strukturen ist
Geschlechtergerechtigkeit nachrangig.
• Die Übernahme „privater“ Arbeit ist weiter ungeklärt und
verbleibt damit Frauenaufgabe
13. 4. November 2010 Dr. Clarissa Rudolph 13
Zusammenfassung
• Ausweitung von Spaltungsprozessen:
Arbeit/arbeitslos; svp. Beschäftigung/prekäre
Beschäftigung; ALG I/ALG II; geförderte
Elternschaft/“Hartz IV-Eltern“
• Die konzeptionell intendierte stärkere
Erwerbsintegration von Frauen unterliegt
problematischen Bedingungen.
• Dies liegt auch an der Umsetzung des
Gesetzes, insbesondere aber an den
Kontextbedingungen des Sozialsystems und der
Geschlechterverhältnisse.
15. 4. November 2010 Dr. Clarissa Rudolph 15
Mindestsicherung in Österreich
• Ebenfalls starke Orientierung am
Aktivierungsparadigma.
• Gleichstellung spielt keine Rolle bisher =>
Gefahr der Verfestigung geschlechtsspezifischer
Arbeitsmarktstrukturen.
• Mindestlohn?
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Geschlechtergerechtigkeit und
Arbeit?
• Geschlechtergerechtigkeit und soziale Gerechtigkeit
müssen miteinander verknüpft werden (nicht
Feminisierung von Arbeit auf prekärem Niveau)
• Qualität von Arbeit stärker fokussieren, nicht (nur)
Quantität.
• Eigenständige Existenzsicherung
• Eindämmung des Niedriglohnsektors
• Arbeitszeitpolitik
• Integration der „privaten“ Arbeit in Analyse und
Weiterentwicklung des Wohlfahrtsstaates
17. 4. November 2010 Dr. Clarissa Rudolph 17
Gewerkschaftliche Perspektiven
• Geschlechtergerechtigkeit und soziale
Gerechtigkeit müssen miteinander verknüpft
werden.
• Orientierung am NAV problematisch.
• Interessensvertretung für prekär bzw. atypisch
Beschäftigte wird immer bedeutsamer.
(Organisationsgrad aber deutlich geringer)
• Balance zwischen „klassischer“
gewerkschaftlicher Arbeit und arbeitsmarkt- und
sozialpolitischen Interventionen?
18. 4. November 2010 Dr. Clarissa Rudolph 18
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!