Im Mittelpunkt des Vortrags stehen die Analyse von die soziale Tragfähigkeit fördernde oder vermin-dernde Aspekte sowie die Frage nach der Tragfähigkeit von aktuell diskutierten Managementansätzen.
Ausgelöst durch Bürgerproteste in Venedig, Dubrovnik, Barcelona oder auch Amsterdam und Berlin ist spätestens seit dem Sommer 2017 eine intensive mediale Diskussion über Overtourismus-Phänomen im Gange (vgl. z. B. Arte 2017, Müller 2017). Unvorbereitet vom „Umkippen“ der Stim-mung in manchen städtetouristischen Destinationen reagiert die Tourismusszene aktuell relativ hek-tisch (destinet 2017, McKinsey & Company 2011) und bemüht sich etwas kurzatmig um Schadens-begrenzung.
Mit dem Beitrag soll bewusst abseits der immer wieder in den Medien und auch fachwissenschaftli-chen Publikationen zitierten Fallbeispielen, der Frage nachgegangen werden, wie sich die Situation in stark von touristischen Besuchern geprägten Städten darstellt, in der die öffentliche oder fachwis-senschaftliche Diskussion aktuell eben noch nicht über die Wahrnehmungsschwelle hinaus gekom-men sind.
Am Beispiel von Erhebungen in München im Sommer 2018 wird auf der Basis der Einschätzungen durch Besucher, Bewohner und lokalen Tourismusakteure des Touristenvolumens und möglicher negativer Effekte einerseits der Frage nachgegangen, welche quantitativen und qualitativen nachfra-geseitigen Parameter zur Akzeptanz bzw. Ablehnung des Tourismus bei der Wohnbevölkerung im Sinne einer sozialen Tragfähigkeit beitragen. Andererseits soll der Frage nachgegangen werden, welche Management-Ansätze zur Reduzierung der Vulnerabilität bzw. einer Stärkung der Resilienz (vgl. Bohle & Glade 2007) und damit einer Stabilisierung der Akzeptanz vielversprechend erscheinen. Hierzu wird Bezug genommen auf von der UNWTO vorgelegten Empfehlungen von Manage-mentansätzen (UNWTO 2018 aufbauend auf Koens & Postma 2017).
Die Grenzen der sozialen Tragfähigkeit scheinen dabei nicht nur ein reines Mengenproblem darzustel-len. Die Akzeptanz von Besuchern wird einerseits stark von der Wachstumsgeschwindigkeit beein-flusst. Moderate Wachstumsraten können – auch bei bereits hoher Tourismusintensität – zu einer Art Gewöhnungseffekt führen, so dass die Toleranzschwelle nicht überschritten wird. Dies gilt andererseits insbesondere dann, wenn der Bevölkerung entsprechende Vermeidungs- und Ausweichoptionen sowie Rückzugsmöglichkeiten in wenig von Touristen beeinflussten Quartieren zur Verfügung stehen. Damit ist die Akzeptanz auch nicht direkt mit der Expositionsintensität gekoppelt, sondern wird – im Sinne des Resilienz-Konzeptes – davon beeinflusst, inwieweit Coping-Optionen verfügbar sind.
Transition of governance approaches in rural tourism in Southern Morocco
Overtourismus-Effekte: Entstehungskontexte und Handlungsoptionen
1. Overtourismus-Effekte:
Entstehungskontexte und Handlungsoptionen
Fachsitzung L2-FS-063: Overtourism! Ende des Tourismus, Ende der Tourismusgeographie?
Deutscher Kongress Geographie (DKG) 2019
25. - 30. September 2019 in Kiel
Andreas Kagermeier (& Eva Erdmenger)
Overtourismus Diskussion
DER SPIEGEL 33/2018
27. September 2019
ARTE 2017
Deutsches Kongress für Geographie, L2-FS-63 Overtourism 2
ARTE 2017
ARTE 2017
2. Overtourism
• Physische Tragfähigkeitsgrenze (zu viel)
• Direkte negative Effekte der Touristen
(überlastete Infrastruktur, Lärm, Störung, Irritation)
• Indirekte Effekte
(Strukturwandel durch Tourismus, Nutzungskonkurrenz)
27. September 2019
Nach: Koens & Postma (2017, S. 9)
3Deutsches Kongress für Geographie, L2-FS-63 Overtourism
Tourismusintensität (Ü./Ew.) 2017
27. September 2019
0 20 40 60 80 100
Dubrovnik
Venedig
Barcelona
Amsterdam
Berlin
München
Hamburg
Übernachtungen pro Einwohner 2017
Quelle: ZEDNIK 2018 & STATISTISCHES AMT FÜR HAMBURG UND SCHLESWIG-HOLSTEIN 2018
4Deutsches Kongress für Geographie, L2-FS-63 Overtourism
3. Medialer Diskurs: Berlin
AUMSTADTION.TUMBLR.COM 2016
SPIEGEL ONLINE 2011
STORS 2012
De
WUCHOLD 2014
27. September 2019 5Deutsches Kongress für Geographie, L2-FS-63 Overtourism
27. September 2019
Untersuchungsbeispiel: München
SÜDDEUTSCHE ZEITUNG, Teil 1: Samstag, 13. April 2019
6Deutsches Kongress für Geographie, L2-FS-63 Overtourism
4. Resilienz im Kontext des Vulnerabilitätskonzepts
27. September 2019
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an TURNER et al. (2003, S. 8077)
Exposure Sensitivity
Resilience
Coping
response
Adjustment
& Adaption
Impact
response
7Deutsches Kongress für Geographie, L2-FS-63 Overtourism
Physische ≠ perzeptuelle Tragfähigkeit (vgl. WALTER
1982)
• Physische Tragfähigkeit ist einschätzbar
• Perzeptuelle Tragfähigkeit ist extrem komplex &
individuell
Ziel: Förderung der perzeptuellen Tragfähigkeit
27. September 2019
Resilienzförderung touristischer Destinationen
8Deutsches Kongress für Geographie, L2-FS-63 Overtourism
5. Perzeptuelle Tragfähigkeitsgrenze in München
„Da ist vielleicht zumindest auch hier temporär mittelbar große
Touristenströme gelernt durch das Oktoberfest, da hast einfach die
ganze Stadt voll und das gehört zu München, da wird ja auch viel
toleriert und auch mal irgendwie die Luft angehalten“ (DMO)
„.. es heißt die Münchner Bevölkerung ist auch gewohnt, Gäste aus
dem Ausland zu haben. Früher waren es überwiegend die Japaner, die
aufgefallen sind, ein Amerikaner fällt vielleicht nicht so auf, oder ein
Spanier oder Italiener, aber Asiaten fallen auf, arabische Gäste fallen
auf. Die hatte man schon immer in München, deswegen ist es auch
vielleicht ein gewohntes Bild in der Stadt, diese internationalen Gäste
auch zu haben“ (DMO)
27. September 2019 9Deutsches Kongress für Geographie, L2-FS-63 Overtourism
Perzeptuelle Tragfähigkeitsgrenze in München
27. September 2019
"Vielleicht ist da … ein gewisses Verständnis auch da und solang man im
Biergarten noch einen Platz kriegt" (POLITIK)
„So viele coole kleine Biergärten und bringt die Leute doch mal ein
bisschen fernab vom Hofbräuhaus" (WISS1)
"Wenn diese letzten kleinen Biergärten, wo tatsächlich der Münchner
sitzt und nach der Arbeit gemütlich sein Maß Bier oder seine Halbe Bier
trinken kann, wenn dann da auch immer mehr Touristen kommen. Da
sind wir bei einer Diskussion, die mit Airbnb schon losging" (WISS1)
10Deutsches Kongress für Geographie, L2-FS-63 Overtourism
6. Vermeidungsmöglichkeiten als relevante
Coping-Option
• „Aber nochmal, das stört sie in ihrem eigenen Vorgarten, oder in ihrem
eigenen Wohnumfeld und nicht da am Marienplatz“ (WISS1)
• „Ich finde den Marienplatz tatsächlich persönlich schlimm, dass ist was, wo
man versucht drum herum zufahren. Ich gehe nicht ins Hofbräuhaus“
(WISS2)
• „Manche haben das ganz gut geschafft auch die Stadt dann trotzdem noch
positiv zu erleben. Ecken zu finden, wo sie sagen, da ist es noch schön und
so muss man halt bestimmte Ecken vielleicht meiden“ (WISS2)
• „Zu guter Letzt hat man sich gefragt, ob sich die Leute wirklich stören am
Tourismus oder an diesem Phänomen und dann als Schluss für sich
diese Plätze meiden. …. es stört mich und dann geh ich nicht mehr zum
Marienplatz, oder ich fahr nicht mehr mit der U6, wenn ich weiß, dass da die
Bayern spielen“ (WISS1)
• „Wenn Freitagnachmittag schönes Wetter ist, dann fahre ich die Runde
eher andersrum.“ (IHK)
27. September 2019 11Deutsches Kongress für Geographie, L2-FS-63 Overtourism
Zwischenfazit München
• Kein klare Overtourismus-Wahrnehmung der Stakeholder
• Lediglich partielle und lokale Problemdimensionen
Erklärungsansätze
• Lange touristische Tradition
• Organisches Wachstum und keine disruptive Entwicklung
• Kompakte Hotspots, aber relativ großräumiges Kerngebiet
• Leistungsfähige Infrastruktur
• Keine großen Lebensstil-Gaps zwischen Mantelbevölkerung
und Besuchern (Ausnahme Junggesellenabschiede)
27. September 2019 12Deutsches Kongress für Geographie, L2-FS-63 Overtourism
7. 1) Dispersal of visitors within the city and beyond
2) Time-based dispersal of visitors
3) Stimulate new itineraries and attractions
4) Review and adapt regulation
5) Enhance visitor’s segmentation
6) Ensure local communities benefit from tourism
7) Create city experiences for both residents and visitors
8) Improve city infrastructure and facilities
9) Communicate with and engage local stakeholders
10) Communicate with and engage visitors
11) Set monitoring and response measures
Quelle: UNWTO 2018, S. 27ff.
27. September 2019
UNWTO-Managementansätze
13Deutsches Kongress für Geographie, L2-FS-63 Overtourism
1) Dispersal of visitors within the city and beyond
2) Time-based dispersal of visitors
3) Stimulate new itineraries and attractions
4) Review and adapt regulation
5) Enhance visitor’s segmentation
6) Ensure local communities benefit from tourism
7) Create city experiences for both residents and visitors
8) Improve city infrastructure and facilities
9) Communicate with and engage local stakeholders
10) Communicate with and engage visitors
11) Set monitoring and response measures
Quelle: UNWTO 2018, S. 27ff.
27. September 2019
UNWTO-Managementansätze
Direct impact
on crowding
(Physische
Tragfähigkeitsgrenze )
Direct impact
on encounter
(Direkte negative
Effekte der Touristen)
Indirect impact
on livelihood
(Indirekte Effekte)
14Deutsches Kongress für Geographie, L2-FS-63 Overtourism
8. Direkte Reduzierung der Belastung
- Reduzierung von Vermeidungsoptionen
27. September 2019
Quelle: Eigene Darstellung
Exposure Sensitivity
Resilience
Coping
response
Adjustment
& Adaption
9) Communicate with local stakeholders
6) Ensure benefit from tourism
7) Create city experiences for all
Impact
response
11) Set monitoring
1) Dispersal beyond the city
2) Time-based dispersal
3) New itineraries
4) Adapt regulation
10) Communicate with visitors
5) Enhance segmentation
8) Improve infrastructure
15Deutsches Kongress für Geographie, L2-FS-63 Overtourism
SÜDDEUTSCHE ZEITUNG, Teil 11: Samstag, 27. April 2019
27. September 2019 16Deutsches Kongress für Geographie, L2-FS-63 Overtourism
9. SÜDDEUTSCHE ZEITUNG, Teil 7: Samstag, 23. April 2019
27. September 2019 17Deutsches Kongress für Geographie, L2-FS-63 Overtourism
Strukturierung von Managementansätzen unter
Einbeziehung des Resilienzansatzes
Sofern das „Kind noch nicht in den Brunnen gefallen ist
(dann zunächst kurative Maßnahmen notwendig)
PROAKTIVER umfassender partizipativer Ansatz, der die SENSITIVITY
in den Mittelpunkt stellt
• Basis: breit angelegtes Monitoring als Vorwarngenerator
• Einbeziehung aller lokalen Akteure, Ziel: die „Sensitivity“ positiv
beeinflussen
• Schaffung / Erhaltung von „Rückzugsräumen“ (Stadtviertelfeste)
• Dabei erscheint eine Orientierung auf die Identifikation mit den
lokalen Attraktoren vielversprechend
– Segmentierung mit dem Ziel der Minimierung von Lebensstil-Gaps
– Betonung der positiven Wirkungen für die Bevölkerung als Ausgangspunkt für
partizipative Ansätze
– Begünstigend: Anpassung der Infrastruktur
27. September 2019 18Deutsches Kongress für Geographie, L2-FS-63 Overtourism
10. Erweiterung um das Konzept des Sozialkapitals
27. September 2019 19
Vulnerability
(Social)SustainableDevelopment
SocialChange/Risk
Social Capital
Relational
(Trust)
Structural
(Institution & Power)
Cognitive
(Knowledge & Understanding)
Social
Carrying
Capacity
Community
Resilience
• Anticipate
• Learn & Plan
• Recover
• Adapt & Improve
IntentiontoParticipate
Motivation
Ability
Opportunity
Exposure Sensitivity Resilience
COMMUNITY / DESTINATION
ENTWURF: EVA ERDMNGER
Deutsches Kongress für Geographie, L2-FS-63 Overtourism
Erweiterung um den Blickwinkel auf Social Capital
COGNITIVE (Knowledge and Understanding)
• Intensive und gleichzeitige offene Kommunikation (auch unter intensiver
Nutzung von Multiplikatoren, Medien, etc.)
• Förderung von „Lokalstolz“
• Schaffung von Interaktionsplattformen zwischen Bewohnern und Besuchern
RELATIONAL (Trust)
• Vertrauensbasis durch offene Kommunikation und gleichzeitiges
Ernstnehmen aller Stakeholder, einschließlich der Bevölkerung schaffen
• Eingehen auf Artikulationen, Ernstnehmen der artikulierten Befindlichkeiten
STRUCTURAL (Institution & Power)
• Strukturiertes Einbeziehen aller Stakeholder, einschließlich der Bevölkerung
im Vorfeld von Entscheidungsprozessen (analog vorgezogene
Bürgerbeteiligung bei Planungsvorhaben)
• Ziel des Empowerments und der Förderung von Locability
27. September 2019 20Deutsches Kongress für Geographie, L2-FS-63 Overtourism