2. ENERGY 3.0
Energiewandel für mehr Wachstum
Über das Buch von Rudy Provoost,
Vorstandsvorsitzender der Rexel-Gruppe
3. “Energy 3.0”: Die Schaffung einer Energiewelt, die auf den
Endnutzer zugeschnittenen ist
Energy 1.0
Globale Erwärmung, steigende Kohlenwasserstoffpreise, weiträumige Stromausfälle…
Das momentane Energiesystem, das man Energy 1.0 nennen könnte, konzentriert sich
auf die zentrale Produktion von Energie und steht vor großen Problemen. Die Kosten
und die negativen Umwelteinflüsse bei der Verwendung fossiler Brennstoffe werden es
unmöglich machen, genügend Kraftwerke zu errichten, um die Energiebedürfnisse der
gesamten Weltbevölkerung zu decken. Diese wird von den bisherigen 9 Milliarden
Menschen in absehbarer Zeit auf 12 Milliarden Menschen ansteigen.
Im Energy 1.0 Modell spielt der Endnutzer eine sehr passive Rolle. Er kann Energie
sparen, indem er sein Haus isoliert oder teure Haushaltsgeräte kauft – immer in der
Hoffnung, dass die Investitionskosten sich langfristig amortisieren. Doch aufgrund der
mangelnden Möglichkeiten zur Verbrauchsmessung in der vorhandenen Infrastruktur
ist es schwierig, so den Energiekonsum nachhaltig zu senken.
Energy 2.0
Nun also „Energy 2.0“. Die digitale Technologie dringt kontinuierlich in jeden
wirtschaftlichen Bereich vor und beginnt auch mit der Energiewelt zusammenzulaufen.
Genau wie beim Modell „Web 2.0“, lässt sich bei Energy 2.0 beobachten, wie der
Konsument zunehmend aktiver wird. Gebäude, die noch vor Kurzem als
isolationsbedürftige „Hülle“ betrachtet wurden, produzieren heute selbst Energie. Eine
der Konsequenzen dieses neuen Paradigmas ist die Möglichkeit, Energie zwischen
Gebäuden sowie in und zwischen zentralisierten und dezentralisierten
Produktionsinfrastrukturen zu teilen. Da zum Teilen von Energie intelligente und
digitalisierte Netze, sogenannte Smart Grids, nötig sind, liegt das Hauptaugenmerk von
Energy 2.0 auf Übertragung und Verteilung von Energie – nicht auf der Produktion.
Doch es muss mehr getan werden. Fortschritt bei Technologie und Infrastruktur bleiben
uneffektiv, wenn dem Endverbraucher die Motivation fehlt, Energie zu sparen, oder er
keine Verantwortung für seinen eigenen Konsum übernehmen möchte. Sich auf die
Energieproduktion und Verteilungsverwaltung zu konzentrieren wird das Problem also
langfristig gesehen nicht lösen. Nachfrage und Konsum müssen in den Fokus der
Energiedebatte gerückt werden, die momentan von großen Energieversorgern und den
Themen Energiequellen und -produktion dominiert wird.
Energy 3.0
Um einen erfolgreichen Energiewandel zu ermöglichen, müssen wir unseren Denkansatz
verändern. Es sind nicht Gebäude und Städte, um die wir uns Gedanken machen müssen,
sondern die in ihnen lebenden Individuen und deren Energiebedürfnisse. Die
Endverbraucher, die das Energiesystem im Endeffekt verändern werden, indem sie zu
Energieproduzenten werden (mithilfe von Plusenergiehäuser etc.) und Systeme und
4. Services ihrer Wahl fördern. Deshalb müssen wir uns von nun an auf das Konsumverhalten
und das Nutzungserlebnis des Verbrauchers konzentrieren. Das Konzept von Energy 3.0
zielt auf diese Problemstellung ab und kann wie folgt zusammengefasst werden: Der
Verbraucher muss zum Herr über seine eigene Energie werden können.
Die Produktion und der Verbrauch wurden bereits zunehmend optimiert und
personalisiert. Energieverschwendung wird vermieden und Energienutzung wird immer
mehr auf die individuellen Bedürfnisse der Endnutzer zugeschnitten. Angepasst werden
können beispielsweise die Beleuchtung, Heizungs- und Klimaanlagennutzung. Bei
Abwesenheit können diese niedriger eingestellt oder ganz abgeschaltet werden. Ist der
Nutzer zu Hause, können die verschiedenen Anwendungen auf jeden einzelnen Raum
und jede Funktion zugeschnitten werden. Zum Beispiel kann die Beleuchtung so
eingestellt werden, dass sie den Sonnenaufgang simuliert oder bestimmte Wege in der
Nacht beleuchtet.
Diese maßgeschneiderten Kontrollmöglichkeiten erlauben dem Nutzer mithilfe von
interaktiven Schnittstellen, eigene Konsumszenarien zu erstellen, die auf ihre speziellen
Bedürfnisse zugeschnitten sind. Beispielsweise kann eine Schule ihren Energiekonsum
in jedem Klassenzimmer an die verschiedenen Stundenpläne anpassen. Außerdem kann
auf diese Funktionen von einer Vielzahl von Geräten, wie z. B. festinstallierte Terminals,
Tablets oder Smartphones, in Echtzeit zugegriffen werden.
Die neue Energiewelt ist einfach, offen, entwickelt sich konstant weiter und steckt voller
Möglichkeiten. Sie umgibt den Nutzer, ist unsichtbar und unentbehrlich. Gebäude werden
mithilfe von lernfähigen Algorithmen an die individuelle Nutzung und Bedürfnisse ihrer
Bewohner angepasst.
Energy 2.0 Energy 3.0Energy 1.0
Treiber
Quelle System ErfahrungFokus
Modell
Kommunikation
Information
Macht Hierarchisch Lateral Ubiquitär
Schubweise/
Intervall
Nachfrage/
Iterativ
Echtzeit/
Unmittelbar
Passiv Aktiv Interaktiv
Geteilt/
Dezentral
Angebot/
Verteilung
Bedarf/
Verbrauch
Versorgung/
Produktion
Personalisiert/
Angepasst
Vertikal/
Zentral
5. Energy 3.0: Einfachere Produkte und Services für eine
schnellere Annahme, höhere Produktivität und optimierte
Nutzung
Um eine positive Umwelt für den Energiewandel zu schaffen, gilt es die Komplexität
entlang der Wertschöpfungskette – Produktion, Distribution und Konsum – zu
reduzieren. Nur unter Einbeziehung aller Beteiligten aus dem Energiesektor ist diese
Vereinfachung möglich.
Lokale Governance-Strukturen müssen Innovationen fördern, Barrieren beseitigen und
Regulierungen vereinfachen. Energieproduzenten und Händler können vom
Energiewandel profitieren, indem sie in Partnerschaften und intelligente Energie-
Infrastrukturen investieren.
Hersteller elektronischer Produkte und andere Beteiligte in der Wertschöpfungskette
(IT-Service-Unternehmen, Telekommunikationsanbieter, Versicherungsfirmen, etc.)
müssen sich auf die Vereinfachung ihrer Produkte und Services konzentrieren. Elektriker
und Installateure müssen sich weiterbilden und als Spezialisten für Energiemanagement
positionieren. Sie müssen in der Lage sein, Energiesparlösungen und Services zu
verkaufen und ihren Kunden zu erklären, wie sich ihre Investitionen für sie auszahlen
werden. Die Distributoren als Schnittstelle zwischen Herstellern, Elektrikern und
Installateuren können eine Plattform für die Weiterentwicklung und Erschließung neuer
Märkte bilden.
Das erfolgreiche Teilen von Energie und Wissen ist die größte Herausforderung für den
Energiesektor. Kein einzelner Beteiligter ist in der Lage, das gesamte Servicespektrum
abzudecken, d.h. sich ohne Hilfe um die Entwicklung neuer Produkte und Strategien,
Audits für Häuser und ganze Städte zu kümmern und gleichzeitig die Auswahl,
Finanzierung, Installation und Wartung von Gerätschaften zu kümmern. Nur durch
die Vereinigung von Fachkenntnissen und durch Partnerschaften können sich die
Energy 3.0 Technologien ausbreiten. Die Herausforderung ist die Schaffung einer Welt,
in der Energie zugänglich, zuverlässig und umweltfreundlich ist und das Potenzial hat,
das Leben aller zu verbessern.
Energy 3.0: Dem Endverbraucher helfen,
den Energiewandel zu realisieren
Den Zugang zur Energie erleichtern.
Heutzutage ist Energie sehr ungleich verteilt. Während viele Millionen Menschen unter
Energiearmut leiden, ist die Menge verschwendeter Energie an anderer Stelle immens.
Energiegleichheit zielt darauf ab, dass energieeffiziente Technologien eingesetzt werden,
mit Hilfe derer jeder genau die Menge Energie erhält, die er benötigt.
6. Ein Gleichgewicht zwischen Konsumreduktion und steigender
Zweckmäßigkeit herstellen.
Diverse Studien von Rexel zeigten, dass Konsumenten sehr daran interessiert sind,
Energiekosten zu einzusparen. Ein durchschnittlicher französischer Haushalt kann
durch eine Investition von ca. 2500 Euro in Energieeffizienzlösungen ca. 400 Euro im
Jahr sparen. Das entspricht etwa einem Viertel der jährlichen Gesamtausgaben für
Energie. Das Potenzial, Energie und damit auch Geld zu sparen ist also erheblich.
Weltweit könnten jedes Jahr mehrere hundert Milliarden Euro durch bereits existierende
Technologien eingespart werden.
Auch die Reduktion des CO2-Ausstoßes wäre signifikant. Laut der Internationalen
Energie Agentur könnte eine effiziente Nutzung von Energie dabei helfen, die CO2-
Emissionen bis 2015 um 38% zu reduzieren. Dies kann erreicht werden, ohne dass
Kompromisse bei Komfort und Bedürfnissen des Individuums eingegangen werden
müssen.
Die Lebensqualität und den Komfort erhöhen.
Energy 3.0 erlaubt die Kombination aller Services und Anwendungen zur Automation
der täglichen Aufgaben. Dies erhöht den Komfort und die Lebensqualität weltweit.
Einer der wichtigsten Aspekte von Energy 3.0 ist, dass unsere Gesundheit von der
Entwicklung der Services profitiert. Die schlechte Qualität der Atemluft in Gebäuden
kann Asthma, Allergien und Atemwegerkrankungen auslösen. In Großbritannien wird
Energiearmut für mehr Tote verantwortlich gemacht wird, als durch Verkehrsunfälle
umkommen. Der neue Ansatz eröffnet auch Möglichkeiten, die Gesundheit mit Hilfe
von Telemedizin zu verbessern. Dies geschieht, indem für die Unterstützung Kranker
und Gebrechlicher, sowie für die Pflege älterer Menschen gesorgt wird. Beispiele für
Energielösungen, die gerade diesen Menschen helfen könnten sind spezielles Licht für
Seheingeschränkte, verbesserte Luftqualität in Häusern oder Gas- und Wasserlecks in
Wohnungen immobiler Menschen. Das gemeinsame Ziel ist es, unser Leben in Zukunft
zu verbessern und Menschen zu unterstützen sich gegenseitig zu helfen und
Verantwortung zu übernehmen.
Energiewandel als treibende Kraft für Wertschöpfung
und die Schaffung von Arbeitsplätzen.
Wir sind Teil einer Energierevolution, die unsere Lebensweise völlig verändern wird,
ähnlich wie im 20. Jahrhundert die Elektrizität und die Informationstechnologie. Es
handelt sich um eine nachhaltige Revolution, die auf grundlegenden Prinzipien der
Kreislaufwirtschaft basiert und gegen die globale Erwärmung ankämpfen wird. Millionen
von Jobs werden und wurden bereits durch Energy 3.0 geschaffen, z. B. in den Bereichen
der Smart Grids, Erneuerbarer Energien oder Energieeffizienz. Diese Arbeitsplätze
entstehen rund um neue Fachbereiche, insbesondere in High-Performance- und
Kommunikations-Mechanismen, geteilten Netzwerken und Software-Lösungen, sowie
neue Finanzierungsmodelle, die mit Dienstleistungen kombiniert werden können, um
7. sowohl den Verkauf als auch die Installation von Energielösungen zu verändern. Um
die Verbreitung der relevantesten Innovationen antreiben zu können, muss der
Energiesektor sein bestehendes Weiterbildungssystem neu strukturieren und verbessern.
Den Wandel beschleunigen.
Regierungen müssen Marktbarrieren beseitigen, Unternehmen müssen einfache und
skalierbare Wirtschaftsmodelle kreieren. Energieeffiziente Lösungen zu kaufen ist
heutzutage sehr komplex: Es gibt eine Vielzahl von Produkten mit verschiedensten
Spezifikationen und ungewissen Rentabilitätsaussichten. Der Energiesektor muss den
Konsumenten garantieren, dass die Lösungen, die er verkauft und die erklärten Ziele
erreicht und langfristig funktionieren.
Eine erhöhte Kaufkraft, bessere Lebensqualität und das Ende der Energiearmut: Das
sind nur einige wenige Vorteile, die die Ermächtigung des Endverbrauchers in den
kommenden Jahren bringen wird.
Energy 3.0 läutet die Geburt einer neuen Energiewelt ein, die auf drei Säulen ruht:
Anpassung (der Produktion und des Verbrauchs an die individuellen Bedürfnisse des
Konsumenten), Vereinfachung (der Wertschöpfungskette auf jeder Stufe) und
Ermächtigung (des Endverbraucher zur Übernahme von Verantwortung für den eigenen
Energiekonsum, Energiegleichheit, Lebensqualität, Wirtschaftswachstum und die
beschleunigte Verbreitung der neuen Technologien). Die größte Herausforderung ist
es, eine Welt zu schaffen, in der Energie zugänglich, verlässlich und umweltfreundlich
ist und das Leben allerpotenziell verbessern kann. In diesem Sinn möchte der Autor
seine Ideen und Überzeugungen teilen und die Beteiligten in der Energiedebatte zum
Überdenken ihrer Einstellungen und Denkweisen bewegen. Wenn wir zusammen
arbeiten, können wir gemeinsam die besten Lösungen für die Umsetzung der
Energiewende finden.