Simone Rafael: Neonazis in Sozialen Netzwerken
Neonazis und ihr menschenverachtendes Gedankengut sind in den Sozialen Netzwerken nur wenige Klicks von jedem User oder jeder Userin entfernt – und sie präsentieren sich oft geschickt getarnt.
Wie lassen sich Neonazis auf Facebook und Co. erkennen? Wie können Jugendliche informiert und ideenreich aktiv werden?
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Autor/en: Rafael, Simone.
Titel: Neonazis in Sozialen Netzwerken.
Quelle: merz. medien + erziehung. 55. Jahrgang, Heft 05/11. München 2011,
S. 18 – 25.
Verlag: kopaed.
Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.
Die Zahlen in eckigen Klammern kennzeichnen das Seitenende der Originalausgabe.
Simone Rafael
Neonazis in Sozialen Netzwerken
Neonazis und ihr menschenverachtendes Gedankengut sind in den Sozialen
Netzwerken nur wenige Klicks von jedem User oder jeder Userin entfernt – und sie
präsentieren sich oft geschickt getarnt. Wie lassen sich Neonazis auf Facebook und Co.
erkennen? Wie können Jugendliche informiert und ideenreich aktiv werden?
Seit die Amadeu Antonio Stiftung sich gegen Rechtsextremismus im Internet enga-
giert, wurde uns eine Frage immer wieder gestellt: «Warum ist Ihnen das Engagement
gegen Nazis im Netz so wichtig? Sind das nicht nur ein paar Spinnerinnen und Spinner,
über die man hinwegsehen kann?» Seit dem 22. Juli 2011 stellt sich diese Frage leider
nicht mehr. Anders Behring Breivik, der Attentäter, der im Osloer Regierungsviertel
eine Bombe hochjagte, um hinterher auf der Insel Utoya Jagd auf sozialdemokrati-
sche Jugendliche zu machen, war im Vorfeld jahrelang auf rechtspopulistischen und
islamfeindlichen Internetforen und Blogs unterwegs. Dort formte er seinen völki-
schen, antimuslimischen und antidemokratisch motivierten Hass auf die ‹Multi-Kulti-
Gesellschaft› aus, der 77 junge Menschen das Leben kostete. Gezielt nutzte Breivik
vor der Tat Profile auf Facebook und Twitter, um sich selbst und seinen nationalisti-
schen Hass auszubreiten. Er stellte ein Video zu seinen Zielen auf YouTube ein und
nutzte File-Sharing-Systeme, um ein 1.518 Seiten langes ‹Manifest› mit dem Titel
«2083 – a European Declaration of Independence» zu verbreiten. Die Inhalte hatte er
aus seinen Lieblings-Blogs zusammengetragen. Vor der Tat verschickte er den Zugang
per E-Mail an Neonazis in ganz Europa.
Der Attentäter steht damit beispielhaft für die Art und Weise, wie Neonazis das
Internet und vor allem die interaktiven Angebote des Web 2.0 nutzen: Technisch
hochprofessionell verwenden sie alle erdenklichen Vernetzungs- und Kommunika
tionsformate, um ihre menschenverachtende Ideologie zu verbreiten – unter Ihres-
gleichen, um sich in den Überzeugungen zu bestärken und zu befeuern, aber auch
unter nicht-rechten Userinnen und Usern, um für ihren demokratiefeindlichen Hass
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zu werben. Oft genug sind die Inhalte, die Rechtsextreme und andere Menschenfein-
de dabei verbreiten, nicht strafrechtlich angreifbar. Geschickt werden Gewaltauffor-
derungen und Volksverhetzung zwischen den Zeilen versteckt – Angst machen sie
potenziellen Opfergruppen trotzdem. Hier sind Userinnen und User und Netzwerke
gefragt, Stellung zu beziehen. Dafür bietet netz-gegennazis.de Informationen und
Argumentationen an. Denn der verbreitete Rassismus, Antisemitismus, Antiziganis-
mus, die NS-Verherrlichung, die völkischen und nationalistischen Argumentationen
bleiben nicht im Internet gebunden. Sie schlagen zurück in die reale Welt. Und das
war auch schon lange vor den Attentaten vom 22. Juli 2011 unsere Motivation, ge-
gen Nazis im Netz aktiv zu sein: Wo Neonazis und Rechtspopulisten Hass, Rassismus,
Menschenverachtung [18] und NS-Verherrlichung verbreiten, vergiften sie das ge-
sellschaftliche Klima. Tun sie es oft genug unwidersprochen, trägt das zur Normali-
sierung abwertenden Gedankenguts bei. Es erscheint eher aussprechbar, vielleicht
auch wahrer. Politikwissenschaftler Hajo Funke formuliert es im Buch gegen Nazis so:
«Wenn rechtsextreme, fremdenfeindliche Inhalte in öffentlichen Internetforen un-
widersprochen bleiben, setzen sie sich in zu vielen Köpfen zu oft fest» (Staud/ Kulick
2009). Im schlimmsten Fall fordert das Opfer unter Menschen, die nicht ins Weltbild
der Neonazis passen. Im Internet und in der realen Welt werden sie verbal attackiert,
nach rassistischen oder Nützlichkeitskriterien bewertet und von der gleichberechtig-
ten Teilhabe an der Gesellschaft ausgeschlossen. Im schlimmsten Fall werden sie kör-
perlich angegriffen oder sogar getötet. 150 Todesopfer rechtsextremer Gewalt gab es
seit der Wende. Jedes einzelne ist ein Grund, aufmerksam zu sein und einzuschreiten,
wenn Neonazis Sympathisantinnen und Sympathisanten suchen. Doch wie genau tun
sie das in den Sozialen Netzwerken?
Neonazis im Netz 2.0
88schnitte hat einen Kanal bei YouTube, in dem sie fleißig Videos postet: «Lieber
Zicke als Zecke» heißt es da und mutet fast possierlich an – wäre neben der gezeigten
Blondine nicht noch ein Piktogramm: Das eine Strichmännchen schlägt dem ande-
ren Strichmännchen den mit einem Irokesenschnitt versehenen Kopf vom Körper.
Auf KWICK! treffen sich im Clan Deutsches Reich User mit Nicknames wie Foierfrei,
Duce, Heimattreu und Keltenkreuz88, um ‹Sleipnir›und ‹Nordfront-Videos› zu sehen.
NPD-Kader Jürgen Gansel treibt sich auf StudiVZ nicht nur in homophoben und Anti-
EU-Gruppen herum, sondern mischt sich auch unter die Fans von Depeche Mode
und Caspar David Friedrich. In der Facebook-Gruppe von netz-gegen-nazis.de posten
Republikaner-Anhänger rechtsgerichtete Kommentare, um nicht-rechte Diskussions-
teilnehmer zur argumentativen Weißglut zu treiben.
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Facetten von Hass
Neonazis im Web 2.0 haben viele Gesichter – eins ist allen gemeinsam: Ihr Inhalt ist
Hass, Rassismus, Antisemitismus, Menschenverachtung, Demokratiefeindlichkeit.
Unterschiedlich ist nur, wie deutlich diese Inhalte zu Tage treten. Das Spektrum reicht
von Beiträgen, die nicht-rechts wirken sollen, um zunächst Querfronten zu ermögli-
chen, über solche, die in der Grauzone zwischen gerade noch tolerabler Meinungs-
äußerung und abwertender Hetze liegen, bis zu massiven Gewaltaufrufen, NS-Ver-
herrlichung oder Volksverhetzung. Unterschiedlich schwierig ist auch der Umgang mit
solchen Inhalten: Während strafrechtlich Verfolgbares in keinem Sozialen Netzwerk
die Chance hat, lange online zu stehen, wird alles andere zur Gewissensfrage: Darf
jemand, der Mitglied in einer rechtsextremen Organisation ist, bei uns mitdiskutie-
ren? Wie lang ist jemand tolerabel, der rassistische Thesen vertritt, sich dabei aber
geschickt auf Personen des öffentlichen Lebens wie etwa Thilo Sarrazin beruft? Sollen
Videos rechtsextremer Bands online stehen bleiben, wenn das gespielte Lied keine
deutlichen rechtsextremen Inhalte enthält?
Warum machen die das? Weil Hass wirkt
Denn Neonazis verfolgen – online wie offline – eine Wortergreifungsstrategie: Sie
versuchen, Themen zu setzen, Diskussionen in eine gewünschte Richtung zu lenken,
Dominanz zu erringen. Im Internet gelingt ihnen das besser als im wirklichen Leben.
Immer wieder schalten Tageszeitungen ihre Kommentarfunktionen zu [19] Artikeln
zum Thema ab, weil sie mit der Flut von Beiträgen voller gezielter Fehlinformationen,
Dramatisierungen und Beschimpfungen nicht mehr klarkommen – und sich die de-
mokratischen Leserinnen und Leser, die Gegenstimmen bieten könnten, irgendwann
entnervt zurückziehen. Bleiben aber rassistische Thesen oder antiziganistische Stereo-
type unwidersprochen stehen, scheinen sie anerkannt zu sein und werden weniger
hinterfragt – eine Normalisierung setzt ein. Schließlich treffen sie auf eine Gesell-
schaft, die selbst nicht frei von abwertenden Vorurteilen ist. Wenn Hetzerinnen und
Hetzer unwidersprochen agitieren können, haben sie das Gefühl, im Internet endlich
Meinung bilden zu können, wie es ihnen im wirklichen Leben – wegen mangelnder
Rhetorik oder gesellschaftlicher Akzeptanz – niemals möglich wäre. Das kann so weit
gehen, dass sie sich dadurch mit ihrer Meinung in einer (unterdrückten) Mehrheit
wähnen.
Die Medienwirkungsforschung zeigt, dass Medien nicht in der Lage sind, Einstellungen
komplett zu verändern. Allerdings verstärken sie latente bestehende Einstellungen
(Huthmacher 2010). Sprich: Der Antirassist wird durch das Lesen rassistischer Postings
nicht zum Rassisten, aber derjenige, der selbst rassistische Thesen im Hinterkopf hat,
wird in ihnen bestärkt (vgl. Rafael 2010).
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Wie Nazis in Sozialen Netzwerken erkennen?
Profile
Wer in Sozialen Netzwerken unterwegs ist, kommuniziert seine Überzeugungen und
Ansichten zum einen über das Profil mit Profilbild und mehr oder weniger öffentli-
chen Informationen zu Vorlieben und Abneigungen, Arbeitgebern und Werdegang.
Einige Neonazis gehen gern mit ihren Einstellungen hausieren. Sie posieren vor der
Reichskriegsflagge oder in T-Shirts von Nazi-Bands, stellen Bilder mit NS-Bezug ein,
nennen als Arbeitgeber etwa «Deutsche Volksgemeinschaft» oder «Gasmann bei
KZ GmbH». Sie benennen ihre politische Einstellung mit «frei, sozial und national»
oder «zumindest nicht links»1
. Manche Userinnen und User beschränken sich darauf,
rechtsextreme Bands als Lieblingsmusik2
oder Erwin Rommel und Eva Braun als «In-
spiration» anzugeben. Andere vermitteln ihre Überzeugungen nur durch die Blume.
Sie interessieren sich vielleicht für ‹Geschichte›, mögen Mainstreamfilme wie Brave
heart, in denen ein Einzelkämpfer für sein Volk einsteht, oder sind Mitglied in einer
Gruppe wie «Mein Herz schlägt deutsch». Hier ist es oft die Summe der angegebenen
Hinweise, die nachdenklich machen kann – ohne dass beim Blick auf das Profil klar ist,
ob man es noch mit einem im demokratischen Spektrum verorteten Konservativen
zu tun hat oder mit einem Islamfeind oder Neonazi, der sich als gemäßigt tarnt (Wolf
2010, S. 11 ff.).
Rechtsextreme ‹Wortergreifung› in der Praxis
Diese unauffälligen Nazis sind es in der Regel auch, die Kontakt zu nicht-rechten
Userinnen und Usern suchen. Sie inszenieren sich mit ‹gutbürgerlicher› Fassade – bis
die nette Mutti mit den guten deutschen Märchen-Tipps plötzlich in der Elterngruppe
rassistisch argumentiert. Dies hat die rechtsextreme NPD ihren Mitgliedern im Partei-
organ, der Deutschen Stimme, im März 2010 unter dem Titel Die NPD in der virtuellen
Welt auch ausdrücklich empfohlen: sich als «netter Rechter von nebenan» zu präsen-
tieren (Lang/ Müller 2010, 5. 9 f.).
Beliebter Ort der Kontaktaufnahme sind politische Diskussionsgruppen, etwa zu
Wahlen, Anti-EU-Protesten oder zum Wahrheitsgehalt des Buchs von Thilo Sarrazin.
Neonazis versuchen, bei unentschlossenen Mitleserinnen und Mitlesern zu punkten
und engagierte Mitdiskutierende zu verunsichern. Sie geben Fehlinformationen,
dramatisieren, nutzen Unwissen aus, [20] argumentieren rassistisch (schüren etwa
Ängste vor dem Islam oder deklarieren Migranten und Migrantinnen als Problem),
sie sind penetrant, populistisch und unsachlich. Damit versuchen sie, Gespräche an
sich zu reißen, das Thema zu verschieben und Andersdenkende zu verdrängen. Hetze
wird oft als angebliches persönliches ‹Erleben› präsentiert, das schwer zu widerlegen
scheint. Allerdings lassen sich auch Formen der verdeckten rechtsextremen Agitation
1 Wer Informationen über rechtsextreme Erkennungszeichen und Codes sucht, findet sie zum Bei-
spiel hier: www.netz-gegen-nazis.de/wissen/woran-erkennt-mandie
2 www.netz-gegen-nazis.de/category/lexikon/musik
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erkennen, weil es im Grunde immer wieder dieselben Themen sind, die Neonazis
ansprechen.
Hierzu gehört der Geschichtsrevisionismus: Ist vom Holocaust die Rede, wird etwa mit
den heimatvertriebenen Deutschen ‹gekontert›. Wehrt sich dagegen ein Mitdiskutie-
render, geht die Debatte schnell in Richtung «Ist das eure Demokratie?» oder «Wo ist
die Meinungsfreiheit?» Der Vorwurf an Demokraten, undemokratisch zu sein, wird
immer wieder gebracht. Er verunsichert viele zutiefst. Sie vergessen dabei, dass Neo-
nazis sich selbst aus dem demokratischen Diskurs ausschließen, weil sie gleichberech-
tigten Austausch einfordern, den sie selbst niemandem zugestehen. Nazis agitieren,
um Räume für ihre Positionen zu erobern. Ihnen genau dieses streitig zu machen, ist
nicht nur legitim, sondern wichtig.
Ein weiteres Thema, in das Neonazis sich gern einbringen, ist das Thema ‹Integration›,
das im rechtsextremen Sinne oft mit sogenannter ‹Ausländerkriminalität› und ‹Terro-
rismus› gleichgesetzt wird. In diesem Zusammenhang inszenieren sich Rechtsextreme
gern als ‹Tabubrecher› und stören etwa Debatten über Rassismus mit Hinweisen auf
‹Deutschenfeindlichkeit›.
Diskurse zum ‹Linksextremismus› dienen dazu, rechtsextreme Gewalt herunterzu
spielen und das Engagement gegen Nazis zu diskreditieren. Verweise auf Linksex
tremismus, Ausländerkriminalität und Terrorismus müssen nicht von rechtsextremer
Seite kommen. Spätestens aber, wenn rechtsextreme Gewalt damit explizit verharm-
lost, geleugnet oder gutgeheißen wird, handelt es sich um eine rechtsextreme Stra-
tegie. Auch wenn die ‹Gefahr› durch ‹Ausländerkriminalität› und Terrorismus rassis-
tisch, biologistisch und neuerdings auch kulturalistisch aufgeladen wird, ist die Grenze
deutlich überschritten.
Eine weitere beliebte off-topic-Strategie ist auch die Frage «Ist es eigentlich schon
rechts, wenn …?». Natürlich muss auch diese Frage nicht zwangsläufig von rechtsex-
tremer Seite kommen, wird von dort aber gerne zur Ablenkung von der eigentlichen
Diskussion benutzt. Hierzu gehört auch die Debatte, dass Patriotismus und Natio-
nalismus legitim und alles andere Hetze «linker Gutmenschen» sei, oder auch die
rassistisch konnotierte Sorge um die «Reinhaltung» «deutscher» Kultur und Sprache
(vgl. Lang/Müller 2010, S. 18 ff.; Wolf 2010).
Rechtsextreme Kampagnen
Aktuell ist politischer Aktionismus über Kampagnen ein großes Thema. Dies nutzen
derzeit Neonazis teilweise erschreckend erfolgreich. So findet etwa auf Facebook eine
virtuelle ‹Veranstaltung› mit dem Titel Kinder sind Zukunft – stoppt Missbrauch an
Kindern! im Juli 2011 großen Zuspruch: Fast 240.000 Leute finden die Aktion gut, die
von der Facebook-Seite Keine Gnade für Kinderschänder initiiert wurde. Diese wieder-
um gefällt immer noch 35.000 Menschen, obwohl sie schon im Titel die Terminologie
‹Kinderschänder› für Sexualstraftäter verwendet, die die Opfer herabsetzt und be-
sonders gern von Neonazis verwendet wird. Die Administratoren von Keine Gnade für
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Kinderschänder halten inzwischen nicht mehr mit ihrer Sympathie für die rechtsextre-
me Szene hinter dem Berg, posten Bilder von Kameradschaftsseiten, Videos rechtsex-
tremer Musiker und bewerben lobend Texte von NPD-Funktionären wie Holger Apfel
oder Frank Franz. Berichterstattung in On- und Offline-Medien hat bisher die Beliebt-
heit der Aktion allerdings kaum geschmälert. Dafür sind zahlreiche engagierte Use-
rinnen und User in der Gruppe unterwegs und versuchen, aufzu- [21] klären – auch
über Facebook-Seiten wie «Keine Gnade für Kinderschänder – die Hintergründe» oder
«Löschen der Seite: Keine Gnade für Kinderschänder (NAZIS!!)». Die Veranstaltung
Kinder sind Zukunft – Gegen den Missbrauch von Kindern ist inzwischen online nicht
mehr zu erreichen. Die dazugehörige Seite schon: Facebook sieht dort keine strafba-
ren Inhalte und will deshalb nichts unternehmen (vgl. Rafael 2011).
Was tun gegen Neonazis in Sozialen Netzwerken?
Die Betreiberinnen und Betreiber
Soziale Netzwerke als Unternehmen haben eine gesellschaftliche Verantwortung
und können Regeln setzen, um ihre Nutzerinnen und Nutzer zu schützen. Viele der
Sozialen Netzwerke in Deutschland haben deshalb Grundsätze in ihren allgemeinen
Geschäftsbedingungen verankert, die über das Strafrecht hinausgehen und Diskrimi-
nierung, Rassismus und Gewaltaufrufe grundlegend untersagen. Umsetzten müssen
die Netzwerke die guten Vorsätze allerdings auch. Im Umgang mit rechtsextremen
Einstellungen setzen Netzwerke auf Löschungen, Verbote und Software, die uner-
wünschte Begriffe und Nicknames filtert – und machen die Erfahrung, dass dies zwar
verhindert, dass «Adolf Hitler» Mitglied wird, nicht aber «Ady H.». Sinnvoller sind
Spezialistinnen und Spezialisten, die rechtsextreme Bands oder Codes erkennen.
Gesellschaftlich bergen Löschungen aber ein Problem: Sie sind zwar als Entmutigungs-
Strategie sinnvoll; allerdings ist so die rechtsextreme Ideologie nur zeitweise weniger
sichtbar, jedoch nicht bearbeitet oder thematisiert. Die Betreiber Sozialer Netzwerke
müssen an der Verbesserung der Bedingungen auf ihrer Plattform arbeiten – sie sind
dabei darauf angewiesen, dass sie Nutzerinnen und Nutzer haben, die aufmerksam
gegenüber menschenfeindlichen Umtrieben sind und bereit, diesen entgegenzutreten
(Rafael 2010, 5. 31).
Die Userinnen und User
Ob jemand ernsthaft diskutieren will oder nur Parolen drischt, bringt oft leichtes
Nachfragen ans Licht. Detaillierte Informationen zu Gesprächsstrategien finden sich in
unserer Broschüre Neonazis im Web 2.0 - Erscheinungsformen und Gegenstrategien
(2010) oder in Workshops zum Thema, die das Team von www.netz-gegennazis.de
anbietet.3
Wenn Hetze isoliert wird, sind diejenigen, die hetzen genervt, manchmal
3 Wenn Sie Interesse an einem solchen Workshop zu rechtsextremen Argumentationsmustern und
Gegenstrategien haben, fragen Sie uns unter netz@amadeu-antonio-stiftung.de an.
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auch irritiert und verunsichert – und Raum für demokratische Diskussionen ist ge-
wonnen. Erfreulicherweise sehen es immer mehr Menschen als ihre Aufgabe, sich die
geschätzten Freiheiten des Web 2.0 nicht verderben zu lassen. Sie suchen und melden
Neonazi-Profile, gründen Gruppen zur Vernetzung und erdenken Flashmobs und an-
dere Aktionen, die off- und online gegen Rechtsextremismus oder andere Menschen-
feindlichkeiten eintreten (vgl. Rafael 2010, 5. 29 f.).
Was wir tun: Aufklärung
Mut-gegen-rechte-gewalt.de
Die Amadeu Antonio Stiftung unterstützt spendenfinanziert Projektarbeit gegen
Rechtsextremismus und Opfer rechtsextremer Gewalt und arbeitet für eine aktive Zi-
vilgesellschaft und demokratische Kultur.4
Im Jahr 2002 startete die Stiftung in Zusam-
menarbeit mit dem stern die Informationsplattform www.mut-gegen-rechtegewalt.
de. Die Grundidee war, ein eigenes Me- [22] dium zu gestalten, das über vorbildliche
Projektarbeit und gute Aktionen für demokratische Kultur und gegen Rechtsextremis-
mus berichtet. Inzwischen informiert mut-gegen-rechte-gewalt.de im neunten Jahr.
Netz-gegen-nazis.de
Im Jahr 2008 rief DIE ZEIT die Website www. netz-gegen-nazis.de – Mit Rat und Tat
gegen Rechtsextremismus ins Leben, um – in lexikalischer Form und tagesaktuell –
über die Gefährlichkeit des Rechtsextremismus in Deutschland aufzuklären. Außer-
dem bietet www.netz-gegennazis.de Diskussionsforen zum Thema: Was tun, wenn ich
Rechtsextremismus begegne? Seit Januar 2009 liegt die Redaktion bei der Amadeu
Antonio Stiftung. Aktuell hat die Seite im Schnitt 85.000 Visitors im Monat, rund 4.000
Menschen diskutieren in den Foren.
Soziale Netzwerke
Um für die Aufklärungsarbeit über Rechtsextremismus ein breiteres Publikum zu fin-
den und uns mit weiteren Aktiven zu vernetzen, eröffnete netz-gegen-nazis.de im Jahr
2009 Präsenzen in Sozialen Netzwerken: Beim langjährigen Kooperationspartner der
VZ-Netzwerke (SchülerVZ, StudiVZ, MeinVZ5
), bei Facebook und Twitter.6
Ein Kreis inte-
ressierter Leserinnen und Leser kann so dort erreicht und mit Informationen versorgt
werden, wo er sich sowieso aufhält um zu kommunizieren. Über die VZ-Netzwerke
erreichen wir 37.000 Menschen, über Facebook fast 40.000 und über Twitter über
3.000. Inzwischen gibt es netz-gegen-nazis.de auch bei YouTube, wer-kennt-wen.de
und Google+.7
4 Wenn Sie unsere Arbeit unterstützen möchten: Spendenkonto: Amadeu Antonio Stiftung, Deut-
sche Bank Bensheim, BLZ 50970004, Konto 030331300
5 www.schuelervz.net/netzgegennazis; www.studivz. net/netzgegennazis; www.meinvz.net/
netzgegennazis
6 www.facebook.com/netzgegennaz, www.twitter. com/netzgegennazis
7 www.youtube.com/netzgegennazis; www.werkennt-wen.de/club/qdyi1jed; https://plus.google.
com/115974940425984455861
8. www.mediaculture-online.de
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Schnell kam das Netz gegen Nazis dort auch mit Rechtsextremen, Islamfeinden und
Rechtspopulisten in Kontakt. Sie ließen ihrem Mitteilungsbedürfnis auf unseren Pinn-
wänden freien Lauf. Und empörte Userinnen und User schickten uns, was sie in den
Sozialen Netzwerken an Hass-Präsenzen, Bildern und Videos fanden. Oft war ihnen
nicht klar, ob und wo sie solche Funde melden können. Das war die Geburtsstunde
der Kampagne Soziale Netzwerke gegen Nazis.
Positionierung: Soziale Netzwerke gegen Nazis
Um nicht-rechte Nutzerinnen und Nutzer zu stärken und ihnen klar zu machen, dass
die Betreiber Sozialer Netzwerke auf ihrer Seite stehen, rief netz-gegen-nazis.de 2010
die Kampagne Soziale Netzwerke gegen Nazis ins Leben. Die Unternehmen sollten
sich deutlich positionieren. Die Kampagne warf ein Schlaglicht auf das Thema Nazis
in Sozialen Netzwerken. Sie setzte ein Zeichen, dass auch im Internet Gleichwertigkeit
und Menschenrechte als Grundlage des Handelns gelten sollten und dass es an allen
Userinnen und Usern ist, sich dafür stark zu machen. Im Rahmen der Aktionswoche
vom 11. bis zum 17. Oktober 2010 beteiligten sich 37 in Deutschland aktive Soziale
Netzwerke, darunter die VZ-Netzwerke, wer-kennt-wen.de, Jappy.de, MyVideo, aber
auch internationale Unternehmen wie YouTube und MySpace. In den Gruppen zur
Aktion, die bis zum heutigen Tage existieren, bekannten sich über 700.000 Menschen
zur Idee der Kampagne. Bis heute sind über 60 Netzwerke zusammengekommen.8
Das
zeigt deutlich: Das Thema Nazis in den Sozialen Netzwerken geht vielen Internetnut-
zern [23] und -nutzerinnen unter die Haut – schließlich sind Neonazis dort sichtbar
und nur wenige Klicks entfernt. Wie wirkt das auf Jugendliche, die in den Sozialen
Netzwerken so aktiv – und manchmal auch unvorsichtig – sind wie kaum jemand
sonst? Was können wir tun, damit sie rechtsextreme Propaganda als solche erkennen
und eigene Antworten darauf finden können?
Aktivierung: No-Nazi.net – Für Soziale Netzwerke ohne Nazis
Diesen Fragen widmet sich die Amadeu Antonio Stiftung seit April 2011 im Rahmen
eines dreijährigen Modellprojekts, das durch das Bundesministerium für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) im Rahmen des Programms Toleranz fördern –
Kompetenz stärken im Bereich Rechtsextremismus gefördert wird. Ziel des Projekts ist
es, mit 13- bis 18-Jährigen an der demokratischen Kultur des Internet zu arbeiten: für
ein no-nazi.net, für Soziale Netzwerke ohne Nazis.
Nach den Erfahrungen von netz-gegen-nazis.de bei SchülerVZ diskutieren Jugendliche
Themen im Bereich Rechtsextremismus lebhaft und intensiv – dies aber oft emotional
bis beleidigend mit Halbwissen und wenig Stringenz. Wie lässt sich mehr Substanz in
8 Mehr: www.soziale-netzwerke-gegen-nazis.de
9. www.mediaculture-online.de
9
die Meinungsbildung bringen? Können Projekte im Internet und über das Internet mit
Jugendlichen für eine demokratische Kultur arbeiten? Bleibt Engagement im Internet
darauf beschränkt – oder hat es Effekte auch in der realen Welt? Diesen Fragen wer-
den wir im Projekt no-nazi.net – Für Soziale Netzwerke ohne Nazis nachgehen.
Hierfür will das no-nazi.net-Team im ersten Schritt neue Wege erkunden, um Inhalte
an Schülerinnen und Schüler zu vermitteln – gerade an die, die vielleicht von langen
Texten wie auf www.netz-gegen-nazis.de abgeschreckt werden. In ausgewählten
Sozialen Netzwerken wurden bis September 2011 no-nazi.net-Präsenzen erstellt, die
aktiv Wissen über Neonazis und gute Gegeninitiativen in Zielgruppen- und medien-
gerechter Form vermitteln wollen. Zugleich lebt das no-nazi.net von der Beteiligung
der jugendlichen Userinnen und User. Wir wollen Erfahrungen austauschen, über
Wettbewerbe Ideen guter Projektarbeit vermitteln, mit Umfragen und Spielen überra-
schen, irritieren, aktivieren. Und zwar nicht nur die bildungsnahen, sondern auch die
bildungsferneren 13- bis 18-Jährigen.9
Im nächsten Schritt werden wir dann pädagogi-
sche Formen für die Arbeit im Internet entwickeln, mit denen ein Kreis interessierter
Jugendlicher online als ‹Web 2.0-Peer Leader› geschult wird, um anderen Jugendli-
chen mit Rat und Tat in den Sozialen Netzwerken zur Problematik Rechtsextremismus,
Rassismus und Antisemitismus zur Seite stehen zu können. Außerdem sollen Wege
erdacht werden, mit rechtsextrem orientierten Jugendlichen über das Internet zu
arbeiten, die sich überraschend oft an Netz gegen Nazis wenden. Begleitend wird das
no-nazi.net-Team sein Wissen auch offline über Workshops für Multiplikatoren und
Multiplikatorinnen und/oder Schüler und Schülerinnen anbieten. Ziel des Projektes ist
schließlich, so vielen Jugendlichen wie möglich aufzuzeigen, dass auch sie verantwort-
lich sind für die – virtuelle wie reale – Welt, in der sie sich bewegen und sie in die Lage
zu versetzen, selbst Ideen zu entwickeln und umzusetzen.
Das Modellprojekt no-nazi.net betritt damit ein völlig neues und innovatives Feld in
der Arbeit gegen Rechtsextremismus und ist sehr interessiert an Mitstreiterinnen und
Mitstreitern.10
Das Internet bietet fantastische Möglichkeiten für wichtige Themen,
viele Menschen relativ unkompliziert zu erreichen. Das müssen wir einfach für die
Arbeit gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ausnutzen.
Literatur
Amadeu Antonio Stiftung (Hrsg.) (2010). Neonazis im Web 2.0 – Erscheinungsformen
und Gegenstrategien. Berlin: Printversion über die Amadeu Antonio Stiftung netz@
amadeu-antonio-stiftung.de: pdf-Version: www.netz-gegen-nazis.de/artikel/neonazis-
im-web-20-erscheinungsformen-und-gegenstrategien-1212 [Zugriff: 15.09.2011]
9 Informationen über alle Aktivitäten wird der Blog www.no-nazi.net dokumentieren.
10 Wenn Sie Interesse an unserem Projekt haben, wenn Sie Fragen haben oder unsere Expertise
suchen, nehmen Sie bitte mit uns Kontakt auf unter netz@amadeu-antonio-stiftung.de.
10. www.mediaculture-online.de
10
Huthmacher, Valentina (2010). Wie wirkt Rechtsextremismus im Internet auf Leserin-
nen und Leser? www. netz-gegen-nazis.de/artikel/wie-wirkt-rechtsextremismus-im-
internet-8914 [Zugriff: 07.07.2010]
Lang, Juliane/Müller, Yves (2010). Themen und Gesprächsstrategien, S.18-22. In: Ama-
deu Antonio Stiftung (Hrsg.) (2010), Neonazis im Web 2.0 – Erscheinungsformen und
Gegenstrategien.
Rafael, Simone (2011). Facebook-Seite Keine Gnade für Kinderschänder – Neonazis
beim Agitieren zusehen. www.netz-gegen-nazis.de/artikel/facebook-gruppe-
keine-gnade-fuer-kinderschaender-neonazis-beim-agitierenzusehen-1749 [Zugriff:
15.09.2011]
Rafael, Simone (2010). Ideen gegen Neonazis von der Meldung bis zur Aktion. In:
Amadeu Antonio Stiftung (Hrsg.), Neonazis im Web 2.0 – Erscheinungsformen und
Gegenstrategien. Berlin: Printversion über die Amadeu Antonio Stiftung, pdf-Version:
www.netz-gegen-nazis. de/artikel/neonazis-im-web-20-erscheinungsformen-und-
gegenstrategien-1212, S. 29-31.
Rafael, Simone (2010). Was machen Neonazis in sozialen Netzwerken? www.soziale-
netzwerke-gegen-nazis.de/das-problem [Zugriff: 15.09.2011].
Staud, Toralf/Kulick, Holger (2009). Das Buch gegen Nazis. Rechtsextremismus – Was
man wissen muss und wie man sich wehren kann. Köln: Kiepenheuer & Witsch.
Wolf, Joachim (2010). Ich weiß nicht, was Nazis sein sollen, getroffen habe ich noch
keine. Rechtsextreme Argumentationsmuster. www.netz-gegen-nazis.de/artikel/
rechtsextreme-argumentationsmuster-soziale-netzwerke-9811 [Zugriff: 15.09.2011]
Wolf, Joachim (2010). Nicknames und Profile. In: Amadeu Antonio Stiftung (Hrsg.)
(2010), Neonazis im Web 2.0 – Erscheinungsformen und Gegenstrategien. Berlin:
Printversion über die Amadeu Antonio Stiftung, pdfVersion: www.netz-gegen-nazis.
de/artikel/neonazis-im-web-20-erscheinungsformen-und-gegenstrategien-1212 S. 11-
17.
Informationen zu rechtsextremen Erscheinungsformen, Erkennungszeichen, Bands
und tagesaktuelle Berichterstattung: www.netz-gegen-nazis.de
Kampagne Soziale Netzwerke gegen Nazis: www.soziale-netzwerke-gegen-nazis.de
Simone Rafael ist seit 2009 Chefredakteurin von Netz-gegen-Nazis.de, dem Internet
portal der Amadeu Antonio Stiftung und der ZEIT. Daneben entwickelt sie Ideen ge
gen Rechtsextremismus im Internet, etwa die Kampagne Soziale Netzwerke gegen
Nazis oder das Argumentationstraining Generation 50+ aktiv im Netz gegen Nazis. Ihr
neuestes Projekt heißt no-nazi.net – Für Soziale Netzwerke ohne Nazis und will über
Soziale Medien mit Jugendlichen für mehr Demokratie im Internet arbeiten.