2. Das Syndrom der Gruppenbezogenen
Menschenfeindlichkeit (GMF)
Der theoretische Rahmen des Forschungsprojekts
- Forschungsprojekt zu „Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ am Institut für
Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld unter Leitung von
Professor Wilhelm Heitmeyer.
- Laufzeit von 2002 – 2012: 10-jährige Langzeituntersuchung mit jährlicher
Bevölkerungsumfrage zur Abwertung und Ausgrenzung bestimmter Gruppen, ergänzt durch
Längsschnittstudie.
- Jährliche repräsentative Erhebung der Einstellung von Bundesbürger_innen gegenüber
sozialen Gruppen und daraus folgenden Konsequenzen.
- Was sind zentrale Merkmale der Abwertung der Menschen, die als „anders“, „fremd“ oder
nicht zugehörig wahrgenommen werden Entwicklung eines Syndrom der GMF als Grundfolie
für die Auseinandersetzung mit gruppenbezogener Abwertung
3. Das Syndrom der Gruppenbezogenen
Menschenfeindlichkeit (GMF)
Definition nach Beate Küpper
Im Syndrom Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit (GMF), wie es von
Heitmeyer entworfen wurde „[…] bildet die Abwertung und Ausgrenzung
einer ganzen Reihe von sozialen Gruppen und den ihnen zugerechneten
Personen, wie sie sich u.a. in ethnischem Rassismus, Antisemitismus und
Sexismus zeigt, ein zusammenhängendes Syndrom Gruppenbezogener
Menschenfeindlichkeit, zusammengehalten durch die Ideologie der
Ungleichwertigkeit. Im Kern geht es darum, dass Menschen aufgrund ihrer
zugewiesenen Gruppenzugehörigkeit eine unterschiedliche Wertigkeit
beigemessen wird.“
5. Das Syndrom der Gruppenbezogenen
Menschenfeindlichkeit (GMF)
Funktionen der GMF
- Individuelle Ebene: Vorurteile stellen vermeintliches Wissen dar
- Ausgrenzung von Fremdgruppe schafft Zusammenhalt in Eigengruppe
- Kontrolle über abgewertete Fremdgruppe
- Aufwertung der Eigengruppe und damit verbundene Selbstaufwertung
- Legitimierung und Durchsetzung eigener Vormachtstellung
- Funktionalität kollektiv geteilter, Hierarchie legitimierender Mythen, die Ideologie
der Ungleichwertigkeit zu Grunde liegen Legitimation sozialer Ungleichheit
6. Das Syndrom der Gruppenbezogenen
Menschenfeindlichkeit (GMF)
Gründe für GMF nach Heitmeyer/Zick
Ökonomisierung des Sozialen, Markt als Modus der Vergesellschaftung
Desintegrationstheorie nach Heitmeyer
Geringe Bildung, wenig interkulturelle Kontakte, starke nationale
Identifikation, etc. erhöhen Wahrscheinlichkeit zu GMF
Verteidigung bestehender Statushierarchien
7. Das Syndrom der Gruppenbezogenen
Menschenfeindlichkeit (GMF)
Kritik am Syndrom GMF
- Begründung über Ökonomisierung und Desintegration greifen zu kurz
- Keine intersektionale Sichtweise: manche Menschen von mehreren Abwertungen
gleichzeitig betroffen Merkmale wirken additiv
- Kritik daran, dass alle Elemente gleichberechtigt nebeneinander stehen
- Zu wenig Berücksichtigung diskriminierender Strukturen / Praxen
- Perspektive der Betroffenen spielt keine Rolle
- Weitere Elemente von GMF nicht berücksichtigt, z.B. Abwertung von transgender
Personen
- Keine Berücksichtigung der Rolle der Medien
8. Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit im Social Web
„Lies bloß nicht die Kommentare!“
„Diese Kommunikation, dieses Sprechen über die Flüchtlinge und Migranten,
verschlägt mir in letzter Zeit die Sprache. Mir bleibt bei dem vielen, was
passiert, was gesagt wird, einfach die Luft weg. Und ohne Luft zu sprechen,
ist gar nicht so ganz einfach. Das nehmen Sie gewiss wahr. Da muss man dann
besonders laut und eindringlich sprechen, sonst klappt es nicht.“
(Paul Mecheril, Gastrede Neujahrsempfang Bremen, Januar 2016)
9. Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit im Social Web
Ergebnisse aus qualitativen und quantitativen Studien
- Simon Wiesenthal Annual Digital Terror & Hate Report verzeichnet seit Jahren eine Zunahme von Seiten
sozialer Netzwerke, Foren, Blogs, Tweets, die der Verbreitung von Hass und Menschenfeindlichkeit
zuzuordnen sind.
- Studie des Bundesverbands Informationswirtschaft, Telekommunikation und Neue Medien) Dezember
2015:
jeder zweite schon Hasskommentare gelesen
jeder neunte selbst betroffen
77 % empfinden starken Anstieg von Hasskommentaren
- Forsa-Umfrage „Ethik im Netz und Hate Speech“ Juni 2016
39 Prozent der Befragten sehen ab und zu Hasskommentare
18 Prozent häufig
8 Prozent sogar sehr häufig
Für die 14- bis 24-Jährigen ist Hassrede ein alltägliches Phänomen: 22 Prozent sehen sie sehr
häufig, 32 Prozent häufig, 37 Prozent ab und zu und nur 8 Prozent nie.
10. Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit im Social Web
Ergebnisse aus qualitativen und quantitativen Studien
- Neue Mitte-Studie 2016 „Die enthemmte Mitte“:
Rechte Einstellungen durch Akteure wie AfD, Pegida enttabuisiert
Mitte ist polarisiert
Ablehnende und abwertende Haltungen gegen Asylbewerber_innen, Muslime und Sinti und Roma
alarmierend gewachsen
- Monitoringbericht 2015/2016 „Rechtsextreme und menschenverachtende Phänomene im Social Web“ der
Amadeu Antonio Stiftung: Menschenverachtung und Hetze im Social Web spitzt sich weiter zu, Netz als
„Durchlauferhitzer“…
Aussage Zustimmung
Muslimen sollte die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden. 41,4
Sinti und Roma sollten aus den Innenstädten verbannt werden. 49,6
Die meisten Asylbewerber befürchten nicht wirklich, in ihrem Heimatland
verfolgt zu werden.
59,9
Es ist ekelhaft, wenn Homosexuelle sich in der Öffentlichkeit küssen. 40,1
Zustimmung in Prozent; 2420 Befragte
11. Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit im Social Web
Vorurteile und Hass im Netz – was ist eigentlich Hate Speech / Hass-Rede?
- Definition des Ministerkomittees des Europarates, sinngemäß: Hassrede umfasst alle Ausdrucksformen,
die Rassismus, Fremdenfeindlikeit, Antisemitismus und andere Formen auf Intoleranz beruhenden Hass
verbreiten, dazu anstiften, sie zu fördern oder rechtfertigen, einschließlich Intoleranz, die sich in
aggressivem Nationalismus und Ethnozentrismus, der Diskriminierung und Feindseligkeit gegenüber
Minderheiten äußert (1997).
- Anatol Stefanowitsch, Sprachwissenschaftler an der FU Berlin, sinngemäß: Hassrede als sprachlicher
Ausdruck von Hass gegen Personen oder Gruppen, insbesondere durch die Verwendung von Ausdrücken,
die der Herabsetzung und Verunglimpfung von Bevölkerungsgruppen dienen.
- Amadeu Antonio Stiftung, Broschüre „Geh sterben“: „Die Debatte [um den Begriff Hate Speech,
a.d.Verfasserin] ist vor allem durch die US-amerikanische Auseinandersetzung geprägt. Das deutsche
Gegenstück Hassrede ist dagegen kaum etabliert. Der englische Begriff hat sich zudem auch im Deutschen
etabliert und dient so als Oberbegriff für das Phänomen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und
Volksverhetzung“.
- Ebenda: Hate Speech ist das motivierende Hintergrundrauschen zum gelebten Gewaltexzess.
14. GMF im Social Web – einige Beispiele
Jemand postet bei Facebook ein zwei Jahre altes Video über ein schreckliches Familiendrama. Es geht um einen Täter, der
seine Frau zuerst erstach und dann enthauptet. Versehen wird der Clip in Facebook dann mit der Überschrift „Muslimischer
Asylant schneidet Frau den Kopf ab und ruft Allahu akbar“. Weder von der Religion noch vom Aufenthaltsstatus des Mannes
ist im Video die Rede, "Allahu akbar" kommt auch nicht darin vor, und es ist zwei Jahre alt.
18. GMF im Social Web – Modifikationen zu GMF offline
Präsenz
Tempo
Echokammern
Filterblasen
Effektiv
Einfach
Wegfall der face- to-
face-Kommunikation
Anonymität
Verbreitung
Intensität
19. Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit im Social Web –
Herausforderungen
Herausforderungen stellen sich auf verschiedenen Ebenen
- Individuell – Gegeninformation und Gegenrede?
- Zivilgesellschaftlich – ist ein gemeinsamer Ansatz nötig und möglich?
- Pädagogisch – braucht GMF in social media gesonderte Medienkompetenz?
- Politisch – ist Verantwortung benannt und erkannt?
- Strafrechtlich / Juristisch – sind Qualifikation, Ausstattung und Gesetzgebung ausreichend?
- Auf Seiten der Betreiber – sind sich Betreiber ihrer Verantwortung bewusst?
Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und Hasskommentare sind gesellschaftsfähig
geworden. Die Grenze des Sagbaren hat sich verschoben.
Das Internet ist ein Ort, an dem Meinungen frei und für die Netzwelt sichtbar geäußert werden
können. Genau das macht es nicht nur für Demagogen und Populisten interessant.
Nicht das Internet ist schuld an der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit: Es ist die
Technik, die Dinge sichtbar macht, aber auch zu einer rasanten Verbreitung beiträgt.