1. Johannes Gutenberg – Universität Mainz
Institut für Politikwissenschaft
Hauptseminar: Soziale Bewegungen in
Deutschland
Leitung: Univ. – Prof. Dr. Kai Arzheimer
Politisches Engagement in den neuen
Bundesländern
Referenten: Tassilo Heinrich und Amer Lizde
15.01.2013
2. Im Herbst 1989 kam es zu spontanen
Massenprotesten
Die Folge: Ablösung des SED Regimes
Ausgangsfrage:
◦ Wie haben sich die Proteste in den neuen
Bundesländern seit 1989 entwickelt?
3. Warum wird Leipzig als Beispiel gewählt?
◦ Insgesamt besondere Rolle bei der Ablösung des
SED Regimes
◦ 9. Oktober 1989: Erste Massendemonstration ohne
Eingreifen der Sicherheitskräfte
◦ Gute Datengrundlage
Untersuchungsobjekte:
◦ Verlauf der Proteste
◦ Protestteilnahme
4. Makroanalyse von Protestaktivitäten anhand der
Berichterstattung der Leipziger Volkszeitung (LVZ)
Recherchezeitraum: 18. März 1990 – 31.Mai 1993
Kodierung der Protestereignisse:
1. Demonstrationen
2. Streiks
3. Bombendrohungen
4. Leserbriefe
5. Besetzungen von Gebäuden und Blockaden
6. Protesttage
Bei Verknüpfung von Protestformen wird eine
Zuweisung zur überwiegenden Protestform
vorgenommen
5.
6.
7.
8. Am 29. März 1990 Demonstrieren etwa 10.000
Leipziger für eine „saubere Volkskammer―
Ab Mai 1990 nehmen Streiks und Blockaden zu
Ende 1990 kommt es zu zahlreichen
Studentenprotesten
Im März 1991 leben die Montags-Demos auf
Juni 1992: Gewerkschaft der Bergleute ruft zu
einer Großdemonstration in Leipzig auf
Ab Ende 1992 rufen verstärkt einzelne
Interessengruppen zu Demonstrationen auf
Anfang 1993 findet „Gewalt ätzt!― statt—eine
Rock-Demo zu der Künstler und öffentliche
Personen aufgerufen haben
9.
10. Wie hat sich die Anzahl der einzelnen
Prostestereignisse seit 1990 verändert?
Häufigste Protestform: Demonstrationen und
Streiks
„illegale Protesthandlungen― nehmen
insgesamt 15% ein…
…allerdings kaum noch Bombendrohungen
11.
12. Wie hat sich die Anzahl der Protestteilnehmer
entwickelt?
Teilnehmerzahlen schwanken über alle
Protestformen zwischen 60 und 70.000
Teilnehmer
Entwicklung widersprüchlich:
◦ Von 1990 bis 1991: leichter Rückgang
◦ Von 1991 bis 1992: starker Rückgang
◦ 1993: Anstieg auf Höchstwert
13. Individualanalyse anhand einer
Panelbefragung
◦ Erstbefragung im Herbst 1990, 1300 repräsentativ
ausgewählte Leipziger
◦ Zweitbefragung im Sommer 1993, 513 Personen
aus der Erstbefragung
Ergebnisse beziehen sich nur auf die 513
Personen, welche in beiden Wellen befragt
wurden
14. Wie hat sich das individuelle politische
Engagement im Befragungszeitraum verändert?
Auf die Frage, ob Befragte sich an einer Reihe
politischer Handlungen beteiligten, gab es
folgende Antwortmöglichkeiten:
1. Kam für mich nicht in Frage
2. Habe das überlegt, aber nicht gemacht
3. Habe das einmal gemacht
4. Habe das mehrmals gemacht
Zusammenfassung der Werte 1. und 2. zu
0, sowie 3. und 4. zu 1
15.
16. Gibt es eine Veränderung des
Protestrepertoires?
◦ Annahme 1: Die Stärke des politischen
Engagements heute, sagt die Stärke des politischen
Engagements für morgen voraus
◦ Annahme 2: Veränderung des Protestrepertoires
aufgrund Veränderter Gelegenheitsstrukturen
Frage: Wie wahrscheinlich ist, dass der
Befrage die betreffende Handlung in naher
Zukunft ausführen wird?
Antwortmöglichkeiten von 1 „keinesfalls― bis
5 „ganz sicher―
19. 1. Welche Arten von Transformationsprozessen
beeinflussen politisches Engagement?
Transformationsprozess: alle Änderungen seit dem
Umbruch in der DDR, z.B. seit dem 18. März 1990
20. Nicht alle Änderungen haben politisches
Engagement beeinflusst Welche konkreten
Arten von Transformationsprozessen haben
eine konkrete Veränderung politischen
Engagements bewirkt?
Bsp.: Haben die Privatisierung von
Betrieben, der Wegfall von Arbeitsplätzen und
der Wegfall bestimmter sozialer Leistungen
politisches Engagement beeinflusst?
21. 2. Welche Arten von
Transformationsprozessen haben welche
Arten politischen Engagements
beeinflusst?
Viele Formen politischen Engagements
(Wahlbeteiligung, konventionelle
Partizipation, legale und illegale Proteste)
Welche Transformationsprozesse haben
welche Art politischen Engagements
beeinflusst?
22. 3. In welcher Weise haben bestimmte Arten
von Transformationsprozessen bestimmte Arten
politischen Engagements beeinflusst?
Der Transformationsprozess ist eine
Eigenschaft eines Kollektivs
Politisches Engagement ist eine Eigenschaft
individueller Akteure (Aggregation
individuellen Verhaltens)
Wie wirken sich Veränderungen auf der
kollektiven Ebene (Transformationsprozesse)
auf das politische Handeln auf der
individuellen Ebene aus?
23.
24. Politisches Engagement wird durch solche
Arten des Transformationsprozesses
beeinflusst, die die Bedingungen politischen
Engagements verändern.
Wirkungen des Transformationsprozesses
kamen dadurch zustande, dass sich bei den
Bürgern bestimmte Bedingungen
veränderten, die zu politischen Engagement
führen
25. Folgerung:
Zwischen Transformationsprozessen und
politischem Engagement besteht keine
kausale Beziehung, sondern lediglich
eine Korrelation. Lediglich die
genannten Anreize haben eine kausale
Wirkung auf Engagement.
26. Personen beteiligen sich umso eher an
politischen Protestaktionen, in je höherem
Maße gemeinsame, unerfüllbare Ziele
bestehen, d.h. je größer die Unzufriedenheit
ist.
27. Nach der Standardtheorie kollektiven
Handelns (Olson 1965) führen die
Unzufriedenheit bzw. die Präferenzen für
Kollektivgüter in großen Gruppen nicht zu
politischem Engagement. Der einzelne Bürger
geht von einer geringen Bedeutung seines
Engagements aus.
28. Diese plausiblen Annahmen haben sich in der
Forschung nicht bestätigt. Der einzelne
Bürger überschätzt seinen tatsächlichen
Einfluss. Hohe Unzufriedenheit und hoher
wahrgenommener Einfluss führen zu hohem
politischen Engagement.
Unterschiedliche Arten der Unzufriedenheit
(Unzufriedenheit mit der politischen, sozialen
und wirtschaftlichen Situation)
29. Welche Art des Protests wird gewählt?
Jemand, der wirtschaftlich unzufrieden
ist, wird nicht eine andere Protestform wählen
als jemand, der politisch unzufrieden ist. Man
wählt mit hoher Wahrscheinlichkeit solche
Arten von Protest, die man für am
wirksamsten hält.
30. Bedeutung von moralischen Anreizen, z.B. ein
Gefühl der Verpflichtung zum Engagement
und Rechtfertigungen für politische Gewalt
Bedeutung von sozialen Anreizen für
politisches Engagement, z.B. Mitgliedschaft in
Prostest-Netzwerken
Staatliche Repression
Kosten der Zeit
31. Schlussfolgerung aus dem Erklärungsmodell
(Abb. 1):
Nur solche Transformationsprozesse, die
die Anreize für politisches Engagement
verändern, führen zu politischem
Engagement.
32.
33. Die schlechten Lebensverhältnisse in den
neuen Bundesländern könnten Proteste
hervorrufen.
Von Bedeutung: Eine defizitäre Ressourcen-
Ausstattung oder ein hohes
Ressourcendefizit, z.B. der Verlust des
Arbeitsplatzes, wahrgenommene
Verschlechterung des Einkommens nach dem
Umbruch
34. Nur wenn ein Ressourcendefizit auch zu
Unzufriedenheit führt, wird eine defizitäre
Ressourcen-Ausstattung zu einer Bedingung
für politisches Engagement.
35. Je größer das Ressourcendefizit ist, desto
größer ist auch die Unzufriedenheit mit der
persönlichen Lebenssituation.
Denkbar wäre, dass die Bürger in den neuen
Bundesländern die geringe Ressourcen-
Ausstattung als eine notwendige Folge der
Wiedervereinigung betrachten.
36. Die Ressourcendefizite werden aber nicht als
vorübergehend angesehen. Ein relativ hohes
Ressourcendefizit führt zu einer relativ hohen
Unzufriedenheit mit der Lebenssituation.
37. In je höherem Maße man den Staat als
verpflichtet ansieht, Maßnahmen zur
Verbesserung der eigenen Situation zu
ergreifen, umso eher wird die
Unzufriedenheit mit den eigenen
Lebensverhältnissen Protest verursachen.
Hohe Unzufriedenheit mit den persönlichen
Lebensverhältnissen wirkt sich nur indirekt
auf politisches Engagement aus, über die
genannten Anreize.
38. Veränderungen der politischen Ordnung
führen zu einer Veränderung der Anreize für
politisches Engagement.
Die Kosten legalen politischen Engagements
haben sich durch rechtlich garantierte
politische Freiheitsrechte vermindert.
In der ehem. DDR war Protest mit hohem
Risiko verbunden.
39. Der politische Wettbewerb erhöht die Kosten
des Engagements. Man muss Zeit und
andere Ressourcen aufwenden, um
Unterstützung zu erhalten, damit man ein
Programm oder einzelne Forderungen
durchsetzen kann.
Paradoxe Konsequenzen der Wende: Der
Übergang zur Demokratie hat die Anreize für
Protest gleichzeitig vermindert und erhöht.
40. Der Wegfall des hohen Risikos bzw. das
Ausbleiben negativer staatlicher Sanktionen
hat die Kosten politischen Protests
vermindert.
Andererseits hat die Einführung einer
demokratischen Ordnung den
wahrgenommenen Einfluss des Bürgers auf
die Politik erhöht.
Der politische Wettbewerb hat allerdings den
Einfluss des einzelnen Bürgers vermindert.
41. Ein weiteres Ergebnis des politischen
Transformationsprozesses: Die Bürger der
ehem. DDR haben eine größere Offenheit des
politischen Systems für die Realisierung ihrer
Wünsche Erwartet. Unerfüllte Erwartungen
haben zur Unzufriedenheit geführt.
42. Politisches Engagement führt zu einer Erhöhung
der sozialen Anreize.
Inwieweit hat politisches Engagement vor dem
Umbruch, also im Jahre 1989, die Anreize für
politisches Engagement nach dem Umbruch und
damit auch indirekt politisches Engagement nach
der Wende beeinflusst?
Engagieren sich z.B. diejenigen, die sich an den
Montagsdemonstrationen beteiligt
haben, gegenwärtig häufiger als diejenigen, die
sich an diesen Demonstrationen nicht beteiligt
haben?
43. Engagieren sich z.B. diejenigen, die sich an
den Montagsdemonstrationen beteiligt
haben, gegenwärtig häufiger als
diejenigen, die sich an diesen
Demonstrationen nicht beteiligt haben?
Eine große Zahl von Bürgern hat sich an
Protesten gegen das kommunistische Regime
beteiligt.
44. Die Revolution war erfolgreich: Ablösung der
Regierung und Wandel der politischen und
wirtschaftlichen Ordnung
Die Revolution in der ehem. DDR als gute
Gelegenheit, um die Wirkungen politischen
Protests zu untersuchen.
Die externen Wirkungen der Proteste, d.h. die
Wirkungen auf Regierungen wurden
untersucht. Die internen Wirkungen, d.h. die
Wirkungen auf die Akteure selbst wurden
nicht untersucht.
45.
46. Der Protest zu einem bestimmten Zeitpunkt
erhöht die Anreize für späteren Protest.
Die Anreize 1993 wirken sich auf politisches
Engagement 1993 aus. Es ist wenig
plausibel, dass hohe Unzufriedenheit 1989
Engagement 1993 beeinflusst. Die
Unzufriedenheit 1993 ist von Bedeutung für
Engagement 1993.
47.
48. Die Anreize 1993 wirken sich auf politisches
Engagement 1993 aus.
Es ist wenig plausibel, dass hohe
Unzufriedenheit 1989 Engagement 1993
beeinflusst.
Die Unzufriedenheit 1993 ist von Bedeutung
für Engagement 1993
49. Von Protest 1989 geht ein indirekter Effekt
auf Protest 1993 aus. Dieser Effekt geht über
die Anreize von 1993.
Die Anreize von 1989 haben vermutlich eine
positive Beziehung zu den Anreizen von
1993.