herausforderungen & potenziale frankfurt a. d. oder 011
1. Werner Thole
Kinder- und Jugendarbeit im
permanenten Wandel …
Herausforderungen & Potenziale
Kassel & Frankfurt a. d. Oder 2011
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2. Fragestellung …
Welche Praxis & theoretische Idee benötigt die aktuelle
Kinder- und Jugendarbeit angesichts der
• diversen Krisendiagnosen
und der unterschiedlichen
• Infragestellungen
und welche Potenziale kann sie präsentieren.
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3. Gliederung
Ausgangsmarkierungen und Herausforderungen
Bildung in der Kinder- und Jugendarbeit: Potenziale
und Erträge
Ausblick: Kinder- und Jugendarbeit als
Projekt der Initiierung von Bildung und einer
zukunftsorientierten Kommunalpolitik
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4. Herausforderung Beispielsweise die Ganztagesschulen …
Flächendeckender Ausbau von Ganztagsschulformen in fast
allen Bundesländern wird als Herausforderung und „Bremse“
gesehen …
• 6400 Ganztagsschulen mit steigender Tendenz
• zwischen 2002 und 2006 stiegen die Schülerzahlen von 10% auf 18%
• die Gesamtquote liegt in den westlichen Bundesländern bei cirka 13%, in den
östlichen Bundesländern bei cirka 18%
• aber, beispielsweise: noch über 90% der Grundschulen mit einem
Ganztagsangebot arbeiten nach dem offenen Prinzip
… im Kern hat sich die Kinder- und Jugendarbeit jedoch
elementareren Herausforderungen zu stellen …
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5. Herausforderung Dynamisierung Sozialer Ungleichheiten
Für die meisten Industriestaaten ist zu
beobachten, dass ökonomische
Klassenunterschiede nicht mehr die
einzigen sozialen Unterschiede sind, die
das Funktionieren der Gesellschaft
steuern. Ungleichheiten werden durch
die Verfügbarkeit über
ökonomisches,
kulturelles
und
soziales
Kapital grundgelegt.
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6. Herausforderung: Dynamisierung Sozialer Ungleichheiten
Nicht nur die Gesellschaft, auch das
Bildungssystem
trägt zur Reproduktion sozialer
Ungleichheit bei
Der Zusammenhang zwischen Schicht- und Milieuzugehörigkeit, sozialer Lage, den
sozialen Kapitalressourcen und sozial-kulturellen Orientierungen sowie den Formen des
Kompetenzerwerbs ist über die gesellschaftlichen Veränderungen der letzten Jahrzehnte
nicht eliminiert worden.
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7. Herausforderung Dynamisierung Sozialer Ungleichheiten
Folgen der Produktion und Reproduktion Sozialer Ungleichheit: Bewusst wird – so
kann behauptet werden – damit einkalkuliert, dass
• weiterhin 10 % eines jeden Jahrgangs ohne Schulabschluss
bleiben und
• knapp 17 % der heute 25- bis 34-jährigen Wohnbevölkerung insgesamt und
35 % der weiblichen Bevölkerung keinen Ausbildungsabschluss erlangen.
Hingenommen wird damit auch die Reproduktion sozialer Ungleichheit durch die
soziale »Vererbung« von »Bildungsarmut«:
• Hat der Vater keinen Schulabschluss, so haben 15 % der Söhne und 26 % der
Töchter auch keinen Schulabschluss, und hat der Vater keinen beruflichen
Abschluss, so erwerben 21 % der Söhne und gar 54 % der Töchter ebenfalls
keinen beruflichen Abschluss.
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9. Herausforderung: Stichwort „ Individualisierung“
Veränderung der sozio-kulturellen Rahmungen
und Sicherheiten
• Kulturelle Freisetzungsprozesse: »Biographisierung«
• Freiheit ist trügerisch und riskant
• Kulturelle Freisetzung und Individualisierung bedeutet immer auch
institutionelle Prägung von Lebensläufen
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10. Herausforderung Statuspassagen …
Biographische Moratorien werden nicht mehr
ausschließlich in der Jugendzeit für alle Zeiten abgefeiert
Übergangsphasen sind inzwischen biographisch
querverteilt, begegnen den Menschen episodenhaft auf
verschiedene Lebensabschnitte verteilt
Gegensätze zwischen einzelnen Lebensabschnitten sind
allgegenwärtig …
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11. Potenziale Bildung …
Bildung ist die
Fähigkeit, sich „Selbst“
und die Welt zu
erkennen und zu
„durchschauen“ –
also: Selbst- und
Welterkenntnis,
Selbst- und
Weltaufklärung
12. Potenziale Bildung ist mehr als Schule …
Das Schulsystem, der Bereich der beruflichen und hochschulischen Qualifizierung und
strukturierte, mit anerkannten Zertifikaten abschließende Weiterbildungen können gemäß
dieser Differenzierung dem Feld der formalen Bildung zugeordnet werden. Als Bildungs-
und Lernfelder der non-formalen Bildung sind die Praxen der Sozialen Arbeit,
beispielsweise in den Kindertageseinrichtungen, in der Kinder- und Jugendarbeit oder in
den familien-, kinder- und jugendbezogenen Handlungsfeldern, und in der
erwachsenenorientierten Fort- und Weiterbildung zu identifizieren. Informelle
Bildungsprozesse realisieren sich dieser Unterscheidung nach beispielsweise in familialen
Zusammenhängen und jugendlichen Gleichaltrigenkulturen.
Eine den Erwerb von Bildung auf das institutionelle, formal strukturierte System
von Lernen und Ausbildung fokussierende Vorstellung von Bildung hat sich der
Expertise zu stellen, nach der 70 % aller menschlichen Lernprozesse außerhalb
von formalen Bildungsinstitutionen stattfinden.
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13. Potenziale Bildung ist mehr als Schule …
Bildungsprozesse in und über informelle und non-formal
gerahmte Praxen sind strukturell in den Alltag
eingelagert. Sie bieten Lern- und Erfahrungsfelder, die
das formal strukturierte Bildungssystem nicht vorhält
oder aufgrund seiner selektiven Grundstruktur nicht
vorhalten kann.
Die Relevanz der hier erworbenen kulturellen und
sozialen Ressourcen für die Entwicklung von
Lebensbewältigungs- und
Lebensgestaltungskompetenzen, die Formierung von
Lebensstilpräferenzen und von biografischen
Lebenskonzepten sowie deren Nachhaltigkeit wird nach
wie vor ebenso unterschätzt wie deren Bedeutung für
das erfolgreiche Absolvieren von schulischen Bildungs-
und berufsbezogenen Qualifizierungskarrieren.
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14. Potenziale Bildung in der Kinder- & Jugendarbeit …
Strukturelle Kultur Gesellschaft Persönlichkeit
Komponenten (Krisenerscheinung) (Krisenerscheinung) (Krisenerscheinung)
Reproduktions-
prozesse
Kulturelle Reproduktion Überlieferung, Kritik, Erneuerung Reproduktion von
»Kulturelle Erwerb von kulturellem legitimationswirksamen Bildungswissen
Bildung« Wissen Wissens
(Sinnverlust) (Legitimationsentzug) (Erziehungskrise)
Soziale Integration Immunisierung eines Koordinierung von Reproduktion von Mustern
»Soziale Kernbestandes von Handlungen über sozialer Zugehörigkeit
Bildung« Wertorientierungen anerkannte
Geltungsansprüche
(Verunsicherungen der (Anomie) (Entfremdung)
kollektiven Identität)
Individuation Enkulturation Wertinternalisierung Persönlichkeitsentwicklung
»Identitätsbildung«
(Traditionsabbruch) (Motivationsentzug) (Psychopathologien)
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15. Potenziale Bildung in der Kinder- & Jugendarbeit …
• In Bezug auf das kulturelle Erbe einer Gesellschaft hat die Kinder- und Jugendarbeit
Heranwachsende dabei zu unterstützen, das kulturelle Wissen der Gesellschaft
anzueignen und Orientierungs- und Motivationskrisen zu bearbeiten. Der Blick wendet sich
hier den Formen der »kulturellen Reproduktion« zu und korrespondiert dementsprechend
mit der Initiierung von »kulturellen Bildungsprozessen« beziehungsweise
entsprechenden Hilfeleistungen.
• Krisen auf der Ebene der sozialen Integration, des Verlustes von Zugehörigkeit und
Anerkennung sowie Praxen der Renitenz bis hin zu kriminalisierbaren Handlungen können
im Kontext der Kinder- und Jugendarbeit durch Formen der »sozialen Bildung« und
entsprechenden Hilfeprozessen eine Bearbeitung und Thematisierung finden.
• Verunsicherungen der Identität, Erosionen der Motivation und psychische
Beeinträchtigungen der individuellen Integrität finden in einer über Bildung aufgefächerten
Kinder- und Jugendarbeit durch Projekte der »Identitätsbildung«, also über die
Initiierung von subjektbezogenen Lernprozessen, Hilfeangeboten, Unterstützungsformen
und Betreuungsangeboten Beachtung und Bearbeitung.
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16. Potenziale Kinder- und Jugendarbeit als Arena …
Kinder- und Jugendarbeit
konstituiert eine »sozial-
pädagogische Arena«, wird
performativ herstellt, also
»erhandelt«.
17. Potenziale Bildung in der Kinder- & Jugendarbeit …
Die Kinder- und Jugendarbeit kann somit als pädagogischer
Ort vorgestellt werden, an dem sich die pädagogischen
Intentionen – im Kontrast zur Schule – quasi versteckt auf
der Hinterbühne lokalisieren: Spielen sich in den schulischen
Bildungswelten die sozialen Platzierungskämpfe, Rivalitäten
und Beziehungsauseinandersetzungen im Rücken des
eigentlichen Lern-Lehr-Szenarios ab, so finden in den
Einrichtungen und Projekten der Kinder- und Jugendarbeit
diese quasi auf der Hauptbühne ihren Platz.
In der Kinder- und Jugendarbeit wird im Schatten dieses
Alltagsszenarios und erst über dieses möglich wie darin
eingewoben die Beratungs- und Hilfeleistungen sowie die non-
formalen Bildungsanlässe realisiert – also quasi auf der
Hinterbühne.
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18. Potenziale Bildung in der Kinder- & Jugendarbeit …
Die sozialpädagogische Arena der Kinder-
und Jugendarbeit lässt sich als sozialer Ort
unterschiedlichster Kommunikationsstile und
-formen beschreiben. Die Konstituierung
unterliegt den Regeln
• der Sparsamkeit,
• des Mitmachens und
• der Sichtbarkeit der PädagogInnen
unter den Bedingungen eines Akteurs als
»Andere unter Gleichen«.
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19. Potenziale Blick nach vorn …
Die Kinder- und Jugendarbeit präsentiert der
Gesellschaft und natürlich insbesondere den
Kindern und Jugendlichen zwei wesentliche
Potentiale …
• Anerkennung: (1) Zuneigung, Wertschätzung, Liebe …
(2) Rechtliche Anerkennung, Gerechtigkeit,
gesellschaftliche Anerkennung
(3) Lebensweltliche Anerkennung, Solidarität und Sicherheit in sozialen
Netzwerken
• Identität: (1) Soziale Identität, Rollen
(2) Personale Identität, die Einzigartigkeit einer Person.
(3) Ich-Identität, subjektives Empfinden der Unverwechselbarkeit
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20. Potenziale Blick nach vorn …
Feld der Herstellung von sozialer Integration und der
Vermeidung von Exklusionen
sowie
des Erwerbs von Lebensführungs- und
Lebensgestaltungskompetenzen und damit der
Ermöglichung von Selbstwirksamkeit …
Eine auf Nachhaltigkeit setzende Bildungspolitik ohne Sozialpolitik ist nicht
denkbar - deutlicher: Eine moderne Bildungspolitik kann sich nur als Teil
einer auf soziale Gerechtigkeit setzende Sozialpolitik konzipieren – und die
ist ohne eine in die regionalen Strukturen fest eingelagerte Kinder- und
Jugendarbeit kaum vorstellbar.
Die Kinder- und Jugendarbeit ist wesentlicher Bestandteil kommunaler
Bildungslandschaften.
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21. Ich danke für die Aufmerksamkeit
und
hoffe, Bildung war möglich ….
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