SlideShare ist ein Scribd-Unternehmen logo
1 von 24
Downloaden Sie, um offline zu lesen
Werner Thole



    Kinder- und Jugendarbeit im
      permanenten Wandel …
      Herausforderungen & Potenziale


        Kassel & Frankfurt a. d. Oder 2011
1
Fragestellung …


    Welche Praxis & theoretische Idee benötigt die aktuelle
    Kinder- und Jugendarbeit angesichts der
    •   diversen Krisendiagnosen
    und der unterschiedlichen
    •   Infragestellungen
    und welche Potenziale kann sie präsentieren.


2
Gliederung



     Ausgangsmarkierungen und Herausforderungen
     Bildung in der Kinder- und Jugendarbeit: Potenziale
      und Erträge
     Ausblick: Kinder- und Jugendarbeit als
      Projekt der Initiierung von Bildung und einer
      zukunftsorientierten Kommunalpolitik



3
Herausforderung   Beispielsweise die Ganztagesschulen …

    Flächendeckender Ausbau von Ganztagsschulformen in fast
    allen Bundesländern wird als Herausforderung und „Bremse“
    gesehen …
       •          6400 Ganztagsschulen mit steigender Tendenz
       •          zwischen 2002 und 2006 stiegen die Schülerzahlen von 10% auf 18%
       •          die Gesamtquote liegt in den westlichen Bundesländern bei cirka 13%, in den
                  östlichen Bundesländern bei cirka 18%
       •          aber, beispielsweise: noch über 90% der Grundschulen mit einem
                  Ganztagsangebot arbeiten nach dem offenen Prinzip

    … im Kern hat sich die Kinder- und Jugendarbeit jedoch
    elementareren Herausforderungen zu stellen …


4
Herausforderung   Dynamisierung Sozialer Ungleichheiten


    Für die meisten Industriestaaten ist zu
    beobachten, dass ökonomische
    Klassenunterschiede nicht mehr die
    einzigen sozialen Unterschiede sind, die
    das Funktionieren der Gesellschaft
    steuern. Ungleichheiten werden durch
    die Verfügbarkeit über
     ökonomisches,
     kulturelles
    und
     soziales
    Kapital grundgelegt.



5
Herausforderung:   Dynamisierung Sozialer Ungleichheiten



    Nicht nur die Gesellschaft, auch das
    Bildungssystem
    trägt zur Reproduktion sozialer
    Ungleichheit bei


    Der Zusammenhang zwischen Schicht- und Milieuzugehörigkeit, sozialer Lage, den
    sozialen Kapitalressourcen und sozial-kulturellen Orientierungen sowie den Formen des
    Kompetenzerwerbs ist über die gesellschaftlichen Veränderungen der letzten Jahrzehnte
    nicht eliminiert worden.




6
Herausforderung      Dynamisierung Sozialer Ungleichheiten

    Folgen der Produktion und Reproduktion Sozialer Ungleichheit: Bewusst wird – so
                   kann behauptet werden – damit einkalkuliert, dass

                 •   weiterhin 10 % eines jeden Jahrgangs ohne Schulabschluss

                                          bleiben und

        •    knapp 17 % der heute 25- bis 34-jährigen Wohnbevölkerung insgesamt und
            35 % der weiblichen Bevölkerung keinen Ausbildungsabschluss erlangen.

        Hingenommen wird damit auch die Reproduktion sozialer Ungleichheit durch die
                       soziale »Vererbung« von »Bildungsarmut«:

    •       Hat der Vater keinen Schulabschluss, so haben 15 % der Söhne und 26 % der
              Töchter auch keinen Schulabschluss, und hat der Vater keinen beruflichen
             Abschluss, so erwerben 21 % der Söhne und gar 54 % der Töchter ebenfalls
                                   keinen beruflichen Abschluss.


7
Herausforderung   Dynamisierung Sozialer Ungleichheiten




8
Herausforderung: Stichwort „   Individualisierung“



          Veränderung der sozio-kulturellen Rahmungen
                       und Sicherheiten

    •   Kulturelle Freisetzungsprozesse: »Biographisierung«

    •   Freiheit ist trügerisch und riskant

    •   Kulturelle Freisetzung und Individualisierung bedeutet immer auch
        institutionelle Prägung von Lebensläufen




9
Herausforderung   Statuspassagen …


     Biographische Moratorien werden nicht mehr
     ausschließlich in der Jugendzeit für alle Zeiten abgefeiert


     Übergangsphasen sind inzwischen biographisch
     querverteilt, begegnen den Menschen episodenhaft auf
     verschiedene Lebensabschnitte verteilt

     Gegensätze zwischen einzelnen Lebensabschnitten sind
     allgegenwärtig …




10
Potenziale   Bildung …


Bildung ist die
Fähigkeit, sich „Selbst“
und die Welt zu
erkennen und zu
„durchschauen“ –
also: Selbst- und
Welterkenntnis,
Selbst- und
Weltaufklärung
Potenziale   Bildung ist mehr als Schule …

     Das Schulsystem, der Bereich der beruflichen und hochschulischen Qualifizierung und
     strukturierte, mit anerkannten Zertifikaten abschließende Weiterbildungen können gemäß
     dieser Differenzierung dem Feld der formalen Bildung zugeordnet werden. Als Bildungs-
     und Lernfelder der non-formalen Bildung sind die Praxen der Sozialen Arbeit,
     beispielsweise in den Kindertageseinrichtungen, in der Kinder- und Jugendarbeit oder in
     den familien-, kinder- und jugendbezogenen Handlungsfeldern, und in der
     erwachsenenorientierten Fort- und Weiterbildung zu identifizieren. Informelle
     Bildungsprozesse realisieren sich dieser Unterscheidung nach beispielsweise in familialen
     Zusammenhängen und jugendlichen Gleichaltrigenkulturen.



      Eine den Erwerb von Bildung auf das institutionelle, formal strukturierte System
       von Lernen und Ausbildung fokussierende Vorstellung von Bildung hat sich der
      Expertise zu stellen, nach der 70 % aller menschlichen Lernprozesse außerhalb
                                        von formalen Bildungsinstitutionen stattfinden.


12
Potenziale   Bildung ist mehr als Schule …

     Bildungsprozesse in und über informelle und non-formal
          gerahmte Praxen sind strukturell in den Alltag
      eingelagert. Sie bieten Lern- und Erfahrungsfelder, die
       das formal strukturierte Bildungssystem nicht vorhält
        oder aufgrund seiner selektiven Grundstruktur nicht
                          vorhalten kann.

        Die Relevanz der hier erworbenen kulturellen und
          sozialen Ressourcen für die Entwicklung von
                    Lebensbewältigungs- und
      Lebensgestaltungskompetenzen, die Formierung von
          Lebensstilpräferenzen und von biografischen
     Lebenskonzepten sowie deren Nachhaltigkeit wird nach
      wie vor ebenso unterschätzt wie deren Bedeutung für
     das erfolgreiche Absolvieren von schulischen Bildungs-
         und berufsbezogenen Qualifizierungskarrieren.


13
Potenziale   Bildung in der Kinder- & Jugendarbeit …
                  Strukturelle     Kultur                    Gesellschaft             Persönlichkeit
                Komponenten (Krisenerscheinung)          (Krisenerscheinung)       (Krisenerscheinung)

     Reproduktions-
     prozesse
     Kulturelle Reproduktion    Überlieferung, Kritik,          Erneuerung            Reproduktion von
     »Kulturelle               Erwerb von kulturellem    legitimationswirksamen        Bildungswissen
     Bildung«                          Wissen                    Wissens


                                    (Sinnverlust)        (Legitimationsentzug)        (Erziehungskrise)

     Soziale Integration        Immunisierung eines       Koordinierung von       Reproduktion von Mustern
     »Soziale                    Kernbestandes von         Handlungen über         sozialer Zugehörigkeit
     Bildung«                    Wertorientierungen           anerkannte
                                                          Geltungsansprüche


                               (Verunsicherungen der           (Anomie)                 (Entfremdung)
                                kollektiven Identität)
     Individuation                 Enkulturation          Wertinternalisierung    Persönlichkeitsentwicklung
     »Identitätsbildung«
                                (Traditionsabbruch)       (Motivationsentzug)        (Psychopathologien)




14
Potenziale   Bildung in der Kinder- & Jugendarbeit …
     • In Bezug auf das kulturelle Erbe einer Gesellschaft hat die Kinder- und Jugendarbeit
       Heranwachsende dabei zu unterstützen, das kulturelle Wissen der Gesellschaft
       anzueignen und Orientierungs- und Motivationskrisen zu bearbeiten. Der Blick wendet sich
       hier den Formen der »kulturellen Reproduktion« zu und korrespondiert dementsprechend
       mit der Initiierung von »kulturellen Bildungsprozessen« beziehungsweise
       entsprechenden Hilfeleistungen.

     • Krisen auf der Ebene der sozialen Integration, des Verlustes von Zugehörigkeit und
       Anerkennung sowie Praxen der Renitenz bis hin zu kriminalisierbaren Handlungen können
       im Kontext der Kinder- und Jugendarbeit durch Formen der »sozialen Bildung« und
       entsprechenden Hilfeprozessen eine Bearbeitung und Thematisierung finden.

     • Verunsicherungen der Identität, Erosionen der Motivation und psychische
       Beeinträchtigungen der individuellen Integrität finden in einer über Bildung aufgefächerten
       Kinder- und Jugendarbeit durch Projekte der »Identitätsbildung«, also über die
       Initiierung von subjektbezogenen Lernprozessen, Hilfeangeboten, Unterstützungsformen
       und Betreuungsangeboten Beachtung und Bearbeitung.


15
Potenziale   Kinder- und Jugendarbeit als Arena …




Kinder- und Jugendarbeit
konstituiert eine    »sozial-
pädagogische Arena«, wird
performativ herstellt, also
»erhandelt«.
Potenziale   Bildung in der Kinder- & Jugendarbeit …

     Die Kinder- und Jugendarbeit kann somit als pädagogischer
     Ort vorgestellt werden, an dem sich die pädagogischen
     Intentionen – im Kontrast zur Schule – quasi versteckt auf
     der Hinterbühne lokalisieren: Spielen sich in den schulischen
     Bildungswelten die sozialen Platzierungskämpfe, Rivalitäten
     und Beziehungsauseinandersetzungen im Rücken des
     eigentlichen Lern-Lehr-Szenarios ab, so finden in den
     Einrichtungen und Projekten der Kinder- und Jugendarbeit
     diese quasi auf der Hauptbühne ihren Platz.

     In der Kinder- und Jugendarbeit wird im Schatten dieses
     Alltagsszenarios und erst über dieses möglich wie darin
     eingewoben die Beratungs- und Hilfeleistungen sowie die non-
     formalen Bildungsanlässe realisiert – also quasi auf der
     Hinterbühne.


17
Potenziale   Bildung in der Kinder- & Jugendarbeit …

      Die sozialpädagogische Arena der Kinder-
      und Jugendarbeit lässt sich als sozialer Ort
     unterschiedlichster Kommunikationsstile und
      -formen beschreiben. Die Konstituierung
                 unterliegt den Regeln

                  • der Sparsamkeit,
                • des Mitmachens und
         • der Sichtbarkeit der PädagogInnen

       unter den Bedingungen eines Akteurs als
              »Andere unter Gleichen«.


18
Potenziale   Blick nach vorn …

     Die Kinder- und Jugendarbeit präsentiert der
     Gesellschaft und natürlich insbesondere den
     Kindern und Jugendlichen zwei wesentliche
     Potentiale …
     • Anerkennung:   (1) Zuneigung, Wertschätzung, Liebe …
                      (2) Rechtliche Anerkennung, Gerechtigkeit,
                          gesellschaftliche Anerkennung
                      (3) Lebensweltliche Anerkennung, Solidarität und Sicherheit in sozialen
                           Netzwerken
     • Identität:     (1) Soziale Identität, Rollen
                      (2) Personale Identität, die Einzigartigkeit einer Person.
                      (3) Ich-Identität, subjektives Empfinden der Unverwechselbarkeit




19
Potenziale   Blick nach vorn …

     Feld der Herstellung von sozialer Integration und der
     Vermeidung von Exklusionen
     sowie
     des Erwerbs von Lebensführungs- und
     Lebensgestaltungskompetenzen und damit der
     Ermöglichung von Selbstwirksamkeit …

     Eine auf Nachhaltigkeit setzende Bildungspolitik ohne Sozialpolitik ist nicht
     denkbar - deutlicher: Eine moderne Bildungspolitik kann sich nur als Teil
     einer auf soziale Gerechtigkeit setzende Sozialpolitik konzipieren – und die
     ist ohne eine in die regionalen Strukturen fest eingelagerte Kinder- und
     Jugendarbeit kaum vorstellbar.
     Die Kinder- und Jugendarbeit ist wesentlicher Bestandteil kommunaler
     Bildungslandschaften.



20
Ich danke für die Aufmerksamkeit
                    und
       hoffe, Bildung war möglich ….




21
Werbeblock …
Zur Vertiefung: Die Publikation




         Wiesbaden 2007 und 2009
Weinheim 2001
Wiesbaden 2005

Weitere ähnliche Inhalte

Ähnlich wie herausforderungen & potenziale frankfurt a. d. oder 011

150323 document cadre vie et société
150323 document cadre vie et société150323 document cadre vie et société
150323 document cadre vie et sociétéLuxemburger Wort
 
150323 document cadre vie et société
150323 document cadre vie et société150323 document cadre vie et société
150323 document cadre vie et sociétéLuxemburger Wort
 
Innsbruck_Medienbildung in der Schule – pädagogischer Anspruch oder Utopie?
Innsbruck_Medienbildung in der Schule – pädagogischer Anspruch oder Utopie?Innsbruck_Medienbildung in der Schule – pädagogischer Anspruch oder Utopie?
Innsbruck_Medienbildung in der Schule – pädagogischer Anspruch oder Utopie?Mandy Rohs
 
ergovia Fachtag Kita 2016 - Handout - Vortrag zur Bildungsqualität von Fr. Dr...
ergovia Fachtag Kita 2016 - Handout - Vortrag zur Bildungsqualität von Fr. Dr...ergovia Fachtag Kita 2016 - Handout - Vortrag zur Bildungsqualität von Fr. Dr...
ergovia Fachtag Kita 2016 - Handout - Vortrag zur Bildungsqualität von Fr. Dr...ergovia GmbH
 
Vielfalt braucht [:Bildung:] braucht Vielfalt
Vielfalt braucht [:Bildung:] braucht VielfaltVielfalt braucht [:Bildung:] braucht Vielfalt
Vielfalt braucht [:Bildung:] braucht VielfaltHeinz Fleckl
 
2012 Bremen Karsten Speck schulsozialarbeit in bremen
2012 Bremen Karsten Speck schulsozialarbeit in bremen2012 Bremen Karsten Speck schulsozialarbeit in bremen
2012 Bremen Karsten Speck schulsozialarbeit in bremenMarkus Gerstmann
 
Frühkindliche Bildung als ein Schlüssel
Frühkindliche Bildung als ein SchlüsselFrühkindliche Bildung als ein Schlüssel
Frühkindliche Bildung als ein SchlüsselJohannes Meier
 
Jörissen, Benjamin (2009). Medienbildung in der digitalen Erlebniskultur.
Jörissen, Benjamin (2009). Medienbildung in der digitalen Erlebniskultur. Jörissen, Benjamin (2009). Medienbildung in der digitalen Erlebniskultur.
Jörissen, Benjamin (2009). Medienbildung in der digitalen Erlebniskultur. Benjamin Jörissen
 
Eltern lehrer - schulerfolg
Eltern   lehrer - schulerfolgEltern   lehrer - schulerfolg
Eltern lehrer - schulerfolgLukas Brand
 
Positive Change Maker Interview: Florian Baumgartner
Positive Change Maker Interview: Florian BaumgartnerPositive Change Maker Interview: Florian Baumgartner
Positive Change Maker Interview: Florian BaumgartnerMichael Kurz
 
Themen KJB 2. Plenarversammlung
Themen KJB 2. PlenarversammlungThemen KJB 2. Plenarversammlung
Themen KJB 2. Plenarversammlungkjb_li
 
Www internatebayern-de
Www internatebayern-deWww internatebayern-de
Www internatebayern-deAlbaHattley
 
Zusammenarbeit schulischer und ausserschulischer Jugendarbeit
Zusammenarbeit schulischer und ausserschulischer JugendarbeitZusammenarbeit schulischer und ausserschulischer Jugendarbeit
Zusammenarbeit schulischer und ausserschulischer JugendarbeitPetra Baumberger
 
Carcea maria strategii de activare a potentialului creativ
Carcea maria   strategii de activare a potentialului creativCarcea maria   strategii de activare a potentialului creativ
Carcea maria strategii de activare a potentialului creativAndreea (Petrea) Serpegean
 
Informelles Lernen Im Jugendalter 97
Informelles Lernen Im Jugendalter 97Informelles Lernen Im Jugendalter 97
Informelles Lernen Im Jugendalter 97unilv
 
Informelles Lernen Im Jugendalter 97
Informelles Lernen Im Jugendalter 97Informelles Lernen Im Jugendalter 97
Informelles Lernen Im Jugendalter 97unilv
 

Ähnlich wie herausforderungen & potenziale frankfurt a. d. oder 011 (20)

150323 document cadre vie et société
150323 document cadre vie et société150323 document cadre vie et société
150323 document cadre vie et société
 
150323 document cadre vie et société
150323 document cadre vie et société150323 document cadre vie et société
150323 document cadre vie et société
 
Innsbruck_Medienbildung in der Schule – pädagogischer Anspruch oder Utopie?
Innsbruck_Medienbildung in der Schule – pädagogischer Anspruch oder Utopie?Innsbruck_Medienbildung in der Schule – pädagogischer Anspruch oder Utopie?
Innsbruck_Medienbildung in der Schule – pädagogischer Anspruch oder Utopie?
 
ergovia Fachtag Kita 2016 - Handout - Vortrag zur Bildungsqualität von Fr. Dr...
ergovia Fachtag Kita 2016 - Handout - Vortrag zur Bildungsqualität von Fr. Dr...ergovia Fachtag Kita 2016 - Handout - Vortrag zur Bildungsqualität von Fr. Dr...
ergovia Fachtag Kita 2016 - Handout - Vortrag zur Bildungsqualität von Fr. Dr...
 
Vielfalt braucht [:Bildung:] braucht Vielfalt
Vielfalt braucht [:Bildung:] braucht VielfaltVielfalt braucht [:Bildung:] braucht Vielfalt
Vielfalt braucht [:Bildung:] braucht Vielfalt
 
2012 Bremen Karsten Speck schulsozialarbeit in bremen
2012 Bremen Karsten Speck schulsozialarbeit in bremen2012 Bremen Karsten Speck schulsozialarbeit in bremen
2012 Bremen Karsten Speck schulsozialarbeit in bremen
 
Frühkindliche Bildung als ein Schlüssel
Frühkindliche Bildung als ein SchlüsselFrühkindliche Bildung als ein Schlüssel
Frühkindliche Bildung als ein Schlüssel
 
Jörissen, Benjamin (2009). Medienbildung in der digitalen Erlebniskultur.
Jörissen, Benjamin (2009). Medienbildung in der digitalen Erlebniskultur. Jörissen, Benjamin (2009). Medienbildung in der digitalen Erlebniskultur.
Jörissen, Benjamin (2009). Medienbildung in der digitalen Erlebniskultur.
 
Demografie in Niedersachsen
Demografie in NiedersachsenDemografie in Niedersachsen
Demografie in Niedersachsen
 
Eltern lehrer - schulerfolg
Eltern   lehrer - schulerfolgEltern   lehrer - schulerfolg
Eltern lehrer - schulerfolg
 
Bildungspaten gesucht
Bildungspaten gesuchtBildungspaten gesucht
Bildungspaten gesucht
 
Positive Change Maker Interview: Florian Baumgartner
Positive Change Maker Interview: Florian BaumgartnerPositive Change Maker Interview: Florian Baumgartner
Positive Change Maker Interview: Florian Baumgartner
 
Themen KJB 2. Plenarversammlung
Themen KJB 2. PlenarversammlungThemen KJB 2. Plenarversammlung
Themen KJB 2. Plenarversammlung
 
Www internatebayern-de
Www internatebayern-deWww internatebayern-de
Www internatebayern-de
 
Zusammenarbeit schulischer und ausserschulischer Jugendarbeit
Zusammenarbeit schulischer und ausserschulischer JugendarbeitZusammenarbeit schulischer und ausserschulischer Jugendarbeit
Zusammenarbeit schulischer und ausserschulischer Jugendarbeit
 
Carcea maria strategii de activare a potentialului creativ
Carcea maria   strategii de activare a potentialului creativCarcea maria   strategii de activare a potentialului creativ
Carcea maria strategii de activare a potentialului creativ
 
Vortrag hehl
Vortrag hehlVortrag hehl
Vortrag hehl
 
Informelles Lernen Im Jugendalter 97
Informelles Lernen Im Jugendalter 97Informelles Lernen Im Jugendalter 97
Informelles Lernen Im Jugendalter 97
 
Informelles Lernen Im Jugendalter 97
Informelles Lernen Im Jugendalter 97Informelles Lernen Im Jugendalter 97
Informelles Lernen Im Jugendalter 97
 
Stuttgarter Bildungspartnerschaft
Stuttgarter BildungspartnerschaftStuttgarter Bildungspartnerschaft
Stuttgarter Bildungspartnerschaft
 

herausforderungen & potenziale frankfurt a. d. oder 011

  • 1. Werner Thole Kinder- und Jugendarbeit im permanenten Wandel … Herausforderungen & Potenziale Kassel & Frankfurt a. d. Oder 2011 1
  • 2. Fragestellung … Welche Praxis & theoretische Idee benötigt die aktuelle Kinder- und Jugendarbeit angesichts der • diversen Krisendiagnosen und der unterschiedlichen • Infragestellungen und welche Potenziale kann sie präsentieren. 2
  • 3. Gliederung  Ausgangsmarkierungen und Herausforderungen  Bildung in der Kinder- und Jugendarbeit: Potenziale und Erträge  Ausblick: Kinder- und Jugendarbeit als Projekt der Initiierung von Bildung und einer zukunftsorientierten Kommunalpolitik 3
  • 4. Herausforderung Beispielsweise die Ganztagesschulen … Flächendeckender Ausbau von Ganztagsschulformen in fast allen Bundesländern wird als Herausforderung und „Bremse“ gesehen … • 6400 Ganztagsschulen mit steigender Tendenz • zwischen 2002 und 2006 stiegen die Schülerzahlen von 10% auf 18% • die Gesamtquote liegt in den westlichen Bundesländern bei cirka 13%, in den östlichen Bundesländern bei cirka 18% • aber, beispielsweise: noch über 90% der Grundschulen mit einem Ganztagsangebot arbeiten nach dem offenen Prinzip … im Kern hat sich die Kinder- und Jugendarbeit jedoch elementareren Herausforderungen zu stellen … 4
  • 5. Herausforderung Dynamisierung Sozialer Ungleichheiten Für die meisten Industriestaaten ist zu beobachten, dass ökonomische Klassenunterschiede nicht mehr die einzigen sozialen Unterschiede sind, die das Funktionieren der Gesellschaft steuern. Ungleichheiten werden durch die Verfügbarkeit über  ökonomisches,  kulturelles und  soziales Kapital grundgelegt. 5
  • 6. Herausforderung: Dynamisierung Sozialer Ungleichheiten Nicht nur die Gesellschaft, auch das Bildungssystem trägt zur Reproduktion sozialer Ungleichheit bei Der Zusammenhang zwischen Schicht- und Milieuzugehörigkeit, sozialer Lage, den sozialen Kapitalressourcen und sozial-kulturellen Orientierungen sowie den Formen des Kompetenzerwerbs ist über die gesellschaftlichen Veränderungen der letzten Jahrzehnte nicht eliminiert worden. 6
  • 7. Herausforderung Dynamisierung Sozialer Ungleichheiten Folgen der Produktion und Reproduktion Sozialer Ungleichheit: Bewusst wird – so kann behauptet werden – damit einkalkuliert, dass • weiterhin 10 % eines jeden Jahrgangs ohne Schulabschluss bleiben und • knapp 17 % der heute 25- bis 34-jährigen Wohnbevölkerung insgesamt und 35 % der weiblichen Bevölkerung keinen Ausbildungsabschluss erlangen. Hingenommen wird damit auch die Reproduktion sozialer Ungleichheit durch die soziale »Vererbung« von »Bildungsarmut«: • Hat der Vater keinen Schulabschluss, so haben 15 % der Söhne und 26 % der Töchter auch keinen Schulabschluss, und hat der Vater keinen beruflichen Abschluss, so erwerben 21 % der Söhne und gar 54 % der Töchter ebenfalls keinen beruflichen Abschluss. 7
  • 8. Herausforderung Dynamisierung Sozialer Ungleichheiten 8
  • 9. Herausforderung: Stichwort „ Individualisierung“ Veränderung der sozio-kulturellen Rahmungen und Sicherheiten • Kulturelle Freisetzungsprozesse: »Biographisierung« • Freiheit ist trügerisch und riskant • Kulturelle Freisetzung und Individualisierung bedeutet immer auch institutionelle Prägung von Lebensläufen 9
  • 10. Herausforderung Statuspassagen … Biographische Moratorien werden nicht mehr ausschließlich in der Jugendzeit für alle Zeiten abgefeiert Übergangsphasen sind inzwischen biographisch querverteilt, begegnen den Menschen episodenhaft auf verschiedene Lebensabschnitte verteilt Gegensätze zwischen einzelnen Lebensabschnitten sind allgegenwärtig … 10
  • 11. Potenziale Bildung … Bildung ist die Fähigkeit, sich „Selbst“ und die Welt zu erkennen und zu „durchschauen“ – also: Selbst- und Welterkenntnis, Selbst- und Weltaufklärung
  • 12. Potenziale Bildung ist mehr als Schule … Das Schulsystem, der Bereich der beruflichen und hochschulischen Qualifizierung und strukturierte, mit anerkannten Zertifikaten abschließende Weiterbildungen können gemäß dieser Differenzierung dem Feld der formalen Bildung zugeordnet werden. Als Bildungs- und Lernfelder der non-formalen Bildung sind die Praxen der Sozialen Arbeit, beispielsweise in den Kindertageseinrichtungen, in der Kinder- und Jugendarbeit oder in den familien-, kinder- und jugendbezogenen Handlungsfeldern, und in der erwachsenenorientierten Fort- und Weiterbildung zu identifizieren. Informelle Bildungsprozesse realisieren sich dieser Unterscheidung nach beispielsweise in familialen Zusammenhängen und jugendlichen Gleichaltrigenkulturen. Eine den Erwerb von Bildung auf das institutionelle, formal strukturierte System von Lernen und Ausbildung fokussierende Vorstellung von Bildung hat sich der Expertise zu stellen, nach der 70 % aller menschlichen Lernprozesse außerhalb von formalen Bildungsinstitutionen stattfinden. 12
  • 13. Potenziale Bildung ist mehr als Schule … Bildungsprozesse in und über informelle und non-formal gerahmte Praxen sind strukturell in den Alltag eingelagert. Sie bieten Lern- und Erfahrungsfelder, die das formal strukturierte Bildungssystem nicht vorhält oder aufgrund seiner selektiven Grundstruktur nicht vorhalten kann. Die Relevanz der hier erworbenen kulturellen und sozialen Ressourcen für die Entwicklung von Lebensbewältigungs- und Lebensgestaltungskompetenzen, die Formierung von Lebensstilpräferenzen und von biografischen Lebenskonzepten sowie deren Nachhaltigkeit wird nach wie vor ebenso unterschätzt wie deren Bedeutung für das erfolgreiche Absolvieren von schulischen Bildungs- und berufsbezogenen Qualifizierungskarrieren. 13
  • 14. Potenziale Bildung in der Kinder- & Jugendarbeit … Strukturelle Kultur Gesellschaft Persönlichkeit Komponenten (Krisenerscheinung) (Krisenerscheinung) (Krisenerscheinung) Reproduktions- prozesse Kulturelle Reproduktion Überlieferung, Kritik, Erneuerung Reproduktion von »Kulturelle Erwerb von kulturellem legitimationswirksamen Bildungswissen Bildung« Wissen Wissens (Sinnverlust) (Legitimationsentzug) (Erziehungskrise) Soziale Integration Immunisierung eines Koordinierung von Reproduktion von Mustern »Soziale Kernbestandes von Handlungen über sozialer Zugehörigkeit Bildung« Wertorientierungen anerkannte Geltungsansprüche (Verunsicherungen der (Anomie) (Entfremdung) kollektiven Identität) Individuation Enkulturation Wertinternalisierung Persönlichkeitsentwicklung »Identitätsbildung« (Traditionsabbruch) (Motivationsentzug) (Psychopathologien) 14
  • 15. Potenziale Bildung in der Kinder- & Jugendarbeit … • In Bezug auf das kulturelle Erbe einer Gesellschaft hat die Kinder- und Jugendarbeit Heranwachsende dabei zu unterstützen, das kulturelle Wissen der Gesellschaft anzueignen und Orientierungs- und Motivationskrisen zu bearbeiten. Der Blick wendet sich hier den Formen der »kulturellen Reproduktion« zu und korrespondiert dementsprechend mit der Initiierung von »kulturellen Bildungsprozessen« beziehungsweise entsprechenden Hilfeleistungen. • Krisen auf der Ebene der sozialen Integration, des Verlustes von Zugehörigkeit und Anerkennung sowie Praxen der Renitenz bis hin zu kriminalisierbaren Handlungen können im Kontext der Kinder- und Jugendarbeit durch Formen der »sozialen Bildung« und entsprechenden Hilfeprozessen eine Bearbeitung und Thematisierung finden. • Verunsicherungen der Identität, Erosionen der Motivation und psychische Beeinträchtigungen der individuellen Integrität finden in einer über Bildung aufgefächerten Kinder- und Jugendarbeit durch Projekte der »Identitätsbildung«, also über die Initiierung von subjektbezogenen Lernprozessen, Hilfeangeboten, Unterstützungsformen und Betreuungsangeboten Beachtung und Bearbeitung. 15
  • 16. Potenziale Kinder- und Jugendarbeit als Arena … Kinder- und Jugendarbeit konstituiert eine »sozial- pädagogische Arena«, wird performativ herstellt, also »erhandelt«.
  • 17. Potenziale Bildung in der Kinder- & Jugendarbeit … Die Kinder- und Jugendarbeit kann somit als pädagogischer Ort vorgestellt werden, an dem sich die pädagogischen Intentionen – im Kontrast zur Schule – quasi versteckt auf der Hinterbühne lokalisieren: Spielen sich in den schulischen Bildungswelten die sozialen Platzierungskämpfe, Rivalitäten und Beziehungsauseinandersetzungen im Rücken des eigentlichen Lern-Lehr-Szenarios ab, so finden in den Einrichtungen und Projekten der Kinder- und Jugendarbeit diese quasi auf der Hauptbühne ihren Platz. In der Kinder- und Jugendarbeit wird im Schatten dieses Alltagsszenarios und erst über dieses möglich wie darin eingewoben die Beratungs- und Hilfeleistungen sowie die non- formalen Bildungsanlässe realisiert – also quasi auf der Hinterbühne. 17
  • 18. Potenziale Bildung in der Kinder- & Jugendarbeit … Die sozialpädagogische Arena der Kinder- und Jugendarbeit lässt sich als sozialer Ort unterschiedlichster Kommunikationsstile und -formen beschreiben. Die Konstituierung unterliegt den Regeln • der Sparsamkeit, • des Mitmachens und • der Sichtbarkeit der PädagogInnen unter den Bedingungen eines Akteurs als »Andere unter Gleichen«. 18
  • 19. Potenziale Blick nach vorn … Die Kinder- und Jugendarbeit präsentiert der Gesellschaft und natürlich insbesondere den Kindern und Jugendlichen zwei wesentliche Potentiale … • Anerkennung: (1) Zuneigung, Wertschätzung, Liebe … (2) Rechtliche Anerkennung, Gerechtigkeit, gesellschaftliche Anerkennung (3) Lebensweltliche Anerkennung, Solidarität und Sicherheit in sozialen Netzwerken • Identität: (1) Soziale Identität, Rollen (2) Personale Identität, die Einzigartigkeit einer Person. (3) Ich-Identität, subjektives Empfinden der Unverwechselbarkeit 19
  • 20. Potenziale Blick nach vorn … Feld der Herstellung von sozialer Integration und der Vermeidung von Exklusionen sowie des Erwerbs von Lebensführungs- und Lebensgestaltungskompetenzen und damit der Ermöglichung von Selbstwirksamkeit … Eine auf Nachhaltigkeit setzende Bildungspolitik ohne Sozialpolitik ist nicht denkbar - deutlicher: Eine moderne Bildungspolitik kann sich nur als Teil einer auf soziale Gerechtigkeit setzende Sozialpolitik konzipieren – und die ist ohne eine in die regionalen Strukturen fest eingelagerte Kinder- und Jugendarbeit kaum vorstellbar. Die Kinder- und Jugendarbeit ist wesentlicher Bestandteil kommunaler Bildungslandschaften. 20
  • 21. Ich danke für die Aufmerksamkeit und hoffe, Bildung war möglich …. 21
  • 22. Werbeblock … Zur Vertiefung: Die Publikation Wiesbaden 2007 und 2009