1. Quelle Börsen-Zeitung vom 07. 01. 2005
Seite 11
Ressort Unternehmen und Branchen
Rubrik Gastbeitrag
Autor Dr. Anke Nestler und Thomas Kupke *)
Unternehmenswerte sinken nach neuem IDW-Standard
Börsen-Zeitung, 7.1.2005 Kurz vor dem
Jahreswechsel hat das Institut der Wirt-schaftsprüfer
in Deutschland (IDW) die
bereits angekündigte Überarbeitung des
IDW Standards "Grundsätze zur Durch-führung
von Unternehmensbewertun-gen
(IDW ES 1 n. F.)" veröffentlicht
(www. idw.de). Der Entwurf trägt zur
Lösung zweier kontrovers diskutierter
Themen bei, die im Rahmen der Ermitt-lung
objektivierter Unternehmenswerte
und damit sowohl für das M & A-Geschäft
als für gesellschaftsrechtliche
Umstrukturierungen von großer Bedeu-tung
sind. In der Folge können sich Un-ternehmenswerte
teilweise deutlich ver-ringern.
Hohe Akzeptanz IDW Stan-dards
geben Wirtschaftsprüfern Rah-menbedingungen
vor; der Bewertungs-standard
IDW S 1 liegt regelmäßig der
Bestimmung von angemessenen Abfin-dungs-
und Ausgleichszahlungen für
Aktionäre (bei Unternehmensverträgen,
Eingliederungen, Übernahmeangeboten,
Squeeze-out) sowie der Ermittlung von
Umtauschverhältnissen bei Umwand-lungen
(Verschmelzungen, Spaltungen)
zugrunde. Seine Akzeptanz vor Gericht
und in der Praxis hat in den vergange-nen
Jahren spürbar zugenommen. Der
nun veröffentlichte IDW ES 1 ist keine
vollständige Neufassung seines Vorgän-gers,
sondern ändert in erster Linie zwei
wesentliche Prämissen, die seit langem
kontrovers diskutiert werden. Sie betref-fen
die Ermittlung eines objektivierten
Unternehmenswertes, der einen typisier-ten
Zukunftserfolgswert auf Basis be-stimmter
Bewertungsparameter und un-abhängig
von den individuellen Wert-vorstellungen
betroffener Parteien dar-stellt.
Keine Vollausschüttung Bislang
wurde für Bewertungszwecke davon
ausgegangen, dass die Unternehmensge-winne
in der Regel vollständig an die
Anteilseigner ausgekehrt werden. Zu-künftig
sollen der Bewertung in den er-sten
Planjahren (Detailplanung) die
Ausschüttungen auf Basis des Ge-schäftsmodells
und die geplante Aus-schüttungsquote
des Unternehmens zu-grunde
gelegt werden. Falls das Unter-nehmen
die Ausschüttungen nicht selbst
plant, sind zweckmäßige Annahmen
über das Ausschüttungsverhalten aus
der Vergangenheit und der Branche ab-zuleiten.
In der Ewigen Rente, die regel-mäßig
80 % bis 90 % des Unterneh-menswertes
ausmacht, ist typisierend
von einem der Alternativanlage
(Aktienportfolio) entsprechenden Aus-schüttungsverhalten
auszugehen. Die im
Unternehmen einbehaltenen Gewinne
sollen zum Kapitalisierungszinssatz
wieder angelegt werden. Alternativanla-ge
Die zweite wesentliche Änderung be-trifft
die angenommene Alternativanla-ge
bei der Ermittlung des Kapitalisie-rungszinses
und deren steuerliche Be-handlung.
Der Kapitalisierungszins re-präsentiert
die Verzinsung einer Alter-nativanlage,
mit der die Zahlungsströme
aus dem zu bewertenden Unternehmen
verglichen werden. Bisher unterstellte
der Bewertungsstandard IDW S 1 als
Alternativanlage für objektivierte Unter-nehmenswerte
ein festverzinsliches
Wertpapier und kürzte den Kapitalisie-rungszins
pauschal um den vollen typi-sierten
Einkommensteuersatz in Höhe
von 35 %. Nun wird eine realitätsnähere
Prämisse gewählt und unterstellt, dass
die Alternativanlage ein Aktienportfolio
ist. Dabei wird die unterschiedliche Be-steuerung
von Zinsen, Dividenden und
Kursgewinnen differenzierter abgebil-det.
Unverändert geht das IDW von ei-ner
typisierten Einkommensteuerbela-stung
der überwiegend aus Ausschüt-tungen
bestehenden Zuflüsse bei den
Anteilseignern (inländische natürliche
Personen) in Höhe von 35 % aus. Die
Zuflüsse werden um die persönliche
Einkommensteuer unter der Berücksich-tigung
des Halbeinkünfteverfahrens für
Dividenden vermindert, Kursgewinne
werden als nicht steuerpflichtig ange-nommen.
Die theoretische Grundlage
für diese Vorgehensweise bildet das so-genannte
Tax-Capital Asset Pricing Mo-del
(Tax-CAPM), das sich aus dem um
die Besteuerungswirkung modifizierten
risikolosen Zinssatz (Basiszins) und ei-ner
Risikoprämie (bestehend aus Mark-trisikoprämie
und Beta-Faktor) unter
Berücksichtigung der Einkommensteuer
zusammensetzt. Neue Eckdaten Darüber
hinaus hat das IDW aus dem Kapital-markt
abgeleitete Eckdaten zur Ermitt-lung
des Kapitalisierungszinses für Be-wertungsstichtage
ab dem 31. 12. 2004
veröffentlicht. Aufgrund des inzwischen
deutlich gesunkenen Zinsniveaus soll
der Unternehmensbewertung ein risiko-loser
Basiszinssatz in Höhe von 5,0 %
(bisher: 5,5 %) zugrunde gelegt werden.
Auf Basis des Tax-CAPM und neuerer
empirischer Untersuchungen befürwor-tet
das IDW regelmäßig eine Marktrisi-koprämie
vor persönlichen Ertragsteu-ern
von 4,0 % bis 5,0 %, bzw. nach per-sönlichen
Ertragsteuern von 5,0 % bis
6,0 %. Zweckmäßige Lösung Der Ent-wurf
bietet einen zweckmäßigen Lö-sungsweg
für die seit langem diskutierte
Behandlung der persönlichen Ertrag-steuer
in deutschen Unternehmensbe-wertungen.
Die enge Prämisse des fest-verzinslichen
Wertpapiers als Alternati-vanlage
wurde in Wissenschaft und Pra-xis
wiederholt als nicht realitätsnah kri-tisiert,
zumal dieses Vorgehen zu erheb-lich
höheren Unternehmenswerten führt
als bei einer differenzierten Berücksich-tigung
des deutschen Steuerrechts. Das
IDW manifestiert mit dem Tax-CAPM
sowie der Abkehr von der Vollausschüt-tungshypothese
eine realitätsnähere Er-mittlung
objektivierter Unternehmens-werte.
Die nach den überarbeiteten Prä-missen
berechneten Unternehmenswerte
können oft um 20 % und mehr unter den
bisherigen Werten liegen. Die tatsächli-che
Auswirkung ist jedoch einzelfallab-hängig.
Gleichzeitig ist es für die Er-mittlung
angemessener Abfindungs-und
Ausgleichszahlungen äußerst hilf-reich,
dass das IDW neben dem Basis-zins
nun auch eine klare Aussage für
Bandbreiten der Marktrisikoprämie ver-öffentlicht
hat. Damit dürften Spekula-tionen
auf höhere Abfindungen durch
die Kritik an der Ermittlung des Kapita-lisierungszinses
eingeschränkt werden.
Es bleibt zu hoffen, dass sich dadurch
die langwierigen Spruchverfahren zu-mindest
in diesem Streitpunkt verkürzen
werden. *) Dr. Anke Nestler ist Diplom-
Kauffrau und Geschäftsführerin im
1